Marie Luise Kaschnitz er re

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WOZ DIE WOCHENZEITUNG NR. 5
31. JANUAR 2008
KULTUR
AGENDA
AUSSTELLUNG
Adolf Wölfli
Die «Skt. Adolf-Riesen-Schöpfung»
kam schon kurz nach Gottes Schöpfung. Mindestens im neu erfundenen
Leben von Adolf Wölfli (1864–1930).
Der als Waise aufgewachsene Wölfli
wurde Verdingbub, Knecht, Handlanger und Wanderarbeiter. Er landete
im Gefängnis und starb als Patient in
der psychiatrischen Klinik Waldau bei
Bern.
Wenig über dreissig Jahre alt, begann er dort auf Geheiss der Ärzte, seine Lebensgeschichte zu verfassen. Sie
wuchs in den folgenden dreissig Jahren zu seinem persönlich-obsessiven
Universum an. Wölfli, der inzwischen
als einer der wichtigsten Künstler der
Art brut gilt, verfasste Prosa und Poesie, schuf Tausende von Farbstiftzeichnungen, komponierte Musik und wurde
als Skt. Adolf II zum Weltmittelpunkt.
Die Ausstellung «Adolf Wölfli Universum» zeigt die vom Künstler gespiegelte Welt. Eine Welt, von der er selbst
ausgeschlossen war.
Parallel dazu sind unter dem Titel
«Der Himmel ist blau» ausgewählte Werke aus der Sammlung Morgenthaler zu sehen. Der Berner Psychiater Walter Morgenthaler und
Wölfli-Förderer hat sie zwischen 1913
und 1920, als er Oberarzt in der Waldau war, zusammengetragen. Er beschäftigte sich intensiv mit der Bedeutung von Zeichnungen und anderen
gestalterischen Ausdrucksformen von
Kranken, suchte nach diagnostischen
Bedeutungen und zeichnete den Verlauf von Krankheiten anhand von Thematik, Komposition und Ausführung
nach. Seine Auswahl war aber auch
von ästhetischen Gesichtspunkten geprägt. Er hinterliess dem PsychiatrieMuseum Bern einen – auch in künstlerischer Hinsicht – einzigartigen
Fundus, der gegen 5000 Arbeiten umfasst und zu den weltweit wichtigsten
Sammlungen dieser Art gehört. ibo
«Adolf Wölfli Universum – Eine Retrospektive» und «Der Himmel ist blau.
Werke aus der Sammlung Morgenthaler,
Waldau» in: BERN Kunstmuseum,
Do, 31. Januar, 18.30 Uhr, Eröffnung.
Di, 10–21 Uhr; Mi–So, 10–17 Uhr.
Bis 18. Mai. www.kunstmuseumbern.ch
Maurizio Cattelan
«Die Hand Gottes» hat dem Fussballer Diego Maradona an der Fussballweltmeisterschaft von 1986 etwas geholfen und so Argentinien den Weg
zum Weltmeistertitel geebnet. Der
aus Padua kommende und seit einigen
Jahren in New York lebende Künstler
Maurizio Cattelan hat mit «La Nona
Ora» 1999 ein Kunstwerk geschaffen,
das den durch einen Meteoriten – auch
eine Form von «Hand Gottes» – zu Fall
gebrachten Papst zeigt. Seine theatralische räumliche Inszenierung ist inzwischen zu einer Ikone geworden.
Cattelan, der Anfang der achtziger
Jahre mit nicht besonders funktionalen Designobjekten begann, ist bald
in der Kunstwelt heimisch geworden.
In Bregenz hat er sich durch die
Architektur von Peter Zumthor inspirieren lassen und nutzt sie als Teil seines Werkes. Mit wenigen räumlichen
Eingriffen und drei neu geschaffenen
Werkgruppen verwandelt er das Haus
in eine Grabkammer, lässt seine Fantasie um das grosse Thema Tod kreisen. «Die Ausstellung sollte zart, tröstlich und verführerisch sein, aber auch
etwas Verdorbenes, Verqueres und
Verbrauchtes haben», lässt der im Vorfeld von Ausstellungen eher wortkarge
Cattelan verlauten. ibo
Maurizio Cattelan in: BREGENZ Kunsthaus, Fr, 1. Februar, 20 Uhr, Eröffnung.
