KJug 58. Jahrgang | 2. Quartal 20183 Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis Kinder als Zielgruppe der Werbung 2|2013 Daniel Hajok Kinder als Konsumenten im Visier Wie viel sind die Regelungen zu Werbung im Internet noch wert? Rainer Smits »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? Kinder und Werbung Mirjam Niketta »Augen auf Werbung« Media Smart fördert Werbekompetenz Außerdem Sigmar Roll Recht und Rechtsprechung: Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! KJug www.kjug-zeitschrift.de Neu! Onlineservice Impressum Herausgeber Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. Prof. Dr. Bruno W. Nikles (Vorsitzender) Redaktion Ingrid Hillebrandt (verantwortlich) Sigmar Roll (Recht und Rechtsprechung) Prof. Dr. Andreas Lange (Rezensionen) Satz und Layout Annette Blaszczyk Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Universitätsklinik Kinder- u. Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie Ulm Prof. Dr. Nadia Kutscher, Katholische Hochschule NRW Köln Prof. Dr. Gabriele Kokott-Weidenfeld, Fachhochschule Koblenz Prof. Dr. Andreas Lange, Hochschule Ravensburg-Weingarten Dr. Christian Lüders, Deutsches Jugendinstitut München Prof. Dr. Johanna Mierendorff, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Sigmar Roll, Bayerisches Landessozialgericht Schweinfurt Prof. Dr. Ahmet Toprak, Fachhochschule Dortmund Redaktionsanschrift Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. Mühlendamm 3, 10178 Berlin Tel. (0 30) 400 40 301, Fax (0 30) 400 40 333 E-Mail: [email protected] Verlag Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. (BAJ) Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis erscheint vierteljährlich. Jahresumfang ca. 128 Seiten. Bezugspreis jährlich Euro 46,– zuzüglich Versandkosten/Porto, Einzelheft Euro 16,– . Abbestellungen sind nur zum Ende eines Kalenderjahres möglich (schriftlich bis 15. November bei der Redaktion eintreffend). Studenten erhalten 20 % Nachlass auf den Abonnementpreis (Vorlage der Studienbescheinigung erforderlich). Preisirrtum und -änderungen vorbehalten. Druck /Auslieferung/Abo-Verwaltung Westkreuz Druckerei Ahrens KG Töpchiner Weg 198/200 12309 Berlin Tel. (030) 745 20 47 Fax (030) 745 30 66 Mail: [email protected] Internet: www.westkreuz.de Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen in den verschiedenen Druck- und Kopierverfahren, für Übersetzungen in andere Sprachen, für Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder ähnliche Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopie hergestellt werden. Jede im Bereich eines Unternehmens hergestellte oder genutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft, Untere Weidenstraße 5, 81543 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu erfragen sind. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexemplare kann keine Gewähr übernommen werden. ISSN 1865-9330 Inhalt KJug 2/2013 Kurz berichtet Liebe Leserin, lieber Leser, Plakate, Fernsehen, Prospekte, Beilagen, Kataloge, Broschüren, Publikumsblätter, Internet, Zeitungen, Radio, Cross-Media-Kampagnen, Kino, Fachzeitschriften – dies alles sind Medien, in bzw. mit denen Werbung gezeigt wird. Allein 6,47 Milliarden Euro hat sich die Industrie beispielsweise die OnlineWerbung im vergangenen Jahr kosten lassen. Nach dem Fernsehen ist das Internet damit das zweitstärkste Werbemedium. Kinder und Jugendliche gelten mit Blick auf Werbung als besonders schutzbedürftige Gruppe. Sie verfügen heutzutage über erhebliche Geldbeträge und beeinflussen auch die Kaufentscheidungen von Eltern – das ist seit Jahren bekannt. Darüber hinaus lieben und kennen Kinder Werbung und Werbespots. Im Internet und in Computerspielen begegnen sie Werbung in verschiedenen Formen, wie z.B. Werbebannern, In-Game-Werbung, Produktplatzierungen (product-placement) und Sponsoring – hochintegrierte Werbeformen, die sich selbst Erwachsenen nicht immer erschließen. Werbung an sich ist weder schlecht, noch generell zu verurteilen. Mit Blick auf Kinder und Jugendliche gelten jedoch besondere Kriterien: Werbung darf die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit nicht ausnutzen und Datenschutzaspekte müssen berücksichtigt werden. Einige Angebote haben in diesem Zusammenhang als äußerst fragwürdig zu gelten. Aus Sicht des Kinder- und Jugendschutzes ist die Förderung von Konsum- und Werbekompetenz von Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Anliegen – Industrie, Politik und Verbraucherschutz sind aber gleichermaßen gefordert. Dabei sind die Interessen der werbetreibenden Wirtschaft, des Verbraucherschutzes und des Kinder- und Jugendschutzes stets abzuwägen und gesetzliche Regelungen einzuhalten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine informative Lektüre. Ingrid Hillebrandt Redaktion 42 Titelthema: Kinder als Zielgruppe der Werbung Tlt Kinder als Konsumenten im Visier: Wie viel sind die Regelungen zu Werbung im Internet noch wert? Dr. Daniel Hajok 43 »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? Kinder und Werbung Rainer Smits 49 »Augen auf Werbung« Media Smart fördert Werbekompetenz Mirjam Niketta 54 Werbung mit und vor Kindern Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen 56 Fachbeitrag Angst vor dem Netz Medienangst und pädagogisches Handeln Dr. Judith Bündgens-Kosten / Dr. Tobias Hölterhof 58 Recht und Rechtsprechung Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! 62 Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen Sigmar Roll Gesetz und Gesetzgebung/Rechtsprechung/Schrifttum Sigmar Roll 66 Kinderschutz aktuell/ Jugendschutz aktuell Sexueller Kindesmissbrauch. Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen 68 Jugendliche Lebenswelten. Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft 69 Service Literatur/ Mediendienst/ Mitteilungen/ Termine 70 KJug jetzt im Netz – unter www.kjug-zeitschrift.de oder www.kinderundjugendschutz.de haben Sie Zugriff auf die Beiträge und können auch umfassend nach älteren Beiträgen recherchieren. Probieren Sie es aus …. 2/2013 KJug 41 Kurz berichtet Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch in Einrichtungen Das Bundesjustizministerium hat Fragen und Antworten zu den Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden veröffentlicht. Die Leitlinien schaffen Klarheit, ab wann Staatsanwaltschaft und Polizei einzubeziehen sind. Damit wurden Handlungsempfehlungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Institutionen und Einrichtungen geschaffen. Als Hilfe zur Umsetzung dieser Leitlinien hat das Bundesjustizministerium eine Broschüre erarbeitet, in der in einer allgemein verständlichen Sprache und mit konkreten Fallbeispielen die Leitlinien für die Praxis anwendbar gemacht werden. Die Broschüre »Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch in einer Einrichtung – Was ist zu tun?« kann heruntergeladen oder in gedruckter Form bestellt werden unter www. bmj.de »Kein Raum für Missbrauch« Die Geschäftsstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat Informationsbroschüren online gestellt, die Informationen zum Thema Missbrauch vermitteln und Gesprächshilfen anbieten, wie man als Eltern und Fachkräfte über sexuelle Gewalt sprechen und gemeinsam zu einem besseren Schutz der Mädchen und Jungen beitragen kann. Die Broschüren sind Teil der Kampagne »Kein Raum für Missbrauch«. Nur über Information, Aufklärung und das Sprechen über Missbrauch kann es gelingen, das Thema weiter aus der Tabuzone zu holen und die Handlungsspielräume der Täter/innen einzuschränken. Download der Informationsblätter unter www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/informa tionen und viele praktische Methoden. Auf der beiliegenden CD finden sich Kopiervorlagen, Arbeitsblätter und Folien für Veranstaltungen zu den unterschiedlichen Schwerpunkten des Leitfadens. Zu bestellen unter www.materialdienst. aj-bayern.de Medienerziehung in der Familie Das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und das Hans-Bredow-Institut haben in einem gemeinsamen Projekt die Studie »Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie« im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW erarbeitet. In der Studie werden das medienerzieherische Handeln in Familien betrachtet, unterschiedliche Erziehungsmuster identifiziert und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Eltern in Fragen der Medienerziehung unterstützt werden können. Informationen unter: www.lfm-nrw.de Erziehung in der Wohlstandsgesellschaft Eltern erleben gegenwärtig eine immer stärker werdende Diskrepanz zwischen pädagogischen Ansprüchen an die Erziehung und der Alltagswelt von Kindern und Eltern. Das zeigt die neue Publikation der Konrad-AdenauerStiftung (KAS) zu aktuellen Erziehungsfragen in der Wohlstandsgesellschaft. Einerseits ermöglichen Eltern in ihrem Bestreben, nur das Beste für das Kind zu wollen, den Zugang zu Konsumgütern, die Kinder- und Jugendwelten maßgeblich prägen. Andererseits erkennen sie zunehmend, dass die Ermöglichung von Konsumteilnahme häufig nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Erziehung vereinbar ist. Medienpädagogische Ratschläge sind oft kaum alltagstauglich. Namhafte Autorinnen und Autoren thematisieren u.a. die veränderte Kindheit in der heutigen Konsumwelt, Gesundheitsfragen bei der Mediennutzung sowie die Rolle der sozialen Netzwerke. Download unter: http://www.kas.de/ erziehung-in-der-wohlstandsgesellschaft Kinder- und Jugendschutz in Bundestagsdrucksachen Für ein neues Verständnis der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe – Schulsozialarbeit an allen Schulen BT-Drs 17/11870, Antrag der Fraktion Die Linke, 12.12.2012 In Zusammenarbeit mit der Schule fördert Schulsozialarbeit die individuelle und soziale Entwicklung von Schülern. Die Fraktion Die Linke fordert die Bundesregierung auf, Schulsozialarbeit im Jugendhilferecht des SGB VIII als Regelleistung in einem neuen Paragraphen zu verankern. Zudem soll ein Bundesprogramm oder Förderprogramm mit Beteiligung der Länder zur Finanzierung flächendeckender Angebote schulbezogener Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit aufgesetzt werden. Schulsozialarbeit habe in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen und sich als wirksame Kooperation von Jugendhilfe und Schule in der Praxis bewährt. Als professionelles sozialpädagogisches Angebot verbinde Schulsozialarbeit Elemente der Jugendsozialarbeit, Jugendarbeit sowie des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes und rücke die Lebenslagen und Bedürfnisse von Schülern in den Fokus ihrer Arbeit. Surfguide Ausgaben für Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen BT-Drs 17/12272, Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 04.02.2013 BT-Drs 17/12414, Antwort der Bundesregierung, 20.02.2013 Der Leitfaden liefert Fachkräften Hintergrundinformationen zum Thema exzessive Mediennutzung, insbesondere zum exzessiven Spielen, und gibt ihnen Methoden an die Hand, um für ihre jeweiligen Zielgruppen in unterschiedlichen Settings präventive Angebote gestalten zu können. Zur Überprüfung der Praxistauglichkeit des »Surfguides« wurden im Herbst 2012 zahlreiche Fortbildungen für unterschiedliche Zielgruppen in Bayern durchgeführt. Die Module des Leitfadens beinhalten je einen ausführlichen Theorieteil Um die Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen geht es in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Bundesregierung wird gefragt, ob es richtig sei, dass im Bundeshaushalt für die Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen direkte Ausgaben von einer Million Euro vorgesehen sind. Außerdem wird nach Schätzungen zum Steueraufkommen durch den Tabakkonsum von Kindern und Jugendlichen gefragt. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort unter Bezugnahme auf Repräsentativbefragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichtet, sei der Anteil der Raucher in dieser Altersgruppe von 27,5 Prozent im Jahr 2001 auf 11,7 Prozent im Jahr 2011 gesunken. Schätzungen über das Aufkommen an Tabak- und Umsatzsteuer durch rauchende Jugendliche liegen der Regierung nicht vor. 42 K Jug 2/2013 Titelthema Daniel Hajok Kinder als Konsumenten im Visier: Wie viel sind die Regelungen zu Werbung im Internet noch wert? Mit ihren gestiegenen finanziellen Möglichkeiten und Autonomiegewinnen sind Kinder mit ihren eigenen Konsumwünschen und ihrem Einfluss auf die Kaufentscheidungen Erwachsener in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Werbetreibenden geraten. Speziell an sie adressierte Werbeformen haben längst den Weg von TV-Spots und Zeitschriftenanzeigen ins Internet gefunden. Die in jüngerer Zeit wiederholt geäußerte Kritik zeigt, dass es dabei nicht immer gesetzeskonform zugeht. Kinder im Visier der Werbetreibenden Es ist nicht neu, dass Jugendliche mit ihren ausgeprägten Konsumwünschen in unserer von wirtschaftlichem Wachstum und Absatz geprägten Welt eine hart umkämpfte Zielgruppe der Werbetreibenden sind. In den letzten Jahren wendet sich die Werbung aber auch verstärkt Kindern zu und buhlt dabei um immer mehr Geld in den Taschen der jüngsten Gesellschaftsmitglieder. Auf konsumfreudige, der Ebene des Einzelnen mag deren fizahlungskräftige nanzieller Spielraum noch recht bescheiZielgruppe den sein, insgesamt betrachtet sind Kinder aber nicht nur eine konsumfreudige, sondern auch eine zahlungskräftige Zielgruppe mit einer jährlichen Kaufkraft von einigen Milliarden Euro, die in Zeiten der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich natürlich höchst unterschiedlich verteilt sind. Nach den aktuellsten vorliegenden Daten der mittlerweile 20. KidsVerbraucherAnalyse (KidsVA) verfügten die 6- bis 13-Jährigen in Deutschland im letzten Jahr über ca. sechs Milliarden Euro. Dahinter stehen zur einen Hälfte die regelmäßigen Geldzuflüsse wie das Taschengeld und Geldgeschenke zu Weihnachten, Ostern und den Geburtstagen, mit denen die Erwachsenen ein Stück ihres Wohlstandes an Kinder weiterreichen, zur anderen Hälfte die persönlichen, gut behüteten Sparguthaben, mit denen sich Kinder u.a. ihre Wünsche nach elektronischen Konsumgütern (z.B. Handys, Computer) erfüllen wollen (vgl. Egmont Ehapa 2012). Wie in den Jahren zuvor markierte die Kaufkraft der 6- bis 13-Jährigen auch 2012 einen neuen Höchststand und trotzte damit insofern den demografischen Entwicklungen, dass es in unserer Gesellschaft zwar immer weniger Kinder gibt, diese aber immer mehr Geld zur Verfügung haben. 2/2013 KJug, 58. Jg., 43 – 48 (2013) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. Im Kontext dieser Entwicklung hat sich auch die Perspektive von Wirtschaft und Werbebranche auf Kinder gewandelt. Hier wurden Kinder lange Zeit in erster Linie als Konsumenten von morgen gesehen, als Nachwuchskunden, die zwar bereits über eigene Konsumwünsche verfügen, aber in ihrer Markenloyalität und ihrem Markenbewusstsein noch nicht so festgelegt sind wie Jugendliche und Erwachsene. Es liegt auf der Hand, dass die Werbetreibenden hier frühzeitig Einfluss nehmen wollen, um die Basis für das zu schaffen, was spätestens im Jugend- und frühen Erwachsenenalter dann in der großen Verwertungsmaschinerie nachhaltigen Absatz verspricht. Interessant ist in diesem Zusammenhang der von Werbetreibenden wohlwollend zur Kenntnis genommene aktuelle Trend zur Marke: Kinder entwickeln heute fast in allen Produktkategorien ein ausgeprägtes Markenbewusstsein und tragen es v.a. im Non-Food-Bereich mit Sportschuhen von Nike und Adidas oder Schulranzen von 4you offensiv nach außen (vgl. Höhn 2012). Neben dieser Perspektive auf Kinder als Konsumenten von morgen werden die Kids von Wirtschaft und Werbetreibenden mittlerweile auch immer mehr als Konsumenten von heute Kinder als zunehgesehen, als aktuelle Kunden, denen die mend autonome Produkte und Dienstleistungen im Hier Entscheider und Jetzt schmackhaft gemacht werden sollen. Dabei richtet sich der Blick zum einen auf Kinder als zunehmend autonome Entscheider, die nicht nur über mehr eigenes Geld in der Tasche verfügen, sondern auch erleichterte Zugänge zur schillernden Waren- und Konsumwelt haben und mit den gewandelten Erziehungsstilen (weniger restriktiv/ autoritär) auch freier entscheiden können. Zum anderen weiß man natürlich, dass die zahlenmäßig schrumpfende Zielgruppe der Kinder, die hierzulande immer häufiger als Einzelkinder aufwachsen, KJug 43 Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier auch verstärkt im Fokus der Familien steht und vermehrt auf nicht nur immaterielle Zuwendung von Erwachsenen (Großeltern und andere Verwandte) hoffen darf. Deren Kaufentscheidungen sind dementsprechend zunehmend an den Wünschen der Kinder orientiert. Das fängt bei Lebensmitteln und Bekleidung an und reicht zuweilen bis zum Mitspracherecht bei der Anschaffung eines neuen Familienautos. Von Fernsehen und Zeitschriften ins Internet Die bisher nur bruchstückhaft skizzierten Entwicklungen sind der wesentliche Grund dafür, dass die Verbreitung kinderspezifischer Werbung in den letzten Jahren zugenommen hat. Man bedient sich hier gern Schlüsselreizen wie Comicfiguren (vgl. Nairn & Dew 2007) und setzt – wie die beworkinderspezifische benen Produkte und Marken auch – bei Werbung spezifischen Grundbedürfnisse an, etwa dass Kinder sich wünschen, in der Gruppe anerkannt oder von den Eltern geliebt zu werden, der/die Beste im Spiel zu sein oder einfach Spaß zu haben. Mit Bezug zu solchen Core Needs werden auch die gern als nutzloser Ramsch gebrandmarkten Produkte im Spektrum von Actionspielzeug, Tattoos, Freundschaftsbändern, bunten Plastikarmbanduhren etc. Kindern als etwas angepriesen, was ihnen großen Nutzen bringen soll – und dies zumindest kurzfristig auch durchaus bringt, weil die beworbenen Produkte für Kinder oft tatsächlich unterhaltsam sind, ihnen großen Spaß bereiten, die Möglichkeit bieten, sich bei Freunden zu profilieren und bei Gleichaltrigen Anschluss zu finden (vgl. Barlovic & Clausnitzer 2005). Aus der Perspektive des Kinder- und Jugendmedienschutzes interessiert nun besonders, in welchen Mediennutzungskontexten Werbung den Kindern begegnet und v.a. in welcher Art und Weise die jungen Nutzer ›angesprochen‹ werden. Hier zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass sich kinderspezifische Werbung in den Bereichen crossmediale Fernsehen und Zeitschriften für Kinder Vermarktungs- fest etabliert hat und die Werbetreistrategien benden zunehmend auch den OnlineBereich als wichtigen Kanal zur Zielgruppenansprache erkannt haben. Zwar gelten TV und Print in der Branche nach wie vor als besonders effizient, aber gerade im Zuge breit angelegter crossmedialer Vermarktungsstrategien kindaffine Internetangebote eine zunehmende Bedeutung besitzen. Mit Werbung ›auf allen Kanälen‹ lassen sich Kontaktpunkte optimieren und die Wirkungsweisen 44 K Jug Titelthema der einzelnen Medien besser nutzen – etwa indem mit Print die angestrebte Informationstiefe erreicht und Online die Interaktivität gewährleistet wird (vgl. Höhn 2012). Die zunehmende Bedeutung von Online-Werbung hat natürlich auch damit zu tun, dass Kinder schneller als vielerorts erwartet den Weg ins Internet gefunden haben. Nach aktuellen Zahlen sind die meisten 6- bis 13-Jährigen heute nicht nur sporadisch im Internet unterwegs und haben das Netz oft bereits im Grundschulalter für sich entdeckt (vgl. Egmont Ehapa 2012, MPFS 2013). Abgesehen davon nutzen die Werbetrei- Bedeutung von benden das WWW gern, weil sie hier ihre Online-Werbung Werbebotschaften günstiger und zielgenauer lancieren können als in den etablierten Werbemedien. Nicht ohne Grund erreichen die Nettowerbeeinnahmen von Onlineangeboten hierzulande jedes Jahr einen neuen Höchststand. 