- Kinder

Werbung
KJug
58. Jahrgang | 2. Quartal
20183
Kinder- und
Jugendschutz
in Wissenschaft und Praxis
Kinder als Zielgruppe der Werbung 2|2013
Daniel Hajok
Kinder als Konsumenten im Visier
Wie viel sind die Regelungen zu Werbung im Internet noch wert?
Rainer Smits
»Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
Kinder und Werbung
Mirjam Niketta
»Augen auf Werbung«
Media Smart fördert Werbekompetenz
Außerdem
Sigmar Roll
Recht und Rechtsprechung: Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
KJug
www.kjug-zeitschrift.de
Neu! Onlineservice
Impressum
Herausgeber
Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.
Prof. Dr. Bruno W. Nikles (Vorsitzender)
Redaktion
Ingrid Hillebrandt (verantwortlich)
Sigmar Roll (Recht und Rechtsprechung)
Prof. Dr. Andreas Lange (Rezensionen)
Satz und Layout
Annette Blaszczyk
Wissenschaftlicher Beirat
Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Universitätsklinik Kinder- u. Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie Ulm
Prof. Dr. Nadia Kutscher, Katholische Hochschule NRW Köln
Prof. Dr. Gabriele Kokott-Weidenfeld, Fachhochschule Koblenz
Prof. Dr. Andreas Lange, Hochschule Ravensburg-Weingarten
Dr. Christian Lüders, Deutsches Jugendinstitut München
Prof. Dr. Johanna Mierendorff, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg
Sigmar Roll, Bayerisches Landessozialgericht Schweinfurt
Prof. Dr. Ahmet Toprak, Fachhochschule Dortmund
Redaktionsanschrift
Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.
Mühlendamm 3, 10178 Berlin
Tel. (0 30) 400 40 301, Fax (0 30) 400 40 333
E-Mail: [email protected]
Verlag
Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. (BAJ)
Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis
erscheint vierteljährlich. Jahresumfang ca. 128 Seiten.
Bezugspreis jährlich Euro 46,– zuzüglich Versandkosten/Porto, Einzelheft Euro 16,– .
Abbestellungen sind nur zum Ende eines Kalenderjahres möglich (schriftlich bis 15. November bei der Redaktion eintreffend). Studenten erhalten 20 % Nachlass auf den Abonnementpreis (Vorlage der Studienbescheinigung erforderlich).
Preisirrtum und -änderungen vorbehalten.
Druck /Auslieferung/Abo-Verwaltung
Westkreuz Druckerei Ahrens KG
Töpchiner Weg 198/200
12309 Berlin
Tel. (030) 745 20 47 Fax (030) 745 30 66
Mail: [email protected]
Internet: www.westkreuz.de
Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen in den verschiedenen Druck- und Kopierverfahren, für
Übersetzungen in andere Sprachen, für Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag,
Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder ähnliche Wege bleiben vorbehalten.
Fotokopien für den persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopie hergestellt werden. Jede im Bereich eines
Unternehmens hergestellte oder genutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gem. § 54
(2) UrhG und verpflichtet zur Gebührenzahlung an die VG WORT, Abteilung Wissenschaft,
Untere Weidenstraße 5, 81543 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitäten zu
erfragen sind.
Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexemplare kann keine Gewähr
übernommen werden.
ISSN 1865-9330
Inhalt KJug 2/2013
Kurz berichtet
Liebe Leserin, lieber Leser,
Plakate, Fernsehen, Prospekte, Beilagen, Kataloge,
Broschüren, Publikumsblätter, Internet, Zeitungen,
Radio, Cross-Media-Kampagnen, Kino, Fachzeitschriften – dies alles sind Medien, in bzw. mit denen
Werbung gezeigt wird. Allein 6,47 Milliarden Euro
hat sich die Industrie beispielsweise die OnlineWerbung im vergangenen Jahr kosten lassen. Nach
dem Fernsehen ist das Internet damit das zweitstärkste Werbemedium.
Kinder und Jugendliche gelten mit Blick auf Werbung
als besonders schutzbedürftige Gruppe. Sie verfügen heutzutage über erhebliche Geldbeträge und
beeinflussen auch die Kaufentscheidungen von Eltern – das ist seit Jahren bekannt. Darüber hinaus
lieben und kennen Kinder Werbung und Werbespots. Im Internet und in Computerspielen begegnen sie Werbung in verschiedenen Formen, wie z.B.
Werbebannern, In-Game-Werbung, Produktplatzierungen (product-placement) und Sponsoring –
hochintegrierte Werbeformen, die sich selbst Erwachsenen nicht immer erschließen.
Werbung an sich ist weder schlecht, noch generell
zu verurteilen. Mit Blick auf Kinder und Jugendliche
gelten jedoch besondere Kriterien: Werbung darf
die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit nicht ausnutzen und Datenschutzaspekte müssen berücksichtigt werden. Einige Angebote haben in diesem
Zusammenhang als äußerst fragwürdig zu gelten.
Aus Sicht des Kinder- und Jugendschutzes ist die
Förderung von Konsum- und Werbekompetenz von
Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Anliegen –
Industrie, Politik und Verbraucherschutz sind aber
gleichermaßen gefordert. Dabei sind die Interessen
der werbetreibenden Wirtschaft, des Verbraucherschutzes und des Kinder- und Jugendschutzes stets
abzuwägen und gesetzliche Regelungen einzuhalten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine informative
Lektüre.
Ingrid Hillebrandt
Redaktion
42
Titelthema: Kinder als Zielgruppe der Werbung
Tlt
Kinder als Konsumenten im Visier: Wie viel sind die
Regelungen zu Werbung im Internet noch wert?
Dr. Daniel Hajok
43
»Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
Kinder und Werbung
Rainer Smits
49
»Augen auf Werbung«
Media Smart fördert Werbekompetenz
Mirjam Niketta
54
Werbung mit und vor Kindern
Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen
56
Fachbeitrag
Angst vor dem Netz
Medienangst und pädagogisches Handeln
Dr. Judith Bündgens-Kosten / Dr. Tobias Hölterhof
58
Recht und Rechtsprechung
Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
62
Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen
Sigmar Roll
Gesetz und Gesetzgebung/Rechtsprechung/Schrifttum
Sigmar Roll
66
Kinderschutz aktuell/ Jugendschutz aktuell
Sexueller Kindesmissbrauch.
Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen
68
Jugendliche Lebenswelten.
Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft
69
Service
Literatur/ Mediendienst/ Mitteilungen/ Termine
70
KJug jetzt im Netz – unter www.kjug-zeitschrift.de oder www.kinderundjugendschutz.de haben Sie Zugriff auf die
Beiträge und können auch umfassend nach älteren Beiträgen recherchieren. Probieren Sie es aus ….
2/2013
KJug 41
Kurz berichtet
 Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch in Einrichtungen
Das Bundesjustizministerium hat Fragen und
Antworten zu den Leitlinien zur Einschaltung
der Strafverfolgungsbehörden veröffentlicht.
Die Leitlinien schaffen Klarheit, ab wann
Staatsanwaltschaft und Polizei einzubeziehen sind. Damit wurden Handlungsempfehlungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Institutionen und Einrichtungen geschaffen. Als Hilfe zur Umsetzung dieser
Leitlinien hat das Bundesjustizministerium
eine Broschüre erarbeitet, in der in einer allgemein verständlichen Sprache und mit konkreten Fallbeispielen die Leitlinien für die
Praxis anwendbar gemacht werden.
Die Broschüre »Verdacht auf sexuellen
Kindesmissbrauch in einer Einrichtung – Was
ist zu tun?« kann heruntergeladen oder in gedruckter Form bestellt werden unter www.
bmj.de
 »Kein Raum für Missbrauch«
Die Geschäftsstelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat Informationsbroschüren online
gestellt, die Informationen zum Thema Missbrauch vermitteln und Gesprächshilfen anbieten, wie man als Eltern und Fachkräfte über
sexuelle Gewalt sprechen und gemeinsam zu
einem besseren Schutz der Mädchen und Jungen beitragen kann. Die Broschüren sind Teil
der Kampagne »Kein Raum für Missbrauch«.
Nur über Information, Aufklärung und das
Sprechen über Missbrauch kann es gelingen,
das Thema weiter aus der Tabuzone zu holen
und die Handlungsspielräume der Täter/innen
einzuschränken.
Download der Informationsblätter unter
www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/informa
tionen
und viele praktische Methoden. Auf der beiliegenden CD finden sich Kopiervorlagen, Arbeitsblätter und Folien für Veranstaltungen zu
den unterschiedlichen Schwerpunkten des
Leitfadens.
Zu bestellen unter www.materialdienst.
aj-bayern.de
 Medienerziehung in der Familie
Das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und das Hans-Bredow-Institut haben in einem gemeinsamen Projekt
die Studie »Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie« im Auftrag der Landesanstalt für Medien
NRW erarbeitet.
In der Studie werden das medienerzieherische Handeln in Familien betrachtet, unterschiedliche Erziehungsmuster identifiziert
und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Eltern in
Fragen der Medienerziehung unterstützt werden können.
Informationen unter: www.lfm-nrw.de

 Erziehung in der Wohlstandsgesellschaft
Eltern erleben gegenwärtig eine immer stärker werdende Diskrepanz zwischen pädagogischen Ansprüchen an die Erziehung und der
Alltagswelt von Kindern und Eltern. Das zeigt
die neue Publikation der Konrad-AdenauerStiftung (KAS) zu aktuellen Erziehungsfragen
in der Wohlstandsgesellschaft. Einerseits ermöglichen Eltern in ihrem Bestreben, nur das
Beste für das Kind zu wollen, den Zugang zu
Konsumgütern, die Kinder- und Jugendwelten
maßgeblich prägen. Andererseits erkennen
sie zunehmend, dass die Ermöglichung von
Konsumteilnahme häufig nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Erziehung vereinbar ist. Medienpädagogische Ratschläge
sind oft kaum alltagstauglich. Namhafte Autorinnen und Autoren thematisieren u.a. die
veränderte Kindheit in der heutigen Konsumwelt, Gesundheitsfragen bei der Mediennutzung sowie die Rolle der sozialen Netzwerke.
Download unter: http://www.kas.de/
erziehung-in-der-wohlstandsgesellschaft
Kinder- und Jugendschutz in Bundestagsdrucksachen
Für ein neues Verständnis der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe –
Schulsozialarbeit an allen Schulen
BT-Drs 17/11870, Antrag der Fraktion Die Linke, 12.12.2012
In Zusammenarbeit mit der Schule fördert Schulsozialarbeit die individuelle und soziale
Entwicklung von Schülern. Die Fraktion Die Linke fordert die Bundesregierung auf, Schulsozialarbeit im Jugendhilferecht des SGB VIII als Regelleistung in einem neuen Paragraphen zu
verankern. Zudem soll ein Bundesprogramm oder Förderprogramm mit Beteiligung der Länder zur Finanzierung flächendeckender Angebote schulbezogener Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit aufgesetzt werden. Schulsozialarbeit habe in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen und sich als wirksame Kooperation von Jugendhilfe und Schule in der
Praxis bewährt. Als professionelles sozialpädagogisches Angebot verbinde Schulsozialarbeit
Elemente der Jugendsozialarbeit, Jugendarbeit sowie des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes und rücke die Lebenslagen und Bedürfnisse von Schülern in den Fokus ihrer Arbeit.
 Surfguide
Ausgaben für Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen
BT-Drs 17/12272, Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 04.02.2013
BT-Drs 17/12414, Antwort der Bundesregierung, 20.02.2013
Der Leitfaden liefert Fachkräften Hintergrundinformationen zum Thema exzessive Mediennutzung, insbesondere zum exzessiven Spielen, und gibt ihnen Methoden an die Hand,
um für ihre jeweiligen Zielgruppen in unterschiedlichen Settings präventive Angebote
gestalten zu können. Zur Überprüfung der
Praxistauglichkeit des »Surfguides« wurden
im Herbst 2012 zahlreiche Fortbildungen für
unterschiedliche Zielgruppen in Bayern
durchgeführt. Die Module des Leitfadens beinhalten je einen ausführlichen Theorieteil
Um die Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen geht es in einer Kleinen Anfrage der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Bundesregierung wird gefragt, ob es richtig sei, dass
im Bundeshaushalt für die Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen direkte Ausgaben
von einer Million Euro vorgesehen sind. Außerdem wird nach Schätzungen zum Steueraufkommen durch den Tabakkonsum von Kindern und Jugendlichen gefragt. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort unter Bezugnahme auf Repräsentativbefragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichtet, sei der Anteil der Raucher in dieser Altersgruppe von 27,5 Prozent im Jahr 2001 auf 11,7 Prozent im Jahr 2011 gesunken. Schätzungen
über das Aufkommen an Tabak- und Umsatzsteuer durch rauchende Jugendliche liegen der
Regierung nicht vor.
42
K Jug
2/2013
Titelthema
Daniel Hajok
Kinder als Konsumenten im Visier:
Wie viel sind die Regelungen zu Werbung im Internet noch wert?
Mit ihren gestiegenen finanziellen Möglichkeiten und Autonomiegewinnen sind Kinder mit ihren
eigenen Konsumwünschen und ihrem Einfluss auf die Kaufentscheidungen Erwachsener in den
letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Werbetreibenden geraten. Speziell an sie adressierte
Werbeformen haben längst den Weg von TV-Spots und Zeitschriftenanzeigen ins Internet gefunden.
Die in jüngerer Zeit wiederholt geäußerte Kritik zeigt, dass es dabei nicht immer gesetzeskonform zugeht.

Kinder im Visier der Werbetreibenden
Es ist nicht neu, dass Jugendliche mit ihren ausgeprägten Konsumwünschen in unserer von wirtschaftlichem Wachstum und Absatz geprägten Welt
eine hart umkämpfte Zielgruppe der Werbetreibenden sind. In den letzten Jahren wendet sich die
Werbung aber auch verstärkt Kindern zu und buhlt
dabei um immer mehr Geld in den Taschen der
jüngsten Gesellschaftsmitglieder. Auf
konsumfreudige, der Ebene des Einzelnen mag deren fizahlungskräftige nanzieller Spielraum noch recht bescheiZielgruppe den sein, insgesamt betrachtet sind Kinder aber nicht nur eine konsumfreudige,
sondern auch eine zahlungskräftige Zielgruppe mit
einer jährlichen Kaufkraft von einigen Milliarden
Euro, die in Zeiten der sich immer weiter öffnenden
Schere zwischen arm und reich natürlich höchst
unterschiedlich verteilt sind.
Nach den aktuellsten vorliegenden Daten der
mittlerweile 20. KidsVerbraucherAnalyse (KidsVA)
verfügten die 6- bis 13-Jährigen in Deutschland im
letzten Jahr über ca. sechs Milliarden Euro. Dahinter
stehen zur einen Hälfte die regelmäßigen Geldzuflüsse wie das Taschengeld und Geldgeschenke zu
Weihnachten, Ostern und den Geburtstagen, mit
denen die Erwachsenen ein Stück ihres Wohlstandes an Kinder weiterreichen, zur anderen Hälfte die persönlichen, gut behüteten Sparguthaben,
mit denen sich Kinder u.a. ihre Wünsche nach elektronischen Konsumgütern (z.B. Handys, Computer)
erfüllen wollen (vgl. Egmont Ehapa 2012). Wie in den
Jahren zuvor markierte die Kaufkraft der 6- bis
13-Jährigen auch 2012 einen neuen Höchststand
und trotzte damit insofern den demografischen Entwicklungen, dass es in unserer Gesellschaft zwar
immer weniger Kinder gibt, diese aber immer mehr
Geld zur Verfügung haben.
2/2013
KJug, 58. Jg., 43 – 48 (2013)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
Im Kontext dieser Entwicklung hat sich auch die Perspektive von Wirtschaft und Werbebranche auf Kinder gewandelt. Hier wurden Kinder lange Zeit in erster Linie als Konsumenten von morgen gesehen,
als Nachwuchskunden, die zwar bereits über eigene
Konsumwünsche verfügen, aber in ihrer Markenloyalität und ihrem Markenbewusstsein noch nicht so
festgelegt sind wie Jugendliche und Erwachsene. Es
liegt auf der Hand, dass die Werbetreibenden hier
frühzeitig Einfluss nehmen wollen, um die Basis für
das zu schaffen, was spätestens im Jugend- und
frühen Erwachsenenalter dann in der großen Verwertungsmaschinerie nachhaltigen Absatz verspricht. Interessant ist in diesem Zusammenhang
der von Werbetreibenden wohlwollend zur Kenntnis
genommene aktuelle Trend zur Marke: Kinder entwickeln heute fast in allen Produktkategorien ein
ausgeprägtes Markenbewusstsein und tragen es
v.a. im Non-Food-Bereich mit Sportschuhen von
Nike und Adidas oder Schulranzen von 4you offensiv
nach außen (vgl. Höhn 2012).
Neben dieser Perspektive auf Kinder als Konsumenten von morgen werden die Kids von Wirtschaft
und Werbetreibenden mittlerweile auch
immer mehr als Konsumenten von heute Kinder als zunehgesehen, als aktuelle Kunden, denen die mend autonome
Produkte und Dienstleistungen im Hier Entscheider
und Jetzt schmackhaft gemacht werden
sollen. Dabei richtet sich der Blick zum einen auf
Kinder als zunehmend autonome Entscheider, die
nicht nur über mehr eigenes Geld in der Tasche verfügen, sondern auch erleichterte Zugänge zur schillernden Waren- und Konsumwelt haben und mit den
gewandelten Erziehungsstilen (weniger restriktiv/
autoritär) auch freier entscheiden können. Zum anderen weiß man natürlich, dass die zahlenmäßig
schrumpfende Zielgruppe der Kinder, die hierzulande immer häufiger als Einzelkinder aufwachsen,
KJug
43
Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier
auch verstärkt im Fokus der Familien steht und vermehrt auf nicht nur immaterielle Zuwendung von
Erwachsenen (Großeltern und andere Verwandte)
hoffen darf. Deren Kaufentscheidungen sind dementsprechend zunehmend an den Wünschen der
Kinder orientiert. Das fängt bei Lebensmitteln und
Bekleidung an und reicht zuweilen bis zum Mitspracherecht bei der Anschaffung eines neuen Familienautos.

Von Fernsehen und Zeitschriften
ins Internet
Die bisher nur bruchstückhaft skizzierten Entwicklungen sind der wesentliche Grund dafür, dass die
Verbreitung kinderspezifischer Werbung in den letzten Jahren zugenommen hat. Man bedient sich hier
gern Schlüsselreizen wie Comicfiguren (vgl. Nairn &
Dew 2007) und setzt – wie die beworkinderspezifische benen Produkte und Marken auch – bei
Werbung spezifischen Grundbedürfnisse an, etwa
dass Kinder sich wünschen, in der Gruppe anerkannt oder von den Eltern geliebt zu werden,
der/die Beste im Spiel zu sein oder einfach Spaß zu
haben. Mit Bezug zu solchen Core Needs werden
auch die gern als nutzloser Ramsch gebrandmarkten Produkte im Spektrum von Actionspielzeug,
Tattoos, Freundschaftsbändern, bunten Plastikarmbanduhren etc. Kindern als etwas angepriesen, was
ihnen großen Nutzen bringen soll – und dies zumindest kurzfristig auch durchaus bringt, weil die beworbenen Produkte für Kinder oft tatsächlich unterhaltsam sind, ihnen großen Spaß bereiten, die
Möglichkeit bieten, sich bei Freunden zu profilieren
und bei Gleichaltrigen Anschluss zu finden (vgl. Barlovic & Clausnitzer 2005).
Aus der Perspektive des Kinder- und Jugendmedienschutzes interessiert nun besonders, in welchen Mediennutzungskontexten Werbung den Kindern begegnet und v.a. in welcher Art und Weise die
jungen Nutzer ›angesprochen‹ werden. Hier zeigen
die Entwicklungen der letzten Jahre, dass sich kinderspezifische Werbung in den Bereichen
crossmediale Fernsehen und Zeitschriften für Kinder
Vermarktungs- fest etabliert hat und die Werbetreistrategien benden zunehmend auch den OnlineBereich als wichtigen Kanal zur Zielgruppenansprache erkannt haben. Zwar gelten TV und
Print in der Branche nach wie vor als besonders effizient, aber gerade im Zuge breit angelegter crossmedialer Vermarktungsstrategien kindaffine Internetangebote eine zunehmende Bedeutung besitzen. Mit Werbung ›auf allen Kanälen‹ lassen sich
Kontaktpunkte optimieren und die Wirkungsweisen
44
K Jug
Titelthema
der einzelnen Medien besser nutzen – etwa indem
mit Print die angestrebte Informationstiefe erreicht
und Online die Interaktivität gewährleistet wird (vgl.
Höhn 2012).
Die zunehmende Bedeutung von Online-Werbung hat natürlich auch damit zu tun, dass Kinder
schneller als vielerorts erwartet den Weg ins Internet gefunden haben. Nach aktuellen Zahlen sind die
meisten 6- bis 13-Jährigen heute nicht nur sporadisch im Internet unterwegs und haben das Netz oft
bereits im Grundschulalter für sich entdeckt (vgl.
Egmont Ehapa 2012, MPFS 2013). Abgesehen davon nutzen die Werbetrei- Bedeutung von
benden das WWW gern, weil sie hier ihre Online-Werbung
Werbebotschaften günstiger und zielgenauer lancieren können als in den etablierten
Werbemedien. Nicht ohne Grund erreichen die
Nettowerbeeinnahmen von Onlineangeboten hierzulande jedes Jahr einen neuen Höchststand. 2011
kratzten sie erstmals an der 1-Milliarde-Euro-Grenze (vgl. ZAW 2012) – eine Verdoppelung in fünf Jahren, während klassische Werbeträger wie Fernsehen, Tageszeitungen und Publikumszeitschriften
Einbußen hinnehmen mussten. Da die Erlöse aus
Online-Werbung geschätzt nur zu knapp einem Prozent aus Kinderonlinewerbung generiert werden
(vgl. Guth 2012), bietet dieser Markt noch einiges
Potenzial.