Di–So, 10–18 Uhr; Mi, 10–21 Uhr. Bis
24. März. www.kunsthaus-bregenz.at
Rollenmodell Mann
Noch wird männliches Rollenverhalten selten hinterfragt. Immerhin finden queere Gedanken langsam, aber
beharrlich Eingang in Universitäten
und Kulturbetriebe. Ein Beispiel
dafür ist das John Institute aus Zürich. Dieses hat es sich zur Aufgabe
gemacht, die Auseinandersetzung
mit männlichen Rollenmodellen in
KAMERUN – KUNST DER KÖNIGE
der zeitgenössischen Kunst anzukurbeln.
Eine erste Ausstellung beschäftigte sich mit männlichen Vorbildern.
Die zweite macht nun im Palace in
St. Gallen den Moment der Vorführung zum Thema. Ausgangspunkt der
gezeigten Arbeiten von KünstlerInnen
und Gruppen wie der Performerin Nicole Bachmann, der Berliner Performancegruppe Discoteca Flaming Star,
der slowenischen Band Laibach, der
deutschen Filmemacherin Ulrike Ottinger und anderen mehr sind Tanz,
Maskerade, Spiel und gespielte Alltäglichkeit.
Im Rahmen der Palace-eigenen
«Erfreulichen Universität» wird die
Ausstellung von Vorträgen und Konzerten zum Thema begleitet. Am kommenden Dienstag gehen Catherine
Hug, Nicole Bachmann, Wolf Steiger
und das John Institute der Frage nach,
wie sich Männlichkeit aktuell in Performanz und Inszenierung äussert.
In weiteren Vorträgen geht es um die
«Junggesellenmaschine», deren Titel
auf eine legendäre, 1975 von Harald
Szeemann (1933–2005) konzipierte
Ausstellung in Bern zurückgeht, und
das gewandelte Verhältnis der Linken
zum Sex. adr
Grossartige Holzskulpturen bilden
das Zentrum der Ausstellung «Kamerun – Kunst der Könige» im Zürcher
Museum Rietberg. Die Königspaläste im Südwesten des Landes waren
reich ausgestattet mit figürlicher
Kunst, zu denen auch Gedenkfiguren
gehörten, die an verstorbene Könige
und Königsmütter erinnerten. Die
Kunst des Kameruner Graslandes
war Anfang des 20. Jahrhunderts
eine wichtige Inspirationsquelle für die «Brücke»-Künstler. Der
im Bild gezeigte Leopardenhocker
gelangte vor 1910 in den Besitz von
Ernst-Ludwig Kirchner und taucht
in verschiedenen seiner Bilder und
Skizzen auf, wie die Kabinettsausstellung zeigt.
«Kamerun – Kunst der Könige» und
«Ernst-Ludwig Kirchner und die Kunst
Kameruns» in: ZÜRICH Museum Rietberg,
So, 3. Februar, 10 Uhr, Eröffnung. Di–So,
10–17 Uhr; Mi/Do, 10–20 Uhr. Bis 25. Mai.
www.rietberg.ch
«Männliche Rollenmodelle» in:
ST. GALLEN Palace. Fr, 1. Februar,
18 Uhr, Eröffnung. Bis So, 10. Februar.
«Erfreuliche Universität»: Di, 5.,
19. und 26. Februar, 20.15 Uhr.
www.palace.sg / www.thejohninstitute.ch
LEOPARDENHOCKER, WERKSTATT DER BABANKI-TUNGO-REGION, KAMERUN, 19. JAHRHUNDERT. BÜNDNER KUNSTMUSEUM, CHUR.
LITERATUR
Alles oder nichts
Gesellschaftliche Normen fallen dahin,
wenn leidenschaftlich Liebende ihre
Gefühle leben. Alles oder nichts lautet
die Parole – wider jegliche sogenannte Vernunft. Diejenigen hingegen, die
solche emotionale Ausnahmezustände
nicht (mehr) fühlen, sehnen sich nach
starken Gefühlen.
