was die ökonomischen schulen dazu sagen

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SELBSTSTABILISIERUNG DER WIRTSCHAFT ODER
NACHFRAGESTEUERUNG DURCH DEN STAAT?
WAS DIE ÖKONOMISCHEN SCHULEN DAZU SAGEN
Rainer Bartel
Assistenzprofessor
am Institut für
Volkswirtschaft
der Universität Linz
1.
1.1.
1.2.
1.3.
1.4
2.
2.1.
2.2
2.3
2.4
2.5
3.
3.1.
3.2.
3.3.
3.4.
4.
4.1.
4.2.
4.3
5.
Einführung.........................................................................................................2
Das Konjunkturphänomen..................................................................................2
Konjunktur als Problem......................................................................................3
Ursachen konjunktureller Schwankungen............................................................3
Die Frage des staatlichen Stabilisierungsbedarfs..................................................5
Grundpositionen zur Konjunkturstabilisierung:
Neoklassik und Keynesianismus..........................................................................6
Gesellschafts"philosophien" und ökonomische Schulen.......................................6
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit: freiwillig oder unfreiwillig?...............................8
Gütermarktungleichgewicht: flüchtig oder hartnäckig?......................................11
"Neoklassische Synthese": Nachfragesteuerung im Ausnahmefall......................13
Arbeitslosigkeit und Inflation: Die Frage der Zielpriorität..................................15
Theorieansätze und Stabilisierungskonzepte im einzelnen..................................17
Monetarismus: Stetige Geldmengenpolitik........................................................18
Neue Klassische Makroökonomie: Nachfragepolitische Enthaltsamkeit.............19
Hydraulischer Keynesianismus: Antizyklische Nachfragepolitik.........................22
Post-Keynesianismus:
Volkswirtschaftliche Rahmenplanung und wirtschaftliche Basisdemokratie........23
Ein praktisches Beispiel: Austrokeynesianismus................................................25
Das Stabilisierungskonzept...............................................................................25
Der Wandel im Konzept...................................................................................27
Budgetkonsolidierung und Konjunkturpolitik....................................................28
Schlußbemerkung.............................................................................................30
1.
Einführung
1.1.
Das Konjunkturphänomen
Die Leistung bzw. Problematik der Gesamtwirtschaft eines Landes oder einer Region mißt man mit Hilfe einiger Kenngrößen
(Indikatoren), wie etwa Sozialprodukt, Wachstumsrate, Beschäftigungs- bzw. Arbeitslosenquote und Inflationsrate. Der
Vergleich dieser Größen zwischen verschiedenen, kürzer oder
länger auseinanderliegenden Zeitpunkten gibt Aufschluß über die
kurz- bzw. längerfristige Entwicklung der Wirtschaft. Eine Wirtschaft entwickelt sich besonders in der kurzen Frist nicht stetig;
d.h. weder die Zuwachsbeträge noch die (prozentuellen) Zuwachsraten sind in Zeitablauf konstant. Vielmehr wechseln einander starke und schwache Änderungen, Zuwächse und Rückgänge
der Indikatoren ab. Die Auf- und Abbewegungen der Wachstumsrate des Sozialprodukts, der Arbeitslosenquote und der Inflationsrate über relativ kurze Frist (mehrere Monate oder Quartale oder wenige Jahre) werden als Konjunktur bezeichnet.
Man muß natürlich nicht jede einzelne Konjunkturspitze (Höchstwert von Wachstum, Inflation und Beschäftigung) mit dem davor
liegenden und danach kommenden Konjunkturtief (Mindestwert
dieser Indikatoren) vergleichen. Betrachtet man die Werte der
gesamtwirtschaftlichen Indikatoren nicht auf kurze, sondern auf
mittlere Frist (mehrere Jahre) oder lange Sicht (viele Jahre), so
erkennt man den mittel- bzw. längerfristigen Trend der Wirtschaftsentwicklung (das Wachstum). Das ist die tendenzielle
Entwicklung der Wirtschaft, die als Trendgerade gezeichnet
werden kann, um die herum sich die konjunkturellen Ausschläge
abzeichnen. Im Trend (entlang der Trendlinie) herrscht Konjunkturausgleich. Das Sozialprodukt und die anderen Indikatoren
weisen ihren Trendwert auf. Oberhalb des Trends herrscht konjunkturelle Überauslastung (Überhitzung), darunter Unterauslastung der Wirtschaft.
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Die Überauslastung kann in die Phasen Anspannung - Konjunkturhoch ("Boom") - Entspannung eingeteilt werden, die Unterauslastung in Rezession (Abschwung) - Konjunkturtief (Krise,
Depression) - Erholung (Aufschwung). Von Beginn einer Anspannung bis zum Ende der nächsten Erholung verläuft ein ganzer Konjunkturzyklus, der einige (wenige) Jahre dauert. Man bezeichnet die Konjunktur daher auch als zyklische Entwicklung in
der kurzen Frist. Lange Zyklen über viele Jahre hinweg werden
hingegen nicht als Konjunktur angesehen, sondern als Trendbrüche, als Knickpunkte in den Trendlinien zwischen längeren Phasen höheren und niedrigeren Wachstums, d.h. steileren oder flacheren Trendgeraden.
1.2.
Konjunktur als Problem
Konjunktur wird als Problem empfunden, weil Haushalte und
Unternehmen ihre Pläne für ihr reales (durch die Geldentwertung
mit beeinflußtes) Arbeits- bzw. Gewinneinkommen nicht mit
gleichmäßiger Sicherheit realisieren können. In der Unterauslastungsphase sind Produktion, Beschäftigung und Einkommen im
Vergleich zu ihrem Trendwert zu gering: Die Bevölkerung büßt
Güter und Dienste ein und leidet unter den materiellen und
psychisch-sozialen Lasten erhöhter Arbeitslosigkeit. In der Überauslastungsphase ist die Inflation (Geldentwertung) höher als ihr
Trendwert. Die Inflationsrate kann die Zuwachsrate der Löhne
unerwartet übersteigen, so daß der Reallohnsatz (das in Kaufkraft gemessene Stundeneinkommen) bis zur nächsten Lohnrunde aufgrund der Geldentwertung abnimmt. Durch die Überauslastung der Wirtschaft kommt es auch zu Arbeitsverdichtung und
Überbeanspruchung durch Überstunden.
1.3.
Ursachen konjunktureller Schwankungen
Letztliche Ursachen für Konjunkturzyklen sind sogenannte exogene (nicht innerhalb des Systems erzeugte) Schocks. Das sind
3
plötzliche Einflüsse, die die Wirtschaft treffen, wie ein Steinschlag, der eine völlig ruhige Wasseroberfläche trifft. Ein solcher
Schock gibt der Wirtschaft einen Impuls, dessen Auswirkungen
sich in den Anpassungsreaktionen der Wirtschaftsteilnehmer
noch längere Zeit fortsetzen. Ähnlich wie sich die Wellen nach
dem Steineinschlag im Wasser ausbreiten und mit der Zeit kleiner
werden, verlaufen die Schockauswirkungen auf die Wirtschaft
zyklisch. Ein ungünstiger Impuls leitet eine Rezession ein, die
nach dem Konjunkturtief in einen Aufschwung übergeht, der aber
nicht beim Trend haltmacht, sondern zu einer Überauslastungsphase führt, u.s.f. Diese zyklische Entwicklung geht weiter und
kann sich schließlich auf den Trendwert einpendeln.
In der Realität ist die Wirtschaft immer wieder zahlreichen exogenen Schocks ausgesetzt, die der Wirtschaft Impulse in verschiedene Richtungen geben, einander verstärken oder abschwächen. Die Schocks sind exogen, "von außen kommend", so daß
sie nur schwer vorausgesehen werden können. Es handelt sich
häufig um wirtschaftspsychologische, politische, technologische
oder klimatische Einflüsse. Konjunkturbewegungen sind somit
über längere Zeiträume nicht prognostizierbar, weil exogene Änderungen (z.B. Wellen von Optimismus und Pessimismus, politische Umschwünge und Kurswechsel, Militärinterventionen, neue
Produkte und Verfahren, Rekord- oder Mißernten) einfach nicht
exakt genug vorhergesehen werden können. Typische Konjunkturschocks sind plötzliche Änderungen in der Gesamtnachfrage
nach Gütern oder Geld (Vorsichtssparen oder Konsumfieber,
Budgetausweitung oder -konsolidierung). Doch müssen die
Konjunkturanstöße nicht unbedingt von der Nachfrageseite ausgehen. Auch Angebotsschocks - Einflüsse, die die Angebotsbedingungen der Wirtschaft (Technologie, Arbeitskräftepotential)
betreffen - haben in weiterer Folge kurzfristige Auswirkungen
auf
Nachfrage,
Produktion,
Einkommen,
Beschäftigung(slosigkeit) und Inflation: Angebotsschocks bewirken in
mittelbarer Weise konjunkturelle (zyklische) Effekte.