2011 kratzten sie erstmals an der 1-Milliarde-Euro-Grenze (vgl. ZAW 2012) – eine Verdoppelung in fünf Jahren, während klassische Werbeträger wie Fernsehen, Tageszeitungen und Publikumszeitschriften Einbußen hinnehmen mussten. Da die Erlöse aus Online-Werbung geschätzt nur zu knapp einem Prozent aus Kinderonlinewerbung generiert werden (vgl. Guth 2012), bietet dieser Markt noch einiges Potenzial. Neue Werbeformen im Internet Gerade in technischer Hinsicht bietet das Internet den Werbetreibenden einiges. Hervorzuheben sind hier die verschiedenen Technologien der zielgruppenspezifischen Werbung (Targeting), die auf der Grundlage von Sprache, technischen Parametern, Soziodemografika oder Nutzerverhalten eine streuverlustreduzierte Verbreitung der Werbebotschaften ermöglichen (vgl. Hass & Willbrandt 2011). Hier zeigt sich auch eindrucksvoll, dass der flächendeckende Einsatz neuer Technologien um einiges schneller geht als die gesellschaftliche Diskussion darüber: Da war die Schaltung regional differenzierter Werbung mittels Geotargeting gerade erst in der öffentlichen Diskussion angekommen, da wurden mit dem Behavioural Targeting schon längst die Werbemittel auf der Grundlage des Browsing-Verhaltens der Nutzer ausgesteuert (vgl. Hajok 2011). Neben den diversen Targeting-Technologien, die in der Expertise der Branchenkenner Online-Werbung aufwerten und (enorm) günstig machen (vgl. Pellikan 2010), bietet das Internet den Werbetreibenden auch neue Möglichkeiten, in der Analyse konsumbezogener Kommunikation junger Nutzer im 2/2013 Titelthema Web 2.0 (noch) mehr über Verhalten, Präferenzen, Einstellungen potenzieller Konsumenten zu erfahren. Dann werden auch Technologien als Innovationen gefeiert, die wie der 2011 offiziell vorgestellte Research Robots DigiVidual in der Lage sind, getarnt als eine mit spezifischen Merkmalen, Einstellungen, Konsumgewohnheiten, Handlungsroutinen ausgestattete ›Persönlichkeit‹ Social Media Websites zu durchstreifen und systematisch Nutzerdaten einzusammeln, die zum vorab definierten (Konsumenten-)Typus passen (vgl. Kearon & Harrison 2011). Gegenüber solchen technischen Finessen muten ›klassische‹ Online-Werbeformen wie Banner- und Pop-up-/Pop-under-Werbung fast schon anachronistisch an, sind aber nach wie vor wichtige Vielfalt an Online- Träger von Werbebotschaften für Kinder. Werbeformen Ebenso die Skyscraper an den Seitenrändern und die unvermittelt über den Bildschirm huschenden Layer, bei denen man den »Schliessen«-Button oft lange suchen muss. Immerhin: In aller Regel sind diese Werbeformen als Werbung gekennzeichnet und vom redaktionellen Teil getrennt. Das macht sie auch für Kinder relativ schnell als Werbung identifizierbar. Anders sieht es da schon beim Keyword-Advertising in Suchmaschinen aus, wenn die Links zu ›passenden‹ Werbeseiten in den Ergebnislisten auftauchen und hier nur schwer von den ›echten‹ Treffern zu unterscheiden sind. Noch schwieriger wird es, wenn Werbebotschaften über redaktionelle Angebote an die jungen Internetnutzer gebracht werden: Man liest einen informativen Text zum nächsten Urlaubsland und bekommt das passende Reiseangebot gleich mitgeliefert. Manchmal vermischen sich Content und Werbung bei der In-TextWerbung einfach dadurch, dass einzelne Worte mit Links hinterlegt sind oder sich ein Tooltip-Fenster öffnet, wenn man mit dem Cursor über die markierten Begriffe fährt. Auch die per E-Mail verschickten Newsletter, die angepriesenen Gewinnspiele oder ›attraktiven‹ Clubmitgliedschaften sind oft nicht nur informativ, unterhaltend, exklusiv – sondern Werbung bzw. Neukundenakquise. Abgesehen davon schätzen es die Werbetreibenden, mit Online-Spot-Werbung bzw. Video-Ads eine große Aufmerksamkeit zu erzielen und dabei auf eine vergleichsweise hohe Akzeptanz bei den jungen Internetusern zu treffen (vgl. PelVirales Marketing likan 2010). Gerade bei Social-MediaMarketing-Strategien spielen Videoinhalte eine immer wichtigere Rolle, da sie einen dynamischen Diskurs rund um Produkt und Marke initiieren und auf eine virale Verbreitung setzen können (vgl. Schmiegelow & Mielau 2010). Ob mit attraktiven Videos oder Bildern und Textbeiträgen, 2/2013 Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier die zum Weiterleiten (»Hast Du das schon gesehen?«) animieren – Virales Marketing, bei dem die Zielgruppe selbst für die Verbreitung der Werbebotschaften sorgt, minimiert Kosten und steigert die Credibility der Botschaften, schließlich kommen sie von ›guten‹ Freunden. Auch in die beliebten Spiele hat Werbung längst ihren Weg gefunden. Ob preiswertes Kaufspiel oder High-End-Online-Game – inklusive ist hier oft In-Game-Werbung, und dafür zei- In-Game-Werbung gen sich Kinder durchaus empfänglich, ohne sie immer als Werbung zu identifizieren (vgl. Dörr et al. 2011). Gerade in solchen Zusammenhängen stellt sich die Frage, welche Grenzen den Werbetreibenden regulativ zum Schutz von Kindern gesetzt sind. Rechtliche Bestimmungen Aus der Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes ist Werbung im Internet nichts grundsätzlich anderes als Werbung in Film, Fernsehen, Radio und Printmedien. Man orientiert sich hier am Werbebegriff des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) und fasst darunter jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung angeboten wird, um den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern. Auf welche Gebot der Trennung Weise dies konkret geschehen darf, ist von Werbung und durch eine Reihe von Bestimmungen des redaktionellen deutschen Rechts (u.a. Gesetz gegen un- Inhalten lauteren Wettbewerb, Telemediengesetz, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) und Richtlinien des europäischen Gemeinschaftsrechts (u.a. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, E-CommerceRichtlinie, Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) geregelt (vgl. Heinze 2009). Eine wesentliche Anforderung, die sich in fast allen Bestimmungen findet, ist das Gebot der Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten bzw. das Verbot einer Verschleierung des Werbecharakters geschäftlicher Handlungen. Für die Wahrung des Kinder- und Jugendschutzes bei Rundfunk und Telemedien (Internet und weitere Tele-/Mediendienste) gelten die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV). Hier sah der Gesetzgeber auch bei der 2010 gescheiterten JMStV-Novellierung keinen Änderungsbedarf. Sie gehen im Kern auf die europarechtlichen Vorgaben zurück und beinhalten zumindest sechs zentrale Punkte, was Werbung in Rundfunk und Telemedien nicht darf (vgl. Hajok 2012). KJug 45 Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier Demnach ist es nicht erlaubt: • Kinder und Jugendliche mit den Werbeinhalten körperlich oder seelisch zu beeinträchtigen, • sie unter Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit zum Kaufen oder Mieten von Waren oder Dienstleistungen aufzurufen, • sie dazu aufzufordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf des Beworbenen zu bewegen, • das besondere Vertrauen Minderjähriger zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen auszunutzen, • Kinder und Jugendliche ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zu zeigen, • den Interessen Minderjähriger zu schaden oder deren Unerfahrenheit auszunutzen, wenn sich Werbung auch an Kinder und Jugendliche richtet bzw. sie als Darsteller einsetzt. Abgesehen davon muss Werbung, die geeignet ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, getrennt von Angeboten erfolgen, die an Minderjährige adressiert sind. Selbstdisziplinäre Regeln und Forderungen Neben den rechtlichen Bestimmungen gibt es einige selbstdisziplinäre Verhaltensregeln von Anbietern sowie Forderungen von Institutionen des Kinder-, Jugend- und Verbraucherschutzes, in denen die (nicht immer präzisen) gesetzlichen Vorgaben aufgegriffen und für bestimmte Online-Bereiche konkretisiert werden. Selbstdisziplinäre Verhaltensregeln der Medienanbieter haben sich in den letzten Jahren als sinnvolles Instrument erwiesen, um den Kinder- und Jugendmedienschutz in ausgewählten Online-Bereichen zu gewährleisten. Im selbstdisziplinäre Bereich der Online-Werbung gibt es hier Verhaltensregeln aber Nachholbedarf. Der Deutsche Wervon Anbietern berat, der sich als zentrales Instrument der Werbeselbstdisziplin auch für Online-Werbemittel zuständig erklärt (vgl. Deutscher Werberat 2011) und den Bereich Kinder und Werbung ausdrücklich in seine Arbeit mit einbezieht, nimmt explizit keine Konkretisierung von Anforderungen an kinderspezifische Online-Werbung vor. Zu verweisen ist hier vielmehr auf den Ende 2011 vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) veröffentlichten Kriterienkatalog für die äußere Gestaltung und Platzierung von Werbemaßnahmen auf Internetseiten für Kinder (vgl. ZAW 46 K Jug Titelthema 2011). Es bleibt allerdings noch abzuwarten, inwieweit die Anwendung der hier konkretisierten gesetzlichen Regelungen in der Breite überprüft und Verstöße geahndet werden. Einen seiner Zeit recht weitreichenden Vorstoß hatte die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) bereits vor vier Jahren mit ihrem »Verhaltenskodex für Betreiber von Social Communities« gemacht (vgl. FSM 2009). Angesichts der Tatsache, dass die unterzeichnenden Unternehmen mit ihren Social Media Angeboten heute stark an Bedeutung verloren haben und sich Facebook mit seinen 25 Mio. Nutzern allein in Deutschland einer solchen Verpflichtung bislang noch nicht angeschlossen hat, um sich weiterhin als Werbeplattform und Datensammelstelle gerieren zu können, erreicht die Bemühung im vermeintlich wichtigsten Online-Bereich für die jungen User nur ein Etappenziel. Im Bereich geprüfter Internetangebote für Kinder ist man da schon einen Schritt weiter. So werden in die Whitelist der Kindersuchmaschine fragFINN. de, die auch in den offiziell anerkannten Jugendschutzprogrammen implementiert ist, nur solche Websites aufgenommen, die den klaren Kriterien der »Prüfpraxis Werbung« (vgl. fragFINN 2011) entsprechen. Und auch der Erfurter Netcode, der sich in den letzten Jahren mit der Vergabe seines Siegels für ›qualitativ hochwertige‹ Kinderseiten einen Namen gemacht hat, präzisiert in seinem Positionspapier zu Werbung seine Vorstellungen, wie Werbung auf Internetseiten für Kinder gesetzeskonform (und kindgerecht) gestaltet sein sollte (vgl. Erfurter Netcode 2011). Fast zeitgleich ist der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit dem Papier »Kinderspielseiten im Internet – kein rechtsfreier Raum« an die Öffentlichkeit gegangen und hat damit ganz nebenbei auch die Frage nach den Zuständigkeiten zurück ins Bewusstsein geholt. Die Kernforderungen des Papiers sind, dass Werbung in Angeboten für Kinder jederzeit für die jungen Verbraucherschutz Nutzerinnen und Nutzer zu erkennen und (soweit möglich) einfach zu deaktivieren sein muss sowie Daten nicht über das zwingend erforderliche Maß hinaus erhoben und verwendet werden dürfen (vgl. vzbv 2011a). Aus dem Jahr 2011 datiert auch ein an Gesetzgeber und Anbieter adressierter Forderungskatalog zu verhaltensbezogener Werbung, der in Zusammenarbeit mit europäischen und US-amerikanischen Verbraucherschützern entstanden ist (vgl. TACD 2011). 2/2013 Titelthema Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier Vom Anspruch entfernte Wirklichkeit Rechtliche Bestimmungen, selbstdisziplinäre Regelungen und Forderungen aus der kritischen Fachöffentlichkeit sind natürlich nur die eine Seite. Die andere ist, mit welchen Werbeformen Kinder im Rahmen der Internetnutzung tatsächlich konfrontiert werden und inwieweit hier die rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Für viel Wirbel hat in diesem Zusammenhang das Projekt »Verbraucherrechte in der digitalen Welt« gesorgt. 2010 und 2011 wurden hier 52 Kinderspielseiten im Internet hinsichtlich der eingebundenen Werbung überprüft (vgl. zuletzt vzbv 2011b). Wegen der festgestellten Verstöße, von denen auch sehr populäre Angebote wie SpielAffe, TOGGO und KiKA betroffen waren, wurden 29 Unterlassungsverfahren eingeleitet, von denen 17 Verfahren außergerichtlich durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung und entsprechende Änderungen im Angebot geklärt wurden, sieben Verfahren befanden sich Anfang 2013 noch in der gerichtlichen Auseinandersetzung. Das Ergebnis der Überprüfungen des vzbv zeigt, dass es hierzulande noch großen Bedarf gibt, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durchzusetzen. So wie die Online-Vermarkter von Internetseiten für Kinder den Werbetreibenden fast die gesamte Palette von Werbeformen feilbieten (vgl. z.B. Egmont MediaSolutions 2013), so ist in den Angeboten dann systematisch zu überprüfen, inwieweit die implementierten Werbeformen gesetzeskonform sind. Bis heute sind solche systematischen Untersuchungen selten. Eine bereits EnEinhaltung der de 2008 fertig gestellte und auf die heugesetzlichen tige Zeit sicher nicht mehr eins-zu-eins Bestimmungen übertragbare Studie zeigte schon früh, dass Werbung keine Randerscheinung bei den unter Kindern beliebten Onlineangeboten ist. Damals zählten die Forscher auf 120 analysierten Start- und Unterseiten 622 meist statische Werbeanzeigen, von denen 500 nicht adäquat als Werbung gekennzeichnet waren und sich die meisten nutzerseitig nicht schließen bzw. von Content entfernen ließen (vgl. Aufenanger 2010). Und wenn der vzbv in seiner letzten Recherche bei Kinderspielseiten zum Ergebnis kommt, dass die aufgefundenen Werbeformen in ihrer Machart oft den Spielangeboten gleichen und für Kinder nicht klar als Werbung erkennbar sind, nicht vom Content getrennte TextIn-Werbung und Pop ups, die sich nicht per »X« oben rechts schließen lassen, in den Angeboten aufzufinden sind und Spielen vor Beginn Pre-Roll-Werbung vorgeschaltet ist (vgl. vzbv 2011b), interessiert aus der Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes, was sich seitdem im Netz getan hat. 2/2013 Für einen kompetenten Umgang mit Werbung stark machen Mit Regulierung gemäß der gesetzlichen Vorgaben alleine werden die aufgezeigten Probleme nicht zu lösen sein. Eine besondere Herausforderung besteht darin, Kinder frühzeitig bei der Ausbildung von Werbekompetenz zu unter- Ausbildung von stützen, also bei der Entwicklung der Werbekompetenz Fähigkeiten, Werbung zunächst intuitiv, dann anhand ihrer formale Merkmale zu erkennen und letztlich ein Strukturwissen über Werbung aufzubauen (vgl. Charlton et al. 1995). Erst mit der Entwicklung der notwendigen kognitiven Fähigkeiten zur Elaboration, beginnen Kinder sich mit den beworbenen Produkten auseinanderzusetzen und eine stabile Überzeugung zur Vor- oder Nachteilhaftigkeit aufzubauen. Zuvor ›wirkt‹ Werbung über Gewöhnung (vgl. Jöckel 2013). Die Ergebnisse der bereits erwähnten Studie deuten an, dass die meisten Kinder im Alter zwischen 8 und 10 Jahren auffällige Werbeformen wie Banner, Skyscraper und Flash Layer als Werbung erkennen. Entscheidende Hinweise geben ihnen die Texte der Werbeanzeigen bzw. darin enthaltene Preisangaben, Appelle und Schlagwörter (z.B. »Mitmachen«, »Kaufen«, »Angebot«, »Gewinnen«), schöne, bunte Bilder und abgebildete freundliche Menschen sowie Produkte und Werbebotschaften, die sie bereits aus anderen Medien kennen, allen voran dem Fernsehen (vgl. Aufenanger 2010). Verschleierte Werbebotschaften, die nicht hinreichend vom eigentlichen Content der Seite abgesetzt sind, oder aber wenn in kindaffinen Online-Spielangeboten verkommerzialisierte Medienfiguren implementiert werden, lassen demgegenüber grundlegende Schwierigkeiten beim Er- Erkennen des kennen des Werbecharakters erkennen Werbecharakters (vgl. Hackenberg et al. 2012). Ab einem Alter von ca. 11 Jahren können Kinder dann redaktionellen Inhalt und Werbung sicher unterscheiden und verstehen auch die Intention von Werbung, sehen sich selbst als Adressaten, weisen Werbung eine geringe Glaubwürdigkeit zu, unterschätzen aber selbst dann (noch) den Einfluss auf die eigenen Kaufentscheidungen (Fuhs & Rosenstock 2009). Fazit Auch wenn die Frage nach (negativen) Wirkungen von Werbung auf die Entwicklung von Kindern bislang nicht verlässlich beantwortet werden konnte, beleg- und erfahrbar bleibt, dass Werbung eine Faszination auf die jungen Menschen ausübt (vgl. San- KJug 47 Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier Titelthema der 2007). Beleg- und erfahrbar in den Diskursen der Erwachsenen sind die kontroversen Perspektiven im Spannungsfeld anklagender Werbekritik (Werbung ist Verführung), distanzierter Sachlichkeit (Werbung ist nicht gefährlich), legitimierender Rechtfertigung (ohne Werbung keine Medienangebote für Kinder) und pädagogischer Bildung/Aufklärung (die Sorge der Eltern) (vgl. Fuhs & Rosenstock 2009). Eine ›erwünschte‹ einseitige Beeinflussung junger Menschen durch Werbung hat aber immer auch eine moralische Dimension (vgl. Stapf 2009). Und diese ist nicht nur von Medienpädagogen, Verbraucher- und Jugendschützern zu beachten, sondern auch von den Anbietern. Der Kinder- und Jugendschutz steht angesichts der Ausweitung und Ausdifferenzierung von Werbung im Internet mitsamt technischer Finessen bei Zielgruppenansprache und Zielgruppenanalyse vor neuen Herausforderungen, die mit restriktiv-bewahrenden Maßnahmen alleine nicht zu bewältigen sein werden. Gefordert sind insbesondere der präventive Kinder- und Jugendschutz sowie die (medien-)pädagogische Praxis. So frühzeitig, wie sich Kinder im Netz bewegen, sind sie bei der Ausbildung von Internetkompetenz im Allgemeinen und Werbekompetenz im Speziellen zu unterstützen. Dabei sind Kindern grundlegende Kenntnisse und vertiefendes Hintergrundwissen zu den verschiedenen Werbeformen zu vermitteln und sinnvolle Angebote einer diskursiven Begleitung der ersten Schritte im Netz zu unterbreiten. Mit den bereits existierenden Materialien (siehe Übersicht) muss hier das Rad auch nicht neu erfunden werden. Die Literaturliste zum Beitrag kann bei der Redaktion ([email protected]) angefordert werden. Dr. Daniel Hajok Manteuffelstr. 