In diesem Spannungsfeld bewegen
sich die Figuren in den neuen Romanen «Mittelmässiges Heimweh» von
Wilhelm Genazino, «Böse Schafe»
von Katja Lange-Müller und «Komm,
wir gehen» von Arnold Stadler. Im
Rahmen von «züri littéraire» diskutieren die drei AutorInnen unter der
Leitung von Mona Vetsch über ihr
Schreiben über die Liebe in diesen
Zeiten. adr
«Alles oder nichts» in: ZÜRICH Kaufleuten. Mo, 4. Februar, 18.30 Uhr.
www.zuerilitteraire.ch
THEATER
Doubleface
«Sie werden ohne Geld sein, aber Frauen bringen Ihnen Glück, und durch
sie werden Sie Erfolg haben»: Diese
Worte soll einem gewissen Christian
Dior eine Hellseherin gesagt haben,
als dieser sechzehn Jahre alt war. Und
tatsächlich: 1947 eröffnete der junge
Mann in Paris das Haus Dior. Das war
die Geburtsstunde des New Look, und
der Modeschöpfer wurde mit seiner
ersten Kollektion über Nacht zum Star.
Die Kehrseite des Erfolgs aber zeigte
sich schnell: Der plötzliche Ruhm begann Diors Persönlichkeit zu spalten.
übergangslos war der Mensch Dior zur
Marke geworden.
«Doubleface oder die Innenseite des Mantels», das dramatische
«Defilée» von Anna Viebrock und Malte Ubenauf, ist keine modehistorische
Retrospektive, sondern vielmehr ein
Streifzug durch die Innenansichten
von Models und ModemacherInnen
– ein Stoff, für den Viebrock umso
mehr prädestiniert ist, als die ehemalige Mitarbeiterin von Christoph Marthaler ihre Karriere als Bühnen- und
Kostümbildnerin begonnen hatte.
In der Uraufführung im Theater
Basel spielt der Basler Schriftsteller
Jürg Laederach eine Rolle, dessen Prosawerk «69 Arten den Blues zu spielen» Viebrock in der letzten Spielzeit
in Basel inszeniert hatte. adr
«Doubleface» in: BASEL Theater. Fr,
1., Do, 7., Sa, 8., Di, 19., Mi, 20. Februar,
20 Uhr. www.theaterbasel.ch
KURZKRITIK
CD
FILM
Alec Empire
Attwenger
Adventure
Jahrelang stand der Name Alec Empire
für musikalischen Krach, Anarchie und
Rabaukentum; eben für Musik, die alles andere als leicht zugänglich war
und die sich nur Hartgesottene freiwillig anhörten. Seine Band Atari Teenage
Riot verband wüste Hardcore-Attitüde
mit elektronischen Instrumenten, und
dementsprechend unzugänglich klang
auch die Musik des Quartetts. Das von
Empire selbst gegründete Label Digital
Hardcore Recordings, auf dem natürlich
alle ATR-Platten erschienen, war jedoch
trotz der musikalisch alles andere als
einfachen Kost sehr erfolgreich. Speziell
ausserhalb Europas, in den USA und Japan, war die Musik des Labels äusserst
erfolgreich.
Atari Teenage Riot ist inzwischen
Geschichte, und Empire veröffentlicht
seine Platten wieder unter seinem
Namen. Sein neuestes Werk heisst
«The Golden Foretaste of Heaven» und
ist auf seinem neuen Label Eat Your
Heart Out erschienen. Für Empire’sche
Verhältnisse klingt das Werk schon
beinahe ungewohnt ruhig. Die brachialen Lärmattacken und wüsten Elektrokakofonien scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die zehn neuen
Stücke klingen eher wie die einer harten
Synthieband aus der Mitte der achtziger
Jahre. Er selbst sagt zu diesem Wechsel:
«Ich wollte mich völlig umorientieren.
Ich hatte das Gefühl, meine Musik in
eine andere Richtung treiben zu müssen.»
