Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Klassik zum Mitreden 04 Vom Schicksal und anderen Unwägbarkeiten – Beethovens Fünfte Von Niels Kaiser Erstsendung: 25.04.2017, 08.45 Uhr, hr2-kultur Länge: 06'55" Sprecher: Niels Kaiser Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Anmoderationsvorschlag: Sie braucht noch nicht einmal eine richtige Melodie, um im Ohr zu bleiben! Wer bei Beethovens Fünfter aber nur an die Schläge des Schicksals am Beginn (Ta-ta-ta-tam = Klopfmotiv) denkt, der kennt Beethovens fünfte Sinfonie nicht. Sie ist ganz von der zielgerichteten Entwicklung zum Finale hin geprägt, einer Entwicklung, für die das 19. Jahrhundert den Ausdruck „Durch Nacht zum Licht“ gefunden hat und diesen auch gleich noch auf fast alle anderen Werke Beethovens inklusive die seiner Nachfolger anwandte. Dabei ist die Fünfte alles andere als ein romantisches Schicksalsdrama. In ihr spielt die neu gewonnene Freiheit des Komponierens ebenso eine Rolle wie die Musik der französischen Revolution, aus der die Triumphgesten des Finales (das Licht!) abgeleitet sind. 1: 0'00 Vier Töne, unisono gespielt, eher ein rhythmisches als ein melodisches Motiv – einfacher geht’s nicht. Den Anfang von Beethovens Fünfter Sinfonie kennt jeder. Ihr markantes Eröffnungsmotiv ist sogar in der Welt von Pop und Rock zu Hause. Thicke/Trans-Siberian Orchestra Natürlich hatten auch vor Beethoven Sinfonien ihre charakteristischen Themen. Mozart 40. Sinfonie Aber das Thema der Fünften ist schon etwas Besonderes. Es hat ja noch nicht einmal eine richtige Melodie. Da ist einfach nur dieses Klopfen. Ohne Einleitung, ohne Vorspiel, ohne Hinführung, zack, es geht einfach los. 1: 0'00 Beethoven reichen vier Töne, um den sinfonischen Fluss in Gang zu bringen. Sein kleines Motiv erzeugt eine aufbrausende Motorik, in der das im Sonatenhauptsatz geforderte ruhigere Seitenthema geradezu untergeht. Wer aber nur den ersten Satz kennt, der kennt noch nicht die Fünfte Sinfonie. Wie nie zuvor in der Geschichte der Sinfonie erschließt sich die Bedeutung des Anfangs erst vom Ende des Werks her. Das pochende Anfangsmotiv taucht nämlich später im Scherzo in abgewandelter Form wieder auf. 3: Und schließlich sogar im triumphalen Finale. Finale: 1.14 Satzübergreifende Zusammenhänge sind zu Beethovens Zeit noch etwas ganz Neues. Bis dahin war eine Sinfonie eine Abfolge in sich geschlossener Sätze, die im Prinzip austauschbar sind. Beethovens Fünfte aber hat eine auf ihr Ende hin ausgerichtete Gesamtform, in der alles aufeinander aufbaut. Damit ist Beethoven der Prototyp des modernen Komponisten. Doch der Reihe nach. Der zweite Satz steht – hier noch ganz klassische Sinfonie – in scharfem Kontrast zum ersten. Dessen Härte und Rhythmus-Betontheit werden nun lyrische Helle und die Sanglichkeit eines Variationensatzes gegenüber gestellt. 2: Thema 3: Der dritte Satz, ein Scherzo, baut Spannung auf vor dem alles krönenden Finale. In der Überleitung zum Finale schlägt die Pauke leise das Anfangsmotiv. 3: Überleitung Eine Überleitung zwischen zwei Sätzen, auch das ist in einer Sinfonie etwas ganz Neues. 2 Deutlicher kann Beethoven gar nicht zeigen, dass beide Sätze zusammen gehören. 