Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma

Werbung
Jahrbuch 2012/2013 | Smyer Yu, Dan | Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma, Geld
und Erleuchtung
Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma,
Geld und Erleuchtung
The spread of Tibetan Buddhism in China: charisma, money,
enlightenment
Smyer Yu, Dan
Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, Göttingen
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Das
W iederaufleben des
tibetischen Buddhismus
im heutigen China
ist eng
mit oft gegenläufigen
Ausw irkungen von Globalisierung, Modernisierung und Religionspolitik, dem Einfordern indigener Identität und
der Marktw irtschaft verbunden. Der tibetische Buddhismus ist mehrdimensional im Hinblick auf verschiedene
religiöse, kulturelle und politische Adressatengruppen in China, und sein W iederaufleben ist kein isoliertes
Ereignis, das
lediglich auf tibetische
Regionen beschränkt bleibt, sondern es
ist ein Ergebnis
der
Überschneidung von lokalen und globalen Veränderungen.
Summary
The revival of Tibetan Buddhism in contemporary China is intimately bound w ith both the affirming and
negating forces of globalization, modernity, and politics of religion, indigenous identity reclamation, and the
market economy. Tibetan Buddhism is multidimensional in relation to different religious, cultural, and political
constituencies of China. Its revival is not an isolated event limited merely to Tibetan regions; instead, it is a
result of the intersection of both local and global transformative changes.
Das W iederaufleben des tibetischen Buddhismus in China ist kein lokales Ereignis, sondern es ist in vielerlei
Hinsicht mit der Globalisierung, dem w eltw eiten Marktsystem, globalen Diskursen über humanitäre Fragen und
dem Aufkommen des modernen Buddhismus verbunden. In einem Szenario von lokalen W iederbelebungen des
tibetischen Buddhismus und globalen Imaginationen von Tibet durchdringen und verw andeln sich Politik,
W irtschaft, Religion und Spiritualität w echselseitig. Globale Medien sind das w ichtigste Instrument für das
beispiellose Aufleben des tibetischen Buddhismus in China und für die Vermittlung des w eltw eiten Interesses
an der Tibet-Frage nach China. Medien produzieren und verbreiten Bilder von Tibet und dem tibetischen
Buddhismus mittels Film, fotografischen Darstellungen, Diskussionen im Internet und letztlich populären
Phantasien.
Unmittelbare
Impressionen
aus
tibetisch-buddhistischen
Gemeinden
w erden
elektronisch
überallhin transportiert.
Im Gegenzug strömen die Bilder und Erzählungen über Tibet und den tibetischen Buddhismus zurück in
tibetische w ie nichttibetische Regionen Chinas. W ährend der tibetische Buddhismus w iederauflebt, ist er
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
1/4
Jahrbuch 2012/2013 | Smyer Yu, Dan | Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma, Geld
und Erleuchtung
immer auch dem Einfluss verschiedener sozialer, w irtschaftlicher und politischer Kräfte unterw orfen. Er ist
gleichzeitig ein Vehikel der buddhistischen Erleuchtung, ein kommerzielles Werkzeug und ein politisches
Instrument. In der Perspektive der modernen Buddhismusforschung ist der tibetische Buddhismus innerhalb
und außerhalb Chinas eine Form von Ökospiritualität als Teil der w eltw eiten New -Age-Bew egungen.
Ökospiritualität verbindet globale Diskurse über die W iederbelebung und in einigen Fällen W iedererschaffung
von einst unterdrückten, nativen Überzeugungen und Praktiken mit den Konzepten einheimischer religiöser
Systeme zum ökologischen W ohlergehen des Planeten.
Globalisierung und Religionen
Die Geschichte der Globalisierung der Weltreligionen umfasst eine längere Zeitspanne als die gegenw ärtige
w irtschaftliche Globalisierung. Weltreligionen meint jene religiösen Traditionen, deren Kanon universellen
Anspruch besitzt und die seit ihrer Gründung mehrere ethnische und kulturelle Grenzen überschritten haben.
