DA Israel Palästina 4.Fassung Barth vom 10.4.03

Werbung
STUDIENGESELLSCHAFT FÜR FRIEDENSFORSCHUNG E.V.
MÜNCHEN
DENKANSTÖSSE
THEMA:
ISLAM und ISLAMISMUS
NR. 50
ZUM
- eine Herausforderung
für Deutschland
Die unabhängige Studiengesellschaft für Friedensforschung möchte durch Kurzinformationen interessierte Menschen anregen, sich mit der
aktuellen Friedens- und Sicherheitspolitik, auch im Hinblick auf Fragen der Ökologie und der Dritten Welt, kritisch auseinanderzusetzen.
Grundlegendes über den Islam
In der heutigen Zeit kann man von drei grundlegenden Tatbeständen ausgehen. Zum ersten ist der Islam eine ungemein dynamische Erscheinung. Sie kann nicht mehr einfach mit Rückständigkeit, Modernisierungsfeindlichkeit und „Mittelalter“ gleichgesetzt werden. Der Islam als Faktor gesellschaftlicher und politischer Umgestaltung ist nicht mehr auszublenden. Er ist heute weithin die einzige Kraft, über die breitere Massen in islamischen Ländern mobilisiert werden können. Mit Ideologien vergangener Zeiten wie Sozialismus, Nationalismus, Säkularismus oder etwa Kommunismus sind Massenmobilisierung und Legitimation nicht mehr zu erreichen.
Zum zweiten ist der Islam auch aus europäischen Gesellschaften nicht mehr wegzudenken. Während der letzten 40 Jahre hat hier
eine fundamentale Entwicklung stattgefunden. Hat es um 1950 erst rund 900.000 muslimische Bewohner in Europa gegeben, so
sind es zu Beginn des 21. Jahrhunderts bereits rund 17 Millionen. Waren es Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts in
der alten Bundesrepublik Deutschland nur einige zehntausend Muslime, die etwa als Ärzte, Ingenieure oder Studenten hier lebten,
einige zehntausend, die überhaupt nicht auffielen in der Gesellschaft, so liegt heute die Anzahl der Muslime in Deutschland bei etwa
3,5 Millionen mit steigender Tendenz. In Europa leben zwischen 14 und 17 Millionen Muslime, überwiegend in Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Nach Hochrechnungen wird ihre Zahl um das Jahr 2025 auf ca. 30 bis 40 Millionen angewachsen sein.
Sie sind hier und werden hier bleiben, als Minderheit in einer christlich-säkularen Mehrheitsgesellschaft. Das bedeutet, dass künftig
auch der Islam aus dem Erscheinungsbild der deutschen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist. Er ist unter uns und Teil unserer
Gesellschaft.
Zum dritten ist klar, dass Islam nicht gleich Islam ist. Er existiert in vielen verschiedenen Variationen. Ein Muslim in Europa muss
sich mit anderen Gegebenheiten auseinandersetzen als ein Muslim in Indonesien oder im Jemen und wird sich entsprechend anders
verhalten. „Der Islam ist“, so die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer, „überspitzt ausgedrückt, weitgehend das, was
Muslime an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit als islamisch definieren und praktizieren“. So umfasst der
Islam so konträre Auffassungen wie die der gemäßigten Aleviten oder der radikalen Schiiten. Insgesamt gibt es in der islamischen
Welt 77 verschiedene religiöse Strömungen und Richtungen.
Die Ziele der OIC sind in der 1972 verfassten Charta u.a. wie folgt festgeschrieben: Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf den Gebieten Wirtschaft, Soziales,
Kultur und Wissenschaft, Kampf gegen Rassismus (Zionismus) und Kolonialismus sowie der Schutz der Heiligen Stätten des Islam.
Der Islam ist die heute wohl vitalste, vor allem aber die kämpferischste aller Weltreligionen. Eine zentrale Eigenart des Islam –
vom aufgeklärten Abendland als besonders bedrohlich empfunden – hatte schon der französische Historiker Alexis de Tocqueville im 19. Jahrhundert erkannt: die Verschmelzung von geistlicher und weltlicher Autorität, von Religion und Politik. „Der Mohammedanismus“, schrieb Tocqueville, „ist diejenige Religion,
welche die beiden Machtbereiche am vollständigsten miteinander
vermengt und vermischt hat, so dass alles Handeln im bürgerlichen und politischen Leben mehr oder minder vom religiösen
Gesetz geregelt wird“.
Mohammeds Lehre fordert die totale Unterwerfung unter den allgewaltigen Gott. Sie ist einfacher und konkreter als die älteren
Religionen von Hindus, Buddhisten, Juden und Christen. Sie
kennt nicht so Geheimnisvolles wie Wiedergeburt, Dreifaltigkeit,
Fleischwerdung und Erlösung. Im Islam gibt es keine zentrale Institution – wie für die Katholiken der Vatikan -, die verbindliche
Anweisungen erteilt. Dennoch bleibt kein Bereich des menschlichen Daseins von seiner Durchdringungskraft ausgespart. „Der
Islam“, so befand der englische Philosophieprofessor Ernest
Gellner in seinem Buch „Leben im Islam“ 1981 bündig, sei nicht
weniger als „der Entwurf einer Gesellschaftsordnung“.
Die Entstehung des Islam
Allgemeine Aussagen über den Islam sind schwierig. Schon das
Wort Islam selbst wird für gewöhnlich in zwei unterschiedlichen,
wenngleich verwandten Bedeutungen verwendet. Zum einen
steht der Begriff für eine Religion, ein System des Glaubens und
der Verehrung, zum anderen für die Zivilisation, die unter dem
Zeichen dieser Religion gewachsen und aufgeblüht ist. So gesehen bezeichnet das Wort Islam mehr als vierzehn Jahrhunderte
Geschichte, 1,3 Milliarden Menschen und eine enorm vielfältige
religiöse und kulturelle Tradition.
Vom selben Wortstamm abgeleitet ist Muslim: „der sich Ergebende“. Islam heißt also Frieden halten mit Gott, eine Lebensweise
des Einzelnen und der Gemeinschaft im Rahmen der von Gott
offenbarten Regeln. Der Islam ist in seinen Idealen auch eine Religion des Friedens. Große Teile der Menschheit haben über die
Jahrhunderte hinweg in ihr Orientierung für ihr Leben gefunden.
Der Islam ist eine monotheistische Weltreligion mit über 1,3 Mrd.
Anhängern.1 Er ist nach dem Christentum entstanden und versteht sich wie dieses als eine universale Religion mit einem
Islam wörtlich übersetzt meint „Hingabe“, „Unterwerfung“ oder Wahrheitsanspruch, der sich potentiell an jeden Menschen richauch „Sich-Gott-Ergeben“ und kommt von der Wurzel Salam, die tet. Ein Wesenszug des Monotheismus ist der Alleinvertretungsanspruch; Monotheisten erklären alle anderen – einschließlich
u.a. „Frieden“ und „Ergebung in Gottes Willen“ bedeutet.
anderer Monotheisten – zu Ungläubigen.
Die historischen Ursprünge des Islam finden sich im Leben eines
Mannes mit dem Namen Mohammed, geboren um 570 n. Chr. in
der Stadt Mekka im heutigen Saudi-Arabien und verstorben 632
n. Chr. in der nahe gelegenen Stadt Medina. Der Islam ist insofern ein Sonderfall in der Religionsgeschichte, als sein menschlicher Begründer, der Prophet Mohammed, gleichzeitig Staatsmann und als solcher auch Militärführer war. Buddha und Jesus
waren umherziehende Wanderprediger, die selbst wenig oder
keinerlei Bezug zur Politik ihrer Länder hatten. Auch die alttestamentlichen Propheten waren nur Berater von Königen und Heerführern, aber sie zogen in aller Regel nicht selbst in den Krieg.
Mohammed sah sich selbst als Fortsetzer und Vollender einer
langen Reihe von monotheistischen Propheten, zu denen auch
die jüdischen Propheten und Christus gehören. Dennoch wendet
sich Mohammed in seiner Verkündung, wie sie der Koran überliefert, auch gegen Judentum und Christentum. Aus der Sicht des
Koran haben beide, Juden und Christen, die auf Moses und Jesus von Gott selbst herab gesandten Heiligen Schriften verfälscht, was den Text oder aber zumindest was dessen authentische Bedeutung angeht. Es gibt zwischen Islam, Christen- und
Judentum sowohl Gemeinsamkeiten als auch Gegensätzliches.
Allah bleibt unsichtbar: Er offenbarte sich lediglich durch einen Text, den Koran,
in dem von einem Bilderverbot jedoch nicht ausdrücklich die Rede ist. Dieses
wurde vielmehr aus den Aufzeichnungen über das Leben und Wirken des Propheten (Hadith) hergeleitet. Engel, so habe er gesagt, beträten kein Haus, in dem
sich eine bildliche Darstellung von Mensch oder Tier befinde. Ferner habe Mohammed Berichten zufolge bebilderte Vorhangstoffe zerschneiden und zu Kissenbezügen umarbeiten lassen. Um 1400 kamen dennoch erste Bilder mit Darstellungen des Prophetenleben auf. (Das Bild oben stammt aus dem Jahre 1595.)
2
1 Eine Lehre gilt dann als Weltreligion, wenn sie die Menschheitsgeschichte beeinflusst, aktuell von Bedeutung ist und prinzipiell jedem unabhängig von sozialer
Herkunft, Rasse, Nationalität und Geschlecht offen steht. Durch Migration (wie z.
B. beim Judentum) oder Mission (wie z. B. beim Christentum) entfernten sich die
Glaubensbekenntnisse von ihrem Ursprungsland – und im Laufe der Zeit auch oft
von den Ideen ihrer Gründer. Die drei abrahamitischen Weltreligionen Judentum,
Christentum und Islam treffen sich in ihrem Monotheismus; sie sind jeweils exklusiv. Die in Indien und China entstandenen Heilslehren Hinduismus, Buddhismus,
Taoismus und Konfuzianismus sind dagegen durch theologische Offenheit charakterisiert, die dem Gläubigen viele Freiheiten lässt.
Als Mohammed gegen 570
n. Chr. in Mekka im Klan
der Haschim vom Stamm
der Kuraischiten geboren
wurde, siedelten auf der
arabischen Halbinsel Nomaden, Halbnomaden und
sesshaft gewordene arabische Stämme. Die Kuraischiten waren bereits um
etwa 500 n. Chr. in Mekka
sesshaft geworden. Mekka
lag am Kreuzungspunkt
mehrerer Karawanenstraßen und beherbergte offenbar schon sehr lange
ein vorislamisches, polytheistisches Heiligtum: die
Kaaba, einen Tempel, in
dessen südwestlicher Außenwandecke ein Meteorit, der heilige schwarze Stein, eingemauert war und der den Mittelpunkt einer riesigen Wallfahrtsbewegung bildete. Diese zu bestimmten Zeiten abgehaltenen Wallfahrten brachten der reichen Handelsstadt Mekka durch Messen
und Märkte wirtschaftliche Vorteile; hier trafen sich im Schutze
der heiligen Monate, in denen Kampf und Mord verboten waren,
Vertreter aller arabischen Stämme. Südarabien, durch seinen
Reichtum berühmt, hatte zur Zeit, als Mohammed geboren wurde, seine Glanzperioden hinter sich. Es war noch ein Gebiet magisch-kultischer Stammesreligionen, in dem sich zahlreiche Heiligtümer befanden: Bäume, Grotten und vor allem Steine wurden
für heilig und machtgeladen gehalten. Die arabische Gesellschaft
setzte sich ursprünglich aus Nomadenstämmen zusammen, deren Stammesrivalitäten in altarabischer Zeit Blutrache und Überfälle in den großen Wüstengebieten nach sich gezogen hatten.
Neben den heidnischen Arabern lebten zu dieser Zeit auch schon
christliche arabische Stämme und jüdische Familien auf der
Halbinsel.
Die überkommene Gesellschaftsordnung der Stämme auf der
arabischen Halbinsel war im 6. Jahrhundert in eine Krise geraten.
Das Stammeseigentum ging immer mehr über in das Eigentum
einzelner Sippen und Familien, wodurch soziale Unterschiede
wuchsen. Diese fortschreitende soziale Differenzierung zerstörte
die ursprünglichen Ideale des Beduinentums – Stammessolidarität, Freiheit, Tapferkeit. Proteste wurden laut gegen das wachsende Unrecht. Der weithin zur leeren Formel erstarrte Polytheismus verlor an Attraktivität, zumal jüdische und christliche Gemeinden mit ihrem Monotheismus dem Bedürfnis nach stammesübergreifenden Gemeinwesen ein positives Beispiel gaben.
Hanifen („Gottsucher“), die als asketische Einsiedler in der Wüste
lebten, vertraten den Glauben an einen einzigen Gott.
Mohammeds Vater starb, als dieser noch nicht geboren war. Mohammed war gerade erst sechs, als auch seine Mutter verstarb.
So wuchs Mohammed zunächst unter der Obhut seines Großvaters auf. Dieser starb, als der Junge acht Jahre alt war, und einer
von Mohammeds beiden Onkel väterlicherseits, Abu Talib, übernahm seine Erziehung und nahm ihn auch immer wieder auf Geschäftsreisen mit. Mohammed lebte in Mekka, bis er nach dem
20. Lebensjahr für eine wohlhabende Witwe namens Hakhiga zu
arbeiten begann, die ihn als Karawanenführer u.a. nach Syrien
schickte. Mit 25 Jahren heiratete er die damals 40-jährige Witwe
3
und bewahrte ihr immer eine tiefe Zuneigung: Solange sie lebte,
nahm er keine andere Gattin. Sie schenkte ihm sieben Kinder,
von denen nur eine Tochter, Fatima, überlebte und selbst Nachkommen hatte.
Als Karawanenführer dürfte Mohammed sowohl Juden als auch
Christen kennen gelernt und somit Kenntnisse über ihren von den
arabisch-vorislamischen Vorstellungen völlig abweichenden
Glauben erworben haben. Mohammed begab sich schon früh auf
die Suche nach Gott, zog sich in die Einsamkeit der Berge und
der Wüste zurück, meditierte in Höhlen und mit 40 Jahren, also
im Jahre 610 n. Chr., setzte seine prophetische Sendung - die
Offenbarung des Koran - ein.
„Die Wahrheit“ kam schmerzlich über ihn, der nach Ansicht vieler
Islamforscher ein Analphabet war. Seine prophetische Sendung
begann im Traum. Sie erging auf einer Berghöhe (Hira) in der
Nähe von Mekka, wohin er sich zurückzuziehen pflegte, an ihn. In
einer Höhle, so ist überliefert, stand eines Nachts plötzlich eine
geheimnisvolle Gestalt bei ihm. Der Engel Gabriel, den er vor
sich sah, packte ihn mit aller Kraft und schnürte ihm die Luft ab,
als er auf dessen Worte nicht reagierte: „Trage vor im Namen
deines Herrn!“ Noch einmal würgte der Engel ihn und forderte:
„Trag vor!“
Endlich glaubte Mohammed begriffen zu haben – er sollte die ihm
vorgebeteten Worte rezitieren und sich für alle Zeiten merken:
Die Lehre von Gott, der ihn als seinen Gesandten dazu bestimmt
habe, die Mitmenschen von ihrem heidnischen, egoistischen und
unbarmherzigen Leben abzubringen, damit ihnen nicht am Tage
des Jüngsten Gerichts „eine auseinander klaffende Erde, lodernde Feuer“ und weitere Höllenqualen drohten. Ein Gedanke beherrscht die ersten Verkündigungen Mohammeds: das nahende
Endgericht. In jagenden kurzen Zeilen klingender Reimprosa, in
sich überstürzenden Bildern wird das Hereinbrechen der Stunde,
des Tages der Abrechnung, der Auferstehung angekündigt. Diese
Offenbarung, die in Mekka begann und sich später in Medina
fortsetzte, war die Geburtsstunde des Islam. Mohammed trat aus
der Höhle und hörte, wie eine Stimme ihn als den Gesandten Allahs grüßte. Als er die Stimme Allahs zum erstenmal hörte, war er
anfänglich in Sorge, das Opfer eines teuflischen Betruges zu
sein; doch allmählich wuchs der Glaube an die Echtheit der Offenbarung.
Mohammed wurde also in seiner sehr oligarchisch geprägten
Heimatstadt Mekka von seinem eigenen Stamm verspottet, bekämpft und verfolgt, weil er eine echte Revolution gegen die Interessen der Kuraischiten auf mehreren Gebieten entfachte: religiös, da er eine neue Religion verkündete, die alle heidnischen,
polytheistischen Religionen ersetzen und die jüdische und christliche berichtigen sollte; politisch, weil eine neue Ordnung etabliert werden sollte, die den Stamm durch eine islamische Gemeinde ersetzen sollte, in der zunächst die Araber (die Halbinsel)
vereinigt werden sollten; wirtschaftlich, weil der Islam die staatGegen 613 begann er zu predigen, in kurzen, angstvollen, er- liche und gesellschaftliche Entwicklung bestimmen wollte, wobei
regten Sätzen, die ganz von dem Gedanken an den göttlichen eine größere Gerechtigkeit als im alten System angestrebt wurde.
Zorn und das nahe Gericht erfüllt waren. Er predigte gegen Diebstahl und Verleumdung, von der sozialen Verpflichtung des Ei- Nach dem Tod seines Ersatzvaters Abu Talib und seiner Frau
gentums, dem pfleglichen Umgang mit Frauen, gegen Wucher- Hakhiga im Jahr 619, entschloss sich Mohammed am 16. Juli
zins, Glücksspiel und Alkohol, gegen Ehebruch und Mord an Kin- 622, mit einer kleinen Schar von Anhängern und Getreuen aus
dern, die man nicht ernähren zu können glaubte, und für das Mekka zu fliehen und einem Ruf jüdischer und arabischer Stämme der Stadt („medina“) Yathrib (später Medina) zu folgen, wo er
Körperwaschen nach dem Sex.
als Friedensstifter agieren sollte (Hidschra, Beginn der islamiAber Mohammed war nicht nur der Androher und Ermahner, son- schen Zeitrechnung). Mohammed war 52, als er Mekka den Rükdern auch der Verkünder froher Botschaft: Der Fromme, welcher ken kehrte: Ein Prophet, der in seiner Heimat nichts galt. Ein GeGottes Befehlen gemäß lebt, wird ins Paradies eingehen, wo Bä- scheiterter, der zwei Drittel seines Lebens hinter sich hatte und
che von Milch und Honig in kühlen, duftenden Gärten fließen und nicht viel mehr als einige Dutzend Anhänger um sich scharen
jungfräuliche Geliebte ihn erwarten. Auch Frauen und Kinder ha- konnte. Dass er in dieser Situation nicht an seiner Botschaft verzweifelte und aufgab, grenzt für den Ungläubigen an ein Wunder.
ben an der Paradiesseligkeit teil.
Durch die Vermittlung des Erzengels Gabriel wurde also der Koran offenbart, wobei die Sure 96 als die erste der Offenbarungen
gilt. Mohammed galt als Träumer. Seiner Sendung war er sich
anfangs keinesfalls sicher. Nur seiner Frau und wenigen Vertrauten erzählte er von den Offenbarungen, die ihm fortan in unregelmäßigen Abständen zuteil wurden. Nach drei Jahren erhielt
er vom Engel Gabriel den Befehl zur offenen Verkündung: „Wenn
du es nicht verkündest, hast du deine Sendung nicht erfüllt.“ Im
Trancezustand empfing er weitere Fragmente des Korans.
In Medina gab es zu dieser Zeit nicht nur einen, sondern fünf
Stämme, die sich gegenseitig befehdeten. Es gab deshalb auch
keine oberste politische Instanz und keine Ratsversammlung der
Oberen wie in Mekka. Das Erste, was Mohammed in Medina demonstrierte, war das Integrationspotential seiner Offenbarung, da
er an Stelle genealogischer Gemeinschaften eine religiöse Vergemeinschaftung verkündete. Deren Nutzen wurde allmählich
von den Medinensern erkannt, denn nach wenigen Jahren entstand ein Bündnisvertrag („Konstitution von Medina“), der die
Muslime Medinas und die Zuwanderer aus Mekka zu einer religiAls Mohammed in der ös begründeten Gemeinschaft, der „Umma“, zusammenschloss.
Folge in Mekka zu
predigen
begann, Bald aber ging Mohammed einen Schritt weiter, denn nun forbrachten ihm die Ku- derte er in Medina Gehorsam gegen Gott und seinen Gesandten:
raischiten vorerst wohl „Und gehorchet Gott und seinem Gesandten und streitet euch
Interesse entgegen, nicht“ (Sure 8 Vers 46, 47, 33). Da die Medinenser dieser Aufforals er jedoch sein Volk derung Folge leisteten, hatte Mohammed sein Ziel erreicht: Er
zu warnen begann, zur hatte einen staatsbildenden, dritten Monotheismus begründet und
„Umkehr“ und der Auf- eine welthistorische Revolution eingeleitet. Diese Revolution war
gabe ihres Kultes auf- alleine das Werk Mohammeds mit seiner großen Ausstrahlungsrief und es zur bedin- kraft. Er konnte sie aber dennoch nur realisieren, weil seine Botgungslosen
Unter- schaft mit ihrem Friedensappell („Streitet euch nicht“) Sinn stiftete
werfung unter den ei- in einer nicht funktionierenden Gesellschaft, die sich aus vernen, einzigen Gott schiedenen genealogischen Gemeinschaften zusammensetzte.
aufforderte,
musste
Mohammed zwangs- In dieser Phase entsprach die Umma, die islamische Gemeinde,
läufig von den Kurai- durchaus einer Theokratie, einer Gottesherrschaft. Als Prophet
schiten als Feind be- Gottes sorgte Mohammed dafür, dass der göttliche Wille auf Ertrachtet werden. Er den befolgt wurde. Dennoch, oder gerade deswegen, finden sich
stellte nicht nur die im Koran keine klaren Aussagen darüber, wie die Umma politisch
traditionellen
Stam- organisiert werden sollte. Er geht über vage Anweisungen nicht
mes- und Familien- hinaus. So werden die Gläubigen etwa an einer Stelle dazu aufstrukturen in Frage, gerufen, sich vor wichtigen Entscheidungen untereinander zu besondern auch die raten. Dieses Prinzip, auf arabisch schura, nehmen reformorienGrundlagen des kurai- tierte Muslime heute als Beleg dafür, dass demokratische Eleschitischen Wohlstan- mente bereits im Koran angelegt und deswegen mit dem Islam
vereinbar seien.
des.
Handelte es sich in Mekka zumeist um eschatologische Themen
vom Jüngsten Gericht, so richteten sich die späteren MedinaBotschaften vor allem auf das diesseitige Leben. Oft bezogen
sich Mohammeds vom Himmel diktierte Eingebungen auf tagespolitische Ereignisse. Er fand glühende Anhänger unter seinen nächsten Angehörigen, darunter seine Frau Hakhiga und
seinen jungen Vetter Ali, dazu kamen Freigelassene fremder
Herkunft, junge Leute und solche, die sich in schwierigen und bedrückenden Lebensumständen befanden.
Bild des Propheten Mohammed (1583)
4
Von nun an nahm Mohammed in Medina die Stellung eines
Staatsoberhauptes im Kleinen ein. Für den Religions-Stifter begann eine Zeit des Aufbaus seines neuen Reiches. Es ging Mohammed neben der Erfüllung seiner religiösen Aufgabe vor allem
darum, für seine Emigrationsgefährten, die Muhadschirun (die
Auswanderer) und seine neuen Verbündeten von Yatrib, die Ansar, ein gemeinsames Leben in gutem Einverständnis zu sichern
und eine Einheit des Glaubens zu schaffen: Er betrachtete die
ihm zuteil gewordene Offenbarung als Vollendung derjenigen, mit
der Gott einst Moses und vor ihm Abraham, den gemeinsamen
Ahnherrn der Juden und Araber, begnadet hatte.
beunruhigte, so lange Widerstand zu leisten, bis sie in den neuen
Staat eingefügt werden konnten. Die kriegerischen Zwischenfälle,
von denen die Überlieferung so gern eingehend berichtet, setzten
einerseits die alte Gewohnheit der Stammeskämpfe und Beutezüge fort, leiteten aber zugleich den Dschihad, den „Heiligen
Krieg“ der kommenden Zeit ein. Im Jahre 630 schließlich konnte
Mohammed nach Mekka zurückkehren. Der alte Kult wurde abgeschafft, die Götzen in der Kaaba zerstört, die Kuraischiten unterwarfen sich, aber es gab keine Vergeltungsmaßnahmen. In
Mekka hielt er auch seine letzte Rede, denn, kaum nach Medina
zurückgekommen, erkrankte er und starb (632 n. Chr.).
Nichtmuslime vermögen leicht einzusehen, dass die trotz aller
Verschiedenheit bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen dem
Koran und dem Alten Testament auf die Gespräche zurückgehen,
die Mohammed und seine Freunde mit den Juden Medinas geführt haben.Mohammed hoffte, die Juden von Medina für seine
Überzeugungen zu gewinnen. Obwohl einige von ihnen zum Islam übertraten und, was die alte biblische Zeit angeht, zu Autoritäten wurden, erkannten ihre Anführer in dem Propheten einen
gefährlichen Widersacher, der ihre Gesellschaft und Religion reformieren wollte; so waren die Konflikte vorgezeichnet, sie führten
zu heftigen Auseinandersetzungen und Verfolgungen. Daher die
Verweise im Koran auf die Heuchler und Listigen, mit denen Gott
fertig wurde. Als sich Mohammeds Bemühungen als vergeblich
erwiesen, ließ er Diplomatie und Härte zusammenwirken.
Solange Mohammed lebte, wurden die Probleme von ihm selbst
gelöst, das betraf sowohl die Religion als auch die Politik, Gesellschaft usw. So waren bereits in dieser frühen Phase Religionsgemeinschaft (arab. umma) und Staat prinzipiell eins. Deshalb
wurde keine gesonderte Institution, keine Kirche, gegründet und
diese Umstände führten auch dazu, dass der Islam - wie das Judentum, aber im Unterschied zum Christentum - eine Gesetzesreligion wurde: Alle Regelungen, die der Prophet als Staatsoberhaupt zu treffen hatte, galten von Anfang an als heilig und wurden
so zu ewig gültigen, unabänderlichen Normen.
Äußeres Zeichen für die zunächst bestehende Nähe dieser dritten „Buchreligion“ zu ihren Vorgängern war die von Mohammed
zu Anfang angeordnete Ausrichtung beim Gebet nach Jerusalem.
Noch die erste Moschee in Medina war mit der Stirnseite nach
Jerusalem ausgerichtet, wohin sich die Gläubigen auch verneigten. Aber weil Mohammed von den Juden nicht als Prophet anerkannt und seine Lehren nicht akzeptiert wurden, kam es zum
Bruch. Mohammed unterstellte Juden und Christen eine Verfälschung der Heiligen Schriften durch spätere Generationen. Sie
hätten dort nach eigenem Gutdünken Texte eingefügt oder entfernt. Er gab die koranische Version des biblischen Stoffes als
allein authentisch aus, proklamierte eine neue, von ihren Vorläufern losgelöste, verselbstständigte Religion und veränderte die
Gebetsrichtung in Richtung Mekka.
Den Juden warf Mohammed vor, Jesus als einen Propheten
Gottes abzulehnen, damit würden sie einen gewichtigen Teil der
Wahrheit unterschlagen. Die Christen wiederum würden Jesus zu
einem „Sohn Gottes“ machen und außerdem noch den „Heiligen
Geist“ zu einer dritten Erscheinungsform des Göttlichen erklären.