48 10999 Berlin Mail: [email protected] Autor Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM). Zur Zeit vertritt er die Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedienforschung an der Universität Erfurt. Ausgewählte Materialien zu (Online-)Werbung für die pädagogische Praxis Initiative »klicksafe« http://www.klicksafe.de/service/fuer-lehren de/lehrerhandbuch/ Lehrerhandbuch: Knowhow für junge User. Materialien für den Unterricht. Baustein 2: Was wir über das Internet wissen sollten: Fischen im Netz der Netze (2008) Internet-ABC e.V. http://www.internet-abc.de/eltern/bin/ CD-ROM und Lehrerhandbuch: Wissen, wie‘s geht! Mit Spaß 153504-153512-1-_handbuch_2012_gesamt.pdf und Sicherheit ins Internet. Lernmodul: Werbung und Einkaufen im Internet. Mit Arbeitsblättern und didaktischen Hinweisen (2012) Media Smart e.V.* http://www.mediasmart.de/verein/material. Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen. html Medienpädagogische Materialien für die Grundschule 3./4. Klasse. Und Zusatzmaterial für Eltern und Lehrer (2011) * siehe auch den Beitrag von Mirjam Niketta S. 54ff 48 K Jug 2/2013 Titelthema Rainer Smits »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? Kinder und Werbung Die Medienanstalten kontrollieren u.a. die Einhaltung der Jugendschutz- und Werbebestimmungen im Fernsehen und im Internet bei privaten Veranstaltern. Bei Rechtsverstößen können sie abgestufte Sanktionen aussprechen. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist die Förderung der Medienkompetenz und die Vergabe von Medienforschungsprojekten. Werbung und Werberichtlinien standen von Anfang an im Fokus der Aufmerksamkeit der Landesmedienanstalten. »Jetzt kommt Werbung!« – So kündigen private TVSender, die ausgewiesenes Kinderprogramm anbieten (wie zum Beispiel Super RTL oder Nick) die Werbespots in ihrem Programm an: Ein kleiner hilfreicher Hinweis für die (noch) Leseunkundigen, denen der gesetzlich verpflichtende Schriftzug »Werbung« entgeht, mit dem auf den Beginn einer Werbeunterbrechung hinzuweisen ist, aber natürlich auch einer, der die Aufmerksamkeit von Kindern lenkt: Das, was jetzt kommt, ist von besonderem Interesse für euch wie ökonomisch für die werbetreibenden Unternehmen, die ihre (Kinder-)Produkte anpreisen. Da hat Paula der Pudding Flecken, die immer anders schmecken, Furby das elektronische Kuscheltier die Fähigkeit, zwischen fünf Persönlichkeiten zu wechseln und die Bratzillaz-Puppen natürlich alle ihren individuellen Charakter inklusive eines eigenen magischen Symbols, das zu ihrem Stil passt. Kinder als Zielgruppe der Werbung – ein Thema, das noch immer bewegt, bilden doch kindliche Unerfahrenheit und unternehmerische Verkaufsabsicht in der Vorstellung vieler unvereinbare Gegensätze. Ein kurzer Rückblick Um heutige Positionen einordnen zu können, mag es hilfreich sein, sich der historischen Dimensionen des Themas zu vergewissern: Zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts kaum mehr auf der Agenda, wurde das Problemfeld Kinder und Werbung in der Öffentlichkeit insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren breit diskutiert. Vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Entwicklungen war dies eine Zeit allgemeiner Ideologie- und damit auch Konsumkritik, die den manipulativen und sozial schädlichen Einfluss von Werbung gene- 2/2013 KJug, 58. Jg., S. 49 – 53 (2013) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. rell, insbesondere aber mit Blick auf die besonders schutzbedürftige Zielgruppe Kinder betonte. Der Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist wohl in den Vereinigten Staaten zu finden, in denen sich zum Beispiel in der »Action for Children’s Television« (ACT) Eltern zusammenfanden, die sich zunehmend um den Einfluss des kommerziellen Fernsehens auf ihre Kinder sorgten. Das seitens der ACT und weiterer in ihrem Gefolge gegründeter privater Organisationen auf einem Hearing der amerikanischen Aufsichtsbehörde Fe- Einfluss des deral Communications Commission (FCC) kommerziellen Ferngeforderte generelle Werbeverbot im Zu- sehens auf Kinder sammenhang mit Kinderfernsehen wurde zwar nicht durchgesetzt, eine Reihe von Forderungen aber machten sich die FCC wie auch Organisationen der Freiwilligen Selbstkontrolle in den USA zu eigen. Hierzu gehörte u.a. eine Reduzierung der Werbezeit pro Stunde an den Wochenenden (als Hauptfernsehzeiten von Kindern), aber auch an Werktagen (Haase 1981, S. 35 ff). Die Reagan-Ära seit Beginn der achtziger Jahre führte dann allerdings zu einer weitreichenden Deregulierung des kommerziellen Fernsehens in den USA: Fernsehen als Kulturgut wurde als eine ausschließlich den Gesetzen des Marktes unterworfene Größe gesehen. Die Kritik an den unterstellten negativen Wirkungen von Werbung und an der Überkommerzialisierung des Fernsehens wurde in Europa seit Beginn der 1970er Jahre zunehmend aufgegriffen. In die Offensive ging hier zum Beispiel der damalige Programmdirektor des ORF, Helmut Zilk, der für sein Haus ein Verbot von Werbespots durchsetzte, in denen Kinder zum Kauf der beworbenen Produkte animiert wurden (vgl. Freese 1973). Auch in Deutschland wurde das Thema auf verschiedenen Ebenen diskutiert: Der Kinderschutzbund forderte entsprechende Restriktionen und in KJug 49 Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? einer parlamentarischen Anfrage im Bundestag wurde nach Möglichkeiten gefragt, nach österreichischem Vorbild zu verfahren. Da ferner die Intendanten der öffentlich-rechtlichen RundVerhaltenskodex für funkanstalten Regelungsbedarf sahen die Werbung mit und und Einvernehmen mit dem Zentralausvor Kindern in Funk schuss der Werbewirtschaft (ZAW) als und Fernsehen Selbstkontrolleinrichtung der werbetreibenden Unternehmen erzielten, entwickelte dieser 1973 den »Verhaltenskodex für die Werbung mit und vor Kindern in Werbefunk und Werbefernsehen«.1 Einen weiteren Schub bekam das Thema mit Einführung des kommerziellen Fernsehens in Deutschland seit etwa Mitte der achtziger Jahre. Das Hinzukommen privater, sich überwiegend über Werbung finanzierende Veranstalter zum Fernsehmarkt veränderte das Programmangebot quantitativ und qualitativ: Werbung gab es nun nicht mehr nur wie zu ARD- und ZDF-Zeiten ausschließlich im Vorabendprogramm und an Wochentagen, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit und auch an Wochenenden und Feiertagen. Neben die klassischen Werbespots traten weitere, neue Werbeformen auch im Kinderprogramm.2 Gesetzliche Regelungen Diese Veränderungen im TV-Werbemarkt zu beschreiben, ihre Rezeption durch Kinder zu untersuchen und die medienrechtlichen Implikationen herauszuarbeiten war Ziel einer umfassenden Analyse des »Werbeangebots in der Bundesrepublik Deutschland und seiner Verarbeitung durch Kinder« (Charlton/Neumann-Braun/Aufenanger/HoffmannRiem 1995), in Auftrag gegeben von der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (heute: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen), einer von vierzehn Medienanstalten, die von den jeweiligen Landesgesetzgebern mit der Lizenzierung und Beaufsichtigung privater Rundfunkveranstalter betraut wurden und die zur Koordinierung und Abstimmung grundsätzlicher länderübergreifender Aufgaben heute in verschiedenen Gremien und Kommissionen zusammenarbeiten.3 1 2 3 50 K Jug In der aktuellen Fassung: »Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und vor Kindern in Hörfunk und Fernsehen« unter http://www.werberat.de/ kinder-und-jugendliche Beispiele zu Werbeformen in Kinderprogrammangeboten aus den ersten Jahren kommerziellen Fernsehens finden sich zum Beispiel in: Rainer Smits: Kinder als feste Marktgröße, in: TELEVIZION 6/1993/2, S.40 ff. Zur Struktur und Organisation der Medienanstalten vgl. im Einzelnen www.die-medienanstalten.de. Den Vorsitz in der Direktorenkonferenz der Medienanstalten (DLM) sowie der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) führt seit dem 01.01.2013 der Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Dr. Jürgen Brautmeier. Titelthema Die in dieser Studie zusammengetragenen Ergebnisse machten nicht nur deutlich, dass Kinder erst ab einem bestimmten Alter in der Lage sind, die Absichten von Werbung in all ihren Facetten zu erkennen, herausgearbeitet wurde auch, dass der Kinderund Jugendschutz als ein aus dem Grundgesetz abgeleitetes Recht des Kindes auf Person-Werden ein normatives Verfassungsgebot darstellt. Wenn dieser Entwicklungsprozess Gefährdungen ausgesetzt ist, so ist der Staat berechtigt und verpflichtet, regulierend einzugreifen. So existieren für das Themenfeld »Kinder und Werbung« – soweit es um Wirtschaftswerbung geht – unter Beachtung der ihr zu Grunde liegenden Informations- und Meinungsfreiheit der Anbieter eine Viel- Rechtsnormen zahl medienrechtlicher Normen sowie einfach- und spezialgesetzlicher Regelungen. Diese werden flankiert von Selbstverpflichtungen der werbetreibenden Wirtschaft und von Rundfunkanbietern.4 Exemplarisch seien einige werberechtliche Vorgaben genannt: • Im Fernsehen dürfen Sendungen für Kinder nicht durch Werbung unterbrochen werden. • Dauerwerbesendungen für Kinder sind ebenso unzulässig wie Produktplatzierungen oder die Abbildung von Sponsorenlogos in Kindersendungen. • Darüber hinaus darf Werbung nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen. • Sie darf keine Aufrufe zum Kaufen oder Mieten von Waren oder Dienstleistungen an Minderjährige enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. • Sie darf Kinder und Jugendliche nicht unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen. • Sie darf nicht das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben. • Sie darf Kinder oder Minderjährige nicht ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen. Die letztgenannten Vorgaben unterfallen dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Ihre Prüfung gehört zum Aufgabenkanon der Kommission für Jugend4 Einschlägig sind hier vor allem der Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), die Werbe- und Jugendschutzrichtlinien der Medienanstalten, alle unter http://www.die-medienanstalten.de/ service/rechtsgrundlagen.html – Zu den Selbstverpflichtungen der Rundfunkanbieter gehört zum Beispiel die eingangs beschriebene besondere akustische Kennzeichnung von Werbespots im Umfeld von Kindersendungen. 2/2013 Titelthema Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? medienschutz (KJM), die die zentrale Aufsichtsinstanz der Medienanstalten für den Jugendschutz im privaten Radio und Fernsehen sowie im Internet ist. Werbeaufsicht Probleme, die sich mitunter aus aufsichtsrechtlicher Perspektive aus diesen Rechtsnormen ergeben, seien an einem kleinen Beispiel erläutert: Laut Rundfunkstaatsvertrag dürfen Sendungen für Kinder nicht durch Werbung unterbrochen werden. Und Sendungen für Kinder sind, so die Werberichtlinien der Medienanstalten, solche, die sich nach Inhalt, Form oder Sendezeit überwiegend an unter 14-Jährige wenden. Diese Voraussetzungen dürften beispielsweise dann erfüllt sein, wenn eine Sendung besonders auf die spezifische Wahrnehmung von Kindern zugeschnitten ist, etwa durch die in ihr auftretenden Charaktere, durch Schnitte oder wenn sie sich überwiegend am Erfahrungshorizont und an der kindlichen Sprachwelt orientiert. Aber macht dieses Raster eine Bewertung einfacher? Beanstandungen Sehen die Medienanstalten in einer SenBeschwerden dung, die die genannten Vorgaben möglicherweise verletzt, einen Rechtsverstoß und beanstanden sie diesen, so besteht die Aufgabe darin, eine gute und gerichtsfeste Begründung zu liefern – der Klageweg gegen Beanstandungsbescheide der Medienanstalten steht jedem Veranstalter offen – und wird auch beschritten. Neben der Werbeaufsicht der Medienanstalten hat aber auch der Zuschauer die Möglichkeit, sich jederzeit mit Beschwerden, die sich auf das Programm oder die Werbung privater Sender beziehen, an die Medienanstalten zu wenden. Er kann dies über die für den jeweiligen Sender lizenzrechtlich zuständige Medienanstalt tun, er kann sich aber auch an das gemeinsame Beschwerdeportal der Medienanstalten wenden. Hier wird für die richtige Verteilung der Beschwerden an die zuständigen Häuser gesorgt.5 Ausblick Auch wenn das Fernsehen nach wie vor (noch) das zentrale Medium für Kinder ist (Medienpädagogischer Forschungsverbund 2011, S.19), die Gesellschaft befindet sich in Folge der technischen Ent5 2/2013 www.programmbeschwerde.de – Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen bietet unter http://www. lfm-nrw.de/beschwerde.html eine Broschüre zum Mediennutzerschutz an mit ausführlichen Fallbeispielen, den juristischen Grundlagen und einer Übersicht aller Institutionen, an die man sich mit Fragen und Beschwerden über Medieninhalte wenden kann. wicklung (Stichwort: Digitalisierung) in einem geradezu revolutionären Umbruch, der Inhalte gleich welcher Art jederzeit und überall auf unterschiedlichen medialen Plattformen verfügbar macht. Das »Lagerfeuer Fernsehen« als physisches Gemeinschaftserlebnis glimmt nur noch, zunehmend wird es auch von Kindern und Jugendlichen begleitet durch den zeitgleichen, aber isolierten Austausch unter »Followern« oder »Freunden« via Twitter oder soziale Netzwerke. Mit zunehmender Verbreitung mobiler Endgeräte wie Smartphones oder Tablets wird auch die Altersgrenze nach unten durchlässiger werden. Die aktuelle TV-Werbung für das Produkt »Windows 8« etwa zeigt nicht ohne Grund ein sehr junges Mädchen, das die Apps intuitiv, kinderleicht (und mit Vorbildcharakter für ihre Generation) bedient. Nicht einmal der gute alte Fernseher bleibt, was er einmal war: Hybride Endgeräte (Smart TV/Connected TV) sorgen für die Verschmelzung von Fernsehen und Internet, mobiles Fernsehen über Smartphones und Tablets wird zunehmen. Die konvergente Medienwelt bringt Heraus- Die konvergente forderungen auch für die Werberegulie- Medienwelt bringt rung mit sich: Wenn nicht mehr unter- Herausforderungen scheidbar ist, über welches Signal der auch für die WerbeZuschauer/Nutzer (auch der kindliche) regulierung mit sich. Inhalte sieht (»fernsieht«), wenn spezifische Internet-Werbeformen die »Fernseh«-Inhalte begleiten, sie überlagern, zur Direktbestellung von Produkten animieren, dann sollten unterschiedliche Regulierungsniveaus keinen Sinn mehr machen. Gleiche Werbeanforderungen bei aus Zuschauerperspektive gleichen Inhalten wäre hier sicher ein vernünftiger Regulierungsansatz.6 Für alle heute verfügbaren Mediengeräte wie für alle weiteren technologischen Neuerungen gilt: Werbung ist und wird allgegenwärtig sein, durch Generierung von Nutzerdaten immer auch individuell adressierbar und mit einer interaktiven Reaktionsoption für den Nutzer verknüpft. Die Vorstellung vom Sender und Empfänger jedenfalls ist ein Modell aus einer alten, analogen Welt. Kinder heute schauen bewegte Bilder im TV oder auf Youtube, sie hören Musik im Radio oder im Netz, sie blättern in Zeitschriften und haben Zugang zu Mobilfunkgeräten, Computern Werbung in und (internetfähigen) Spielkonsolen. Computerspielen Überall begegnen sie Werbung. So hat beispielsweise die Studie »Werbung in Computerspielen: Herausforderungen für Regulierung und 6 Die EU bereitet zurzeit ein »Grünbuch über die Vorbereitung einer vollständig konvergenten audiovisuellen Welt – Wachstum, Schöpfung und Werte« vor. KJug 51 Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? Medienpädagogik« (Dörr/Klimmt/Daschmann 2011) akribisch aufgelistet, in welcher Weise junge Computerspieler mit sogenannter »In-Game-Werbung« statischer und dynamischer Art konfrontiert werden, anders: wie Werbetreibende auch dieses Feld bespielen, um ihre Botschaften an die junge Zielgruppe zu bringen und welche Probleme diese hat, In-Game-Werbung überhaupt als Werbung zu erkennen. So wurde zum Beispiel in einem Rennspiel das zu steuernde Fahrzeug zwar als ein Fahrzeug einer bestimmten Marke erkannt, ohne dass die befragten Kinder aber die Platzierung als Werbung identifizieren konnten. Erst Kinder im Alter von zwölf bis 14 Jahren zeigten sich als »werbekompetent«. Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass viele Kinder bereits zwischen fünf und acht Jahren mit digitalen Spielen in Berührung kommen, wie sie zu den virtuellen Spielewelten finden, wie sich das Spielverhalten im Altersverlauf entwickelt, wie Mädchen und Jungen sich dabei unterscheiden und welchen Stellenwert Computerspiele im Familienleben einnehmen (Lampert/Schwinge/Kammerl/Hirschhäuser 2012). Medienkompetenzförderung Neben der Überprüfung privater Rundfunkanbieter auf die Einhaltung werberechtlicher Vorgaben besteht ein weiteres wesentliches Handlungsfeld der Medienanstalten in der Förderung von Medienkompetenz. Angesichts der universellen Verfügbarkeit von Medien und ihrer zentralen Bedeutung in allen Lebensbereichen ist die Fähigkeit, reflektiert, kritisch, selbstbestimmt und situationsangemessen mit Medien umzugehen, zu einer Schlüsselkompetenz für die Gesellschaft geworden. Die Notwendigkeit, sich diese Fähigkeiten anzueignen, betrifft auch die heranwachsende Generation Werbekompetenz und sie bezieht sich nicht nur auf Medien allgemein, sondern auch auf den Bereich Werbung. (Wirtschafts-)Werbung will zuvorderst eines: Den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen fördern. Sie trifft damit bei Kindern auf eine Gruppe in der Gesellschaft, die unbefangen und unschuldig genug ist, Werbe- und Marktmechanismen noch nicht zu durchschauen, gleichwohl aber aus Sicht der Marketingstrategen eine ökonomisch wie mit Blick auf ihre künftige Rolle als Verbraucher relevante Größe darstellt. So hat die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den Medienanstalten in Hessen und Rheinland-Pfalz schon frühzeitig medienpädagogische Materialien entwickeln lassen, die dem Gedanken der Werbekompetenzförderung im Rah- 52 K Jug Titelthema men der Fernsehnutzung schon bei Kindergartenkindern Rechnung tragen.7 Heute wird die Internetnutzung auch von Kindern von immer größerer Relevanz. So zeigen die Ergebnisse der KIM-Studie 2010 (Medienpädagogischer Forschungsverbund 2011, S. 30), dass bereits ein Viertel der Kinder in der Altersgruppe von sechs bis sieben Jahren das Internet nutzt, die Nutzungshäufigkeit in der Gruppe der 12- bis 13-Jährigen dann bereits bei 90 Prozent liegt. Dabei bewegen sie sich laut KIM-Studie sowohl auf Seiten, die explizit an sie adressiert sind, als auch auf Kommunikationsplattformen, Seiten von Medienanbietern, Videoportalen, Suchmaschinen, Spieleseiten etc. Überall dort kommen sie mit einem breiten Spektrum internetspezifischer Werbeformen wie Bannerwerbung, Layer, Interstitials, Pop- Spektrum Up-Werbung, um nur einige zu nennen, internetspezifischer in Kontakt. Unklar ist bislang, inwieweit Werbeformen und ab welchem Alter Kinder in der Lage sind, diese Werbeformen als solche zu erkennen und von nicht-werblichen Inhalten zu unterscheiden oder auch persuasive, also verdeckte Werbebotschaften in den Angeboten zu identifizieren. Wie rezipieren Kinder diese kommerziellen Kommunikationsangebote, welchen Anforderungen sind sie mit Blick auf eine freie und unbeeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung ausgesetzt? Vor diesem Hintergrund wird das Hans-Bredow-Institut daher in einem breit angelegten Projekt, das die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Beginn des Jahres auf den Weg gebracht hat, das Spannungsfeld »Kinder und (Online-)Werbung« abstecken. Die Studie wird solche Internetangebote fokussieren, die Kinder besonders häufig nutzen und die dort auffindbaren und an Kinder adressierten werblichen Angebotsformen analysieren. Sie wird aber angesichts der Relevanz, die das Fernsehen nach wie vor für Kinder hat, auch crossmedialen Vermarktungsstrategien nachspüren und das Rezeptionsverhalten kindlicher Nutzer untersuchen (Ergebnisse sollen etwa Mitte 2014 vorliegen). Auf dieser wissenschaftlich abgesicherten Basis soll die Studie Regulierungsbedarfe identifizieren, praxisnahe Empfehlungen für Anbieter von Kinderseiten im Internet geben und Handlungsbedarfe in der Medien- respektive Werbekompetenzförderung beschreiben. 