Neue Werbeformen im Internet
Gerade in technischer Hinsicht bietet das Internet
den Werbetreibenden einiges. Hervorzuheben sind
hier die verschiedenen Technologien der zielgruppenspezifischen Werbung (Targeting), die auf der
Grundlage von Sprache, technischen Parametern,
Soziodemografika oder Nutzerverhalten eine streuverlustreduzierte Verbreitung der Werbebotschaften ermöglichen (vgl. Hass & Willbrandt 2011). Hier
zeigt sich auch eindrucksvoll, dass der flächendeckende Einsatz neuer Technologien um einiges
schneller geht als die gesellschaftliche Diskussion
darüber: Da war die Schaltung regional differenzierter Werbung mittels Geotargeting gerade erst in
der öffentlichen Diskussion angekommen, da wurden mit dem Behavioural Targeting schon längst die
Werbemittel auf der Grundlage des Browsing-Verhaltens der Nutzer ausgesteuert (vgl. Hajok 2011).
Neben den diversen Targeting-Technologien, die
in der Expertise der Branchenkenner Online-Werbung aufwerten und (enorm) günstig machen (vgl.
Pellikan 2010), bietet das Internet den Werbetreibenden auch neue Möglichkeiten, in der Analyse
konsumbezogener Kommunikation junger Nutzer im
2/2013
Titelthema
Web 2.0 (noch) mehr über Verhalten, Präferenzen,
Einstellungen potenzieller Konsumenten zu erfahren. Dann werden auch Technologien als Innovationen gefeiert, die wie der 2011 offiziell vorgestellte
Research Robots DigiVidual in der Lage sind, getarnt als eine mit spezifischen Merkmalen, Einstellungen, Konsumgewohnheiten, Handlungsroutinen
ausgestattete ›Persönlichkeit‹ Social Media Websites zu durchstreifen und systematisch Nutzerdaten einzusammeln, die zum vorab definierten (Konsumenten-)Typus passen (vgl. Kearon & Harrison
2011).
Gegenüber solchen technischen Finessen muten
›klassische‹ Online-Werbeformen wie Banner- und
Pop-up-/Pop-under-Werbung fast schon anachronistisch an, sind aber nach wie vor wichtige
Vielfalt an Online- Träger von Werbebotschaften für Kinder.
Werbeformen Ebenso die Skyscraper an den Seitenrändern und die unvermittelt über den Bildschirm huschenden Layer, bei denen man den
»Schliessen«-Button oft lange suchen muss. Immerhin: In aller Regel sind diese Werbeformen als
Werbung gekennzeichnet und vom redaktionellen
Teil getrennt. Das macht sie auch für Kinder relativ
schnell als Werbung identifizierbar.
Anders sieht es da schon beim Keyword-Advertising in Suchmaschinen aus, wenn die Links zu
›passenden‹ Werbeseiten in den Ergebnislisten auftauchen und hier nur schwer von den ›echten‹ Treffern zu unterscheiden sind. Noch schwieriger wird
es, wenn Werbebotschaften über redaktionelle Angebote an die jungen Internetnutzer gebracht werden: Man liest einen informativen Text zum nächsten Urlaubsland und bekommt das passende Reiseangebot gleich mitgeliefert. Manchmal vermischen sich Content und Werbung bei der In-TextWerbung einfach dadurch, dass einzelne Worte mit
Links hinterlegt sind oder sich ein Tooltip-Fenster
öffnet, wenn man mit dem Cursor über die markierten Begriffe fährt. Auch die per E-Mail verschickten Newsletter, die angepriesenen Gewinnspiele
oder ›attraktiven‹ Clubmitgliedschaften sind oft
nicht nur informativ, unterhaltend, exklusiv – sondern Werbung bzw. Neukundenakquise.
Abgesehen davon schätzen es die Werbetreibenden, mit Online-Spot-Werbung bzw. Video-Ads
eine große Aufmerksamkeit zu erzielen und dabei
auf eine vergleichsweise hohe Akzeptanz bei den
jungen Internetusern zu treffen (vgl. PelVirales Marketing likan 2010). Gerade bei Social-MediaMarketing-Strategien spielen Videoinhalte eine immer wichtigere Rolle, da sie einen
dynamischen Diskurs rund um Produkt und Marke
initiieren und auf eine virale Verbreitung setzen
können (vgl. Schmiegelow & Mielau 2010). Ob mit
attraktiven Videos oder Bildern und Textbeiträgen,
2/2013
Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier
die zum Weiterleiten (»Hast Du das schon gesehen?«) animieren – Virales Marketing, bei dem die
Zielgruppe selbst für die Verbreitung der Werbebotschaften sorgt, minimiert Kosten und steigert die
Credibility der Botschaften, schließlich kommen sie
von ›guten‹ Freunden.
Auch in die beliebten Spiele hat Werbung längst
ihren Weg gefunden. Ob preiswertes Kaufspiel oder
High-End-Online-Game – inklusive ist
hier oft In-Game-Werbung, und dafür zei- In-Game-Werbung
gen sich Kinder durchaus empfänglich,
ohne sie immer als Werbung zu identifizieren (vgl.
Dörr et al. 2011). Gerade in solchen Zusammenhängen stellt sich die Frage, welche Grenzen den Werbetreibenden regulativ zum Schutz von Kindern
gesetzt sind.

Rechtliche Bestimmungen
Aus der Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes
ist Werbung im Internet nichts grundsätzlich anderes
als Werbung in Film, Fernsehen, Radio und Printmedien. Man orientiert sich hier am Werbebegriff des
Rundfunkstaatsvertrages (RStV) und fasst darunter
jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die entweder
gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder
als Eigenwerbung angeboten wird, um den Absatz
von Waren oder die Erbringung von
Dienstleistungen zu fördern. Auf welche Gebot der Trennung
Weise dies konkret geschehen darf, ist von Werbung und
durch eine Reihe von Bestimmungen des redaktionellen
deutschen Rechts (u.a. Gesetz gegen un- Inhalten
lauteren Wettbewerb, Telemediengesetz,
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) und Richtlinien
des europäischen Gemeinschaftsrechts (u.a. Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, E-CommerceRichtlinie, Datenschutzrichtlinie für elektronische
Kommunikation, Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) geregelt (vgl. Heinze 2009). Eine wesentliche Anforderung, die sich in fast allen Bestimmungen findet, ist das Gebot der Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten bzw. das Verbot
einer Verschleierung des Werbecharakters geschäftlicher Handlungen.
Für die Wahrung des Kinder- und Jugendschutzes bei Rundfunk und Telemedien (Internet und weitere Tele-/Mediendienste) gelten die Bestimmungen
des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV).
Hier sah der Gesetzgeber auch bei der 2010 gescheiterten JMStV-Novellierung keinen Änderungsbedarf. Sie gehen im Kern auf die europarechtlichen
Vorgaben zurück und beinhalten zumindest sechs
zentrale Punkte, was Werbung in Rundfunk und Telemedien nicht darf (vgl. Hajok 2012).
KJug 45
Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier
Demnach ist es nicht erlaubt:
• Kinder und Jugendliche mit den Werbeinhalten
körperlich oder seelisch zu beeinträchtigen,
• sie unter Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit und
Leichtgläubigkeit zum Kaufen oder Mieten von
Waren oder Dienstleistungen aufzurufen,
• sie dazu aufzufordern, ihre Eltern oder Dritte
zum Kauf des Beworbenen zu bewegen,
• das besondere Vertrauen Minderjähriger zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen
auszunutzen,
• Kinder und Jugendliche ohne berechtigten
Grund in gefährlichen Situationen zu zeigen,
• den Interessen Minderjähriger zu schaden oder
deren Unerfahrenheit auszunutzen, wenn sich
Werbung auch an Kinder und Jugendliche richtet
bzw. sie als Darsteller einsetzt.
Abgesehen davon muss Werbung, die geeignet ist,
die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu
einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, getrennt
von Angeboten erfolgen, die an Minderjährige
adressiert sind.

Selbstdisziplinäre Regeln und
Forderungen
Neben den rechtlichen Bestimmungen gibt es einige
selbstdisziplinäre Verhaltensregeln von Anbietern
sowie Forderungen von Institutionen des Kinder-,
Jugend- und Verbraucherschutzes, in denen die
(nicht immer präzisen) gesetzlichen Vorgaben aufgegriffen und für bestimmte Online-Bereiche konkretisiert werden. Selbstdisziplinäre Verhaltensregeln der Medienanbieter haben sich in den letzten
Jahren als sinnvolles Instrument erwiesen, um den
Kinder- und Jugendmedienschutz in ausgewählten
Online-Bereichen zu gewährleisten. Im
selbstdisziplinäre Bereich der Online-Werbung gibt es hier
Verhaltensregeln aber Nachholbedarf. Der Deutsche Wervon Anbietern berat, der sich als zentrales Instrument
der Werbeselbstdisziplin auch für Online-Werbemittel zuständig erklärt (vgl. Deutscher
Werberat 2011) und den Bereich Kinder und Werbung ausdrücklich in seine Arbeit mit einbezieht,
nimmt explizit keine Konkretisierung von Anforderungen an kinderspezifische Online-Werbung vor.
Zu verweisen ist hier vielmehr auf den Ende 2011
vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) veröffentlichten Kriterienkatalog für
die äußere Gestaltung und Platzierung von Werbemaßnahmen auf Internetseiten für Kinder (vgl. ZAW
46
K Jug
Titelthema
2011). Es bleibt allerdings noch abzuwarten, inwieweit die Anwendung der hier konkretisierten gesetzlichen Regelungen in der Breite überprüft und Verstöße geahndet werden.
Einen seiner Zeit recht weitreichenden Vorstoß hatte
die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) bereits vor vier Jahren mit ihrem »Verhaltenskodex für Betreiber von Social Communities« gemacht (vgl. FSM 2009). Angesichts der Tatsache, dass die unterzeichnenden Unternehmen mit
ihren Social Media Angeboten heute stark an Bedeutung verloren haben und sich Facebook mit seinen 25 Mio. Nutzern allein in Deutschland einer
solchen Verpflichtung bislang noch nicht angeschlossen hat, um sich weiterhin als Werbeplattform und Datensammelstelle gerieren zu können,
erreicht die Bemühung im vermeintlich wichtigsten
Online-Bereich für die jungen User nur ein Etappenziel.
Im Bereich geprüfter Internetangebote für Kinder ist man da schon einen Schritt weiter. So werden
in die Whitelist der Kindersuchmaschine fragFINN.
de, die auch in den offiziell anerkannten Jugendschutzprogrammen implementiert ist, nur solche
Websites aufgenommen, die den klaren Kriterien
der »Prüfpraxis Werbung« (vgl. fragFINN 2011) entsprechen. Und auch der Erfurter Netcode, der sich
in den letzten Jahren mit der Vergabe seines Siegels
für ›qualitativ hochwertige‹ Kinderseiten einen Namen gemacht hat, präzisiert in seinem Positionspapier zu Werbung seine Vorstellungen, wie Werbung
auf Internetseiten für Kinder gesetzeskonform (und
kindgerecht) gestaltet sein sollte (vgl. Erfurter Netcode 2011).
Fast zeitgleich ist der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit dem Papier »Kinderspielseiten im Internet – kein rechtsfreier Raum« an die
Öffentlichkeit gegangen und hat damit ganz nebenbei auch die Frage nach den Zuständigkeiten zurück
ins Bewusstsein geholt. Die Kernforderungen des
Papiers sind, dass Werbung in Angeboten für Kinder jederzeit für die jungen Verbraucherschutz
Nutzerinnen und Nutzer zu erkennen und
(soweit möglich) einfach zu deaktivieren sein muss
sowie Daten nicht über das zwingend erforderliche
Maß hinaus erhoben und verwendet werden dürfen
(vgl. vzbv 2011a). Aus dem Jahr 2011 datiert auch ein
an Gesetzgeber und Anbieter adressierter Forderungskatalog zu verhaltensbezogener Werbung, der
in Zusammenarbeit mit europäischen und US-amerikanischen Verbraucherschützern entstanden ist
(vgl. TACD 2011).
2/2013
Titelthema
Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier

Vom Anspruch entfernte Wirklichkeit
Rechtliche Bestimmungen, selbstdisziplinäre Regelungen und Forderungen aus der kritischen Fachöffentlichkeit sind natürlich nur die eine Seite. Die
andere ist, mit welchen Werbeformen Kinder im
Rahmen der Internetnutzung tatsächlich konfrontiert werden und inwieweit hier die rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Für viel Wirbel hat
in diesem Zusammenhang das Projekt »Verbraucherrechte in der digitalen Welt« gesorgt. 2010 und
2011 wurden hier 52 Kinderspielseiten im Internet
hinsichtlich der eingebundenen Werbung überprüft
(vgl. zuletzt vzbv 2011b). Wegen der festgestellten
Verstöße, von denen auch sehr populäre Angebote
wie SpielAffe, TOGGO und KiKA betroffen waren,
wurden 29 Unterlassungsverfahren eingeleitet, von
denen 17 Verfahren außergerichtlich durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung und entsprechende Änderungen im Angebot geklärt wurden,
sieben Verfahren befanden sich Anfang 2013 noch
in der gerichtlichen Auseinandersetzung.
Das Ergebnis der Überprüfungen des vzbv zeigt,
dass es hierzulande noch großen Bedarf gibt, die
Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durchzusetzen. So wie die Online-Vermarkter von Internetseiten für Kinder den Werbetreibenden fast die
gesamte Palette von Werbeformen feilbieten (vgl.
z.B. Egmont MediaSolutions 2013), so ist in den Angeboten dann systematisch zu überprüfen, inwieweit die implementierten Werbeformen gesetzeskonform sind. Bis heute sind solche systematischen
Untersuchungen selten. Eine bereits EnEinhaltung der de 2008 fertig gestellte und auf die heugesetzlichen tige Zeit sicher nicht mehr eins-zu-eins
Bestimmungen übertragbare Studie zeigte schon früh,
dass Werbung keine Randerscheinung
bei den unter Kindern beliebten Onlineangeboten
ist. Damals zählten die Forscher auf 120 analysierten Start- und Unterseiten 622 meist statische Werbeanzeigen, von denen 500 nicht adäquat als Werbung gekennzeichnet waren und sich die meisten
nutzerseitig nicht schließen bzw. von Content entfernen ließen (vgl. Aufenanger 2010). Und wenn der
vzbv in seiner letzten Recherche bei Kinderspielseiten zum Ergebnis kommt, dass die aufgefundenen
Werbeformen in ihrer Machart oft den Spielangeboten gleichen und für Kinder nicht klar als Werbung
erkennbar sind, nicht vom Content getrennte TextIn-Werbung und Pop ups, die sich nicht per »X« oben
rechts schließen lassen, in den Angeboten aufzufinden sind und Spielen vor Beginn Pre-Roll-Werbung
vorgeschaltet ist (vgl. vzbv 2011b), interessiert aus
der Perspektive des Kinder- und Jugendschutzes,
was sich seitdem im Netz getan hat.
2/2013

Für einen kompetenten Umgang mit
Werbung stark machen
Mit Regulierung gemäß der gesetzlichen Vorgaben
alleine werden die aufgezeigten Probleme nicht zu
lösen sein. Eine besondere Herausforderung besteht darin, Kinder frühzeitig bei der Ausbildung von Werbekompetenz zu unter- Ausbildung von
stützen, also bei der Entwicklung der Werbekompetenz
Fähigkeiten, Werbung zunächst intuitiv,
dann anhand ihrer formale Merkmale zu erkennen
und letztlich ein Strukturwissen über Werbung aufzubauen (vgl. Charlton et al. 1995). Erst mit der Entwicklung der notwendigen kognitiven Fähigkeiten
zur Elaboration, beginnen Kinder sich mit den beworbenen Produkten auseinanderzusetzen und eine stabile Überzeugung zur Vor- oder Nachteilhaftigkeit aufzubauen. Zuvor ›wirkt‹ Werbung über
Gewöhnung (vgl. Jöckel 2013).
Die Ergebnisse der bereits erwähnten Studie
deuten an, dass die meisten Kinder im Alter zwischen 8 und 10 Jahren auffällige Werbeformen wie
Banner, Skyscraper und Flash Layer als Werbung
erkennen. Entscheidende Hinweise geben ihnen die
Texte der Werbeanzeigen bzw. darin enthaltene
Preisangaben, Appelle und Schlagwörter (z.B. »Mitmachen«, »Kaufen«, »Angebot«, »Gewinnen«),
schöne, bunte Bilder und abgebildete freundliche
Menschen sowie Produkte und Werbebotschaften,
die sie bereits aus anderen Medien kennen, allen
voran dem Fernsehen (vgl. Aufenanger 2010). Verschleierte Werbebotschaften, die nicht hinreichend
vom eigentlichen Content der Seite abgesetzt sind,
oder aber wenn in kindaffinen Online-Spielangeboten verkommerzialisierte Medienfiguren implementiert werden, lassen demgegenüber
grundlegende Schwierigkeiten beim Er- Erkennen des
kennen des Werbecharakters erkennen Werbecharakters
(vgl. Hackenberg et al. 2012). Ab einem
Alter von ca. 11 Jahren können Kinder dann redaktionellen Inhalt und Werbung sicher unterscheiden
und verstehen auch die Intention von Werbung, sehen sich selbst als Adressaten, weisen Werbung
eine geringe Glaubwürdigkeit zu, unterschätzen
aber selbst dann (noch) den Einfluss auf die eigenen
Kaufentscheidungen (Fuhs & Rosenstock 2009).

Fazit
Auch wenn die Frage nach (negativen) Wirkungen
von Werbung auf die Entwicklung von Kindern bislang nicht verlässlich beantwortet werden konnte,
beleg- und erfahrbar bleibt, dass Werbung eine Faszination auf die jungen Menschen ausübt (vgl. San-
KJug 47
Hajok • Kinder als Konsumenten im Visier
Titelthema
der 2007). Beleg- und erfahrbar in den Diskursen der
Erwachsenen sind die kontroversen Perspektiven
im Spannungsfeld anklagender Werbekritik (Werbung ist Verführung), distanzierter Sachlichkeit
(Werbung ist nicht gefährlich), legitimierender
Rechtfertigung (ohne Werbung keine Medienangebote für Kinder) und pädagogischer Bildung/Aufklärung (die Sorge der Eltern) (vgl. Fuhs & Rosenstock
2009). Eine ›erwünschte‹ einseitige Beeinflussung
junger Menschen durch Werbung hat aber immer
auch eine moralische Dimension (vgl. Stapf 2009).
Und diese ist nicht nur von Medienpädagogen, Verbraucher- und Jugendschützern zu beachten, sondern auch von den Anbietern.
Der Kinder- und Jugendschutz steht angesichts
der Ausweitung und Ausdifferenzierung von Werbung im Internet mitsamt technischer Finessen bei
Zielgruppenansprache und Zielgruppenanalyse vor
neuen Herausforderungen, die mit restriktiv-bewahrenden Maßnahmen alleine nicht zu bewältigen
sein werden. Gefordert sind insbesondere der präventive Kinder- und Jugendschutz sowie die (medien-)pädagogische Praxis. So frühzeitig, wie sich
Kinder im Netz bewegen, sind sie bei der Ausbildung
von Internetkompetenz im Allgemeinen und Werbekompetenz im Speziellen zu unterstützen. Dabei
sind Kindern grundlegende Kenntnisse und vertiefendes Hintergrundwissen zu den verschiedenen
Werbeformen zu vermitteln und sinnvolle Angebote
einer diskursiven Begleitung der ersten Schritte im
Netz zu unterbreiten.
Mit den bereits existierenden Materialien (siehe
Übersicht) muss hier das Rad auch nicht neu erfunden werden.
Die Literaturliste zum Beitrag kann bei der Redaktion
([email protected]) angefordert werden.
Dr. Daniel Hajok
Manteuffelstr. 48
10999 Berlin
Mail: [email protected]
Autor
Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft
Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM). Zur
Zeit vertritt er die Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedienforschung an der Universität Erfurt.
Ausgewählte Materialien zu (Online-)Werbung für die pädagogische Praxis
Initiative »klicksafe«
http://www.klicksafe.de/service/fuer-lehren
de/lehrerhandbuch/
Lehrerhandbuch: Knowhow für junge User. Materialien für
den Unterricht. Baustein 2: Was wir über das Internet wissen
sollten: Fischen im Netz der Netze (2008)
Internet-ABC e.V.
http://www.internet-abc.de/eltern/bin/ CD-ROM und Lehrerhandbuch: Wissen, wie‘s geht! Mit Spaß
153504-153512-1-_handbuch_2012_gesamt.pdf und Sicherheit ins Internet. Lernmodul: Werbung und Einkaufen im Internet. Mit Arbeitsblättern und didaktischen Hinweisen (2012)
Media Smart e.V.*
http://www.mediasmart.de/verein/material. Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen.
html
Medienpädagogische Materialien für die Grundschule 3./4.
Klasse. Und Zusatzmaterial für Eltern und Lehrer (2011)
* siehe auch den Beitrag von Mirjam Niketta S. 54ff
48
K Jug
2/2013
Titelthema
Rainer Smits
»Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
Kinder und Werbung
Die Medienanstalten kontrollieren u.a. die Einhaltung der Jugendschutz- und Werbebestimmungen im Fernsehen und im Internet bei privaten Veranstaltern. Bei Rechtsverstößen können sie
abgestufte Sanktionen aussprechen. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist die Förderung der
Medienkompetenz und die Vergabe von Medienforschungsprojekten. Werbung und Werberichtlinien
standen von Anfang an im Fokus der Aufmerksamkeit der Landesmedienanstalten.
»Jetzt kommt Werbung!« – So kündigen private TVSender, die ausgewiesenes Kinderprogramm anbieten (wie zum Beispiel Super RTL oder Nick) die Werbespots in ihrem Programm an: Ein kleiner hilfreicher Hinweis für die (noch) Leseunkundigen,
denen der gesetzlich verpflichtende Schriftzug
»Werbung« entgeht, mit dem auf den Beginn einer
Werbeunterbrechung hinzuweisen ist, aber natürlich auch einer, der die Aufmerksamkeit von Kindern
lenkt: Das, was jetzt kommt, ist von besonderem
Interesse für euch wie ökonomisch für die werbetreibenden Unternehmen, die ihre (Kinder-)Produkte
anpreisen. Da hat Paula der Pudding Flecken, die
immer anders schmecken, Furby das elektronische
Kuscheltier die Fähigkeit, zwischen fünf Persönlichkeiten zu wechseln und die Bratzillaz-Puppen natürlich alle ihren individuellen Charakter inklusive
eines eigenen magischen Symbols, das zu ihrem Stil
passt. Kinder als Zielgruppe der Werbung – ein Thema, das noch immer bewegt, bilden doch kindliche
Unerfahrenheit und unternehmerische Verkaufsabsicht in der Vorstellung vieler unvereinbare Gegensätze.

