“Die weisse Rose”

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„Nach der finsteren Nacht
scheint heller und klarer,
begehrter und teurer
die Sonne hienieden.
So wird nach schwerem Unheil,
als Kind von tapf’rem Leiden,
beständigeres Glück
geboren aus der Tugend.“
DIE WEISSE ROSE
Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei!
(Johann Wolfgang von Goethe)
DIE WEISSE ROSE
Aus den Archiven des Terrors
Jutta Schubert
Schauspiel in drei Teilen und einem Vorspiel
Münchner Fassung der Uraufführung des
JUNGEN SCHAUSPIEL ENSEMBLES MÜNCHEN, September 2004
Hans Scholl
Alexander Schmorell
Sophie Scholl
Christoph Probst
Willi Graf
Traute Lafrenz
Prof. Kurt Huber
Clara Huber
Kommissar Mohr
Tobias Ulrich
Thomas Trüschler
Theresa Hanich
Benjamin Hakim Belmedjahed
Lorenz Seib
Elke Heinrich
Erhard Hennig
Annett Siegmund
Markus Fisher
Inszenierung, Bühne, Lichtkonzeption und Kostüme
Michael Stacheder
Dramaturgie
Krisztina Horváth
Mitarbeit Kostüm
Mario Schönmann
Mitarbeit Licht
Jo Hübner / Stefan Bettinger
Produktions- und Regieassistenz
Simone Fulir
Uraufführung am 30. September 2004
Reithalle München
Premiere der Neueinstudierung am 10. April 2008, Kulturhaus Bosco Gauting
Aufführungsdauer 2 Stunden 45 Minuten ,
Eine Pause
Aufführungsrechte Theaterstückverlag, München
Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen,
sondern das, was wir dadurch werden. (John Ruskin)
„Wir erinnern uns: Die Weiße Rose war ein zwangsloser Kreis von Gleichgesinnten,
ohne organisatorische Struktur, ohne eingetragene Mitgliedschaft und ohne programmatisch festgelegte Anweisungen, ein Freundschaftsbund, dessen Dramatik manche
Außenkontakte hervorbrachte. Was hätten diese jungen Menschen, isoliert im eigenen Volk, unerfahren in politischen Agitation, kundig mit Büchern und Worten zwar,
doch unkundig in den Strategien einer Konspiration – was hätten sie denn anderes
ausrichten können, als eine menschliche Rebellion gegen Unmenschlichkeit? […] Keiner von ihnen war ein tollkühne Hasardeur, keiner so wenig ein Fanatiker wie ein idealistischer Schwärmer. Die Erstrebung des Märtyrertums lag ihnen fern, heldischer
Aktionismus war nicht ihre Sache. Nicht einmal Enthusiasten waren sie, die den Blick
für die Realität verloren hatten. Sie waren vielseitig begabte, weltoffene Menschen,
die das Leben liebten und genießen konnten und in ständiger kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und mit sich selbst lebten. […] Entscheidend wurde die
Frage: „Was haben wir zu tun?“ Und es begann die Entwicklung von zunächst unpolitischen über unbewusst politische bis hin zu bewußt politisch handelnden Menschen.