7 »Kinder und Werbung. Bausteine für den Kindergarten« (vergriffen) – vgl. auch Henrike Friedrichs, Sonja Kröger, Dorothee M. Meister, Uwe Sander »Förderung von Werbekompetenz bei Kindern: Eine Bestandsaufnahme medienpädagogischer Materialien«, in: Medienimpulse online (www.medienimpulse.at/articles/view/355). 2/2013 Titelthema Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende? Fazit Kontrastiert man die hier skizzierte Entwicklung mit dem anfänglichen Blick zurück auf die ausschließlich TV-basierten Diskussionen über das Thema Kinder und Werbung seit den sechziger Jahren, so wird deutlich, in welcher Weise sich Medien, Werbung und werbliche Ansprachen verändert haben, mit welcher Dynamik sich diese Veränderungen vollziehen und wie sich auch der Blick auf das Thema verändern muss. »Werbung Ende!« – So markieren private TVSender das Ende von Werbeblöcken im Kinderprogramm, und das ist für den zeitlich klar umrissenen Block mit klassischen Werbespots auch gut und richtig so. Die Vorstellung jedoch, es gebe heute noch einen Anfang und ein Ende von Werbung, geht fehl. Werbliche Ansprachen sind so allgegenwärtig wie Medien heute unseren Alltag und auch das Leben von Kindern begleiten und Konsumverhalten, Ästhetik und Lebensstile prägen. Soweit gesetzliche Vorgaben das handlungsleitende Ziel haben, Kinder vor solchen kommerziellen Einflüssen zu schützen, die sie entwicklungs- und alregulatorische tersbedingt nicht durchschauen können, Schutzzäune und sind regulatorische Schutzzäune wichFörderung der tig. Wichtig bleiben auch flankierende Werbekompetenz Angebote zur Förderung der Werbekompetenz bei Kindern, die die großen Potentiale und Chancen, die mit den technologischen Entwicklungen einhergehen, in ein vernünftiges Verhältnis setzen zu den Risiken, die damit verbunden sind.8 Auf beiden Feldern sind die Medienanstalten per gesetzlichem Auftrag unterwegs. Ein konsum- und werbefreies Idyll jedenfalls ist nicht zu haben. Nicht einmal mehr der Dschungel ist frei von Werbung, hat es doch der Keks-Riegel eines bekannten Herstellers nun schon im zweiten Jahr werbewirksam platziert ins »Dschungelcamp« geschafft. Die Werbung kommt also nicht erst – sie ist schon da, immer und überall. Literatur Charlton, Michael; Neumann-Braun, Klaus; Aufenanger, Stefan; Hoffmann-Riem, Wolfgang u.a.: Fernsehwerbung und Kinder. Das Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und seine Verarbeitung durch Kinder, Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, Bd. 17 und 18, Opladen 1995. Dörr, Dieter; Klimmt, Christoph; Daschmann, Gregor (Hrsg.): Werbung in Computerspielen: Herausforderungen für das Medienrecht und die Förderung von Medienkompetenz, Berlin 2011, Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), Band 70. Freese, Gunhild: Kinder machen müde Marken munter, in: Die ZEIT, 26.10.1973. Haase, Henning: Kinder, Jugendliche und Medien, in: Kinder – Medien – Werbung, Schriftenreihe Mediaperspektiven Bd. 1, Frankfurt a.M. 1981 Lampert, Claudia; Schwinge, Christiane; Kammerl, Rudolf; Hirschhäuser, Lena: Computerspiele(n) in der Familie. Computerspielesozialisation von Heranwachsenden unter Berücksichtigung genderspezifischer Aspekte, Düsseldorf 2012 (LfM-Dokumentation Bd. 47). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): KIM-Studie 2010. Kinder + Medien, Computer + Internet, Stuttgart 2011 (http://www.mpfs.de/ fileadmin/KIM-pdf10/KIM2010.pdf) Autor Rainer Smits Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) Mail: [email protected] 8 2/2013 Eine kindergerechte Auseinandersetzung mit dem Thema Werbung und Internet findet sich z.B. bei https://www. klicksafe.de/themen/einkaufen-im-netz/werbung/wer bung-im-internet-was-steckt-dahinter.html oder http:// www.internetabc.de/kinder/werbung-einkaufen.php. – vgl. auch den Artikel von Mirjam Niketta in diesem Heft über das von der werbetreibenden Wirtschaft unterstützte Projekt »Media Smart«. Im Bereich Aufsicht und Programme zuständig für die Werbeaufsicht. Projektleiter div. Medienkompetenzprojekte der LfM. Vorstandsmitglied Programmberatung für Eltern e.V., stellv. Mitglied im Kuratorium Ein Netz für Kinder KJug 53 Titelthema Mirjam Niketta »Augen auf Werbung« Media Smart fördert Werbekompetenz Im Alltag von Kindern und Jugendlichen spielen Medien eine wichtige Rolle. Auch die Werbung – die nicht immer bewusst wahrgenommen wird – ist ihr ständiger Begleiter. Kinder vor der Werbewelt abzuschirmen, ist deshalb kaum möglich. Vielmehr müssen sie lernen, im Kontext ihrer Lebenswirklichkeit mit Werbung umzugehen. Das Ziel von Media Smart e.V. ist deshalb die Förderung der Werbekompetenz von Kindern und Jugendlichen. Werbekompetenzentwicklung bei Kindern Werbung wirkt, das ist unumstritten. Allerdings lässt sich ihre Wirkung nicht als ein einfaches ReizWirkungsmodell beschreiben. Der Reiz Werbung löst beim Rezipienten nicht unbedingt immer einen Kaufwunsch aus, der im Idealfall zum Erwerb eines Produktes führt. Forschungen zeigen vielmehr, dass die Werbewirkung ein komplexer Prozess ist, der bei jedem Menschen anders abläuft. Der Wirkungsgrad hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren wie Alter, Bildungsgrad oder spezifischen Bedürfnissen und Erfahrungen ab. Werbekompetenz ist nicht angeboren. Sie muss im Laufe der kindlichen Entwicklung erst erlernt und in der direkten alltäglichen Auseinandersetzung geschult werden. Kinder im GrundWerbekompetenz schulalter sind durchaus schon in der muss erlernt und Lage, Werbung im Fernsehen von Progeschult werden. gramminhalten zu unterscheiden – eine wichtige Voraussetzung für den Ausbau und die Festigung von Werbekompetenz. Mit etwa sieben Jahren wird ihnen deutlich, dass Werbung etwas verkaufen will, häufig sehen sie sich selbst aber noch nicht als Empfänger einer Werbebotschaft. Mit etwa elf bis zwölf Jahren können Heranwachsende die Werbeabsichten dann auf sich selbst beziehen.1 Der Grundstein für das Erlangen von Werbekompetenz ist bei Kindern im Grundschulalter gelegt. Gerade deswegen ist es wichtig, mit Kindern dieser Altersgruppe über Werbung zu sprechen und ihnen zu vermitteln, wie Kaufwünsche geweckt werden 1 54 K Jug vgl. Aufenanger, Stefan (2005): Medienpädagogische Überlegungen zur ökonomischen Sozialisation von Kindern. In: merz. medien + erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik. München. 49. Jg. 1/2005, S. 11-16 und mit welchen Mechanismen Werbung arbeitet. Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Medienpädagoge an der Universität Mainz und Mitglied im Expertenbeirat der medienpädagogischen Initiative Media Smart, hält die Grundschule »für den richtigen Ort für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Werbung«2. Auch die Lehrpläne der einzelnen Bundesländer sehen die Behandlung des Themas in der dritten und vierten Klasse vor, zumeist im Rahmen des Deutsch- oder Sachunterrichts. Medienkompetenzförderung mit Unterrichtsmaterialien von Media Smart Über Media Smart e.V. Media Smart ist eine internationale Initiative zur Förderung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen und stellt kostenlos hochwertiges medienpädagogisches Lehrmaterial zur Verfügung. In Deutschland wurde der gemeinnützige Verein im Jahr 2004 von Partnern aus werbetreibenden Unternehmen, Verbänden und Medien ins Leben gerufen. Die Mitgliedsunternehmen finanzieren Entwicklung, Produktion und Versand der medienpädagogischen Materialien. Sie verzichten auf jede Form des kommerziellen Gewinns und treten bewusst ohne Logo und Markennamen auf, um sich vom Schulsponsoring klar abzugrenzen. Für die Konzeption der Materialien ist die medienpädagogische Projektstelle in Köln zuständig, die von einem hochkarätig besetzten unabhängigen Expertenbeirat 2 Media Smart e.V. (Hrsg.) (2011): Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen. Medienpädagogische Materialien für die Grundschule 3./4. Klasse. Köln: o.V., S. 2 KJug, 58. Jg., S. 54 – 56 (2013) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. 2/2013 Titelthema Niketta • »Augen auf Werbung« ehrenamtlich unterstützt wird: Wissenschaftler/innen der Universitäten Hamburg, Mainz und Zürich, Lehrer/innen sowie Vertreter/innen des Jugendschutzes beraten die Projektstelle bei der inhaltlichen und methodischen Entwicklung sowie Umsetzung der medienpädagogischen Materialien. Die Idee zu Media Smart stammt ursprünglich aus Kanada: Dort gibt es unter dem Namen »Concerned Children’s Advertisers« seit 1990 kostenloses Unterrichtsmaterial zur Vermittlung von Werbekompetenz. Media Smart umfasst inzwischen ein Netzwerk von medienpädagogischen Initiativen in neun europäischen Ländern und ist bei der EU-Kommission als europäisches Projekt für unabhängige und kompetente Medienerziehung anerkannt.3 • Extras (Spiel »Werbechampion«, WerbediplomUrkunde, Elterninformationen u. a.) • DVD mit Lehrfilm und Beispielen von Fernsehund Radiowerbespots • CD mit Beispielen von Plakat- und Internetwerbung Die Resonanz auf die Grundschulmaterialien von Media Smart ist ausgesprochen positiv. An jeder zweiten Grundschule in Deutschland ist das Unterrichtspaket »Augen auf Werbung« seit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2005 bereits zum Einsatz gekommen. Pädagog/inn/en, die mit den Materialien arbeiten, loben besonders deren Übersichtlichkeit und Praxisnähe. Rezension auf der Internetseite www.referendar.de »Die Medienerziehung in der dritten und vierten Jahrgangsstufe liegt vielen Lehrkräften besonders am Herzen. Gleichzeitig bereitet aber die praktische Umsetzung dieser Thematik, z.B. als handlungsaktivierendes Unterrichtsprojekt, immer wieder Schwierigkeiten. »Augen auf Werbung« liefert den Lehrern Hintergrundinformationen zum Thema Werbung, gibt Anregungen für die Unterrichtsgestaltung und stellt eine Vielzahl von Materialien zur Verfügung, die problemlos im Schulalltag eingesetzt werden können. Uns haben die Arbeitsblätter, die DVD mit den Filmbeiträgen und die Fülle von positiven Anregungen, z.B. auch für die Elternarbeit absolut überzeugt. Allen Grundschulreferendaren können wir nur empfehlen, diese Unterrichtsmaterialien kostenlos zu bestellen!4« Media Smart-Materialpaket für Grundschulen Media Smart gibt Lehrer/inne/n, Erzieher/inne/n und Eltern didaktische Werkzeuge an die Hand, die eine nachhaltige Vermittlung von Werbekompetenz ermöglichen. Für den Einsatz in der dritten und vierten Grundschulklasse ist das Media 3. und 4. Klasse Smart-Unterrichtspaket »Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen« konzipiert, das 2011 komplett überarbeitet in dritter Auflage erschien. Das Paket bietet Pädagog/ inn/en neben Hintergrundinformationen acht konkrete Unterrichtsvorschläge, um das Thema Werbung praxisnah mit ihren Schülerinnen und Schülern zu bearbeiten – beispielsweise in Form einer Einheit, in der Kinder selbst Werbung gestalten. • Sachinformationen zum Thema Werbung • acht Unterrichtseinheiten mit didaktischen Anregungen (inklusive Hinweisen für die Weiterarbeit in verschiedenen Unterrichtsfächern) • Kopiervorlagen (Schaubilder, Auftragskarten, Arbeitsblätter und Rollenspielkarten) www.mediasmart.de Die Onlineplattform www.mediasmart.de richtet sich an Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Auf einer eigenen Kinderwebseite können junge User ihre Meinung zu aktuellen Medienthemen äußern und sich mit Hilfe von Erklärungsmodulen über Hintergründe und Erscheinungsformen von Werbung informieren. Die Figuren Inge Internet, Anne Anzeige, Felix Fernsehen, Paul Plakat und Ralf Radio erklären in interaktiven Modulen, welche Werbeformen es gibt und wie man diese erkennen kann. Auch eine digitale Reise durch die Geschichte der Werbung findet sich hier. Für Pädagog/inn/en und Eltern steht auf der Media Smart-Internetseite ein eigener Bereich bereit. Hier wird der Medienkonsum von Kindern ebenso thematisiert wie der Umgang mit Taschengeld. Zu- 3 4 Das Materialpaket »Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen« besteht aus: 2/2013 http://www.mediasmart.de/verein/ueber-uns/mediasmart-europe.html http://www.referendar.de/wissenswertes/augen_auf_ werbung.html KJug 55 Niketta • »Augen auf Werbung« dem liefert die Seite viele Hintergrundinformationen zu den Themen Werbung und Werbeerziehung und stellt aktuelle Informationen aus dem Bereich der Medienpädagogik bereit. Neue Media Smart-Projekte Media Smart arbeitet derzeit daran, die Zielgruppen zu erweitern. Entwickelt werden Onlinematerialen für den Einsatz in der 5. und 6. Klasse. Mit 5. und 6. Klasse ihrer Hilfe sollen Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen Wissen über aktuelle Themen wie »Virales Marketing« oder »Werbung in sozialen Netzwerken« erlangen. An Kinder im Vorschulalter wird sich ein Materialpaket mit Hörgeschichten und Bildern richten, das Media Smart in diesem Jahr ebenfalls kostenfrei zur Verfügung stellen wird. Das Paket beKinder im steht aus fünf Bausteinen, mit denen Vorschulalter Erzieher/innen Vorschulkinder an die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Werbung heranführen können. So lernen die Kinder spielerisch, Werbung in ihrem Alltag zu erkennen – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie später kompetent und kritisch damit umgehen. Titelthema Jeder der fünf Bausteine kombiniert eine Hörgeschichte mit einer passenden Bilderreihe, so dass die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema sowohl auf auditiver als auch auf visueller Ebene erfolgen kann. Anregungen für die medienpädagogische Arbeit im Kindergarten finden Erzieher/innen im Begleitmaterial. Weiterführende Informationen zum Thema und Materialien für die Elternarbeit wird Media Smart im Rahmen des neuen Vorschulpakets ebenfalls bereitstellen. Mirjam Niketta MEDIA SMART e.V. Picassoplatz 1 50679 Köln Autorin Mail: [email protected] www.mediasmart.de, www.mediasmart-lehrer.de Mirjam Niketta studierte Sozial- und Kulturwissenschaften und ist seitdem als Medienpädagogin in Theorie und Praxis tätig. Seit 2009 ist sie bei Media Smart als Projektleitung tätig. Werbung mit und vor Kindern Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen (Auswahl) § 110 BGB – Bewirken der Leistung mit eigenen Mitteln Sog. Taschengeldparagraph Ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind. Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV) – § 6 Jugendschutz in der Werbung und im Teleshopping (…) (2) Werbung darf Kinder und Jugendliche weder körperlich noch seelisch beeinträchtigen, darüber hinaus darf sie nicht 1. direkte Aufrufe zum Kaufen oder Mieten von Waren oder Dienstleistungen an Minderjährige enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen, 2. Kinder und Jugendliche unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen, 56 K Jug 3. das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, oder 4. Kinder oder Minderjährige ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen. (3) Werbung, deren Inhalt geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, muss getrennt von Angeboten erfolgen, die sich an Kinder oder Jugendliche richten. (4) Werbung, die sich auch an Kinder oder Jugendliche richtet oder bei der Kinder oder Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden, darf nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen. (5) Werbung für alkoholische Getränke darf sich weder an Kinder oder Jugendliche richten noch durch die Art der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders ansprechen oder diese beim Alkoholgenuss darstellen. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für Teleshopping und Sponsoring entsprechend. Teleshopping darf darüber hinaus Kinder oder Jugendliche nicht dazu anhalten, Kauf- oder Miet- bzw. Pachtverträge für Waren oder Dienstleistungen zu schließen. 2/2013 Titelthema Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen (Auswahl) • »Werbung mit und vor Kindern« Gemeinsame Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes (Jugendschutzrichtlinien – JuSchRiL) 7. Jugendschutz in Werbung und Teleshopping (§ 6 JMStV) (…) 7.1 Werbung, die sich an Kinder richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn sie direkte Kaufaufforderungen enthält. Ihnen sind solche Kaufaufforderungen gleichzustellen, die lediglich eine Umschreibung direkter Kaufaufforderungen enthalten. Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit werden bei Kindern vermutet. Werbung, die sich an Jugendliche richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn sie direkte Kaufaufforderungen an Jugendliche richtet, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. 7.2 Unter Inhalt im Sinne des § 6 Abs. 3 JMStV sind Produkte und Dienstleistungen zu verstehen. 