Ein kurzer Rückblick
Um heutige Positionen einordnen zu können, mag
es hilfreich sein, sich der historischen Dimensionen
des Themas zu vergewissern: Zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts kaum mehr auf
der Agenda, wurde das Problemfeld Kinder und Werbung in der Öffentlichkeit insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren breit diskutiert. Vor dem
Hintergrund gesellschaftspolitischer Entwicklungen war dies eine Zeit allgemeiner Ideologie- und
damit auch Konsumkritik, die den manipulativen
und sozial schädlichen Einfluss von Werbung gene-
2/2013
KJug, 58. Jg., S. 49 – 53 (2013)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
rell, insbesondere aber mit Blick auf die besonders
schutzbedürftige Zielgruppe Kinder betonte. Der
Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist wohl in
den Vereinigten Staaten zu finden, in denen sich
zum Beispiel in der »Action for Children’s Television« (ACT) Eltern zusammenfanden, die sich zunehmend um den Einfluss des kommerziellen Fernsehens auf ihre Kinder sorgten. Das seitens der ACT
und weiterer in ihrem Gefolge gegründeter privater
Organisationen auf einem Hearing der
amerikanischen Aufsichtsbehörde Fe- Einfluss des
deral Communications Commission (FCC) kommerziellen Ferngeforderte generelle Werbeverbot im Zu- sehens auf Kinder
sammenhang mit Kinderfernsehen wurde zwar nicht durchgesetzt, eine Reihe von Forderungen aber machten sich die FCC wie auch Organisationen der Freiwilligen Selbstkontrolle in den USA
zu eigen. Hierzu gehörte u.a. eine Reduzierung der
Werbezeit pro Stunde an den Wochenenden (als
Hauptfernsehzeiten von Kindern), aber auch an
Werktagen (Haase 1981, S. 35 ff). Die Reagan-Ära
seit Beginn der achtziger Jahre führte dann allerdings zu einer weitreichenden Deregulierung des
kommerziellen Fernsehens in den USA: Fernsehen
als Kulturgut wurde als eine ausschließlich den Gesetzen des Marktes unterworfene Größe gesehen.
Die Kritik an den unterstellten negativen Wirkungen von Werbung und an der Überkommerzialisierung des Fernsehens wurde in Europa seit Beginn
der 1970er Jahre zunehmend aufgegriffen. In die
Offensive ging hier zum Beispiel der damalige Programmdirektor des ORF, Helmut Zilk, der für sein
Haus ein Verbot von Werbespots durchsetzte, in
denen Kinder zum Kauf der beworbenen Produkte
animiert wurden (vgl. Freese 1973).
Auch in Deutschland wurde das Thema auf verschiedenen Ebenen diskutiert: Der Kinderschutzbund forderte entsprechende Restriktionen und in
KJug 49
Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
einer parlamentarischen Anfrage im Bundestag
wurde nach Möglichkeiten gefragt, nach österreichischem Vorbild zu verfahren. Da ferner die Intendanten der öffentlich-rechtlichen RundVerhaltenskodex für funkanstalten Regelungsbedarf sahen
die Werbung mit und und Einvernehmen mit dem Zentralausvor Kindern in Funk schuss der Werbewirtschaft (ZAW) als
und Fernsehen Selbstkontrolleinrichtung der werbetreibenden Unternehmen erzielten, entwickelte dieser 1973 den »Verhaltenskodex für die
Werbung mit und vor Kindern in Werbefunk und
Werbefernsehen«.1
Einen weiteren Schub bekam das Thema mit Einführung des kommerziellen Fernsehens in Deutschland seit etwa Mitte der achtziger Jahre. Das Hinzukommen privater, sich überwiegend über Werbung
finanzierende Veranstalter zum Fernsehmarkt veränderte das Programmangebot quantitativ und qualitativ: Werbung gab es nun nicht mehr nur wie zu
ARD- und ZDF-Zeiten ausschließlich im Vorabendprogramm und an Wochentagen, sondern zu jeder
Tages- und Nachtzeit und auch an Wochenenden
und Feiertagen. Neben die klassischen Werbespots
traten weitere, neue Werbeformen auch im Kinderprogramm.2

Gesetzliche Regelungen
Diese Veränderungen im TV-Werbemarkt zu beschreiben, ihre Rezeption durch Kinder zu untersuchen und die medienrechtlichen Implikationen herauszuarbeiten war Ziel einer umfassenden Analyse
des »Werbeangebots in der Bundesrepublik
Deutschland und seiner Verarbeitung durch Kinder«
(Charlton/Neumann-Braun/Aufenanger/HoffmannRiem 1995), in Auftrag gegeben von der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (heute:
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen),
einer von vierzehn Medienanstalten, die von den
jeweiligen Landesgesetzgebern mit der Lizenzierung und Beaufsichtigung privater Rundfunkveranstalter betraut wurden und die zur Koordinierung
und Abstimmung grundsätzlicher länderübergreifender Aufgaben heute in verschiedenen Gremien
und Kommissionen zusammenarbeiten.3
1
2
3
50
K Jug
In der aktuellen Fassung: »Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und vor Kindern in
Hörfunk und Fernsehen« unter http://www.werberat.de/
kinder-und-jugendliche
Beispiele zu Werbeformen in Kinderprogrammangeboten
aus den ersten Jahren kommerziellen Fernsehens finden
sich zum Beispiel in: Rainer Smits: Kinder als feste Marktgröße, in: TELEVIZION 6/1993/2, S.40 ff.
Zur Struktur und Organisation der Medienanstalten vgl.
im Einzelnen www.die-medienanstalten.de. Den Vorsitz
in der Direktorenkonferenz der Medienanstalten (DLM)
sowie der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK)
führt seit dem 01.01.2013 der Direktor der Landesanstalt
für Medien Nordrhein-Westfalen, Dr. Jürgen Brautmeier.
Titelthema
Die in dieser Studie zusammengetragenen Ergebnisse machten nicht nur deutlich, dass Kinder erst
ab einem bestimmten Alter in der Lage sind, die Absichten von Werbung in all ihren Facetten zu erkennen, herausgearbeitet wurde auch, dass der Kinderund Jugendschutz als ein aus dem Grundgesetz
abgeleitetes Recht des Kindes auf Person-Werden
ein normatives Verfassungsgebot darstellt. Wenn
dieser Entwicklungsprozess Gefährdungen ausgesetzt ist, so ist der Staat berechtigt und verpflichtet,
regulierend einzugreifen. So existieren für das Themenfeld »Kinder und Werbung« – soweit es um Wirtschaftswerbung geht – unter Beachtung der ihr zu
Grunde liegenden Informations- und
Meinungsfreiheit der Anbieter eine Viel- Rechtsnormen
zahl medienrechtlicher Normen sowie
einfach- und spezialgesetzlicher Regelungen. Diese
werden flankiert von Selbstverpflichtungen der
werbetreibenden Wirtschaft und von Rundfunkanbietern.4
Exemplarisch seien einige werberechtliche Vorgaben genannt:
• Im Fernsehen dürfen Sendungen für Kinder nicht
durch Werbung unterbrochen werden.
• Dauerwerbesendungen für Kinder sind ebenso
unzulässig wie Produktplatzierungen oder die
Abbildung von Sponsorenlogos in Kindersendungen.
• Darüber hinaus darf Werbung nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden
oder deren Unerfahrenheit ausnutzen.
• Sie darf keine Aufrufe zum Kaufen oder Mieten
von Waren oder Dienstleistungen an Minderjährige enthalten, die deren Unerfahrenheit und
Leichtgläubigkeit ausnutzen.
• Sie darf Kinder und Jugendliche nicht unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf
der beworbenen Waren oder Dienstleistungen
zu bewegen.
• Sie darf nicht das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben.
• Sie darf Kinder oder Minderjährige nicht ohne
berechtigten Grund in gefährlichen Situationen
zeigen.
Die letztgenannten Vorgaben unterfallen dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Ihre Prüfung gehört zum Aufgabenkanon der Kommission für Jugend4
Einschlägig sind hier vor allem der Rundfunkstaatsvertrag
(RStV), der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV),
die Werbe- und Jugendschutzrichtlinien der Medienanstalten, alle unter http://www.die-medienanstalten.de/
service/rechtsgrundlagen.html – Zu den Selbstverpflichtungen der Rundfunkanbieter gehört zum Beispiel die
eingangs beschriebene besondere akustische Kennzeichnung von Werbespots im Umfeld von Kindersendungen.
2/2013
Titelthema
Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
medienschutz (KJM), die die zentrale Aufsichtsinstanz
der Medienanstalten für den Jugendschutz im privaten Radio und Fernsehen sowie im Internet ist.

Werbeaufsicht
Probleme, die sich mitunter aus aufsichtsrechtlicher Perspektive aus diesen Rechtsnormen ergeben, seien an einem kleinen Beispiel erläutert: Laut
Rundfunkstaatsvertrag dürfen Sendungen für Kinder nicht durch Werbung unterbrochen werden. Und
Sendungen für Kinder sind, so die Werberichtlinien
der Medienanstalten, solche, die sich nach Inhalt,
Form oder Sendezeit überwiegend an unter 14-Jährige wenden. Diese Voraussetzungen dürften beispielsweise dann erfüllt sein, wenn eine Sendung
besonders auf die spezifische Wahrnehmung von
Kindern zugeschnitten ist, etwa durch die in ihr auftretenden Charaktere, durch Schnitte oder wenn sie
sich überwiegend am Erfahrungshorizont und an
der kindlichen Sprachwelt orientiert. Aber macht
dieses Raster eine Bewertung einfacher?
Beanstandungen Sehen die Medienanstalten in einer SenBeschwerden dung, die die genannten Vorgaben möglicherweise verletzt, einen Rechtsverstoß und beanstanden sie diesen, so besteht die
Aufgabe darin, eine gute und gerichtsfeste Begründung zu liefern – der Klageweg gegen Beanstandungsbescheide der Medienanstalten steht jedem
Veranstalter offen – und wird auch beschritten.
Neben der Werbeaufsicht der Medienanstalten
hat aber auch der Zuschauer die Möglichkeit, sich
jederzeit mit Beschwerden, die sich auf das Programm oder die Werbung privater Sender beziehen,
an die Medienanstalten zu wenden. Er kann dies
über die für den jeweiligen Sender lizenzrechtlich
zuständige Medienanstalt tun, er kann sich aber
auch an das gemeinsame Beschwerdeportal der
Medienanstalten wenden. Hier wird für die richtige
Verteilung der Beschwerden an die zuständigen
Häuser gesorgt.5

Ausblick
Auch wenn das Fernsehen nach wie vor (noch) das
zentrale Medium für Kinder ist (Medienpädagogischer Forschungsverbund 2011, S.19), die Gesellschaft befindet sich in Folge der technischen Ent5
2/2013
www.programmbeschwerde.de – Die Landesanstalt für
Medien Nordrhein-Westfalen bietet unter http://www.
lfm-nrw.de/beschwerde.html eine Broschüre zum Mediennutzerschutz an mit ausführlichen Fallbeispielen, den
juristischen Grundlagen und einer Übersicht aller Institutionen, an die man sich mit Fragen und Beschwerden über
Medieninhalte wenden kann.
wicklung (Stichwort: Digitalisierung) in einem geradezu revolutionären Umbruch, der Inhalte gleich
welcher Art jederzeit und überall auf unterschiedlichen medialen Plattformen verfügbar macht. Das
»Lagerfeuer Fernsehen« als physisches Gemeinschaftserlebnis glimmt nur noch, zunehmend wird
es auch von Kindern und Jugendlichen begleitet
durch den zeitgleichen, aber isolierten Austausch
unter »Followern« oder »Freunden« via Twitter oder
soziale Netzwerke. Mit zunehmender Verbreitung
mobiler Endgeräte wie Smartphones oder Tablets
wird auch die Altersgrenze nach unten durchlässiger werden. Die aktuelle TV-Werbung für das Produkt »Windows 8« etwa zeigt nicht ohne Grund ein
sehr junges Mädchen, das die Apps intuitiv, kinderleicht (und mit Vorbildcharakter für ihre Generation)
bedient.
Nicht einmal der gute alte Fernseher bleibt, was
er einmal war: Hybride Endgeräte (Smart TV/Connected TV) sorgen für die Verschmelzung von Fernsehen und Internet, mobiles Fernsehen über Smartphones und Tablets wird zunehmen. Die
konvergente Medienwelt bringt Heraus- Die konvergente
forderungen auch für die Werberegulie- Medienwelt bringt
rung mit sich: Wenn nicht mehr unter- Herausforderungen
scheidbar ist, über welches Signal der auch für die WerbeZuschauer/Nutzer (auch der kindliche) regulierung mit sich.
Inhalte sieht (»fernsieht«), wenn spezifische Internet-Werbeformen die »Fernseh«-Inhalte
begleiten, sie überlagern, zur Direktbestellung von
Produkten animieren, dann sollten unterschiedliche
Regulierungsniveaus keinen Sinn mehr machen.
Gleiche Werbeanforderungen bei aus Zuschauerperspektive gleichen Inhalten wäre hier sicher ein
vernünftiger Regulierungsansatz.6
Für alle heute verfügbaren Mediengeräte wie für alle weiteren technologischen Neuerungen gilt: Werbung ist und wird allgegenwärtig sein, durch Generierung von Nutzerdaten immer auch individuell
adressierbar und mit einer interaktiven Reaktionsoption für den Nutzer verknüpft. Die Vorstellung
vom Sender und Empfänger jedenfalls ist ein Modell
aus einer alten, analogen Welt.
Kinder heute schauen bewegte Bilder im TV oder auf
Youtube, sie hören Musik im Radio oder im Netz, sie
blättern in Zeitschriften und haben Zugang zu Mobilfunkgeräten, Computern Werbung in
und (internetfähigen) Spielkonsolen. Computerspielen
Überall begegnen sie Werbung. So hat
beispielsweise die Studie »Werbung in Computerspielen: Herausforderungen für Regulierung und
6
Die EU bereitet zurzeit ein »Grünbuch über die Vorbereitung einer vollständig konvergenten audiovisuellen Welt
– Wachstum, Schöpfung und Werte« vor.
KJug 51
Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?
Medienpädagogik« (Dörr/Klimmt/Daschmann 2011)
akribisch aufgelistet, in welcher Weise junge Computerspieler mit sogenannter »In-Game-Werbung«
statischer und dynamischer Art konfrontiert werden, anders: wie Werbetreibende auch dieses Feld
bespielen, um ihre Botschaften an die junge Zielgruppe zu bringen und welche Probleme diese hat,
In-Game-Werbung überhaupt als Werbung zu erkennen. So wurde zum Beispiel in einem Rennspiel das
zu steuernde Fahrzeug zwar als ein Fahrzeug einer
bestimmten Marke erkannt, ohne dass die befragten Kinder aber die Platzierung als Werbung
identifizieren konnten. Erst Kinder im Alter von zwölf
bis 14 Jahren zeigten sich als »werbekompetent«.
Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass
viele Kinder bereits zwischen fünf und acht Jahren
mit digitalen Spielen in Berührung kommen, wie sie
zu den virtuellen Spielewelten finden, wie sich das
Spielverhalten im Altersverlauf entwickelt, wie Mädchen und Jungen sich dabei unterscheiden und welchen Stellenwert Computerspiele im Familienleben
einnehmen (Lampert/Schwinge/Kammerl/Hirschhäuser 2012).

Medienkompetenzförderung
Neben der Überprüfung privater Rundfunkanbieter
auf die Einhaltung werberechtlicher Vorgaben besteht ein weiteres wesentliches Handlungsfeld der
Medienanstalten in der Förderung von Medienkompetenz. Angesichts der universellen Verfügbarkeit
von Medien und ihrer zentralen Bedeutung in allen
Lebensbereichen ist die Fähigkeit, reflektiert, kritisch, selbstbestimmt und situationsangemessen
mit Medien umzugehen, zu einer Schlüsselkompetenz für die Gesellschaft geworden. Die Notwendigkeit, sich diese Fähigkeiten anzueignen, betrifft
auch die heranwachsende Generation
Werbekompetenz und sie bezieht sich nicht nur auf Medien allgemein, sondern auch auf den Bereich Werbung. (Wirtschafts-)Werbung will zuvorderst eines: Den Verkauf von Produkten oder
Dienstleistungen fördern. Sie trifft damit bei Kindern auf eine Gruppe in der Gesellschaft, die unbefangen und unschuldig genug ist, Werbe- und
Marktmechanismen noch nicht zu durchschauen,
gleichwohl aber aus Sicht der Marketingstrategen
eine ökonomisch wie mit Blick auf ihre künftige Rolle als Verbraucher relevante Größe darstellt. So hat
die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen
gemeinsam mit den Medienanstalten in Hessen
und Rheinland-Pfalz schon frühzeitig medienpädagogische Materialien entwickeln lassen, die dem
Gedanken der Werbekompetenzförderung im Rah-
52
K Jug
Titelthema
men der Fernsehnutzung schon bei Kindergartenkindern Rechnung tragen.7
Heute wird die Internetnutzung auch von Kindern
von immer größerer Relevanz. So zeigen die Ergebnisse der KIM-Studie 2010 (Medienpädagogischer
Forschungsverbund 2011, S. 30), dass bereits ein
Viertel der Kinder in der Altersgruppe von sechs bis
sieben Jahren das Internet nutzt, die Nutzungshäufigkeit in der Gruppe der 12- bis 13-Jährigen dann
bereits bei 90 Prozent liegt. Dabei bewegen sie sich
laut KIM-Studie sowohl auf Seiten, die explizit an
sie adressiert sind, als auch auf Kommunikationsplattformen, Seiten von Medienanbietern, Videoportalen, Suchmaschinen, Spieleseiten etc. Überall
dort kommen sie mit einem breiten Spektrum internetspezifischer Werbeformen wie Bannerwerbung, Layer, Interstitials, Pop- Spektrum
Up-Werbung, um nur einige zu nennen, internetspezifischer
in Kontakt. Unklar ist bislang, inwieweit Werbeformen
und ab welchem Alter Kinder in der Lage
sind, diese Werbeformen als solche zu erkennen
und von nicht-werblichen Inhalten zu unterscheiden
oder auch persuasive, also verdeckte Werbebotschaften in den Angeboten zu identifizieren. Wie
rezipieren Kinder diese kommerziellen Kommunikationsangebote, welchen Anforderungen sind sie mit
Blick auf eine freie und unbeeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung ausgesetzt? Vor diesem Hintergrund wird das Hans-Bredow-Institut daher in
einem breit angelegten Projekt, das die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen zusammen
mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu Beginn des Jahres auf den
Weg gebracht hat, das Spannungsfeld »Kinder und
(Online-)Werbung« abstecken. Die Studie wird solche Internetangebote fokussieren, die Kinder besonders häufig nutzen und die dort auffindbaren
und an Kinder adressierten werblichen Angebotsformen analysieren. Sie wird aber angesichts der
Relevanz, die das Fernsehen nach wie vor für Kinder
hat, auch crossmedialen Vermarktungsstrategien
nachspüren und das Rezeptionsverhalten kindlicher
Nutzer untersuchen (Ergebnisse sollen etwa Mitte
2014 vorliegen). Auf dieser wissenschaftlich abgesicherten Basis soll die Studie Regulierungsbedarfe
identifizieren, praxisnahe Empfehlungen für Anbieter von Kinderseiten im Internet geben und Handlungsbedarfe in der Medien- respektive Werbekompetenzförderung beschreiben.
7
»Kinder und Werbung. Bausteine für den Kindergarten«
(vergriffen) – vgl. auch Henrike Friedrichs, Sonja Kröger,
Dorothee M. Meister, Uwe Sander »Förderung von Werbekompetenz bei Kindern: Eine Bestandsaufnahme medienpädagogischer Materialien«, in: Medienimpulse online
(www.medienimpulse.at/articles/view/355).
2/2013
Titelthema
Smits • »Jetzt kommt Werbung!« – Werbung Ende?