4
1.4
Die Frage des staatlichen Stabilisierungsbedarfs
Der Problemcharakter konjunktureller Schwankungen ist mittlerweile allgemein akzeptiert; die Zeiten sind längst vorbei, als
Konjunkturkrisen noch als nützlicher Ausscheidungsmechanismus für weniger effiziente Unternehmen begrüßt wurde. Dennoch herrscht Uneinigkeit über den konjunkturpolitischen Handlungsbedarf des Staates. Eine nachfragepolitische Gegensteuerung der Regierung gegen den Konjunkturzyklus ("antizyklische
Nachfragepolitik"), die die unzureichende Gesamtnachfrage nach
Gütern durch zusätzliche Güternachfrage des Staates aufwiegt
("kompensatorische Nachfragesteuerung"), ist nur unter Erfüllung der folgenden beiden Bedingungen ökonomisch sinnvoll:
Der Konjunkturausgleich wird durch das staatliche Eingreifen rascher herbeiführt, als er sich von selbst (durch die Anpassungsreaktionen der Wirtschaftsteilnehmer) einstellen würde, und die
vermiedenen Kosten der Unterauslastung (das sind all ihre in
Geld bewerteten Nachteile) höher sind als die Kosten des Stabilisierungseingriffs (Zinsen für die zusätzliche Staatsverschuldung).
Selbst wenn man eine kompensatorische Nachfragepolitik theoretisch befürwortet, kann man in der Praxis aus folgendem Grund
dagegen sein: Die zeitlichen Verzögerungen der Stabilisierungspolitik - von der Problemerkennung über die Entscheidung geeigneter Maßnahmen und ihre Verwirklichung bis zu ihrer Wirkung auf die Zielgrößen (z.B. Beschäftigung) - können insgesamt
so lange sein, daß sich die Wirtschaft bereits (fast) erholt hat,
wenn die Politikeffekte eintreten. Dadurch würde eine antizyklisch gemeinte Nachfragepolitik faktisch in eine konjunkturverstärkende (prozyklische) Nachfragesteuerung verkehrt werden:
Der Trendwert wird nach oben hin unnötig weit "überschossen",
so daß man sich die Nachteile der konjunkturellen Überhitzung
einhandelt und man die Nachfrageentwicklung staatlich bremsen
sollte, wodurch wiederum eine unnötig schwere Rezession aus-
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gelöst würde u.s.w. Die prozyklisch wirkende (destabilisierende)
Konjunkturpolitik würde langfristig die gesamtwirtschaftlichen
Kosten (bewerteten Nachteile) der Konjunkturschwankungen
größer machen, als sie bei Sebststabilisierung der Wirtschaft
wären. Verschärft werden kann diese Problematik im konkreten
historischen Anlaßfall durch die Informationsunsicherheiten, wie
schwer die Konjunkturkrise bei ihrer Nichtbekämpfung wäre
(d.h. wie gut sich die Wirtschaft allein schon von selbst stabilisieren würde), inwieweit die Unterauslastung durch etwaige in
Kürze zu erwartende exogene Impulse günstiger Art kompensiert
werde und wie rasch und stark sich die für den Fall des Eingreifens geplanten Maßnahmen auswirken würden.
2.
Grundpositionen zur Konjunkturstabilisierung:
Neoklassik und Keynesianismus
2.1.
Gesellschafts"philosophien" und ökonomische Schulen
Die Vielfältigkeit, Unübersichtlichkeit, Kompliziertheit und historische Eigentümlichkeit der wirtschaftlichen Realität machen
es unmöglich, anhand der Realität theoretische Erkenntnisse über
die Optimalität von Zielsystemen und Maßnahmenpaketen zu
deren Realisierung als objektiv richtig oder falsch zu beurteilen.
Daher fließen zwangsläufig Werturteile aller Art in die wirtschaftswissenschaftliche und -politische Debatte ein und führen
zur Koexistenz mehrerer ökonomischer Schulen und politischer
Parteien mit unterschiedlichen Wirtschafts- und Politikauffassungen. So stehen einander auch in Wirtschaftswissenschaft und politik die beiden grundsätzlichen Gesellschaftsströmungen des
Liberalismus und Sozialismus (Solidarismus) gegenüber.
Die liberalistische Grundhaltung (Gesellschafts"philosophie")
erfordert im ökonomischen Bereich ein Harmoniedenken, das
den einzelnen Theorien (Modellen) dieser Richtung zugrunde
6
liegt. Nach Ansicht des ökonomischen Liberalismus führt das
(möglichst uneingeschränkte) Gewinn- und Nutzenmaximierungsstreben jedes einzelnen Wirtschaftsteilnehmers insgesamt
zum Wohlfahrtsmaximum der ganzen Gesellschaft. Denn der
Markt(preis)mechanismus koordiniert alle einzelnen Wirtschaftsvorhaben und löst somit alle Probleme. Auf diesem geistigen
Fundament bauen die Gleichgewichtsmodelle der Neoklassischen
Schule der Ökonomie (der Modelle der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie) auf. Bekannte Wegbereiter waren bzw. sind etwa
Jean Baptiste Say, Leon Walras, Arthur Pigou, Milton Friedman
und Don Patinkin. In den gleichgewichtsorientierten Modellen
der Neoklassik gibt es stets eine verläßliche Tendenz zum Konjunkturausgleich. Wirtschaftspolitische Konzepte der Gegenwart,
die sich auf dem theoretischen Boden der Neoklassik - also der
Allgemeinen Gleichgewichtstheorie - entwickelten, sind der Monetarismus und die Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik amerikanischer Herkunft.
Die solidarische Grundeinstellung fand vor allem im Früh- und
Wissenschaftlichen Sozialismus auch ihren ökonomischen Ausdruck. Die ökonomischen Theorien in diesem Bereich zeigen eine
viel stärker problembetonte Sicht der Realität, die von Unsicherheit, Krisen, Existenzproblemen und Machtungleichheiten geprägt wird. Ihre Überlegungen sind eher durch Instabilität, durch
stabile Situationen des wirtschaftlichen Ungleichgewichts im allgemeinen und konjunkturelle Probleme im besonderen gekennzeichnet. Die heutzutage bedeutendste ökonomische Schule des
Solidarismus ist der Keynesianismus, die Lehre von John Maynard Keynes und seines Kreises und ihre Weiterentwicklung.
Konzepte keynesianischer Wirtschaftspolitik sind vor allem durch
ihre Betonung der staatlichen Nachfragesteuerung und (zumindest in Krisenzeiten) der Politik der Staatsverschuldung ("Deficit
Spending") charakterisiert.
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Es liegt nahe, daß die an der Neoklassik orientierten Ökonomen
grundsätzlich von und einer hohen Selbststabilisierungsfähigkeit
der Wirtschaft nach exogenen Schocks ausgehen, während sie
die staatliche Fähigkeit zur Konjunkturstabilisierung mit Skepsis
beurteilen. Keynesianische Ökonomen wollen sich hingegen nicht
auf die Selbststabilisierungsfähigkeit des Marktes verlassen und
schätzen die Notwendigkeit und Zuverlässigkeit einer antizyklischen Nachfragepolitik hoch ein.
2.2.
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit: freiwillig oder unfreiwillig?
Für die konjunkturpolitische Auffassung ist das jeweils verwendete Konzept von Arbeitslosigkeit bzw. Vollbeschäftigung von
entscheidender Bedeutung. Die Neoklassische Arbeitsmarkttheorie besagt, daß die Arbeitnehmer je nach Höhe des gebotenen Reallohnsatzes (der Kaufkraft des Geldlohns pro Stunde)
ihre nutzenmaximale Anzahl von Arbeitsstunden anbieten. Die
Arbeitgeber fragen ihrerseits nach Maßgabe des herrschenden
Reallohnsatzes die gewinnmaximale Anzahl an Arbeitsstunden
nach. Wenn sich der Reallohnsatz stets gemäß Arbeitsangebot
und -nachfrage frei auf dem Markt bildet (flexibel ist), gleicht er
Angebot und Nachfrage einander an: Der Arbeitsmarkt ist geräumt; für die Neoklassiker herrscht "Vollbeschäftigung". Denn
zum gleichgewichtigen, markträumenden Reallohnsatz sind alle
Arbeitnehmer beschäftigt, die zum gängigen Reallohnsatz bereit
sind zu arbeiten. Alle Nichtbeschäftigten sind daher freiwillig arbeitslos.