[...] Dennoch: die Geschichte der Weißen Rose ist kein Heldenepos […]. Es darf nicht
der Eindruck entstehen, es handele sich bei den Mitwirkenden der Weißen Rose um
unerreichbare Vorbilder. Das wäre angesichts der inneren Haltung dieser Menschen
nicht mehr als ein Klischee. Jedes Pathos der Heldenverehrung würden sie sich auch
gewiß verbeten haben.“
So die Grußworte Anneliese Knoop-Grafs – der Schwester von Willi Graf – zur Eröffnung einer Ausstellung in Freiburg am 29. April 2004. Keine übermäßige Verherrlichung oder Heroisierung also, sondern beständige Erinnerung und angemessene
Würdigung gebührt der studentischen Widerstandsgruppe um Hans Scholl und Alexander Schmorell. Inzwischen sind über die Weiße Rose und ihre Mitglieder zahlreiche
Publikationen erschienen. Schulen und Plätze wurden nach ihnen benannt. „Aber
kann so bereits Verständnis für ihren Einsatz vermittelt werden?“ – stellte der Münchener Regisseur und Theaterleiter Michael Stacheder die Frage, die er jedoch gleich
beantwortet, indem er feststellt: „Ich glaube, dass man Menschen und ihr Handeln
erst richtig verstehen und respektieren lernt, wenn man sie in Gespräch und Aktion
erleben kann. Von jemandem zu hören oder über ihn zu lesen, kann nicht den unmittelbaren, prägenden Eindruck erzielen, den ein Schauspiel vermittelt. Daher wollte ich
die Geschichte der Weißen Rose zur Aufführung bringen.“ Die Inszenierung von Jutta
Schuberts Schauspiel Die Weiße Rose - Aus den Archiven des Terrors, dessen Uraufführung 2004 zugleich die Geburtsstunde des JUNGEN SCHAUSPIEL ENSEMBLES
MÜNCHEN bedeutete, trägt nicht nur zur Würdigung und Erinnerung an die Weiße
Rose als Widerstandsgruppe, als ein Stück Deutscher Geschichte bei, sondern will der
Frage nachgehen, wer die jungen Menschen waren, die nicht nur von einem besseren
Deutschland träumten, sondern sich aktiv dafür einsetzten. Mit den Worten der Autorin, Jutta Schubert, auszudrücken: „Mein Stück spürt den Beziehungen der Menschen
nach, ihren Beweggründen, Befürchtungen und Hoffnungen, ihrer Freundschaft, ihren
Widersprüchen, auch ihrem Leichtsinn. Es will die Menschen zeigen, nicht die Helden,
deshalb ist es ein Bühnenstück. Es geht mir nicht darum, zum wiederholten Mal die
Verhaftung in den Vordergrund zu stellen, die Tage in der Zelle, das Fallbeil. Es geht
mir vielmehr darum, nachvollziehbar zu machen, wie diese jungen Menschen in dem
verheerenden System auf ihre Idee kamen und sie umsetzten, mit ihren beschränkten,
unzulänglichen Mitteln, die letztlich zum Scheitern verurteilt waren.“
Die Wiederaufnahme und Neueinstudierung des bereits 2004 vom JUNGEN SCHAUSPIEL ENSEMBLE uraufgeführten Theaterstücks konzentriert sich mehr als je zuvor
auf die Menschen und Persönlichkeiten hinter den historischen Figuren. Die Bühne
und das Theater verwandelt sich in eine Insel der Menschlichkeit, die verblassten Erinnerungen werden wieder mit Farbe gefüllt und die Mitglieder des inneren Kreises
der Widerstandsgruppe – Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph
Probst, Willi Graf, Prof. Kurt Huber und Traute Lafrenz – für einige Stunden wieder zum
Leben erweckt.
Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung der deutschen Jugend mit der
verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen des
ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers diepersönliche Freiheit,
das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise
betrogen hat. (VI. Flugblatt der Weißen Rose)
Dann kommt eine neue deutsche Jugend, und die dressieren wir schon von ganz klein
an für diesen neuen Staat. Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation
hineinkommen und dort oft zum ersten Male überhaupt eine frische Luft bekommen
und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und
dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück
in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir
sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK [Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps] und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder
anderthalb Jahre sind und noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten,
dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach
sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein oder Standesdünkel da oder
da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren,
dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die
SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben, und sie sind
glücklich dabei. (Adolf Hitler)
Von dem Kreis, welchen ich hier zusammengebracht habe, wirst Du
schon gehört haben. Du würdest Deine Freude an diesen Gesichtern
haben, wenn Du sie sehen könntest. Alle Kraft, die man dort verschwendet, fließt unmittelbar wieder zurück ins eigene Herz. (Hans Scholl)
Hans Scholl
Unsere innere Kraft und Stärke ist
unsere stärkste Waffe.
Tobias Ulrich
Alexander Schmorell
… ich gehe hinüber in dem Bewusstsein, meiner tiefen Überzeugung und
der Wahrheit gedient zu haben.
Thomas Trüschler
Sophie Scholl
Das Gesetz ändert sich,
das Gewissen nicht.
Theresa Hanich
Christoph Probst
Und trotzdem liegt irgend etwas wie ein Glanz über dem Leben
der Menschen, sie spüren ihn nur nicht, nur manchmal in der
Erinnerung.
Benjamin Hakim Belmedjahed
Lorenz Seib
Willi Graf
Ich gehe meinen Weg bis zum Ende und wünsche
mir nur, daß ich ein starkes Herz bewahre.