Gott aber in drei Formen, dies sei der erste Schritt zur Vielgötterei. Mohammed beanspruchte auch den Stammvater Abraham
ganz für sich, indem er ihn zum Ur-Muslim erklärte. Er behauptete, Abraham habe einst den schwarzen Stein in die Kaaba von
Mekka gebracht und dort gebetet. Abrahams Name wird in 25 der
114 Koran-Suren erwähnt. Der Koran gebietet den Muslimen,
dem Glauben Abrahams zu folgen: „... Abraham war weder Jude
noch Christ, doch er war fest im Glauben und er war kein Götzendiener.“ Damit erhebt Mohammed den Islam nicht nur zur
Vollendung, sondern zum Ursprung aller monotheistischen Religionen.
Eine weitere Aufgabe, die Mohammed zu lösen hatte, bestand
darin, das materielle Leben der Gemeinschaft zu sichern und sie
moralisch im Kampf zusammenzuschweißen. Auch galt es, den
Kuraischiten, welche die Bildung der feindlichen Zelle in Medina
5
Dadurch ist der Islam deutlich mehr als andere Religionen – er ist
auch der Entwurf einer Gesellschaftsordnung. Im Islam fehlt die
Trennung zwischen Religion und weltlicher Macht von Anbeginn:
Während christliche Gesellschaften über Jahrhunderte hinweg
ganz selbstverständlich akzeptierten, dass es zwei Autoritäten
gab, Gottes Stellvertreter und den Kaiser, war Mohammed von
Anfang an Interpret des wahren Glaubens und weltlicher Herrscher in einem. Eine Trennung von Staat und Kirche ist zumindest im Ur-Islam undenkbar.
Der Kaufmannssohn feierte bereits zu Lebzeiten große militärische und politische Erfolge. Er schuf in Medina ein neues Gemeinwesen und eroberte dann auch seine Heimatstadt Mekka,
aus der er hatte fliehen müssen. Er kommandierte Armeen, erhob
Steuern, übte Rechte aus. Als er 632 verstarb, umfasste seine
Gemeinschaft rund 104.000 Mitglieder. Der Werdegang des Propheten Mohammed vollzog sich in zwei Phasen. In der ersten
Phase, in den Jahren, die er in seiner Geburtsstadt Mekka (570622 n. Chr.) verbrachte, stand er in Opposition zu den heidnischen Herrschern. In der zweiten Phase, nach seinem Umzug
von Mekka nach Medina (622-632), war er der Herrscher der
Gemeinschaft. Diese beiden Phasen, die des Widerstands und
die der Herrschaft, spiegeln sich im Koran wieder, in dem die
Gläubigen in unterschiedlichen Versen und Suren einmal dazu
angehalten werden, Gottes Stellvertreter auf Erden zu gehorchen, und dann dazu, dem Pharao – Sinnbild des ungerechten
und tyrannischen Herrschers – den Gehorsam zu verweigern.
Es ist für uns heute schwierig, einen Mann richtig zu beurteilen,
der Stifter einer großen Religion wurde und doch zugleich tief in
seiner Zeit verwurzelt war. Für den wahrhaft gläubigen Muslim ist
er der Prophet Allahs, der Mittler, der dazu ausersehen war, den
Menschen die Offenbarung zu bringen. Auch als Nichtmuslim
muss man in diesem Mann eine überragende Persönlichkeit sehen, die mit der Kraft der Leidenschaft und mit unbestreitbarer
Aufrichtigkeit das moralische und geistige Niveau der Menschen
seines Lebenskreises zu heben suchte und die es verstand, ihre
Botschaft dem Charakter und den Überlieferungen dieser Menschen mit so viel Verständnis und politischem Talent anzupassen, dass sie Lebenskraft gewann.
Im Islam sind die sogenannten „vier Rechtsquellen“ gierenden Schwerpunkte. Diese widersprüchliche Haltung ist
maßgeblich: Koran, Sunna, übereinstimmende Meinung vermutlich auf den Unterschied im Sozialgefüge zwischen Mekka
und Medina zurückzuführen und sorgt bis heute für Dispute und
der Rechtsgelehrten (Konsens) und Analogieschluss.
Der Koran
Der Koran ist das heilige Buch, Grundlage und Stiftungsurkunde
des Islam. Das arabische Wort „Qu’ran“ bedeutet etwa „Lesung/Rezitation/Vortragstext“. Der Koran ist also Vortrag, vorgetragene Lesung. Nach islamischer Vorstellung handelt es sich
dabei um das dem Propheten Mohammed zwischen 610 und 632
teils in Mekka, teils in Medina offenbarte Wort Gottes, das durch
den Erzengel Gabriel übermittelt wurde. Alljährlich rief sich der
Prophet den Wortlaut und die Reihenfolge der offenbarten Verse
im Monat Ramadân erneut ins Gedächtnis, indem er sie vor dem
Engel Gabriel noch einmal rezitierte. In dem Jahr, in dem er
starb, rezitierte Mohammed den gesamten Koran sogar zweimal.
Zu Lebzeiten Mohammeds pflegten seine Begleiter die verkündeten Offenbarungen auswendig zu lernen oder auch schriftlich
festzuhalten. Fast ausnahmslos alle Gefährten des Propheten
kannten zumindest Teile des Korans, da diese während der gemeinsamen
Gebete
ständig rezitiert wurden. Da Mohammed
weder lesen noch
schreiben konnte, diktierte er die Offenbarungen an insgesamt
43 Sekretäre, die teils
auf Stein, teils auf
Holz, auf Leder, Kamelknochen oder auch
Papyrusblätter schrieben. Zur Zeit des ersten Kalifen Abu Bakr wurden die einzelnen
Suren gesammelt, geordnet und in die abschließende Form eines
Buches gebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Suren an
unterschiedlichen Orten untergebracht. Der dritte Kalif Othman
ließ den Koran sieben Mal vervielfältigen und in die Zentren des
Islam schicken. Zwei der Orginalausgaben befinden sich heute in
Istanbul und in Taschkent.
Der Koran ist in arabischer Sprache verfasst und besteht aus 114
Suren. Die meisten Suren (92 von 114) wurden in Mekka geoffenbart. Sie sind kurz, scharfsinnig, ja feurig und voll prophetischen Gedankengutes, Ausdruck der kämpferischen Zeit Mohammeds in seiner Vaterstadt. Thematisch zielen sie in ihrer
Mehrheit darauf, die Sendung des Propheten zu bestätigen und
die Gegner durch Bilder der Furcht zu überzeugen: von der Einzigkeit Allahs, seinen Attributen oder Eigenschaften, den moralischen Pflichten des Menschen und schließlich der Belohnung
oder Bestrafung am Jüngsten Tag.
Die restlichen 22 Suren, in Medina unter anderen Verhältnissen
geoffenbart, sind Ausdruck des Siegers und Gesetzgebers, daher
ihre Länge, die ungefähr die Hälfte des Korans ausmacht. Sie
enthalten die verschiedenen islamischen Gesetze (oder deren
Grundlagen) über Gebete, Fasten und Wallfahrt sowie Gebote
und Verbote für alle Bereiche des Erdenlebens, die von Bedeutung waren. Die Offenbarungen, die über einen Zeitraum von 22
Jahren erfolgten, lassen sich historisch gliedern, was manche
Aussagen widersprüchlich erscheinen lässt aufgrund der diver6
voneinander abweichende Interpretationen.
Die Vielfalt möglicher Interpretationen wurde in der islamischen
Theologiegeschichte zumeist als göttliche Gnade und Beleg für
den inneren Reichtum der Offenbarung empfunden. Die Anordnung der Suren, mit Ausnahme der ersten Sure, erfolgt einfach
nach ihrer Länge: Sure 2 ist die längste, Sure 114 die kürzeste.
Die Suren sind in Reimprosa abgefasst und stellen das älteste
arabische Prosawerk dar. Sie decken den gesamten Lebensbereich im Islam ab und sind allein aus diesem Grund auch politisch
zu verstehen. Von den 6.236 Versen (77.437 Wörter) des Korans
beinhalten etwa 500 rechtliche Regelungen in den unterschiedlichsten Rechtsbereichen. Allah kommt im Koran 2.685 mal vor.
Er besitzt 99 Eigenschaften, in der Theologie Attribute genannt,
an die die 99 muslimischen Rosenkranzkügelchen erinnern.
Der Koran gilt als unnachahmliches, übermenschliches Meisterwerk. Als besondere Leistung gilt es, den Koran in Koranschulen
auswendig zu lernen,
wobei es weniger darauf
ankommt, den Inhalt zu
verstehen, als die arabischen Laute, die Gottes
Worte sind, auswendig
zu können. Übersetzungen gibt es lediglich als
Verdeutlichung, da Arabisch als Gottes Sprache gilt, weil Gott sich
Mohammed auf Arabisch offenbart hat. Der
Koran existierte lange
Zeit nur in Arabisch,
wodurch die arabische
Sprache erst ihre weltweite Verbreitung fand.
Arabisch bietet aber auch einen politischen Sprachschatz, der zur
Abgrenzung gegenüber westlichem Dominanzstreben genutzt
werden kann.
Was zu Lebzeiten Mohammeds noch ständige Erklärung und Anpassung an die wechselnden äußeren Umstände erfahren konnte, wurde nach seinem Tod als unabänderlich anerkannt, seiner
Auslegung nur ein begrenzter Spielraum zugestanden. Die wichtigste Konsequenz für einen Muslim aus dem Koran als Wort
Gottes ist, dass Gott und nur er – nicht etwa Mohammed oder ein
anderer – der eigentliche Gesetzgeber ist, der prinzipiell mit seinen Anweisungen nichts im Leben unbeeinflusst lässt. Dadurch
ist eine Trennung von Religion und täglichem Leben nicht möglich, im Gegenteil zu westlichen Vorstellungen bilden im Islam
Religion und Staat („din wa daula“) eine feste Einheit.
Hieraus ergibt sich heute für islamische Fundamentalisten die logische Konsequenz der Wiedereinführung der Scharia, des islamischen Rechts, das infolge der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert weitgehend durch europäische Codici abgelöst worden war.
Da der Islam der Ausdruck des Willen Gottes, also der einzigen
Wahrheit ist, die nicht diskutiert werden kann, kann sich kein
Muslim außerhalb dieser Wahrheit stellen. Wer vom Glauben
abfällt oder sich als Atheist bekennt, liefert sich dem Prinzip des
„ridat“ aus, d. h. es ist nicht nur erlaubt, sondern geboten, denjenigen umzubringen. Die gegen Schriftsteller wie Salman Rushdie
und Nagib Machfuz ausgesprochenen Todesurteile sind Konsequenzen solcher rigoroser Schriftauslegung.
Die Zweige des Islam
Die Sunna / die Hadithe
Neben dem Koran sind die Hadithe der zweite Grundlagentext
der islamischen Religion. Zwischen den beiden Schriften besteht
insofern ein grundsätzlicher Unterschied, als der Koran laut der
orthodoxen Glaubenslehre das authentische Gotteswort ist, das
durch den Erzengel Gabriel dem Propheten offenbart wurde. Die
Hadithe dagegen sind nicht Gottes, sondern Mohammeds Aussprüche und Taten. Da aber der Prophet nach Auffassung der
Theologen in allem unfehlbar war, was seine religiöse Sendung
betraf, konnte sein Reden und Tun als direkt von Gott geleitet
gelten. Ein Hadith ist daher der Ausdruck des göttlichen Willens,
der sich entweder in einer Handlung oder einem Ausspruch des
Propheten selbst manifestiert oder aber in einer Handlung oder
Aussage, die seine Zustimmung fand. Weil die Hadithe nicht
Gottes eigenes Wort repräsentieren, sind sie den Koranversen
untergeordnet; doch gelten auch sie als eine Form der göttlichen
Offenbarung und demzufolge als eine verbindliche Basis für die
islamische Lehre und die Lebens- und Glaubenspraxis der Muslime. Tatsächlich ist der Großteil der diesbezüglichen Vorschriften
aus den Hadithen und nicht aus dem Koran abgeleitet. Dieser
vermittelt mehrheitlich die umfassenden Lehren über Gott, den
Menschen und das Universum; deren detaillierte Übertragung auf
die Lebenswelt jedoch findet sich in den Hadithen. So beschränkt
sich der Koran auf die Erwähnung der Pflicht zum regelmäßigen
Gebet; die Hadithe informieren über die genaue Art und Weise,
wann und wie die Gebete zu verrichten sind.
Die in den Hadithen entworfenen Glaubens- und Verhaltensregeln werden kollektiv als Sunna bezeichnet. Wörtlich bedeutet
das arabische Wort „Weg“, in übertragenem Sinn auch „Brauch“.
Im ersten Jahrhundert islamischer Zeitrechnung bezeichnete der
Begriff die richtige Lebenspraxis der gesamten muslimischen
Gemeinde, doch nach und nach verengte sich seine Bedeutung
allein auf die exemplarische Lebensführung des Propheten; in
diesem Sinn wird er auch heute verstanden. So lange Mohammed am Leben war, gab es keine Probleme. Er fand die nötige
Regelung, falls kein Koranvers das Gewünschte reglementierte.
Nach seinem Tode übernahmen seine Gefährten die Aufgabe,
auf seine Handlungen und Aussprüche (Tradition = sunna) aufmerksam zu machen. Vom 8. Jahrhundert an wurden diese Traditionen in Büchern zusammengestellt, nachdem Stücke vor allem auf Papyrus in sehr begrenztem Umfang schriftlich fixiert
worden waren.
Bis zu einer Million Hadithe zirkulieren in sechs kanonischen Büchern2: ein Sammelsurium von teilweise dubiosen Erzählungen
und durchsichtig parteilichen Auslegungen von Mohammeds
Worten.3 Rund 9.000 werden gemeinhin anerkannt, auch davon
sind mit einiger Sicherheit viele Fälschungen und wurden in offen
tendenziöser oder sektiererischer Absicht nachträglich verfasst.
Doch als die Hadithe im 8. und 9. Jahrhundert niedergeschrieben
wurden, war eine Unterscheidung in authentisches und untergeschobenes Material kaum mehr möglich. Deshalb versucht sich
jeder Hadith selbst dadurch zu rechtfertigen, dass er die ganze
Überlieferungskette (die Isnad) von Gewährsmännern bis zurück
zum Propheten angibt. Dementsprechend besteht jeder einzelne
Hadith aus zwei Teilen: der Überlieferungskette (A hörte von B,
2 Der Koran entspricht in seiner Länge ungefähr dem Neuen Testament. Die Hadith-Literatur dagegen ist enorm: Die Hadithe sind in rund 200 großen klassischen
Sammlungen aufgezeichnet und damit das größte literarische Korpus, das eine
prämoderne Zivilisation hervorgebracht hat.
3 Die 6 kanonischen Bücher lauten wie folgt: Bukhari vom Imam Bukhari (810877); Muslim vom Imam Muslim (817-875); Abu Daud vom Imam Abu Daud (817888); Tarmazi vom Imam Tarmazi (815-892); Ibn Majah vom Imam Ibn Majah
(824-886); Nisa-ee vom Imam Nisa-ee (830-915).
7
dieser von C, etc.) sowie dem eigentlichen Text. Die als echt anerkannten Überlieferungen der Sunna werden in drei Gruppen
eingeteilt:
Die echten authentischen: ursprünglich in ununterbrochener Tradition weitergegebenen Überlieferungen. Sie begründen verbindliche Rechtsnormen, denn die Rechtsgutachten von Muslimen,
die den Propheten Mohammed selber noch befragen konnten,
sind besonders wertvoll.
Die schönen: zwar später allgemein bekannte, zunächst aber
nicht in ununterbrochener Tradition weitergegebene Überlieferungen. Sie begründen wegen des Bruchs in der Tradition keine
verbindlichen Rechtsnormen.
Die schwachen: nur von einzelnen Gewährsmännern weitergegebenen Überlieferungen. Sie begründen unter genereller Anerkennung als Auslegungsregel eine gegenüber der zweiten und
erst recht der ersten Gruppe nur abgeschwächte gewisse Wahrscheinlichkeit.
Der Konsens
Der Konsens bezeichnet die Übereinstimmung der Rechtsgelehrten, die nach dem Tode von Mohammed bei der Feststellung
einer bestimmten praktischen Rechtsvorschrift zum Tragen
kommt. Die Mehrheit der sachkundigen und kompetenten Gelehrten schreibt der Übereinstimmung einen bindenden und verpflichtenden Charakter zu. Die Gelehrten berufen sich dabei auf
die überlieferten Aussagen und Handlungen des Propheten. Auch
der Koran (Sure 4,59-83) betont den hohen Stellenwert der Gemeinschaft und bestätigt somit die fundamentale Wichtigkeit der
übereinstimmenden Meinung qualifizierter Gelehrter.
Der Analogieschluss
Der Analogieschluss ist das System analoger Deduktionen auf
der Grundlage von Koran, Sunna und übereinstimmender Meinung der sachkundigen Rechtsgelehrten. Die Analogie führt dadurch zur Festlegung der anzuwendenden Rechtsnorm, dass sie
in den Grundlagen des Gesetzes Vorschriften oder Entscheidungen ausfindig macht, die eine Ähnlichkeit mit dem vorliegenden
Fall aufweisen und damit ihre Anwendbarkeit im vorliegenden Fall
rechtfertigen.
Gebet
Vor dem rituellen Gebet reinigen sich die Muslime durch rituelle
Waschungen. Zudem müssen sie dafür sorgen, dass ihre Kleider
und der Ort, an dem sie beten, ebenfalls sauber sind. Der Gläubige wendet sich gen Mekka (1) und richtet seine Gedanken auf
die nun erfolgende Zwiesprache mit Gott. Er hebt beide Hände
neben den Kopf (2) und spricht „Allahu akbar“ – Gott ist groß.
Nun legt er die Hände vor dem Bauch zusammen (3) und rezitiert
die erste Sure des Koran (die fatiha), die mit der basmala beginnt: „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“. Danach spricht er leise noch eine weitere Sure des Koran, zumeist
die 112. Die Handhaltung der Frauen weicht bei (2) und (3) geringfügig von jener der Männer ab. Der Gläubige verneigt sich.
Die Handflächen berühren dabei seine Beine etwas oberhalb der
Knie (4) und er spricht abermals „Allahu akbar“ sowie dreimal
„Ruhm und Preis meinem Gott, dem Allmächtigen“. Danach richtet er sich wieder auf sagt: „Möge Gott den hören, der ihn preist.
Dir, mein Herr, die Lobpreisungen“. Der Gläubige lässt sich mit
einem erneuten „Allahu akbar“ auf die Knie nieder (5), berührt mit
der Stirn den Boden und spricht: „Ruhm sei Gott, dem Höchsten“.
Er setzt sich auf der Fersen (6) und spricht abermals „Allahu akbar“, dann: „Mein Gott, vergib mir, erbarme dich meiner“. Dann
berührt er wieder mit der Stirn den Boden. Damit ist ein Gebetsabschnitt (rakaa) abgeschlossen, und der Gläubige verharrt auf
den Fersen sitzend. Bevor er eine zweite rakaa beginnt, zitiert er
erneut die erste Sure. Je nach Tageszeit bestehen die Gebete
aus 2 - 4 Abschnitten. Am Ende der Zwiesprache mit Gott spricht
der Gläubige dass Bezeugungsgebet, das mit den Worten endet:
„Es gibt keinen Gott außer Gott; und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandt Gottes ist“. Abschließend entbietet der Betende
einen Gruß nach rechts und links (7): „El-salam alleikum!“ – Der
Friede sei mit euch und die Barmherzigkeit Gottes. Damit zeigt
der Gläubige, dass er Teil der muslimischen Gemeinde ist.
Die Scharia
Im Islam umfasst die Scharia die das Leben eines Gläubigen bestimmenden Gesetze und Regelungen. Da der Koran von den
Gläubigen fordert, in allen Bereichen des Alltags dem Wort Gottes zu folgen, kennt der Islam keine Trennung zwischen religiösem und weltlichem Recht: Die Scharia umfasst über 52 Bereiche
der unterschiedlichsten Art – von den Riten über Reiten und Bogenschießen zu den Rechtsgebieten u.a. des Familien-, Erbschafts-, Wirtschafts-, Verwaltungs-, Straf- oder Prozessrechts.
Das Strafrecht bildet also nur einen dieser 52 Bereiche. Von daher kann man das Strafrecht der Scharia als gewichtigen, nicht
aber als abschließenden Maßstab für die Bewertung der Scharia
nehmen, obwohl vom Umfang der strafrechtlichen Regelungen
her dieses Gebiet rund drei Fünftel des islamischen Gesetzes
ausmacht.
Grundlage der Scharia sind zuvorderst der Koran und die Sunna,
die Lebenspraxis des Propheten. In allen strittigen Fragen, in denen diese Quellen keine Lösung bieten, gilt die Übereinstimmung
der Rechtsgelehrten (idschmâ) als maßgeblich. Als vierte
Grundlage dient der Analogieschluss (qiyâs), der auf den ersten
drei Grundlagen beruht.
Die Scharia ist das arabische Wort für „der deutliche, gebahnte
Weg“ (zur Tränke), ist der Sammelbegriff für islamische Lebensregeln, religiöse Pflichten und das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht des Islam. Es regelt nicht nur
Rechtsfragen, z. B. Ehe- oder Strafrecht, sondern beinhaltet auch
Kultvorschriften, Normen der Sozialethik und stellt somit eine
umfassende Lebensordnung dar. Strafmündig ist im Islam jeder,
der geschlechtsreif ist: Mädchen sind es mit neun, Jungen mit 15
Jahren. Mit der Neugründung islamischer Nationalstaaten hat
sich fast überall ein modernes Zivil- und Strafrecht gegenüber der
Scharia durchgesetzt, jedoch wird sie in vielen Staaten auch
heute noch in vielen Bereichen des öffentlichen Rechts ange8
wandt. Neben dem Iran greifen unter anderem auch Mauretanien,
Pakistan, der Sudan, Saudi-Arabien, der Jemen, Afghanistan und
seit 1999 zwölf von 36 Provinzen Nigerias auf das islamische
Rechtssystem zurück.
Was das islamische Recht im Einzelnen beinhaltet, haben die
Rechtsgelehrten herausgearbeitet und in jeweils nach Möglichkeit
zusammenhängende Systeme gefasst. Die fünf wichtigsten Kategorien, mit denen diese Systeme menschliche Handlungen einteilen, sind: das zwingend gebotene oder verpflichtende Handeln
(wadschib, mitunter auch fard), deren Unterlassung gerügt bzw.
bestraft wird, und zwar in der Regel im Jenseits; das empfohlene
oder lobenswerte Handeln (mandub), die besondere Frömmigkeit
und Gehorsam gegen Gott erkennen lässt und im Jenseits belohnt wird; Handlungen, die erlaubt und im Hinblick auf die sittliche Bewertung indifferent sind (mubah); Handlungen, die missbilligt und verabscheuenswert, aber rechtlich nicht verboten sind
(makruh) und schließlich Handlungen, die verboten sind (haram)
und die zur Bestrafung im Diesseits oder/und Jenseits führt. Haram meint alles, was Gott absolut verboten hat. Hierzu gehören:
Diebstahl, Ungehorsam gegenüber den Eltern, Angriffe auf das
Leben, die Ehre und das Eigentum anderer, Lügen, Betrug,
Glückspiel, Genuss von Schweinefleisch, Blut, Alkohol. Es zieht
Gottes Strafe im Jenseits und die gesetzliche Strafe im Diesseits
nach sich. Alles, was nicht verboten ist und daher einer der anderen vier Kategorien zuzuordnen ist, wird auch als „erlaubt“ (halal)
bezeichnet. Zu den zwingend gebotenen Handlungen zählt vor
allem die Praktizierung der fünf kultischen Pflichten. Die praktische Anwendung des islamischen Gesetzes im Leben obliegt den
einzelnen Gläubigen und der Gemeinschaft. Von Amts wegen
haben die Gesamtleiter der islamischen Gemeinschaft und die
Richter die Aufgabe, das Gesetz zur Anwendung zu bringen. Ihnen steht als Beratungsinstanz der Rechtsgelehrte zur Seite.
Der Dschihad (Jihad)
Der Dschihad stellt einen im Koran und im Leben des Propheten
unübersehbaren Auftrag dar. Gleichwohl bildet er, außer bei den
Schiiten und einigen islamistischen Bewegungen, keine „sechste
Säule des Islam“. Nach dem klaren Schriftbefund im Koran heißt
Dschihad an mehr als 80% der Fundstellen „einen Krieg um des
Glaubens willen führen“. Darüber hinaus rufen die Verse 5 und 29
der neunten Sure des Korans, die als zeitlich letzte und damit alle
anderen interpretierende Sure gilt, dazu auf, die Ungläubigen aktiv zu bekämpfen und, falls sie sich nicht ergeben und Muslime
werden, zu töten. Die Vorstellung, dass die im Glaubenskrieg
Gefallenen - nach islamischer Terminologie Märtyrer – unmittelbar ins Paradies eingehen, ist schon im Koran enthalten (Sure 3,
169; 2, 14; 22,58).
Dschihad heißt wörtlich „Anstrengung bei der Abwehr von etwas/jemanden“ und übertragen das „Streben, der Kampf auf dem
Pfad Gottes“ und ist eines der am meisten missgedeuteten und
missverstandenen Konzepte des Islam. Es schließt alle Taten
ein, die entweder der Verteidigung des Islam oder der Förderung
seiner Sache dienen. Man unterscheidet zwei Formen des Dschihad: den „größeren” (al-jihad al-akbar) und den „kleineren” (aljihad al-asghar).
Der größere Dschihad heißt auch Jihad al-nafs und bezeichnet
den inneren, geistigen Kampf des Einzelnen gegen die niedrigen
Regungen der eigenen Seele, gegen Laster, Leidenschaft und
Unwissenheit. Diese Ansicht stützt sich auf ein Hadith, das allerdings in die sechs gemeinhin als kanonisch bezeichnete Sammlungen der Sunniten, die als zuverlässig gelten, keinen Eingang
gefunden hat. Die meisten Muslime verstehen unter Dschihad
den Einsatz für eine gute Sache. Jede Anstrengung wird als
Dschihad bezeichnet, vor allem wenn damit Entbehrungen verbunden sind, wie etwa beim Universitätsstudium.
Der kleinere Dschihad bezeichnet den „Heiligen Krieg“ gegen
Ungläubige. Voraussetzung für diesen Dschihad ist, dass Gläubige (das schließt Juden und Christen ein) an der Ausübung ihrer
Religion gehindert werden. Also darf nicht jeder Krieg, nicht einmal jeder Verteidigungskrieg, als Dschihad bezeichnet werden.
Da der Islam als die letzte, höchste und universalste der von Gott
verliehenen Religionen gesehen wird, herrscht die Überzeugung
vor, dass der Dschihad so lange geführt werden muss, bis sich
alle Völker der Erde dem Islam unterwerfen. In der traditionellen
Lehre lag die Verantwortung zur Führung eines Dschihad in den
Händen der Obrigkeit. Untertanen mussten dieser folgen, hatten
aber selbst kein Recht, einen Dschihad autonom zu führen.
Heute wird der Islam von den Muslimen weitgehend als von Hause aus friedfertige Religion dargestellt und die meisten muslimischen Autoren der Gegenwart halten nur noch den defensiven
Charakter des Dschihad für erlaubt. Freilich bleibt das Problem
dann, wie eigentlich der Verteidigungsfall genau definiert wird.