7.3 Werbung, die sich auch an Kinder richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn 1. sie einen Vortrag über besondere Vorteile oder Eigenarten des Produktes enthält, die nicht den natürlichen Lebensäußerungen der Kinder entsprechen; 2. sie für Produkte, die selbst Gegenstand von Kinderangeboten sind, vor oder nach einer Sendung in einem Werbeblock geschaltet wird; 3. sie im Rundfunk prägende Elemente enthält, die auch Bestandteil der Kindersendung vor oder nach dem Werbeblock sind. 7.4 Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn 1. sie strafbare Handlungen oder sonstiges Fehlverhalten, durch das Personen gefährdet sind oder ihnen geschadet werden kann, als nachahmenswert oder billigenswert darstellt; 2. sie aleatorische Werbemittel (z.B. Gratisverlosungen, Preisausschreiben und -rätsel u.ä.) in einer Art und Weise einsetzt, die geeignet ist, die Umworbenen irrezuführen, durch übermäßige Vorteile anzulocken, deren Spielleidenschaft auszunutzen oder anreißerisch zu belästigen. Vorläufiges Tabakgesetz (LMG) – § 22 Werbeverbote (…) (2) Es ist verboten, im Verkehr mit Tabakerzeugnissen oder in der Werbung für Tabakerzeugnisse allgemein oder im Einzelfall 1. Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen zu verwenden, …. b) die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind, Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen, ….. Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz) – § 11 (1) Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden …. 12. mit Werbemaßnahmen, die sich ausschließlich oder überwiegend an Kinder unter 14 Jahren richten, 2/2013 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Anhang (zu § 3 Absatz 3) Unzulässige geschäftliche Handlungen im Sinne des § 3 Absatz 3 sind ….. 28. die in eine Werbung einbezogene unmittelbare Aufforderung an Kinder, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder die beworbene Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene dazu zu veranlassen; ….. Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und vor Kindern in Hörfunk und Fernsehen (Fassung von 1998)* Bei der Werbung mit Kindern und bei der Werbung, die sich speziell an Kinder wendet, sind insbesondere die nachstehenden Grundsätze bei der Gestaltung und Durchführung von Werbemaßnahmen zu beachten: 1. Sie sollen keinen Vortrag von Kindern über besondere Vorteile und Eigenarten des Produktes enthalten, der nicht den natürlichen Lebensäußerungen des Kindes gemäß ist. 2. Sie sollen keine direkten Aufforderungen zu Kauf oder Konsum an Kinder enthalten. 3. Sie sollen keine direkten Aufforderungen von Kindern und/oder an Kinder enthalten, andere zu veranlassen, ein Produkt zu kaufen. 4. Sie sollen nicht das besondere Vertrauen, das Kinder bestimmten Personen entgegenzubringen pflegen, missbräuchlich ausnutzen. 5. Aleatorische Werbemittel (z.B. Gratisverlosungen, Preisausschreiben und -rätsel u.ä.) sollen die Umworbenen nicht irreführen, nicht durch übermäßige Vorteile anlocken, nicht die Spielleidenschaft ausnutzen und nicht anreißerisch belästigen. 6. Sie sollen strafbare Handlungen oder sonstiges Fehlverhalten, durch das Personen gefährdet werden können, nicht als nachahmenswert oder billigenswert darstellen oder erscheinen lassen. Für die Werbung im Fernsehen mit Jugendlichen und die Fernsehwerbung, die sich speziell an Jugendliche wendet sowie das Teleshopping, gilt darüber hinaus unter Berücksichtigung der Bestimmungen der EU-Fernsehrichtlinie vom 3. Oktober 1989 i. d. Fassung vom 30. Juni 1997: 7. Es sollen keine direkten Kaufaufforderungen an Jugendliche gerichtet werden, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. 8. Jugendliche sollen nicht unmittelbar dazu aufgefordert werden, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen. 9. Es soll nicht das besondere Vertrauen, das Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, ausgenutzt werden. 10. Jugendliche sollen nicht ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen gezeigt werden. * A.d.R. Diese Regeln sind Selbstverpflichtungen ohne Gesetzesqualität; mittlerweile haben – im Gefolge der Neufassung der EU-Fernsehrichtlinie im Dezember 2007 – Teile davon in gesetzliche Regelungen (JMStV, UWG) Eingang gefunden. KJug 57 Fachbeitrag Judith Bündgens-Kosten / Tobias Hölterhof Angst vor dem Netz Medienangst und pädagogisches Handeln Das Internet scheint kontrovers zu sein. Während auf der einen Seite die neuen Möglichkeiten und Potentiale des Mediums herausgestellt werden, wird auf der anderen Seite oft auf die Risiken und Gefahren hingewiesen. In dem Ringen um Pro oder Contra schimmert dabei nicht selten ein Phänomen hervor, welches die Diskussion bestimmen kann ohne separat thematisiert zu werden. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, welches so alt ist wie die Menschheit selber: Angst. Angst, Medienangst & Medienpanik Während früher mit Sorge der Einfluss des Fernsehens betrachtet wurde, ist das Angstmedium (Keuneke 2011) heute sicherlich das Internet, wenn auch das Handy mit seinen vielen Möglichkeiten zur Bild-/Ton-/Videoaufzeichnung, Kommunikation und zum Datentausch, ebenfalls viele Ängste erzeugt. Im Zusammenhang etwa mit sozialen Netzwerken bestehen Sorgen in Bezug auf Privatsphäre, Cyber-Mobbing, sexuelle Belästigung, unerwünschte Inhalte (etwa in Bezug auf politische und religiöse Propaganda, aber auch auf Pornographie oder Gewaltinhalte) sowie finanzielle (Abofallen & Co.) und juristische (z.B. Verletzung des UrheberMedienangst ist eng rechts) Fallstricke. »Medienangst« kann verbunden mit der dabei natürlich zunächst als »Angst in Sorge um das Wohl- Bezug auf Medien« verstanden werden, ergehen von Kindern also als eine durch Medien näher beund Jugendlichen stimmte Angst. Keuneke (2011) betrachtet Medienangst aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive: »Zusammengefasst soll Medienangst als ein überhistorisch und -kulturell auftretendes Gefühl der Bedrohung definiert werden, das von einem Medium ausgelöst, von mehreren Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt und durch skeptische, besorgte oder ablehnende Äußerungen zum Ausdruck gebracht wird. Die Gesamtheit dieser Äußerungen soll als Medienangstdebatte bezeichnet werden; das Objekt einer Medienangstdebatte als Angstmedium.« (Keuneke 2011, 278f). Sie argumentiert: »Ein neues Medium löst Angst aus, da es fremd ist und zudem zu Veränderungen im bestehenden Machtgefüge der Gesellschaft führt« (ebd., 278). Dabei erschafft das Internet einen scheinbar undurchdringlichen Handlungsraum. Boethius führt aus: »Popular culture has almost always been 58 K Jug considered a threat to young people. It has been associated with leisure or with the borderline area between family, school or work in which the control of guardians or supervisors has been limited or nonexistent. The recurring attacks on popular culture have therefore been lodged primarily by representatives of these spheres: from parents, teachers or others who concern themselves with young people’s spiritual and moral upbringing« (Boethius 1997, 38). Medienangst ist also eng verbunden mit der Sorge um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen, zumeist mit der Sorge um Viktimisierung, seltener mit der Sorge um Kriminalisierung durch Medien. Eng mit dem Begriff der Medienangst verwandt ist auch der Begriff der Medienpanik (›media panic‹) bzw. Technikpanik (›techno panic‹). Angelehnt an Cohens Konzept der moral Angst als panic (Cohen 1971, siehe auch Goode & gesellschaftliches Ben Yehuda 2009, Critcher 2011) werden oder kulturelles hier Medienängste als gesellschaftliches Phänomen und überindividuelles Phänomen betrachtet. Marwick erörtert, dass sich eine Technikpanik im weitesten Sinne auf alle Technologien (etwa Atomkraft, Gentechnik, etc.) beziehen kann, dass jedoch eine Technikpanik im engeren Sinne durch folgende Merkmale gekennzeichnet sei (Marwick 2008, n.p., vgl. auch Drotner 1992): • Fokus auf neue Medien • Pathologisierung der Mediennutzung junger Leute • Versuch der Modifikation oder Regulierung dieser Mediennutzung (Kontrolle der jungen Nutzer/innen bzw. der Medienproduktion) Medienpanik bzw. Technikpanik ist sicherlich nicht mit jeder Form der Medienangst gleichzusetzen. Dennoch ist die Grundidee, dass Angst nicht nur als KJug, 58. Jg., S. 58 – 61 (2013) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. 2/2013 Fachbeitrag Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz individuelles Angstempfinden sondern auch als gesellschaftliches oder kulturelles Phänomen zu betrachten ist, hier hilfreich. Nicht jede Medienangstdebatte ist eine Medienpanik, aber einzelne Eigenschaften von Medienpanik charakterisieren viele Medienangstdebatten. Nach Goode & Ben-Yehuda (2009) ist eine notwendige Voraussetzung von moral panics, dass es eine Kluft zwischen wahrgenommener Gefährdung und tatsächlicher, objektiver Gefährdung Kluft zwischen wahr- gibt (disproportion bzw. Unverhältnisgenommener Gefähr- mäßigkeit). Für die Angst als Angst spielt dung und tatsäch- es jedoch keine Rolle, ob und wie sie mit licher, objektiver tatsächlichen GefährdungswahrscheinGefährdung lichkeiten verknüpft ist. Medienangst wirkt unabhängig von der Realität oder Präzision der mit ihr verbundenen Gefährdungsannahmen. Schließlich ist Angst auch ein philosophisches Phänomen, das als Faktum des menschlichen Daseins gelten kann. Die Existenzphilosophie betrachtet dabei Angst als ursprünglich und bedeutungsreich für den Menschen. »Angst« ist dabei im existenzphilosophischen Sinn unbestimmt, während »Furcht« ein Zustand ist, der sich auf einen Gegenstand bezieht. Eine solche Begriffsklärung findet sich etwa bei Sören Kierkegaard (1965, 40) und bei Martin Heidegger (1979, 344). »Angst« Angst und Furcht drückt demnach eine subjektive Stimmung des Menschen aus, die aus seiner existenziellen und freiheitlichen Konstitution erwächst. Angst bezieht sich nicht wie Furcht auf etwas Innerweltliches oder Bestimmtes, sondern das Dasein und das Existieren des Menschen als In-derWelt-sein selbst ist die Bedingung für Angst. Diese terminologische Unterscheidung der Existenzphilosophie findet sich jedoch wenig in der Alltagssprache wieder (vgl. Balzereit 2010, 63). Hinzu kommt, dass Heidegger selbst von einer »phänomenalen Verwandtschaft« zwischen Furcht und Angst spricht, die er jedoch nicht weiter spezifiziert (Heidegger 1979, 185; vgl. Kümmel 1979, 29). Im Kontext der Medienangst weisen diese Überlegungen insofern auf eine Grundbefindlichkeit des Menschen hin, die eine Disposition zur Medienangst oder -furcht verständlich werden lassen und das Thema in einem Problemhorizont positioniert. Ist Angst ein Problem? Die existenzphilosophische Bestimmung der Angst begründet Angst in der Konstitution der menschlichen Existenz. Angst ist dabei kein Zustand, der überwindbar ist. Der Mensch wird bei Kierkegaard etwa als freiheitliches Wesen aufgefasst und Angst 2/2013 als »Freiheit de potetia« (vgl. Harris 2001, 250). Angst und Freiheit sind damit gleichursprünglich, das eine ist nicht ohne das andere denkbar. Zwar spiegelt diese unüberwindbare Bestimmung das realistisch pessimistische Daseinsverständnis der Existenzphilosophie, Angstfreiheit als Zielzustand pädagogischen Handelns erscheint gleichzeitig jedoch als fraglich und gerät in einen Widerspruch zur freiheitlichen Bestimmung des Menschen. Die existenzielle Pädagogik von Otto Friedrich Bollnow, die Wagnis und Scheitern auf- Angst ist nicht grund der freiheitlichen Konstitution des wirkungslos Menschen als Wesensmomente der Erziehung herausstellt (vgl. Bollnow 1958), kann hier sicherlich als Orientierungspunkt für medienpädagogisches Handeln gelten. Es gilt demnach, den Blick für das Phänomen und seine Bedeutung für den Menschen zu schärfen. Die Annahme, dass Angst eine Konstante menschlichen Lebens ist, impliziert jedoch nicht, dass Angst neutral oder gar wirkungslos sei. Auch wenn der Mensch ein angstempfindendes Wesen ist, hat Medienangst Folgen für die pädagogische Praxis. Folgen von Angst für die medienpädagogische Praxis Im Rahmen eines medienpädagogischen Projekts führten einige Schüler/innen der 6. Klasse eine Befragung von Mitschüler/inne/n durch. Sie wollten wissen, wovor sich Gleichaltrige in sozialen Netzen am meisten fürchteten. Das überraschende Ergebnis: Hacker und Stalker. Repräsentativer sind aber sicherlich die von der JIM-Studie (2010) erhobenen Daten. Befragt nach den ihrer Meinung nach größten Gefahren im Internet, nannten die Schüler/innen von 12 bis 19 vor allem Abzocke/Betrug allgemein (Mädchen: 40%, Jungen 49%), Viren (Mädchen 29%, Jungen 55%), Datenmissbrauch/Datenklau (Mädchen 33%, Jungen 23%) sowie Cybermobbing (Mädchen 31%, Jungen 20%) (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2010, 46). Zu beachten ist bei solchen Aufzählungen jedoch, dass Schüler/innen oft andere Dinge mit den gleichen Begriffen meinen, als ihre Eltern oder Lehrer/innen, wie Wagner et al. (2012) am Beispiel »Cybermobbing« demonstriert haben. Die Ängste in Bezug auf Medien unterscheiden sich also sicherlich zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern und Jugendlichen andererseits, und sind auch innerhalb dieser Gruppen durchaus heterogen – beeinflusst durch vielfältige Aspekte wie etwa soziales Umfeld, Berichterstattung in den jeweils bevorzugten Massenmedien, eigene prak- KJug 59 Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz tische Medienerfahrungen oder das eigene Wertesystem. Aber Medienangst hat immer Folgen für die medienpädagogische Praxis, manchmal direkt abhängig von den konkreten Befürchtungen, manchmal aber auch unabhängig von den jeweilig wahrgenommenen Gefährdungsannahmen. Angst und insbesondere massenmedial unterstützte Medienangstdebatten schaffen zuerst einmal Aufmerksamkeit für Medien und deren Wirkungen. In diesem Sinne schafft Angst eine ›Lobby‹ für Medienarbeit. In Zeiten voller Lehrpläne und vielfältiger Anforderungen an Schule und Medienangst als Unterricht kann eine medial vermittelte Thema in Schulen Medienangstdebatte und konkrete Ängste auf Schüler/innen-, Lehrer/innenund Eltern-Seite dazu motivieren, knappe Zeitressourcen diesem Thema zu widmen. Gleichzeitig beeinflusst Medienangst aber auch die Bedingungen solcher Medienarbeit. Starke Ängste können ggf. einen gestaltenden Ansatz als weniger geeignet oder durch Elternseite akzeptiert als z.B. einen bewahrenden/warnenden Ansatz erscheinen lassen. Konkrete ›Wellen‹ in der Medienangstdebatte (z.B. Facebook-Partys) legen vielleicht nicht immer den Fokus auf die – aus medienpädagogischer Sicht – dringlichsten Themen. Insgesamt droht, dass die Gefahren von Medien gegenüber deren Möglichkeiten überbetont werden. Schließlich prägt Medienangst insofern die »pädagogische Atmosphäre« (Bollnow 1961), als dass sie emotional auf die Beziehung zwischen Erziehungspersonen und Schüler/inne/n bzw. Kindern wirkt. Auf der individuellen Ebene hat Angst ebenfalls Folgen. Angst kann mitbestimmen, welche Informationen, die zu Medienthemen verfügbar sind, besonders stark wahrgenommen oder behalten werden. Angst (genauso wie Furcht) kann Verhalten auch über Aufmerksamkeitssteuerung hinaus beeinflussen, etwa in Bezug auf Vermeidungsverhalten (vgl. fear appeals, Barth & Bengel 2000). Nicht zu vergessen ist, dass Angst oft mit dem Wunsch nach gesetzlicher oder sozialer Normierung/Regulierung, bzw. nach techFolge: Wunsch nach nischen Kontrollmöglichkeiten einhergesetzlicher oder geht, wie etwa in der Medienberichtersozialer Normierung/ stattung zu ›Facebook-Partys‹ gut Regulierung mitverfolgt werden konnte. So können dann Angst bzw. die Medienangstdebatte in einem längeren Prozess auch zu tatsächlichen Veränderungen technischer oder juristischer Gegebenheiten führen. Fachbeitrag Schlussfolgerung Der Mensch empfindet Angst und ist durch Angst geprägt. Medienangst spezifiziert dabei Angst, die sich auf Medien im Allgemeinen und auf einzelne Medien im Besonderen beziehen kann, ohne aber notwendigerweise auf ein tatsächlich erhöhtes Gefahrenrisiko hinzuweisen. Angst als Emotion ist nicht wirkungslos. Sie beeinflusst auf überindividueller Ebene die pädagogische Atmosphäre, in der man agiert, bzw. erhöht die gefühlte Relevanz von Medien als Thema für den Unterricht. Auf individueller Ebene wirkt sie auf Informationsaufnahme und -verarbeitung, Vermeidungsverhalten. Angst kann die Ursache für einen Wunsch nach gesetzlicher/ technischer Regulierung sein. Die konkrete, womöglich unverhältnismäßige Angst in Zusammenhang mit Gefährdungsszenarien kann in der medienpädagogischen Praxis angegangen und thematisiert werden, bestimmte Handlungsoptionen können gelernt und ausprobiert werden. Die Angst an sich ist dagegen im existenzphilosophischen Sinn nicht »therapierbar«: Angst gehört hier zur basalen Faktizität des Daseins, hinter die pädagogisches Handeln nicht zurückgehen kann. Literatur Boëthius, Ulf (1995): Youth, the media and moral panics. In: Fornäs, Johan; Bolin, Göran (Hrsg.): Youth culture in late modernity. London, S. 38-57 Balzereit, Marcus (2010): Kritik der Angst: zur Bedeutung von Konzepten der Angst für eine reflexive soziale Arbeit. Wiesbaden Barth, Jürgen; Bengel, Jürgen (2000): Prevention through fear? The state of fear appeal research. Köln Bollnow, Otto Friedrich (1958): Wagnis und Scheitern in der Erziehung. In: Pädagogische Arbeitsblätter zur Fortbildung für Lehre und Erzieher, 10. Jahrgang, Heft 8, S. 337-349, http://www.otto-fried rich-bollnow.de/doc/WagnisundScheiternErz.pdf Bollnow, Otto Friedrich (1961): Die pädagogische Atmosphäre. In: Das Studienseminar, Band 6, Heft 1, S. 2-20 Cohen, Stanley (1972): Folk devils and moral panics: The creation of the Mods and Rockers. London Critcher, Chas (2003): Moral panics and the media. Ballmoor 60 K Jug 2/2013 Fachbeitrag Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz Drotner, Kirsten (1992): Modernity and media panics. In: Skovmand, Michael; Schräder, Kim Christian (Hrsg.): Media cultures: reappraising transitional media. London, S. 42-62 Wagner, Ulrike; Brüggen, Niels; Gerlicher, Peter; Schemmerling, Mareike (2012): Wo der Spaß aufhört... Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten. http://www. jff.de/studie_online-konflikte Goode, Erich; Ben-Yehuda, Nachman (2009): Moral panics: The social construction of deviance. Malden Heidegger, Martin (1979): Sein und Zeit. Tübingen Harrits, Flemming (2001): Bewegungen und Figuren des Denkens in Der Begriff Angst. In: Schulz, Heiko; Stewart, Jon; Verstrynge, Karl (Hrsg.): Kierkegaard Studies Yearbook. Berlin/New York, S. 247-267 Keuneke, Susanne (2011): Medienangst als Maßstab: Der wechselhafte Umgang mit dem Populären am Beispiel der Literatur. In: Lüdeke, Roger (Hrsg.): Kommunikation im Populären: Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen. Bielefeld, S. 273-296 Kümmel, Friedrich (1979): Angst als Seinsmodus des Menschen? In: Stietencron, Heinrich von (Hrsg.): Angst und Gewalt: ihre Präsenz und ihre Bewältigung in den Religionen. Düsseldorf, S. 2742, http://friedrich-kuemmel.de/doc/Angst.pdf Kierkegaard, Søren (1965): Der Begriff Angst. Hrsg. von Emanuel Hirsch, Düsseldorf Marwick, Alice E. (2008): To catch a predator? The MySpace moral panic. In: First Monday, Band 13, 6, http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/ index.php/fm/article/view/2152/1966 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2010): Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/ JIM2010.pdf 2/2013 Dr. Judith Bündgens-Kosten Goethe-Universität Frankfurt Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung Varrentrappstr. 