Christentum, Islam, Buddhismus und das Judentum sind Beispiele für Weltreligionen. Die Geschichte der
Globalisierung des Buddhismus begann vor mindestens zw eitausend Jahren auf Routen aus dem alten Indien
nach Nepal, Bhutan, China und in die zentralasiatischen Länder. Das Christentum expandierte ebenso rasch in
Europa und Asien über die Handelsw ege des Römischen Reiches. Die heutige Globalisierung der Religionen ist
ähnlich abhängig von transnationalen Routen regionaler Ökonomien. Inzw ischen ist dieser Prozess nicht mehr
nur auf Weltreligionen beschränkt, auch schamanische und stammesreligiöse Praktiken w erden schnell
globalisiert. Zw eifellos hat die Globalisierung einen vereinheitlichenden Effekt auf w irtschaftliche und kulturelle
Strukturen. Dieses Konzept des „Global Village“ ist konkret w ie auch abstrakt: Es ist konkret im Hinblick auf
den Austausch von Kapital, Technologie, Ressourcen, Produkten, menschlichen Ideen und spezialisierten
Talenten. Es ist abstrakt in dem Sinne, dass Globalisierung auch eine suprakulturelle und supranationale Idee
darstellt, die scheinbar alle Unterschiede überw indet, obw ohl sie dies in W irklichkeit nicht tut. Das Global
Village hat keine einheitliche Identität, sondern ist ein Dorf mit Differenzen und Konflikten.
Aus theoretischer Perspektive kann die Globalisierung als ein „soziales Phänomen, das an sich w eder heilig
noch profan ist“ [1] gesehen w erden, oder als ein „singulärer Ort“ [2] beschrieben w erden. Allerdings steht
nicht zur Debatte, ob das Dorf heilig oder profan im religiösen Sinne ist, oder ob es w ertneutral im
supranationalen Sinn ist. In ökonomischer Perspektive w ird die Globalisierung von unternehmerischen und
nationalen Interessen der großen Spieler dominiert, w ährend es aus suprakultureller Perspektive ein „Ort“ ist,
an dem alle W idersprüche existieren.
Aus
postmoderner geografischer Sicht
ist
die
Globalisierung
kein
physischer Ort, keine
organische
Gemeinschaft oder Nationalstaat. „Ort“ im Kontext der Globalisierung bedeutet eher ein „dynamisches Netz als
eine bestimmte Region oder einen Standort“ [3]. Der Gebrauch des Wortes Globalisierung ist über die globale
Zirkulation von materiellen Produktionen aller Art hinausgegangen, es ist nun ein abstraktes Konzept, das
flexibel genug ist, um eine Vielzahl von menschlichen Ideen und Aktionen zu umfassen.
Die Globalisierung der Religionen, einschließlich des tibetischen Buddhismus, ist ein integraler Bestandteil der
globalen Ökumene [2], in der es keine einzige dominierende Religion gibt und mehrere religiöse Traditionen
gleichzeitig bestehen. Die Globalisierung der Religionen bedeutet somit die gleichzeitige globale Präsenz von
Humanismen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Im theologischen Sinn ist diese Gegenw art zu dem
gew orden, w as der Theologe Hans Küng ein „globales ökumenisches Bew usstsein“ als Ergebnis unserer
Überw indung von „Isolation und zu lernen, die Realität der anderen zu begreifen“ [4] nennt. In dieser Hinsicht
ist die globale Ökumene das Gleiche w ie das Global Village.
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
2/4
Jahrbuch 2012/2013 | Smyer Yu, Dan | Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma, Geld
und Erleuchtung
Praktiken des tibetischen Buddhismus
Im Zeitalter der Globalisierung kommt Religion in sozialen und politischen Praktiken auf lokaler und globaler
Ebene zum Ausdruck. Globalisierung begünstigt strukturell die „Privatisierung der Religion“ und führt zu einem
Phänomen, das als „Performance-Religion“ bezeichnet w erden kann. Zusätzlich zu traditionellen Dogmen und
Spiritualität w ird Religion in der modernen Gesellschaft als „kulturelle Ressource“ oder symbolisches Kapital im
Bourdieu'schen Sinne genutzt [5]. Allerdings variiert der Einsatz einer solchen Ressource von einer Gruppe
oder
einem
Staat
zum
anderen.
Religion
stiftet
Legitimität,
um
staatliche
Interessen
oder
auch
regierungsunabhängige humanitäre Anliegen zu unterstützen, die nationale Identität zu stärken und um die
imaginäre Einheit der jew eiligen kulturellen und ethnischen Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.