Wurde also der Dschihad in den Zeiten der Expansion als
Rechtfertigung verstanden ähnlich den Kreuzzügen der Christen,
so deuten in der heutigen Zeit politische Extremisten alle möglichen bewaffneten Aktivitäten als Dschihad um, obwohl sie sich
aus dem traditionellen Dschihadkonzept so nicht rechtfertigen
lassen und auch die Mehrheit der muslimischen Gesellschaft ihr
Handeln als ungerechtfertigt ansieht. Heute gibt es muslimische
Gruppen, die politische Ziele tatsächlich mit gewaltsamen Mitteln
anstreben, sich selbst dabei aber nicht primär als Politiker, Krieger oder Terroristen ansehen, sondern sich als konsequente
Muslime, ja als die einzig Rechtgläubigen einschätzen und gebärden. Solche Gruppen entwickeln manchmal eine ausgesprochen sektiererische Mentalität. Dazu kommt ein gewisser Fana9
tismus, der bis zur Selbstaufopferung für die Ziele der Gruppen
gehen kann. Freilich geht der Hass von Angehörigen solcher
Gruppen wohl mindestens ebenso sehr auf politische und soziale
Ursachen zurück wie auf religiöse. Tatsächlich herrschen in zahlreichen islamischen Ländern Massenarmut und andere gravierende soziale Missstände, verursacht durch den repressiven Regierungsstil, die Misswirtschaft und die Korruptheit örtlicher politischer Führungen, aber auch durch bis heute spürbare Folgewirkungen europäischer Kolonialherrschaft, durch eine die westlichen Industrienationen begünstigende Weltwirtschaftsordnung
und durch ein Bevölkerungswachstum, mit dem die Entwicklung
neuer ökonomischer Ressourcen nicht Schritt halten kann.
Ein Beispiel für das fundamentalistische Denken gibt Saiyid Qutb
(1906-1966). Nach seiner Ansicht ist eine künftige Weltfriedensordnung nur dadurch zu erreichen, dass die Muslime zuerst
einmal in einem groß angelegten Dschihad die ganze Welt erobern. Diesen Vorgang preist er als einen zum Wohl der ganzen
Menschheit gebotenen revolutionären Befreiungsprozess. Aufbauend auf diesen Überlegungen geschah dann in den siebziger
Jahren des 20. Jahrhunderts etwas, das die meisten Muslime
noch nicht recht begriffen haben. Es entstand eine neue „Schule“,
die eine andere Sicht des Islam propagierte. In Ägypten verfasste
ein blinder Student an der altehrwürdigen Al Azhar, einer der berühmtesten theologischen Hochschulen des Islam, eine zweitausend Seiten umfassende Dissertation über den Dschihad. Darin
behauptet Omar Abdel Rahman, die Überlieferung vom „Kleinen“
und „Großen Dschihad“ sei erfunden, der Prophet habe so etwas
nie gesagt. Dschihad bedeute nur eines, nämlich zur Waffe zu
greifen und die Ungläubigen aufzufordern, den Glauben anzunehmen oder sich zu ergeben und muslimischer Herrschaft unterzuordnen. Alle anderen Interpretationen des Dschihads seien
nichts als Apologetik und seien aus der Furcht vor übermächtigen
Kolonialmächten geboren. Das Gerede von der Selbstläuterung
als „Großem Dschihad“ sei verwerflich, damit mache man sich
nur lächerlich.
Vergleichbar ist die Idee des Dschihad mit der Theorie des gerechten Krieges im Westen. So wird das Töten des Feindes durch
den Soldaten gerechtfertigt. Wäre dies nicht
so, würde er einen
Mord begehen, der im
Islam als schwere Sünde gilt. Im Umkehrschluss wird natürlich
derjenige, der in der
gerechten Sache des
Dschihad stirbt, zum
Märtyrer, dem die Sünden vergeben werden.
Grundlegend weicht
der heutige Begriff
des Dschihad von den
traditionellen Dschihad-Lehren ab in Bezug auf die Privatisierung des Kampfes,
die Aggression gegen
muslimische Mitbrüder, die nicht der eigenen Lehre folgen, sowie das SelbstmordAngehörige eines Selbmordkommandos der
pro-iranischen Hisbollah paradieren durch einen
attentat als AbkürVorort in Beirut.
zung ins Paradies.
Grundsätzlich können sich Einstellungen zum Dschihad relativ
schnell ändern: Als Ajatollah Chomeini 1979 über Schah Reza
Pahlevi gesiegt hatte und seinen schiitischen Gottesstaat aufzubauen begann, rückten der Dschihad, der Heilige Krieg und der
Märtyrertod an die erste Stelle schiitischer islamischer Tugenden.
Mit den Worten: „Je mehr Menschen, vor allem junge Menschen,
für unsere Sache sterben, desto stärker werden wir. Die Moslems
müssen die Todesfurcht bezwingen, damit sie die ganze Welt bezwingen können“, kündete Chomeini getreu den schiitischen Traditionen am Tage seiner Ankunft im Iran auf dem Teheraner
Friedhof Behescht-e-Sahra den Beginn eines „Zeitalters des
Märtyrertums“ an. Und an die Kinder und Jugendlichen – nach
islamischem Gesetz gilt jeder mit Erreichen des zwölften Lebensjahres bereits als volljährig – seines Landes appellierte der
unerbittliche Großayatollah: „Der Islam war tot oder starb doch
vierzehn Jahrhunderte lang. Wir haben ihn mit dem Blut unserer
Jugend belebt. Euer vergossenes Blut wird den Baum des Islam
gedeihen lassen. ... Bald werden wir Jerusalem befreien und dort
beten“.
Dies hatte die Konsequenz, dass im achtjährigen ersten Golfkrieg
1980-88 zwischen dem Irak und dem Iran von den ca. 150.000 an
den Fronten eingesetzten Schülern Zehntausende von Kindern
den Märtyrertod starben. Sie waren aus ihren Familien unter
Druck rekrutiert worden. Die „Bassidschi“ mussten durch ihren
Opfertod auf den Schlachtfeldern u.a. feindliche Minen hochgehen lassen, um so den in ihrem Schutze nachrückenden regulären Truppen, die sich praktisch hinter den Kindern des Landes
versteckt hatten, eine Schneise durch die irakischen Minenfelder
zu bahnen. Ihren Leichen und denen der anderen Märtyrer zu Ehren wurde in Teheran der makabre Blutsbrunnen erbaut.
Die Fatwa
Die Fatwa ist ein religiöses Rechtsgutachten, das auf Anfrage
von einem islamischen Rechtsgelehrten ausgestellt wird und
Antwort darauf geben soll, was im Islam Recht und was nicht
Recht ist. Eine Fatwa kann nur abgeben, wer durch ein Studium
in islamischer Theologie und Jurisprudenz qualifiziert ist. Diese
so genannten Muftis sind hoch angesehen und gelten in der Bevölkerung als zuverlässige Gelehrte. Mehrheitlich sind sie Privatgelehrte, die unabhängig vom staatlichen Justizsystem wirken,
deren Funktion aber vielfach eng mit dem staatlichen Justizsystem verknüpft ist. In der Theorie ist die Meinung der Muftis bindend, jedoch fehlen Institutionen, die diese Rechtsmeinung
durchsetzen, weshalb sie des öfteren ignoriert werden. Für die
Rechtssprechung hat eine Fatwa die Bedeutung eines Gesetzes,
trägt allerdings nur empfehlenden Charakter, ist also nicht rechtsverbindlich und kann daher weder „verhängt“ noch zwangsweise
vollstreckt werden. Sie soll religiös relevantes Wissen vermitteln
und in allen Lebenslagen Anleitung zu einer islamischen Lebensführung geben.
Eine der bekanntesten Fatwas stammt von dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chomeini. In ihr wurden am 14. Februar 1989 alle Muslime zur Ermordung des Schriftstellers Salman Rushdie aufgefordert, da Chomeini Rushdies Roman „Die
satanischen Verse“ für blasphemisch befand und nach islamischem Recht Abtrünnige vom muslimischen Glauben dem Tode
verfallen. In Deutschland ist die berühmt/berüchtigte „Kamel-Fatwa“ aus Hessen aus dem Jahr 2000 durch den Vorsitzenden der
Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) bekannt geworden: Demnach sollen muslimische Mädchen und Frauen in
Hessen nicht mehr an Klassen- oder Studienfahrten teilnehmen,
die weiter als 81 Kilometer führen. „Eine mehrtägige Reise mit
Übernachtung außerhalb der elterlichen/ehelichen Wohnung ist
für muslimische Frauen ohne die Begleitung eines Mahram (enger männlicher Verwandter) nicht erlaubt und verstößt gegen islamisches Recht“, befand Amir Zaida. Dabei beruft er sich auf
den Propheten Mohammed, der bestimmt habe, dass eine Frau
eine „Tages- und Nachtreise“ nicht ohne Mahram zurücklegen
dürfe. „Die Entfernung schätzen die islamischen Gelehrten heute
auf ca. 81 Kilometer“, heißt es in der Fatwa. Bei dieser Entfernungsangabe handelt es sich um die Strecke, die eine KamelKarawane zu Zeiten des Propheten innerhalb von 24 Stunden zurücklegen konnte. Konkret bedeutet dies aber auch, dass muslimische Frauen höchstens im näheren Umkreis arbeiten dürfen
oder niemals allein Verwandte in einer entfernteren Stadt besuchen können.
Gesetzblatt (Scharia) der Islamischen Republik Mauretanien (1984)
Artikel 306:
„Jeder Muslim, der sich in Wort oder Tat des Verbrechens schuldig macht, vom Glauben abzufallen ... wird aufgefordert, innerhalb von drei Tagen zu bereuen. Bereut er nicht innerhalb dieser
Frist, so wird er als Abtrünniger zum Tode verurteilt. Sein Hab
und Gut wird zugunsten der Staatskasse konfisziert. ... Jeder
Muslim, der das Gebet verweigert, wird aufgefordert, der Gebetspflicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit nachzukommen.
... Bleibt er bei seiner Weigerung ... so wird er mit dem Tode bestraft“.
Artikel 307:
„Jeder volljährige Muslim, gleich welchen Geschlechtes, der sich
des Ehebruchs schuldig macht, wird öffentlich bestraft, ist er ledig, mit hundert Peitschenschlägen und einem Jahr Gefängnis...
Beim verheirateten oder geschiedenen Paar wird in jedem Fall
die Todessstrafe durch Steinigung (Radschum) ausgesprochen.
Ist die Frau schwanger, so wird die Steinigung oder Geißelung
bis zur Niederkunft ausgesetzt“.
10
Artikel 308:
„Jeder volljährige Muslim, der eine unkeusche oder widernatürliche Handlung mit einer Person seines eigenen Geschlechtes begangen hat, wird durch öffentliche Steinigung mit dem Tode bestraft“.
Artikel 341:
„Jeder volljährige Muslim, der freiwillig und bewusst Alkohol trinkt,
wird mit vierzehn Peitschenhieben bestraft.“
Artikel 351:
„Wer in täuschender Absicht etwas nimmt, was ihm nicht gehört,
ist des Diebstahls schuldig und wird zur Amputation der rechten
Hand verurteilt. ... Wird er zum zweiten Mal schuldig, so wird ihm
der linke Fuß amputiert. ... Begeht er den dritten Diebstahl, so
wird ihm die linke Hand amputiert. ... Begeht er den vierten Diebstahl, so wird ihm der rechte Fuß amputiert“.
Azrail (der Todesengel): Er ist beauftragt, die Seelen der sterbenden Menschen in Empfang zu nehmen. Außerdem existieren
bei jedem Menschen 384 beauftragte Engel. Darunter befinden
Jeder, der sich als Muslim bezeichnet, soll an sechs sich die Schreibengel, die alle Taten der Menschen aufzeichnen
grundlegende Dinge glauben, nämlich die Einheit Got- und die Schutzengel.
Die Eckpfeiler des Glaubens
tes, die Macht der Engel, die Offenbarung, das Prophetentum, die Existenz des jenseitigen Lebens und die
Vorherbestimmung. Diese sechs Glaubensgrundsätze
sind von einer so zentralen Bedeutung, dass sie „Pfeiler des Glaubens“ genannt werden.
Die Offenbarung
Die Propheten offenbarten den Menschen die Worte Gottes in
verschiedenen Schriften. Vor dem Koran gab es die Thora (die
fünf Bücher Moses), die Psalmen Davids und das Neue Testament Jesu als Schriften echter Offenbarung. Differenzen unter
diesen vier Schriften ergeben sich nach islamischer Auffassung
Die Einheit Gottes
Die Muslime glauben an die Einheit und Einzigartigkeit Gottes. dadurch, dass die Menschen nicht immer bereit waren für die
Der Koran bestätigt an vielen Stellen dieses Wesen Gottes. Ex- vollkommene Offenbarung Gottes und deswegen den Inhalt veremplarisch soll hier nur die sehr kurze, vollständige Sure 112 mit fälschten. So wurde Gottes Offenbarung immer vollständiger, bis
sie schließlich im Koran gipfelte, der die unabänderliche Fassung
dem Namen „Der aufrichtige Glaube“ angeführt werden:
der Botschaft Gottes darstellt und gültig ist bis zum Ende der Zivilisationen.
„Sprich: Er ist Gott, ein Einziger,
Gott, der Undurchdringliche,
Das Prophetentum
Er hat nicht gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden,
Gott berief auserwählte Menschen zu seinen Gesandten und
und niemand ist ihm ebenbürtig.“
Propheten. Er betraute sie mit der Aufgabe, seine OffenbarunDieses Koranzitat zeigt, dass Allah einzig und ewig ist und dass gen, die er ihnen zuteil werden ließ, anderen Menschen weiterzudie Menschen Gott zwar über seine Eigenschaften wie Gnade, vermitteln und sie die Art und Weise der gottgewollten LebensGerechtigkeit, Erbarmen, Zorn und dergleichen begreifen, aber führung zu lehren. Nur durch die Gesandten konnten die Mensein Wesen letztlich nicht erfassen können. Im Koran wird mehr- schen Kenntnis über die Eigenschaften Gottes, über seinen Wilfach betont, dass Gott keine Gefährtin und keinen Sohn hat. len und über das Jenseits erhalten. Die Muslime kennen eine
Vielmehr ist er der Schöpfer der Söhne, und eine Gefährtin oder Reihe von Propheten, zu denen z. B. Abraham, Moses und Jesus
einen Sohn zu haben, stünde im Widerspruch zur Einzigartigkeit gehören.
Gottes. Die koranische Lehre widerspricht der Auffassung, dass Mohammed wird dabei als letzter Prophet gesehen, als Ende,
Jesus der Sohn Gottes sei. Vielmehr wird Jesus als einer der Bekräftigung und Höhepunkt in dieser Reihe. Durch ihn hat Gott
großen Propheten Gottes von den Muslimen besonders geehrt die Lehre des Islam für die Menschen zum vollkommenen Abschluss gebracht.
und geachtet.
Auch der Begriff der Dreifaltigkeit ist mit der islamischen Lehre
von der Einheit Gottes unvereinbar und wird im Koran katego- Das jenseitige Leben
risch verneint. Der Islam weist auch die Vorstellung zurück, dass Nach muslimischem Glauben wird die Welt eines Tages an ihr
Gott selbst die Gestalt Jesus angenommen habe, damit die Men- Ende gelangen. Nach dem Volksglauben gibt es eine Reihe von
schen ihn, Gott, erkennen könnten. Auch widerspricht der Islam Zeichen, die diesen Jüngsten Tag ankündigen. Allerdings wird die
der Behauptung, dass Jesus für die Sünden der Menschen am Erde nicht vollkommen vernichtet, sondern vielmehr gänzlich
Kreuz gestorben sei.
verwandelt. An diesem jüngsten Tag werden alle Menschen, die
je gelebt haben, auferstehen und gerichtet werden. Wer frei von
jeder Sünde ist, wird direkt ins Paradies eingehen.
Die Macht der Engel
Engel sind hauptsächlich Wesen, die Gott loben und preisen. Im Andere werden einige Zeit in der Hölle verbringen, bis ihre Schuld
Auftrag Gottes bewachen und schützen sie die Menschen, ver- gesühnt ist. Die Höllenqualen für die Gottlosen und Ungläubigen
zeichnen deren Taten und sind für den Empfang der Seelen der sind fürchterlich. Das Paradies dagegen ist paradiesisch schön
Toten zuständig. Der berühmteste Engel ist Gabriel, der bei der mit allem, was ein Menschenherz erfreut. Nach der Vorstellung
Offenbarung als Mittler zwischen Gott und Mohammed diente. der meisten Muslime wird aber keiner der Gläubigen ewig im
Eine weitere wichtige Gestalt ist Iblîs, der gefallene Engel (Satan, Feuer verbleiben, sondern irgendwann aus den Höllenqualen ervgl. Sure 7, 11-18). Er wurde aus dem Paradies vertrieben, weil rettet.
er Gott den Gehorsam verweigerte. Daraufhin wurde er zum Satan, zum Herrscher über die Hölle, der versucht, die Menschen Die Vorherbestimmung
auf die falsche Bahn zu leiten. Wie viele Engel es gibt, das weiß Allah kennt alle Dinge in seiner Schöpfung und er hat die Macht,
allein Allah.
die Beschlüsse, die er in diesem anfanglosen und endlosen WisDoch vier große Engel unter ihnen sind bekannt: Dschebrail (Ga- sen umfasst und für gut befindet, auch zu verwirklichen. Es gibt
briel): Ihm obliegt es, den Propheten die Offenbarungen Allahs zu keine Macht, die sich seinem Willen entziehen könnte. Deshalb
überbringen. Er ist ein Mittler zwischen Allah und seinen Ge- kann nichts gegen seinen Willen geschehen, und alles, was gesandten. Mikail (Michael): Er hat die Aufgabe, bestimmte Natur- schieht, geschieht mit seiner Erlaubnis. Dem steht die Wahlfreiereignisse auszulösen, wie Wind, Regen und Pflanzenwachstum. heit des Menschen nicht entgegen. Gott hat dem Menschen eiIsrafil (Raphael): Er ist mit Obliegenheiten betraut, welchen den nen freien Willen gegeben und ihn befähigt, entsprechend zu
Anbruch des Jüngsten Tages durch das Blasen der Posaune und wählen und zu handeln. Deshalb ist Gott gerecht, wenn er den
die Auferstehung der Menschen am Jüngsten Tag betreffen.
Menschen am Jüngsten Tag zur Verantwortung zieht.
11
Er akzeptiert damit zugleich den Glauben an den Koran als das
Wort Gottes, den Glauben an die Engel als Boten und Werkzeuge Gottes sowie den Glauben an den Tag des Jüngsten Gerichts.
Parallel zu den Pfeilern des Glaubens gibt es gewisse Nach solchem Bekenntnis gibt es kein Zurück mehr; auf Abfall
vom Glauben (Apostasie) steht der Tod. Die schiitische MinderRituale, die allen Muslimen abverlangt werden:
heit fügt dem Glaubensbekenntnis die Worte hinzu: „Ali ist der
Freund Gottes“. Die shahâda wird täglich mehrmals durch die
• das Glaubensbekenntnis, die shahâda
Gebetsrufer (Muezzins) in den Moscheen verkündet.
• das fünfmal am Tag zu leistende Gebet, die salât
Die fünf Säulen des Islam
•
•
•
das Almosengeben, die zakât
das Fasten, die saum
die Pilgerfahrt, die hâdsch
Das tägliche Pflichtgebet, die salât
Viele Muslime erkennen zwar die Bedeutung dieser Rituale an, führen sie aber im täglichen Leben nicht oder
nicht vollständig durch. Das islamische Recht regelt
genau, wann eine solche Pflichtaufgabe entfallen darf,
und sieht die Möglichkeit der Kompensation des Versäumten vor. Da diese fünf Pflichten den gläubigen
Muslim erst ausmachen, werden sie auch als die „Fünf
Säulen des Islam“ bezeichnet und oftmals durch einen
fünfzackigen Stern symbolisiert (vgl. z. B. die Flaggen
von Jemen, Libyen, Marokko, Pakistan, Syrien, Tunesien und Türkei).
Das Glaubensbekenntnis, die shahâda
Nicht Gegenstand des islamischen Rechts, sondern vielmehr
Voraussetzung für seine Anwendung auf den Muslim ist die
shahâda, das „Zeugnis“. Durch Ablegen dieses Zeugnisses bestätigt der Muslim die Einheit und Einzigartigkeit Gottes und die
Aufgabe Mohammeds als Propheten und Überbringer der göttlichen Offenbarung. Die shahâda lautet: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.“ Wer nicht schon in
die Gemeinschaft der Muslime hineingeboren ist, tritt in sie ein,
indem er diese Glaubensformel, die shahâda, mit den Worten
„Ich bezeuge“ aufrichtig und vor Zeugen ausspricht.
12
Neben den Festgebeten und dem Freitagsgebet spielen für den
gläubigen Muslim vor allem die alltäglichen fünf Pflichtgebete
(salât) in arabischer Sprache eine bedeutende Rolle.
Daneben gibt es das private, innerliche Gebet (Dua = Anrufung,
Bittgebet). Die salât-Gebete werden unmittelbar vor Sonnenaufgang (in der Morgendämmerung) verrichtet, gleich nachdem die
Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat (Mittag), in der Mitte des
Nachmittags, gleich nach Sonnenuntergang und nach Einbruch
der Dunkelheit. Alle Gebete sind zwar mit der Sonne verbunden,
aber es wird vermieden, sie an einem Zeitpunkt zu halten, der
sich direkt auf die Sonne bezieht. So vermeidet man eine Anbetung der Sonne an sich. Das fünfmalige tägliche Gebet wird im
Koran als Akt der Demut und der Anbetung bewertet. Auf Reisen
kann das Gebet verkürzt werden.
Die Zeiten des Gebets werden durch den Muezzin ausgerufen.
Diese Gebete sind nach Haltung und Inhalt streng ritualisiert. Vor
dem Gebet muss sich der Muslim durch rituelle Waschung (wudu) in einen Zustand ritueller Reinheit versetzen. So heißt es in
einem Hadith: „Wenn einer sich reinigt und dabei die Waschungen richtig vollzieht, verlassen die Sünden seinen Leib, bis sie
schließlich unter seinen Fingernägeln hinausgespült werden“.
Dann muss er sich nach Mekka wenden, der Kaaba wegen. Nun
folgt eine fest vorgeschriebene Reihe von Gebetsrufen und Bewegungsabläufen, bei der die präzise Ausführung der Körperbewegung genauso wichtig ist wie die begleitend stattfindende geistige Aktivität. Durch das Sprechen der Formel „Allâhu akbar“,
„Gott ist groß“, wird jedes Gebet eingeleitet. Der Freitag ist der
heilige Tag der Muslime,
das sehr beeindruckende
Freitagsgebet vermittelt
ein Gefühl von Gleichheit
und Verbundenheit zwischen allen Gläubigen,
die zusammen aufstehen
und sich niederwerfen
und die gleichen Worte
beten, indem sie auf den
Vorsteher, den Imam,
blicken, der anfangs ihr
Kalif, Emir oder Anführer
gewesen war. Das Freitagsgebet ist zweiteilig;
es enthält eine Unterweisung und am Ende das
Gebet für den Herrscher.
Männer und Frauen bleiben für gewöhnlich getrennt; die Frauen nehmen hinter den Männern
oder in einem abgeschirmten Teil der Moschee am Gottesdienst
teil.
Das vorgeschriebene Almosen, die zakât
Als dritte Säule tritt das Almosengeben hinzu, sei es freiwillig
(Sadat), sei es als religiöse Pflicht (zakât) zur Unterstützung der
Bedürftigen, Witwen, Waisen, zur Ausrüstung der Freiwilligen für
den Heiligen Krieg (Dschihad), für Sklaven, die sich freikaufen
wollen, für notleidende Reisende und für Schuldner, die durch
Schulden für ein gutes Werk Not leiden. Auch ist die zakât (wie in
Pakistan) zum Aufbau religiöser Schulen verwendet worden. Jeder Muslim ist einmal im Jahr verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz seines Vermögens als Almosen zu geben. Ganz wie im
Gebet muss auch hier eine spezielle Form eingehalten werden,
um den rituellen Charakter des zakâts zu unterstreichen.
Das Almosengeben soll also der Anbetung Gottes dienen und
zugleich den Unterschied zwischen Arm und
Reich verringern. Welche Summe zu zahlen ist
und wer wie viel davon erhalten soll, ist aber ein
ständiger Konfliktpunkt unter den Rechtsgelehrten, und so gibt es viele verschiedene
Ausübungsformen dieses Rituals. Ursprünglich
eine freie, fromme Übung, wurde sie allmählich
zu einer regelrechten Steuer, die einmal pro
Jahr von allen erwachsenen Muslimen zu zahlen
ist.
Ansätze dieser Entwicklung gehen schon auf die
medinische Zeit des Propheten zurück, in der er
eine Art Staatskasse benötigte. Im Allgemeinen
beträgt das Almosen 2,5 Prozent des Einkommens pro Jahr und wird allen Arten von
Vermögen auferlegt. Mit der Einziehung der
Steuer sind Beamte beauftragt. Die zakât ist,
wenn sie richtig durchgeführt wird, durch eine
gerechte Besteuerung der Reichen und Fürsorge für die Armen
ein Schutzmittel gegen Kapitalismus und Kommunismus.
Das Fasten im Monat Ramadân, der saum
Der neunte Monat im islamischen Kalender ist der Fastenmonat
Ramadân. Dieser richtet sich nach dem Mondjahr, das mit zwölf
Monaten zu abwechselnd 29 und 30 Tagen, insgesamt nur 354
Tage hat. Dadurch verschiebt er sich gegenüber dem Sonnenkalender (365 Tage) jährlich um 11 Tage. Der Ramadân beginnt
also jedes Jahr früher. Er wurde aus vielen Gründen zum Fastenmonat erkoren. Er erinnert an den Monat, in dem der Prophet
zum erstenmal Offenbarungen erlebte und seine Anhänger ihren
ersten Sieg über die Mekkaner errangen. In diesem Monat müssen sich alle Muslime den ganzen hellen Tag (von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang „bis man einen weißen
Wollfaden nicht mehr von einem schwarzen unterscheiden kann“)
des Essens, Trinkens, Rauchens und des Geschlechtsverkehrs
enthalten. Entschuldigt sind Alte, Kranke, Schwangere und stillende Frauen, Reisende und Schwerarbeiter.
Dabei soll nicht nur auf die Handlungen an sich verzichtet werden, sondern auch auf die Gedanken daran. Wie das Gebet soll
das Fasten den Gläubigen Gott näher bringen, ihn an sein geistiges Leben jenseits von Essen und Trinken erinnern; es soll ihn
lehren, seinen Körper zu beherrschen und das Leiden der Armen
zu verstehen. Durch das Fasten bezeugt der Muslim, dass Gottes
Gesetze Vorrang vor unseren menschlichen Trieben haben. Der
eigentliche Zweck des Fastens ist somit der Gehorsam Gott gegenüber. Es gilt als besonders verdienstvoll, während des heiligen Monats den gesamten Koran zu rezitieren. In der 27. Nacht
wird die „Nacht der Bestimmung“, Mohammeds Offenbarung,
gefeiert. In diesen dreißig Tagen des Fastens ändert sich für den
Muslim der gesamte Tagesablauf. Meist wird vor Sonnenaufgang
13
reichhaltig gefrühstückt und gebetet. Nach der asketischen Anspannung des Tages wird abends wieder ein Festmahl in feierlicher Stimmung abgehalten, es herrscht dann Ferien- und Feststimmung. Abgeschlossen wird das Fasten des Ramadân mit
dem zweitwichtigsten islamischen Fest, dem dreitägigen „Fest
des Fastenbrechens“ beim Erscheinen des Neumonds.