40-42 60486 Frankfurt am Main Mail: [email protected] Autoren Bis Februar 2013 an der Universität DuisburgEssen, Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement, im »Schülerkolleg Pädagogik« beschäftigt, seit März 2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung der Goethe-Universität Frankfurt (Projekt: »Bedeutung der Erst- und Zweitsprache bei Lerner/innen der Fremdsprache Englisch für die kooperative Bearbeitung textbasierter Lernaufgaben«) Tobias Hölterhof Dr. phil., Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement, Arbeitsschwerpunkte: Philosophische Aspekte von Lernen, Bildung und Medien KJug 61 §§ Recht und Rechtsprechung Sigmar Roll Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln ist in einer nicht rechtskräftigen Entscheidung zum Ergebnis gekommen, dass im Einzelfall durch ein Gewinnspiel Minderjährige zu einem Kauf über Bedarf angeregt werden können und dann unlauterer Wettbewerb vorliegt (Urteil vom 21.09.2012; Aktenz. 6 U 53/12)*. Leitsätze des Gerichts 1. Für eine stets unlautere unmittelbare Aufforderung zum Kauf von Waren gegenüber Kindern genügt es nicht, dass Kinder in der Werbung gezeigt werden, die sich die Ware kaufen oder ihre Eltern zum Kauf auffordern. 2. Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Werbung ist auf das Verständnis des durchschnittlichen Mitglieds einer schutzbedürftigen Verbrauchergruppe (hier: minderjährige Kinder) bereits dann abzustellen, wenn die Werbung aufgrund objektiver Kriterien erkennbar dazu bestimmt ist, auch Mitglieder dieser Gruppe zu erreichen. 3. Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen mit einem an den Warenumsatz gekoppelten Gewinnspiel ist nicht generell unlauter, sondern erfordert eine Betrachtung des Einzelfalls; unlauter kann sie sein, wenn Minderjährigen in einem Werbespot eine unrealistische Korrelation von Mehreinkauf und Gewinnchance vorgespiegelt [wird] und sie dadurch zu einem Kauf über Bedarf angeregt werden. Sachverhalt Ein großer Süßwarenhersteller, die Fa. H, hatte eine deutschlandweite Kampagne durchgeführt, bei welcher die Teilnahme an einem Gewinnspiel an den Kauf ihrer Fruchtgummiprodukte gekoppelt war. Beim Kauf von fünf Packungen zum Preis von ca. je 1 € konnte man die Originaleinkaufsbelege einsenden und nahm damit an der Verlosung von 100 Goldbarren im Wert von je 5.000 Euro teil. Im zugehörigen Werbespot trat der bekannte Fernsehmoderator X auf und führte (Werbe-)Gespräche mit zwei 62 K Jug Familien (Vater, Mutter, 2 Kinder bzw. Mutter und 2 Kinder) beim Einkaufen im Supermarkt. Auf die Klage eines anderen Süßwarenherstellers, der Fa. K, hat das Gericht in erster Instanz unlauteren Wettbewerb angenommen, weil bei einer an Kinder und Jugendliche gerichteten Werbung die Kopplung eines Gewinnspiels an den Warenabsatz mit der beruflichen Sorgfalt generell nicht zu vereinbaren und daher unlauter sei. Die Berufung der Fa. H ist im Ergebnis – allerdings mit modifizierten Gründen – abgelehnt worden, jedoch die Revision zugelassen worden, um die Auslegung der europäischen Wettbewerbsrichtlinie in Deutschland höchstrichterlich klären lassen zu können. Argumentation des Gerichts II. (…) 2. Die Werbung mit dem von der Fa. H veranstalteten Gewinnspiel, an dem nur teilnehmen kann, wer zuvor Waren in einem bestimmten Umfang erworben hat, ist eine geschäftliche Handlung, da diese Maßnahme unmittelbar auf die Förderung des Absatzes der Fa. H zielt. 3. Die Unlauterkeit der geschäftlichen Handlung ergibt sich nicht bereits aus § 3 Abs. 3 UWG iVm Nr. 28 des Anhangs. Nach Nr. 28 des Anhangs ist eine Werbung unlauter, die eine unmittelbare Aufforderung an Kinder enthält, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder ihre Eltern zum Erwerb der Produkte zu veranlassen. Der streitgegenständliche Werbespot enthält jedoch keine unmittelbare Aufforderung. * voller Wortlaut dieser Entscheidung siehe www.bag-ju gendschutz.de/recht_rechtsprechung_jugendschutz.html KJug, 58. Jg., S. 62 – 67 (2013) © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. 2/2013 Recht und Rechtsprechung Für eine unmittelbare Aufforderung genügt es nicht, dass Kinder in der Werbung gezeigt werden, die sich das Produkt kaufen (…) oder die ihre Eltern zu einem Kauf auffordern (…). Eine so weite Auslegung der FallbeiDie hier vom Gesetzgeber aufspiele des Anhangs, die gelisteten Fallbeispiele sind, Per-se-Verbote ohne wenn sie vorliegen, generell aus sich heraus (= per se) verboten, ohne Wertungsmöglichkeit dardass noch eine Einzelfallkorrektur stellen, würde in nicht ge(wie minder schwerer Fall o.Ä.) zuläsrechtfertigter Weise nahezu sig wäre. jede Werbung verhindern, die Kinder einbezieht (…). Die in der Literatur unterschiedlich beantwortete Frage, ob eine unmittelbare Aufforderung nur dann vorliegt, wenn Kinder im Rahmen einer Verkaufsveranstaltung persönlich angesprochen werden (…) oder ob eine unmittelbare Aufforderung bereits dann gegeben ist, wenn eine gezielte persönliche Ansprache der Kinder in der grammatischen Form des Imperatives erfolgt (als Beispiele werden genannt: »Hol dir…«; »Nicht verpassen…«; »Sende einfach SMS an…«; »Noch heute kaufen« …), kann der Senat offen lassen, weil Aufforderungen dieser Art in dem Werbespot nicht enthalten sind. Er enthält nur eine jeder Werbung innewohnende mittelbare Aufforderung in der Weise, dass sich aus den Umständen ein Kaufappell ergibt. 4. Der streitgegenständliche Werbespot verstößt jedoch gegen §§ 3, 4 Nr. 6 UWG, die die sog. Gewinnspielkopplung für unlauter erklären. a) Die Kopplung von Gewinnspielen an ein Umsatzgeschäft ist allerdings nicht generell unlauter. Ein solches Per-se-Verbot ohne Wertungsmöglichkeit, wie es in § 4 Nr. 6 UWG enthalten ist, ist mit der durch die Richtlinie 2005/29/EG gegen unlautere Geschäf tspraktiken (UGP-Richtlinie) beHingewiesen wird darauf, dass die europäische Wettbezweckten Vollharmonisiewerbsrichtlinie (Unlautere Gerung nicht vereinbar (…). Im schäfts-Praktiken) eine VollharmoWege der richtlinienkonnisierung des Rechts vorgenommen formen Auslegung des § 4 hat; das im Gesetzestext noch erNr. 6 UWG kann sich jedoch sichtliche strenge Verbot der Koppein Verbot daraus ergeben, lung von Gewinnspiel und Verkauf, dass aufgrund der Umständas bisher in Deutschland galt, ist de des Einzelfalles die wegen des Vorrangs der Richtlinie nur noch in eingeschränkter Form Kopplung eine unlautere anwendbar, wobei der genaue UmGeschäftspraktik darstellt fang durch die Rechtsprechung zu (…). Dies ist bei der streitgeklären ist. genständlichen Kopplung zu bejahen, weil sie in ihrer konkreten Ausgestaltung einen Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt begründet. 2/2013 Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! b) Unter fachlicher Sorgfalt ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt zu verstehen, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seiner Tätigkeit gegenüber dem Verbraucher nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält. Die fachliche Sorgfalt umfasst auch die Pflicht des Werbenden zur Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Eine Unlauterkeit ist daher zu bejahen, wenn von der Kopplung eine so starke Anlockwirkung ausgeht, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund tritt (...). Eine solche übertriebene Anlockwirkung ist hier gegeben. aa) (...) (1) Nach § 3 Abs. 2 S. 2 und 3 UWG ist bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Werbung auf den durchschnittlichen Verbraucher abzustellen. Wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftliche Handlung nur eine besonders schutzbedürftige Gruppe betrifft, ist dagegen auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser strengere Maßstab nur gilt, wenn sich die Werbung ausschließlich an Kinder und Jugendliche richtet oder ob es genügt, wenn diese in erster Linie angesprochen werden. Nach Ansicht des Senats ist auf ein durchschnittliches Mitglied einer schutzwürdigen VerbrauchergrupDie Ansicht des Senats wird in pe bereits dann abzusteleiner sehr schönen Argumentationskette weg vom Wortlaut und len, wenn die Werbung hin zu Gesetzessystematik, Regeaufgrund objektiver Kritelungsziel und Vergleichsfällen in der rien erkennbar dazu beobergerichtlichen Rechtsprechung stimmt ist, auch Kinder und aufgebaut. Jugendliche zu erreichen. Zwar mag der Wortlaut der nationalen Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG (dort heißt es »nur ... betrifft« und nicht wie in der Richtlinie »nur ... beeinflussen«) ein Verständnis dahingehend nahe legen, dass von der Werbung ausschließlich Kinder und Jugendliche angesprochen werden müssen. Ein so enges Verständnis ist jedoch weder mit dem Sinn und Zweck der Norm vereinbar, noch entspricht es einer richtlinienkonformen Auslegung (…). § 3 Abs. 2 S. 3 UWG ist in Umsetzung des Art. 5 Abs. 3 UGP-Richtlinie ergangen. Danach sind Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von KJug 63 Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund ihres Alters besonders schutzbedürftig ist, aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen. Diese Regelung erfasst auch solche Geschäftspraktiken, die sich zwar an die Allgemeinheit richten, aber eben nicht den Durchschnittsverbraucher, sondern nur eine ganz bestimmte Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher in ihrem wirtschaftlichen Verhalten beeinflussen (...). Der strengere Maßstab ist also schon dann heranzuziehen, wenn die Geschäftspraktik zwar nicht ausschließlich an Kinder und Jugendliche gerichtet ist, diese aber möglicherweise beeinflusst werden, eben weil sie auch angesprochen werden. Würde man dies anders sehen und verlangen, dass sich die Geschäftspraktik ausschließlich an diese besonders schutzbedürftige Gruppe richtet, würde Art. 5 Abs. 3 UGP-Richtlinie in seinem Regelungsgehalt nicht über das hinausgehen, was bereits Art. 5 Abs. 2 lit. b) UGP-Richtlinie besagt, nämlich dass für die Beurteilung der Unlauterkeit auf das durchschnittliche Mitglied einer Gruppe abzustellen ist, wenn sich die Geschäftspraktik an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern richtet. Gestützt wird diese Auslegung durch den Gedanken des Verbraucherschutzes, der nur dann effektiv erreicht werden kann, wenn ein strengerer Maßstab bereits in den Fällen gilt, in denen sich die Geschäftspraktik zwar an mehrere verschiedene Verbrauchergruppen wendet, eine von ihnen jedoch besonders schutzbedürftig ist. Nicht zuletzt hat es auch der Bundesgerichtshof bisher in den Entscheidungen, in denen es um die Frage ging, ob strengere Maßstäbe an eine Werbung anzulegen sind, stets genügen lassen, wenn Kinder und Jugendliche auch zu den Adressaten gehörten (BGH GRUR 2006, 776, 777 – Werbung für Klingeltöne; BGH GRUR 2009, 71, 72 – Sammelaktion für Schoko-Riegel). (...) (2) Der streitgegenständliche Werbespot soll erkennbar die gesamte Familie und damit auch Kinder und Jugendliche ansprechen. Das beworbene Produkt ist (worauf auch der in dem Spot verwendete bekannte Slogan der Fa. H hinweist) bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt und die Aufmachung des Werbespots belegt, dass Kinder und Jugendliche jedenfalls auch zu den angesprochenen Verbraucherkreisen gehören sollen. So spricht der Fernsehmoderator X durchweg in einem »kindgerechten« Tonfall und in denkbar einfachen Sätzen. (...) Des Weiteren werden die Familienmitglieder aus einer kindlichen Perspektive als »Mutti« und »Papa« bezeichnet und auch der kleine Junge spricht den Moderator X mit [dem Vornamen] »U« an. Demgegenüber spricht der ausgelobte Gewinn (...) eher dafür, dass auch Erwachsene zur Zielgruppe des 64 K Jug Recht und Rechtsprechung Werbespots gehören. (...) Platziert wurde der Werbespot überwiegend im Laufe des Tages und im Vorabendprogramm sowie – wenn auch in geringem Umfang – nach 19 Uhr. Auch dies bekräftigt die Annahme, dass sich der Werbespot an alle Mitglieder einer Familie richtet. bb) (...) (1) Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Minderjährige häufig nicht in der Lage sind, Warenangebote ausreichend kritisch zu beurteilen, und dass sie aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung den Risiken und Verlockungen der Werbung eher unterliegen als Erwachsene (...). Insoweit teilt der Senat allerdings nicht die Ansicht des Landgerichtes, dass ein Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt generell und damit ohne weitere Betrachtung des Einzelfalles vorliegt, wenn sich eine Gewinnspielkopplung an Kinder und Jugendliche richtet. (...) Da die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern mit der UGP-Richtlinie auf Unionsebene vollständig harmonisiert wurden, darf das nationale Recht insoweit keine strengeren Regelungen treffen. Somit ist auch bei einer Gewinnspielkopplung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, eine Betrachtung des Einzelfalles Für die vom Senat geforderte erforderlich. Zu diesen Prüfung an den Umständen Umständen des Einzeldes Einzelfalles wird hier zunächst falles gehören unter andedie Prüfsystematik vorgestellt und rem die Höhe des ausgedann die Prüfung vorgenommen. lobten Gewinnes sowie die Art und Weise der Darstellung der Teilnahmebedingungen und der Gewinnchancen. (2) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist der streitgegenständliche Werbespot als unlauter zu beurteilen, weil er in seiner konkreten Ausgestaltung geeignet ist, Kinder und Jugendliche in übertriebener Weise anzulocken, so dass die Rationalität ihrer Kaufentscheidung völlig in den Hintergrund tritt. Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass es sich bei Gewinnspielkopplungen nicht um eine allgemein im Geschäftsverkehr etablierte und gängige Werbeform handelt. Vielmehr waren sie bis vor kurzem stets unzulässig. Von einer Gewöhnung an diese Art der Werbung kann daher – anders als etwa bei Sammelaktionen (vgl. BGH GRUR 2009, 71 Tz. 15 – Sammelaktion für Schoko-Riegel) – nicht ausgegangen werden. Auch wenn nicht verkannt wird, dass Kinder an neuartige Werbeaktionen herangeführt werden sollten, um sie auf das alltägliche Marktgeschehen in der Welt der Erwachsenen vorzubereiten, sind an die Zulässigkeit von Gewinn- 2/2013 Recht und Rechtsprechung spielkopplungen gegenüber Kindern – insbesondere hinsichtlich der Transparenz und der Darstellung der Gewinnchancen – erhöhte Anforderungen zu stellen. Diesen erhöhten Anforderungen wird die Werbung der Fa. H nicht gerecht, weil eine Verbindung zwischen der Menge des Wareneinkaufs und der damit zusammenhängenden Gewinnchancen nahegelegt wird, die in der suggerierten Form nicht besteht. Zwar trifft es zu, dass sich grundsätzlich die Gewinnchancen erhöhen, je mehr Waren man einkauft. Allerdings muss bei der Beurteilung der eigenen Gewinnchancen berücksichtigt werden, dass der Appell an alle Adressaten des Werbespots geht. Erhöhen diese ihren Einkauf und werden dementsprechend insgesamt mehr Einkaufsbelege eingesandt, sinken die Gewinnchancen des Einzelnen. (...) Auch wenn man sicherlich nicht verlangen kann, dass eine solche Wechselwirkung in einem Werbespot offengelegt wird, stellt es doch einen Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt dar, wenn sie – wie hier – verschleiert wird durch die Szene, in der der kleine blonde Junge sagt: »Aber U, wir haben aber viel größere Gewinnchancen« und X dies bestätigt mit »Da hat er Recht«. Durch die Mutter, die im Anschluss an den Dialog den Einkaufswagen mit Produkten der Fa. H volllädt, wird diese Aussage ein weiteres Mal mit Bildern unterstrichen. Ein durchschnittlicher Minderjähriger wird nunmehr eine Korrelation zwischen Mehreinkauf und Gewinnchance annehmen, die der Realität nicht entspricht. Berücksichtigt man schließlich, dass Kinder und Jugendliche die gewünschte Erhöhung der Gewinnchancen durch den Einsatz von jeweils 5 Euro und damit durch Einsatz ihres Taschengeldes zu realisieren in der Lage sind, besteht die Gefahr, dass sie zu einem Kauf über Bedarf veranlasst werden. Somit ist Werbung auch geeignet, das wirtschaftliche Verhalten eines durchschnittlichen Minderjährigen wesentlich zu beeinflussen. (…) Anmerkung Vom Gericht wird eindrücklich dargelegt, dass Werbebeschränkungen aus Jugendschutzüberlegungen nicht schon dann entfallen dürfen, wenn sich eine Werbung auch an Erwachsene richtet. Gleichzeitig nennt es Kriterien, wodurch eine Abgrenzung zur reinen Werbung für Erwachsene erfolgen kann. 2/2013 Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken! Die Herangehensweise an Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche richtet, scheint abgewandelt dem Lebensmotto »Wasch mich, aber mach mich nicht nass!« zu folgen. Dieses Problem zieht sich durch die gesamten einschlägigen Schutzvorschriften. Auch nach der vorliegenden Entscheidung scheint dieser Zwiespalt auf, weil von der einen Seite stärkere Schutzmaßnahmen und von der anderen Seite freie Werbemöglichkeiten gefordert werden. Die hier gefundene Lösung mag spitzfindig wirken, ist aber gleichwohl als integrativer Ansatz geeignet: Werbung soll in ihrer Wirksamkeit nicht beschränkt werden, aber die Minderjährigen nur zu einem ihrem Bedarf entsprechenden Kauf anregen. Der Werbung bleibt beispielsweise weiterhin die Möglichkeit die Vorzüge eines Produkts anzupreisen, etwa: »Wenn du Süßigkeiten kaufst, dann kauf diese und nicht jene!« oder »Dann kauf unsere, sie schmecken am Besten!«. Eine Besonderheit, die auch im vorliegenden Verfahren aufscheint, liegt darin, dass nicht etwa ein getäuschter Endverbraucher sich gegen die Werbung wendet, sondern die Einhaltung oder Nichteinhaltung von Jugendschutzvorschriften im Wettbewerb eine Rolle spielt. Nur solange der Wettbewerb funktioniert – und nicht etwa ein Kartell gebildet wird – wird auch frühzeitig und nachhaltig auf die Einhaltung der im Wettbewerbsrecht verankerten Jugendschutzvorschriften hingewirkt werden. Abschließend soll noch erwähnt werden, dass der ausgestrahlte Werbespot auch im Lichte des JMStV problematisch sein könnte. § 6 Abs. 4 JMStV enthält folgende Verbotsalternative: Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche richtet, darf nicht deren Unerfahrenheit ausnutzen. Die Jugendschutzrichtlinien der Landesmedienanstalten (Ziff. 7.4.) nennen hierzu den Einsatz aleatorischer Werbemittel (Verlosungen o.