Fazit
Kontrastiert man die hier skizzierte Entwicklung mit
dem anfänglichen Blick zurück auf die ausschließlich TV-basierten Diskussionen über das Thema
Kinder und Werbung seit den sechziger Jahren, so
wird deutlich, in welcher Weise sich Medien, Werbung und werbliche Ansprachen verändert haben,
mit welcher Dynamik sich diese Veränderungen vollziehen und wie sich auch der Blick auf das Thema
verändern muss.
»Werbung Ende!« – So markieren private TVSender das Ende von Werbeblöcken im Kinderprogramm, und das ist für den zeitlich klar umrissenen
Block mit klassischen Werbespots auch gut und
richtig so. Die Vorstellung jedoch, es gebe heute
noch einen Anfang und ein Ende von Werbung, geht
fehl. Werbliche Ansprachen sind so allgegenwärtig
wie Medien heute unseren Alltag und auch das Leben von Kindern begleiten und Konsumverhalten,
Ästhetik und Lebensstile prägen. Soweit gesetzliche Vorgaben das handlungsleitende Ziel haben,
Kinder vor solchen kommerziellen Einflüssen zu
schützen, die sie entwicklungs- und alregulatorische tersbedingt nicht durchschauen können,
Schutzzäune und sind regulatorische Schutzzäune wichFörderung der tig. Wichtig bleiben auch flankierende
Werbekompetenz Angebote zur Förderung der Werbekompetenz bei Kindern, die die großen Potentiale und Chancen, die mit den technologischen
Entwicklungen einhergehen, in ein vernünftiges
Verhältnis setzen zu den Risiken, die damit verbunden sind.8 Auf beiden Feldern sind die Medienanstalten per gesetzlichem Auftrag unterwegs.
Ein konsum- und werbefreies Idyll jedenfalls ist
nicht zu haben. Nicht einmal mehr der Dschungel ist
frei von Werbung, hat es doch der Keks-Riegel eines
bekannten Herstellers nun schon im zweiten Jahr
werbewirksam platziert ins »Dschungelcamp« geschafft. Die Werbung kommt also nicht erst – sie ist
schon da, immer und überall.

Literatur
Charlton, Michael; Neumann-Braun, Klaus; Aufenanger, Stefan; Hoffmann-Riem, Wolfgang u.a.: Fernsehwerbung und Kinder. Das Werbeangebot in der
Bundesrepublik Deutschland und seine Verarbeitung durch Kinder, Schriftenreihe Medienforschung
der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, Bd. 17 und 18, Opladen 1995.
Dörr, Dieter; Klimmt, Christoph; Daschmann, Gregor
(Hrsg.): Werbung in Computerspielen: Herausforderungen für das Medienrecht und die Förderung
von Medienkompetenz, Berlin 2011, Schriftenreihe
Medienforschung der Landesanstalt für Medien
NRW (LfM), Band 70.
Freese, Gunhild: Kinder machen müde Marken munter,
in: Die ZEIT, 26.10.1973.
Haase, Henning: Kinder, Jugendliche und Medien, in:
Kinder – Medien – Werbung, Schriftenreihe Mediaperspektiven Bd. 1, Frankfurt a.M. 1981
Lampert, Claudia; Schwinge, Christiane; Kammerl, Rudolf; Hirschhäuser, Lena: Computerspiele(n) in der
Familie. Computerspielesozialisation von Heranwachsenden unter Berücksichtigung genderspezifischer Aspekte, Düsseldorf 2012 (LfM-Dokumentation Bd. 47).
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
(Hrsg.): KIM-Studie 2010. Kinder + Medien, Computer + Internet, Stuttgart 2011 (http://www.mpfs.de/
fileadmin/KIM-pdf10/KIM2010.pdf)
Autor
Rainer Smits
Landesanstalt für Medien
Nordrhein-Westfalen (LfM)
Mail: [email protected]
8
2/2013
Eine kindergerechte Auseinandersetzung mit dem Thema
Werbung und Internet findet sich z.B. bei https://www.
klicksafe.de/themen/einkaufen-im-netz/werbung/wer
bung-im-internet-was-steckt-dahinter.html oder http://
www.internetabc.de/kinder/werbung-einkaufen.php. –
vgl. auch den Artikel von Mirjam Niketta in diesem Heft
über das von der werbetreibenden Wirtschaft unterstützte
Projekt »Media Smart«.
Im Bereich Aufsicht und Programme zuständig
für die Werbeaufsicht. Projektleiter div. Medienkompetenzprojekte der LfM. Vorstandsmitglied
Programmberatung für Eltern e.V., stellv. Mitglied im Kuratorium Ein Netz für Kinder
KJug 53
Titelthema
Mirjam Niketta
»Augen auf Werbung«
Media Smart fördert Werbekompetenz
Im Alltag von Kindern und Jugendlichen spielen Medien eine wichtige Rolle. Auch die Werbung
– die nicht immer bewusst wahrgenommen wird – ist ihr ständiger Begleiter. Kinder vor der
Werbewelt abzuschirmen, ist deshalb kaum möglich. Vielmehr müssen sie lernen, im Kontext
ihrer Lebenswirklichkeit mit Werbung umzugehen. Das Ziel von Media Smart e.V. ist deshalb die
Förderung der Werbekompetenz von Kindern und Jugendlichen.

Werbekompetenzentwicklung
bei Kindern
Werbung wirkt, das ist unumstritten. Allerdings
lässt sich ihre Wirkung nicht als ein einfaches ReizWirkungsmodell beschreiben. Der Reiz Werbung
löst beim Rezipienten nicht unbedingt immer einen
Kaufwunsch aus, der im Idealfall zum Erwerb eines
Produktes führt. Forschungen zeigen vielmehr, dass
die Werbewirkung ein komplexer Prozess ist, der bei
jedem Menschen anders abläuft. Der Wirkungsgrad
hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren wie
Alter, Bildungsgrad oder spezifischen Bedürfnissen
und Erfahrungen ab.
Werbekompetenz ist nicht angeboren. Sie muss
im Laufe der kindlichen Entwicklung erst erlernt
und in der direkten alltäglichen Auseinandersetzung geschult werden. Kinder im GrundWerbekompetenz schulalter sind durchaus schon in der
muss erlernt und Lage, Werbung im Fernsehen von Progeschult werden. gramminhalten zu unterscheiden – eine
wichtige Voraussetzung für den Ausbau
und die Festigung von Werbekompetenz. Mit etwa
sieben Jahren wird ihnen deutlich, dass Werbung
etwas verkaufen will, häufig sehen sie sich selbst
aber noch nicht als Empfänger einer Werbebotschaft. Mit etwa elf bis zwölf Jahren können Heranwachsende die Werbeabsichten dann auf sich selbst
beziehen.1
Der Grundstein für das Erlangen von Werbekompetenz ist bei Kindern im Grundschulalter gelegt.
Gerade deswegen ist es wichtig, mit Kindern dieser
Altersgruppe über Werbung zu sprechen und ihnen
zu vermitteln, wie Kaufwünsche geweckt werden
1
54 K Jug
vgl. Aufenanger, Stefan (2005): Medienpädagogische
Überlegungen zur ökonomischen Sozialisation von Kindern. In: merz. medien + erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik. München. 49. Jg. 1/2005, S. 11-16
und mit welchen Mechanismen Werbung arbeitet.
Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Medienpädagoge an
der Universität Mainz und Mitglied im Expertenbeirat der medienpädagogischen Initiative Media
Smart, hält die Grundschule »für den richtigen Ort
für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Werbung«2. Auch die Lehrpläne der einzelnen
Bundesländer sehen die Behandlung des Themas in
der dritten und vierten Klasse vor, zumeist im Rahmen des Deutsch- oder Sachunterrichts.

Medienkompetenzförderung mit
Unterrichtsmaterialien von Media
Smart
Über Media Smart e.V.
Media Smart ist eine internationale Initiative zur Förderung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen und
stellt kostenlos hochwertiges medienpädagogisches Lehrmaterial zur Verfügung.
In Deutschland wurde der gemeinnützige Verein im
Jahr 2004 von Partnern aus werbetreibenden Unternehmen, Verbänden und Medien ins Leben gerufen.
Die Mitgliedsunternehmen finanzieren Entwicklung, Produktion und Versand der medienpädagogischen Materialien. Sie verzichten auf jede Form
des kommerziellen Gewinns und treten bewusst
ohne Logo und Markennamen auf, um sich vom
Schulsponsoring klar abzugrenzen. Für die Konzeption der Materialien ist die medienpädagogische
Projektstelle in Köln zuständig, die von einem hochkarätig besetzten unabhängigen Expertenbeirat
2
Media Smart e.V. (Hrsg.) (2011): Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen. Medienpädagogische
Materialien für die Grundschule 3./4. Klasse. Köln: o.V.,
S. 2
KJug, 58. Jg., S. 54 – 56 (2013)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
2/2013
Titelthema
Niketta • »Augen auf Werbung«
ehrenamtlich unterstützt wird: Wissenschaftler/innen der Universitäten Hamburg, Mainz und Zürich,
Lehrer/innen sowie Vertreter/innen des Jugendschutzes beraten die Projektstelle bei der inhaltlichen und methodischen Entwicklung sowie Umsetzung der medienpädagogischen Materialien.
Die Idee zu Media Smart stammt ursprünglich
aus Kanada: Dort gibt es unter dem Namen »Concerned Children’s Advertisers« seit 1990 kostenloses
Unterrichtsmaterial zur Vermittlung von Werbekompetenz. Media Smart umfasst inzwischen ein Netzwerk von medienpädagogischen Initiativen in neun
europäischen Ländern und ist bei der EU-Kommission als europäisches Projekt für unabhängige und
kompetente Medienerziehung anerkannt.3
• Extras (Spiel »Werbechampion«, WerbediplomUrkunde, Elterninformationen u. a.)
• DVD mit Lehrfilm und Beispielen von Fernsehund Radiowerbespots
• CD mit Beispielen von Plakat- und Internetwerbung
Die Resonanz auf die Grundschulmaterialien von
Media Smart ist ausgesprochen positiv. An jeder
zweiten Grundschule in Deutschland ist das Unterrichtspaket »Augen auf Werbung« seit seiner ersten
Veröffentlichung im Jahr 2005 bereits zum Einsatz
gekommen. Pädagog/inn/en, die mit den Materialien arbeiten, loben besonders deren Übersichtlichkeit und Praxisnähe.
Rezension auf der Internetseite
www.referendar.de
»Die Medienerziehung in der dritten und vierten
Jahrgangsstufe liegt vielen Lehrkräften besonders am Herzen. Gleichzeitig bereitet aber die
praktische Umsetzung dieser Thematik, z.B. als
handlungsaktivierendes Unterrichtsprojekt,
immer wieder Schwierigkeiten. »Augen auf
Werbung« liefert den Lehrern Hintergrundinformationen zum Thema Werbung, gibt Anregungen für die Unterrichtsgestaltung und stellt
eine Vielzahl von Materialien zur Verfügung, die
problemlos im Schulalltag eingesetzt werden
können. Uns haben die Arbeitsblätter, die DVD
mit den Filmbeiträgen und die Fülle von positiven Anregungen, z.B. auch für die Elternarbeit
absolut überzeugt. Allen Grundschulreferendaren können wir nur empfehlen, diese Unterrichtsmaterialien kostenlos zu bestellen!4«
Media Smart-Materialpaket für Grundschulen
Media Smart gibt Lehrer/inne/n, Erzieher/inne/n
und Eltern didaktische Werkzeuge an die Hand, die
eine nachhaltige Vermittlung von Werbekompetenz
ermöglichen. Für den Einsatz in der dritten und
vierten Grundschulklasse ist das Media
3. und 4. Klasse Smart-Unterrichtspaket »Augen auf Werbung. Werbung erkennen und hinterfragen« konzipiert, das 2011 komplett überarbeitet in
dritter Auflage erschien. Das Paket bietet Pädagog/
inn/en neben Hintergrundinformationen acht konkrete Unterrichtsvorschläge, um das Thema Werbung praxisnah mit ihren Schülerinnen und Schülern zu bearbeiten – beispielsweise in Form einer
Einheit, in der Kinder selbst Werbung gestalten.
• Sachinformationen zum Thema Werbung
• acht Unterrichtseinheiten mit didaktischen Anregungen (inklusive Hinweisen für die Weiterarbeit
in verschiedenen Unterrichtsfächern)
• Kopiervorlagen (Schaubilder, Auftragskarten,
Arbeitsblätter und Rollenspielkarten)
www.mediasmart.de
Die Onlineplattform www.mediasmart.de richtet
sich an Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Auf
einer eigenen Kinderwebseite können junge User
ihre Meinung zu aktuellen Medienthemen äußern
und sich mit Hilfe von Erklärungsmodulen über Hintergründe und Erscheinungsformen von Werbung
informieren. Die Figuren Inge Internet, Anne Anzeige, Felix Fernsehen, Paul Plakat und Ralf Radio erklären in interaktiven Modulen, welche Werbeformen es gibt und wie man diese erkennen kann.
Auch eine digitale Reise durch die Geschichte der
Werbung findet sich hier.
Für Pädagog/inn/en und Eltern steht auf der Media Smart-Internetseite ein eigener Bereich bereit.
Hier wird der Medienkonsum von Kindern ebenso
thematisiert wie der Umgang mit Taschengeld. Zu-
3
4
Das Materialpaket »Augen auf Werbung. Werbung
erkennen und hinterfragen« besteht aus:
2/2013
http://www.mediasmart.de/verein/ueber-uns/mediasmart-europe.html
http://www.referendar.de/wissenswertes/augen_auf_
werbung.html
KJug 55
Niketta • »Augen auf Werbung«
dem liefert die Seite viele Hintergrundinformationen zu den Themen Werbung und Werbeerziehung
und stellt aktuelle Informationen aus dem Bereich
der Medienpädagogik bereit.

Neue Media Smart-Projekte
Media Smart arbeitet derzeit daran, die Zielgruppen
zu erweitern. Entwickelt werden Onlinematerialen
für den Einsatz in der 5. und 6. Klasse. Mit
5. und 6. Klasse ihrer Hilfe sollen Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen Wissen
über aktuelle Themen wie »Virales Marketing« oder
»Werbung in sozialen Netzwerken« erlangen.
An Kinder im Vorschulalter wird sich ein Materialpaket mit Hörgeschichten und Bildern richten, das
Media Smart in diesem Jahr ebenfalls kostenfrei zur
Verfügung stellen wird. Das Paket beKinder im steht aus fünf Bausteinen, mit denen
Vorschulalter Erzieher/innen Vorschulkinder an die
unterschiedlichen Erscheinungsformen
von Werbung heranführen können. So lernen die
Kinder spielerisch, Werbung in ihrem Alltag zu erkennen – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass
sie später kompetent und kritisch damit umgehen.
Titelthema
Jeder der fünf Bausteine kombiniert eine Hörgeschichte mit einer passenden Bilderreihe, so dass
die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema
sowohl auf auditiver als auch auf visueller Ebene
erfolgen kann. Anregungen für die medienpädagogische Arbeit im Kindergarten finden Erzieher/innen
im Begleitmaterial. Weiterführende Informationen
zum Thema und Materialien für die Elternarbeit wird
Media Smart im Rahmen des neuen Vorschulpakets
ebenfalls bereitstellen.
Mirjam Niketta
MEDIA SMART e.V.
Picassoplatz 1
50679 Köln
Autorin
Mail: [email protected]
www.mediasmart.de, www.mediasmart-lehrer.de
Mirjam Niketta studierte Sozial- und Kulturwissenschaften und ist seitdem als Medienpädagogin in Theorie und Praxis tätig. Seit 2009 ist sie
bei Media Smart als Projektleitung tätig.
Werbung mit und vor Kindern
Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen (Auswahl)
§ 110 BGB – Bewirken der Leistung mit eigenen Mitteln
Sog. Taschengeldparagraph
Ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des
gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt als
von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die
vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm
zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten
überlassen worden sind.
Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag - JMStV) – § 6 Jugendschutz in der Werbung und im Teleshopping
(…)
(2) Werbung darf Kinder und Jugendliche weder körperlich noch seelisch beeinträchtigen, darüber hinaus darf
sie nicht
1. direkte Aufrufe zum Kaufen oder Mieten von Waren
oder Dienstleistungen an Minderjährige enthalten,
die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen,
2. Kinder und Jugendliche unmittelbar auffordern,
ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen,
56
K Jug
3. das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder
oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, oder
4. Kinder oder Minderjährige ohne berechtigten
Grund in gefährlichen Situationen zeigen.
(3) Werbung, deren Inhalt geeignet ist, die Entwicklung
von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit
zu beeinträchtigen, muss getrennt von Angeboten erfolgen, die sich an Kinder oder Jugendliche richten.
(4) Werbung, die sich auch an Kinder oder Jugendliche
richtet oder bei der Kinder oder Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden, darf nicht den Interessen von
Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen.
(5) Werbung für alkoholische Getränke darf sich weder
an Kinder oder Jugendliche richten noch durch die Art
der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders ansprechen oder diese beim Alkoholgenuss darstellen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für Teleshopping und
Sponsoring entsprechend. Teleshopping darf darüber
hinaus Kinder oder Jugendliche nicht dazu anhalten,
Kauf- oder Miet- bzw. Pachtverträge für Waren oder
Dienstleistungen zu schließen.
2/2013
Titelthema
Gesetzliche Grundlagen und Selbstverpflichtungen (Auswahl) • »Werbung mit und vor Kindern«
Gemeinsame Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes
(Jugendschutzrichtlinien – JuSchRiL)
7. Jugendschutz in Werbung und Teleshopping (§ 6 JMStV)
(…)
7.1 Werbung, die sich an Kinder richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn sie direkte Kaufaufforderungen
enthält. Ihnen sind solche Kaufaufforderungen gleichzustellen, die lediglich eine Umschreibung direkter Kaufaufforderungen enthalten. Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit werden bei Kindern vermutet.
Werbung, die sich an Jugendliche richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn sie direkte Kaufaufforderungen
an Jugendliche richtet, die deren Unerfahrenheit und
Leichtgläubigkeit ausnutzen.
7.2 Unter Inhalt im Sinne des § 6 Abs. 3 JMStV sind Produkte und Dienstleistungen zu verstehen.
7.3 Werbung, die sich auch an Kinder richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn
1. sie einen Vortrag über besondere Vorteile oder Eigenarten des Produktes enthält, die nicht den natürlichen Lebensäußerungen der Kinder entsprechen;
2. sie für Produkte, die selbst Gegenstand von Kinderangeboten sind, vor oder nach einer Sendung in
einem Werbeblock geschaltet wird;
3. sie im Rundfunk prägende Elemente enthält, die
auch Bestandteil der Kindersendung vor oder nach
dem Werbeblock sind.
7.4 Werbung, die sich auch an Kinder und Jugendliche
richtet, ist insbesondere unzulässig, wenn
1. sie strafbare Handlungen oder sonstiges Fehlverhalten, durch das Personen gefährdet sind oder ihnen
geschadet werden kann, als nachahmenswert oder
billigenswert darstellt;
2. sie aleatorische Werbemittel (z.B. Gratisverlosungen, Preisausschreiben und -rätsel u.ä.) in einer
Art und Weise einsetzt, die geeignet ist, die Umworbenen irrezuführen, durch übermäßige Vorteile anzulocken, deren Spielleidenschaft auszunutzen oder
anreißerisch zu belästigen.
Vorläufiges Tabakgesetz (LMG) – § 22 Werbeverbote
(…)
(2) Es ist verboten, im Verkehr mit Tabakerzeugnissen
oder in der Werbung für Tabakerzeugnisse allgemein
oder im Einzelfall
1. Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen zu verwenden,
….
b) die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind,
Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu
veranlassen,
…..
Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz) – § 11
(1) Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel
nicht geworben werden
….
12. mit Werbemaßnahmen, die sich ausschließlich oder
überwiegend an Kinder unter 14 Jahren richten,
2/2013
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
Anhang (zu § 3 Absatz 3)
Unzulässige geschäftliche Handlungen im Sinne des
§ 3 Absatz 3 sind
…..
28. die in eine Werbung einbezogene unmittelbare Aufforderung an Kinder, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder die beworbene Dienstleistung in Anspruch
zu nehmen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene
dazu zu veranlassen;
…..
Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für die Werbung mit und
vor Kindern in Hörfunk und Fernsehen (Fassung von 1998)*
Bei der Werbung mit Kindern und bei der Werbung, die
sich speziell an Kinder wendet, sind insbesondere die
nachstehenden Grundsätze bei der Gestaltung und
Durchführung von Werbemaßnahmen zu beachten:
1. Sie sollen keinen Vortrag von Kindern über besondere Vorteile und Eigenarten des Produktes enthalten, der nicht den natürlichen Lebensäußerungen
des Kindes gemäß ist.
2. Sie sollen keine direkten Aufforderungen zu Kauf
oder Konsum an Kinder enthalten.
3. Sie sollen keine direkten Aufforderungen von Kindern und/oder an Kinder enthalten, andere zu veranlassen, ein Produkt zu kaufen.
4. Sie sollen nicht das besondere Vertrauen, das Kinder
bestimmten Personen entgegenzubringen pflegen,
missbräuchlich ausnutzen.
5. Aleatorische Werbemittel (z.B. Gratisverlosungen,
Preisausschreiben und -rätsel u.ä.) sollen die Umworbenen nicht irreführen, nicht durch übermäßige
Vorteile anlocken, nicht die Spielleidenschaft ausnutzen und nicht anreißerisch belästigen.
6. Sie sollen strafbare Handlungen oder sonstiges
Fehlverhalten, durch das Personen gefährdet werden können, nicht als nachahmenswert oder billigenswert darstellen oder erscheinen lassen.
Für die Werbung im Fernsehen mit Jugendlichen und die
Fernsehwerbung, die sich speziell an Jugendliche wendet sowie das Teleshopping, gilt darüber hinaus unter
Berücksichtigung der Bestimmungen der EU-Fernsehrichtlinie vom 3. Oktober 1989 i. d. Fassung vom 30. Juni
1997:
7. Es sollen keine direkten Kaufaufforderungen an Jugendliche gerichtet werden, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen.
8. Jugendliche sollen nicht unmittelbar dazu aufgefordert werden, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der
beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen.
9. Es soll nicht das besondere Vertrauen, das Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, ausgenutzt werden.
10. Jugendliche sollen nicht ohne berechtigten Grund
in gefährlichen Situationen gezeigt werden.
*
A.d.R. Diese Regeln sind Selbstverpflichtungen ohne Gesetzesqualität; mittlerweile haben – im Gefolge der Neufassung der EU-Fernsehrichtlinie im Dezember 2007 –
Teile davon in gesetzliche Regelungen (JMStV, UWG) Eingang gefunden.
KJug 57
Fachbeitrag
Judith Bündgens-Kosten / Tobias Hölterhof
Angst vor dem Netz
Medienangst und pädagogisches Handeln
Das Internet scheint kontrovers zu sein. Während auf der einen Seite die neuen Möglichkeiten
und Potentiale des Mediums herausgestellt werden, wird auf der anderen Seite oft auf die Risiken
und Gefahren hingewiesen. In dem Ringen um Pro oder Contra schimmert dabei nicht selten ein
Phänomen hervor, welches die Diskussion bestimmen kann ohne separat thematisiert zu werden.
Es handelt sich dabei um ein Phänomen, welches so alt ist wie die Menschheit selber: Angst.