Die Wallfahrt nach Mekka, die hâdsch
Die hâdsch ist, wie auch die anderen vier Säulen, keine islamische Neuerung. Schon in grauer Vorzeit pilgerten die Araber zur
Kaaba, dem kubusförmigen Bau im Herzen Mekkas, dessen Äußeres seit islamischer Zeit eine mit Koranversen bestickte Brokatdecke umhüllt. Genaue Kenntnisse über die Entstehung der
Kaaba fehlen. Nach dem Koran soll sie von Adam im Auftrag
Gottes gebaut worden sein, überstand dann die Sintflut und wurde von Abraham, dem gemeinsamen Stammvater von Muslimen,
Juden und Christen, für Allah erneuert.
Einmal im Leben ist jeder freie, volljährige Muslim, der im Besitz
seiner geistigen Kräfte ist, aufgerufen, im 12. Monat des islamischen Mondjahres die Pilgerreise nach Mekka zu unternehmen.
Bedingungen, Vorbereitung und Ausführung der Pilgerfahrt orientieren sich an der Reise des Propheten Mohammed im Jahr 632,
die als „Abschiedswallfahrt“ in die Tradition eingegangen ist. Für
die Vollziehung der Pilgerfahrt gibt es fünf Bedingungen: Den Zustand des „ihram“, den Zustand der Weihe, in dem sich der Gläubige befindet, nachdem er die vorgeschriebene Pilgerkleidung
angelegt hat, zwei meist weiße Tücher, die ungenäht sind und um
den Körper geschlungen werden, seine Absicht zur Pilgerschaft
bekundet hat, sich nicht mehr kämmt und rasiert sowie in sexueller Abstinenz lebt; das Verweilen an den Ritualen am Berg
Arafat, die siebenmalige Umkreisung der Kaaba, der siebenmalige Lauf um die zwei Orte Safa und Marwa, die „Steinigung des
Satans“, indem dreimal sieben Steinchen auf eine bestimmte
Stelle geworfen werden und schließlich das Schneiden der Haare. Dazu kommen weitere pflichtmäßige Übungen.
Die Pilgerfahrt ist an eine ganz bestimmte Zeit des Jahres gebunden und kann zu einer anderen Zeit nicht unternommen werden. Eine verkürzte Form, „umra“ genannt, ist zu jeder Jahreszeit
möglich. Sie beschränkt sich aber auf die Zeremonien unmittelbar
in Mekka. Die Pilgerfahrt wird mit einem riesigen Opferfest abgeschlossen, das in der gesamten islamischen Welt als höchstes
Fest des islamischen Kalenders gefeiert wird. Wer die Pilgerfahrt
unternommen hat, kann nun den hohen Ehrentitel „Haddschi“ führen, den Gott am Tag des Jüngsten Gerichts zu Gunsten des Betreffenden anrechnen wird.
den Jahren mit der Auflösung des Warschauer Paktes und dem
Auseinanderbrechen der Sowjetunion die alte „Gefahr aus dem
Osten“ schwand. Der Orientalist Heinz Halm aus Tübingen hat
„Islamismus“ oder „islamischer Fundamentalismus“ ist ein Über- unter der Überschrift „Die Panikmacher“ Folgendes dazu ausgebegriff für verschiedene ideologische Strömungen, Gruppen und führt:
Grüppchen, deren politische Vorstellungen und Methoden äußerst divergieren. Pazifistische, reformistische, modernistische „Die hierzulande grassierenden Ängste vor einem vermeintlich
Strömungen sind ebenso vertreten wie traditionalistische und gefährlichen Islam, der angeblich unsere Zivilisation bedroht, ist
schließlich auch gewalttätig aktivistische, wobei bezeichnender- das Spiegelbild der Ängste viele Muslime vor den Schrecken der
weise den Letzteren das Hauptinteresse der Medien gilt. Oft wird westlichen Welt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Eiferer der
„Islamismus“ mit „Fundamentalismus“ gleichgesetzt, wobei Letz- einen Seite den Eiferern der anderen in die Hände spielen.
teres eine christliche, nicht unbedingt übertragbare Definition ist. Nüchterne Information tut Not, und nicht das Geraune von einem
Islamischer Fundamentalismus
Gotteskrieg, der angeblich bis in die Nacht der Zeiten zurückDer Begriff leitet sich aus der nordamerikanischen Kirchenge- reicht.“ 4
schichte ab. „Fundamentalists“ wurden jene protestantischen
Sekten in den Vereinigten Staaten genannt, die sich auf Bibelkonferenzen gegen Ende des 19. Jahrhunderts von liberalen
Tendenzen ihrer eigenen lutherischen oder calvinistischen Großkirche abgrenzten. Diese Sekten warfen den „Kirchenchristen“
vor, sie ließen sich viel zu sehr von „modernen“ Ideen beeinflussen und hätten sich vom „Fundament“ des Glaubens entfernt. Mit
der Heiligen Schrift als Waffe in der Hand kämpften die „fundamentalists“ z. B. gegen Darwins Evolutionstheorie.
Von Fundamentalismus ist schriftlich zum ersten Mal in Amerika
die Rede in der zwölfbändigen Streitschrift für die Unfehlbarkeit
des biblischen Buchstabens und gegen die Anerkennung der
Naturwissenschaften: „The Fundamentals – A Testimony to
the Truth“ („Ein Zeugnis der Wahrheit“), zwischen 1909 und
1915 von 64 britischen und amerikanischen Gelehrten und Predigern geschrieben. Die Reihe, in millionenfacher Auflage verbreitet, diente der Mobilisierung der kirchlichen Öffentlichkeit. Diese
„Fundamentalists“ verstanden sich als offensive Gegenbewegung
zu einem Modernismus, der auch die christlich-protestantische
Welt ergriffen hatte. Insbesondere war es eine Gegenbewegung
gegenüber einer historisch-kritisch sich ausrichtenden Theologie,
die sich daran machte, die überlieferten Glaubensbestände, besonders die biblischen Texte, in einer historisch-kritischen Perspektive auszulegen - ein Ergebnis des Bündnisses mit der modernen Wissenschaft, das der Protestantismus einging.
Dieser amerikanische Fundamentalismus bibeltreuer protestantischer Christen ist also denkbar ungeeignet, um den islamischen
Fundamentalismus zu deuten, jedoch lässt sich ein Merkmal religiös-fundamentalistischer Bewegungen daraus ableiten: Der unmittelbare Geltungsanspruch der religiösen Wahrheit über das
politische Handeln.
Für die Öffentlichkeit im Westen begann im Jahre 1979 mit der
Revolution im Iran „die fundamentalistische Herausforderung“ zunächst als Medienspektakel: Endlose Reihen von Betenden,
Frauen im schwarzen Tschador, fanatisierte Mullahs, dann das
Geiseldrama in der amerikanischen Botschaft, der Terror der Revolutionswächter gegen politisch Andersdenkende wie gegen religiöse und soziale Minderheiten (z. B. Homosexuelle) und
schließlich der grausame, in Blutmystik verklärte „Heilige Krieg“
gegen den Irak ab 1980. Verstärkt wurde die Wirkung der Bilder
noch durch die unverblümte Absicht des Regimes, seine islamische Revolution zu exportieren.
Parallel dazu wurde der Begriff, der in der heutigen Zeit negativ
besetzt ist (selber ist man nie Fundamentalist, Fundamentalisten
sind immer die anderen, sie gelten gemeinhin als konservativ,
wenn nicht gar reaktionär), auf eine immer größere Zahl von
Haltungen und Bewegungen bezogen – religiöse wie politische,
quietistische wie militante und terroristische –, so dass „Fundamentalismus“ zur schwammigen Modebezeichnung wurde und
zugleich zu einem Kampfbegriff gegen all jene, die „die Moderne“
ablehnen oder doch zumindest ihre Probleme mit ihr haben. Von
Fundamentalismus zu sprechen ist also nur sinnvoll, wenn wir ihn
als moderne Erscheinungsform verstehen, die unter den Strukturund Kulturbedingungen moderner Gesellschaften entsteht. Er ist
ein moderner Antimodernismus.
Allgemein gesprochen kann man all jene islamische Fundamentalisten nennen, die für die gegenwärtigen Probleme der islamischen Welt nicht eine versäumte oder unzureichende Modernisierung verantwortlich machen, sondern die Ursache vielmehr in einer exzessiven Modernisierung sehen, die in ihren Augen einem
Verrat an den unverfälschten islamischen Werten gleichkommt.
Für die Fundamentalisten besteht die einzige Lösung in der
Rückkehr zum wahren Islam. Das beinhaltet für sie auch die Aufhebung aller vom Westen entlehnten Gesetze und sozialen Institutionen und die Wiedereinsetzung des islamischen Gesetzes,
also der Scharia, als alleiniges Regelwerk.
So kann es kaum überraschen, dass einigen Kommentatoren
Fundamentalismus im Allgemeinen, und der islamische im Besonderen, zu einer neuen Bedrohung geriet, zumal in den folgen- 4 vgl. Heinz Halm, Die Panikmacher. Wie im Westen der Islam zum neuen Feindbild aufgebaut wird, in: SZ vom 16./17.2.1991
14
Den Auffassungen der Islamisten zufolge richtet sich der eigentliche Kampf nicht gegen die westlichen Eindringlinge, sondern gegen die hinter der Verwestlichung stehenden Verräter im eigenen
Land. Als ihre gefährlichsten Gegner betrachten sie die falschen
und abtrünnigen Herrscher der islamischen Länder, die die Werte
und Institutionen des Westens ins Land geholt und den Muslimen
unter ihrer Herrschaft aufgezwungen haben.
Die dritte Gruppierung setzt sich zusammen aus Freiwilligen –
meist allerdings keine Intellektuellen -, die im Afghanistankrieg
1979 - 1989 auf Seiten islamischer Gruppen als Muddschahedin
gegen die sowjetischen Besatzer und die afghanischen Kommunisten gekämpft hatten und bei Kriegsende rücksichtslos nach
Nordafrika und in den nahen Osten abgeschoben wurden. Diese
Abgeschobenen, einst von den USA und Saudi-Arabien für den
Partisanenkrieg finanziert, wurden in ihrer neuen Umgebung zum
Unter Islamismus sind damit Bestrebungen im Namen der islami- Rückgrat islamischer Terroraktionen. Sie sind hauptsächlich in
schen Glaubenslehre zu verstehen, bestehende Herrschafts- Palästina, Jordanien, Ägypten, im Jemen, in Algerien, Tunesien,
strukturen oder gesellschaftliche Ordnungen zu legitimieren, zu Tschetschenien und Marokko aktiv.
verändern oder auch als unislamisch zu destabilisieren und
schließlich zu beseitigen oder unter Berufung auf den Islam innenpolitische, soziale und außenpolitische Forderungen durchzusetzen. Es geht also nicht um Religion, sondern um Ideologie
zum Erringen und zum Bewahren politischer Macht.
Der französische Philosoph Bernard-Henry Levy nannte „den Islam in seiner fundamentalistischen Form in gewisser Weise“ den
dritten Faschismus, „nach dem braunen und dem roten“. Und
weiter: „In den Zuckungen des Islamismus erleben wir die letzten
Höhepunkte des Totalitarismus aus dem 20. Jahrhundert.“ Es
handelt sich um Gebrauch, ja sogar Missbrauch des Islam zu
ideologischen und politischen Zwecken, der sich in ähnlicher
Form auch in der Geschichte anderer Weltreligionen nachweisen
lässt. Als die beständigste und gefährlichste Bedrohung des Islam empfinden die Islamisten die Demokratie, die auf von Menschen gemachten Gesetzen beruht.
Wer sind die Islamisten?
Der Typus des Islamisten ist folgendermaßen zu beschreiben: Oft
verfügt er über ein staatliches Diplom einer wirtschaftswissenschaftlichen, technischen, medizinischen oder naturwissenschaftlichen Studienrichtung. Häufig ist er Betriebswirt, Arzt, Technokrat
oder Ingenieur. Unter Umständen hat er zusätzlich oder auch im
Hauptfach Philosophie studiert, nicht nur die islamische, sondern
zumeist die europäische von Hegel bis Heidegger. Der Typ des
Islamisten lässt aus unserer Sicht drei Hauptgruppierungen zu:5
Der führende ägyptische Kenner des Islamismus, Dia Rashwan,
der in Kairo am Zentrum für Strategische Studien forscht, nimmt
Zur ersten Gruppe gehören im wesentlichen hochgebildete In- andere Klassifizierungen vor und unterteilt den Islamismus in
tellektuelle, die sich durch eine plötzliche Konversion, oft verbun- mehrere Gruppen, bei denen er unterschiedliche Entwicklungen
den mit persönlichen Krisen, von westlichen Ideologien und Sy- feststellt. Im Niedergang seien die „extremistischen“ Islamisten
stemtheorien abwenden. In dieser Gruppe sind häufig auch Frau- begriffen, die ihr eigenes Land in einen islamischen Staat hatten
en anzutreffen.
umwandeln wollen. An Attraktivität gewännen aber alle anderen
islamistischen Gruppen - seien es die „separatistischen“ im KauSeit Mitte der siebziger Jahre rekrutiert sich die zweite Gruppe kasus und in Kaschmir, oder die „internationalistischen“ Islamiaus sehr jungen Leuten, deren Durchschnittsalter etwa 20 Jahre sten, die von der Weltanschauung Bin Ladins geprägt sind.
beträgt. Sie kommen aus eher ländlichen Gegenden, meist aus
traditionellem Milieu. Diese jungen Leute tragen die Last der Ver- Der Politologe trennt ferner zwischen islamistischen Bewegungen
änderung und der Anpassung von ländlichen Gesellschaftsfor- mit „religiösen“ und solchen mit „sozialpolitischen“ Zielen. Unter
men an eine urbane Lebenswelt. Oft sind sie Aufsteiger mit aka- den Bewegungen mit religiösen Zielen sieht Dia Rashwan vor aldemischem Hintergrund und einer hohen Leistungsmotivation. lem pazifistische Gruppen, die den Islam über das Wort verbreiSie sehen sich der ungeheuer großen Erwartungshaltung ihrer ten und sich an der Frühzeit des Islam in Mekka ausrichten. EiEltern, die ihnen unter Verzicht auf eigene Karriere und Lebens- nen Dschihad hatte es in jenen Jahren vor der Auswanderung
qualität eine gute Ausbildung ermöglichten, gegenüber gestellt. des Propheten nach Medina noch nicht gegeben. Zu den religiöDurch die schlechte Arbeitsmarktsituation in urbanen Gegenden sen Gruppen zählt er auch die Dschihadisten, die sich auf eine
werden diese Leute zu enttäuschten akademischen Proletariern. andere Phase des Frühislam berufen: auf die Zeit in Medina, in
der Mohammed ein Gemeinwesen aufgebaut hat. Erst in jenen
Jahren
entstand der Aufruf zum Dschihad, wurde das Kämpfen
5 vgl. Angelika Hartmann, Der islamische „Fundamentalismus“. Wahrnehmungen
und Realität einer neuen Entwicklung im Islam, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Pflicht und die Politik ein integraler Bestandteil des Islam.
Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 28/97 vom 4. Juli 1997
15
Dschihadisten sind zunächst in ihren eigenen Ländern tätig gewesen, wie der Dschihad al Islamia in Ägypten und die GIA in Algerien. Ihr Ziel war, die Regime zu stürzen sowie Gesellschaft
und Staat zu islamisieren.
mismus“, München/Zürich 2002) vertritt, sei falsch. Der 11. September hat die Transformation der extremistischen Islamisten beschleunigt. Wer zuvor das eigene Regime bekämpft hat, richtet
seine Waffe jetzt gegen einen äußeren Feind.
Auf diese Dschihadisten berufen sich auch separatistische Unabhängigkeitsbewegungen, die ihre islamischen Enklaven von einer
nichtmuslimischen Umwelt befreien wollen. In Kaschmir und
Tschetschenien kämpfen sie für die Errichtung eines islamischen
Staates, gehen dabei aber keine Bündnisse mit nichtislamischen
Bewegungen ein. Erst als jüngste Gruppierung sind die internationalistischen Dschihadisten entstanden, die die „Umma“, die
Gemeinschaft der Muslime im Auge haben. Sie kämpfen gegen
ausländische Mächte, genauer: gegen die Vereinigten Staaten
und Israel, denen sie vorwerfen, muslimischen Boden besetzt zu
halten.
Die Feindbilder der Islamisten sind stereotyp: Die Regierungen
sämtlicher islamischer Länder sind abzulehnen, sofern sie die
Scharia nicht als ausschließliche Grundlage ihres Rechtssystems
oder überhaupt gelten lassen. Selbst Saudi-Arabien, das über die
Muslimische Weltliga auch die gewalttätigsten Islamisten unterstützt, wird wegen seiner absolutistischen Herrschaftsform von
diesen nicht akzeptiert. (Die Beteiligung der Muslimbrüder an der
blutigen Besetzung der Heiligen Moschee von Mekka im Jahre
1979 ist ein deutlicher Hinweis auf die islamistische Ablehnung
des saudischen Königshauses.) Ständig apostrophierte Feinde
sind zudem der Welt-Zionismus und der Staat Israel, oft ganz allgemein „die Juden“. Feind ist auch der Westen mit seinen Unterdrückungsformen und dabei ganz besonders die USA; nach der
Überwindung des Kolonialismus ist die Existenz des Staates Israel ein Symptom des anhaltenden Neokolonialismus, wobei die
USA als dessen Hauptpfeiler gelten.
Neben diesen „religiös“ argumentierenden Islamisten verfolgen
andere islamistische Bewegungen auch soziale und politische
Programme. Sie streben nach der politischen Macht und wollen
das islamische Gesetz, die Scharia, als verbindliches Rechtssystem einführen. Im Rahmen der bestehenden politischen Ordnung streben in Ägypten die Muslimbrüder an die Macht, in Algerien der FIS. Anders als sie kämpfen indes die Hamas, der Islamische Dschihad und die Hisbollah gegen Besatzer und für die
Unabhängigkeit. Dazu sind sie, im Unterschied zu den „separatistischen“ Dschihadisten, auch in den politischen Institutionen
präsent und arbeiten mit nichtislamischen Gruppen zusammen,
etwa mit der PLO.
Militante Islamisten verwerfen die historisch gewachsene Interpretation des Dschihad und nehmen ihn als Rechtfertigung für
ihren Krieg gegen die Ungläubigen. Sie beziehen sich dabei besonders auf einen Koranvers, in dem es heißt: „Und wenn die
heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall
auf.“ (Sure 9, Vers 5). Sie reißen diese Stelle aus dem Zusammenhang und wenden sie eins-zu-eins auf die heutige Situation
an. Das entspricht aber nicht der historisch üblichen Koranauslegung: Es gab immer die Überzeugung, dass Stellen wie „tötet die
Heiden, wo immer ihr sie findet“ auf eine ganz eng begrenzte Situation der Rückeroberung Mekkas zu beziehen sind. Mohammed war in Medina und ging daran, Mekka wieder für die Gläubigen zu erobern. Das war sozusagen der Offenbarungsanlass.
Darüber hinaus hat danach diese Interpretation keine weitere
Geltung mehr.
Bei all diesen Gruppierungen nimmt lediglich die Attraktivität der
„lokalen Dschihadisten“ ab, die der anderen aber zu. In Ägypten
und Algerien kann man beobachten, dass sich die lokalen Dschihadisten in Bewegungen mit einem sozialpolitischen Programm
umwandeln und sich den Muslimbrüdern annähern. Keiner der
„lokalen Dschihadisten“ zieht sich aber aus der Politik zurück
oder stößt zur säkularen Linken. Ihren Überzeugungen bleiben
sie treu. Nach Ansicht von Dia Rashwan ist der 11. September
2001 die Geburtstunde des islamischen Nationalismus. Die These vom Niedergang des extremistischen Islam, wie sie der fran- Diese Rückbesinnung auf den frühen, vermeintlich reinen Islam,
zösische Islam-Experte Gilles Kepel (in seinem Buch „Das wird als Salafismus (von arabisch al-Salalf al-Saalih, „die fromSchwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Isla- men Vorväter“) bezeichnet. Um den unverdorbenen Urzustand
der Generation des Propheten
wieder herzustellen, so sehen
es die Salafisten, haben sie
jenen muslimischen Herrschern
den Krieg erklärt, die sich nicht
buchstabengetreu
an
der
Scharia orientieren. Osama Bin
Ladin ist ebenso ein Anhänger
dieser puritanischen Minderheitslehre wie sein ebenfalls
flüchtiger Stellvertreter Ayman
al-Sawa-hiri. „Die modernen
Salafija-Bewegungen“, stellt der
Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen in einem Dossier über die Terrororganisation
Al Qaida fest, „wenden sich
gegen den westlichen Kolonialismus bzw. das, was sie
dafür halten“.
16
ein Aktenstück eine der ersten seiner berühmten Randbemerkungen:
Muslime in Deutschland –
geschichtlicher Rückblick
Die ersten Muslime sind schon vor Jahrhunderten nach Mitteleuropa gekommen. Man könnte die Spurensuche bis in das hohe
Mittelalter zurückverfolgen, als manche der in den Orient aufgebrochenen Kreuzritter in Begleitung arabischer Schönheiten zurückkehrten. An die ersten Muslime, die in Deutschland gelebt
haben und hier verstorben sind, erinnern Grabsteine aus dem
späten 17. Jahrhundert in Brake bei Lemgo und in Hannover. Sie
waren Kriegsgefangene aus dem Osmanischen Reich oder sonst
im Zusammenhang mit den Türkenkriegen nach Deutschland gekommen. In fast allen Vers-Epen der klassischen mittelhochdeutschen Literatur begegnen uns männliche und weibliche Anhänger
der Lehre des Propheten. Am bekanntesten ist der „edle Heide“
Feirefiz aus Wolfram von Eschenbach’s „Parzifal“. Der „Muselman“ lehrt Parzifal das wahre Rittertum. Er wirft sein Schwert fort,
verzichtet auf den Sieg und reicht dem Gegner über alle religiösen und nationalen Schranken hinweg die Hand. Manche Religionshistoriker sehen in dem „urdeutschen“ Mythos vom Gral die
Variation eines muslimischen Grundmotivs.
„Die Religionen müssen alle toleriert werden, und muss der
Fiskal nur das Auge darauf haben, dass keine der anderen
Abbruch tue, denn hier muss jeder nach seiner Fasson (d.h.
Konfession) selig werden“.
Die Zahl der muslimischen Söldner im preußischen Heeresdienst
erhöhte sich im Jahre 1745 um ein Mehrfaches, als der albanische Juwelenhändler Sarkis dem König von Preußen eine ganze
Schwadron bosnischer Lanzenreiter anbot – als Gegengewicht
gegen die tatarischen Reiter, die im vereinigten sächsischen und
polnischen Heer dienten. Friedrich der Große nahm das Angebot
an, war mit der Einsatzbereitschaft seiner Bosniaken mehr als
zufrieden und beschloss nach dem Friedensschluss mit Sachsen
und Polen, den bosnischen Reitersoldaten in Ostpreußen feste
Garnisonen zuzuweisen.
Im Jahre 1760 streute die preußische Armee das Gerücht, der
Sultankalif plane den „Heiligen Krieg“ gegen Russland. Zahlreiche muslimische Soldaten der russischen Armee liefen daraufhin
zu den mit dem Kalifen verbündeten Preußen über, weil sie
fürchteten, in einen Krieg gegen das Osmanische Reich gezwungen zu werden. Durch Kabinettsorder vom 20. Januar 1762 entstand aus den Überläufern ein selbständiges „Bosniakenkorps“:
zehn Eskadronen, zusammen mehr als tausend Mann (nach
1763 das 9. Husarenregiment „Bosniaken“). In den Soldbüchern
dieser Truppeneinheit taucht auch der Name eines preußischen
„Heeres-Imams“ auf. Es handelt sich um „Leutnant Osman, Prediger der preußischen Mohammedaner“. Die muslimischen Reiter
nahmen an fast allen Gefechten des Siebenjährigen Krieges teil
und wurden vom König mit hohen Auszeichnungen bedacht.
„Preußens Gloria“ war nicht zuletzt auch ein wenig der grünen
Fahne des Propheten zu verdanken, mit der die bosnischen Bataillone in den Kampf zogen.
Nicht in das Reich der Dichtung und Deutung fällt dagegen ein
historisches Ereignis aus dem Jahre 1731. Damals vermachte
der Herzog von Kurland dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I.
(1713-1740) zwanzig „türkische Gardesoldaten“. Für sie ließ der
König im folgenden Jahr am Langen Stall in Potsdam einen Gebetssaal herrichten: die erste deutsche Moschee – unmittelbar
neben der Garnisionskirche, deren Glockenspiel als der „Herzschlag Preußens“ galt. Der Monarch legte größten Wert darauf,
dass „seine Mohammedaner“ ihren religiösen Pflichten nachgingen. Die falsche Bezeichnung „Mohammedaner“, die zu jener Zeit
zum erstenmal in deutscher Sprache auftauchte, war von den
preußischen Behörden nicht diskriminierend gemeint. Im Gegenteil: Die amtliche Bezeichnung sollte die Gleichrangigkeit der
Muslime mit den Christen kenntlich machen. Was die Deutschen
damals und darüber hinaus mit den Türken verband, war aller- Die Toleranz gegenüber den Muslimen im eigenen Land stand im
dings überwiegend Kriegsgeschichte: Türken kannte man als Einklang mit der preußischen Außenpolitik, die sich seit dem 17.
Soldaten oder als Kriegsgefangene.
Jahrhundert von der antitürkischen Eindämmungspolitik Russlands und Österreichs abzugrenzen versuchte und um freundEs blieb nicht bei den zwanzig türkischen Gardesoldaten. Die schaftliche Beziehungen zum Osmanischen Reich bemüht war.
Zahl der muslimischen Söldner in der preußischen Armee stieg Preußen war ein geachteter Staat, aber keine gefürchtete Kolorasch auf über tausend Mann an. Als Friedrich der Große 1740 nialmacht. Zwischen den beiden Staaten entstand so die beden Thron bestieg, entschied er als eine seiner ersten Amts- rühmte „Waffenbrüderschaft“, und die noch heute engen Wirthandlungen über eine Anfrage aus Frankfurt an der Oder. Der schaftsbeziehungen wurden begründet. Sie war aber eine Sache
Rat der Stadt wollte wissen, ob in einer evangelischen Stadt ein der Eliten, trotz der populären Bücher Karl Mays. Aus dem Jahr
Katholik das Bürgerrecht erwerben könnte. Der König bejahte die 1777 stammt ein hoffnungsfroher Bericht des Gesandten der HoFrage uneingeschränkt und ergänzte seinen Bescheid mit dem hen Pforte in Berlin an den damaligen Sultan Abdulhamid I.: „Die
Bevölkerung Berlins erkennt den Propheten Muhammad an und
Zusatz:
scheut sich nicht zu bekennen, dass sie bereit wäre, den Islam
„Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die anzunehmen“.
sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn die
Türken kämen und wollten hier im Lande wohnen, dann wür- Die türkische Kolonie in Potsdam und Berlin umfasste schon im
18. Jahrhundert an die hundert Personen. Viele von ihnen beden wir ihnen Moscheen bauen“.
trachteten Deutschland als ihre zweite Heimat – sogar über den
Der Preußenkönig blieb dieser Devise während seiner gesamten Tod hinaus. 1798, nach dem Tod des türkischen Botschafters Ali
Regierungszeit treu. Neben den alteingesessenen Glaubensge- Azis Effendi, erwarb das Osmanische Reich in der Berliner Hameinschaften der Protestanten und Reformierten erhielten auch senheide ein Friedhofsgelände, auf dem fortan die verstorbenen
Katholiken, Mennoniten, Juden und Muslime das Recht auf freie Muslime nach eigenem islamischen Ritus begraben wurden. Die
Religionsausübung – dank des Grundsatzes, dass in seinem Rei- preußischen Behörden verhielten sich damit dem fremden Glauche jeder nach seiner Facon selig werden dürfe. Am 22. Juni ben gegenüber großzügiger als die zuständigen deutschen In1740, in den ersten Tagen seiner Regierungszeit, schrieb er auf stanzen heutzutage.