Ä.) in der Form, dass ein Irreführen vorliegt. Dies wäre nach den Ausführungen des Urteils wahrscheinlich zu bejahen, so dass der Werbespot wohl – unabhängig von der Sendezeit – so nicht hätte gesendet werden dürfen. Hier fehlen allerdings im Jugendmedienschutz vermutlich vielfach die genauen Kenntnisse der im Wettbewerbsrecht entwickelten Maßstäbe. KJug 65 Roll • Gesetz und Gesetzgebung Gesetz und Gesetzgebung Zu der vom Gesetzgeber diskutierten Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, mit der die Teilung von Elternzeit zwischen Eltern Elternzeit und Großeltern erleichtert werden soll, hat der Deutsche Verein Stellung genommen und insgesamt eine stärkere Integration der verschiedenen familienpolitischen Instrumente eingefordert (NDV 1/2013, S. 8-11). Sorgerechtsreform Zur Sorgerechtsreform gibt es weitere Stellungnahmen (Braunbeck, DRiZ 11/2012, S. 341; Holldorf, ZKJ 12/2012, S. 475-477; Mandla, ZRP 8/2012, S. 247-250). Das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes ist zum 28.12.2012 in Kraft getreten (BGBl. I 2012, S. 2479). Es hat die im Heft 1/2013 skizzierte DeBeschneidung batte zu einem vorläufigen Abschluss gebracht, indem es Zulässigkeitsvoraussetzungen rechtlich in § 1631 d BGB normiert hat. Eine Übersicht über die gesetzliche Regelung gibt Prof. Dr. Stephan Rixen von der Universität Bayreuth in: NJW 5/2013, S. 257-262. Rechtsprechung Nach Feststellen einer erst im Erwachsenenalter ausbrechenden Krankheit mit hohem Vererbungsrisiko besteht kein Recht die geschiedene Ehefrau des Patienten wegen der bei ihr lebenden Kinder zu informieren, weil eine medizinische Information der Minderjährigen nicht zulässig ist und die Mutter so keine Handlungsoption hat. Die Entscheidung des OLG Koblenz (Beschl. v. 01.02.2012, Az. 5 W 63/12) zu einer aufgedrängten Information ist Prädiktive auch Gegenstand des Aufsatzes von Gendiagnostik Prof. Dr. Reinhard Damm »Prädiktive Gendiagnostik im Familienverband und Haftungsrecht« (MedR 11/2012, S. 705-710); dabei wird ausgeführt, dass Maßstab eigentlich die fehlende Einwilligungsfähigkeit eines jungen Menschen sein müsse, deren Wegfall spätestens mit der Volljährigkeit vorliege, aber auch schon früher eingetreten sein könne. Das OLG Hamm ist der Auffassung, dass 15-Jährige noch nicht grundsätzlich die nötige Reife Datenspeicherung haben, um eine Einwilligung zur Datenspeicherung zu Werbezwecken in ihrer Tragweite zu verstehen. Sie würden bei einem Gewinnspiel einer Krankenkasse, das gleichzeitig die Daten abfragt, durch den Gewinnanreiz verlockt, 66 K Jug Recht und Rechtsprechung weshalb eine Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich sei (Urt. v. 20.09.2012, Az. I-4 U 85/12). Pornografie kann auch vorliegen, wenn ein unbebilderter Text verbreitet wird; dementsprechend sind bei einem Online-Shop für Pornografie Latexbekleidung, der mit pornografischen Begleittexten geworben hat, die Beschränkungen des JMStV zur geschlossenen Benutzergruppe zu beachten (VG München, Urt. v. M 17 K 11.6112, vgl. auch www.jurablogs.com). Wenn eine Sendung erst nach ihrer Ausstrahlung bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen vorgelegt wird, gilt das Haftungs- Freiwillige Selbstprivileg des § 20 Abs. 3 JMStV nicht – kontrolle Fernsehen Ausnahme Livesendungen (VG Berlin, Urt. v. 25.09.12, Az. VG 27 A 248.08). Gleichzeitig wurde ausgeführt, dass sich auf das Haftungsprivileg auch sonst nur der konkret vorlegende Veranstalter berufen dürfe und dass eine Beanstandung aus einer gleichzeitig zu erlassenden Behebensund Unterlassungsaufforderung bestehe. Eine Freiwillige Selbstkontrolle bei Telemedien ist vor einer Maßnahme, die sich gegen eines ihrer Mitglieder richten soll, mit der Freiwillige Angelegenheit zu befassen (§ 20 Abs. 5 Selbstkontrolle JMStV); dabei tritt ein Verlust der Haf- bei Telemedien tungsprivilegierung wegen Überschreiten des Beurteilungsspielraums ein, wenn sich die Selbstkontrolle nur auf die beispielhaft benannten Angebotsteile (hier Teletextseiten) beschränkt und nicht das Angebot als Ganzes beurteilt hat (VG München, Urt. v. 11.10.12, Az. M 17 K 10.6273). Der Antrag eines Jugendamtes nach § 8a Abs. 3 SGB VIII wegen des fehlenden Nachweises von Früherkennungsuntersu- Früherkennungschungen kann nicht im verwaltungsge- untersuchungen richtlichen Eilverfahren angefochten werden, sondern ist Prüfungsgegenstand des dadurch eröffneten familiengerichtlichen Verfahrens (VG Frankfurt/Main, Beschl. v. 11.05.12, Az. 7 L 1079/12). Bei einem Aufenthalt von Kindergartenkindern im Außenbereich ist eine engmaschige Kontrolle erforderlich; dies gelte umso mehr, wenn durch dort vorhandene Kieselsteine eine Haftung von KinderGefahrsteigerung bestehe. Da die Erzie- gartenerziehern herinnen keine Kontrolle der Kinder in regelmäßigen Abständen von wenigen Minuten belegen konnten, wurde ihre Haftung für die Beschädigung eines Autos durch darauf geworfene Stein- 2/2013 Recht und Rechtsprechung chen bejaht (OLG Koblenz, Urt. v. 21.06.12, Az. 1 U 1086/11). Die Frage, ob ein konfessionsloses Kind zweier geschiedener konfessionsloser Eltern, die gemeinsam das Sorgerecht ausüben, während der Grundschulzeit den Religionsunterricht und die Religionsunterricht Schulgottesdienste besuchen soll, ist von solcher Bedeutung, dass eine gemeinsame Entscheidung der Eltern erforderlich ist. Bei Nichteinigung kann das zur Entscheidung berufene Familiengericht die Frage des Kindeswohls an der Umfeldprägung und dem gewohnten Umgang des Kindes mit christlich geprägten Mitschülern orientieren (AG Monschau, Beschl. v. 30.05.2012 – 6 F 59/12 – n.rkr.). Der Rheinland-Pfälzische Verfassungsgerichtshof (Beschl.v. 13.07.2012 – VGH B 10/12) hat keinen Verfassungsverstoß darin gesehen, dass der Nichtbefolgung von einem Jugendgericht gegen eine jugendgerichtlicher 17-Jährige verhängte Ungehorsamsarrest Maßnahmen wegen Nichtbefolgung jugendgerichtlicher Maßnahmen vollstreckt wurde, obwohl der sorgeberechtigte Vater die Jugendliche in der Nichtbefolgung der Auflagen bestärkt hatte und ihr die Ableistung gemeinnütziger Arbeit quasi verboten hatte. Nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens, von dem der Vater zu Recht teilweise wegen ungerechtfertigter Störung ausgeschlossen war, haben das elterliche Erziehungsrecht und der Elternwille gegenüber der Durchsetzung der staatlichen Ordnung zurückzutreten. Schrifttum Mitbestraft? Die Rechte von Kindern inhaftierter Eltern [Darstellung der internationalen und nationalen Situation insbesondere im Hinblick auf Empfehlungen eines UN-Ausschusses zur Schaffung von weiteren Haftalternativen] von Dr. Sabine Skutta in: NDV 11/2012, S. 532-537. Gaming – Rechtliche Risiken und Möglichkeiten für Spieleanbieter in Deutschland [Kurzer Leitfaden durch wichtige Themen des Urheberrechts und Jugendmedienschutzrechts] von Christian Kuß und Karin Schmidtmann in: K&R 12/2012, S. 782-787. Tatbestände der Jugendgefährdung [Übersicht über das Stufensystem der Gefährdungsgrade, die im Gesetz geregelten Beispielsfälle und weitere Themenfelder der Spruchpraxis der BPjM] von Dr. Marc Liesching in: BPJM-Aktuell 4/2012, S. 4-9. 2/2013 Roll • Gesetz und Gesetzgebung Kindheit, Kinderrechte und Kinderschutz in sich wandelnden Familienwelten [Kindheitsmodelle und empirische Daten werden mit aktuellen Themen des Kindeswohls und den zugehörigen Rechtsgrundlagen zu einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt] von Prof. Dr. Jörg M. Fegert in: ZKJ 11/2012, S. 418-426. Elternumzug (Relocation) und Kindeswohl [An zwei Beispielen werden die Probleme aufgezeigt, die beim Umzug eines getrennt lebenden, sorgeberechtigten Elternteils ins Ausland auftreten, und Ansätze der Problemreduzierung erwogen] von Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen in: ZKJ 1/2013, S. 4-5. Zum »Unternehmen der Ausfuhr von Gewaltdarstellungen« nach § 131 Abs. 1 Nr. 4 StGB [Diskussion, ob der Schutzbereich dieser Vorschrift nur eröffnet sei, wenn die Ausfuhr zum Zwecke einer (elektronischen) Verbreitung nach Deutschland erfolge] von Prof. Dr. Heribert Schumann in: AfP 4/2012, S. 348350. Empfehlungen des Deutschen Vereins zu Führungszeugnissen bei Neben- und Ehrenamtlichen in der Kinder- und Jugendhilfe (§ 72 a Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII) [Abhandlung der verschiedenen Faktoren, die ein solches Führungszeugnis erforderlich machen, ergänzt um eine Orientierungshilfe in Form eines Flussdiagramms] in: NDV 11/2012, S. 517-524. Grundrechtlicher Schutz der Ehre im Internetzeitalter [Darstellung der verschiedenen Rechtsgrundlagen zum Schutz der Ehre einer Person sowie der erforderlichen Abwägung mit der Meinungsfreiheit, ohne jedoch auf die besondere Situation Minderjähriger einzugehen] von PD Dr. Andreas Glaser in: NVwZ 22/2012, S. 1432-1438. Der begleitete Umgang im Spannungsfeld zwischen Jugendhilfe und Familiengericht [Kurze Darstellung der Praxis in Berlin unter Betonung der Steuerungsverantwortung der Jugendhilfe nach § 36 a SGB VIII] von Dr. Cornelia Holldorf und Uta v. Pirani in: ZKJ 10/2012, S. 385-387. Sigmar Roll (Zuschriften bitte an die Redaktion der KJug) Autor Psychologe/Jurist Richter am Bayerischen Landessozialgericht Zweigstelle Schweinfurt Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz - KJM KJug 67 Kinderschutz-Aktuell Service Kinderschutz-Aktuell Jörg M. Fegert, Miriam Rassenhofer, Thekla Schneider, Alexander Seitz, Nina Spröber Sexueller Kindesmissbrauch Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen Weinheim und Basel 2013. 318 Seiten. Beltz Juventa troffenen sexuellen Missbrauchs (20.000 Anrufe, davon über 10.000 tatsächlich geführte Gespräche – insgesamt 11.426 Datensätze, von denen 6.754 statistisch verwertbar waren und ausgewertet wurden). Vordergründiges Ziel war die Erweiterung von Wissen und Verständnis über die Dynamik sexuellen Missbrauchs sowie die Bewältigung und Verarbeitung dieser Erfahrungen durch die Betroffenen. »Ich habe nie geglaubt, dass mir jemals zugehört wird.« Mit der Einrichtung des Runden Tisches »Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeitsund Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich«, nahm im März 2010 zugleich die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs Frau Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin a.D. ihre Arbeit auf. (Im Dezember 2011 übernahm Johannes-Wilhelm Rörig die Aufgaben des Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs.) Im Rückblick der amtierenden Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder »haben alle Beteiligten mit viel Energie Vorschläge sowie konkrete Maßnahmen und Gesetzesvorhaben zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt erarbeitet« (S. 9). Mit der Publikation »Sexueller Kindesmissbrauch – Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen« liegt nun ein umfassendes Werk vor, welches die Begleitforschung vorwiegend der telefonischen Anlaufstelle darstellt. Bestandteil dieser anderthalb jährigen Forschung war die Sammlung von Erfahrungen und Botschaften von mehreren Tausend Be- 68 K Jug So wird innerhalb des Bandes ein sehr kompetenter einleitender Überblick über das Thema des Sexuellen Missbrauchs gegeben und zugleich aufgezeigt, inwieweit Möglichkeiten der Intervention bei sexuell missbrauchten Kindern bestehen. Nach der Beschreibung des Aufarbeitungsprozesses (ab 2010) sowie der methodologischen Grundlagen der wissenschaftlichen Begleitforschung, erfolgt die Ergebnisdarstellung, deren Diskussion sowie die Aufzeigung abgeleiteter Konsequenzen und Schlussfolgerungen für das Beratungswesen und die Kinder- und Jugendhilfe. So wird vor allem deutlich, dass etwaige Ergebnisse für die Weiterentwicklung des Beratungswesens bzw. von Beratungsangeboten herangezogen werden können. Diese sollen nun im Folgenden detaillierter thematisiert werden, da sie für die Praxis als besonders interessant einzuschätzen sind und zudem auch zeitnah umsetzbar erscheinen. Gleichzeitig wurde auch innerhalb der Ergebnisanalyse festgehalten, dass »neben den therapeutischen Angeboten (…) für viele Betroffene von sexuellem Missbrauch Beratungsstellen eine bedeutsame Hilfe [darstellen]« (S. 145). Zugleich die Betroffenen jedoch auch äußerten, dass Erfahrungen bestehen, dass die Nachfrage vorhandene Angebote übersteigt und zu wenige spezialisierte Beratungsstellen bzw. Angebote vorgehalten werden. So wird vorwiegend gefordert diese besser und sicherer zu finanzieren, ausgeprägte Öffnungszeiten zu garantieren, eine bessere und niedrigschwellige Erreichbarkeit zu gewährleisten sowie die Arbeit der Beratungsstellen allgemein intensiver zu fördern. Es fehle demnach auch an spezifischen Einrichtungen für ältere Betroffene, männliche Be- troffene und Betroffene in den ländlichen Regionen und Städten. »Betrachtet man die Angaben gerade der älteren Betroffenen, dass sie häufig Hilfe bei Hausärztinnen/Hausärzten gesucht haben, wird es wahrscheinlich auch nötig sein, eine stärkere Verschränkung spezifischer Beratungsangebote mit primären Erstversorgern im Gesundheitswesen zu bewirken. Gerade solche Netzwerke könnten nicht nur die Hürde zur Inanspruchnahme durch ältere Personen, sondern auch die Probleme des Stadt-Land-Gefälles in der Zugänglichkeit teilweise mit lösen.« (S. 270) Weiterhin sind auch spezialisierte Angebote und Einrichtungen von Nöten, da die Betroffenen in diesen auf ein fachliches Grundverständnis stoßen und die Hilfesuche dadurch zielorientierter verläuft. Hervorzuheben ist auch eine noch stärkere und intensivere Vernetzung der Einrichtungen, so dass den Betroffenen adäquat und unterstützend ggf. andere Hilfeangebote unterbreitet werden können. Zusammenfassend gesehen, sind vor allem die gewählten Zeugnisse, Botschaften und von den Betroffenen berichteten Erfahrungen erschütternd, eindrücklich und aufwühlend, zugleich entgegnen damit alle Betroffenen einer Tabuisierung und tragen zu einem offenen Umgang mit der Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs bei. Der vorliegende Band ist insbesondere durch die Aufzeigung vielfältiger Perspektiven sehr zu empfehlen, da es den Autorinnen und Autoren hervorragend gelingt die Betroffenen und deren Angehörige zu Wort kommen zu lassen. Tim Wersig Soz.-Pädagoge/Soz.-Arbeiter Promovend an der Universität Kassel Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2/2013 Service Jugendschutz-Aktuell Jugendschutz-Aktuell Peter Martin Thomas, Marc Calmbach Jugendliche Lebenswelten Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft Heidelberg 2012. 344 Seiten. Springer Spektrum Milieus, Ästhetisierung, Selbstsozialisation Spekulative Anregungen für die Konzeptualisierung von Kinder- und Jugendschutz Jugendpolitik und -schutz bedürfen neben aktuellen Informationen zu einzelnen Risikokonstellationen auch darüber hinausgehenden Wissens über »die Jugend« und Segmente der Jugendpopulation. Üblicherweise unterscheiden die großen Jugenduntersuchungen dabei nach Geschlecht, ethnischer Herkunft und sozioökonomischen Ressourcen. Wie in der allgemeinen soziologischen Sozialstrukturanalyse beginnt sich daneben der Trend abzuzeichnen, Modelle der jugendlichen Bevölkerung zu zeichnen, die neben der vertikalen Struktur der ökonomisch-bildungsbezogenen Ressourcen weitere »horizontale« Aspekte heranziehen wie Werte und Orientierungen. Ein prominenter Ansatz ist das »SinusMilieu-Modell«, das in vielen Feldern, von der Marktforschung bis hin zur Religionssoziologie, angewandt worden ist und nun auch in der Jugendforschung Fuß gefasst hat. Dazu liegen zwei aktuelle Publikationen vor: Während in Calmbach u.a. (2012) »Wie ticken Jugendliche« ohne große Bezugnahme auf die Jugendforschung der opulente Prachtbogen heutiger Milieus von Jugendlichen, augenscheinlich unterstützt durch Grafiken und Bildmaterial ausgebreitet wird, liegt mit Thomas/Calmbach (2012) ein Sachbuch vor, das ein Bild der aktuellen Lebenswelten zeichnet und dabei dann Querbezüge zu anderen Forschungen zumindest anklingen lässt. In 18 Kapiteln wird der Frage nachgegangen, welche Ressourcen Jugendliche heute aufweisen, in welchen Lebenswelten sie zuhause sind und wie ihre Chancen und die sich ihnen stellenden Herausforderungen von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen beeinflusst werden. Grundlage ist dabei die 2012er Studie, deren Einsichten angereichert und interpretiert werden durch ein interdisziplinäres Bouquet von Interpretations- und Vertiefungsperspektiven. In der Einleitung nennen die Herausgeber 2/2013 und Initiatoren der Studie, Peter Martin Thomas und Marc Calmbach den aus ihrer Sicht gewichtigsten Grund für die Popularität des Milieumodells: Es knüpfe an die Praxiserfahrungen an, lasse sich mit dem Fachwissen gut verbinden und sei gut umzusetzen. Dies ist auch der erste Ansatzpunkt für Zwecke des Jugendschutzes: Für bestimmte Inhaltsbereiche lohnt es sich, anhand von auffällig kontrastierenden Jugendmilieus Kampagnen und Maßnahmen zumindest konzeptionell je differentiell auf den Weg zu bringen: Gerade im mittleren Bereich der Sinus-Lebenswelten (S. 41) befinden sich beispielsweise mit den »Sozialökologischen« und den »AdaptivPragmatischen« zwei werte- und einstellungsmäßig differente Jugendgruppierungen, die je unterschiedlich auf bestimmte Angebote reagieren sollten. In der Bündelung der Beiträge wird über diesen Zielgruppenaspekt eine grundlegende Dimension heutigen Jungseins zu Recht markant herauspräpariert: Umschrieben mit dem Etikett »Ästhetik und Marken« sind die Autoren dabei auf den Spuren eines grundlegenden Wandels der Identitätsbildung, der in anderen Strömungen der Jugend- und Sozialisationsforschung auch mit dem Begriff des »Performativen« gefasst wird. Gemeint ist die auf die Ausführung von bestimmten Handlungen vor unterschiedlichen Publika (das eigene Selbst, die Peers, die allgemeine Öffentlichkeit z.B. in Facebook) bezogene Nutzung von Marken und Kleidung im Sinne einer Präsentation des Selbst. Gerade in der Sozialarbeit und der Schulpädagogik wird der gesamte daran hängende Komplex nicht selten als Problem identifiziert, dem man dann mit einer »Konsumerziehung« Herr werden will. Dass ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt sein muss, dies belegen die instruktiven Artikel von Matthias Sellmann sowie von Sven Reinecke und Felicitas Manger: Ersterer versteht es, die sperrige Redeweise von der »Ästhetisierung jugendlicher Lebenswelten« herunterzubrechen und zu zeigen, dass »Ästhetisches« eben kein Sahnehäubchen auf der Oberflächenpolitur jugendlicher Lebenswelten darstellt, sondern eine Grundierung