Kommt nun eine Rezession, so senkt der Wettbewerb auf dem
Gütermarkt die Preise (das Preisniveau), so daß der Reallohn
(die Kaufkraft der Geldlöhne) zunimmt. Zum erhöhten Reallohnsatz bieten die Arbeitnehmer insgesamt mehr Arbeit an, und die
Arbeitgeber fragen weniger Arbeit nach. Es entsteht konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Sie ist freiwillig, wenn die Arbeitnehmer
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nicht willig sind, die Geldlöhne zu senken, damit auch die Reallöhne fallen und daher die Beschäftigung zunimmt. Diejenigen
Arbeitnehmer sind "kollektiv-freiwillig" arbeitslos, die bereit
wären, ihre Löhne zu senken, aber durch die Mindestlohnpolitik
ihrer Interessenvertreter oder der Regierung (allgemein: des
Kollektivs) daran gehindert werden. Der Reallohnsatz ist somit
rigide, er kann sich nicht nach unten anpassen, und der Arbeitsmarkt kann sich daher nicht selbst ausgleichen. Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit besteht bis zum nächsten günstigen Nachfrageschock fort, der das Preisniveau wieder erhöht und dadurch
den Reallohnsatz reduziert.
Nachfragestützung des Staates wird nicht erwogen, sondern es
wird auf (angebotspolitische) Lohnsenkungen gesetzt. Denn diese können den Konjunkturausgleich bei einem niedrigeren Preisniveau (bzw. einer geringeren Inflationsrate) herbeiführen, als es
durch günstige Nachfrageschocks (zusätzliche Staatsnachfrage
oder sonstige günstige Nachfrageschocks von außen) möglich
wäre, die doch die Preise steigern. In neoklassischen Modellen
gilt allgemein: Günstige (ungünstige) Nachfrageschocks verbessern (verschlechtern) Produktion, Beschäftigung und Einkommen, verschlechtern (verbessern) aber die Geldwertstabilität
durch höhere (niedrigere) Preise; günstige (ungünstige) Angebotsschocks fördern Produktion, Beschäftigung, Einkommen und
auch die Geldwertstabilität.
Die Keynesianische Theorie hat eine gänzlich unterschiedliche
Sichtweise. Arbeitskräfte bieten ihre Leistungen innerhalb der
Normarbeitszeiten an (ganztags, halbtags, plusminus Überstunden bzw. Kurzarbeit), weil es einfach notwendig ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. So bestimmt das Arbeitskräftepotential das Arbeitsangebot. Änderungen des Geld- oder Reallohns
ändern dabei nichts Wesentliches am Arbeitsangebot. Einmal erreichte Geldlöhne werden jedoch auch in Krisenzeiten gegen
Kürzungen verteidigt. Auf der anderen Arbeitsmarktseite fragen
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die Unternehmen genau so viel Arbeit nach, wie sie benötigen,
um jene Gütermenge zu produzieren, die sie absetzen können
und auf Lager legen wollen. Also ist die Gesamtnachfrage nach
Gütern für die konjunkturabhängige Beschäftigung bzw. für die
unfreiwillige Arbeitslosigkeit ausschlaggebend. Im Unterschied
zur Neoklassik ist für Keynesianer Vollbeschäftigung dann erreicht, wenn eine Zunahme der Güternachfrage keine Erhöhung
der Beschäftigung (keine Reduktion der Arbeitslosigkeit) mehr
bewirkt. Es liegt nahe, daß Keynesianer aufgrund dieses Modells
staatliche Nachfragesteuerung befürworten, um Produktion, Beschäftigung und Einkommen wirksam zu steuern.
Auch die Zielsetzung der Keynesianer ist ehrgeiziger. Während in
der neoklassischen Welt Arbeitsmarktgleichgewicht ("Vollbeschäftigung") bei freiwilliger Arbeitslosigkeit besteht und nichts
getan werden muß, außer Löhne und Preise flexibel zu halten,
wollen die Keynesianer erzielen, daß möglichst das ganze Arbeitskräftepotential beschäftigt ist und somit das potentielle (maximal mögliche) Sozialprodukt erzeugt wird. Dabei wird aus
zwei Gründen Inflation nicht (so sehr) gefürchtet wie von den
Neoklassikern: Erstens könne Unterbeschäftigung beseitigt werden, ohne daß die Löhne steigen müssen; und zweitens seien industrielle Fertigungsprozesse so beschaffen, daß Ausbringungssteigerungen die variablen (produktionsabhängigen) Kosten nicht
steigern und daher die gesamten Stückkosten sogar sinken.
Preissteigerungen infolge von Nachfrageerhöhungen sind für
Keynesianer lediglich ein Zeichen dafür, daß Vollbeschäftigung
bald erreicht ist, weil die Geldlöhne zu steigen beginnen, oder
daß die Unternehmen ihren Gewinnaufschlag erhöhen, weil der
Absatz außerordentlich gut floriert.
Die Lohnsenkungsvorschläge der Neoklassiker zur Krisenüberwindung werden mit verschiedenen Argumenten verworfen: Zum
einen ist man der Auffassung, daß die Arbeitnehmer den für die
neoklassische Beschäftigungsentscheidung relevanten Reallohn-
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satz durch Geldlohnsenkungen gar nicht reduzieren können, weil
sie kaum Einfluß auf das Preisniveau und somit letztlich auf die
Kaufkraft der Löhne (den Reallohn) haben; die Preisentscheidungen liegen ja im Ermessen der Unternehmen. Zum anderen befürchtet man, daß Geldlohnsenkungen die Gewinneinkommen erhöhen und die Masseneinkommen der Arbeitnehmerschaft senken; dadurch würde die effektive (d.h. beschäftigungswirksame)
Gesamtnachfrage noch weiter zurückgehen, weil einbehaltene
wie ausgeschüttete Unternehmenseinkommen - gerade in der
Krise - zu einem geringeren Teil wiederverausgabt würden als
Arbeitnehmereinkommen.
2.3.
Gütermarktungleichgewichte: flüchtig oder hartnäkkig?
Die Hypothese der (kollektiv-)freiwilligen Arbeitslosigkeit stellt
das Kernstück der Neoklassischen Theorie von der konjunkturellen Selbststabilisierung der Wirtschaft dar. Die Situation auf dem
Arbeitsmarkt bestimmt auch die Ergebnisse auf dem Gütermarkt.
Im Arbeitsmarktgleichgewicht, das bei flexiblem Reallohnsatz
stabil ist, wird mit der gleichgewichtigen Arbeitsmenge das sogenannte "natürliche Sozialprodukt" erzeugt. Es ist nicht nur mit
Arbeitsmarktgleichgewicht ("Vollbeschäftigung") verbunden.
Weil der Arbeitsmarkt den Gütermarkt bestimmt, bedeutet die
Realisierung des natürlichen Sozialprodukts, daß sich auch der
Gütermarkt in einer längerfristig stabilen Gleichgewichtssituation
befindet. Nach exogenen Nachfrageschocks tendiert das jeweilige
Sozialprodukt automatisch wieder zum natürlichen Sozialprodukt. Voraussetzung für diese konjunkturelle Selbststabilisierung
ist natürlich die Flexibilität von Löhnen und Preisen.
Das natürliche Sozialprodukt selbst wird durch angebotsseitige
Faktoren bestimmt (Produktivität und Arbeitskräftepotential).
Daher wächst es längerfristig (d.h. unabhängig von den kurzfristigen Konjunkturschwankungen) aufgrund von technischem
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Fortschritt und Bevölkerungswachstum. Wie wir bereits gehört
haben, hat aber umgekehrt ein angebotsseitiger Schock - er verändert das natürliche Sozialprodukt - konjunkturelle Nachwirkungen. Doch ein solches Gütermarktungleichgewicht ist nur
vorübergehend und von kurzer Dauer: Die Wirtschaft stabilisiert
sich selbst in Richtung des neuen natürlichen Sozialprodukts.
Nach der Neoklassischen Theorie ist der Trendwert des Sozialprodukts das natürliche Sozialprodukt, und seine Zunahme ist
Wachstum, nicht Konjunktur.