Traute Lafrenz
Mir war damit mein Platz
zugewiesen, ich nahm ihn
an. Sorgte, dass die Blätter
weiter verbreitet wurden…
Elke Heinrich
Kurt Huber
Die innere Würde des Hochschulleiters, des
offenen, mutigen Bekenners seiner Weltund Staatsanschauung kann mir kein Hochverratsverfahren rauben.
Erhard Hennig
Clara Huber
Er hat jegliche Intoleranz und jeglichen Radikalismus abgelehnt und diese, für den demokratischen Staat manchmal auch schwierige
Gratwanderung unternommen; eben dafür hat
er sein Leben gelassen.
Annett Siegmund
Robert Mohr
Jeder von uns hätte gerade
hier bei der charakterlichen
Seelengröße der Betroffenen
sehr gerne geholfen, wenn
dies möglich gewesen wäre
Markus Fisher
Wenn nur noch Gehorsam gefragt ist und nicht mehr Charakter, dann geht die Wahrheit und die Lüge kommt. (Ödön von Horvath)
Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und
Heimatliebe. […] Und Hitler, so hörten wir überall, Hitler wolle diesem Vaterland zu
Größe, Glück und Wohlstand verhelfen; er wolle sorgen, daß jeder Arbeit und Brot
habe; nicht ruhen und rasten wolle er, bis jeder einzelne Deutsche ein unabhängiger,
freier und glücklicher Mensch in seinem Vaterland sei. Wir fanden das gut, und was
an uns lag, wollten wir gerne dabei sein. Aber noch etwas anderes kam dazu, das
uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriß, das waren die kompakten marschierenden Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärts gerichteten
Augen und dem Trommelschlag und Gesang. War das nicht etwas Überwältigendes,
diese Gemeinschaft? So war es kein Wunder, daß wir alle, Hans und Sophie und wir
anderen, uns in die Hitlerjugend einreihten. Wir waren mit Leib und Seele dabei, und
wir konnten es nicht verstehen, unser Vater nicht glücklich und stolz Ja dazu sagte.
Im Gegenteil, er war sehr unwillig darüber […]. Und manchmal verglich er Hitler mit
dem Rattenfänger von Hameln, der die Kinder mit seiner Flöte ins verderben gelockt
hatte. Aber des Vaters Worte waren in den Wind gesprochen, und sein Versuch, uns
zurückzuhalten, scheiterte an unserer jungen Begeisterung. […] War es nicht großartig, mit jungen Menschen plötzlich etwas Gemeinsames und Verbindendes zu haben,
denen man sonst vielleicht nie näher gekommen wäre? […] Wir hörten, daß wir für eine
große Sache leben sollten. Wir wurden ernstgenommen, in einer merkwürdigen Weise ernstgenommen, und das gab uns einen besonderen Auftrieb. Wir gleubten, Mitglieder einer Organisation zu sein, die alle umfaßte und jeden würdigte, vom zehnjährigen Jungen bis zum erwachsenen Mann. Wir füllen uns beteiligt an einem Prozeß, an
einer Bewegung, die aus der Masse Volk schuf. Manches, was uns anödete oder einen
schalen Geschmack verursachte, würde sich schon geben, – so glaubten wir. […] Aber
nach einiger Zeit ging eine merkwürdige Veränderung in Hans vor, er war nicht mehr
der alte. Etwas Störendes war in sein Leben getreten. […] Zu dieser Zeit wurde er mit
einem ganz besonderen Auftrag ausgezeichnet. Er sollte die Fahne seines Stammes
zum Parteitag nach Nürnberg tragen. Seine Freude war groß. Aber als er zurückkam,
trauten wir unseren Augen kaum. Er sah müde aus, und in seinem Gesicht lag eine
große Enttäuschung. […] Allmählich erfuhren wir […], daß die Jugend, die ihm dort als
Idealbild dargestellt wurde, etwas gänzlich anderes war, als er es sich in der Hitlerjugend vorgestellt hatte. Dort Drill und Uniformierung bis ins persönliche Leben hinein.
Und er, er hätte gewünscht, daß jeder Junge das Besondere aus sich gemacht hätte,
das in ihm steckte. Und jeder einzelne Kerl hätte durch seine Phantasie, seine Einfälle
und seine Eigenart die Gruppe bereichern helfen sollen. Dort aber in Nürnberg, hatte
man alles nach einer Schablone gerichtet. Von Treue hatte man gesprochen, bei Tag
und Nacht. Was aber war denn der Grundstein aller Treue: zuerst doch die zu sich
selbst…Mein Gott! In Hans begann es gewaltig zu rumoren.