Angst, Medienangst & Medienpanik
Während früher mit Sorge der Einfluss des Fernsehens betrachtet wurde, ist das Angstmedium (Keuneke 2011) heute sicherlich das Internet, wenn auch
das Handy mit seinen vielen Möglichkeiten zur
Bild-/Ton-/Videoaufzeichnung, Kommunikation
und zum Datentausch, ebenfalls viele Ängste erzeugt. Im Zusammenhang etwa mit sozialen Netzwerken bestehen Sorgen in Bezug auf Privatsphäre,
Cyber-Mobbing, sexuelle Belästigung, unerwünschte Inhalte (etwa in Bezug auf politische und religiöse
Propaganda, aber auch auf Pornographie oder Gewaltinhalte) sowie finanzielle (Abofallen & Co.) und
juristische (z.B. Verletzung des UrheberMedienangst ist eng rechts) Fallstricke. »Medienangst« kann
verbunden mit der dabei natürlich zunächst als »Angst in
Sorge um das Wohl- Bezug auf Medien« verstanden werden,
ergehen von Kindern also als eine durch Medien näher beund Jugendlichen stimmte Angst. Keuneke (2011) betrachtet Medienangst aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive: »Zusammengefasst soll Medienangst als ein überhistorisch und
-kulturell auftretendes Gefühl der Bedrohung definiert werden, das von einem Medium ausgelöst, von
mehreren Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt und
durch skeptische, besorgte oder ablehnende Äußerungen zum Ausdruck gebracht wird. Die Gesamtheit dieser Äußerungen soll als Medienangstdebatte bezeichnet werden; das Objekt einer Medienangstdebatte als Angstmedium.« (Keuneke 2011,
278f). Sie argumentiert: »Ein neues Medium löst
Angst aus, da es fremd ist und zudem zu Veränderungen im bestehenden Machtgefüge der Gesellschaft führt« (ebd., 278).
Dabei erschafft das Internet einen scheinbar
undurchdringlichen Handlungsraum. Boethius
führt aus: »Popular culture has almost always been
58 K Jug
considered a threat to young people. It has been
associated with leisure or with the borderline area
between family, school or work in which the control
of guardians or supervisors has been limited or nonexistent. The recurring attacks on popular culture
have therefore been lodged primarily by representatives of these spheres: from parents, teachers or
others who concern themselves with young people’s
spiritual and moral upbringing« (Boethius 1997, 38).
Medienangst ist also eng verbunden mit der Sorge
um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen,
zumeist mit der Sorge um Viktimisierung, seltener
mit der Sorge um Kriminalisierung durch Medien.
Eng mit dem Begriff der Medienangst verwandt
ist auch der Begriff der Medienpanik (›media panic‹)
bzw. Technikpanik (›techno panic‹). Angelehnt an Cohens Konzept der moral Angst als
panic (Cohen 1971, siehe auch Goode & gesellschaftliches
Ben Yehuda 2009, Critcher 2011) werden oder kulturelles
hier Medienängste als gesellschaftliches Phänomen
und überindividuelles Phänomen betrachtet. Marwick erörtert, dass sich eine Technikpanik im weitesten Sinne auf alle Technologien (etwa Atomkraft, Gentechnik, etc.) beziehen kann,
dass jedoch eine Technikpanik im engeren Sinne
durch folgende Merkmale gekennzeichnet sei (Marwick 2008, n.p., vgl. auch Drotner 1992):
• Fokus auf neue Medien
• Pathologisierung der Mediennutzung junger
Leute
• Versuch der Modifikation oder Regulierung dieser Mediennutzung (Kontrolle der jungen Nutzer/innen bzw. der Medienproduktion)
Medienpanik bzw. Technikpanik ist sicherlich nicht
mit jeder Form der Medienangst gleichzusetzen.
Dennoch ist die Grundidee, dass Angst nicht nur als
KJug, 58. Jg., S. 58 – 61 (2013)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
2/2013
Fachbeitrag
Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz
individuelles Angstempfinden sondern auch als gesellschaftliches oder kulturelles Phänomen zu betrachten ist, hier hilfreich. Nicht jede Medienangstdebatte ist eine Medienpanik, aber einzelne Eigenschaften von Medienpanik charakterisieren viele
Medienangstdebatten.
Nach Goode & Ben-Yehuda (2009) ist eine notwendige Voraussetzung von moral panics, dass es
eine Kluft zwischen wahrgenommener Gefährdung
und tatsächlicher, objektiver Gefährdung
Kluft zwischen wahr- gibt (disproportion bzw. Unverhältnisgenommener Gefähr- mäßigkeit). Für die Angst als Angst spielt
dung und tatsäch- es jedoch keine Rolle, ob und wie sie mit
licher, objektiver tatsächlichen GefährdungswahrscheinGefährdung lichkeiten verknüpft ist. Medienangst
wirkt unabhängig von der Realität oder
Präzision der mit ihr verbundenen Gefährdungsannahmen.
Schließlich ist Angst auch ein philosophisches
Phänomen, das als Faktum des menschlichen Daseins gelten kann. Die Existenzphilosophie betrachtet dabei Angst als ursprünglich und bedeutungsreich für den Menschen. »Angst« ist dabei im existenzphilosophischen Sinn unbestimmt, während
»Furcht« ein Zustand ist, der sich auf einen Gegenstand bezieht. Eine solche Begriffsklärung findet
sich etwa bei Sören Kierkegaard (1965, 40) und bei
Martin Heidegger (1979, 344). »Angst«
Angst und Furcht drückt demnach eine subjektive Stimmung des Menschen aus, die aus seiner
existenziellen und freiheitlichen Konstitution erwächst. Angst bezieht sich nicht wie Furcht auf etwas Innerweltliches oder Bestimmtes, sondern das
Dasein und das Existieren des Menschen als In-derWelt-sein selbst ist die Bedingung für Angst. Diese
terminologische Unterscheidung der Existenzphilosophie findet sich jedoch wenig in der Alltagssprache wieder (vgl. Balzereit 2010, 63). Hinzu kommt,
dass Heidegger selbst von einer »phänomenalen
Verwandtschaft« zwischen Furcht und Angst
spricht, die er jedoch nicht weiter spezifiziert (Heidegger 1979, 185; vgl. Kümmel 1979, 29). Im Kontext
der Medienangst weisen diese Überlegungen insofern auf eine Grundbefindlichkeit des Menschen
hin, die eine Disposition zur Medienangst oder
-furcht verständlich werden lassen und das Thema
in einem Problemhorizont positioniert.

Ist Angst ein Problem?
Die existenzphilosophische Bestimmung der Angst
begründet Angst in der Konstitution der menschlichen Existenz. Angst ist dabei kein Zustand, der
überwindbar ist. Der Mensch wird bei Kierkegaard
etwa als freiheitliches Wesen aufgefasst und Angst
2/2013
als »Freiheit de potetia« (vgl. Harris 2001, 250).
Angst und Freiheit sind damit gleichursprünglich,
das eine ist nicht ohne das andere denkbar. Zwar
spiegelt diese unüberwindbare Bestimmung das
realistisch pessimistische Daseinsverständnis der
Existenzphilosophie, Angstfreiheit als Zielzustand
pädagogischen Handelns erscheint gleichzeitig jedoch als fraglich und gerät in einen Widerspruch zur
freiheitlichen Bestimmung des Menschen. Die existenzielle Pädagogik von Otto Friedrich
Bollnow, die Wagnis und Scheitern auf- Angst ist nicht
grund der freiheitlichen Konstitution des wirkungslos
Menschen als Wesensmomente der Erziehung herausstellt (vgl. Bollnow 1958), kann hier
sicherlich als Orientierungspunkt für medienpädagogisches Handeln gelten. Es gilt demnach, den
Blick für das Phänomen und seine Bedeutung für
den Menschen zu schärfen.
Die Annahme, dass Angst eine Konstante
menschlichen Lebens ist, impliziert jedoch nicht,
dass Angst neutral oder gar wirkungslos sei. Auch
wenn der Mensch ein angstempfindendes Wesen
ist, hat Medienangst Folgen für die pädagogische
Praxis.

Folgen von Angst für die medienpädagogische Praxis
Im Rahmen eines medienpädagogischen Projekts
führten einige Schüler/innen der 6. Klasse eine Befragung von Mitschüler/inne/n durch. Sie wollten
wissen, wovor sich Gleichaltrige in sozialen Netzen
am meisten fürchteten. Das überraschende Ergebnis: Hacker und Stalker. Repräsentativer sind aber
sicherlich die von der JIM-Studie (2010) erhobenen
Daten. Befragt nach den ihrer Meinung nach größten Gefahren im Internet, nannten die Schüler/innen
von 12 bis 19 vor allem Abzocke/Betrug allgemein
(Mädchen: 40%, Jungen 49%), Viren (Mädchen 29%,
Jungen 55%), Datenmissbrauch/Datenklau (Mädchen 33%, Jungen 23%) sowie Cybermobbing (Mädchen 31%, Jungen 20%) (Medienpädagogischer
Forschungsverbund Südwest 2010, 46). Zu beachten ist bei solchen Aufzählungen jedoch, dass Schüler/innen oft andere Dinge mit den gleichen Begriffen meinen, als ihre Eltern oder Lehrer/innen, wie
Wagner et al. (2012) am Beispiel »Cybermobbing«
demonstriert haben.
Die Ängste in Bezug auf Medien unterscheiden
sich also sicherlich zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern und Jugendlichen andererseits,
und sind auch innerhalb dieser Gruppen durchaus
heterogen – beeinflusst durch vielfältige Aspekte
wie etwa soziales Umfeld, Berichterstattung in den
jeweils bevorzugten Massenmedien, eigene prak-
KJug 59
Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz
tische Medienerfahrungen oder das eigene Wertesystem. Aber Medienangst hat immer Folgen für
die medienpädagogische Praxis, manchmal direkt
abhängig von den konkreten Befürchtungen,
manchmal aber auch unabhängig von den jeweilig
wahrgenommenen Gefährdungsannahmen.
Angst und insbesondere massenmedial unterstützte Medienangstdebatten schaffen zuerst einmal Aufmerksamkeit für Medien und deren Wirkungen. In diesem Sinne schafft Angst eine ›Lobby‹
für Medienarbeit. In Zeiten voller Lehrpläne und
vielfältiger Anforderungen an Schule und
Medienangst als Unterricht kann eine medial vermittelte
Thema in Schulen Medienangstdebatte und konkrete Ängste auf Schüler/innen-, Lehrer/innenund Eltern-Seite dazu motivieren, knappe Zeitressourcen diesem Thema zu widmen.
Gleichzeitig beeinflusst Medienangst aber auch
die Bedingungen solcher Medienarbeit. Starke Ängste können ggf. einen gestaltenden Ansatz als weniger geeignet oder durch Elternseite akzeptiert als
z.B. einen bewahrenden/warnenden Ansatz erscheinen lassen. Konkrete ›Wellen‹ in der Medienangstdebatte (z.B. Facebook-Partys) legen vielleicht
nicht immer den Fokus auf die – aus medienpädagogischer Sicht – dringlichsten Themen. Insgesamt
droht, dass die Gefahren von Medien gegenüber
deren Möglichkeiten überbetont werden.
Schließlich prägt Medienangst insofern die »pädagogische Atmosphäre« (Bollnow 1961), als dass
sie emotional auf die Beziehung zwischen Erziehungspersonen und Schüler/inne/n bzw. Kindern
wirkt.
Auf der individuellen Ebene hat Angst ebenfalls
Folgen. Angst kann mitbestimmen, welche Informationen, die zu Medienthemen verfügbar sind, besonders stark wahrgenommen oder behalten werden. Angst (genauso wie Furcht) kann Verhalten
auch über Aufmerksamkeitssteuerung hinaus beeinflussen, etwa in Bezug auf Vermeidungsverhalten (vgl. fear appeals, Barth & Bengel 2000).
Nicht zu vergessen ist, dass Angst oft mit dem
Wunsch nach gesetzlicher oder sozialer Normierung/Regulierung, bzw. nach techFolge: Wunsch nach nischen Kontrollmöglichkeiten einhergesetzlicher oder geht, wie etwa in der Medienberichtersozialer Normierung/ stattung zu ›Facebook-Partys‹ gut
Regulierung mitverfolgt werden konnte. So können
dann Angst bzw. die Medienangstdebatte in einem längeren Prozess auch zu tatsächlichen
Veränderungen technischer oder juristischer Gegebenheiten führen.
Fachbeitrag

Schlussfolgerung
Der Mensch empfindet Angst und ist durch Angst
geprägt. Medienangst spezifiziert dabei Angst, die
sich auf Medien im Allgemeinen und auf einzelne
Medien im Besonderen beziehen kann, ohne aber
notwendigerweise auf ein tatsächlich erhöhtes Gefahrenrisiko hinzuweisen. Angst als Emotion ist
nicht wirkungslos. Sie beeinflusst auf überindividueller Ebene die pädagogische Atmosphäre, in der
man agiert, bzw. erhöht die gefühlte Relevanz von
Medien als Thema für den Unterricht. Auf individueller Ebene wirkt sie auf Informationsaufnahme und
-verarbeitung, Vermeidungsverhalten. Angst kann
die Ursache für einen Wunsch nach gesetzlicher/
technischer Regulierung sein.
Die konkrete, womöglich unverhältnismäßige Angst
in Zusammenhang mit Gefährdungsszenarien kann
in der medienpädagogischen Praxis angegangen
und thematisiert werden, bestimmte Handlungsoptionen können gelernt und ausprobiert werden. Die
Angst an sich ist dagegen im existenzphilosophischen Sinn nicht »therapierbar«: Angst gehört hier
zur basalen Faktizität des Daseins, hinter die pädagogisches Handeln nicht zurückgehen kann.

Literatur
Boëthius, Ulf (1995): Youth, the media and moral panics. In: Fornäs, Johan; Bolin, Göran (Hrsg.): Youth
culture in late modernity. London, S. 38-57
Balzereit, Marcus (2010): Kritik der Angst: zur Bedeutung von Konzepten der Angst für eine reflexive
soziale Arbeit. Wiesbaden
Barth, Jürgen; Bengel, Jürgen (2000): Prevention
through fear? The state of fear appeal research.
Köln
Bollnow, Otto Friedrich (1958): Wagnis und Scheitern
in der Erziehung. In: Pädagogische Arbeitsblätter
zur Fortbildung für Lehre und Erzieher, 10. Jahrgang, Heft 8, S. 337-349, http://www.otto-fried
rich-bollnow.de/doc/WagnisundScheiternErz.pdf
Bollnow, Otto Friedrich (1961): Die pädagogische Atmosphäre. In: Das Studienseminar, Band 6, Heft 1,
S. 2-20
Cohen, Stanley (1972): Folk devils and moral panics:
The creation of the Mods and Rockers. London
Critcher, Chas (2003): Moral panics and the media.
Ballmoor
60
K Jug
2/2013
Fachbeitrag
Bündgens-Kosten/Hölterhof • Angst vor dem Netz
Drotner, Kirsten (1992): Modernity and media panics.
In: Skovmand, Michael; Schräder, Kim Christian
(Hrsg.): Media cultures: reappraising transitional
media. London, S. 42-62
Wagner, Ulrike; Brüggen, Niels; Gerlicher, Peter;
Schemmerling, Mareike (2012): Wo der Spaß aufhört... Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten. http://www.
jff.de/studie_online-konflikte
Goode, Erich; Ben-Yehuda, Nachman (2009): Moral panics: The social construction of deviance. Malden
Heidegger, Martin (1979): Sein und Zeit. Tübingen
Harrits, Flemming (2001): Bewegungen und Figuren
des Denkens in Der Begriff Angst. In: Schulz, Heiko;
Stewart, Jon; Verstrynge, Karl (Hrsg.): Kierkegaard
Studies Yearbook. Berlin/New York, S. 247-267
Keuneke, Susanne (2011): Medienangst als Maßstab:
Der wechselhafte Umgang mit dem Populären am
Beispiel der Literatur. In: Lüdeke, Roger (Hrsg.):
Kommunikation im Populären: Interdisziplinäre
Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen.
Bielefeld, S. 273-296
Kümmel, Friedrich (1979): Angst als Seinsmodus des
Menschen? In: Stietencron, Heinrich von (Hrsg.):
Angst und Gewalt: ihre Präsenz und ihre
Bewältigung in den Religionen. Düsseldorf, S. 2742, http://friedrich-kuemmel.de/doc/Angst.pdf
Kierkegaard, Søren (1965): Der Begriff Angst. Hrsg. von
Emanuel Hirsch, Düsseldorf
Marwick, Alice E. (2008): To catch a predator? The
MySpace moral panic. In: First Monday, Band 13, 6,
http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/
index.php/fm/article/view/2152/1966
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
(2010): Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/
JIM2010.pdf
2/2013
Dr. Judith Bündgens-Kosten
Goethe-Universität Frankfurt
Akademie für Bildungsforschung
und Lehrerbildung
Varrentrappstr. 40-42
60486 Frankfurt am Main
Mail: [email protected]
Autoren
Bis Februar 2013 an der Universität DuisburgEssen, Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement, im »Schülerkolleg Pädagogik« beschäftigt, seit März 2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie für
Bildungsforschung und Lehrerbildung der Goethe-Universität Frankfurt (Projekt: »Bedeutung
der Erst- und Zweitsprache bei Lerner/innen der
Fremdsprache Englisch für die kooperative Bearbeitung textbasierter Lernaufgaben«)
Tobias Hölterhof
Dr. phil., Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl
für Mediendidaktik und Wissensmanagement,
Arbeitsschwerpunkte: Philosophische Aspekte
von Lernen, Bildung und Medien
KJug 61
§§
Recht und Rechtsprechung
Sigmar Roll
Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln ist in einer nicht rechtskräftigen Entscheidung zum
Ergebnis gekommen, dass im Einzelfall durch ein Gewinnspiel Minderjährige zu einem Kauf über Bedarf
angeregt werden können und dann unlauterer Wettbewerb vorliegt (Urteil vom 21.09.2012; Aktenz. 6 U 53/12)*.
Leitsätze des Gerichts
1. Für eine stets unlautere unmittelbare Aufforderung
zum Kauf von Waren gegenüber Kindern genügt es
nicht, dass Kinder in der Werbung gezeigt werden, die
sich die Ware kaufen oder ihre Eltern zum Kauf auffordern.
2. Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Werbung
ist auf das Verständnis des durchschnittlichen Mitglieds einer schutzbedürftigen Verbrauchergruppe
(hier: minderjährige Kinder) bereits dann abzustellen,
wenn die Werbung aufgrund objektiver Kriterien erkennbar dazu bestimmt ist, auch Mitglieder dieser
Gruppe zu erreichen.
3. Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen mit
einem an den Warenumsatz gekoppelten Gewinnspiel
ist nicht generell unlauter, sondern erfordert eine Betrachtung des Einzelfalls; unlauter kann sie sein, wenn
Minderjährigen in einem Werbespot eine unrealistische Korrelation von Mehreinkauf und Gewinnchance vorgespiegelt [wird] und sie dadurch zu einem Kauf
über Bedarf angeregt werden.