17
Der „Türkische Friedhof“, der Mitte des
19. Jahrhunderts in
Berlin an den Columbiadamm
verlegt
wurde, ist bis heute
erhalten geblieben
(allerdings
finden
keine Bestattungen
mehr statt). Inmitten des Gräberfeldes erhebt sich eine kulturhistorisch wertvolle „Türbe“: eine acht Meter hohe halbmondgekrönte Gedenksäule, ein Geschenk des Sultankalifen Abdul Hamid Khan. Auch außerhalb Preußens lassen sich Spuren einer
frühen islamischen Präsenz ausfindig machen. So ist in Hamburg
seit dem frühen 18. Jahrhundert die Anwesenheit persischer
Kaufleute, Teppich- und Gewürzhändler bezeugt. Nach der
Reichsgründung unterhielten sie in der Speicherstadt im Freihafen einen eigenen Gebets- und Versammlungsraum. Dagegen ist
die bekannte „Rote Moschee“ im Schlosspark von Schwetzingen
kein Zeugnis für den Glauben an den Propheten. Sie war nicht
als Sakralbau gedacht, sondern wurde vom pfälzischen Kurfürsten 1785 als Mittelpunkt eines „türkischen Gartens“ errichtet.
Zum Gebetsraum wurde die Moschee erst nach dem deutschfranzösischen Krieg von 1870/71, als sie einem Lazarett angegliedert wurde, in dem verwundete algerische Schützen aus der
französischen Armee, die sogenannten Turkos, gesundgepflegt
wurden.
Der Islam in Deutschland - Probleme
im Zusammenleben
Wenn man deutsche Fernsehsendungen mit den Augen der
strengen Islamisten betrachten wollte, wären wir ein Volk von
Perversen, von Sadisten und Masochisten. Fast jede der die Zuschauer überflutenden Talkshows befasst sich mit Promiskuität,
Vergewaltigung, Ehebruch als Mittel, die eigene Ehe wiederzubeleben, Prostitution, Kindersex und Kinderpornographie. Sex in
allen Stellungen und Lagen, sich lasziv und brünstig gebende,
ausziehende Frauen in diversen Video-Clips im FernsehNachtprogramm, Triebtäter, Massenmörder und bestellte Killer kein „Nervenkitzel“ wird ausgelassen. Das Bild, das hier vermittelt
und von den Muslimen meist als einziges wahrgenommen wird,
muss als Spiegel unserer Gesellschaft gedeutet werden. Die Älteren unter den frommen Muslimen setzen sich daher mit ihrer
ganzen Kraft dafür ein, die Kinder und Jugendlichen vor diesem
moralischen Sumpf zu bewahren und ihre islamisch-religiöse
Identität zu fördern. Angesichts der Vielzahl von Problemen sollen nur drei Dimensionen angedeutet werden:
1. Nach muslimischer Verkündung muss sich der Muslim, der
seine Religion in vollem Sinne ernst nimmt, als im Besitz der absolut vollkommenen Religion fühlen. „Ihr seid die beste Gemeinde“, so steht es im Koran. Das in der christlichen Gemeinschaft
gelebte Christentum wird als eine Abweichung von diesem vollkommenen Gotteswort verstanden. Mehr noch, der Muslim ist
nicht nur Angehöriger einer spirituellen und religiösen Gemeinde;
er ist der Bürger einer konkreten gesellschaftlichen Gemeinschaft, der umma, in der die göttliche Offenbarung gesellschaftliche, ethische und rechtliche Weisung bedeutet. Wenn ein Muslim
seinen Glauben also ganz ernst nimmt, sitzt in ihm ein Vorbehalt
gegenüber dieser nichtmuslimischen Gesellschaft, der er sich im
18
tiefsten Inneren letztendlich überlegen fühlen muss. Er sieht freilich die Realität seines Status, die seiner Vorstellung nicht entspricht; somit geht er zu seinem gesellschaftlichen Umfeld gewissermaßen auf Distanz.
2. Der Islam ist eine in hohem Maße sichtbare Religion. Während
der moderne Christ sich zum Gebet oder anderen frommen Verrichtungen eher etwa in die Abgeschiedenheit einer Kirche oder
Kapelle zurückzieht, macht der Muslim seine Gläubigkeit der gesamten Gemeinde sichtbar. Man betet gemeinsam, verrichtet das
jährliche Fasten zusammen und sucht in der Gemeinde die Pilgerfahrt zu machen. Auch an der Kleidung (z. B. Kopftuch) oder
an physischen Kennzeichen (z. B. Bart) macht er sich kenntlich.
3. Der Muslim kann, wenn er seine Religion in ihrer spirituellen
wie gesellschaftlichen Dimension wirklich ernst nimmt, seinen
Glauben von der gesellschaftlichen, von der politischen Erscheinungsform seiner Gemeinde nicht trennen. Glaube und gesellschaftliche Legitimation sind untrennbar verbunden. Das bedeutet, dass ein Muslim die Säkularität, den Laizismus, der für unsere Gesellschaft als eine der wesentlichen Errungenschaften der
letzten Jahrhunderte gilt und Grundlage ihrer Stabilität ist, so ohne weiteres nicht akzeptiert. Zumindest sind sie ihm ein Problem.
Er muss mithin seinem Handeln beständig die Maxime seiner Religion zugrunde legen, während er doch hier einem anderen, nicht
religiösen Gesetz unterliegt, und im Rahmen einer Verfassung
lebt, die laizistisch ist. So ist er ständig mit der Frage konfrontiert,
wohin er eigentlich gehört; die Entscheidung zwischen seinem
Glauben, der sich mit dem islamischen Gesetz, der Scharia, verbindet auf der einen und seinem Leben in einer dem Glauben
entfremdeten Welt auf der anderen Seite ist ein schmaler Grat,
auf dem er sich ständig bewegt. Wird er sich mehr der Religion
zuwenden, ihr in den täglichen Entscheidungen seines Lebens
den Vorrang einräumen, das islamische Gesetz zu seiner Richtschnur machen oder kann er sich – und wenn ja, in welchem
Umfang – mit der Säkularität abfinden? Hier liegt das entscheidende Problem im Zusammenleben zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen.
Daher bleibt das islamisch-christliche Verhältnis von Ambivalenz
geprägt. Schon der Koran lässt positive wie ablehnende Aussagen nebeneinander stehen. Bei allen Gemeinsamkeiten, die Muslime zwischen sich und den Christen erkennen (Glaube an Gott,
gemeinsame Propheten, Orientierung auf das Jenseits), bleibt für
viele das Trennende (Glaube an die Trinität, Gottessohnschaft,
Kreuzigung) bestehen, das unter dem Vorwurf des Götzendienstes und der Vielgötterei aus koranisch-islamischer Sicht schwer
wiegt.
Schon lange vor dem Eintreffen von Menschen mit fremder Kultur
hat bei uns eine multikulturelle Entwicklung begonnen. Wir haben
uns aufgespalten in christliche und atheistische, in unzählige
philosophische und politische Strömungen, in verschiedenste teils
gegensätzliche Lebensformen. Aber ein solcher Wandel hat sich
eben nur gegen vielerlei Widerstände durchsetzen können; das
Ergebnis ist ein erzwungener, keineswegs ein von allen anerkannter Pluralismus. Und so bilden sich auch jetzt verschiedenste
Bewegungen, wenn es darum geht, eine islamische Kultur, eine
größere Zahl von Muslimen zu integrieren. In diesem Sinne verabschiedete die „Konferenz der Leiter islamischer Zentren und
Imame in Europa“ am 15.06.2003 in Graz eine Resolution mit der
Kernbotschaft, dass sich die in Europa lebenden Muslime zu
Demokratie, Pluralismus und den Menschenrechten bekennen.
Heutige Situation der Muslime in
Deutschland
Tatsächlich fängt die Geschichte des Islam in der Bundesrepublik
Deutschland erst mit den Gastarbeitern an, die seit den sechziger
Jahren in die damalige Bundesrepublik Deutschland geholt worden waren. Sie kamen nicht nur aus den südosteuropäischen,
sondern zunehmend auch aus muslimischen Ländern, vor allem
aus der Türkei, aber auch aus Marokko und Tunesien.6 Dass auf
diese Weise binnen nur dreier Jahrzehnte die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft (nach den Christen) Deutschlands entstehen
würde, ahnte damals niemand. Man rechnete mit einer ständigen
Fluktuation von Arbeitskräften, die man nach Belieben einstellen
oder wieder entlassen könnte; ein Daueraufenthalt war nicht eingeplant, weder von den Deutschen noch von den Muslimen
selbst. Die Gastarbeiter lebten in Deutschland ein einsames und
entsagungsvolles Leben. Eine Statistik aus dem Jahr 1972 besagt, dass 89 Prozent der damaligen Migranten Männer waren.
Der Anwerbestopp 1973 und die danach ermöglichte Familienzusammenführung veränderten die Situation grundlegend; im Jahr
1992 waren bereits 45 Prozent der Migranten Frauen.
Die Folge dieser Politik war, dass sich die Familien hierzulande
einzurichten begannen, wenn auch meist noch mit dem Gedanken, sich von hier aus in der Heimat eine Zukunftsexistenz aufzubauen und dorthin zurückzukehren. Jedoch ergaben sich bald
neue Lebensumstände, denen Rechnung getragen werden
musste: Die Kinder wuchsen in Deutschland auf, mussten hier die
Schule besuchen und deshalb Deutsch lernen. Hatten auch die
Frauen Arbeitsplätze bekommen, waren zudem Kindergartenplätze gefragt. Räume, um sich mit Landsleuten zu treffen, wurden
angemietet und Gebetsstätten eingerichtet, Läden mit dem aus
der Heimat vertrauten Warenangeboten eröffnet und die ersten
Handelsfirmen gegründet.
worden ist: Der Islam ist da, die Muslime sind da, und wir müssen
uns endlich mit dieser grundlegenden Neuerung vertraut machen.
Eigentlich weiß man nur, dass man kaum etwas über sie weiß.
Während der Verfassungsschutz die wenigen tausend radikalen
Islamisten in Deutschland seit Jahren auf Schritt und Tritt überwacht, ist über die unauffällige Mehrheit der Muslime in Deutschland wenig bekannt – nicht einmal ihre genaue Zahl. Fachleute
schätzen sie auf 2,8 bis 3,2 Millionen Menschen. Dies sind rund
doppelt so viele wie 1987, als die Volkszählung die Zahl von 1,65
Millionen erbrachte. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag hervor.7 Auch in dem mehr als neunzig Seiten langen Dokument gelingt es nicht, alle Wissenslücken zu schließen.
Einem Anteil von 66,8 Prozent Christen in der deutschen Bevölkerung stehen demnach rund 3,1 Prozent Moslems gegenüber. In
Großbritannien (4,4 Prozent) und Frankreich (8,6 Prozent) sind
die Zahlen deutlich höher.
Gegenwärtig machen die Sunniten rund 85 bis 90% aller Muslime
weltweit aus. In Deutschland liegt ihr Anteil mit 75 bis 80% erkennbar niedriger. Der Anteil der Schiiten liegt weltweit bei etwa
10%, in Deutschland hingegen bei nicht mehr als 4 bis 5% aller
Muslime. Diese Unterschiede liegen darin begründet, dass der
Anteil der Aleviten, einer weiteren Gruppe, die sich selbst zum
Islam zählt, deren Zugehörigkeit von Sunniten aber oft nicht anerkannt wird, in Deutschland besonders hoch ist, weltweit aber
nicht ins Gewicht fällt.8 In Deutschland ist die Sunna größtenteils
türkisch geprägt, die Schia iranisch.
Von den rund 7,3 Millionen Ausländern in der Bundesrepublik bekennen sich – nach einer Erhebung des Soester „Zentralinstituts
Islam-Archiv Deutschland“ (ZIA) – über drei Millionen zum Islam.
Drei Viertel von ihnen kommen aus der Türkei. Nach Aussagen
von Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien, sind lediglich sieben Prozent der türkischen Muslime in Deutschland, der
mit Abstand größten Gruppe, streng religiös. Zwei Drittel beAuf die deutschen Institutionen kamen nicht wenige bis dahin völ- zeichnen sich als „eher religiös“, ein Viertel als „eher nicht religilig unbekannte Probleme zu. Zunächst wurden Kirchenleute von ös“ und drei Prozent lehnten den Islam rundherum ab.9
Muslimen darum gebeten, ihnen Räumlichkeiten zum Freitagsgebet verfügbar zu machen; das führte bis zu einem islamischen Während die christlichen Kirchen registriert haben, wie viele
Gebetsgottesdienst im Kölner Dom am 03.02.1965. Im Erzbistum Deutsche ihrer Konfession angehören, ist man bei den Muslimen
erinnert man sich noch an Briefe von Muslimen, die der Fehlein- auf Schätzungen angewiesen: Die meisten (2,1 bis 2,4 Millionen)
schätzung unterlagen, der Ort, an dem Muslime beten, gehöre sind nach diesen Angaben wohl Sunniten. Die zweitgrößte Grupihnen auch, und die deshalb den Kölner Dom als ihren Besitz be- pe bilden die Aleviten mit 400.000 bis 600.000 Gläubigen. Ihr
trachteten. Seit 1992 verbietet ein päpstliches Dekret die Vergabe Anteil am Islam liegt damit bei knapp 20%, d.h. vier- bis fünfmal
gottesdienstlicher Räume an nicht-christliche Religionen. Die so hoch wie der Anteil der Schiiten. Zu den Schiiten in DeutschEKD bietet an, leerstehende Kirchen an Moscheevereine zu ver- land lassen sich etwa 125.000 Personen rechnen. Wie viele Musmitteln, wenn die lokale rechtliche Situation es gestattet.
lime deutsche Staatsbürger sind, ist nicht klar. Wurden in der
letzten Volkszählung von 1987 noch 48.000 erfasst, sind es heute
Sodann waren die Pädagogen auf allen Ebenen gefordert. Mit vielleicht knapp zehn mal so viele. Die Zahl von 370.000 bis
deren seit ca. 1980 entstandenen Untersuchungen und Studien 450.000 ergibt sich aus komplizierten Berechnungen über Einbeginnt auch die Auseinandersetzung mit dem hiesigen Islam bürgerungen sowie Schätzungen zu Übertritten zum Islam.
und seinem andersartigen Wertesystem, das vor allem die Kindergarten-Arbeit und den Schulunterricht, aber auch den Umgang
mit dem anderen Geschlecht betrifft. Gleichzeitig mit den Päd- 7 vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/4530 vom
8.11.2000
agogen meldeten sich auch Kirchenleute zu Wort. Mit der Ein- 8 Die Selbstbezeichnung Alevi ist mit „Anhänger Alis“ zu übersetzen. Die Aleviten,
richtung der „Ausländerbeauftragten“ folgten die Politiker. Am die nicht mit den syrischen Alawiten (Nusairier) zu verwechseln sind, weisen sich
spätesten haben Islam-Fachleute wahrzunehmen begonnen, was somit als Muslime aus, die im Konflikt zwischen Ali und Muawiya mit den Schiiten
sich ereignet hatte. Es hat lange gedauert, bis allgemein klar ge- Partei für Ali ergriffen haben. Mit Ausnahme der Pflicht zum Glaubensbekenntnis
6 1955 wurde das erste Anwerbeabkommen mit Italien getroffen, 1960 mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Marokko, 1964 mit Portugal,
1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien.
19
lehnen Aleviten die in Koran und Sunna begründeten religiös-rituellen Pflichten
und auch das übrige aus Koran und Sunna entwickelte islamische Recht ab. Der
Grund dafür ist, dass sie den Koran, wie er heute vorliegt, nicht als göttlich akzeptieren. Außerhalb der Türkei und der türkischen Diaspora gibt es nur wenige Aleviten. In der Türkei aber machen sie 20 bis 30% der Bevölkerung aus.
9 Vgl. Muslime als „EU-citoyens“, in: Das Parlament, Nr. 9 vom 24. 2. 2003
In Deutschland lebende Ausländer aus überwiegend muslimischen
Herkunftsstaaten
Herkunftsländer
Ausländer
Stand:
31.12.1999
Türkei
Bosn.-Herzeg.
Iran
Marokko
Afghanistan
ungeklärt*
Libanon
Irak
Pakistan
Tunesien
Syrien
Algerien
Ägypten
Jordanien
Indonesien
Eritrea
Bangladesch
Sudan
Libyen
Jemen
Saudi Arabien
sonstige**
gesamt
*
überwiegend Palästinenser
Einbürgerungen
1988 bis 1999
2.053.564
167.690
116.446
81.450
71.955
51.164
54.063
51.211
38.257
24.260
24.421
17.186
13.811
11.190
10.756
3.873
6.532
4.697
2.643
1.586
738
1.230
2.808.723
**
317.731
15.506
8.297
28.026
13.773
13.634
9.280
3.822
8.186
13.284
6.789
2.740
3.235
4.973
1.092
5.835
1.455
321
147
152
26
32
458.336
Gesamt
2.371.925
183.196
124.743
109.476
85.728
63.798
63.343
55.033
46.443
37.544
31.210
19.926
17.046
16.163
11.848
9.708
7.987
5.018
2.790
1.738
764
1.262
3.267.059
Bahrain, Brunei, Katar, Kuwait, Oman, V. A. Emirate
Rechtsordnung auflösbar, weil sich die Zuwanderer auf Grundrechte berufen können, bei deren Formulierung an den Konflikt
zwischen Kulturen zwar noch nicht gedacht war, die aber in ihrer
allgemeinen Fassung gleichwohl auch für ihn Maßstäbe setzen.
Die Muslime und das deutsche
Rechtssystem
Die Frage nach dem Recht des Menschen in der Welt ist nicht
nur die Frage nach universal geltenden Menschenrechten und
damit nach einem Weltrecht. In Zeiten weltweiter Migration ist es
auch die Frage nach dem Recht des Menschen in einer anderen
lokalen Welt als derjenigen, aus der er stammt. Es ist die Frage
nach seinem Recht, dort als Fremder weiter in denjenigen Formen zu leben, die ihm vertraut, vielleicht sogar heilig sind. Es ist
damit zugleich aber auch die Frage nach dem Recht der Einheimischen, ihre Lebensweisen und Werthaltungen mitsamt den
rechtlichen Normen, die darauf beruhen, von den Zugewanderten
beachtet zu sehen.
Zur Verdeutlichung dieser Problematik einige Beispiele (in der
Datenbank „Juris“ gibt es momentan 51 Urteile, die sich mit dem
Islam in Deutschland beschäftigen) aus der Rechtssprechung:
•
•
•
Die Konflikte, die sich aus dem Zusammentreffen unterschiedli- •
cher Kulturen ergeben, münden immer häufiger in Rechtsstreitigkeiten. Im Recht stellt sich die Frage aber gewöhnlich nicht im
Großformat, sondern punktuell als Kollision zwischen Ge- und •
Verboten des einheimischen Rechts und bestimmten religiös begründeten Verhaltensanforderungen oder kulturell eingeübten •
Gewohnheiten des Herkunftslandes. Kollisionen dieser Art sind
nicht von vorne herein zugunsten einer allgemein geltenden
20
Kann ein Motorrad fahrender Sikh unter Berufung auf seine
religiöse Pflicht, einen Turban zu tragen, Befreiung von der
allgemein geltenden Helmpflicht verlangen?
Muss einem jüdischen Häftling koscheres Essen vorgesetzt
werden?
Hat ein islamischer Arbeitnehmer das Recht, seine Arbeit
kurzzeitig für Gebete zu unterbrechen?
Kann einem Arbeitnehmer wegen Nichterscheinens zur Arbeit an hohen Feiertagen seiner Religionsgemeinschaft gekündigt werden?
Verliert ein aus diesen Gründen entlassener Arbeitnehmer
seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung?
Hat eine islamische Schülerin ein Anrecht darauf, vom
Sportunterricht befreit zu werden, weil sie sich dem anderen
Geschlecht nicht in Sportkleidung zeigen darf?
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Dürfen islamische Schülerinnen in der Schule das Kopftuch
tragen?
Wie verhält es sich, wenn es um Lehrerinnen einer öffentlichen Schule geht?
Gilt für Ordensschwestern etwas anderes als für islamische
Lehrerinnen?
Können Zuwanderer verlangen, Verstorbene ohne Rücksicht
auf die einheimischen Friedhofsordnungen zu bestatten?
Dürfen die deutschen Behörden von einer Ausländerin, die
in ihr Heimatland abgeschoben werden soll, verlangen, dass
sie für ein Foto den Schleier anlegt, weil das Aufnahmeland
nur Passfotos mit Schleier anerkennt?
Muss in deutschen Städten der mit Lautsprecher übertragene Ruf des Muezzin genauso zugelassen werden wie das
Glockengeläut der Kirchen?
Muss Fremden das Schächten erlaubt werden, obwohl es
den einheimischen Tierschutzregeln widerspricht?
Können ausländische Eltern ihre Töchter von höherer Bildung ausschließen oder ohne ihr Einverständnis verheiraten?
Ist eine Befreiung von der Schulpflicht nötig, wenn die
Schule Erziehungsziele verfolgt, die den Werten einer
fremdkulturellen Gruppe widersprechen?
Muss Mormonen die Polygamie hier gestattet werden, wenn
sie ihnen im Herkunftsland erlaubt ist?
Darf ein „in heimatlichen Sitten und Rechtsvorstellungen
verhafteter Türke“ seine Ehefrau in Deutschland einsperren,
weil er die Tat nach türkischem Recht für erlaubt hält?
Ist eine in Teheran durchgeführte Privatscheidung in
Deutschland gültig?
Muss jüdischen Kaufleuten die Geschäftsöffnung am Sonntag erlaubt werden, weil sie am Samstag aus religiösen
Gründen keine Verkäufe tätigen dürfen?
davon auch durchweg Gebrauch. Allerdings stößt hierzulande die
vom Gesetz geforderte Toleranz gegenüber Muslimen gerade in
einem Punkt immer wieder auf Kritik. Eine Reihe von muslimischen Ländern bietet nämlich Christen keine fairen Lebensmöglichkeiten und diskriminiert sie in kaum zu tolerierender Weise.
Daher, so eine immer wieder zu hörende Meinung, dürfe man im
Gegenzug den hier lebenden Muslimen nicht auch noch Toleranz
bieten. Aber es ist aus gutem Grund nicht im Sinne unserer Verfassung, die Gewährung von Religionsfreiheiten an Bedingungen
zu knüpfen – zumal an Bedingungen gegenüber anderen Staaten. Allerdings wäre viel gewonnen, wenn die hier lebenden Muslime sich in größerem Umfang dafür einsetzen würden, dass auch
in islamischen Ländern volle Religionsfreiheit gewährt wird.
Man darf wohl nicht erwarten, dass sich sämtliche Kultur- oder
Religionskonflikte unter Rekurs auf die Grundrechte harmonisch
lösen lassen. Gesellschaften, in denen schwer überbrückbare
Gegensätze nicht zwischen Einheimischen und Migranten auftreten, sondern die Stammbevölkerung selbst durchziehen, wie in
Israel, können an solchen Konflikten zerbrechen. In Gesellschaften, wo die Konfliktlinie zwischen der Stammbevölkerung und den
Zuwanderern verläuft, bleibt für Angehörige der Minderheitenkultur eigentlich nur die Alternative von Anpassung oder Wegzug.
Zusammenprall der Kulturen?
Es scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein, in immer kürzeren
Dimensionen zu denken. Der Blick auf die 1400 Jahre währende
gemeinsame Geschichte beider Kulturen macht aber klar, wie
sich immer und immer wieder die Perspektiven verschoben haben. Die gleiche hohe und moderne Zivilisation, welche heute der
Westen für sich in Anspruch nimmt, hatten einst Araber oder Osmanen gegenüber dem mittelalterlichen Europa eingenommen;
inklusive dem Anspruch auf moderne Staatsformen und wirtschaftlichem wie technischem Vorsprung. Nicht von ungefähr
blickte Karl der Große neidvoll von Aachen nach Bagdad, wo die
großen Wissenschaften jener Zeit betrieben wurden und die
Menschen gebildeter waren. Eine der Erklärungen für die „Wut“
der Araber, sich heute in umgekehrter Situation wiederzufinden.
Zweierlei wird aus dieser sicher nicht vollständigen Liste deutlich.
Zum einen handelt es sich bei dem Grundrecht, auf das sich die
Zuwanderer berufen können, besonders häufig um die Religionsfreiheit, die dadurch eine ganz neue Aktualität gewinnt. Daneben
spielt das Elternrecht eine erhebliche Rolle. Zum anderen spitzen
sich die Konflikte besonders häufig im so genannten besonderen
Gewaltverhältnis, allem voran in der Schule, daneben in ArbeitsKeiner der beiden Protagonisten will sich unterordnen, weil beide
verhältnissen und in der Familie, zu.
eben als große Weltkulturen praktikable Lebensmodelle für
Unverzichtbar für den deutschen Staat ist und bleibt die Akzep- Staaten und Gesellschaften sowie universelle Ansprüche entwiktanz seiner Verfassung und seiner Gesetze durch jeden Einwoh- kelt haben. Notwendig ist daher, den alles entscheidenden Unterner, welche Religions- und Staatsangehörigkeit er auch immer schied, der für den Konflikt zwischen beiden Kulturen verantwortansonsten haben mag. Dieser Rechtsstaat kann nicht zweierlei lich ist, herauszuarbeiten. Es ist der Unterschied zweier Modelle,
Recht dulden und partiell die Scharia akzeptieren. Denn dies zwischen dem Islam einerseits, wo die Religion Sinn stiftender
würde unweigerlich endgültig auf einen „Staat im Staate“ hinaus- Wertüberbau für eine Gesellschaft ist, und andererseits dem Welaufen. Man muss aber leider davon ausgehen, dass unser sten, für den Religion „nur“ ein untergeordneter persönlicher
Grundgesetz den meisten der hiesigen Muslime überhaupt nicht Wertekodex ohne größere staatliche Bedeutung ist. Wie soll man
bekannt ist, weshalb dieser Staat dringendst Aufklärungsarbeit aber dann mit dem Konfliktstoff umgehen, der sich aus dem Zuleisten muss. Alle islamischen Organisationen in Deutschland sammentreffen von Einheimischen und Zuwanderern einer fremwird man vor allem an der Frage der Menschenrechte zu messen den, islamischen Kultur ergibt? Die öffentliche Debatte schwankt
haben. Konflikte mit ihnen ergeben sich vor allem hinsichtlich der zwischen den Polen von Assimilationszwang und Kulturfreiheit.