Der tibetische Buddhismus innerhalb und außerhalb Chinas ist ein Prototyp der Performance-Religion. Die
Vorstellungen über den tibetischen Buddhismus haben dabei w enig mit der buddhistischen Praxis selbst zu
tun. Seit den tibetischen Unruhen im März 2008 hat die Konkurrenz zw ischen den Darstellungen Tibets und
des tibetischen Buddhismus in w estlichen und chinesischen Medien dieses Muster noch verstärkt. Die Tibeter
sind in der gleichzeitigen Vereinnahmung durch den Westen und den chinesischen Staat gefangen, w obei
beide Seiten eine moralisch überlegene Position beanspruchen. W ährend der Westen auf die chinesische
Besetzung Tibets verw eist, stellt China sich als Befreier dar, der die Tibeter von ihrer „barbarischen“
traditionellen Gesellschaft emanzipiert hat. Die traditionelle tibetische Herrschaftsform w ird von beiden Seiten
verw endet, um gegensätzliche Bilder von Tibet zu konstruieren. Auf der einen Seite steht das Bild des
Westens, demzufolge das alte Tibet ein buddhistisches Paradies auf Erden w ar, w ährend es im neuen Tibet
keine
Religionsfreiheit
gibt.
Dagegen
w ar
das
alte
Tibet
nach
chinesischer
Darstellung
eine
Sklavengesellschaft, w ährend die Menschen im neuen Tibet Religionsfreiheit und materielle Unterstützung
durch den Staat genießen. Es gibt kaum einen echten Dialog zw ischen dem Westen und China, jede Seite
beschuldigt die andere, Verleumdungskampagnen zur Förderung der eigenen nationalen und geopolitischen
Interessen zu betreiben.
Neben diesen polarisierenden Bildern Tibets hat die globale Marktw irtschaft ein drittes Bild geschaffen, in der
die nationale w ie die internationale Tourismusbranche die großartige Landschaft und große, lebendige
Klosterlandschaft sow ie die Gesamtheit der tibetischen Kultur bew irbt. Dieses dritte Bild unterminiert sow ohl
das von China als auch das vom Westen politisch erzeugte Bild von Tibet, die offensichtlich negativ
voneinander abhängig sind. W ährend der chinesische Staat w eiterhin sein gespaltenes Bild vom alten und
neuen Tibet durch Produktionen w ie die Fernsehserie „The Past of Tibet“ [6] und die Dokumentation „Dalai
Lama“ [7] zu verbreiten sucht, nutzt er auch moderne Markttechniken, um in einer globalen Kampagne die
Religionsfreiheit in Tibet zu demonstrieren. In dieser Staats-Performance w ird das Bild des tibetischen
Buddhismus zum „touristischen Buddhismus“ und „sozialistischen Buddhismus“. Einmal w ird der tibetische
Buddhismus als w irtschaftliches Instrument des chinesischen Staates genutzt, um den Markt für tibetische
Kultur, Religion und Landschaft zu pflegen und zu erw eitern. Das zw eite Bild bezieht sich auf die Bemühungen
des chinesischen Staates, den tibetischen Buddhismus gemäß seiner eigenen Staatsideologie und nationalen
Interessen zu kontrollieren und umzugestalten.
Literaturhinweise
[1] Alexander, J. C.
‘Globalization’ as collective representation: The new dream of a cosmopolitan civil sphere
International Journal of Politics, Culture and Society 19, 81–90 (2007)
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
3/4
Jahrbuch 2012/2013 | Smyer Yu, Dan | Die Verbreitung des tibetischen Buddhismus in China: Charisma, Geld
und Erleuchtung
[2] Featherstone, M.
Global Culture: An Introduction
In: Global Culture: Nationalism, globalization and modernity (Ed. Featherstone, M.). Sage Publications, London
(1990)
[3] Oaks, T.
Place and the paradox of modernity
Annals of the Association of American Geographers 87, 509–531 (1997)
[4] Küng, H.
Toward Dialogue
In: Christianity and the W orld Religions: Paths of Dialogue w ith Islam, Hinduism, and Buddhism (Eds. Küng, H.;
van Ess, J.; von Stietencron, H.; Bechert, H.). Doubleday & Company Inc., New York (1986)
[5] Geoffroy, M.
Theorizing religion in the global age: A typological analysis
International Journal of Politics, Culture and Society 18, 33–46 (2004)
[6] CCTV
“The Past of Tibet” (西
)
事
往
藏
CCTV-Fernsehserie
[7] CCTV
“The Dalai Lama”
CCTV-Serie mit Dokumentarfilmen
© 2013 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
4/4
Herunterladen