In der Keynesianischen Theorie werden die beiden Phänomene
Konjunktur und Wachstum nicht so strikt getrennt wie in der
Neoklassik, wo die Wachstumstheorie davon ausgeht daß immer
Vollbeschäftigung herrscht. Die effektive Nachfrage beeinflußt
auch auf den langfristigen Wachstumspfad der Wirtschaft, der
durchaus nicht optimal und stabil sein muß. Deswegen ist die Gesamtnachfrage nach Gütern nicht nur eine Bestimmungsgröße für
konjunkturelle Arbeitslosigkeit, sondern sowohl für die zyklischen Schwankungen als auch für das längerfristige Wachstum
von Produktion, Beschäftigung und Einkommen. Deshalb ergibt
sich - anders als in der Neoklassik - keine automatische Tendenz
in Richtung eines natürlichen Sozialprodukts. Ein solches Konzept existiert im Keynesianismus nicht. Das bedeutet, daß es
stabile Gütermarktungleichgewichte gibt, wo die Unternehmen
wenig produzieren, weil sie ihre Güter nicht absetzen können,
und wo die Arbeitskräfte arbeitslos oder unterbeschäftigt sind,
weil die Unternehmen nicht mehr Arbeitskraft für ihre Produktion brauchen: Der Teufelskreis der Krise ist somit geschlossen.
Einen Ausweg bieten Maßnahmen wie staatliche Nachfragestützung und Arbeitszeitverkürzung. Denn es gibt keinen Stabilisierungsmechanismus in Richtung Vollbeschäftigung.
12
2.4.
"Neoklassische Synthese": Nachfragesteuerung im
Ausnahmefall
So radikal unterschiedlich Neoklassik und Keynesianismus auch
sind - der Wunsch nach weniger extremen, realitätsfremden
Standpunkten, sondern nach einem realitätskonformeren Kompromiß in der "Lösung" des Konjunkturproblems durch "die"
Wissenschaft hat zu einer neoklassisch-keynesianischen Synthese
geführt. Einerseits ist die Wirtschaftsentwicklung nicht so stabil
und problemlos, wie es die Neoklassische Theorie darstellt bzw.
wie sie es durch die (kaum realisierbare) Forderung nach vollständigem Wettbewerb, vollkommener Mobilität und völliger
Preisflexibilität anstrebt. Andererseits zeigen die zyklischen
Entwicklungen keine "explodierenden" Verläufe, in denen die
Schwankungen (wie bei Karl Marx) immer größer werden, bis
das Wirtschaftssystem völlig zusammenbricht; vielmehr ist selbst
der mittelfristige Trend relativ stabil. Krisen wie die Weltwirtschaftskrise (1929-34) sind eben historische Seltenheiten.
So wurden ins keynesianische Modell Zusammenhänge eingeführt, die eine Selbststabilisierung fördern. Z.B. wurden die
Sparentscheidungen nicht nur vom Einkommen, sondern auch
vom Zinssatz abhängig gemacht: Eine exogene Sparwelle bewirkt zuwenig Güternachfrage und verursacht eine Krise. Doch
die zusätzliche Ersparnis läßt den Zinssatz sinken, so daß nicht
nur mehr investiert, sondern auch wieder weniger gespart wird
und mehr Güter nachgefragt werden.
Im neoklassischen Modell wurden hingegen typisch keynesianische Fälle berücksichtigt - beispielsweise die Liquiditätsfalle: Aus
Gründen der pessimistischen Kurserwartungen der Wertpapierhalter kann der Zinssatz in der Krise nur bis zu einer gewissen
Untergrenze sinken, und nicht weiter. Dadurch ist der Zunahme
der Investitionsnachfrage, die die Krise zu überwinden helfen
soll, eine deutliche Grenze gesetzt. Ein anderes Beispiel ist der
13
Fall, daß die Unternehmen infolge ihrer pessimistischen Absatzerwartungen auf Zinssenkungen nicht mit Erhöhungen der Investitionsausgaben reagieren. In beiden Fällen wird die automatische Selbststabilisierung verhindert.
Eindeutig ist die "Kompromißlösung" allerdings hauptsächlich
zugunsten der neoklassischen Vorstellungswelt ausgefallen. Vor
allem die typisch neoklassische Modellierung des Arbeitsmarktes
mit seiner Gleichgewichtstendenz, die das Konzept der freiwilligen Arbeitslosigkeit mit sich bringt, machen die Neoklassische
Synthese in erster Linie zu einer Gleichgewichtstheorie: Das
neoklassische Modell des allgemeinen Gleichgewichts ist der allgemeine Fall, die (seltenen) keynesianischen Fälle des Selbststabilisierungsversagens sind Ausnahmefälle. Die Zielvorstellung
bleibt, daß Löhne und Preise völlig flexibel sein sollen, um den
automatischen Konjunkturausgleich herbeizuführen. Nur wenn selbst bei Gewährleistung der Lohn- und Preisflexibilität - die
typisch keynesianischen Krisenfälle eintreten (Liquiditätsfalle,
Zinsunabhängigkeit der Investitionen), dann würde die Selbststabilisierung zu langwierig sein, und Nachfragestützung wäre
gerechtfertigt.
Würde nachfragepolitisch nichts unternommen werden, gäbe es
dennoch eine, wenn auch etwas länger dauernde Selbststabilisierung. Denn wenn Löhne und Preise flexibel sind, sinke das
Preisniveau wettbewerbsbedingt so stark, daß der Realwert (die
Kaufkraft) des Finanzvermögens steigt, sich die Leute reicher
fühlen und mehr konsumieren, so daß die Nachfragekrise überwunden wird. Dies ist der "Realkasseneffekt", der nach seinem
Erfinder auch Pigou-Effekt genannt wird.
Allerdings wenden die Keynesianer ein, daß es auch Fälle gibt, in
denen der Pigou-Effekt versagt und die Selbststabilisierung nicht
oder erst stark verzögert zustande kommt. Denn erstens verteilt
das Sinken des Preisniveaus die Kaufkraft des Finanzvermögens
14
von den Schuldnern zu den Gläubigern um, und zweitens können
in Erwartung weiterer Preissenkungen Güterkäufe auf die (billigere) Zukunft verschoben werden, so daß die Nachfragekrise bis
auf weiteres verschärft wird.
So wurden keynesianische Theorieelemente im Rahmen der
Neoklassischen Synthese zur Erklärung seltener, realitätsferner
Sonderfälle abgewertet - Keynesianismus als bloße "Krisenökonomie". Deshalb wird der Keynesianismus der Neoklassischen
Synthese von den (puristischen) Post-Keynesianern als "BastardKeynesianismus", also als "verpanschter" Keynesianismus charakterisiert. Dies ändert nichts an dem Umstand, daß die Neoklassische Synthese für die Wirtschaftstheorie der vergangenen
30 Jahre grundlegend ist und die gängige, von den meisten Ökonomen akzeptierte Lehrmeinung, die sogenannte Orthodoxie
("mainstream economics") darstellen. Nachfragesteuerung wird
daher einerseits nur in ganz schweren Konjunkturkrisen befürwortet und dient andererseits der Inflationsbekämpfung in Phasen
der konjunkturellen Überauslastung.
2.5.
Arbeitslosigkeit und Inflation: Die Frage der Zielpriorität
Eine mögliche "Gefahr" von Nachfragestützung und Lohnerhöhungen bildet die Inflation. Sie gilt es als Nebenbedingung im
wirtschaftspolitischen Zielsystem zu beachten. Hundertprozentige Vollbeschäftigung ist in der Realität nicht zu erreichen, weil
der Arbeitsmarkt ein Markt ist, der trotz aktiver Arbeitsmarktpolitik nie perfekt funktionieren kann. Darum ist es Aufgabe der
Wirtschaftspolitiker, eine Zielkombination von hohem Einkommen, hoher Beschäftigung und einer konstanten, tolerierbaren
Inflationsrate festzulegen. Wenn die Inflation konstant und vorhersehbar ist, können alle (Arbeits-)Verträge nach ihr ausgerichtet werden.
15
In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion hört man
immer wieder vom Zielbegriff der NAIRU: Die NAIRU ("nonaccelerating inflation rate of unemployment") ist eine Arbeitslosenquote, bei der ein bestimmtes Sozialprodukt erzeugt wird, bei
dem sich die Inflation nicht beschleunigt ("inflationskonstante
Arbeitslosenquote", "inflationskonstantes Sozialprodukt"). Davon ausgehend kann man auf die NAWRU schließen ("non-accelerating wage rate of unemployment"). Das ist jene Lohnzuwachsrate, die mit der dazupassenden Arbeitslosenquote NAIRU
verbunden ist und somit die Inflationsrate konstant hält.