4: 0'00 Das Finale selbst ist hymnisch und jubilierend, wie man es vom Abschluss einer großen Sinfonie erwartet. Kaum aber hat es vorher einmal eine Sinfonie gegeben, deren Schluss-Apotheose so konsequent aufgebaut und vorbereitet wird. Musik hoch „Durch Nacht zum Licht“ - so heißt das Schlagwort, das die romantische Beethoven-Deutung für die zyklische Form der Fünften Sinfonie gefunden hat. Man könnte auch sagen „Durch Leid zur Erlösung“ oder „Von der Niederlage zum Triumph“ - es ist immer dasselbe Schema, das dem sinfonischen Schaffen nicht nur Beethovens, sondern des 19. Jahrhunderts insgesamt übergestülpt wurde. Im Falle der Fünften wird auch gerne Beethovens privates Schicksal zur Deutung herangezogen. Das mit dem Schicksal ist aber so eine Sache. Von Beethoven selbst ist diesbezüglich nämlich gar nichts Verlässliches überliefert. Auch den Titel „Schicksalssymphonie“ hat erst die Nachwelt dem Werk verliehen. Folglich ist auch die Bezeichnung der vier Eingangstöne als „Schicksalsmotiv“ eine sehr fragliche Interpretation. Beethoven hat aber durchaus Spuren zum Verständnis seiner Sinfonie gelegt. Der Jubel im Finale marschiert nämlich zur Musik der Französischen Revolution, Klänge, die Beethoven oft verwendet hat. Diese Töne aus der Durchführung im Finale... 4: 4'43 ...finden sich so ähnlich schon in einer Revolutionshymne von Rouget de Lisle, dem Dichter der Marseillaise. Dort sind sie mit den Worten „la liberté“ unterlegt. de Lisle 0'40 4: 0'00 Das triumphierende Marschthema des Finales stammt fast wortwörtlich aus einer Siegeshymne von Jean-Baptise Lacombe. Lacombe Selbst das berühmte Anfangsmotiv... 1: 0'00 ...existierte bereits als Hymne von Luigi Cherubini in einer aufsteigenden Figur des Chores... Cherubini 7'40 ...genau da, wo es darum geht, für Republik und Menschenrechte zu sterben. Und auch diese Passage aus der ersten Sinfonie von Etienne-Nicolas Méhul... Méhul 4: 1'10 ...taucht in der Fünften wieder auf. 1: 0'10 Die Verwendung französischer Revolutionsmusik Musik steht bei Beethoven für die freiheitlichen Ideale der Revolution und der Aufklärung. Und so gesehen ist die Fünfte dann eben doch eine Schicksalssinfonie: die eines allgemeinen menschheitlichen Schicksals, das nicht mehr als vorgegeben und unabänderlich hingenommen wird. Beethovens Fünfte Sinfonie ist ein musikalisches Manifest gegen Entmündigung und Tyrannei. 1: Thema mit Schluss 3 Musik: Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: Sinfonie Nr. 5 c-moll, op. 67 Ludwig van Beethoven Concentus Musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt Beethoven. Symphonies 4&5 Sony Classical 06868 005-008 5‘39 Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: When I Get You Alone Robin Thicke, Walter Murphy Robin Thicke When I Get You Alone Interscope 06406 001 0‘06 Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: Requiem (The Fifth) Ludwig van Beethoven Trans-Siberian Orchestra Beethoven's Last Night Republic 07552 011 0’06 Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: Sinfonie Nr. 40 g-moll Wolfgang Amadeus Mozart Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, Hartmut Haenchen Mozart. Die letzten drei Sinfonien Berlin Classics 06203 005 0‘13 Titel: Komponist: Interpret: Chant du neuf Thermidor Claude-Joseph Rouget de Lisle Tibère Raffalli, Choeur du Capitole de Toulouse, Orchestre du Capitole de Toulouse, Michel Plasson La Marseillaise – Musique de la revolution francaise EMI Classics 06646 001 0‘13 CD: Label: LC: Track: Zeit: Titel: Komponist: Interpret: Zeit: Siegeshymne Jean-Baptisdte Lacombe, Martin Joseph Adrien Niels Kaiser Privataufnahme 0‘09 4 Titel: Komponist: Interpret: CD: Track: Zeit: Hymne du Panthéon Luigi Cherubini Chor, Stadtkapelle Laupheim, Arnfried Oehme Revolutionäre Musik aus Frankreich 005 SWR-Livemitschnitt 0‘17 Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: Sinfonie Nr. 1 g-moll: IV. Finale Etienne-Nicolas Méhul Orchestra of the Gulbenkian Foundation, Michel Swierczewski Méhul. The Complete Symphonies Nimbus Records 05871 005 0‘11 5