Sachverhalt
Ein großer Süßwarenhersteller, die Fa. H, hatte eine
deutschlandweite Kampagne durchgeführt, bei welcher die Teilnahme an einem Gewinnspiel an den
Kauf ihrer Fruchtgummiprodukte gekoppelt war.
Beim Kauf von fünf Packungen zum Preis von ca. je
1 € konnte man die Originaleinkaufsbelege einsenden und nahm damit an der Verlosung von 100 Goldbarren im Wert von je 5.000 Euro teil. Im zugehörigen Werbespot trat der bekannte Fernsehmoderator X auf und führte (Werbe-)Gespräche mit zwei
62
K Jug
Familien (Vater, Mutter, 2 Kinder bzw. Mutter und 2
Kinder) beim Einkaufen im Supermarkt.
Auf die Klage eines anderen Süßwarenherstellers, der Fa. K, hat das Gericht in erster Instanz unlauteren Wettbewerb angenommen, weil bei einer
an Kinder und Jugendliche gerichteten Werbung die
Kopplung eines Gewinnspiels an den Warenabsatz
mit der beruflichen Sorgfalt generell nicht zu vereinbaren und daher unlauter sei. Die Berufung der Fa.
H ist im Ergebnis – allerdings mit modifizierten
Gründen – abgelehnt worden, jedoch die Revision
zugelassen worden, um die Auslegung der europäischen Wettbewerbsrichtlinie in Deutschland
höchstrichterlich klären lassen zu können.

Argumentation des Gerichts
II. (…)
2. Die Werbung mit dem von der Fa. H veranstalteten
Gewinnspiel, an dem nur teilnehmen kann, wer zuvor Waren in einem bestimmten Umfang erworben
hat, ist eine geschäftliche Handlung, da diese Maßnahme unmittelbar auf die Förderung des Absatzes
der Fa. H zielt.
3. Die Unlauterkeit der geschäftlichen Handlung ergibt sich nicht bereits aus § 3 Abs. 3 UWG iVm
Nr. 28 des Anhangs. Nach Nr. 28 des Anhangs ist
eine Werbung unlauter, die eine unmittelbare Aufforderung an Kinder enthält, selbst die beworbene
Ware zu erwerben oder ihre Eltern zum Erwerb der
Produkte zu veranlassen. Der streitgegenständliche
Werbespot enthält jedoch keine unmittelbare Aufforderung.
* voller Wortlaut dieser Entscheidung siehe www.bag-ju
gendschutz.de/recht_rechtsprechung_jugendschutz.html
KJug, 58. Jg., S. 62 – 67 (2013)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.
2/2013
Recht und Rechtsprechung
Für eine unmittelbare Aufforderung genügt es nicht,
dass Kinder in der Werbung gezeigt werden, die sich
das Produkt kaufen (…) oder die ihre Eltern zu einem
Kauf auffordern (…). Eine so
weite Auslegung der FallbeiDie hier vom Gesetzgeber aufspiele des Anhangs, die
gelisteten Fallbeispiele sind,
 Per-se-Verbote ohne
wenn sie vorliegen, generell aus sich
heraus (= per se) verboten, ohne
Wertungsmöglichkeit dardass noch eine Einzelfallkorrektur
stellen, würde in nicht ge(wie minder schwerer Fall o.Ä.) zuläsrechtfertigter Weise nahezu
sig wäre.
jede Werbung verhindern,
die Kinder einbezieht (…).
Die in der Literatur unterschiedlich beantwortete
Frage, ob eine unmittelbare Aufforderung nur dann
vorliegt, wenn Kinder im Rahmen einer Verkaufsveranstaltung persönlich angesprochen werden (…)
oder ob eine unmittelbare Aufforderung bereits
dann gegeben ist, wenn eine gezielte persönliche
Ansprache der Kinder in der grammatischen Form
des Imperatives erfolgt (als Beispiele werden genannt: »Hol dir…«; »Nicht verpassen…«; »Sende
einfach SMS an…«; »Noch heute kaufen« …), kann
der Senat offen lassen, weil Aufforderungen dieser
Art in dem Werbespot nicht enthalten sind. Er enthält nur eine jeder Werbung innewohnende mittelbare Aufforderung in der Weise, dass sich aus den
Umständen ein Kaufappell ergibt.

4. Der streitgegenständliche Werbespot verstößt
jedoch gegen §§ 3, 4 Nr. 6 UWG, die die sog. Gewinnspielkopplung für unlauter erklären.
a) Die Kopplung von Gewinnspielen an ein Umsatzgeschäft ist allerdings nicht generell unlauter. Ein
solches Per-se-Verbot ohne Wertungsmöglichkeit,
wie es in § 4 Nr. 6 UWG enthalten ist, ist mit der
durch die Richtlinie 2005/29/EG gegen unlautere
Geschäf tspraktiken
 (UGP-Richtlinie) beHingewiesen wird darauf,
dass die europäische Wettbezweckten Vollharmonisiewerbsrichtlinie (Unlautere Gerung nicht vereinbar (…). Im
schäfts-Praktiken) eine VollharmoWege der richtlinienkonnisierung des Rechts vorgenommen
formen Auslegung des § 4
hat; das im Gesetzestext noch erNr. 6 UWG kann sich jedoch
sichtliche strenge Verbot der Koppein Verbot daraus ergeben,
lung von Gewinnspiel und Verkauf,
dass aufgrund der Umständas bisher in Deutschland galt, ist
de des Einzelfalles die
wegen des Vorrangs der Richtlinie
nur noch in eingeschränkter Form
Kopplung eine unlautere
anwendbar, wobei der genaue UmGeschäftspraktik darstellt
fang durch die Rechtsprechung zu
(…). Dies ist bei der streitgeklären ist.
genständlichen Kopplung
zu bejahen, weil sie in ihrer
konkreten Ausgestaltung einen Verstoß gegen die
fachliche Sorgfalt begründet.

2/2013
Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
b) Unter fachlicher Sorgfalt ist gemäß § 2 Abs. 1
Nr. 7 UWG der Standard an Fachkenntnissen und
Sorgfalt zu verstehen, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in
seiner Tätigkeit gegenüber dem Verbraucher nach
Treu und Glauben unter Berücksichtigung der
Marktgepflogenheiten einhält. Die fachliche Sorgfalt umfasst auch die Pflicht des Werbenden zur
Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Eine Unlauterkeit ist daher zu bejahen,
wenn von der Kopplung eine so starke Anlockwirkung ausgeht, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Verbraucher
vollständig in den Hintergrund tritt (...). Eine solche
übertriebene Anlockwirkung ist hier gegeben.
aa) (...)
(1) Nach § 3 Abs. 2 S. 2 und 3 UWG ist bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Werbung auf den
durchschnittlichen Verbraucher abzustellen. Wenn
für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine
geschäftliche Handlung nur eine besonders schutzbedürftige Gruppe betrifft, ist dagegen auf ein
durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser
strengere Maßstab nur gilt, wenn sich die Werbung
ausschließlich an Kinder und Jugendliche richtet
oder ob es genügt, wenn diese in erster Linie angesprochen werden.
Nach Ansicht des Senats ist auf ein durchschnittliches Mitglied einer schutzwürdigen VerbrauchergrupDie Ansicht des Senats wird in
pe bereits dann abzusteleiner sehr schönen Argumentationskette weg vom Wortlaut und
len, wenn die Werbung
hin zu Gesetzessystematik, Regeaufgrund objektiver Kritelungsziel und Vergleichsfällen in der
rien erkennbar dazu beobergerichtlichen Rechtsprechung
stimmt ist, auch Kinder und
aufgebaut.
Jugendliche zu erreichen.
Zwar mag der Wortlaut
der nationalen Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG
(dort heißt es »nur ... betrifft« und nicht wie in der
Richtlinie »nur ... beeinflussen«) ein Verständnis
dahingehend nahe legen, dass von der Werbung
ausschließlich Kinder und Jugendliche angesprochen werden müssen. Ein so enges Verständnis ist
jedoch weder mit dem Sinn und Zweck der Norm
vereinbar, noch entspricht es einer richtlinienkonformen Auslegung (…).

§ 3 Abs. 2 S. 3 UWG ist in Umsetzung des Art. 5
Abs. 3 UGP-Richtlinie ergangen. Danach sind Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für
den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von
KJug 63
Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund ihres Alters besonders schutzbedürftig ist,
aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen. Diese Regelung
erfasst auch solche Geschäftspraktiken, die sich
zwar an die Allgemeinheit richten, aber eben nicht
den Durchschnittsverbraucher, sondern nur eine
ganz bestimmte Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher in ihrem wirtschaftlichen Verhalten beeinflussen (...). Der strengere Maßstab ist also schon dann
heranzuziehen, wenn die Geschäftspraktik zwar
nicht ausschließlich an Kinder und Jugendliche gerichtet ist, diese aber möglicherweise beeinflusst
werden, eben weil sie auch angesprochen werden.
Würde man dies anders sehen und verlangen, dass
sich die Geschäftspraktik ausschließlich an diese
besonders schutzbedürftige Gruppe richtet, würde
Art. 5 Abs. 3 UGP-Richtlinie in seinem Regelungsgehalt nicht über das hinausgehen, was bereits Art. 5
Abs. 2 lit. b) UGP-Richtlinie besagt, nämlich dass für
die Beurteilung der Unlauterkeit auf das durchschnittliche Mitglied einer Gruppe abzustellen ist,
wenn sich die Geschäftspraktik an eine bestimmte
Gruppe von Verbrauchern richtet. Gestützt wird diese Auslegung durch den Gedanken des Verbraucherschutzes, der nur dann effektiv erreicht werden
kann, wenn ein strengerer Maßstab bereits in den
Fällen gilt, in denen sich die Geschäftspraktik zwar
an mehrere verschiedene Verbrauchergruppen wendet, eine von ihnen jedoch besonders schutzbedürftig ist. Nicht zuletzt hat es auch der Bundesgerichtshof bisher in den Entscheidungen, in denen es um
die Frage ging, ob strengere Maßstäbe an eine Werbung anzulegen sind, stets genügen lassen, wenn
Kinder und Jugendliche auch zu den Adressaten
gehörten (BGH GRUR 2006, 776, 777 – Werbung für
Klingeltöne; BGH GRUR 2009, 71, 72 – Sammelaktion für Schoko-Riegel). (...)
(2) Der streitgegenständliche Werbespot soll erkennbar die gesamte Familie und damit auch Kinder
und Jugendliche ansprechen. Das beworbene Produkt ist (worauf auch der in dem Spot verwendete
bekannte Slogan der Fa. H hinweist) bei Kindern und
Erwachsenen gleichermaßen beliebt und die Aufmachung des Werbespots belegt, dass Kinder und
Jugendliche jedenfalls auch zu den angesprochenen
Verbraucherkreisen gehören sollen. So spricht der
Fernsehmoderator X durchweg in einem »kindgerechten« Tonfall und in denkbar einfachen Sätzen.
(...) Des Weiteren werden die Familienmitglieder aus
einer kindlichen Perspektive als »Mutti« und »Papa« bezeichnet und auch der kleine Junge spricht
den Moderator X mit [dem Vornamen] »U« an. Demgegenüber spricht der ausgelobte Gewinn (...) eher
dafür, dass auch Erwachsene zur Zielgruppe des
64
K Jug
Recht und Rechtsprechung
Werbespots gehören. (...) Platziert wurde der Werbespot überwiegend im Laufe des Tages und im
Vorabendprogramm sowie – wenn auch in geringem
Umfang – nach 19 Uhr. Auch dies bekräftigt die Annahme, dass sich der Werbespot an alle Mitglieder
einer Familie richtet.
bb) (...)
(1) Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Minderjährige häufig nicht in der
Lage sind, Warenangebote ausreichend kritisch zu
beurteilen, und dass sie aufgrund ihrer geringeren
Lebenserfahrung den Risiken und Verlockungen der
Werbung eher unterliegen als Erwachsene (...). Insoweit teilt der Senat allerdings nicht die Ansicht
des Landgerichtes, dass ein Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt generell und damit ohne weitere
Betrachtung des Einzelfalles vorliegt, wenn sich
eine Gewinnspielkopplung an Kinder und Jugendliche richtet. (...) Da die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern mit der UGP-Richtlinie auf Unionsebene
vollständig harmonisiert wurden, darf das nationale
Recht insoweit keine strengeren Regelungen treffen. Somit ist auch bei einer Gewinnspielkopplung,
die sich an Kinder und Jugendliche richtet, eine Betrachtung des Einzelfalles
Für die vom Senat geforderte
erforderlich. Zu diesen
Prüfung an den Umständen
Umständen des Einzeldes
Einzelfalles
wird hier zunächst
falles gehören unter andedie Prüfsystematik vorgestellt und
rem die Höhe des ausgedann die Prüfung vorgenommen.
lobten Gewinnes sowie die
Art und Weise der Darstellung der Teilnahmebedingungen und der Gewinnchancen.

(2) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist der streitgegenständliche Werbespot als unlauter zu beurteilen, weil er in seiner konkreten Ausgestaltung geeignet ist, Kinder und Jugendliche in übertriebener
Weise anzulocken, so dass die Rationalität ihrer
Kaufentscheidung völlig in den Hintergrund tritt.
Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass es
sich bei Gewinnspielkopplungen nicht um eine allgemein im Geschäftsverkehr etablierte und gängige
Werbeform handelt. Vielmehr waren sie bis vor
kurzem stets unzulässig. Von einer Gewöhnung an
diese Art der Werbung kann daher – anders als etwa
bei Sammelaktionen (vgl. BGH GRUR 2009, 71 Tz. 15
– Sammelaktion für Schoko-Riegel) – nicht ausgegangen werden. Auch wenn nicht verkannt wird,
dass Kinder an neuartige Werbeaktionen herangeführt werden sollten, um sie auf das alltägliche
Marktgeschehen in der Welt der Erwachsenen vorzubereiten, sind an die Zulässigkeit von Gewinn-
2/2013
Recht und Rechtsprechung
spielkopplungen gegenüber Kindern – insbesondere hinsichtlich der Transparenz und der Darstellung
der Gewinnchancen – erhöhte Anforderungen zu
stellen.
Diesen erhöhten Anforderungen wird die Werbung
der Fa. H nicht gerecht, weil eine Verbindung zwischen der Menge des Wareneinkaufs und der damit
zusammenhängenden Gewinnchancen nahegelegt
wird, die in der suggerierten Form nicht besteht.
Zwar trifft es zu, dass sich grundsätzlich die Gewinnchancen erhöhen, je mehr Waren man einkauft.
Allerdings muss bei der Beurteilung der eigenen
Gewinnchancen berücksichtigt werden, dass der
Appell an alle Adressaten des Werbespots geht. Erhöhen diese ihren Einkauf und werden dementsprechend insgesamt mehr Einkaufsbelege eingesandt,
sinken die Gewinnchancen des Einzelnen. (...) Auch
wenn man sicherlich nicht verlangen kann, dass eine solche Wechselwirkung in einem Werbespot offengelegt wird, stellt es doch einen Verstoß gegen
die fachliche Sorgfalt dar, wenn sie – wie hier – verschleiert wird durch die Szene, in der der kleine
blonde Junge sagt: »Aber U, wir haben aber viel größere Gewinnchancen« und X dies bestätigt mit »Da
hat er Recht«. Durch die Mutter, die im Anschluss an
den Dialog den Einkaufswagen mit Produkten der
Fa. H volllädt, wird diese Aussage ein weiteres Mal
mit Bildern unterstrichen. Ein durchschnittlicher
Minderjähriger wird nunmehr eine Korrelation zwischen Mehreinkauf und Gewinnchance annehmen,
die der Realität nicht entspricht.
Berücksichtigt man schließlich, dass Kinder und
Jugendliche die gewünschte Erhöhung der Gewinnchancen durch den Einsatz von jeweils 5 Euro und
damit durch Einsatz ihres Taschengeldes zu realisieren in der Lage sind, besteht die Gefahr, dass sie zu
einem Kauf über Bedarf veranlasst werden. Somit
ist Werbung auch geeignet, das wirtschaftliche Verhalten eines durchschnittlichen Minderjährigen
wesentlich zu beeinflussen. (…)

Anmerkung
Vom Gericht wird eindrücklich dargelegt, dass Werbebeschränkungen aus Jugendschutzüberlegungen
nicht schon dann entfallen dürfen, wenn sich eine
Werbung auch an Erwachsene richtet. Gleichzeitig
nennt es Kriterien, wodurch eine Abgrenzung zur
reinen Werbung für Erwachsene erfolgen kann.
2/2013
Roll • Kauf mich, aber lass Dich nicht verlocken!
Die Herangehensweise an Werbung, die sich auch
an Kinder und Jugendliche richtet, scheint abgewandelt dem Lebensmotto »Wasch mich, aber mach
mich nicht nass!« zu folgen. Dieses Problem zieht
sich durch die gesamten einschlägigen Schutzvorschriften. Auch nach der vorliegenden Entscheidung scheint dieser Zwiespalt auf, weil von der einen Seite stärkere Schutzmaßnahmen und von der
anderen Seite freie Werbemöglichkeiten gefordert
werden. Die hier gefundene Lösung mag spitzfindig
wirken, ist aber gleichwohl als integrativer Ansatz
geeignet: Werbung soll in ihrer Wirksamkeit nicht
beschränkt werden, aber die Minderjährigen nur zu
einem ihrem Bedarf entsprechenden Kauf anregen.
Der Werbung bleibt beispielsweise weiterhin die
Möglichkeit die Vorzüge eines Produkts anzupreisen, etwa: »Wenn du Süßigkeiten kaufst, dann kauf
diese und nicht jene!« oder »Dann kauf unsere, sie
schmecken am Besten!«.
Eine Besonderheit, die auch im vorliegenden Verfahren aufscheint, liegt darin, dass nicht etwa ein
getäuschter Endverbraucher sich gegen die Werbung wendet, sondern die Einhaltung oder Nichteinhaltung von Jugendschutzvorschriften im Wettbewerb eine Rolle spielt. Nur solange der Wettbewerb
funktioniert – und nicht etwa ein Kartell gebildet
wird – wird auch frühzeitig und nachhaltig auf die
Einhaltung der im Wettbewerbsrecht verankerten
Jugendschutzvorschriften hingewirkt werden.
Abschließend soll noch erwähnt werden, dass der
ausgestrahlte Werbespot auch im Lichte des JMStV
problematisch sein könnte. § 6 Abs. 4 JMStV enthält
folgende Verbotsalternative: Werbung, die sich
auch an Kinder und Jugendliche richtet, darf nicht
deren Unerfahrenheit ausnutzen. Die Jugendschutzrichtlinien der Landesmedienanstalten (Ziff. 7.4.)
nennen hierzu den Einsatz aleatorischer Werbemittel (Verlosungen o.Ä.) in der Form, dass ein Irreführen vorliegt. Dies wäre nach den Ausführungen des
Urteils wahrscheinlich zu bejahen, so dass der Werbespot wohl – unabhängig von der Sendezeit – so
nicht hätte gesendet werden dürfen. Hier fehlen
allerdings im Jugendmedienschutz vermutlich vielfach die genauen Kenntnisse der im Wettbewerbsrecht entwickelten Maßstäbe.
KJug 65
Roll • Gesetz und Gesetzgebung

Gesetz und Gesetzgebung
Zu der vom Gesetzgeber diskutierten Änderung des
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, mit der
die Teilung von Elternzeit zwischen Eltern
Elternzeit und Großeltern erleichtert werden soll,
hat der Deutsche Verein Stellung genommen und insgesamt eine stärkere Integration der
verschiedenen familienpolitischen Instrumente eingefordert (NDV 1/2013, S. 8-11).
Sorgerechtsreform
Zur Sorgerechtsreform gibt es weitere
Stellungnahmen (Braunbeck, DRiZ
11/2012, S. 341; Holldorf, ZKJ 12/2012, S. 475-477;
Mandla, ZRP 8/2012, S. 247-250).
Das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei
einer Beschneidung des männlichen Kindes ist zum
28.12.2012 in Kraft getreten (BGBl. I 2012, S. 2479).
Es hat die im Heft 1/2013 skizzierte DeBeschneidung batte zu einem vorläufigen Abschluss
gebracht, indem es Zulässigkeitsvoraussetzungen rechtlich in § 1631 d BGB normiert hat.
Eine Übersicht über die gesetzliche Regelung gibt
Prof. Dr. Stephan Rixen von der Universität Bayreuth
in: NJW 5/2013, S. 257-262.