ihres Verhaltens- und Erlebnishaushaltes. Subtil herausgearbeitet wird: So sehr die Ästhetisierungen von Outfit, Mediengenuss und -performance als individuelle Bricolagen zu verstehen sind, so sehr sind sie immer auch eingewoben in allgemeine Gruppen- und Milieubezüge. Ferner unterstreicht der Professor für Pastoraltheologie, wie stark Jungsein heute orchestriert wird durch den »iconic turn«, also die Dominanz des Bildlichen über das lineare Schriftliche. Konkretisiert wird dies durch Sven Reinecke und Felicitas Manger, die den sozial-kommunikativen Stellenwert von Marken in der Lebenswelt von Jugendlichen abzirkeln. Marken liefern Orientierung und Identität; sie werden zu Begleitern des Selbst in der gesamten Jugendphase. Aus dieser überragenden Bedeutung folgern die Autoren richtigerweise bei den Marketingverantwortlichen ein erhöhtes Bewusstsein dafür, diese Markenbindung und -treue durch ethisch einwandfreie Unternehmens- und Marktführung zu basieren – und nicht zu instrumentalisieren, wie man hinzufügen möchte! Marc Calmbach und Silke Borgstedt beziehen sich ergänzend auf die Fähigkeiten und Potenziale Jugendlicher, die Bedeutungsangebote aus dem ästhetisierten Alltag und andere Symbolvorräte in eigensinnigen Lesarten, sich anzueignen und durchaus auch in verwertbare Kompetenzen zu übersetzen. Damit können vielfältigste Potenziale von Jugendlichen aus ihrer Unsichtbarkeit geholt werden. KJug 69 Service Neben der Zielgruppenansprache und dem Nachweis der überragenden Bedeutung von Marken und Ästhetik jenseits der Verführungsthese sei ein dritter Bezugspunkt des facettenreichen Werkes für Belange des Kinder- und Jugendschutzes aufgezeigt: Wir leben unbestritten in Zeiten des »Bildungshypes«. Bildungspolitik, so hat man den Eindruck, wird unter der Hand zur neuen Sozialpolitik: Man hofft, »die gute Bildung« verschaffe auf lange Sicht jedem »Willigen« eine auskömmliche Arbeitsstelle. Gegenüber einem solchen verkürzten Bildungsverständnis bestechen die Überlegungen von Peter Martin Thomas und Erik Flügge unter dem Motto »Lernen kann man überall«. Sie argumentieren vollkommen stringent, dass die subjektive Perspektive der Jugendlichen, ihre Bildungsbiographie der Ausgangspunkt sein muss für jegliche Gestaltung von Bildungsorten und Bildungsmaßnahmen. Und sie weisen vollkommen zu Recht darauf hin, dass Schule der zentrale Lernort bleiben wird. Nimmt man dann die obigen Ausführungen zur Relevanz von Ästhetisierung, neuem popkulturellem Kapital und Selbstsozialisation aber ernst, dann müssen die Lehrkräfte genau für diese Dimensionen heutigen Jungseins sensibilisiert werden, was auch bedeutet, Jugendliche anzuerkennen ob ihres Spezialwissens in bestimmten »populären« Bereichen. Und Lehrer und Lehrerinnen müssen lernen, sich auf ihre Rollen zu begrenzen. Zudem darf Schule, auch und gerade Ganztagsschule, die genuinen Lebenswelten von Jugendlichen nicht kolonialisieren und den jungen Menschen Raum lassen, sich vor Ort andere Bildungsgelegenheiten zu erschließen. Dadurch wird insgesamt eine Vielfalt von zusätzlichen Kompetenzen möglich, und zwar für Jugendliche aus allen Milieus, was einen allgemeinen Beitrag zum Jugendschutz darstellt. Professor Dr. Andreas Lange Hochschule Ravensburg Weingarten, Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege Literatur/Mediendienst Zeitschriftenartikel Internet Filk, Christian; Schauer, Hanno: »Generation Facebook?!« Erkenntnisse zur Nutzung sozialer Medien durch 14- bis 18-Jährige. In: merz. medien + erziehung 1/2013. S. 57-63 www.werberat.de Wenn Texte, Bilder und Töne in der Werbung zum Beispiel Menschen herabwürdigen oder diskriminieren, Kinder oder Jugendliche unzulässig bedrängt werden, Gewalt verherrlicht oder verharmlost wird oder religiöse Empfindungen verletzt werden – dann ist die Grenze zwischen Erträglichem und Unsäglichen überschritten. Der Deutsche Werberat hat Grundregeln und spezielle Verhaltenskodizes für besonders sensible Schutzbereiche aufgestellt. Hasebrink, Uwe; Lampert, Claudia: Onlinenutzung von Kindern und Jugendlichen im europäischen Vergleich. Ergebnisse der 25-Länder-Studie »EU Kids Online«. In: Media Perspektiven 12/2012. S. 635-647 Henninghausen, Christine; Schwab, Frank: Der König der Löwen in der Falle. Kinder zwischen Spannungs- und Angsterleben während der Medienrezeption. In: tv diskurs 1/2013. S. 42-45 Kindler, Heinz: Eltern und die Prävention von sexueller Gewalt. In: IzKK-Nachrichten 1/2012. S. 5-10 Liesching, Marc: Sexuell-orientierte Medien im gesetzlichen Jugendschutz – eine Übersicht. In: JugendMedienSchutz-Report 6/2012. S. 2-5 Schmidt, Andrea: »Drama Baby…« Über den Zusammenhang von Castingshows, Sexismus und der Farbe Pink. In: unsere jugend 1/2013. S. 35-41 Stein, Margit: Lebenslagen und Lebenswelten Jugendlicher in ländlichen Räumen. In: deutsche jugend 2/2013. S. 75-83 70 K Jug www.vzbv.de / www.surfer-haben-rechte.de Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vertritt die Interessen der Verbraucher gegenüber Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Im Rahmen des Projektes »Verbraucherrechte in der digitalen Welt« wurden insgesamt 52 Internetauftritte für Kinder untersucht. Auf jeder zweiten geprüften Kinderspielseite gab es Probleme mit der Werbung. Aktuelle Titel/Broschüren Heinen, Julia: Internetkinder. Eine Untersuchung der Lebensstile junger Nutzergruppen. Leverkusen 2012. 269 Seiten. EUR 28,80. ISBN 978-3-86388-021-7 Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich nach und nach ein neues Medium im Kinder- segment etabliert: das Internet. Wie nutzen Kinder dieses Medium? Wie kommen unterschiedliche Präferenzen beim Internetgebrauch von Kindern zustande? Und welche Typen der jungen Internetnutzer können unterschieden werden und wie? Die Autorin analysiert Publikumssegmente von kindlichen Internetnutzern und entwickelt eine Nutzertypologie. Die Besonderheit dieser Typologie liegt darin, dass die Segmentierung der jungen »User« auf Lebensstilmerkmalen basiert. Gadow, Tina; Peucker, Christian; Pluto, Liane; Santen, Eric; Seckinger, Mike: Wie geht´s der Kinder- und Jugendhilfe? Empirische Befunde und Analysen. Wiesbaden 2013. 374 Seiten. EUR 29,95. ISBN 978-37799-2887-4 Die Kinder- und Jugendhilfe ist konfrontiert mit sich wandelnden Lebenslagen ihrer Adressaten, mit Novellierungen von rechtlichen Regelungen (SGB VIII) und veränderten gesellschaftlichen Erwartungen an den Handlungsauftrag ihrer Dienste und Einrichtungen. Bleibt die Kinder- und Jugendhilfe angesichts dieser Entwicklungen ihrem fachlichen Selbstverständnis und ihren eigenen Standards treu? Die vorliegenden, empirisch fundierten Analysen der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe gehen diesen Fragen nach und schaffen eine Grundlage für Diskussionen in Praxis, Fachpolitik und Wissenschaft. Die Beiträge geben auf der Grundlage der fünften bundesweiten Erhebung des Deutschen Jugendinstitutes bei öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und 2/2013 Service Jugendhilfe in den Arbeitsfeldern Jugendamt, Jugendarbeit, Kindertagesbetreuung, Hilfen zur Erziehung einen gebündelten Überblick zu Entwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe. befragt. Die Ergebnisse liefern ein differenziertes Bild zu einer Vielzahl von Indikatoren der Gesundheit und des gesundheitsrelevanten Verhaltens und bieten Ansatzpunkte für eine zielgruppengerechte Prävention und gesundheitliche Versorgung. Kolip, Petra; Klocke, Andreas; Melzer, Wolfgang; Ravens-Sieberer, Ulrike (Hrsg.): Gesundheit und Gesundheitsverhalten im Geschlechtervergleich. Ergebnisse des WHO-Jugendsurveys »Health Behaviour in School-aged Children«. Weinheim 2013. 248 Seiten. EUR 29,95. ISBN 978-3-77991984-1 Krüger, Heinz-Hermann; Deinert, Aline; Zschach, Maren: Jugendliche und ihre Peers. Freundschaftsbeziehungen und Bildungsbiografien in einer Längsschnittperspektive. Leverkusen 2012. 292 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-3-86649-460-2 Das Geschlechterverhältnis ist im Wandel und lässt sich auch an der Gesundheit und dem Gesundheitsverhalten im Jugendalter beobachten. Noch vor wenigen Jahren galten Mädchen ab der Pubertät als das Geschlecht, das im gesundheitlichen Wohlbefinden stärker beeinträchtigt und unzufriedener mit dem Körper ist. Jungen hingegen waren diejenigen, die sich gesundheitsriskanter verhielten. Heute finden wir in vielen Bereichen eine Angleichung der Geschlechter. Der Band präsentiert die Ergebnisse der jüngsten Welle des Jugendgesundheitssurveys Health Behaviour in School-aged Children (HBSC). 2009/2010 wurden in Deutschland 5.000 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 11 und 15 Jahren Welche Rolle spielen Peers im Leben von Jugendlichen? Welchen Einfluss haben Freunde/ Freundinnen auf schulische Bildungskarrieren? Der Band präsentiert Ergebnisse einer qualitativen Längsschnittstudie, die den sich wandelnden Stellenwert von schulischen und außerschulischen Freundschaftsgruppen für die Bildungsbiografien von Jugendlichen vom Beginn bis zum Ausgang der Sekundarstufe I untersucht hat. Die Studie verbindet die Forschungslinien der Kindheits-, Jugend- und Schulforschung. Untersucht wurde der Wandel des Stellenwertes von schulischen und außerschulischen Peerbeziehungen und -orientierungen für schulische Bildungsbiografien bei 11- bis 15-Jährigen. Schickhardt, Christoph: Kinderethik. Der moralische Status und die Rechte der Kinder. Münster 2012. 299 Seiten. EUR 29,80. ISBN 978-3-89785-789-6 Ist das Recht eines Säuglings auf Leben und Gesundheit dem entsprechenden Recht eines Erwachsenen gleich zu achten? Können Säuglinge und Kleinkinder, die gar nicht verstehen, was Rechte sind, überhaupt Rechte haben? Ist es richtig, dass eine Mutter ihrer noch minderjährigen schwangeren Tochter eine Abtreibung untersagen kann? Derartigen Fragen und den zu ihrer fundierten Erörterung notwendigen moralphilosophischen Grundlagen ist das Buch gewidmet. Die Ausarbeitung eines systematischen Rahmens für die Erörterung ethischer Fragen, die Kinder betreffen, nimmt ihren Ausgang bei einer kritischen Darlegung der Stellung von Kindern im deutschen Rechtssystem. Die zentralen Schwerpunkte bilden dann Ausführungen zur Metaethik der Rechte der Kinder, zum moralischen Status der Kinder, zum Begriff des Kindeswohls und zum Konflikt zwischen Paternalismus gegenüber Kindern und der Achtung kindlicher Selbstbestimmungsrechte. Ebenso werden Fragen des Elternrechts und der richtigen Verhältnisse zwischen Eltern, Kindern und dem Staat erörtert. Mitteilungen Aus Forschung und Wissenschaft: Kinder und (Online-)Werbung Werbliche Angebotsformen, crossmediale Vermarktungsstrategien und deren Rezeption durch Kinder Kinder beginnen immer früher das Internet zu nutzen und zu erkunden. Mit der Ausweitung ihres Surfraumes und ihrer Onlineaktivitäten kommen sie automatisch mit Onlinewerbung und anderen kommerziellen Inhalten in Berührung. Dabei ist bislang noch unklar, inwieweit und ab welchem Alter sie in der Lage sind, Werbung als solche zu erkennen und von nicht-werblichen Inhalten zu unterscheiden bzw. persuasive Botschaften zu identifizieren. Weitgehend unerforscht ist auch die Frage, inwieweit die Rezeption kommerzieller Kommunikation bei nur graduell vorhandener Werbekompetenz eine freie und unbeeinträchtigte kindliche Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen kann und welche Anforderungen die Interpretation und Bewertung kommerzieller Onlineinhalte an Grundschulkinder stellen. 2/2013 Das Projekt umfasst insgesamt fünf miteinander verschränkte Forschungsmodule: • • • • • Analyse ausgewählter Internetseiten im Hinblick auf vorfindbare Werbeformen und andere kommerzielle Kommunikationen Rechtliche Expertise zum Thema Kinder und Onlinewerbung Werberezeptionsstudie (Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren, Elternbefragungen zur Werbesozialisation und -erziehung, Peer-Analysen) Workshop mit Anbietern von Kinderinternetseiten Internationale Expertenbefragung zu medienpädagogischen Best-Practice-Ansätzen im Bereich der Werbekompetenzvermittlung Auf Basis der empirischen Befunde werden abschließend medienpädagogische Handlungsempfehlungen, rechtliche Regulierungsvorschläge sowie praxisorientierte Empfehlungen für die Anbieter zum Themenfeld Kinder und Onlinewerbung formuliert. Ansprechpartner: Dr. Claudia Lampert Hans-Bredow-Institut Hamburg Warburgstraße 8-10 20354 Hamburg www.hans-bredow-institut.de Förderer: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Laufzeit des Projekts: bis Mitte 2014 KJug 71 Service Jugendliche als Verbraucherinnen und Verbraucher in Sozialen Netzwerkdiensten Soziale Netzwerkdienste wie Facebook, Google+, Lokalisten etc. sind kommerzielle Angebote. Sie finanzieren sich über die Verschränkung ihrer Nutzungsoptionen mit verschiedenen Angebotsformen des Online-Marketing. So präsentieren sich z.B. zunehmend auch Unternehmen in Sozialen Netzwerkdiensten und nutzen deren Kommunikationsstrukturen und -funktionen, um mit angepassten Marketing- und Vertriebsstrategien auch Jugendliche zu erreichen. Soziale Netzwerkdienste erfreuen sich gerade bei Jugendlichen ab zwölf Jahren eines großen Zuspruchs und sind in hohem Maße in deren Alltag integriert. Bekannt ist, dass Jugendliche Soziale Netzwerkdienste aus Motiven der sozialen Einbettung sowie zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nutzen. Sie wollen sich ›dort‹ u.a. unterhalten und informieren. Bisher ist jedoch noch sehr wenig darüber bekannt, inwieweit Jugendlichen bewusst ist, dass sie in ihren Sozialen Netzwerkdiensten als Konsumentinnen und Konsumenten agieren und dabei mit Präferenzprofilen transparent werden oder sich gezielt auf ihre Person abgestimmten Werbe- und Konsumofferten zur Verfügung stellen. Die Ergebnisse der JIMStudie zeigen, dass gut die Hälfte der Jugendlichen vermutet, dass sich Soziale Netzwerkdienste über Werbung finanzieren (MPFS 2011, S. 53). Wenig Wissen liegt jedoch dazu vor, welche Handlungsweisen daraus resultieren und wie Jugendliche dies bewerten. Vielmehr liegen bislang Anhaltspunkte vor, dass Heranwachsenden der eigene Status als Verbraucher bzw. Kunde Sozialer Netzwerkdienste wenig präsent ist und sie ihre Handlungsweisen folglich nur unzureichend auf diese Rahmenbedingungen abstimmen können. Ein fundiertes Wissen darüber, welche konsum- und werbebezogenen Strukturen Jugendlichen in Sozialen Netzwerkdiensten begegnen, inwieweit sie den kommerziellen Charakter Sozialer Netzwerkdienste einschließlich der dort integrierten Werbestrategien und Konsumanreize erkennen, erleben und bewerten und wie sie diesbezüglich handeln, ist als Grundlage einer zielgruppenorientierten Verbraucherbildung jedoch unabdingbar. Ziel einer Studie des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis ist es, Grundlagen für eine auf Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren abgestimmte Verbraucherbildung mit dem Ziel eines sinnvollen und verantwortungsvollen Umgangs mit Sozialen Netzwerkdiensten zu schaffen. In der Studie werden sowohl die mediale Seite relevanter Sozialer Netzwerkdienste und deren kommerzielle Strukturierung wie auch das Wissen, die Vorstellungen und Handlungsweisen von jugendlichen Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Fokus genommen. Neben eigenen Erfahrungen der Jugendlichen mit unterschiedlichen Werbe- und Konsumangeboten wird dabei auch der Fokus auf das Wissen der Jugendlichen über den Verbraucherschutz in der digitalen Welt gerichtet. Im Ertrag des Projektes werden konkrete Handlungsempfehlungen für Einrichtungen des Verbraucherschutzes und der Verbraucherberatung in Bezug auf die Altersgruppe der 12- bis 16-jährigen Heranwachsenden formuliert. Diese werden als pädagogische Handreichungen für den Einsatz in den Feldern der Pädagogik und des Verbraucherschutzes zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen unter www.jff.de Rechtsextremismus hat viele Gesichter Zusatzmodul zum Lehrerhandbuch Der beste Weg zur Bekämpfung von rechtsextremen Inhalten ist die Information und Kommunikation über Gefahren, Risiken und mögliche Anlaufstellen. Um Rechtsextremismus auch im Netz nachhaltig zu bekämpfen und Kinder und Jugendliche davor zu schützen, ist die Diskussion im Unterricht wertvoll und ein sicherer Rahmen sich dem Thema gemeinsam zu nähern. Das Lehrerhandbuch bietet Lehrerinnen und Lehrern eine Hilfestellung, um das Thema im Unterricht gemeinsam zu erarbeiten und durch offene Kommunikation zu bekämpfen. Auf 88 Seiten findet sich gebündeltes Material, um das sensible Thema angemessen im Unterricht zu behandeln. Mit Arbeitsblättern, Praxisbeispielen und Information über die Bandbreite der rechtsextremen Inhalte gibt dieses Handbuch grundlegende Information sowie pädagogische Hilfestellung. Download unter www.klicksafe.de TERMINE APRIL 2013 18. Deutscher Präventionstag 22./23.04. Bielefeld • Deutscher Präventionstag • www.praeventionstag.de MAI / JUNI 2013 Raus aus den Windeln – rein in die Medienwelten? 07.05. Hannover • Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen • www.jugendschutz-niedersachsen.de Aktuelle Herausforderungen für Suchtbehandlung und -prävention 21.-24.05. Hamburg • 18. Suchttherapietage in Hamburg • Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung ZIS • www.suchttherapietage.de Fachberatung für Kindertagesbetreuung: Realitäten und Handlungserfordernisse bei der Umsetzung des Rechtsanspruches in 2013 23./24.05. Erkner bei Berlin • Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. • www.deutscher-verein.de Aktionswoche »Alkohol? Weniger ist besser!« 25.05.-02.06. bundesweit • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) • www.aktionswoche-alkohol.de 72 K Jug 2/2013 Anzeige Einführung zum Thema Jugendschutz Bruno W. Nikles Sigmar Roll Klaus Umbach Kinder- und Jugendschutz Eine Einführung in Ziele, Aufgaben und Regelungen 2013. 156 Seiten, Kart. 16,90 € (D), 17,40 € (A), ISBN 978-3-8474-0054-7 Ziel des Kinder- und Jugendschutzes ist die Vermeidung von gefährdenden Einflüssen auf die Entwicklung junger Menschen. Dazu sollen vielfältige rechtliche Regulierungen, erzieherische Konzepte und sozial-strukturelle Maßnahmen beitragen. Die Autoren vermitteln grundlegende Orientierungen, beschreiben Akteure und Organisationen und weisen den Weg zu Detailinformationen über einzelne Gefährdungsbereiche. Jetzt in Ihrer Buchhandlung bestellen oder direkt bei: Verlag Barbara Budrich t Barbara Budrich Publishers Stauffenbergstr. 7 D-51379 Leverkusen-Opladen, Germany Tel +49 (0)2171.344.594 Fax +49 (0)2171.344.693 [email protected] www.budrich-verlag.de Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. • Mühlendamm 3 • 10178 Berlin www.kjug-zeitschrift.de