NAIRU und NAWRU sind von ihrer theoretischen Konzeption
her eher neoklassisch. Neoklassische Ökonomen legen auch den
Hauptwert auf das Ziel der relativen Geldwertstabilität (geringe
Inflation). Stabilisierungspolitik bedeutet für sie Inflationsstabilisierung auf einer niedrigen Rate. Denn die geeignete Beschäftigungpolitik ist für sie die Liberalisierung des Arbeitsmarktes.
Diese soll den Lohnwettbewerb der Arbeitskräfte um die Arbeitsplätze vervollkommnen. Dadurch und durch vollständigen
(Preis-)Wettbewerb auf dem Gütermarkt wird ihrer Meinung
nach der Reallohnsatz völlig flexibel - und "Vollbeschäftigung"
im neoklassischen Sinn stellt sich automatisch ein. Für Neoklassiker ist Nachfragepolitik nur dazu geeignet, eine Inflationsrate,
die als zu hoch empfunden wird, zu senken. Durch eine nachfragepolitisch erzeugte Konjunkturkrise, die sich unter den Idealbedingungen der Lohn- und Preisflexibilität rasch wieder von
selbst kuriert, wird das unveränderte natürliche Sozialprodukt
mit einer niedrigeren, fortan konstanten und stabilen Inflationsrate kombiniert. Die für die Realität jeweils errechneten Werte für
NAIRU und NAWRU passen zum theoretischen Konzept des
natürlichen Sozialprodukts.
Viele keynesianische Ökonomen messen in ihrem anders gelagerten (eher sozialistischen bzw. solidarischen) Problembewußtsein
dem Beschäftigungsziel ein höheres wirtschaftspolitisches Ge-
16
wicht zu als der relativen Geldwertstabilität. Zur Absicherung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit - also des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts - ist es dennoch erforderlich, die nachfragepolitische Erreichung eines hohen Beschäftigungsgrades (nahezu Vollbeschäftigung) gegen zu hohe Inflation abzusichen. Dabei
ist von besonderer Bedeutung, daß keynesianische Ökonomen
eine restriktive Nachfragepolitik (eine bewußte Erzeugung einer
Rezession) klarerweise ablehnen. Denn eine Inflationssenkungspolitik durch Brechung von Gewerkschaftsmacht zur Reduktion
der Lohnforderungen würde in ihrer Modellvorstellung eine längere Krise bei stabilen Ungleichgewichten auf dem Arbeits- und
Gütermarkt hervorrufen. Daher bevorzugen Keynesianer eine
stabilitätsorientierte (d.h. an der Inflationsrate orientierte) Einkommenspolitik. Durch sozialpartnerschaftliche Übereinkünfte
wird der Inflation sowohl durch lohn- als auch durch preisseitige
Zurückhaltung vorgebeugt. Nachfrageseitige Krisen sind durch
expansive Nachfragepolitik zu bekämpfen, die eben durch flankierende Einkommenspolitik abzusichern ist.
3.
Theorieansätze und Stabilisierungskonzepte im einzelnen
Innerhalb der beiden aktuellen ökonomischen Schulen - Neoklassik und Keynesianismus - haben sich unterschiedliche wirtschaftstheoretische und -politische Strömungen herausgebildet.
Ihre kontroversiellen konjunkturpolitischen Auffassungen werden
hier in aller Kürze dargestellt. Auf dem theoretischen Boden der
Neoklassik sind dies der Monetarismus und die beiden Ausprägungen der Neuen Klassischen Makroökonomie. Auf dem Fundament der Keynesianischen Theorie werden der Hydraulische
Keynesianismus und der Post-Keynesianismus skizziert.
17
3.1.
Monetarismus: Stetige Geldmengensteuerung
Der Monetarismus ist eine Strömung der Neoklassischen Theorie
des allgemeinen Gleichgewichts, der sein besonderes Augenmerk
auf den monetären Sektor (Geldsektor) der Wirtschaft legt. Monetaristen interessiert dabei der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflationsrate. Der reale Sektor (Gütermarkt) ist in sich stabil, sowohl weil die Konsumnachfrage vom
erwarteten Lebenseinkommen abhängt und daher nicht konjunkturanfällig ist, als auch weil die Zinsempfindlichkeit der Investitionen konjunkturstabilisierend wirkt. Neoklassische "Vollbeschäftigung" unter diesen Bedingungen vorausgesetzt, liegt der
Problemlösungsbedarf nur mehr in der Kontrolle der Inflationsrate. Die entscheidende theoretische Grundlage dafür liefert die sogenannte Quantitätstheorie des Geldes. Sie besagt, daß Änderungen der Geldmenge die Produktion, die Beschäftigung und das
Realeinkommen nicht oder nur ganz kurzfristig verändern (die
Wirtschaft ist ja gegenüber solchen exogenen Schocks stabil).
Deshalb beeinflussen Geldmengenänderungen letztlich nur das
Preisniveau. Zwischenzeitlich destabilisiert antizyklische Nachfragepolitik aufgrund der Wirkungsverzögerungen die Wirtschaftsentwicklung eher als sie sie stabilisiert.
Daraus leitet sich die monetaristische Regel des konstanten
Geldmengenwachstums ab: Wird die Geldmenge stetig mit der
Zuwachsrate des realen natürlichen Sozialprodukts (mit der
Wachstumsrate der Wirtschaft) erhöht, dann bleibt die Inflationsrate mittelfristig konstant. Der Konjunkturzyklus besteht dann
(typisch für die neoklassische Modellwelt) in einem Zyklus der
Inflationsrate um ihren konstanten Trendwert - und nicht in Produktions- und Beschäftigungsschwankungen. Stetige Geldmengenpolitik sei daher die beste Konjunkturpolitik. Allerdings ist
die monetaristische Geldmengenregel nicht nur unter den üblichen neoklassischen Annahmen (vollkommener Wettbewerb,
etc.) leistungsfähig, sondern zusätzlich unter der Bedingung, daß
18
sich die Zahlungsgewohnheiten kurzfristig nicht ändern - eine
Voraussetzung, die in der Realität über weite Zeitstrecken nicht
erfüllt wurde.
3.2.
Neue Klassische Makroökonomie: Nachfragepolitische Enthaltsamkeit
Die Neue Klassische Makroökonomie (NKM) ist wohl die markanteste Entwicklung in der Ökonomie des vergangenen Jahrzehnts. Zwei parallele Entwicklungen, die im folgenden angesprochen werden, vollziehen sich im Rahmen der NKM; sie umfassen die Theorie der rationalen Erwartungen und die Theorie
der realen Konjunkturzyklen.
Rationale Erwartungen: Unwirksamkeit der Nachfragepolitik
Die eine theoretische Stömung der NKM betont ganz besonders
stark den Über- und Durchblick sowie das darauf aufbauende
streng rationale wirtschaftliche Denken und Handeln der Wirtschaftsteilnehmer. Ein Kernstück und entscheidendes Element
der NKM ist die Theorie der rationalen Erwartungen. Sie bedeutet, daß die Wirtschaftsteilnehmer aufgrund ihrer sorgfältigen Beobachtung des Wirtschaft und ihres so erworbenen Erfahrungsschatzes gleichsam das Modell der NKM im Kopf haben. Aufgrund der solcherart rationalen Erwartungen wissen die Leute,
daß die Wirtschaft nach einem exogenen Schock sofort wieder
zum natürlichen Sozialprodukt zurückkehrt, wo auch alle Angebots- und Nachfragepläne auf dem Arbeitsmarkt erfüllt sind. Die
Arbeitnehmer wissen aus Erfahrung, daß ein Konjunkturimpuls
nicht das reale Sozialprodukt, sondern nur das Preisniveau ändert. Deshalb erwirken sie eine Lohnänderungsrate im Ausmaß
der korrekt erwarteten Inflationsrate, die eben nach einem positiven Nachfrageschock höher ist. Deswegen bleiben der Reallohn
und die Arbeitsmenge konstant: Die Arbeitskräfte reagieren mit
ihrem Arbeitsangebot auf konjunkturelle Veränderungen nicht.
19
Sie bieten also - selbst wenn es sich abzeichnet, daß sich die Güternachfrage ändert - nicht mehr oder weniger Arbeit an. Dadurch bleibt die gleichgewichtige Arbeitsmenge tatsächlich unverändert und das Sozialprodukt verläßt seinen natürlichen Wert
gar nicht. Wie kommen dann aber die Konjunkturzyklen der
Realität zustande?