Rechtsprechung
Nach Feststellen einer erst im Erwachsenenalter
ausbrechenden Krankheit mit hohem Vererbungsrisiko besteht kein Recht die geschiedene Ehefrau
des Patienten wegen der bei ihr lebenden Kinder zu
informieren, weil eine medizinische Information der
Minderjährigen nicht zulässig ist und die Mutter so
keine Handlungsoption hat. Die Entscheidung des
OLG Koblenz (Beschl. v. 01.02.2012, Az. 5 W 63/12)
zu einer aufgedrängten Information ist
Prädiktive auch Gegenstand des Aufsatzes von
Gendiagnostik Prof. Dr. Reinhard Damm »Prädiktive
Gendiagnostik im Familienverband und
Haftungsrecht« (MedR 11/2012, S. 705-710); dabei
wird ausgeführt, dass Maßstab eigentlich die fehlende Einwilligungsfähigkeit eines jungen Menschen sein müsse, deren Wegfall spätestens mit
der Volljährigkeit vorliege, aber auch schon früher
eingetreten sein könne.
Das OLG Hamm ist der Auffassung, dass 15-Jährige
noch nicht grundsätzlich die nötige Reife
Datenspeicherung haben, um eine Einwilligung zur Datenspeicherung zu Werbezwecken in ihrer
Tragweite zu verstehen. Sie würden bei einem Gewinnspiel einer Krankenkasse, das gleichzeitig die
Daten abfragt, durch den Gewinnanreiz verlockt,
66
K Jug
Recht und Rechtsprechung
weshalb eine Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich sei (Urt. v. 20.09.2012, Az. I-4 U
85/12).
Pornografie kann auch vorliegen, wenn ein unbebilderter Text verbreitet wird; dementsprechend sind bei einem Online-Shop für Pornografie
Latexbekleidung, der mit pornografischen Begleittexten geworben hat, die Beschränkungen des JMStV zur geschlossenen Benutzergruppe zu beachten (VG München, Urt. v. M 17 K
11.6112, vgl. auch www.jurablogs.com).
Wenn eine Sendung erst nach ihrer Ausstrahlung
bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen vorgelegt wird, gilt das Haftungs- Freiwillige Selbstprivileg des § 20 Abs. 3 JMStV nicht – kontrolle Fernsehen
Ausnahme Livesendungen (VG Berlin,
Urt. v. 25.09.12, Az. VG 27 A 248.08). Gleichzeitig
wurde ausgeführt, dass sich auf das Haftungsprivileg auch sonst nur der konkret vorlegende Veranstalter berufen dürfe und dass eine Beanstandung
aus einer gleichzeitig zu erlassenden Behebensund Unterlassungsaufforderung bestehe.
Eine Freiwillige Selbstkontrolle bei Telemedien ist
vor einer Maßnahme, die sich gegen
eines ihrer Mitglieder richten soll, mit der Freiwillige
Angelegenheit zu befassen (§ 20 Abs. 5 Selbstkontrolle
JMStV); dabei tritt ein Verlust der Haf- bei Telemedien
tungsprivilegierung wegen Überschreiten des Beurteilungsspielraums ein, wenn sich die
Selbstkontrolle nur auf die beispielhaft benannten
Angebotsteile (hier Teletextseiten) beschränkt und
nicht das Angebot als Ganzes beurteilt hat (VG München, Urt. v. 11.10.12, Az. M 17 K 10.6273).
Der Antrag eines Jugendamtes nach § 8a Abs. 3
SGB VIII wegen des fehlenden Nachweises von Früherkennungsuntersu- Früherkennungschungen kann nicht im verwaltungsge- untersuchungen
richtlichen Eilverfahren angefochten
werden, sondern ist Prüfungsgegenstand des dadurch eröffneten familiengerichtlichen Verfahrens
(VG Frankfurt/Main, Beschl. v. 11.05.12, Az. 7 L
1079/12).
Bei einem Aufenthalt von Kindergartenkindern im
Außenbereich ist eine engmaschige Kontrolle erforderlich; dies gelte umso mehr, wenn
durch dort vorhandene Kieselsteine eine Haftung von KinderGefahrsteigerung bestehe. Da die Erzie- gartenerziehern
herinnen keine Kontrolle der Kinder in
regelmäßigen Abständen von wenigen Minuten belegen konnten, wurde ihre Haftung für die Beschädigung eines Autos durch darauf geworfene Stein-
2/2013
Recht und Rechtsprechung
chen bejaht (OLG Koblenz, Urt. v. 21.06.12, Az. 1 U
1086/11).
Die Frage, ob ein konfessionsloses Kind zweier geschiedener konfessionsloser Eltern, die gemeinsam
das Sorgerecht ausüben, während der Grundschulzeit den Religionsunterricht und die
Religionsunterricht Schulgottesdienste besuchen soll, ist
von solcher Bedeutung, dass eine gemeinsame Entscheidung der Eltern erforderlich ist.
Bei Nichteinigung kann das zur Entscheidung berufene Familiengericht die Frage des Kindeswohls an
der Umfeldprägung und dem gewohnten Umgang
des Kindes mit christlich geprägten Mitschülern
orientieren (AG Monschau, Beschl. v. 30.05.2012 – 6
F 59/12 – n.rkr.).
Der Rheinland-Pfälzische Verfassungsgerichtshof
(Beschl.v. 13.07.2012 – VGH B 10/12) hat keinen Verfassungsverstoß darin gesehen, dass der
Nichtbefolgung von einem Jugendgericht gegen eine
jugendgerichtlicher 17-Jährige verhängte Ungehorsamsarrest
Maßnahmen wegen Nichtbefolgung jugendgerichtlicher Maßnahmen vollstreckt wurde, obwohl der sorgeberechtigte Vater die Jugendliche in
der Nichtbefolgung der Auflagen bestärkt hatte und
ihr die Ableistung gemeinnütziger Arbeit quasi verboten hatte. Nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens, von dem der Vater zu
Recht teilweise wegen ungerechtfertigter Störung
ausgeschlossen war, haben das elterliche Erziehungsrecht und der Elternwille gegenüber der Durchsetzung der staatlichen Ordnung zurückzutreten.

Schrifttum
Mitbestraft? Die Rechte von Kindern inhaftierter
Eltern [Darstellung der internationalen und nationalen Situation insbesondere im Hinblick auf Empfehlungen eines UN-Ausschusses zur Schaffung
von weiteren Haftalternativen] von Dr. Sabine Skutta in: NDV 11/2012, S. 532-537.
Gaming – Rechtliche Risiken und Möglichkeiten für
Spieleanbieter in Deutschland [Kurzer Leitfaden
durch wichtige Themen des Urheberrechts und Jugendmedienschutzrechts] von Christian Kuß und
Karin Schmidtmann in: K&R 12/2012, S. 782-787.
Tatbestände der Jugendgefährdung [Übersicht über
das Stufensystem der Gefährdungsgrade, die im
Gesetz geregelten Beispielsfälle und weitere Themenfelder der Spruchpraxis der BPjM] von Dr. Marc
Liesching in: BPJM-Aktuell 4/2012, S. 4-9.
2/2013
Roll • Gesetz und Gesetzgebung
Kindheit, Kinderrechte und Kinderschutz in sich
wandelnden Familienwelten [Kindheitsmodelle und
empirische Daten werden mit aktuellen Themen des
Kindeswohls und den zugehörigen Rechtsgrundlagen zu einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt] von Prof. Dr. Jörg M. Fegert in: ZKJ 11/2012,
S. 418-426.
Elternumzug (Relocation) und Kindeswohl [An zwei
Beispielen werden die Probleme aufgezeigt, die
beim Umzug eines getrennt lebenden, sorgeberechtigten Elternteils ins Ausland auftreten, und Ansätze
der Problemreduzierung erwogen] von Prof. Dr.
Dagmar Coester-Waltjen in: ZKJ 1/2013, S. 4-5.
Zum »Unternehmen der Ausfuhr von Gewaltdarstellungen« nach § 131 Abs. 1 Nr. 4 StGB [Diskussion,
ob der Schutzbereich dieser Vorschrift nur eröffnet
sei, wenn die Ausfuhr zum Zwecke einer (elektronischen) Verbreitung nach Deutschland erfolge] von
Prof. Dr. Heribert Schumann in: AfP 4/2012, S. 348350.
Empfehlungen des Deutschen Vereins zu Führungszeugnissen bei Neben- und Ehrenamtlichen in der
Kinder- und Jugendhilfe (§ 72 a Abs. 3 und Abs. 4
SGB VIII) [Abhandlung der verschiedenen Faktoren,
die ein solches Führungszeugnis erforderlich machen, ergänzt um eine Orientierungshilfe in Form
eines Flussdiagramms] in: NDV 11/2012, S. 517-524.
Grundrechtlicher Schutz der Ehre im Internetzeitalter [Darstellung der verschiedenen Rechtsgrundlagen zum Schutz der Ehre einer Person sowie der
erforderlichen Abwägung mit der Meinungsfreiheit,
ohne jedoch auf die besondere Situation Minderjähriger einzugehen] von PD Dr. Andreas Glaser in:
NVwZ 22/2012, S. 1432-1438.
Der begleitete Umgang im Spannungsfeld zwischen Jugendhilfe und Familiengericht [Kurze Darstellung der Praxis in Berlin unter Betonung der
Steuerungsverantwortung der Jugendhilfe nach
§ 36 a SGB VIII] von Dr. Cornelia Holldorf und Uta v.
Pirani in: ZKJ 10/2012, S. 385-387.
Sigmar Roll
(Zuschriften bitte an die Redaktion der KJug)
Autor
Psychologe/Jurist
Richter am Bayerischen Landessozialgericht
Zweigstelle Schweinfurt
Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz - KJM
KJug 67
Kinderschutz-Aktuell
Service
Kinderschutz-Aktuell
Jörg M. Fegert, Miriam Rassenhofer, Thekla Schneider, Alexander Seitz, Nina Spröber
Sexueller Kindesmissbrauch
Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen
Weinheim und Basel 2013. 318 Seiten. Beltz Juventa
troffenen sexuellen Missbrauchs (20.000 Anrufe, davon über 10.000 tatsächlich geführte
Gespräche – insgesamt 11.426 Datensätze,
von denen 6.754 statistisch verwertbar waren
und ausgewertet wurden).
Vordergründiges Ziel war die Erweiterung
von Wissen und Verständnis über die Dynamik sexuellen Missbrauchs sowie die
Bewältigung und Verarbeitung dieser
Erfahrungen durch die Betroffenen.

»Ich habe nie geglaubt,
dass mir jemals zugehört wird.«
Mit der Einrichtung des Runden Tisches »Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeitsund Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären
Bereich«, nahm im März 2010 zugleich die
Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung
des sexuellen Kindesmissbrauchs Frau Dr.
Christine Bergmann, Bundesministerin a.D.
ihre Arbeit auf. (Im Dezember 2011 übernahm
Johannes-Wilhelm Rörig die Aufgaben des
Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung
des sexuellen Kindesmissbrauchs.) Im Rückblick der amtierenden Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr.
Kristina Schröder »haben alle Beteiligten mit
viel Energie Vorschläge sowie konkrete Maßnahmen und Gesetzesvorhaben zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt erarbeitet« (S. 9).
Mit der Publikation »Sexueller Kindesmissbrauch – Zeugnisse, Botschaften, Konsequenzen« liegt nun ein umfassendes Werk
vor, welches die Begleitforschung vorwiegend
der telefonischen Anlaufstelle darstellt. Bestandteil dieser anderthalb jährigen Forschung war die Sammlung von Erfahrungen
und Botschaften von mehreren Tausend Be-
68
K Jug
So wird innerhalb des Bandes ein sehr kompetenter einleitender Überblick über das Thema des Sexuellen Missbrauchs gegeben und
zugleich aufgezeigt, inwieweit Möglichkeiten
der Intervention bei sexuell missbrauchten
Kindern bestehen. Nach der Beschreibung
des Aufarbeitungsprozesses (ab 2010) sowie
der methodologischen Grundlagen der wissenschaftlichen Begleitforschung, erfolgt die
Ergebnisdarstellung, deren Diskussion sowie
die Aufzeigung abgeleiteter Konsequenzen
und Schlussfolgerungen für das Beratungswesen und die Kinder- und Jugendhilfe.
So wird vor allem deutlich, dass etwaige
Ergebnisse für die Weiterentwicklung des Beratungswesens bzw. von Beratungsangeboten herangezogen werden können. Diese sollen nun im Folgenden detaillierter thematisiert werden, da sie für die Praxis als besonders interessant einzuschätzen sind und zudem auch zeitnah umsetzbar erscheinen.
Gleichzeitig wurde auch innerhalb der Ergebnisanalyse festgehalten, dass »neben den
therapeutischen Angeboten (…) für viele Betroffene von sexuellem Missbrauch Beratungsstellen eine bedeutsame Hilfe [darstellen]« (S. 145). Zugleich die Betroffenen jedoch
auch äußerten, dass Erfahrungen bestehen,
dass die Nachfrage vorhandene Angebote
übersteigt und zu wenige spezialisierte Beratungsstellen bzw. Angebote vorgehalten werden. So wird vorwiegend gefordert diese besser und sicherer zu finanzieren, ausgeprägte
Öffnungszeiten zu garantieren, eine bessere
und niedrigschwellige Erreichbarkeit zu gewährleisten sowie die Arbeit der Beratungsstellen allgemein intensiver zu fördern. Es
fehle demnach auch an spezifischen Einrichtungen für ältere Betroffene, männliche Be-
troffene und Betroffene in den ländlichen
Regionen und Städten. »Betrachtet man die
Angaben gerade der älteren Betroffenen, dass
sie häufig Hilfe bei Hausärztinnen/Hausärzten gesucht haben, wird es wahrscheinlich
auch nötig sein, eine stärkere Verschränkung
spezifischer Beratungsangebote mit primären
Erstversorgern im Gesundheitswesen zu bewirken. Gerade solche Netzwerke könnten
nicht nur die Hürde zur Inanspruchnahme
durch ältere Personen, sondern auch die Probleme des Stadt-Land-Gefälles in der Zugänglichkeit teilweise mit lösen.« (S. 270) Weiterhin sind auch spezialisierte Angebote und
Einrichtungen von Nöten, da die Betroffenen
in diesen auf ein fachliches Grundverständnis
stoßen und die Hilfesuche dadurch zielorientierter verläuft. Hervorzuheben ist auch eine
noch stärkere und intensivere Vernetzung
der Einrichtungen, so dass den Betroffenen
adäquat und unterstützend ggf. andere Hilfeangebote unterbreitet werden können.
Zusammenfassend gesehen, sind vor
allem die gewählten Zeugnisse, Botschaften
und von den Betroffenen berichteten Erfahrungen erschütternd, eindrücklich und aufwühlend, zugleich entgegnen damit alle Betroffenen einer Tabuisierung und tragen zu
einem offenen Umgang mit der Thematik des
sexuellen Kindesmissbrauchs bei. Der vorliegende Band ist insbesondere durch die Aufzeigung vielfältiger Perspektiven sehr zu
empfehlen, da es den Autorinnen und Autoren
hervorragend gelingt die Betroffenen und deren Angehörige zu Wort kommen zu lassen.
Tim Wersig
Soz.-Pädagoge/Soz.-Arbeiter
Promovend an der Universität Kassel
Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V.
2/2013
Service
Jugendschutz-Aktuell
Jugendschutz-Aktuell
Peter Martin Thomas, Marc Calmbach
Jugendliche Lebenswelten
Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft
Heidelberg 2012. 344 Seiten. Springer Spektrum