Genau das hat er getan. Allerdings
gibt es immer noch genügend verzerrte
Gitarren und Synthesizer, die vom Klang
her an vergangene Zeiten erinnern. Nur
die Beats sind nicht mehr so hektisch
und wild, das Tempo ist deutlich gedrosselt. Die Atmosphäre der Stücke ist
jedoch, wie immer bei Empire, dunkel
und morbid. Fröhliche Stücke sind seine Sache halt nach wie vor nicht. Nur
am Anfang von «New Man» klingt es
sogar recht flott, schon beinahe wie für
die Indiedisco gemacht. Alien Sex Fiend
aus London lassen grüssen. Später wird
es mal mehr («100 Eyes»), mal weniger
(«I.C.E.») düster. Die CD bleibt auf jeden Fall eine positive Überraschung: So
«musikalisch» war Alec Empire bisher
noch nie.
Martin Schlögl
ALEC EMPIRE: «The
Golden Foretaste of
Heaven». Eat Your
Heart Out / Import.
Attwenger, die eigenwilligste Band
Österreichs, wenn nicht Mitteleuropas,
ist endlich wieder auf Leinwand zu sehen.
Das Duo aus dem hageren, speedigen
Sänger und Schlagzeuger Markus Binder
und dem scheinbar so phlegmatischen,
aber ganz schön schnellen Handorgelspieler Hans-Peter Falkner spielt – und
streitet – seit fast achtzehn Jahren zusammen. Zum Beispiel als Falkner kurz
vor einem Auftritt im Berner «Café Kairo» nicht mehr mitmachen will, Binder
beschliesst, allein anzufangen, Falkner
dann im letzten Moment doch noch auftaucht und sich die Spannung in einem
Lachanfall auflöst. Wie ein altes Ehepaar
seien sie inzwischen, meint Binder. Es
muss wohl Liebe sein.
Filmer Markus Kaiser-Mühlecker
begleitet die beiden an Konzerte, auf
lange Autofahrten, in Hotelzimmer
und nach Hause zu ihren Familien. Archivmaterial zeigt Markus Binder als
jungen Kunstpunk im Linzer Untergrund und H.P. Falkner, der schon als
Jugendlicher mit seinen Eltern Volksmusik machte. Aus diesen fruchtbaren
Vermischungen entstand Attwengers
einzigartige Verbindung von Punk und
Dorfbeiz, Dialekt und Elektronik. Viele
weitere Weggefährten kommen im Film
zu Wort (und mit Eva Mair-Haussmann
von Attwengers Label Trikont nur eine
einzige Weggefährtin – schade). Zumindest einer trifft voll daneben: «Wir sind
nicht so verbittert über Österreich wie
die», sagt Moderator Dirk Stermann.
Das ist Blödsinn. Attwenger äussern
sich nur am richtigen Ort deutlich, etwa
bei der Verleihung des Amadeus Award
2003 im ORF: «Wir nehmen den Preis
an dafür, dass wir gegen den Rechtsruck
antreten, der sich ziemlich umgebremst
ausbreitet», sagte Binder damals. «Auch
in der Musikszene: nur mehr Volkstümelei oder dieses bescheuerte KaraokeRumgehopse – das ist doch alles reaktionär, hallo!» Mit Verbitterung hat das
gar nichts zu tun. «Man kann durchaus
kritische und selbstkritische Dinge von
sich geben, ohne gleich in Düsterkeit zu
verfallen», sagte Binder vor zwei Jahren im WOZ-Interview (siehe WOZ
Nr. 17/06). Attwenger beweisen es – mit
einer Freude, die ansteckt. dyt
«Attwenger Adventure». Österreich 2007.
Regie: Markus Kaiser-Mühlecker. In:
ZÜRICH Riffraff, So, 3. Februar, 21 Uhr.
LUZERN Bourbaki, Mi, 6. Februar, 20.45 Uhr.
Attwenger live: BERN ISC, Do, 31. Januar,
21 Uhr. ZÜRICH El Lokal, Fr, 1. Februar,
21.21 Uhr. www.attwenger.at
DER RAUM
MellingenHeitersberg
Der Bahnhof am Waldrand liegt zwischen den Gemeinden Mellingen und
Fislisbach und an der Linie der S3, 21
bis 27 Minuten vom HB Zürich entfernt.