Stellung der Frau, der grundgesetzwidrigen rigiden Geschlech- Dahinter verbirgt sich einerseits die Furcht vor Überfremdung:
tertrennung, der Religionsfreiheit, der Frage ob Muslime zu einer Man kann sich im eigenen Land nicht mehr zu Hause fühlen. Ananderen Religion konvertieren dürfen, und an deren Umgang mit dererseits die Furcht vor einem Kulturimperialismus: Zwingt man
anderen nicht Wertvorstellungen und Verhaltensformen auf, die
den missionarischen Versuchen diverser Gruppierungen.
sie freiwillig nicht akzeptieren würden? Im Folgenden soll daher
Muslime, die in westlichen Demokratien leben, können sich der auf wesentliche Punkte dieses Konfliktstoffes näher eingegangen
ihnen hier gewährten Religionsfreiheit erfreuen, und sie machen werden:
21
Die Geschlechtertrennung ist der Grundpfeiler der muslimischen
Gesellschaftsordnung. Diese Praxis macht den häuslichen Bereich zum Territorium der Frau und die öffentliche Sphäre zur
Domäne des Mannes. Jede Überschreitung seitens der Frauen
Die Stellung der Frau10 gehört zu den wesentlichen Kritikpunkten wird von den Männern als Provokation empfunden.
der westlichen Welt an den islamischen Rechtsvorstellungen. Es
gilt heute als großes Hindernis bei der Durchsetzung von Men- Weder der Koran noch die Überlieferungen verbieten es den
schenrechten im Islam, dass die Frau – nach Auslegung der Vor- Frauen, berufstätig zu sein. Aber das Festhalten an ihrer traditioschriften durch die Rechtsgelehrten – dem Mann untergeordnet nellen Rolle im Haus setzt der Erwerbsarbeit enge Grenzen. Eine
Frau braucht die Genehmigung des Mannes oder des Vormundes
ist.
für die Arbeit außer Haus.
Im Koran, Sure 4, Vers 34 ff ist zu lesen:
Für die Lebenswirklichkeit der Frau im Islam ist bis heute das
„Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie von Natur vor Recht des Mannes von Bedeutung, den Aufenthaltsort der Frau
diesen ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von zu bestimmen. Er kann ihr z. B. das Verlassen der ehelichen
ihrem Vermögen gemacht haben ... Und wenn ihr fürchtet, dass Wohnung verbieten, mit der Folge, dass der Frau wesentliche
irgendwelche Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet Rechte wie Ausbildung oder Berufstätigkeit vorenthalten bleiben,
die ein Verlassen der Wohnung erfordern. Eine Frau soll mögsie im Ehebett und schlagt sie!“
lichst nur mit Frauen zusammenarbeiten und darf keine Stellung
Der Mann ist in der patriarchalischen Struktur, die im religiösen einnehmen, in der sie Männern Weisungen erteilt. Nur wirtschaftFamilienrecht festgeschrieben ist, das Oberhaupt der Familie, die liche Not gilt als ausreichender Grund für Erwerbstätigkeit.
Ehefrau schuldet ihm Gehorsam im Haus und in der Öffentlichkeit. Das islamische Recht billigt dem Mann zu, in gewissen Fäl- Es ist Frauen nicht gestattet, als religiöse Instanz zu wirken, zu
len seiner Frau den Unterhalt zu entziehen, auch wenn er im richten oder eine politische Führungsposition zu übernehmen.
Prinzip dazu verpflichtet ist. Er darf sie auch schlagen und kann Das „Blutgeld“ für eine Frau beträgt halb so viel wie das eines
Mannes, vor Gericht hat ihre Aussage weniger, in gewissen Fälsie ohne Angabe von Gründen verstoßen.
len gar kein Gewicht. Das Erbteil der Töchter ist nur halb so groß
Die Ausnahmen, in denen eine Frau ihrerseits die Scheidung be- wie dasjenige der Söhne – wobei freilich die Tatsache, dass
antragen kann, sind beschränkt auf sexuelle Impotenz, unbe- überhaupt ein Erbrecht für Frauen festgeschrieben wurde, zur
rechtigte Nichtgewähr von Unterhalt und unheilbare Erkrankung. Entstehungszeit des Korans einen beträchtlichen Fortschritt darFrauen besitzen gegenüber Männern auch unterschiedliche stellt.
Rechtspositionen. So zählt beispielsweise ihr Zeugnis vor Gericht
nur die Hälfte (und das auch nur im Zivilrecht, im Strafrecht ha- Aus heutiger Sicht bleibt festzuhalten, Frauen werden in Bezug
ben sie gar keine Zeugenqualität), das Erbrecht ist vermindert, auf Familienrecht, Zivilrecht und Strafrecht auch nach 1400 Jahbei Schließung einer Ehe müssen Frauen sich in der Regel durch ren immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt.
einen männlichen Ehevormund vertreten lassen.11 Männer sind
berechtigt, bis zu vier Frauen gleichzeitig zu heiraten, während Seit sich die Frauen den Zugang zu formalem Wissen und zur
Berufstätigkeit erobern, sind sie in den öffentlichen Raum vorgeFrauen dies unter Androhung drastischer Strafen verboten ist.12
stoßen. Bis heute haben sich die Männer von diesem Schock
Die Polygamieerlaubnis des islamischen Rechts beruht auf Sure nicht erholt. Die Regelverletzung hat ihre Identität ins Mark ge4, Vers 4. Sie ist dort allerdings an die Bedingung geknüpft, dass troffen: Kämpferische islamische Frauen sehen in der Akzeptanz
der Mann in der Lage ist, sich gegenüber seinen verschiedenen der von Islamisten propagierten „islamischen Kleiderordnung“ eiEhefrauen gleichermaßen gerecht zu verhalten. In der heutigen nen gangbaren Weg, ihren Ehemann zur Zustimmung zum VerPraxis etlicher islamischer Länder, die noch kein Polygamieverbot lassen der Wohnung und zu einer Teilnahme am öffentlichen Lekennen (wie dies bereits in der Türkei und Tunesien der Fall ist), ben einschließlich z. B. einer eigenen Berufstätigkeit zu bewegen.
ist die Mehrehe selten geworden; so liegt ihr Anteil beispielsweise
in Ägypten bei ca. 3,5 Prozent. Das hat zum Teil wirtschaftliche Die männlichen Mitglieder der islamischen GlaubensgemeinGründe, beruht aber auch auf dem Wandel des Partnerschafts- schaft, der umma, werden anhand ihres öffentlichen Ranges definiert. Die Mitgestaltung des öffentlichen Lebens und die Teilhaund Familienideals, der sich in der Moderne vollzogen hat.
be an der politischen Macht verleihen ihnen Autorität. Die Ehre
des Mannes hängt von der Kontrolle ab, die er über die Sexualität
10 Eine ihren islamischen Glauben bekennende Frau bezeichnet sich als „Muslima“. Manche sprechen von „muslimischen Frauen“ oder gebrauchen den eben- seiner Ehefrau(en) ausübt, sowie davon, wie viele (vor allem
männliche) Kinder sie ihm schenkt. Frauen in der Öffentlichkeit
falls neutralen Terminus „Muslimin“.
11 Das schiitische Recht kennt neben der üblichen Ehe auch noch die zeitlich bedrohen die Familienehre und stellen die männliche Autorität
befristete Ehe, in der ein Mann und eine Frau vor dem Mullah eine Ehe eingehen, und Kontrolle in Frage.
Die Ungleichbehandlung von Mann und
Frau
deren Dauer sie von vornherein befristen. Die Frist kann zwischen einer Stunde
und 99 Jahren liegen.
12 Das islamische Recht (Scharia) erlaubt es muslimischen Männern, eine Frau
aus der Gruppe der „Schutzbefohlenen“ (dhimmi) zu heiraten. Das sind Bekenner
der zugelassenen und anerkannten Schrift- oder Buchreligionen. Eine Konversion
der Frau, Christin oder Jüdin, zum Islam ist nicht notwendig. Umgekehrt kann ein
„dhimmi“ eine Muslimin nur heiraten, wenn er seine Religion aufgibt und zum Islam übertritt. Das heißt, der Islam gibt seine Töchter nicht an Männer, deren
Glauben er zwar achtet und schützt, jedoch nicht als von gleichem Rang ansieht.
Eine islamische Ehe muss geschieden werden, wenn der muslimische Partner
vom Islam abfällt, zum Beispiel zum Christentum konvertiert.
22
Auch im Paradies werden Männer und Frauen nicht gleich behandelt, es wird nach den Worten des Propheten unterschiedliche Freuden geben:
„Ich stand am Tor des Paradieses. Da waren die meisten, die
eintraten, Männer. Und ich stand am Tor zur Hölle. Da waren
die meisten, die eintraten, Frauen.“
Millionen Muslime stammen, praktiziert als streng laizistische Republik ein generelles Kopftuchverbot in allen staatlichen Stellen.
Muslimische Mädchen und Schule:
Koedukativer Unterricht
Muslimischen Schülerinnen verbietet ihr Glaube am gemischten
Schulsportunterricht, wie er in vielen Bundesländern stattfindet,
teilzunehmen, weil sie sich verhüllen sollen vor Männern und andererseits Männer in knapper Sportbekleidung nicht betrachten
sollen. Nicht selten kam es in der Vergangenheit zu Klagen von
Eltern muslimischer Schülerinnen. Die Gerichte haben die widersprüchlichsten Urteile gefällt.13 Die betroffenen Schülerinnen und
deren Eltern führen an, dass ein Zwang zum gemischten Schulsport gegen den Koran verstoße. Kritiker argumentieren dagegen, dass die Mädchen sich faktisch aus dem öffentlichen Leben
zurückziehen müssten und dies widerspräche dem Grundsatz der
Gleichstellung von Mann und Frau. Weiter wird angeführt, dass
die Befreiung vom Sportunterricht ein Schritt hin zur Ausgrenzung
der betroffenen Schülerinnen sei. Es sei den Mitschülern auch
nicht zu vermitteln, warum Muslime eine Sonderstellung genössen und vom Sportunterricht befreit würden.
In Deutschland hat die Kopftuchdebatte vor allem durch die muslimische Lehramtskandidatin Fereshta Ludin, deutsche Staatsbürgerin afghanischer Herkunft, für Schlagzeilen gesorgt. Sie
klagte bereits in mehreren Instanzen um die Erlaubnis, während
des Schulunterrichts im staatlichen Schuldienst das Kopftuch tragen zu dürfen. Die Lehrerin beruft sich auf ihr Recht auf Glaubensfreiheit und freie Berufswahl, während die badenwürttembergische Kultusministerin Schavan dem das strikte
Neutralitätsgebot des Staates sowie das demokratische Grundprinzip der Trennung von Staat und Religion entgegenhält. Dieser
Fall ist nicht einmalig, sondern es sind in der Bundesrepublik rund
15 derartige Fälle bekannt geworden.
Der Konflikt um die Einstellung von Fershta Ludin mit islamischem Kopftuch in den staatlichen Schuldienst hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. September 2003
zumindest vorläufig zugunsten der Trägerin des Kopftuchs entschieden. Die Entscheidung verdient Respekt, aber nicht unbeSchwierig ist bei diesem Thema auch, dass sich gerichtliche Be- dingt große Zustimmung. Kritikwürdig ist insbesondere, dass das
schlüsse zum gemischten Schulsport auch auf andere Fächer Verfassungsgericht der Frage nach dem Sinngehalt des islamiausdehnen. Wie ist es zu beurteilen, wenn muslimische Eltern
wünschen, dass ihre Töchter vom Sexualkundeunterricht befreit
werden sollen oder am Aufklärungsunterricht zum Thema Aids
oder Schwangerschaftsverhütung nicht teilnehmen sollen? Auch
sind Klassenfahrten für muslimische Schülerinnen praktisch nicht
möglich, da der Islam es für Frauen nicht vorsieht, ohne einen
männlichen Begleiter zu verreisen (siehe „Kamel-Fatwa“).
Kopftuch
Der Koran schreibt keineswegs eindeutig das Tragen eines
Kopftuches vor. Es gilt der islamische Grundsatz: „Es gibt keinen
Zwang im Glauben.“ Die Frage, ob Frauen Kopftuch tragen sollen, ist in dieser Form für den Islam neu. Über Jahrhunderte hinweg war die Verschleierung kein großes Thema für die klassische
Rechtslehre: In manchen Ländern und Gesellschaftsschichten
war sie üblich, in anderen nicht. Entscheidend für die Frage sind
die Suren 24, Vers 31, und Sure 33, Vers 59. Dort heißt es:
„Prophet, sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der
Gläubigen, sie sollen sich etwas von ihrem Gewand über den
Kopf ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie als
ehrbare Frauen erkannt und daraufhin nicht behelligt werden.
Gott aber ist barmherzig und bereit zu vergeben“.
Es handelt sich hierbei um unterschiedliche Interpretationen, die
nicht von allen Muslimen geteilt werden. In Ländern wie z. B. Iran
oder Saudi-Arabien herrscht strenger Kopftuchzwang, während
dies in Syrien oder Ägypten nicht der Fall ist. Und ausgerechnet
die Türkei, aus der die meisten der in Deutschland lebenden 3,2
13 Einen Erfolg im Kampf um die Befreiung vom koedukativen Unterricht sieht die
„Deutschsprachige Islamische Frauengemeinschaft“ (DIF) darin, dass das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil am 25. August 1993 die beklagte Schule
dazu verpflichtet habe, „die Schülerin vom koedukativ erteilten Unterricht zu befreien“. Die Schulen bestünden zwar meist auf der allgemeinen Schulpflicht und
stellten Schüler nur aufgrund eines gesundheitlichen Attests vom Sportunterricht
frei; juristisch sei aber klar, dass die Schule keinen Anspruch auf die Durchsetzung von koedukativen Sportunterricht habe, genauso wenig darauf, dass Schülerinnen das Kopftuch im Unterricht abnehmen müssen.
23
schen Kopftuches nicht nachgegangen ist. Diese Zurückhaltung
lässt sich nicht mit der Annahme rechtfertigen, dem Staat sei es
verwehrt, den Gehalt des Kopftuches zu bewerten, da ihm wegen
seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität eine solche Wertung
nicht zustehe. Eine solche Enthaltsamkeit würde dem Staat die
Möglichkeit nehmen, die persönliche Eignung der sich um ein öffentliches Lehramt bewerbenden Personen umfassend zu ermitteln. Gerade hierzu ist der Staat aber verpflichtet, nicht zuletzt im
Interesse der eigenen Funktionsfähigkeit und der Erhaltung der
grundgesetzlichen Ordnung.
Das islamische Kopftuch ist Ausdruck einer minderen Stellung
der Frau, so eine weitverbreitete Meinung. Allerdings wird von
Verfechtern des religiösen Kopftuchgebots das Gegenteil behauptet: Während Frauen „im Westen“ in Werbung, Fernsehshows, Geschäften oder Filmen zur Schau gestellt würden, symbolisiere das Kopftuch Befreiung aus der Sklaverei, Befreiung von
Unterdrückung und Schutz der Menschenwürde.
Das islamische Kopftuch wird überdies in der Islam-Diaspora zunehmend als ein Mittel zur zivilisatorischen Abgrenzung zwischen
Muslimen und Nichtmuslimen eingesetzt; es wird so Ausdruck der
Distanz zum Westen, damit aber auch zum westlichen demokratischen System und zu seinen Werten. Wenn allerdings muslimische Frauen, die mit dem Tragen des Kopftuchs ja keineswegs
durchweg ein fundamentalistisches Weltbild ausdrücken wollen,
vom Schuldienst ausgeschlossen werden, nimmt sich die Gesellschaft selber die Möglichkeit, sie als Bürgerinnen beim Wort zu
nehmen. Die autoritären Strukturen, in denen Mädchen oft zum
Tragen des Kopftuches gezwungen werden, bleiben durch das
Verbot unverändert; nur die Integrationsmöglichkeiten dieser
Mädchen in die deutsche Gesellschaft würden verringert. Weil
sich die Verfassungsrichter geweigert haben, das zu tun, was ihre
Aufgabe ist, nämlich die Grundrechte auszulegen, wird nun also
in jedem Bundesland das Grundrecht auf Religionsfreiheit anders
gedeutet – so nämlich, wie es der jeweiligen Landesregierung
passt. Und es wird eine fatale Diskussion weitergehen, die in das
Kopftuch alles hineinwickelt, was es überhaupt an Bedrohlichem
über den Islam zu sagen gibt – Scharia, Fundamentalismus und
Terrorismus. Das Kopftuch wird zur Chiffre für alles Gefährliche.
Das geht bis hin zu dem bösen Satz, das Kopftuch sei das „Hakenkreuz der Islamisten“. In solcher Maßlosigkeit entlädt sich weniger die Sorge um die Unterdrückung der Frau als Fremdenfeindlichkeit.
Moscheen / Muezzin
Die Muslime müssen in Deutschland ihren Glauben in rechter
Weise praktizieren können. Dies ist ein vom Grundgesetz garantiertes Recht. Schwerpunkt islamischer Glaubenspraxis ist das
täglich fünfmal zu verrichtende rituelle Gebet, das an jedem beliebigen Ort verrichtet werden kann. Nur muss der Boden, auf
dem man betet, rein und als – aus dem profanen Bereich ausgegrenzte – Gebetsstelle gekennzeichnet sein. Der Gebetsteppich
erfüllt diese Kriterien; notfalls reicht aber eine ausgebreitete Zeitung oder ein Tuch aus, um einen reinen Gebetsplatz zu markieren. Das rituelle Gebet ist Pflicht für Männer wie für Frauen. Die
Musliminnen dürfen während der Menstruation und 40 Tage lang
nach der Geburt eines Kindes das rituelle Gebet nicht durchführen. Ansonsten mag jeder Muslim im freien Gebet zu Gott beten,
wann immer er will. Im Gegensatz zu den täglichen Gebeten ist
das Freitagsgebet nur für die Männer obligatorisch; es wird anstelle des rituellen Mittagsgebets verrichtet und gilt als besonders
heilbringend. Das gemeinsame Gebet hat einen höheren Wert als
das Gebet des einzelnen. Ein Wort des Propheten Mohammed
besagt: „Das Gebet der Gemeinschaft ist besser als das Gebet
des einzelnen, und zwar siebenundzwanzigmal besser.“
Die Moschee stellt das wohl markanteste Element islamischen
Lebens dar.15 Als Ort, an dem der erwachsene männliche Muslim
am Freitagmittag das rituelle Pflichtgebet möglichst in Gemeinschaft zu verrichten hat, hat die Moschee neben ihrer kultischen
weitere, zentrale Funktionen für das religiöse, soziale und politische Leben der islamischen Gemeinschaft. Die Türkei entsendet
über 550 Imame (Vorbeter) nach Deutschland. In nichtislamischer
Umgebung kommt der Moschee, der häufig eine Koranschule
angegliedert ist, als wichtigstem Faktor islamischer Sozialisation
neben der Familie noch größere Bedeutung zu als in der jeweiligen Heimat. Deshalb sind Bau, Betrieb und Unterhaltung einer
Moschee bis heute das erste und wichtigste Anliegen, zu dessen
Verwirklichung Muslime in Deutschland sich in der Rechtsform
des eingetragenen Vereins zusammenschließen.
Auch in privatwirtschaftlichen Bereichen gab es bereits ähnliche
Fälle, wie zum Beispiel den von Fadime C., einer Kaufhausverkäuferin, der von ihrem Arbeitgeber im hessischen Schlüchtern
gekündigt wurde, als sie nach ihrem zweiten Erziehungsurlaub
verkündete, ihre religiösen Vorstellungen hätten sich geändert
und sie wolle sich nicht mehr ohne Kopftuch zeigen. Der Arbeitgeber argumentierte, die Kopfbedeckung schrecke die Kundschaft ab und dies führe zu Umsatzeinbußen. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hielt die Kündigung für rechtswidrig. Als der
Kaufhausbetreiber vor das Bundesverfassungsgericht zog, nahm
dieses die Beschwerde nicht an, da sie keine Aussicht auf Erfolg
habe. Zur Urteilsbegründung des BAG hieß es, dass die Glaubensfreiheit der Arbeitnehmerin nicht auf einen bloßen Verdacht Die Diskussion um den Bau von Moscheen mit Minaretten sorgt
hin „beiseite gestellt“ werde. 14
regelmäßig für Zündstoff unter Kritikern und Befürwortern. Das
Minarett, von dem früher der Muezzin die gläubigen Muslime zum
Gebet rief, wird heute in der Regel mit Lautsprechern bestückt,
Benutzung öffentlicher Bäder
die die Aufgabe des Gebetsrufers erfüllen. Vor allem dieser Ruf
des Muezzins ist christlichen Kritikern ein Dorn im Auge. WähDie Einrichtung eines eigenen „Frauenbadetags“ in öffentlichen rend die Muslime den Vergleich mit dem Glockenläuten christliBädern steht auf der Wunschliste verschiedener islamischer cher Kirchen heranziehen und sich auf Artikel 4 des GrundgesetFrauengruppen ganz obenan. Die große rituelle Waschung, die zes berufen, der Religionsfreiheit garantiert, widersprechen
den ganzen Körper einschließlich der Haare umfasst, ist nach christliche Kritiker dem und betonen, der Ruf des Muezzins habe
dem Beischlaf und anderen „Verunreinigungen“ – insbesonders missionarischen Charakter, da der Gebetsruf auch das Glaudurch Körpersekrete – eine religiöse Pflicht, die unbedingt einge- bensbekenntnis des Islam enthalte. 16
halten werden muss. Die üblichen Hallen- und Freibäder in
Deutschland können von frommen Muslimen nicht besucht werden, weil der Islam auf Geschlechtertrennung besteht, ein ge- 15 Nach Angaben des Zentral-Instituts Islam-Archiv in Soest gab es in Deutschland (Stand Oktober 2003) 141 große Moscheen mit Minarett; 154 weitere Momeinsames Baden von Frauen und Männern also verboten ist. scheen sind im Bau. Dazu kommen über 2.200 Gebetshäuser.
Gescheitert sind solche „Frauenbadetage“ verschiedentlich an 16 Der Gebetsruf verkündet in islamischen Ländern den Beginn der Zeitspannen,
dem Verlangen der Musliminnen, die Bademeister müssten weib- innerhalb derer der Vollzug des täglich fünfmal zu verrichtenden rituellen Gebetes
lich sein. Eigentlich müsste es auch einen islamischen „Männer- vom islamischen Recht her vorgeschrieben und gültig ist. Diese Zeitspannen
richten sich nach dem Stand der Sonne und sind genauestens festgelegt. Für jebadetag“ geben; denn wo sich Frauen im hautengen Badeanzug den Ort der Welt kann der Muslim sie auf die Minute genau auch aus Tabellen
oder gar Bikini tummeln, sollte ein frommer Muslim doch nicht ersehen. Der Ruf erfolgt immer in der arabischen Sprache. Er hat folgenden
zugegen sein; aber seltsamerweise wird ein solcher „Männerba- Wortlaut: 1. „Gott ist größer“. 2. „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer
Gott“. 3. „Ich bezeuge, dass Mohammed Gottes Gesandter ist“. 4. „Auf zum Gedetag“ bisher nirgends verlangt.
bet“. 5. „Auf zum Heil“. 6. „Gott ist größer“. 7. „Es gibt keinen Gott außer Gott“.
Ausschließlich von den Schiiten wird zwischen dem fünften und sechsten Element
folgender Zusatz eingefügt: „Auf zum besten Werke“.
14 Az. BAG 2 AZR 472/01 vom 10. Oktober 2002
24
Beschneidung
Männliche Muslime werden bereits im Kindesalter beschnitten.
Der Zeitpunkt dieses Eingriffs variiert von Region zu Region zwischen wenigen Tagen nach der Geburt und dem Alter von etwa
13 Jahren. In den Ländern des arabischen Nahen Ostens, der
Türkei und Iran liegt das traditionelle Beschneidungsalter meist
zwischen fünf und sieben Jahren. Die Praxis der Beschneidung
männlicher Nachkommen war bereits im vorislamischen Arabien
verbreitet. Im Koran ist sie nicht erwähnt. Verschiedene überlieferte Aussprüche des Propheten Mohammed und sein persönliches Vorbild werden jedoch von Muslimen als Begründung dafür
angeführt, dass man die Beschneidung von Alters her als löblichen Brauch betrachtet, dem die Gläubigen zu folgen haben. Beschnitten zu sein gilt gemeinhin als für Männer unverzichtbares
Zeichen der Zugehörigkeit zur islamischen (aber auch zur mosaischen) Religion.
sieht Homosexualität, Ehebruch, Unzucht und Prostitution als
Sünden an, die schwer bestraft werden sollen. Was die Ehe und
die Bestrafung von Verfehlungen betrifft, so sind die islamischen
Vorschriften für Frauen sehr viel strenger als die für Männer. Mit
diesem kulturellen Hintergrund kommen viele Muslime nach
Deutschland und erleben den offenen Umgang mit Sexualität als
moralisch verwerflich und unsittlich, besonders in seiner Wirkung
auf ihre Kinder.
Rechtliche Stellung von muslimischen
Vereinigungen
In Deutschland gibt es derzeit eine Vielzahl von Vereinen, welche
die Muslime vertreten. Diese unterscheiden sich häufig nach nationaler Herkunft und kultureller Tradition, zumeist aber nicht –
abgesehen allerdings zumindest von den Aleviten – nach den
Besonderheiten einer bestimmten religiösen Richtung oder
Schule. Deshalb können sie zwar mit einem gewissen Recht in
Anspruch nehmen, für alle Muslime offen und für die Wahrnehmung von deren religiösen Interessen da zu sein. Zugleich aber
haben die Moscheevereine in der Regel nur sehr begrenzte Mitgliederzahlen, da für die Teilnahme an dem in der Moschee zu
verrichtenden Freitagsgebet die Vereinszugehörigkeit keine Relevanz hat.