Wo ist das Volk, das dies schadlos an seiner Seele ertrüge? Jahre und Jahre war unsre
tägliche Nahrung die Lüge. […] Lüge atmeten wir. Bis ins innerste Herzgefüge sickerte,
Tropfen für Tropfen, der giftige Nebel der Lüge. Und wir schrieen zur Hölle gewürgt,
erstickt von der Lüge, daß im Strahl der Vernichtung die Wahrheit herniederschlüge.
(Werner Bergengruen)
Wer heute die Lüge und Unwissenheit
bekämpfen und die Wahrheit schreiben
will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten
zu überwinden. Er muss den Mut haben,
die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit,
sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben
verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar
zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene
auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List, sie unter diesen zu verbreiten.[…] Es erscheint selbstverständlich,
daß der Schreibende die Wahrheit schreiben soll in dem Sinn, daß er sie nicht unterdrücken oder verschweigen oder daß er nichts Unwahres schreiben soll. Er soll sich
nicht den Mächtigen beugen, er soll die Schwachen nicht betrügen. […] Dazu ist Mut
nötig. […] Wenn über alle Sender geschrien wird, daß der Mann ohne Wissen und Bildung besser sei, als der Wissende, dann ist es mutig, zu fragen: für wen besser? Wenn
von vollkommenen und unvollkommenen Rassen die Rede ist, ist es mutig, zu fragen,
ob nicht der Hunger und die Unwissenheit und der Krieg schlimme Mißbildungen hervorbringen. Ebenso ist Mut nötig, um die Wahrheit über sich selber zu sagen, über
sich, den Besiegten. […] Zu sagen, daß die Guten nicht besiegt wurden, weil sie gut,
sondern weil schwach waren, dazu ist Mut nötig. […] Wenig Mut ist dazu nötig, über die
Schlechtigkeit der Welt und den Triumph der Roheit im allgemeinen zu klagen und mit
dem Triumphe des Geistes zu drohen, in einem Teile der Welt, wo dies noch erlaubt ist.
Da treten viele auf, als seien Kanonen auf sie gerichtet, während nur Operngläser auf
sie gerichtet sind. Sie schreien ihre allgemeinen Forderungen in eine Welt von Freunden harmloser Leute. […] Sie halten für Wahrheit nur, was schön klingt. […] Sie haben
nur daß äußere Gehaben derer, die die Wahrheit sagen. […] Sie wissen die Wahrheit
nicht. […] Sie glauben, dazu ist nur Mut nötig. Sie vergessen die zweite Schwierigkeit,
die der Wahrheitsfindung. […] Zunächst einmal ist es schon nicht leicht, ausfindig zu
machen, welche Wahrheit zu sagen sich lohnt. So versinkt zum Beispiel jetzt, sichtbar
vor aller Welt, einer der großen zivilisierten Staaten nach dem andern in die äußerste
Barbarei. Zudem weißt jeder, daß der innere Krieg, der mit dem furchtbarsten Mitteln
geführt wird, jeden Tag in den äußern sich verwandeln kann, der unsern Weltteil vielleicht als einen Trümmerhaufen hinterlassen wird. Das ist zweifellos eine Wahrheit,
aber es gibt natürlich noch mehr Wahrheiten. […] Wenn man erfolgreich die Wahrheit
über schlimme Zustände schreiben will, muß man sie so schreiben, daß ihre vermeidbaren Ursachen erkannt werden können. Wenn die vermeidbaren Ursachen erkannt
werden, können die schlimmen Zustände bekämpft werden. […] Wir müssen die Wahrheit über die schlimmen Zustände denen sagen, für die die Zustände am schlimmsten
sind, und wir müssen sie von ihnen erfahren. Nicht nur die Leute einer bestimmten
Gesinnung muß man ansprechen, sondern die Leute, denen diese Gesinnung auf
Grund ihrer Lage anstünde. Und eure Hörer verwandeln sich fortwährend! Sogar die
Henker sind sprechbar, wenn die Bezahlung für das Hängen nicht mehr einläuft oder
die Gefahr zu groß wird. […] Viele, stolz darauf, dass sie den Mut zur Wahrheit haben,
glücklich, sie gefunden zu haben, müde vielleicht von der Arbeit, die es kostet, sie
in eine handhabbare Form zu bringen, ungeduldig wartend auf das Zugreifen derer,
deren Interessen sie verteidigen, halten es nicht für nötig, nun auch noch besondere
List bei der Verbreitung der Wahrheit anzuwenden. So kommen sie oft um die ganze
Wirkung ihrer Arbeit. Zu allen Zeiten wurde zur Verbreitung der Wahrheit, wenn sie
unterdrückt und verhüllt wurde, List angewandt. […] Und all diese fünf Schwierigkeiten
müssen wir zu ein und derselben Zeit lösen, denn wir können die Wahrheit über barbarische Zustände nicht erforschen, ohne an die zu denken, welche darunter leiden,
und während wir, immerfort jede Anwandlung von Feigheit abschüttelnd, die wahren
Zusammenhänge im Hinblick auf die suchen, die bereit sind, ihre Kenntnis zu benützen, müssen wir auch noch daran denken, ihnen die Wahrheit so zu reichen, daß sie
eine Waffe in ihren Händen sein kann, und sogleich so listig, daß diese Überreichung
nicht vom Feind entdeckt und verhindert werden kann.