Konjunkturschwankungen beruhen nach der NKM auf neuen Situationen, die keinem historischen Beispielfall gleichen. Denn in
diesem Fall kann die Konjunkturstörung selbst mit rationalen
Erwartungen nicht im vorhinein erfaßt und daher nicht durch eine
entsprechende Lohnanpassung vorweggenommen und vermieden
werden. Diese Zusammenhänge gelten für alle Arten von exogenen Schocks, egal ob sie staatlich oder sonstwie verursacht werden. Daraus folgt, daß nur in unprognostizierbaren Fällen konjunkturelle Produktions- und Beschäftigungsschwankungen auftreten und daß staatliche Nachfragepolitik überhaupt nur wirksam ist, wenn sie unerwartet kommt. Gerade eine der Bevölkerung hinlänglich bekannte, strikt antizyklische Nachfragesteuerung wäre gemäß der NKM unwirksam. Das ist die berühmte
Politikunwirksamkeitshypothese der NMK. Aus ihr geht hervor:
Je perfekter die Information und Voraussicht, desto stabiler
entwickelt sich die Wirtschaft. Von Konjunkturpolitik ist Abstand zu nehmen. Denn wird sie erwartet, hat sie außer einer Inflationsänderung keine Wirkung, kommt sie hingegen überraschend, trägt sie bloß dazu bei, daß aufgrund der Wirkungsverzögerungen der Trendwert überschossen wird, so daß die Konjunkturpolitik ungewollt konjunkturverstärkend wirkt.
Reale Konjunkturzyklen: Unangebrachtheit der Nachfragepolitik
Den rationalen Erwartungen wird im Zusammenhang mit dem
Konjunkturphänomen im allgemeinen viel Skepsis entgegengebracht. Nicht zuletzt deshalb entwickelte sich innerhalb der NKM
20
ein alternativer Erklärungsansatz für zyklische Schwankungen:
Nach der Theorie der realen Konjunkturzyklen werden die
kurzfristigen Ausschläge der Wirtschaftsentwickung nicht durch
Nachfrageschocks verursacht (soweit gilt die Politikunwirksamkeitshypothese). Vielmehr sind die Konjunkturschwankungen
hauptsächlich auf Angebotsschocks zurückzuführen - also auf
Produktivitätsänderungen (etwa infolge der Erdölpreisschocks)
und Variationen im Arbeitskräftepotential (z.B. internationale
Wanderungen, Babybooms und Pillenknicke). Angebotsschocks
verändern in unmittelbarer Weise das Arbeitsmarktgleichgewicht
und somit das natürliche Sozialprodukt. In mittelbarer Weise
können sie auch - wenn unerwartet - nachfrageseitige Wirkungen
zeigen, die sich allerdings rasch selbst stabilisieren. Das natürliche Sozialprodukt kann jedoch nicht mit Mitteln der Nachfragepolitik beeinflußt werden. So ist konsequent zu folgern, daß
Nachfragestabilisierung unangebracht ist. Daher besteht die beste
Wirtschaftspolitik in einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, welche die Produktivität und dadurch das natürliche Sozialprodukt und somit das Wachstum maximiert. Wirtschaftspolitik
sollte daher ausschließlich langfristig orientiert sein.
Kritiker der NKM meinen allerdings, es sei gewagt, in der Wirtschaftswissenschaft den Nachfrageaspekt gänzlich zu vernachlässigen, den Keynes in den 30er Jahren mühsam - wenn auch
einseitig überbetont - in die Ökonomie integriert hat. Immerhin
sei die Summe der einander überlappenden günstigen und ungünstigen Angebotsschocks in ihrer Gesamtwirkung nicht hinreichend groß, um die in der Realität über mehrere Quartale oder
gar Jahre beobachteten Unterauslastungszustände zu erklären.
Offenbar spielt Keynes´s effektive Nachfrage doch eine nicht zu
vernachlässigende Rolle in der Wirtschaftsentwicklung.
21
3.3.
Hydraulischer Keynesianismus: Antizyklische Nachfragepolitik
Sowohl die einseitige Betonung der Nachfrageseite besonders
durch den frühen ("originalen") Keynesianismus als auch die von
Strukturproblemen weitestgehend freie Periode der "goldenen
60er Jahre" führten zu einer stark vereinfachten Sichtweise, die
unter dem Druck der heutigen Probleme als unzureichend erkannt wurde. Über längere Zeit glaubte man, die großen, strukturellen Probleme der Wirtschaftsentwicklung gemeistert zu haben
oder nachfragepolitisch übertünchen zu können. Deshalb bezeichnet man diese Strömung als Hydraulischen oder Naiven
Keynesianismus: In streng antizyklischer Weise ist in Unterauslastungsphasen die fehlende Gesamtnachfrage durch (defizitfinanzierte) staatliche Güternachfrage zu kompensieren, um konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu beseitigen; spiegelbildlich umgekehrt hat der Staat in Phasen der Überauslastung die überschüssige Güternachfrage abzuschöpfen, um Inflationsbeschleunigung
zu vermeiden und die während der Unterauslastung aus Stabilisierungsgründen zusätzlich eingegangenen Staatsschulden zu tilgen. An diesem Konzept wird in zweierlei Hinsicht Kritik angebracht: erstens in der politischen Ausgestaltung und zweitens in
der Überschätzung der Wirksamkeit dieser Politik.
Erstens ist es in demokratischen, pluralistischen und dicht organisierten Wirtschaftsgesellschaften schwierig, die expansive
Nachfragepolitik der Unterauslastungsphase in Zeiten der Überauslastung rückgängig zu machen, weil zu viele gut organisierte
Interessen davon beeinträchtigt würden. Daraus ergibt sich eine
permanent expansive Nachfragepolitik, die in guten Konjunkturphasen lediglich etwas weniger expansiv gestaltet wird als in
schlechten. Man spricht von einer wahltaktisch motivierten politischen Asymmetrie der Praxis der keynesianischen Konjunkturpolitik.
22
Zweitens war man längere Zeit der Ansicht, Produktion, Beschäftigung und Einkommmen exakt steuern zu können - eine
Art "hydraulische Feinsteuerung". Diese Auffassung war jedoch
höchstens bis in die mittleren 70er Jahre haltbar, solange eben
von der Angebotsseite her noch keine wesentlichen, hartnäckigen
Strukturprobleme auf die beschäftigungswirksame Nachfrage
einwirkten. Natürlich konnten die nachfrageseitigen Effekte von
Angebotsproblemen durch Nachfragepolitik konjunkturell abgefedert werden. Doch die angebotsseitigen Ursachen wurden dadurch nicht behoben. Lediglich die Symptome wurden gelindert.
Der Charakter einer Symptomkur wurde dadurch begründet, daß
Nachfragestützung nicht flankierend zu strukturpolitischen Maßnahmen eingesetzt wurden, sondern erforderliche Strukturänderungen durch die nachfragepolitischen Hilfestellungen aufgeschoben wurden. Deshalb war die isolierte Politik des Hydraulischen Keynesianismus eine nicht sehr effektive, relativ teure und
daher ineffiziente Politik.
3.4.
Post-Keynesianismus: Volkswirtschaftliche Rahmenplanung und wirtschaftliche Basisdemokratie
Der Post-Keynesianismus versteht sich sowohl als radikaler Gegensatz zur Gleichgewichtsorientiertheit der Neoklassik und der
Neoklassischen Synthese als auch als keynesianische Reformströmung, die den Unzulänglichkeiten des Hydraulischen Keynesianismus in bezug auf strukturelle Aspekte Rechnung trägt.
Post-Keynesianer betonen vor allem die Komplexität, Unübersichtlichkeit und historische Einmaligkeit wirtschaftlicher Situationen und demzufolge die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung. Gleichgewicht ist in der post-keynesianischen Theorie weder als analytisches Werkzeug noch als Fluchtpunkt wirtschaftlicher Entwicklung von Bedeutung. Von dort
rühren nicht nur die allen Keynesianern gemeinsame Ablehnung
einer effizienten (raschen, leistungsfähigen) Selbststabilisierungsfähigkeit der Wirtschaft und das Eintreten für eine aktivistische
23
Stabilisierungspolitik. Aus diesem Denken ergibt sich auch die
Skepsis gegenüber einer effizienten antizyklischen Nachfragesteuerung. Was kann daher unternommen werden?
Die alle wirtschaftlichen Entscheidungen dominierende Unsicherheit unterstreicht die Bedeutung von Institutionen, die diese Unsicherheit herabzusetzen helfen. Eine solche Institution ist etwa
die Planung wichtiger volkswirtschaftlicher Gesamtgrößen, wie
z.B. die Investitionen. Nach dem Motto, "die wirtschaftliche
Entwicklung ist zu wichtig, um sie den Unternehmern zu überlassen", wird nicht nur eine volkswirtschaftliche Rahmenplanung für
wichtige gesamtwirtschaftliche Produktionsgrößen propagiert.