In einer Reihe von Ländern vor allem Afrikas und Vorderasiens,
darunter solchen, die größtenteils von Muslimen bewohnt sind
oder in denen diese einen erheblichen Teil der Bevölkerung stellen, werden auch Frauen „beschnitten“. Dabei geht es aber um
einen sehr viel drastischeren Eingriff als bei dem, was man bei
Männern Beschneidung nennt: Es geht um eine brutale Verstümmelung in verschiedener Weise, die durchaus einer Folter
gleichkommt und z.T. lebenslange körperliche und psychische
Traumata und Folgen auslöst, ja in vielen Fällen durch die Im Unterschied zu den christlichen und jüdischen Gemeinden in
schlechten hygienischen Verhältnisse sogar zum Tode führt.17
Deutschland sind aber die muslimischen Glaubensgemeinschaften nicht einheitlich und bundesweit organisiert. Dies wäre VorNach Schätzungen der WHO leben gegenwärtig auf der Erde et- aussetzung, dafür, als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anwa 135 Millionen Frauen, die diese verstümmelnden Prozeduren erkannt zu werden und somit wichtige Rechte und Vorteile zu erbereits über sich haben ergehen lassen müssen, und jeden Tag halten: das Recht, Steuern zu erheben; das Recht, Dienstverhältkommen etwa 6.000 dazu. In Somalia sind z. B. nach begründe- nisse öffentlich-rechtlicher Art zu begründen; das Recht, als Träten Schätzungen zur Zeit noch fast 100 Prozent der Frauen „be- ger der freien Wohlfahrtspflege und der freien Jugendhilfe zu wirschnitten“, in Ägypten deutlich mehr als 90 Prozent, im Sudan, in ken; das Recht auf bestimmte steuerliche Vergünstigungen und
Äthiopien, Eritrea und Mali etwa 90 Prozent, in Kenia, der Zen- Befreiungen; das Recht auf einen erleichterten Zugang zur Seeltralafrikanischen Republik, Nigeria und Liberia ca. 50 Prozent. In sorge in öffentlichen Anstalten und Einrichtungen (z. B. JustizDeutschland ist der Eingriff ein strafbares Offizialdelikt, und dass vollzug, Bundeswehr, Krankenhäuser, Heime); das Recht auf
es hier vor Ort vorgenommen wird, scheint selten zu sein. Musli- Entsendung von Vertretern in die Rundfunkräte und schließlich
me, die die Genitalverstümmelung von Mädchen praktizieren, be- die vereinfachte Berücksichtigung von Bauvorhaben für Gotteskunden häufig, diese sei von ihrer Religion geboten. Das ist je- dienste und Seelsorge in den Bauleitplänen.
doch falsch: Im Koran kommt sie nicht vor. In einigen überlieferten Aussprüchen, die dem Propheten zugeschrieben werden, ist Natürlich haben auch die in Deutschland lebenden Muslime die
zwar von ihr die Rede. Aber erstens ist die Echtheit gerade dieser Notwendigkeit erkannt, sich zu organisieren, was jedoch nur
Aussprüche bereits nach traditionellen islamischen Kriterien frag- schwer gelingt, weil die Gräben zwischen den einzelnen Glaulich, und zweitens erklärt kein einziger von ihnen diese Praxis zur bensrichtungen zu tief sind, ebenso wie sich auch das sehr hetePflicht.
rogene Spektrum von Weltanschauungen des Islams schwer in
einer Instanz bündeln und repräsentieren lässt. Um in Deutschland eine einheitliche Repräsentanz zu etablieren, wäre es vorSexualität
dergründig von Wichtigkeit, dass der Islam in Deutschland sich
zum Grundgesetz bekennt und dies auch lebt, indem sich RepräFür viele in Deutschland lebende Muslime mag der Umgang mit sentanten nicht nur öffentlich von jeglichem Fundamentalismus
Sexualität hierzulande, besonders in den Medien und der Wer- distanzieren, sondern auch gegen solche Strömungen innerhalb
bung, und das Tolerieren von sexuellen Neigungen, die im Islam ihren Glaubensgemeinden wirken.
als Tabu gelten, befremdlich sein, obwohl der Islam ausdrücklich
die menschliche Sexualität ohne jeglichen Vorbehalt bejaht. So
wurde der Prophet Mohammed zu Lebzeiten von Christen für Schächten
sein unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität kritisiert. Jedoch ist
im Islam Heirat eine religiöse Regel und das islamische Recht Hinsichtlich der Erlaubtheit des Verzehrs von Schlachtprodukten
enthält der Koran insgesamt vier wichtige Einschränkungen, die
17 vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg.), Eine-Welt- allerdings verhältnismäßig leicht einzuhalten sind. Unrein und
Presse, N. 1/2000, Schwerpunkt Frauen. Dort findet man auch eine Reihe von damit verboten ist für Muslime:
Links mit sehr qualifizierten Dokumentationen.
25
Seite liegend, mit dem Gesicht nach Mekka blickt. So ruht der
Verstorbene und darf nicht mehr gestört werden. Im Gegensatz
zur christlichen Tradition ist es nicht üblich, dass Angehörige die
Gräber ihrer Verstorbenen aufwändig schmücken. Grundsätzlich
abgelehnt wird von Muslimen aus religiösen Gründen die Feuerbestattung; sie gilt als Hindernis für die leibliche Auferstehung der
Das Schächten ist die im Judentum und Islam vorgeschriebene Toten.
Form des Schlachtens, bei der das Tier unbetäubt mit einem
Schnitt durch Halsschlagader, Luft- und Speiseröhre getötet wird. Diese rituellen Vorschriften passen jedoch nicht zu der deutschen
Sinn ist es, dass das Tier vollständig ausblutet, da der Genuss Rechtswirklichkeit. Zum einen tauchen auch hier wieder die
von Blut sowohl im Judentum als auch im Islam verboten ist. Schwierigkeiten auf, dass in Deutschland Träger von Friedhöfen
Hintergrund für das rituelle Schächten ist auch, dass in den sehr nur Körperschaften öffentlichen Rechts sein können, was für isheißen Ländern des Islams das Fleisch durch das vollständige lamische Verbände in Deutschland derzeit nicht gilt. Daher gibt
Ausbluten haltbarer gemacht werden kann, was wiederum poten- es auch als einzigen muslimischen Friedhof in Deutschland den
tiellen Gesundheitsrisiken entgegenwirkt. Gegen das Betäuben Berliner Friedhof, der bereits belegt ist. Die Alternative dazu sind
der Tiere vor dem Töten spräche, so Befürworter der Schächt- Gräberfelder, die in circa 70 deutschen Städten in reguläre Friedmethode, dass das Tier verkrampfen könnte und somit das voll- höfe integriert sind. Des weiteren sind die deutschen Hygienegesetze nicht mit der Beerdigung ohne Sarg vereinbar und auch die
ständige Ausbluten verhindert werde.
gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit von 48 Stunden vom
In Deutschland kollidierte das betäubungslose Schächten bis zum Eintritt des Todes bis zu Beerdigung lässt sich nur schlecht damit
Januar 2002, als das Bundesverfassungsgericht der Klage eines vereinbaren, dass ein Leichnam im Islam möglichst noch am Tomuslimischen Metzgers nachgab und das betäubungslose destag zu Grabe getragen werden soll. Außerdem ist die ewige
Schächten in Ausnahmefällen erlaubte, mit dem Tierschutzge- Grabesruhe nicht gewährleistet, da die Liegezeiten auf deutschen
setz, welches untersagt, warmblütige Tiere ohne Betäubung zu Friedhöfen begrenzt sind, auch das Liegen des Leichnams Richtöten. Das Bundesverfassungsgericht erlaubt Muslimen nun tung Mekka ist nicht auf allen Friedhöfen möglich, weil die Friedauch, was Juden schon lange dürfen. Wer eine Ausnahmege- hofsanlage dies nicht zulässt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat
nehmigung beantragen will, muss nun „substantiiert und nach- hier einen ersten Schritt getan: Seit 1. September 2003 gilt hier
vollziehbar“ darlegen, dass nach der Glaubensüberzeugung sei- für Muslime kein Sargzwang mehr und auch die Ruhefristen werner Gruppe der Verzehr von Fleisch zwingend eine Schlachtung den flexibler gehandhabt.
ohne Betäubung erfordert.
Tatsächlich werden von den in Deutschland lebenden Muslimen
Aber genau das ist der Grund, weshalb die Praxis anders aus- nach deren Tod etwa 90 Prozent in ihre Heimat überführt. Das
sieht: Vor dem muslimischen Opferfest gingen beispielsweise Essener Zentrum für Türkeistudien hat in einer Umfrage herausbeim Land Hessen im Jahr 2002 ca. 600 Anträge auf Erlaubnis gefunden, dass sich nur etwa 5 Prozent der in Deutschland lezum betäubungslosen Schächten ein, die allesamt abgelehnt benden Muslime vorstellen können, hier begraben zu werden.
wurden, weil die vom Verfassungsgericht „zwingenden religiösen Hinzu kommt, dass die Überführung in die Heimat nur etwa halb
Gründe“ nicht schlüssig dargelegt wurden. Auch wenn es um das soviel kostet wie eine Bestattung in Deutschland.
rücksichtsvolle Töten der Tiere, wie der Koran es vorschreibt,
geht, sieht die Realität anders aus. Im städtischen Schlachthof
von Karlsruhe bestand keiner der muslimischen Metzger die
Islamischer Religionsunterricht an
praktische Prüfung des Sachkundenachweises, der Voraussetzung für die Erlaubnis zum Schächten von Tieren ist, weil erheb- deutschen Schulen
liche Defizite in der Handhabung der Schächtmethode gegeben
waren. Da auch der Tierschutz nun als Staatsziel in die Verfas- Für die etwa 700.000 muslimischen Schüler in Deutschland gibt
sung aufgenommen wurde, relativiert sich das Karlsruher Urteil, es nach wie vor keine einheitlichen Bestimmungen, wenn es um
und somit ist das rituelle Schächten keineswegs in den deutschen islamischen Religionsunterricht geht. Auch hier ist eines der
Schlachthofalltag eingezogen. Bis heute ist das rituelle Schlach- Hauptprobleme die uneinheitlich organisierten Strukturen der in
ten von Tieren sehr umstritten. Tierschützer sehen darin ebenso Deutschland lebenden Muslime und die Tatsache, dass der Islam
innerhalb seiner Glaubensgemeinschaften zu zerstritten ist, als
eine Tierquälerei wie in der traditionellen deutschen Methode.
dass man einen einzigen Ansprechpartner finden könnte, mit dem
man gemeinsam die Inhalte für einen regulären islamischen Religionsunterricht festlegen könnte, denn Religionsunterricht ist SaBestattungen im Islam
che der Kirchen oder Religionsgesellschaften.
Wenn ein Muslim stirbt, wird sein Leichnam nach islamischer
Tradition durch einen Muslim gleichen Geschlechts gewaschen Wenn es zu einem islamischen Religionsunterricht in Deutschund von Kopf bis Fuß in weiße Baumwolltücher gewickelt – Frau- land kommt, gibt es einige Punkte, über deren Beachtung von
en in fünf, Männer in drei Tücher. Der Imam verliest das Toten- deutscher Seite aus Einigkeit herrscht: der Unterricht muss in
gebet (dies ist eine Gemeinschaftspflicht der Männer), woraufhin deutscher Sprache erfolgen, die Lehrer sollen nach deutschen
die männlichen Angehörigen den Trauerzug möglichst schnell zur Standards ausgebildet werden, die Lehrinhalte müssen mit dem
Grabstätte geleiten, um den Verstorbenen der Erde zu überge- Grundgesetz in Einklang stehen und der Religionsunterricht darf
ben. Man wirft dreimal Staub auf den Toten. Das Grab soll auf nicht den Maßstäben einer einzigen islamischen Glaubensricheinem muslimischen Friedhof oder einem ausgewiesenen Areal tung entsprechen, sondern muss vielmehr universell für alle Musliegen. Der Leichnam wird so gebettet, dass er, auf der rechten lime in Deutschland gestaltet sein.
1. Aas, also Fleisch von Tieren, die schon vor der Schlachtung
verendet waren, 2. Blut (in ausgeflossener Form oder in unausgeblutetem Fleisch), 3. Schweinefleisch und 4. Fleisch, über dem
ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist, das also Götzen geopfert worden ist (Sure 2,173; 5,3; 6,145; 16,115).
26
Der Nachbar Österreich hat es bereits geschafft, hier einheitliche
Standards zu schaffen. Die Lehrer werden im eigenen Land ausgebildet, was eine gewisse staatliche Kontrolle ermöglicht. Jedoch gibt es von islamischer Seite dort einen einzigen Ansprechpartner, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), während in Deutschland zahlreiche Organisationen und
Verbände die Muslime repräsentieren.
Bisher gibt es in Deutschland lediglich Modellversuche, die über
die „islamische Unterweisung“ in Türkisch, Arabisch und Bosnisch religiöses Wissen über den Islam vermitteln, jedoch ausdrücklich nicht den Glauben verkünden oder dazu erziehen sollen. An der Universität im nordrhein-westfälischen Münster werden seit dem Herbst 2002 Lehrer für Islamkunde ausgebildet.
Außerdem soll die Universität einen Lehrstuhl für Islamische
Theologie erhalten. Ein günstiger Aspekt dieser Ausbildung ist,
dass es in Zukunft möglich sein wird, Kenntnisse über den Islam
unter staatlicher Kontrolle in deutsche Schulen zu bringen und
somit verhindert werden kann, dass islamisch-fundamentalistische Inhalte vermittelt werden können. In NordrheinWestfalen wird seit 1999 an mehreren Schulen Islamkunde als
freiwilliges Fach in deutscher Sprache angeboten. Unterrichtsinhalte sind Geschichte, Ethik und Religion des Islam. Ziel der Regierung in Nordrhein-Westfalen ist es, den islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache als reguläres Schulfach einzuführen.
bei der Untersuchung oder die Behandlung einer Frau durch einen männlichen Arzt oder männlichen Pfleger, können die
Schamgefühle von Muslimen verletzen.
Medikamente mit Alkohol, die hierzulande ohne weiteres verordnet werden, kommen für einen Muslimen nicht in Frage. Herzklappen und gelatinehaltige Produkte sind tabu. Besonders
schwierig ist eine Therapie während des Fastenmonats Ramadân. Während dieser Zeit sind nach islamischem Recht Injektionen, Infusionen, künstliche Ernährung und Nasen- oder Ohrentropfen nicht gestattet, was den Genesungsprozess eines Patienten beeinträchtigen kann.
Das muslimische Verständnis von Kranksein ist ein anderes als
das unserer westlichen Kultur. Krankheit wird als Prüfung Gottes
empfunden, welche helfen soll, den Glauben zu festigen. Außerdem sieht ein Muslim den Körper als von Gott geliehen. In islamischen Ländern wird ein Gebrechen erst als echte Krankheit angesehen, wenn es Schmerzen bereitet. Daher meiden viele Muslime in Deutschland Impfungen, routinemäßige Kinderuntersuchungen oder Vorsorgeuntersuchungen wie etwa beim Frauenarzt, Urologen oder Zahnarzt. Für viele Ärzte mag es befremdlich
sein, wenn Muslime Rat bei einem Imam suchen, um den Konflikt
zwischen der Wahrung der Gesundheit und den islamischen
Pflichten zu bewältigen. Wenn der Imam sich nach dem Gesundheitszustand des Patienten beim Facharzt erkundigt, was für
Muslime nichts Außergewöhnliches ist, kollidiert dies mit der ärztIn Bayern wird derzeit in einem Pilotprojekt an einigen bayrischen lichen Schweigepflicht.
Grundschulen erstmals islamischer Religionsunterricht angeboten. Die Unterrichtsrichtlinien für den auf Deutsch stattfindenden
islamischen Religionsunterricht wurden vom bayerischen Kultus- Alternde Muslime
ministerium und dem türkischen Schulministerium festgelegt. Gerade hierin sehen Kritiker Probleme: Es sei unverantwortlich, Viele Muslime in Deutschland gehören der Einwanderergeneratidass Institutionen aus anderen Ländern ein Mitspracherecht bei on an, die zwischen 1963 und 1970 als Gastarbeiter nach
der Lehrplangestaltung eingeräumt werde, da diese Lehrinhalte Deutschland kamen. Fast 700.000 Einwanderer, darunter rund
erzkonservativen Werten entsprächen.
200.000 Türken, werden in diesem Jahrzehnt ihren 60. GeburtsDiese Kritiker fordern einen „deutschen Islam“, der modern und
deutschen Verhältnissen entsprechend ist. Des weiteren verlangen sie eine länderübergreifende Regelung, die es ermöglicht,
Mitglieder der verschiedenen Gruppierungen in die Lehrplangestaltung mit einzubeziehen. Gesellschaftlich ist der islamische
Religionsunterricht unter Schirmherrschaft einer muslimischen
Zentralinstanz und einer Staatsinstanz von Wichtigkeit, weil der
jungen muslimischen Generation in Deutschland so die Möglichkeit gegeben werden kann, einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Außerdem könnte man jungen Muslimen so das Finden einer eigenen religiösen Identität ermöglichen, um eigenverantwortlich am Gestaltungsprozess der Gesellschaft, in der sie leben, teilzunehmen. Der Spagat zwischen traditioneller islamischer Erziehung und dem westlichen Lebensstil in Deutschland
könnte dieser Generation leichter fallen.
Medizin und Ärzte
Wenn Muslime in Deutschland krank werden, können sie auf eine
Fülle von Unannehmlichkeiten stoßen. Da sind einerseits
Sprachprobleme, die es vielen Muslimen schwer machen, einem
Arzt mitzuteilen, welches gesundheitliche Problem sie haben. Es
kommen aber auch kulturelle Schwierigkeiten hinzu. Viele Dinge,
die für einen deutschen Patienten völlig selbstverständlich sind,
wie zum Beispiel der Handschlag zur Begrüßung, das Entkleiden
27
tag feiern. Deshalb rechnen Experten mit einem ansteigenden
Bedarf an Alten- und Pflegeheimplätzen, um die älter werdenden
Muslime betreuen zu können. Kritiker wenden ein, dass in muslimischen Familien die Alten traditionell von den jüngeren Familienmitgliedern betreut werden. Doch der türkische Vizekonsul in
Düsseldorf geht davon aus, dass die gewohnten Gefüge schon
lange zusammengebrochen sind.
Der größte Anteil der ehemaligen Gastarbeiter hatte ursprünglich
geplant, in die Heimat zurückzukehren. Dass dies nicht geschehen ist, bedeutet für viele von ihnen, dass sich ihre Lebensträume
nicht erfüllt haben. Förderer von Alten- und Pflegeheimen, die
Muslime integrieren wollen, halten es für sinnvoll, den Muslimen
Zugeständnisse zu machen, wenn es darum geht, wie sie ihren
Lebensabend verbringen sollen. Sie sollen ihre Muttersprache, ihr
Essen, ihre Tradition und ihre Religion nicht aufgeben müssen.
Dies setzt voraus, dass die Heime spezielle Einrichtungen für
Gebetszeiten sowie die dazugehörigen Waschungen anbieten
oder dass in den Küchen darauf geachtet wird, was nach islamischer Tradition gegessen wird und was nicht. Dazu gehört auch,
dass ein strenggläubiger Muslim nichts von einem Teller essen
wird, auf dem einmal ein Stück Schwein lag. Mitarbeiter müssten
speziell diesen Bedürfnissen entsprechend geschult werden. Hinzu kommt beispielsweise auch der Umgang zwischen den Geschlechtern. Strenggläubige Musliminnen werden sich nicht von
Männern pflegen lassen wollen. Dazu muss in der Organisation
und Pflegepraxis der Heime vieles verändert werden.
Islamische Feste
Während für alle Einwohner Deutschlands – einschließlich der
Nicht-Christen – die hohen christlichen Feste offizielle Feiertage
sind, haben die Muslime hierzulande kein Anrecht auf Freistellung von der Arbeit anlässlich ihrer eigenen religiösen Feiern.
Insbesondere gilt dies für das Fest des Fastenbrechens (iftar) am
Ende des heiligen Monats Ramadân und für das Opferfest zur
Zeit der Pilgerfahrt. Beides sind mehrtägige Feste. Das Problem
dieser zeitlich „wandernden“ islamischen Feste ist bei uns noch
ungelöst. Muslimische Kinder bekommen z. B. in Hessen und
auch in Bayern auf Antrag schulfrei, Erwachsene mitunter bezahlten Urlaub; doch lassen sich solche Sonderregelungen z. B.
in Fabriken mit vielen muslimischen Mitarbeitern nur begrenzt
praktizieren.
Haft und Strafvollzug
Die Anzahl muslimischer Inhaftierter in Deutschland ist aus einer
Reihe von Gründen überproportional groß. So gehörten etwa im
Jahr 2001 in Baden-Württemberg – bei steigender Tendenz – 21
Prozent der Insassen von Justizvollzugsanstalten muslimischen
Glaubensgemeinschaften an. Viele von ihnen sind Ausländer in
Untersuchungshaft, Menschen in der Fremde, die plötzlich hilflos
einer fremden Behörde ausgeliefert sind. Dem Betreuungspersonal gelingt es aufgrund von Sprachschwierigkeiten auch bei gutem Willen kaum, sich mit den Inhaftierten angemessen zu verständigen. Diese ihrerseits zögern – auch aus Angst falsch verstanden zu werden – sich über ihre Bedürfnisse und Gefühle zu
äußern. Somit leben sie sozusagen in „doppelter Isolation“, weil
die traditionell starken familiären Bindungen oft nicht mehr greifen
und die Schande oft nicht zu ertragen ist. Die Angst, abgeschoben zu werden, ist eine zusätzliche Belastung.
Viele Muslime, Männer wie Frauen, empfinden das Ertragen der
Haftsituation in den ersten Tagen nach der Inhaftierung als besonders schwer. Sie erleben es als noch demütigender und
schwerer als andere Gefangene, wenn sie umgekleidet werden
und ihnen die Privatsachen genommen werden. Das negativ Erfahrene führen sie leicht auf antiislamische Ressentiments der
Beamten zurück. Die angestauten Aggressionen sind, wenn sie
sich entladen, meist sehr massiv. Christlich-seelsorgerliche Bemühungen um islamische Gefängnisinsassen werden oft als Missionierungsversuche missverstanden. Muslimische Eigeninitiative
gibt es jedoch nur ganz sporadisch. Mittlerweile kommen die Justizvollzugsanstalten muslimischen Inhaftierten in ihren religiösen
Bedürfnissen wenigstens beim Befolgen der wichtigsten Glaubensvorschriften entgegen.
Theorie und Praxis im Islam
Alle großen religiösen und ideologischen Bewegungen – besonders jene, die, inspiriert von heiligen Schriften, versuchen, diese
zu verstehen und nach ihnen zu leben – vereinen zwei Ebenen in
sich: auf der einen Seite die Ebene der Reflexion, der Theorie,
und auf der anderen Seite die des Handelns und der Praxis. Dies
gilt für jüdische, christliche und muslimische Bewegungen durch
die Jahrhunderte ihrer Geschichte hindurch. Beide Strömungen
ergänzen einander und beherrschen die Diskussion.
Das gegenwärtig in Europa vorherrschende Orientbild wird stark
vom Nahost-Konflikt und den daraus folgenden politischen Entwicklungen beeinflusst. Durch den so heraufbeschworenen politischen jüdisch-islamischen Antagonismus werden andere wichtige
Elemente dieses Bildes verdrängt. In Wirklichkeit aber ist der Orient ethnisch und religiös vielfältiger, als er in einem so polarisierten Bild erscheint. Die in ihrer Ursprungsregion koexistierenden
Religionsgemeinschaften befinden sich in einem langen Prozess
von Austausch und gegenseitiger Beeinflussung, dessen kulturelle Dimensionen deutlich spürbar sind. Theologisch behält der
andere zwar sein Anderssein, er ist jedoch nicht der Fremde,
sondern der andere, mit dem man vertraut ist. Diese Einstellung
prägt insbesondere die Haltung des orientalischen Christentums
zum Islam. Spätestens seit dem neunten Jahrhundert ist die arabische Sprache auch die Sprache der christlichen Liturgie und
Theologie. Man verwendet in Gebet und Theologie dieselben Begriffe wie die Muslime. Arabische Angehörige beider Religionen
nennen Gott Allah. Sie drücken ihren Glauben mit den gleichen
Worten aus.
Der Orient ist heterogen. Seine Heterogenität prägt Alltagsleben
und Kultur, aber auch den religiösen Bereich. Die dort vorhandene Vielfalt von Religionen und Kulturen führt unvermeidlich dazu,
dass die Einzelsphären im Laufe der langen Geschichte ihrer Ko28
existenz in ein Verhältnis zueinander treten. Dementsprechend
lässt sich in verschiedenen Kulturbereichen sowie auf der Alltagebene beobachten, dass religiöse Gehalte unterschiedlichen
Ursprungs ineinander übergehen und bei Angehörigen anderer
Religionsgemeinschaften Geltung gewinnen. Insofern erscheint
der geläufige Vergleich dieser Vielfalt mit einem Mosaikbild als
nicht angemessen. Anders als in einem Mosaik sind es hier keine
Steine, die starr nebeneinander gesetzt werden und sich deshalb
nur in äußerlicher Berührung befinden. Es sind vielmehr Menschen unterschiedlicher religiöser Hintergründe, die zusammenleben und miteinander kommunizieren. Die alltägliche Kommunikation bringt Austauschstrukturen zustande, die kulturelle Formen
gemischter religiöser Färbung produzieren. In Literatur, bildender
und darstellender Kunst tritt dies deutlich zutage. So sehen moderne muslimische Dichter im Leiden des gekreuzigten Christus
den Inbegriff menschlichen Leidens und beziehen es auf die Situation ihrer Völker – obwohl der Koran eindeutig verneint, dass
Jesus am Kreuz starb. Im Geiste der Vielfalt gehört auch der Davidsstern zu den Abbildungen im Palast eines Drusenherrschers
ebenso wie islamische Motive an den Häusern christlicher Familien.
Es spricht viel dafür, dass der Islam in der westlichen Gesellschaft als Projektionsfläche für eine dunkle Seite der Religion
dient, die es, obgleich in unterschiedlichen Formen, auch in der
christlichen und in anderen Religionen gibt. Man will sie aber in
der eigenen Religion jeweils nicht wahrhaben. Aus diesem Grund
fällt es schwer, dem Islam positive Seiten abzugewinnen und ihn
in seiner kulturprägenden Wirkungsmacht zu würdigen, die kaum
weniger Menschen geprägt hat als das Christentum. Religion ist
aber letztlich nichts anderes als das, was ihre Anhänger aus ihr
machen. Die Debatte um Friedfertigkeit und Gewalt spielt in vielen Religionen eine zentrale Rolle.
Dabei gibt es starke Verdrängungsmechanismen. Um das Friedensideal der eigenen Religion
hochhalten zu können, wird die
Gewaltseite jeweils der anderen
zugeschoben. So wurde etwa die
Wortverbindung „Heiliger Krieg“,
die heute jeder mit dem Islam
verbindet, nicht von Muslimen,
sondern von den christlichen
Ideologen der Kreuzzüge geprägt.
Es war Papst Urban II., der am 27.
November 1095 in Clermont mit
seinem Befehl zum „Heiligen Krieg
im Heiligen Land“ die Geburtsstunde der Kreuzzüge einleitete.18
Erst 1187, als Reaktion darauf,
finden sich Quellen, die den
„Heiligen Krieg“ in Verbindung mit dem Islam bringen, als nämlich
der islamische Feldherr Saladin während der Befreiungskämpfe
um Jerusalem einen „Heiligen Krieg“ ausrief. Doch auch dieser
islamische „Heilige Krieg“ war noch ein Verteidigungskampf der
Muslime zum Schutz der „Umma“, der islamischen Gemeinde,
gegen die Kreuzritter. Das Problem ist also grundsätzlicherer Art.
Das Prinzip der Täuschung „taqiya“
im Feindesland
Aufgrund einer muslimischen Besonderheit kommt es immer wieder zu der Frage: Kann man den Aussagen von Muslimen trauen? Genauso wie im Christentum ist es im Islam verboten zu lügen. Trotzdem lügen natürlich Christen wie Muslime bei allen
möglichen Gelegenheiten; sie sind nun einmal Menschen. Dennoch haben die Orientalen unter bestimmten Umständen ein anderes „Wahrheitsverständnis“ als wir Westler. Zwei völlig unterschiedliche Aspekte führen zu dieser Einschätzung: Der erste
Aspekt ist kultureller, der zweite religiöser Art. Peter Heine hat in
seinem Buch „Kulturknigge für Nichtmuslime“ ein Kapitel überschrieben mit „Was ist Wahrheit?“ und darin sehr anschaulich
sowohl die Höflichkeit der Orientalen beschrieben als auch deren
„andere Realitätssicht“. Orientalen wollen beispielsweise einem
Gast keinen Wunsch abschlagen, auch wenn er unerfüllbar oder
gar peinlich ist.