Der Bahnhof Mellingen-Heitersberg
wirkt, als wäre er ein kürzlich gelandetes Raumschiff. Ungefähr zur halben
Stunde kommt die S-Bahn aus Killwangen-Spreitenbach durch den Heitersbergtunnel und fährt nach kurzem Halt
weiter in Richtung Aarau und Lenzburg, einige Minuten später kommt
der Zug der Gegenrichtung, der nach
Zürich und sogar nach Wetzikon will.
Ebenfalls um die halbe Stunde herum
rollen die funkelnagelneuen Postautos
ins Umland ab: nach Brugg, Bremgarten, Wohlen und Baden.
Zur halben Stunde herrscht Betrieb,
dazwischen und ausserhalb der Stosszeiten Leere. Niemand verweilt hier,
Mellingen-Heitersberg ist die Durchgangsstation par excellence. Dieser Ort
ist völlig neu, er hat ein Geburtsdatum:
12. 12. 2004. PlanerInnen der SBB und
der Gemeinden haben ihn geschaffen.
Vorher war er eine Wiese.
Unbemerkt hat sich hier ein Verkehrsknötchen gebildet. Der Betrieb beginnt
um halb sechs in der Frühe und abends
ab acht dünnt er allmählich aus. An
Attraktionen bietet er gedeckte Perrons,
zwei Geleise, einen stündlichen Zug je
Fahrtrichtung (zu den Hauptverkehrszeiten mehr), einen Billettautomaten,
einen Coop-Pronto-Shop mit Tankstelle, einen Verpflegungsautomaten und
ein Parkhaus. Er besteht weitgehend
aus Beton, ohne Schnickschnack. Schön
ist er, der Bahnhof Mellingen-Heitersberg, weil er nicht mehr zu sein behauptet als ein Bahnhof. Schön ist auch
das Reusstal, das sich von hier aus erwandern lässt. Raphael Zehnder
BAHNHOF MELLINGEN-HEITERSBERG.
Erreichbar mit Bahn und Postauto.
IMMER UND EWIG
Marie Luise
Kaschnitz
«Die Altphilologen muss es damals
geschaudert haben», schreibt Marie
Luise Kaschnitz 1972 im Nachwort
zur Neuauflage ihres 1943 erstmals
erschienenen Erzählbands «Griechische Mythen». «Nur indem sie
mir eine Art von poetischer Narrenfreiheit gewährten, konnte die kleine
Sammlung vor ihnen bestehen.» Die
kurzen Erzählungen sind persönliche Interpretationen einer Dichterin, die sich nicht scheut, auch weniger bekannte Versionen eines Mythos
aufzugreifen, mehrere Überlieferungen zu verweben und so daran zu
erinnern, dass Mythen Geschichten
sind, die immer wieder neu erzählt
werden und weder auf einen einzigen
Ursprung noch auf einen Urtext zurückgehen.
Kaschnitz wurde vor allem durch
Vasenmalereien zu diesen Geschichten inspiriert und fand die Figuren,
im Gegensatz zu den literarischen,
eher zierlich, «manchmal recht lustig». Diese Leichtigkeit zieht sich
durch die Erzählungen und zeigt bekannte Helden und Götter in unbekanntem Licht. So wird zum Beispiel
Jason – seit seiner kläglichen Nebenrolle in Euripides’ Drama «Medea»
als feiger, verlogener Verräter gebrandmarkt – bei Kaschnitz zu
einem gescheiterten Helden, der
versöhnlich auf sein spektakuläres
Leben zurückblickt: «Er hörte die
Wellen am Strande rauschen, und
wie Medeas Züge allmählich verblassten, trat sie zurück in das All,
wurde ein Teil der Natur, der er sich
verbunden hatte und die immer weiterlebte und wirkte, hell und dunkel,
helfend und vernichtend zugleich.»
Bestehen kann diese Sammlung
nicht nur vor PhilologInnen, sondern
auch vor MythomanInnen und allen
FreundInnen der kurzen Form.
Martina Süess
MARIE LUISE KASCHNITZ: «Griechische
Mythen». Antiquarisch. Empfehlenswert: Edition mit fünfzehn Vasenabbildungen. Suhrkamp Insel. Frankfurt
am Main 2001.
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