Angesichts der wesentlichen Betroffenheit der Arbeitnehmer von
den Auswirkungen der Unternehmensentscheidungen auf die Arbeitsplatzsicherheit und Lebenssituation werden zusätzlich basisdemokratische Entscheidungsverhältnisse in allen wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen gefordert (betriebliche Mitbestimmung). Beiden Konzepten liegt die Absicht zugrunde, Wirtschaftskrisen durch Gesamtplanung und demokratische Kontrolle
zu vermeiden. Damit sollen die großen Schwierigkeiten vermieden werden, die Wirtschaft effizient aus Krisensituationen herauszuführen.
Volkswirtschaftliche Rahmenplanung ist in Marktwirtschaften
von überwiegend unverbindlichem Charakter (nur der Staat kann
sich z.B. durch seinen Investitionsplan selbst binden). Darin liegt
eben der Unterschied zur Planwirtschaft. Mit einer solchen lediglich indikativen (empfehlenden) Rahmenplanung haben die nordund westeuropäischen Staaten in der unmittelbaren Nachkriegszeit keine guten Erfahrungen gemacht. Mittlerweile ist diese Art
von stabilisierender Planung nicht mehr existent oder bedeutsam.
Die basisdemokratische Entscheidungsfindung in privatwirtschaftlichen Belangen wird im allgemeinen als ideologisch zu radikal bzw. allein wegen der Frage der Mitverantwortungsregelung als unpraktikabel angesehen.
24
4.
Ein praktisches Beispiel: Austrokeynesianismus
Zur praktischen Illustration soll abrundend der Bezug zur stabilisierungspolitischen Konzeption in Österreich und ihrer theoretischen Fundierung hergestellt werden.
4.1.
Das Stabilisierungskonzept
Das Konzept des Austrokeynessianismus kann - vor allem in der
Kernperiode seiner Realisation, also während der sozialistischen
Alleinregierungen - am ehesten der post-keynesianischen Gedankenwelt zugeordnet werden. Aus dem Mißtrauen in die
Selbstheilungskraft der Märkte leitet sich die besondere Verantwortung des Staates für aktivistische Problemlösungen an.
Die aktive Konjunktursteuerung in hydraulischer Manier fällt in
Österreich weder sehr ausgeprägt noch besonders antizyklisch
aus, wenn man die Budgetsaldenpolitik vor dem Hintergrund der
Konjunkturwellen betrachtet. Allerdings wurden die Konjunkturausschläge in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht bewußt
verstärkt, und die antizyklischen Budgetreaktionen überwogen
insgesamt die prozyklischen. Die Bekämpfung von Konjunkturkrisen erfolgt in Österreich in erster Linie durch das bewußte
Passierenlassen von konjunkturbedingten Budgetdefiziterhöhungen: In solchen Fällen wird die Automatik der geringeren Steuereinnahmen und höheren Sozialausgaben weder durch Steuersatzerhöhungen noch durch Ausgabensenkungen konterkariert,
so daß durch die unveränderte Budgetpolitik diese Art automatischer Konjunkturstabilisierung erfolgen kann.
Ergänzt wurde diese Nachfragestützung in den späteren 70er und
frühen 80er Jahren massiv durch eine direkte staatliche Beschäftigungspolitik in den öffentlichen Unternehmen - ein Anklang an
volkswirtschaftliche Beschäftigungsplanung, nur eben begrenzt
auf den öffentlichen Sektor. Eine solche Politik setzt zwar direkt
25
auf der Angebotsseite an (Eigentümerentscheidung über die Produktionsmenge, und zwar unabhängig von der Nachfrage), doch
liegt der verfolgte Zweck eindeutig in der Nachfragestützung.
Trotz der nicht allzu stark ausgeprägten aktiven Antizyklik der
Nachfragepolitik war die längerfristige österreichische Budgetpolitik seit den frühen 70er Jahren insofern nie restriktiv, als
keine Budgetüberschüsse angestrebt werden. Dieser positive
langfristige Nachfrageimpuls kann als Ergänzung zur sozialpartnerschaftlichen Einkommenspolitik und zur Hartwährungspolitik
gesehen werden. Diese beiden Bestandteile der Gesamtkonzeption des Austrokeynesianismus sind Ausfluß der Ablehnung restriktiver Nachfragepolitik (bewußt erzeugter Rezessionen) zur
Reduktion der Lohnforderungen unter dem Druck erhöhter Arbeitslosigkeit. Binnenwirtschaftlich soll sozialpartnerschaftliche
Einkommenspolitik zur Stabilisierung der Inflationsrate auf niedrigem Niveau beitragen. Ergänzend soll die Hartwährungspolitik
dafür sorgen, daß durch die Aufwertungstendenz des Schilling
gegenüber weicheren Währungen bzw. durch die Wechselkurskonstanz zur Deutschen Mark (DM) die Importe (in Schilling gemessen) verbilligt bzw. nicht abwertungsbedingt verteuert werden - vor allem, wenn die Inflation in Handelspartnerländern höher ist als in Österreich und dadurch die relative Geldwertstabilität im Inland gefährden würde. Neben den Vorteilen, den die
Einkommens- und die Hartwährungspolitik als Anti-Inflationspolitiken bieten, werden diese beiden Politiken in ihrer Wirkung
auf die effektive Güternachfrage als eher restriktiv eingeschätzt.
So gesehen dient die langfristig expansive Budgetpolitik zur Erhaltung einer hohen Gesamtnachfrage nach Gütern.
Ein wesentlicher post-keynesianischer Charakterzug des Austrokeynesianismus wird darin gesehen, daß man versucht, statt einer
starren volkswirtschaftlichen Rahmenplanung wichtige Orientierungsgrößen für wirtschaftliche Entscheidungen, wie Wechselkurs, Zins- und Lohnsatz, zu stabilisieren bzw. mit einer stabilen,
26
vorhersehbaren Rate wachsen zu lassen. Aufgrund der großen
Planungsunsicherheit übernehmen stabile Preisverhältnisse im
Post-Keynesianismus - ganz im Gegensatz zur Neoklassik - eine
bedeutende Stabilisierungsfunktion. Allerdings bringt es der
konstante ÖS/DM-Kurs mit sich, daß der geldpolitische Spielraum der Oesterreichischen Nationalbank denkbar gering ist, so
daß Auswirkungen der monetaristischen deutschen Geldpolitik
auf das österreichische Zinsniveau gegeben sind (unfreiwilliger
"Austromonetarismus"). Besonders seit 1979 führen Zinssenkungen im Verhältnis zur BRD zu merklichen Kapitalabflüssen und
Zahlungsbilanzproblemen. Bei deutscher Hochzinspolitik wird
daher die generell expansive Budgetpolitik Österreichs besonders
wichtig.
Die Basisdemokratie in Wirtschaftsentscheidungen, wie sie von
Post-Keynesianern verfochten wird, kommt in Österreich in der
sozialpartnerschaftlichen Grundeinstellung in den Arbeitsbeziehungen zum Ausdruck, die mit der "Theorie der stillschweigenden Verträge" erklärt werden kann: Arbeitsnehmer und Arbeitgeber tauschen inoffiziell Leistungen aus, die beiden Parteien zugute kommen. Es ist dies der Tausch "moderate Lohnentwicklung gegen verringerte Kündigungsneigung in Rezessionen". Die
Institution der Sozialpartnerschaft auf gesamtwirtschaftlicher
Ebene ist in Österreich innerhalb aller Partnerorganisationen allerdings stark zentralisiert und wenig basisorientiert. Eventuell
stellt dieser Umstand selbst in einem kleinen Staat eine Notwendigkeit dar, um Kompromißlösungen im Interesse der gesamtwirtschaftlichen Stabilität leichter erzielbar zu machen. Die Abstimmungsprobleme werden dadurch natürlich in die einzelnen
Interessenorganisationen verlagert.
4.2.