Milieus, Ästhetisierung, Selbstsozialisation
Spekulative Anregungen für die Konzeptualisierung von Kinder- und Jugendschutz
Jugendpolitik und -schutz bedürfen neben
aktuellen Informationen zu einzelnen Risikokonstellationen auch darüber hinausgehenden Wissens über »die Jugend« und Segmente der Jugendpopulation. Üblicherweise
unterscheiden die großen Jugenduntersuchungen dabei nach Geschlecht, ethnischer
Herkunft und sozioökonomischen Ressourcen. Wie in der allgemeinen soziologischen
Sozialstrukturanalyse beginnt sich daneben
der Trend abzuzeichnen, Modelle der jugendlichen Bevölkerung zu zeichnen, die neben
der vertikalen Struktur der ökonomisch-bildungsbezogenen Ressourcen weitere »horizontale« Aspekte heranziehen wie Werte und
Orientierungen.
Ein prominenter Ansatz ist das »SinusMilieu-Modell«, das in vielen Feldern, von der
Marktforschung bis hin zur Religionssoziologie, angewandt worden ist und nun auch in
der Jugendforschung Fuß gefasst hat. Dazu
liegen zwei aktuelle Publikationen vor: Während in Calmbach u.a. (2012) »Wie ticken Jugendliche« ohne große Bezugnahme auf die
Jugendforschung der opulente Prachtbogen
heutiger Milieus von Jugendlichen, augenscheinlich unterstützt durch Grafiken und
Bildmaterial ausgebreitet wird, liegt mit Thomas/Calmbach (2012) ein Sachbuch vor, das
ein Bild der aktuellen Lebenswelten zeichnet
und dabei dann Querbezüge zu anderen Forschungen zumindest anklingen lässt.
In 18 Kapiteln wird der Frage nachgegangen, welche Ressourcen Jugendliche heute aufweisen, in welchen Lebenswelten
sie zuhause sind und wie ihre Chancen
und die sich ihnen stellenden Herausforderungen von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen beeinflusst werden.
Grundlage ist dabei die 2012er Studie, deren
Einsichten angereichert und interpretiert werden durch ein interdisziplinäres Bouquet von
Interpretations- und Vertiefungsperspektiven. In der Einleitung nennen die Herausgeber
2/2013
und Initiatoren der Studie, Peter Martin Thomas und Marc Calmbach den aus ihrer Sicht
gewichtigsten Grund für die Popularität des
Milieumodells: Es knüpfe an die Praxiserfahrungen an, lasse sich mit dem Fachwissen gut
verbinden und sei gut umzusetzen. Dies ist
auch der erste Ansatzpunkt für Zwecke des
Jugendschutzes: Für bestimmte Inhaltsbereiche lohnt es sich, anhand von auffällig kontrastierenden Jugendmilieus Kampagnen und
Maßnahmen zumindest konzeptionell je differentiell auf den Weg zu bringen: Gerade im
mittleren Bereich der Sinus-Lebenswelten
(S. 41) befinden sich beispielsweise mit den
»Sozialökologischen« und den »AdaptivPragmatischen« zwei werte- und einstellungsmäßig differente Jugendgruppierungen,
die je unterschiedlich auf bestimmte Angebote reagieren sollten.
In der Bündelung der Beiträge wird über
diesen Zielgruppenaspekt eine grundlegende
Dimension heutigen Jungseins zu Recht markant herauspräpariert: Umschrieben mit dem
Etikett »Ästhetik und Marken« sind die Autoren dabei auf den Spuren eines grundlegenden Wandels der Identitätsbildung, der in
anderen Strömungen der Jugend- und Sozialisationsforschung auch mit dem Begriff des
»Performativen« gefasst wird. Gemeint ist die
auf die Ausführung von bestimmten Handlungen vor unterschiedlichen Publika (das eigene
Selbst, die Peers, die allgemeine Öffentlichkeit z.B. in Facebook) bezogene Nutzung von
Marken und Kleidung im Sinne einer Präsentation des Selbst. Gerade in der Sozialarbeit
und der Schulpädagogik wird der gesamte
daran hängende Komplex nicht selten als Problem identifiziert, dem man dann mit einer
»Konsumerziehung« Herr werden will. Dass
ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt
sein muss, dies belegen die instruktiven Artikel von Matthias Sellmann sowie von Sven
Reinecke und Felicitas Manger: Ersterer versteht es, die sperrige Redeweise von der »Ästhetisierung jugendlicher Lebenswelten« herunterzubrechen und zu zeigen, dass »Ästhetisches« eben kein Sahnehäubchen auf der
Oberflächenpolitur jugendlicher Lebenswelten darstellt, sondern eine Grundierung
ihres Verhaltens- und Erlebnishaushaltes.
Subtil herausgearbeitet wird: So sehr die Ästhetisierungen von Outfit, Mediengenuss und
-performance als individuelle Bricolagen zu
verstehen sind, so sehr sind sie immer auch
eingewoben in allgemeine Gruppen- und Milieubezüge. Ferner unterstreicht der Professor
für Pastoraltheologie, wie stark Jungsein heute orchestriert wird durch den »iconic turn«,
also die Dominanz des Bildlichen über das
lineare Schriftliche. Konkretisiert wird dies
durch Sven Reinecke und Felicitas Manger, die
den sozial-kommunikativen Stellenwert von
Marken in der Lebenswelt von Jugendlichen
abzirkeln. Marken liefern Orientierung und
Identität; sie werden zu Begleitern des Selbst
in der gesamten Jugendphase. Aus dieser
überragenden Bedeutung folgern die Autoren
richtigerweise bei den Marketingverantwortlichen ein erhöhtes Bewusstsein dafür, diese
Markenbindung und -treue durch ethisch einwandfreie Unternehmens- und Marktführung
zu basieren – und nicht zu instrumentalisieren, wie man hinzufügen möchte! Marc Calmbach und Silke Borgstedt beziehen sich ergänzend auf die Fähigkeiten und Potenziale
Jugendlicher, die Bedeutungsangebote aus
dem ästhetisierten Alltag und andere Symbolvorräte in eigensinnigen Lesarten, sich anzueignen und durchaus auch in verwertbare
Kompetenzen zu übersetzen. Damit können
vielfältigste Potenziale von Jugendlichen aus
ihrer Unsichtbarkeit geholt werden.
KJug 69
Service
Neben der Zielgruppenansprache und dem
Nachweis der überragenden Bedeutung von
Marken und Ästhetik jenseits der Verführungsthese sei ein dritter Bezugspunkt des
facettenreichen Werkes für Belange des Kinder- und Jugendschutzes aufgezeigt: Wir leben unbestritten in Zeiten des »Bildungshypes«. Bildungspolitik, so hat man den Eindruck, wird unter der Hand zur neuen
Sozialpolitik: Man hofft, »die gute Bildung«
verschaffe auf lange Sicht jedem »Willigen«
eine auskömmliche Arbeitsstelle. Gegenüber
einem solchen verkürzten Bildungsverständnis bestechen die Überlegungen von Peter
Martin Thomas und Erik Flügge unter dem
Motto »Lernen kann man überall«. Sie argumentieren vollkommen stringent, dass die
subjektive Perspektive der Jugendlichen, ihre
Bildungsbiographie der Ausgangspunkt sein
muss für jegliche Gestaltung von Bildungsorten und Bildungsmaßnahmen. Und sie weisen
vollkommen zu Recht darauf hin, dass Schule
der zentrale Lernort bleiben wird. Nimmt man
dann die obigen Ausführungen zur Relevanz
von Ästhetisierung, neuem popkulturellem
Kapital und Selbstsozialisation aber ernst,
dann müssen die Lehrkräfte genau für diese
Dimensionen heutigen Jungseins sensibilisiert werden, was auch bedeutet, Jugendliche
anzuerkennen ob ihres Spezialwissens in bestimmten »populären« Bereichen. Und Lehrer
und Lehrerinnen müssen lernen, sich auf ihre
Rollen zu begrenzen. Zudem darf Schule, auch
und gerade Ganztagsschule, die genuinen
Lebenswelten von Jugendlichen nicht kolonialisieren und den jungen Menschen Raum
lassen, sich vor Ort andere Bildungsgelegenheiten zu erschließen. Dadurch wird insgesamt eine Vielfalt von zusätzlichen Kompetenzen möglich, und zwar für Jugendliche aus
allen Milieus, was einen allgemeinen Beitrag
zum Jugendschutz darstellt.
Professor Dr. Andreas Lange
Hochschule Ravensburg Weingarten,
Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit
und Pflege
Literatur/Mediendienst
Zeitschriftenartikel
Internet
Filk, Christian; Schauer, Hanno: »Generation
Facebook?!« Erkenntnisse zur Nutzung sozialer Medien durch 14- bis 18-Jährige. In: merz.
medien + erziehung 1/2013. S. 57-63
www.werberat.de
Wenn Texte, Bilder und Töne in der Werbung
zum Beispiel Menschen herabwürdigen oder
diskriminieren, Kinder oder Jugendliche unzulässig bedrängt werden, Gewalt verherrlicht
oder verharmlost wird oder religiöse Empfindungen verletzt werden – dann ist die Grenze
zwischen Erträglichem und Unsäglichen überschritten. Der Deutsche Werberat hat Grundregeln und spezielle Verhaltenskodizes für besonders sensible Schutzbereiche aufgestellt.
Hasebrink, Uwe; Lampert, Claudia: Onlinenutzung von Kindern und Jugendlichen im
europäischen Vergleich. Ergebnisse der
25-Länder-Studie »EU Kids Online«. In: Media
Perspektiven 12/2012. S. 635-647
Henninghausen, Christine; Schwab, Frank:
Der König der Löwen in der Falle. Kinder zwischen Spannungs- und Angsterleben während der Medienrezeption. In: tv diskurs
1/2013. S. 42-45
Kindler, Heinz: Eltern und die Prävention von
sexueller Gewalt. In: IzKK-Nachrichten
1/2012. S. 5-10
Liesching, Marc: Sexuell-orientierte Medien
im gesetzlichen Jugendschutz – eine Übersicht. In: JugendMedienSchutz-Report
6/2012. S. 2-5
Schmidt, Andrea: »Drama Baby…« Über den
Zusammenhang von Castingshows, Sexismus
und der Farbe Pink. In: unsere jugend 1/2013.
S. 35-41
Stein, Margit: Lebenslagen und Lebenswelten
Jugendlicher in ländlichen Räumen. In: deutsche jugend 2/2013. S. 75-83
70
K Jug
www.vzbv.de / www.surfer-haben-rechte.de
Der Verbraucherzentrale Bundesverband
(vzbv) vertritt die Interessen der Verbraucher
gegenüber Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Im Rahmen des Projektes »Verbraucherrechte in der digitalen
Welt« wurden insgesamt 52 Internetauftritte
für Kinder untersucht. Auf jeder zweiten geprüften Kinderspielseite gab es Probleme mit
der Werbung.
Aktuelle Titel/Broschüren
 Heinen, Julia: Internetkinder. Eine Untersuchung der Lebensstile junger Nutzergruppen. Leverkusen 2012. 269 Seiten.
EUR 28,80. ISBN 978-3-86388-021-7
Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich
nach und nach ein neues Medium im Kinder-
segment etabliert: das Internet. Wie nutzen
Kinder dieses Medium? Wie kommen unterschiedliche Präferenzen beim Internetgebrauch von Kindern zustande? Und welche
Typen der jungen Internetnutzer können unterschieden werden und wie? Die Autorin analysiert Publikumssegmente von kindlichen Internetnutzern und entwickelt eine Nutzertypologie. Die Besonderheit dieser Typologie liegt
darin, dass die Segmentierung der jungen
»User« auf Lebensstilmerkmalen basiert.
 Gadow, Tina; Peucker, Christian; Pluto,
Liane; Santen, Eric; Seckinger, Mike: Wie
geht´s der Kinder- und Jugendhilfe? Empirische Befunde und Analysen. Wiesbaden
2013. 374 Seiten. EUR 29,95. ISBN 978-37799-2887-4
Die Kinder- und Jugendhilfe ist konfrontiert mit
sich wandelnden Lebenslagen ihrer Adressaten, mit Novellierungen von rechtlichen Regelungen (SGB VIII) und veränderten gesellschaftlichen Erwartungen an den Handlungsauftrag ihrer Dienste und Einrichtungen. Bleibt
die Kinder- und Jugendhilfe angesichts dieser
Entwicklungen ihrem fachlichen Selbstverständnis und ihren eigenen Standards treu?
Die vorliegenden, empirisch fundierten Analysen der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe
gehen diesen Fragen nach und schaffen eine
Grundlage für Diskussionen in Praxis, Fachpolitik und Wissenschaft. Die Beiträge geben auf
der Grundlage der fünften bundesweiten Erhebung des Deutschen Jugendinstitutes bei öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und
2/2013
Service
Jugendhilfe in den Arbeitsfeldern Jugendamt,
Jugendarbeit, Kindertagesbetreuung, Hilfen
zur Erziehung einen gebündelten Überblick zu
Entwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe.
befragt. Die Ergebnisse liefern ein differenziertes Bild zu einer Vielzahl von Indikatoren
der Gesundheit und des gesundheitsrelevanten Verhaltens und bieten Ansatzpunkte
für eine zielgruppengerechte Prävention und
gesundheitliche Versorgung.
 Kolip, Petra; Klocke, Andreas; Melzer,
Wolfgang; Ravens-Sieberer, Ulrike (Hrsg.):
Gesundheit und Gesundheitsverhalten im
Geschlechtervergleich. Ergebnisse des
WHO-Jugendsurveys »Health Behaviour in
School-aged Children«. Weinheim 2013.
248 Seiten. EUR 29,95. ISBN 978-3-77991984-1
 Krüger, Heinz-Hermann; Deinert, Aline;
Zschach, Maren: Jugendliche und ihre
Peers. Freundschaftsbeziehungen und Bildungsbiografien in einer Längsschnittperspektive. Leverkusen 2012. 292 Seiten.
EUR 29,90. ISBN 978-3-86649-460-2
Das Geschlechterverhältnis ist im Wandel und
lässt sich auch an der Gesundheit und dem
Gesundheitsverhalten im Jugendalter beobachten. Noch vor wenigen Jahren galten Mädchen ab der Pubertät als das Geschlecht, das
im gesundheitlichen Wohlbefinden stärker
beeinträchtigt und unzufriedener mit dem Körper ist. Jungen hingegen waren diejenigen, die
sich gesundheitsriskanter verhielten. Heute
finden wir in vielen Bereichen eine Angleichung der Geschlechter. Der Band präsentiert
die Ergebnisse der jüngsten Welle des Jugendgesundheitssurveys Health Behaviour in
School-aged Children (HBSC). 2009/2010
wurden in Deutschland 5.000 Schülerinnen
und Schüler im Alter zwischen 11 und 15 Jahren
Welche Rolle spielen Peers im Leben von Jugendlichen? Welchen Einfluss haben Freunde/
Freundinnen auf schulische Bildungskarrieren? Der Band präsentiert Ergebnisse einer
qualitativen Längsschnittstudie, die den sich
wandelnden Stellenwert von schulischen und
außerschulischen Freundschaftsgruppen für
die Bildungsbiografien von Jugendlichen vom
Beginn bis zum Ausgang der Sekundarstufe I
untersucht hat. Die Studie verbindet die Forschungslinien der Kindheits-, Jugend- und
Schulforschung. Untersucht wurde der Wandel
des Stellenwertes von schulischen und außerschulischen Peerbeziehungen und -orientierungen für schulische Bildungsbiografien bei
11- bis 15-Jährigen.
 Schickhardt, Christoph: Kinderethik. Der
moralische Status und die Rechte der Kinder. Münster 2012. 299 Seiten. EUR 29,80.
ISBN 978-3-89785-789-6
Ist das Recht eines Säuglings auf Leben und
Gesundheit dem entsprechenden Recht eines
Erwachsenen gleich zu achten? Können Säuglinge und Kleinkinder, die gar nicht verstehen,
was Rechte sind, überhaupt Rechte haben? Ist
es richtig, dass eine Mutter ihrer noch minderjährigen schwangeren Tochter eine Abtreibung untersagen kann?
Derartigen Fragen und den zu ihrer fundierten Erörterung notwendigen moralphilosophischen Grundlagen ist das Buch gewidmet. Die Ausarbeitung eines systematischen
Rahmens für die Erörterung ethischer Fragen,
die Kinder betreffen, nimmt ihren Ausgang
bei einer kritischen Darlegung der Stellung
von Kindern im deutschen Rechtssystem. Die
zentralen Schwerpunkte bilden dann Ausführungen zur Metaethik der Rechte der Kinder,
zum moralischen Status der Kinder, zum Begriff des Kindeswohls und zum Konflikt zwischen Paternalismus gegenüber Kindern und
der Achtung kindlicher Selbstbestimmungsrechte. Ebenso werden Fragen des Elternrechts und der richtigen Verhältnisse zwischen Eltern, Kindern und dem Staat erörtert.
Mitteilungen
Aus Forschung und Wissenschaft: Kinder und (Online-)Werbung
Werbliche Angebotsformen, crossmediale Vermarktungsstrategien und deren Rezeption durch Kinder
Kinder beginnen immer früher das Internet zu
nutzen und zu erkunden. Mit der Ausweitung
ihres Surfraumes und ihrer Onlineaktivitäten
kommen sie automatisch mit Onlinewerbung
und anderen kommerziellen Inhalten in Berührung. Dabei ist bislang noch unklar, inwieweit und ab welchem Alter sie in der Lage
sind, Werbung als solche zu erkennen und von
nicht-werblichen Inhalten zu unterscheiden
bzw. persuasive Botschaften zu identifizieren. Weitgehend unerforscht ist auch die Frage, inwieweit die Rezeption kommerzieller
Kommunikation bei nur graduell vorhandener
Werbekompetenz eine freie und unbeeinträchtigte kindliche Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen kann und welche Anforderungen die Interpretation und Bewertung
kommerzieller Onlineinhalte an Grundschulkinder stellen.
2/2013
Das Projekt umfasst insgesamt fünf miteinander verschränkte Forschungsmodule:
•
•
•
•
•
Analyse ausgewählter Internetseiten im
Hinblick auf vorfindbare Werbeformen
und andere kommerzielle Kommunikationen
Rechtliche Expertise zum Thema Kinder
und Onlinewerbung
Werberezeptionsstudie (Kinder im Alter
von sechs bis elf Jahren, Elternbefragungen zur Werbesozialisation und -erziehung, Peer-Analysen)
Workshop mit Anbietern von Kinderinternetseiten
Internationale Expertenbefragung zu medienpädagogischen Best-Practice-Ansätzen im Bereich der Werbekompetenzvermittlung
Auf Basis der empirischen Befunde werden
abschließend medienpädagogische Handlungsempfehlungen, rechtliche Regulierungsvorschläge sowie praxisorientierte Empfehlungen für die Anbieter zum Themenfeld Kinder und Onlinewerbung formuliert.
Ansprechpartner: Dr. Claudia Lampert
Hans-Bredow-Institut Hamburg
Warburgstraße 8-10
20354 Hamburg
www.hans-bredow-institut.de
Förderer: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ)
Laufzeit des Projekts: bis Mitte 2014
KJug
71
Service
 Jugendliche als Verbraucherinnen und Verbraucher
in Sozialen Netzwerkdiensten
Soziale Netzwerkdienste wie Facebook, Google+, Lokalisten etc. sind kommerzielle Angebote. Sie finanzieren sich über die Verschränkung ihrer Nutzungsoptionen mit verschiedenen Angebotsformen des Online-Marketing.
So präsentieren sich z.B. zunehmend auch
Unternehmen in Sozialen Netzwerkdiensten
und nutzen deren Kommunikationsstrukturen
und -funktionen, um mit angepassten Marketing- und Vertriebsstrategien auch Jugendliche zu erreichen.
Soziale Netzwerkdienste erfreuen sich
gerade bei Jugendlichen ab zwölf Jahren eines
großen Zuspruchs und sind in hohem Maße in
deren Alltag integriert. Bekannt ist, dass Jugendliche Soziale Netzwerkdienste aus Motiven der sozialen Einbettung sowie zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nutzen. Sie wollen sich ›dort‹ u.a. unterhalten
und informieren.
Bisher ist jedoch noch sehr wenig darüber
bekannt, inwieweit Jugendlichen bewusst ist,
dass sie in ihren Sozialen Netzwerkdiensten
als Konsumentinnen und Konsumenten agieren und dabei mit Präferenzprofilen transparent werden oder sich gezielt auf ihre Person
abgestimmten Werbe- und Konsumofferten
zur Verfügung stellen. Die Ergebnisse der JIMStudie zeigen, dass gut die Hälfte der Jugendlichen vermutet, dass sich Soziale Netzwerkdienste über Werbung finanzieren (MPFS
2011, S. 53). Wenig Wissen liegt jedoch dazu
vor, welche Handlungsweisen daraus resultieren und wie Jugendliche dies bewerten.
Vielmehr liegen bislang Anhaltspunkte vor,
dass Heranwachsenden der eigene Status als
Verbraucher bzw. Kunde Sozialer Netzwerkdienste wenig präsent ist und sie ihre Handlungsweisen folglich nur unzureichend auf
diese Rahmenbedingungen abstimmen können.
Ein fundiertes Wissen darüber, welche
konsum- und werbebezogenen Strukturen
Jugendlichen in Sozialen Netzwerkdiensten
begegnen, inwieweit sie den kommerziellen
Charakter Sozialer Netzwerkdienste einschließlich der dort integrierten Werbestrategien und Konsumanreize erkennen, erleben
und bewerten und wie sie diesbezüglich handeln, ist als Grundlage einer zielgruppenorientierten Verbraucherbildung jedoch unabdingbar.
Ziel einer Studie des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis ist es,
Grundlagen für eine auf Jugendliche im Alter
von 12 bis 16 Jahren abgestimmte Verbraucherbildung mit dem Ziel eines sinnvollen und
verantwortungsvollen Umgangs mit Sozialen
Netzwerkdiensten zu schaffen. In der Studie
werden sowohl die mediale Seite relevanter
Sozialer Netzwerkdienste und deren kommerzielle Strukturierung wie auch das Wissen, die Vorstellungen und Handlungsweisen
von jugendlichen Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Fokus genommen. Neben
eigenen Erfahrungen der Jugendlichen mit
unterschiedlichen Werbe- und Konsumangeboten wird dabei auch der Fokus auf das Wissen der Jugendlichen über den Verbraucherschutz in der digitalen Welt gerichtet.
Im Ertrag des Projektes werden konkrete
Handlungsempfehlungen für Einrichtungen
des Verbraucherschutzes und der Verbraucherberatung in Bezug auf die Altersgruppe
der 12- bis 16-jährigen Heranwachsenden formuliert. Diese werden als pädagogische
Handreichungen für den Einsatz in den Feldern der Pädagogik und des Verbraucherschutzes zur Verfügung gestellt.
Weitere Informationen unter www.jff.de
 Rechtsextremismus hat viele
Gesichter
Zusatzmodul zum Lehrerhandbuch
Der beste Weg zur Bekämpfung von rechtsextremen Inhalten ist die Information und Kommunikation über Gefahren, Risiken und mögliche Anlaufstellen. Um Rechtsextremismus
auch im Netz nachhaltig zu bekämpfen und
Kinder und Jugendliche davor zu schützen, ist
die Diskussion im Unterricht wertvoll und ein
sicherer Rahmen sich dem Thema gemeinsam
zu nähern.
Das Lehrerhandbuch bietet Lehrerinnen
und Lehrern eine Hilfestellung, um das Thema
im Unterricht gemeinsam zu erarbeiten und
durch offene Kommunikation zu bekämpfen.
Auf 88 Seiten findet sich gebündeltes Material, um das sensible Thema angemessen im
Unterricht zu behandeln. Mit Arbeitsblättern,
Praxisbeispielen und Information über die
Bandbreite der rechtsextremen Inhalte gibt
dieses Handbuch grundlegende Information
sowie pädagogische Hilfestellung.
Download unter www.klicksafe.de
TERMINE
APRIL 2013
18. Deutscher Präventionstag
22./23.04. Bielefeld • Deutscher Präventionstag • www.praeventionstag.de
MAI / JUNI 2013
Raus aus den Windeln – rein in die Medienwelten?
07.05. Hannover • Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen • www.jugendschutz-niedersachsen.de
Aktuelle Herausforderungen für Suchtbehandlung und -prävention
21.-24.05. Hamburg • 18. Suchttherapietage in Hamburg • Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung ZIS • www.suchttherapietage.de
Fachberatung für Kindertagesbetreuung: Realitäten und Handlungserfordernisse bei der Umsetzung des Rechtsanspruches in 2013
23./24.05. Erkner bei Berlin • Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. • www.deutscher-verein.de
Aktionswoche »Alkohol? Weniger ist besser!«
25.05.-02.06. bundesweit • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) • www.aktionswoche-alkohol.de
72
K Jug
2/2013
Anzeige
Einführung zum
Thema Jugendschutz
Bruno W. Nikles
Sigmar Roll
Klaus Umbach
Kinder- und
Jugendschutz
Eine Einführung in Ziele,
Aufgaben und Regelungen
2013. 156 Seiten, Kart.
16,90 € (D), 17,40 € (A),
ISBN 978-3-8474-0054-7
Ziel des Kinder- und Jugendschutzes
ist die Vermeidung von gefährdenden
Einflüssen auf die Entwicklung junger
Menschen.
Dazu sollen vielfältige rechtliche Regulierungen, erzieherische Konzepte und
sozial-strukturelle Maßnahmen beitragen.
Die Autoren vermitteln grundlegende
Orientierungen, beschreiben Akteure
und Organisationen und weisen den Weg
zu Detailinformationen über einzelne
Gefährdungsbereiche.
Jetzt in Ihrer Buchhandlung bestellen
oder direkt bei:
Verlag Barbara Budrich t
Barbara Budrich Publishers
Stauffenbergstr. 7
D-51379 Leverkusen-Opladen, Germany
Tel +49 (0)2171.344.594
Fax +49 (0)2171.344.693
[email protected]
www.budrich-verlag.de
Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
•
Mühlendamm 3 • 10178 Berlin
www.kjug-zeitschrift.de
Herunterladen