Doch es gibt über die kulturelle Besonderheit hinaus auch eine
religiös bedingte Ausnahmesituation, die einen Muslim geradezu
verpflichtet, unter ganz bestimmten Lebensumständen nicht die
Wahrheit zu sagen, sondern „taqiya“ zu üben. Dieser Begriff lässt
sich kaum ins Deutsche übersetzen. Der Islam-Experte Heinz
Halm hat ihn zunächst mit „Vorsicht“ später jedoch mit „Verstellung“ wieder gegeben. Bassam Tibi verwendet den Ausdruck
18 „Der Soldat Christi, sage ich, tötet unbekümmert, noch sicherer stirbt er. Wenn
er stirbt und wenn er tötet, überstellt er sich Christus. Denn nicht ohne Grund trägt
er das Schwert: Er steht im Dienst Gottes, um den zu bestrafen, der Böses tut.“
So lesen wir in einem der Predigttexte Bernhards von Clairvaux, einem charismatischen Mystiker, der im Gedächtnis der Nachwelt als Heiliger, aber auch als
namhafter Ideologe eines überaus aggressiven Kreuzzugsfanatismus weiterlebt.
„Wenn der Soldat Christi den Übeltäter erschlägt, ist er gewiss kein Menschentöter, sondern ein Übeltäter.... Durch den Tod des Heiden wird der Christ verherrlicht. Die sind keine Mörder, die mit Eifer gegen die Feinde der Kirche kämpfen.“
Vgl. Hartmut Sippel, Die Templer. Geschichte und Geheimnis, Wien 1996, S. 58
und 60
29
„Täuschung der Ungläubigen“. Hans-Peter Raddatz beschreibt
„taqiya“ als „die islamische Praxis, die Glaubensverleugnung als
Nutzenkalkül und pragmatisches Alternativkonzept zum Märtyrertum betreibt“. „Taqiya“ bedeutet, dass ein Muslim seine religiöse Identität oder seine wahren Absichten im Fall einer Bedrohung
zu verschweigen hat. Für die Schiiten ist „taqiya“ vor allem dann
geboten, wenn das eigene Leben oder das eines anderen Schiiten in Gefahr ist, aber auch, wenn sein Eigentum oder das Eigentum eines anderen Schiiten gefährdet ist. Obgleich „taqiya“
nur für Schiiten obligatorisch ist und die Sunniten die Schiiten
deshalb immer wieder wegen ihrer „Falschheit“ anprangern, wird
sie auch bei den Sunniten angewandt. Im nicht-muslimischen
Umfeld ist eine solche Haltung also auch Sunniten nicht verboten
und gegebenenfalls sogar religiös legitimiert, für die Schiiten aber
ist sie religiöse Pflicht. Für den Dialog mit dem Islam bedeutet
diese Doppelbödigkeit eines der Hauptprobleme. Gegenüber den
Deutschen und in deutscher Sprache betont man unablässig auf
dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und den Dialog zu
wollen. Gegenüber Muslimen, etwa Türken, und in türkischer
oder arabischer Sprache überwiegen Hetzparolen gegen die
deutsche Demokratie, den Pluralismus und die angeblich „sittlich
verrottete“ deutsche Gesellschaft.
Islamkritik in Deutschland
Der Islam weckt Emotionen. Spätestens seit der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini und die Mullahs 1979 im Iran
gewaltsam die Macht übernommen und 1989 eine Todes-Fatwa
gegen den Schriftsteller Salman Rushdie verhängt haben. Denn
mit dem Erstarken radikal-islamistischer Strömungen keimen
auch in Europa vielerorts Ängste, ob diese totalitäre Bewegung
oder gar der Islam selbst zu einer Gefahr für den Westen werden
könnte. Das Unbehagen wurde durch die Herrschaft der Taliban
in Afghanistan und die Terroranschläge vom 11. September 2001
nicht weniger. Es besteht die Gefahr, dass Vertreter eines fundamentalistischen Islam und die von ihnen vertretene Auslegung
des islamischen Glaubens verabsolutiert und als der Islam
schlechthin angesehen werden. Bei der Bekämpfung des muslimischen Extremismus steht die deutsche Gesellschaft an einer
Wegmarke. Sie muss sich zwischen Abgrenzung und Offenheit,
Naivität und Auseinandersetzung mit islamistischen Tendenzen
entscheiden, muss deutliche Grenzen setzen gegenüber all denen, die die Rechte anderer einschränken wollen.
Leider hat sich die Gesellschaft, anders als bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, bei der Beschäftigung mit
islamistischen Organisationen, religiösem Fundamentalismus und
den entsprechenden Funktionären noch nicht auf gemeinsame
Grundlagen einigen können. Auch wenn Rechtsextremismus und
Islamismus nicht gleichgesetzt werden können, da die einen ihre
Ungleichheitsideologien völkisch, die anderen hingegen religiös
begründen, die einen sich auf das Blut, die anderen auf den
Glauben berufen, gibt es Parallelen in der Ablehnung universeller
Werte: Beide sind totalitäre Ideologien. Umso verwunderlicher ist
es daher, dass bei den Reaktionen auf sie unterschiedliche Standards gelten.
Es ist nicht zu leugnen, dass sowohl gewisse Aussagen des Propheten wie auch bestimmte Stellen im Koran eindeutig im Widerspruch zu den Grundsätzen der Menschenrechte stehen. So verweigert bsp. Saudi-Arabien als einer von acht Staaten die Unterzeichnung der „Allgemeinen Menschenrechtserklärung“ der Vereinten Nationen, und zwar insbesondere wegen Artikel 18, der
die Freiheit des Religionswechsels als Teil der Religionsfreiheit
vorsieht. Dies ist jedoch nicht das Entscheidende. Das Hauptproblem liegt darin, dass nach Auffassung der Islamisten nicht die
Individuen im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern Gott
und der Glaube. Dementsprechend richtet sich die Aufmerksamkeit der Gelehrten nicht auf die Rechte und Freiheiten der Menschen, sondern auf die Pflichten, die Gläubige Gott gegenüber zu
erfüllen haben. Damit wird der Glaube von ihnen auf einen Gesetzesdogmatismus verengt und die Einhaltung von Vorschriften
und Erfüllung von Pflichten über die geistige und spirituelle Substanz der Religion gestellt. Dass dieses Problem nicht nur in einem konservativen Islam auftaucht, wissen wir aus der Bibel, wo
die Haltung der Pharisäer der Haltung Jesu gegenübersteht.
Angesichts der Menschenrechte und des Grundgesetzes ergeben
sich schwerwiegende Probleme für die Integration traditioneller
Muslime in einen modernen demokratischen Staat. Die Ungleichheit der Menschen spiegelt sich nicht nur bei der fehlenden
Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch in anderen Bereichen der islamischen Gesellschaft wider. So genießen Geistliche
gewisse Privilegien, nach der strikten schiitischen Auslegung
bleibt ihnen sogar die Führung des Staates vorbehalten. Auch
bezüglich der Meinungsäußerung verordnet der traditionelle Islam
starke Einschränkungen, die dem in der Konvention der Menschenrechte verankerten Recht auf freie Meinungsäußerung
konträr entgegenstehen. Einem Muslim ist es nicht gestattet, die
Grundsätze der eigenen Religion in Frage zu stellen oder gar zu
einer andere Religion überzutreten. Ein solches Vergehen wird
mit dem Tode bestraft. Allerdings lässt sich das aus dem Koran
nicht unmittelbar ableiten. Eine deutlichere Sprache sprechen
hier die Aussprüche des Propheten: „Tötet jeden, der seine Religion wechselt“, oder: „Wer sich von euch abwendet, soll sterben.“
Und: „Das Blut eines Muslim darf nur bei Apostasie, Unzucht und
vorsätzlicher Tötung vergossen werden.“ In einem islamischen
Staat, der von Islamisten regiert wird, sind Menschenrechte wie
Freiheit der Meinungsäußerung, der Schrift, der Wahl des Glaubens praktisch außer Kraft gesetzt.
und Männermacht – mit dem eigentlichen islamischen Glauben
hat es nur noch wenig zu tun. Es geht vor allem um den Einfluss
extrem ausgerichtete Muslime – vor allem aus Saudi-Arabien,
dem Land der Wahabiten.
Wie können die Reformer innerhalb der islamischen Welt, die für
die Einhaltung der Menschenrechte eintreten, sich gegen die
konservative, islamistische Sichtweise zur Wehr setzen bzw. wie
sollen sie mit dem Koran und den Hadithen verfahren, um den
Islam mit den Menschenrechten und modernen Auffassungen
von Politik und Gesellschaft in Einklang zu bringen?
Bisherige Versuche, die betreffenden Passagen im Koran als sekundär zu betrachten oder sie forciert so zu interpretieren, dass
der Widerspruch zu den Menschenrechten, wenn auch nur
scheinbar, aufgehoben wird, sind abzulehnen. Die Lösung liegt
auch nicht darin, dass man Strafmassnahmen wie Steinigen oder
Abhacken von Händen aussetzt oder Frauen gegenüber gewisse
rechtliche Zugeständnisse macht. Dies alles ist nichts als Synkretismus19. Bei den notwendigen Reformen geht es nicht um Einzelfragen, sondern um die gründliche Auseinandersetzung zwischen zwei unversöhnlichen Sichtweisen, zwischen einer modernen, an den Menschenrechten orientierten und einer traditionellen Auffassung von Islam, Individuum und Glauben.
Die Lehre des Islam umfasst im Grunde vier Bereiche, den Bereich des Glaubens, den Bereich der Moral, den Bereich des Gebets und schließlich den Bereich der Anweisungen und Bestimmungen, die das Individualrecht, Handelsrecht, Strafrecht und
dergleichen betreffen. Diese Bereiche, vor allem Glauben und
Moral, sind natürlich eng verflochten, doch weisen mehr als 98
Prozent der Verse des Korans keinen Widerspruch zu den Menschenrechten auf. Unter den restlichen zwei Prozent, die vor allem den vierten Bereich betreffen, gibt es jedoch Bestimmungen
und Gesetze, die an eine historische Epoche oder einen bestimmten kulturellen Raum, also an der Veränderung unterworfene Umstände, gebunden sind. Das im Islam vorgesehene Recht,
die Verse des Korans und die Hadithe zu interpretieren und neue
Anweisungen zu erteilen, was mit dem Begriff „Idjtihad“ umschrieben wird, dient gerade dazu, zwischen dem ewig Gültigen
und dem sich ständig Verändernden zu unterscheiden. Hier muss
ein ernsthafter Reformversuch ansetzen, mit dem Ziel, die Vorschriften überall dort, wo sie im Widerspruch zu den Menschenrechten stehen, durch neue Regelungen zu ersetzen. Das betrifft
auch Vorschriften, die im Koran stehen bzw. vom Propheten aus
Sicht der damaligen geschichtlichen Situation überliefert sind. Nur
so lässt sich die Religion lebendig erhalten und den Erfordernissen der Zeit anpassen.
Allzu oft tappt der Westen in die Kultur-Falle: Statt klar auf der
Einhaltung universeller Menschenrechte für Männer, Frauen und
Kinder zu bestehen, wird Verständnis auch noch für die spitzfindigsten Vorschriften gezeigt – etwa für die so genannte „KamelFatwa“, wonach eine Frau nur 81 Kilometer unbegleitet reisen
darf – so weit, wie eine Kamelkarawane in 24 Stunden zurücklegt. Auch Muslimen dürfen die allgemeinen Menschenrechte
nicht vorenthalten werden. Wir müssen uns überall an den interAngeblich verlangt Allah Strafen wie das Abhacken der Hand bei nationalen Standards orientieren und dürfen die Menschenrechte
Dieben, das Töten von Homosexuellen oder die Frauenbeschnei- für islamische Länder nicht auf einem niedrigeren Level neu defidung in muslimischen Ländern Afrikas. All das wollen angeblich nieren.
der Koran und das islamische Rechtssystem, die Scharia. Doch
das, was viele islamische Schriftgelehrte als unumstößliche
Glaubenssätze ausgeben, ist oft nur eine Mischung aus Tradition 19 Vermischung verschiedener Religionen, Konfessionen oder philosophischer
Lehren, meist ohne innere Einheit
30
Maßstab muss weltweit die UN-Charta sein! Das, was in
Deutschland derzeit in der Debatte um das Kopftuch deutlich
wird, ist der weltweite Kampf um die Auslegung des Islam. Von
Malaysia bis Saudi-Arabien, von Tunesien bis in den Iran kämpfen liberale gegen konservative Muslime. In Zukunft verläuft die
Kluft nicht mehr zwischen dem Westen und der islamischen Welt,
sondern innerhalb des Islam – soweit klafft die Auslegung des
gemeinsamen Glaubens bereits auseinander. In gewisser Hinsicht muss die muslimische Welt in möglichst kurzer Zeit einen
Entwicklungsprozess vollziehen, für den die christlich-westliche
Welt seit der Aufklärung Zeit hatte.
Der Vorwurf, Deutschland und seine Bürger pflegten ein „Feindbild“ Islam, kann daher auch ein ideologisches Konstrukt sein,
das in erster Linie den Interessen islamistischer Verbände und
Gruppierung zuarbeitet. Denn ist der Konsens erst einmal hergestellt, die Islamfeindlichkeit sei das eigentlich dringliche Problem,
dann stellen sich andere, unbequeme Fragen zum Beispiel nach
der demokratischen Struktur muslimischer Verbände, deren Verhältnis zum Grundgesetz und zu der universellen Gültigkeit von
Menschenrechten erst gar nicht. Tatsächlich bestimmen islamistische Gruppen seit Jahren, was in Deutschland im Kontext mit
dem Thema Islam diskutiert wird und was nicht. Der Dialog wird
also teilweise mit Islamisten geführt (z. B. „Zentralrat der Muslime“ oder „Islamrat“), die für die in Deutschland lebenden Muslime
nicht repräsentativ sind, da sie nur 3 bis 5 Prozent der Muslime in
Deutschland vertreten. So beklagt Johannes Kandel, im interreligiösen Dialog gäbe es eine ganze Reihe von Themen, die unerledigt bleiben: Menschenrechte, Religionsfreiheit, die Trennung
von Staat und Religion, Frauen, koranische Hermeneutik und
eben die These vom „Feindbild Islam“.20
Anders als beim Rechtsextremismus wird bei Gruppen des politischen Islam seit Jahren der Diskurs mit den Verbandsfunktionären gesucht, die Basis hingegen weitgehend ignoriert. Das Fehlen von Standards im Dialog mit dem Islam ist Ergebnis der Tabus, die sich die Öffentlichkeit bei diesem Thema auferlegt. In der
Vergangenheit wurden Religionswissenschaftler/innen, die über
das schillernde Universum des politischen Islam aufklären wollten, in den Debatten marginalisiert. Bereits das öffentlich formulierte Erkenntnisinteresse geriet in den Verdacht, Islamfeindlichkeit zu befördern. Und Versuche, die Instrumentarien der Rechtsextremismusforschung auf das Untersuchungsfeld Islamismus
anzuwenden, wurden jahrelang bekämpft.
Es gibt durchaus beunruhigende Anzeichen dafür, dass radikale
Islamisten auf Medien und Wissenschaftler Druck ausüben, der
über die Grenzen legitimer Interessenwahrnehmung hinausgeht
und der mittlerweile mancherorts erhebliche Verunsicherung ausgelöst hat. Wie soll man sich sonst erklären, dass der Autor der
historisch-philologischen Studie „Die syro-aramäische Lesart des
Korans. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache“ es
vorzog, nicht unter seinem Namen, sondern nur unter dem
Pseudonym Christoph Luxenberg zu publizieren.21 Er diskutiert
darin die Frage, ob der Koran wirklich ganz auf den Propheten
Mohammed zurückzuführen ist, und zeigt das Fortwirken christlich-jüdischer Traditionen im Offenbarungstext der Muslime auf –
gewiss eine Provokation für die Orthodoxie.
Die Folgen der Versäumnisse sind dramatisch: Die Öffentlichkeit
weiß heute viel zu wenig über Inhalte, Struktur, Organisation und
Differenzen innerhalb des politischen Islam, seine Nähe, Distanz
und Abgrenzung zum Terrorismus. Ein idealer Nährboden für
Ängste und Vorurteile. Nur wenn es gelingt, in der deutschen GeWer den Islamismus bekämpfen will, muss den Islamismus be- sellschaft die friedensstiftenden und gemäßigten Kräfte im Islam
kämpfen. Es dürfen dann nicht über arbeits- und vereinsrechtli- zu aktivieren, gibt es Hoffnung auf eine Lösung der Probleme.
che Spitzfindigkeiten Scheingefechte geführt werden. Denn bislang können sich islamistische Organisationen bei uns recht un- Dabei gilt es zu differenzieren zwischen dem Islam als religiösem
gestört entfalten, so lange sie nicht gravierende „Fehler“, bsp. ei- Glauben und dem Islamismus als politischer Ordnungsvorstelnen Mord begehen, wie die Kaplan-Gruppe. Auch die Kopftuch- lung; es ist ferner notwendig, innerhalb des Islamismus zu unterfrage muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Hier scheiden zwischen friedlichen und gewaltbereiten Islamisten. Die
wurden enorme Informationsdefizite über den Islamismus und Ersteren lehnen Gewalt ab, sind dazu bereit, in demokratischen
seine undemokratischen Existenzbedingungen zutage gefördert. Institutionen zu arbeiten, jedoch mit dem langfristigen Ziel im
Hinterkopf, ihren undemokratischen Staat mit friedlichen Mitteln
Es kommt darauf an, was in den Köpfen der Lehrerinnen vorgeht durchzusetzen. Die gewaltbereiten Islamisten bekennen sich zum
und nicht vordergründig auf deren Bedeckung. Im Falle des Dschihad in der neuen Bedeutung von irregulärem Krieg, also
Kopftuches (was ist das eigentlich?) wird aber teilweise sicher dem Terrorismus, um ihre Ordnungsvorstellungen voranzutreiberechtigt befürchtet, dass es als Symbol des Islamismus benutzt ben.
werden könnte, und somit einen Hinweis auf die Einstellung der
Frauen gibt, die es tragen. Wenn das Kopftuch in Deutschland als
„Signal der Religionsfreiheit“ gilt, als Freiheit für eine „Religion“
also, die selbst die Religionsfreiheit gewaltsam verhindert und 21 Luxenberg stellt in seinem im Jahr 2000 in Berlin erschienen Werk die These
das Rechtssystem, das ihr die Freiheit dazu einräumt, bekämpfen auf, dass der Koran an vielen Stellen von den arabischen Kommentartoren fehlgelesen und missdeutet wurde. Viele dunkle Stellen, die in über 1000 Jahren der
muss, ist das ein Zeichen umfassender Inkompetenz. Die simple Arbeit am heiligen Text selbst für arabische „native speakers“ rätselhaft blieben,
Schlussfolgerung jedoch: Kopftuch ist gleich Islamistin, ist reali- kann er erhellen. Der Clou seiner Arbeit: Der Text des Korans zeigt sich in ungetätsfremd. Nicht jeder Islamist trägt ein Kopftuch. Allein deswe- ahntem Maße von syrisch-christlichen Elementen durchwebt. Einige Neudeutungen, weil die meisten Islamisten in entscheidenden Positionen gen Luxenbergs haben auch für den Laien sofort erkennbare ungeheure Brisanz.
So klärt er zum Beispiel das Rätsel der Paradiesjungfrauen auf, der „großäugigen
Männer sind. Auch bei der Suche nach Islamisten sollten Frauen Huris“, die vermeintlich auf die Gottesfürchtigen im Paradies warten. Über die
nicht benachteiligt werden. Schließlich gibt es durchaus Frauen, Sinnlichkeit der jenseitigen Männerfantasien haben sich schon seit je die Komdie ein Kopftuch aus rein religiösen Gründen tragen. Pauschale mentatoren gewundert. Keine Religion des vorderasiatischen Raumes wusste
ihren Gläubigen Derartiges zu versprechen, wie es etwa die Suren 44 und 52 tun.
Diffamierung führen hier zu ungewollten Solidaritätseffekten.
20 vgl. Johannes Kandel, Lieber „blauäugig“ als blind? Anmerkungen zum „Dialog“ mit dem Islam, in: Integrieren statt ignorieren, Broschüre zur Woche der ausländischen Mitbürger, Frankfurt am Main 2003, S. 29
31
Für die christliche Polemik gegen den Islam waren die entsprechenden Stellen
immer willkommen. Nach Luxenbergs Erkenntnissen laufen diese Angriffe ins
Leere. Der Koran spricht nämlich gar nicht von Jungfrauen. Luxenberg zeigt, dass
die Huris in Wirklichkeit nichts anderes sind als „weiße, kristallklare Trauben“.
Früchte, die in den Paradiesvorstellungen des Orients von alters her als Sinnbild
von Wohlleben und Behaglichkeit gelten.
Heute ist der politische Islam mit seiner Ordnungsvorstellung des
Gottesstaates sowie seinen Kampfmethoden des Dschihadismus
die neueste Spielart des Totalitarismus. Das Emblem des Islamismus kann das Kopftuch als Instrument und Uniform der zivilisatorischen Abgrenzung sein. In unserer Zeit entsteht damit ein
Bündnis zwischen salafistisch-orthodoxen Wahabiten und halb
modernen Islamisten als Einsatz für eine Gottesherrschaft, die
weniger mit Religion als mit dem neuen Totalitarismus zu tun hat.
Doch sind beide Feinde der offenen Gesellschaft im Sinne Karl
Poppers. Das Problem scheint zu sein, dass die Europäer – darunter an vorderster Front die Deutschen – verlernt haben, sich
offen mit strittigen Fragen auseinander zu setzen, Probleme klar
zu benennen und Konsequenzen für die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft im Sinne der wehrhaften Demokratie zu ziehen: nämlich einer klaren Abgrenzung gegenüber verfassungsfeindlichen Kräften.
Mit dieser Ausgabe liegt der 50. Denkanstoß vor, ein halbes Hundert an der Zahl und somit eine halbe, aber besonders umfangreiche „Jubiläumsausgabe“. Anlass zu Stolz, aber auch zu Rückblick und kritischer Betrachtung der Arbeit der Studiengesellschaft, deren einer Schwerpunkt die Erarbeitung der „Denkanstöße“ ist.
Auch wenn das allgemeine Ziel der Studiengesellschaft seit ihrer Gründung 1958 durch die Psychotherapeutin Christel Küpper unverändert bestehen blieb, nämlich „durch Förderung der Friedensforschung und durch Bewusstseinsbildung im privaten und öffentlichen Bereich dem Frieden zu dienen, in der Bevölkerung das kritische Denken und die eigene Urteilsbildung auf der Basis sachlicher Information zu fördern, um so zu ethisch-politischen Entscheidungen und verantwortlichem Handeln zu kommen“, so haben
sich doch die Probleme und Arbeitsschwerpunkte seither erheblich gewandelt.
Die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts waren noch durch die Nachrüstungsdebatte und die Zuspitzung des West-Ost-Konfliktes
geprägt. In diese Zeit fällt der Beginn der Herausgabe der „Denkanstöße“ (1983). Als Kurzinformation zu aktuellen und wichtigen
Themen der Friedens- und Sicherheitspolitik, der Ökologie und der 3. Welt sollen sie zur ersten sachlichen und unpolemischen, aber
kritischen Auseinandersetzung mit diesen Fragen anregen. Von Anfang an erfolgte dies unter Einbeziehung der Forschungsergebnisse verschiedener Wissenschaften, um Zusammenhänge und Vernetzungen auf verschiedenen Ebenen aufzuzeigen.
Die ersten Ausgaben der Denkanstöße widmeten sich der Nachrüstung, der Feindbildproblematik, der Auseinandersetzung mit dem
Kommunismus und der beginnenden Perstroika. Aber auch die ökologischen Fragen und ihr Zusammenhang mit der Unfriedlichkeit
gegenüber Mensch und Natur wurden nach Tschernobyl thematisiert. Unter den geänderten Rahmenbedingungen der 90er Jahre
des letzten Jahrhunderts (Auflösung des Warschauer Paktes, Deutsche Einheit) lösten sich die politischen Konflikte leider nicht, im
Gegenteil, viele Problemfelder verstärkten sich (regionale Konflikte, Nationalismus, Fundamentalismus, Terrorismus und Zuspitzung
der ökologischen Gefahren), so dass Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung durch die Friedensforschung um so dringlicher wurden, ebenso die Förderung der Zivilcourage zu verantwortlichem Handeln. Dies zeigt sich auch an der Themenvielfalt der Denkanstöße (vom „Rüstungsexport“ über „Kriegsschauplatz Jugoslawien“ und „Globalisierung“ bis zu „Krieg um Wasser“, „Vereinte Nationen“, „Kampf der Kulturen“, „Weltethos“, „Internationaler Terrorismus“ und „Israel und Palästina“). Die Komplexität der Fragestellungen lässt sich auch am Umfang der Darstellung ablesen: Umfassten die Denkanstöße früher 2 bis 6 Seiten, mussten die Texte – in
zunehmendem Maße durch Tabellen- und Bildmaterial angereichert – auf 8, 10 oder sogar 20 Seiten und mehr erweitert werden.
Nicht ohne Stolz kann so auf eine große Themenbandbreite zurückgeblickt werden, wobei dennoch der hohe Anspruch auf objektive
und fundierte Sachinformation durch Berücksichtigung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse erfüllt wurde. Da die Probleme
der Zukunft eher an Komplexität zunehmen werden und die Menschen Lösungen immer weniger von Regierungen und offiziellen
Experten erwarten, engagieren sich viele verantwortungsbewusste Bürger in zivilgesellschaftlichen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGO). Der Bedarf an objektiver Hintergrundinformation und verständlicher, wissenschaftlich fundierter Argumentationshilfe wird dadurch immer notwendiger. Die Studiengesellschaft will durch Denkanstöße, Informationsveranstaltungen, Tagungen
und Buchveröffentlichungen hierzu einen Beitrag leisten und ist überzeugt, dass dies neben vielen anderen sinnvollen Aktivitäten ein
wichtiger Anstoß zur Bewusstseinsbildung unserer Gesellschaft ist, der nicht ohne Wirkung bleibt, gemäß der Erkenntnis: „Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“
Angesichts der politischen Situation und der Brisanz der Probleme ist die Arbeit der Studiengesellschaft für Friedensforschung um so dringender. Gerade weil die Studiengesellschaft Unabhängigkeit genießt, aber auch braucht, ist sie auf die
ideelle und materielle Förderung und die Mitarbeit von Menschen angewiesen, die ihre Anliegen und Ziele mit tragen. Jede
Form der Unterstützung ist deshalb wichtig und willkommen.
Diejenigen Leser, die sich ausführlicher mit dem Thema beschäftigen wollen, verweisen wir auf das Buch von Dr. Peter Barth, „Islam und Islamismus - eine Herausforderung für Deutschland“, 352 Seiten, Verlag Studiengesellschaft für Friedensforschung, München 2003, ISBN 3-9806333-6-5, das bei der Studiengesellschaft oder
im Buchhandel zum Preis von 18,90 Euro erhältlich ist.
Unsere Denkanstöße können von Ihnen unverändert abgedruckt oder von uns bezogen werden. Wir bitten um einen Beitrag zu unseren Selbstkosten (0,50 Euro pro Exemplar + Porto). Postbank München, Konto 14 15 00-800, BLZ 700 100 80
Herausgeber: Studiengesellschaft für Friedensforschung, Aldringenstr. 10, D-80639 München, Tel. (0 89) 16 06 37, Fax (0 89) 16 74 58
www.studiengesellschaft-friedensforschung.de [email protected]
Druck: Grapho-Druck-GmbH, Blütenweg 9, D-82008 Unterhaching
V. i. S. d. P.: Monika Mirus-Küpper, Aldringenstr. 10, D-80639 München
2004
32
Herunterladen