Der Wandel im Konzept
Seit Mitte der 80er Jahre ist ein Wandel im Originalkonzept des
Austrokeynesianismus zu bemerken. Erstens wird auf direkte
27
staatliche Beschäftigungspolitik nunmehr verzichtet, und Teile
der öffentlichen Unternehmen werden privatisiert (wohl um dieser Politikvariante vorzubeugen). Zweitens wurde nach 1987 (offenbar unter dem Einfluß des neuen Koalitionspartners) ein Budgetkonsolidierungskurs durchgezogen, der in der vorangegangenen Kleinen Koalition begonnen, aber - nicht zuletzt aus konjunkturellen Gründen - nicht weitergeführt worden war. Mit der
Großen Koalition kamen erstmals deutlich nicht-keynesianische
Elemente in die wirtschaftspolitische Praxis. Eine hohe Staatsverschuldung wurde zunehmend als Beeinträchtigung der Ziele
Wachstum, Beschäftigung, Verteilung und Währungsstabilität
angesehen. Hinsichtlich der Verteilung rückte der Leistungsanreizaspekte in den Vorder- und der Umverteilungsaspekt in den
Hintergrund - ein Abgehen von der post-keynesianischen Ansicht, daß Umverteilung die effektive Güternachfrage stärke, ohne die Produktivität zu verschlechtern.
4.3.
Budgetkonsolidierung und Konjunkturpolitik
Angesicht des Wandels im Stabilisierungskonzept stellen sich die
Fragen, inwieweit die Budgetkonsolidierung erstens die Stabilisierungspolitik beeinträchtigt hat und zweitens mit Stabilisierungspolitik überhaupt vereinbar ist.
Die Motive der seit Beginn der 70er Jahre angekündigten Budgetkonsolidierung waren und sind Befürchtungen um die Stabilität der Wirtschaft bzw. die steigende Zinsendienstbelastung, die
einen Wiederaufbau von Finanzierungsspielräumen für spätere,
schwerere Krisen nahelegt. Die effektive Senkung der Budgetdefizite begann jedoch erst 1988. Der vorerst bis ins heurige Jahr
geplante Konsolidierungskurs wurde - sinnvollerweise - aus
konjunkturpolitischen Gründen in den frühen 90er Jahren ausgesetzt; eine Fortsetzung wird für 1995 erwogen. Die strikte Konsolidierungspolitik 1988-91 konnte natürlich konjunkturpolitische Erfordernisse nicht berücksichtigen. So waren denn auch die
28
Budgetsaldenänderungen von 1988 und 1989 rezessionsverstärkend. Zwischen 1977 und 1990 waren immerhin 5 von sechs
(sechs von acht) bewußte Budgetsaldenänderungen des Bundes
(des Gesamtstaates) von prozyklischer Wirkung. Allerdings ist
anzumerken, daß niemals erwogen wurde, Budgetüberschüsse zu
erzielen.
Generell ist festzustellen, daß Budgetkonsoldierung als kurzfristiges (jedes Jahr verfolgtes) Ziel eine antizyklische Nachfragepolitik nahezu ausschließt. Lediglich mit Umschichtungen in der
Ausgaben- und Abgabenstruktur können Nachfragestärkungen
erzielt werden. Konsolidierungspolitik ist mit Konjunkturpolitik
nur dann gut vereinbar, wenn Budgetkonsolidierung als langfristiges Ziel verfolgt wird. Das bedeutet nicht, daß man sich Konsolidierungsmaßnahmen für die fernere Zukunft vornimmt. Vielmehr sind umgehend solche Stukturmaßnahmen im öffentlichen
Sektor zu treffen, deren Einsparungswirkungen nicht in kurzer
Frist eintreten können, dafür später aber das Budget langfristig
entlasten. Damit sind in erster Linie keine Privatisierungsmaßnahmen gemeint. Zielführend ist erstens, verstärkt politische
Zielprioritäten zu setzen, weil nicht alle Wünsche gleichzeitig, in
gleichem Ausmaß und hochwertig erfüllt werden können. Entscheidend ist zweitens, daß die geplanten öffentlichen Leistungen
mit der angestrebten Qualität mit einem Minimum an Kosten
(d.h. an Budgetausgaben und allgemeinen volkswirtschaftlichen
Nachteilen) bereitgestellt werden. Diese beiden bedeutenden
Strukturaspekte, der nicht nur von der Angebotsorientierten
Wirtschaftspolitik, sondern auch von Post-Keynesianern betont
werden, finden in Österreich seit Mitte der 80er Jahre zunehmend
Beachtung. Doch das verbliebene Produktivitätspotential ist noch
bei weitem nicht ausgeschöpft. Erst die strukturellen, langfristigen Einsparungswirkungen ermöglichen es, den Spielraum für die
kurzfristig frei zu entscheidenden Staatsausgaben zu vergrößern
und sie bewußt zur Konjunkturstabilisierung einzusetzen.
29
5.
Schlußbemerkung
Es kann in den Sozialwissenschaften leider keine eindeutig richtige oder falsche Antwort auf eine Frage geben - so auch nicht bezüglich der Konjunkturproblematik. Deshalb bleibt es die ständige Aufgabe der Politik und ihrer Berater, für die jeweilige historische Situation die auffassungsgemäß geeignetsten Theorieelemente und die aus ihnen abzuleitenden Politikansätze auszuwählen, zu kombinieren, ihre Effizienz einzuschätzen und die Politik
im Hinblick darauf zu verbessern. Werturteile sind dabei nicht
auszuschließen. Die Verantwortung für die teils subjektiven Ergebnisse der gewählten Politik oder Nicht-Politik sind von den
unmittelbaren wie auch mittelbaren Beratern wissenschaftsethisch
und von den öffentlichen Entscheidungsträgern politisch-moralisch zu tragen. Zumindest sollten sich alle Beteiligten dieser ihrer
schweren Verantwortung bewußt sein. Dieses Entscheidungs"korrektiv" dürfte der Gesellschaft zum Vorteil gereichen.
Literaturhinweise
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hinaus. Einführung in die post-keynesianische Ökonomie, Köln
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Ein einführender Leitfaden zur Theorie der Wirtschaftspolitik, in: Arbeitspapiere des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Johannes Kepler Universität Linz, Nr. 9102
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Bartel R.(1993), Konjunkturelle Selbststabilisierung oder kompensatorische
Nachfragepolitik? Ein Leitfaden für Studenten, in: Arbeitspapiere des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Johannes Kepler Universität Linz, Nr.
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Bartel R., Pruckner, G., Deficit Spending and Stabilization Behaviour in
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Bartel R., Pruckner, G., Strukturelle und konjunkturelle Charakteristika der
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Cornwall, J., Makrodynamik, in: Eichner F.(Hrsg.), Über Keynes hinaus.
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Gordon R.G., Makroökonomik, 4.Aufl., München, Wien 1989
Kaldor, Sir N., Inflation - An Endemic Problem of Modern Capitalism, in:
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Mayer T., Die Struktur des Monetarismus, in: Beihefte zu Kredit und Kapital, 4/1978
Ostleitner H., Zu den Grundlagen der wirtschaftspolitischen Konzeption der
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Pollan W., Lohnpolitik und Einkommensverteilung, in: Abele H.(Hrsg.),
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31
Tichy G., Austro-Keynesianismus - Gibt´s den?, in: Wirtschaftspolitische
Blätter, 3/1982
Winckler, G., Der Austrokeynesianismus und sein Ende, in: Österreichische
Zeitschrift für Politikwissenschaft, 3/1988
32
KURZFASSUNG
SELBSTSTABILISIERUNG
DER WIRTSCHAFT ODER
NACHFRAGESTEUERUNG
DURCH DEN STAAT?
Rainer Bartel
Als ein einführender Überblick über die Thematik der Konjunkturstabilisierung wird ein Streifzug durch die ökonomische Wissenschaft und politische Praxis unternommen. Dabei
werden die bedeutendsten Erklärungsansätze und Lösungsvorschläge für das Konjunkturproblem vorgestellt. Die Einführung behandelt das Phänomen, die Problematik und mögliche Ursachen von zyklischen Schwankungen und präzisiert
die Frage nach dem staatlichen Stabilisierungsbedarf. Im weiteren werden die beiden gegensätzlichen Grundpositionen zur
Konjunkturstabilisierung dargestellt. Insbesondere werden die
unterschiedlichen Auffassungen von wirtschaftlicher (In-)Stabilität, (un-)freiwilliger Arbeitslosigkeit und (un-)vermeidbarer
Inflation erläutert und eine "Kompromißvariante" dieser entgegengesetzten Positionen diskutiert. Danach werden die einzelnen Theorieansätze und die aus ihnen hervorgehenden
Stabilisierungskonzepte skizziert. Als Praxisbeispiel folgt darauf die Besprechung des Austrokeynesianismus. Dabei werden
das Stabilisierungskonzept und sein Wandel erörtert sowie das
Verhältnis zwischen Budgetkonsolidierung und Konjunkturstabilisierung untersucht. Abschließend wird kurz auf die
Meinungsvielfalt in der Wissenschaft als Problem für die Gestaltung der Konjunkturpolitik in der Praxis eingegangen.
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