…weil ich die Gefahr selbst gewählt habe, muss ich frei, ohne
Bindung, dorthin steuern, wo ich es haben will. (Hans Scholl)
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher
nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zusehen. ... Man ist ein
lebender Leichnam. (Erich Kästner)
Alfred Adler, Hermann Adler, Max Adler, Ernst Angel , Raoul
Auernheimer, Otto Bauer, Vicki Baum, Johannes R. Becher,
Richard Beer-Hofmann, Walter Benjamin, Martin Beradt, Walter
Arthur Berendsohn, Ernst Bloch, Felix Braun, Josef Braunthal,
Bertolt Brecht, Willi Bredel, Hermann Broch, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, John Dos Passos, Kasimir Edschmid, Albert
Ehrenstein, Albert Einstein, Carl Einstein, Friedrich Engels,
Hanns Heinz Ewers, Lion Feuchtwanger, Marieluise Fleißer, Wilhelm Friedrich Foerster, Leonhard Frank, Anna Freud, Sigmund
Freud, Egon Friedell, Salomo Friedlaender, André Gide, Claire
Goll, Oskar Maria Graf, George Grosz, Ernst Gläser, Ferdinand
Hardekopf, Jakob Haringer, Jaroslav Hašek, Walter Hasenclever, Raoul Hausmann, Heinrich Heine, Max Herrmann-Neiße,
Franz Hessel, Magnus Hirschfeld, Jakob van Hoddis, Ödön von
Horvath, Wera Inber, Heinrich Eduard Jacob, Hans Henny Jahnn,
Georg Jellinek, Franz Jung, Erich Kästner, Franz Kafka, Georg
Kaiser, Mascha Kaleko, Alfred Kantorowicz, Karl Kautsky,
Hans Keilson, Hans Kelsen, Alfred Kerr, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Klabund, Alma J. Koenig, Annette Kolb, Gertrud Kolmar, Paul Kornfeld, Siegfried Kracauer, Theodor Kramer, Karl
Kraus, Adam Kuckhoff, Gustav Landauer, Else Lasker-Schüler,
Wladimir Iljitsch Lenin, Karl Liebknecht, Hubertus Prinz zu Löwenstein, Ernst Lothar, Emil Ludwig, Rosa Luxemburg, André
Malraux, Heinrich Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Hans
Marchwitza, Ludwig Marcuse, Karl Marx, Walter Mehring, Gustav Meyrink, Erich Mühsam, Robert Musil, Alfred Neumann,
Robert Neumann, Carl von Ossietzky, Karl Otten, Ernst Ottwalt,
Hertha Pauli, Kurt Pinthus, Adelheid Popp, Fritz Reck-Malleczewen, Erik Reger, Gustav Regler, Wilhelm Reich, Erich Maria
Remarque, Karl Renner, Joachim Ringelnatz, Rudolf Rocker,
Joseph Roth, Otto Rühle, Alice Rühle-Gerstel, Nelly Sachs, Felix Salten, Rahel Sanzara, Arno Schirokauer, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Walter Serner, Ignazio Silone, Otto Soyka,
Wilhelm Speyer, Rudolf Steiner, Carl Sternheim, Lisa Tetzner,
Adrienne Thomas, Ernst Toller, Friedrich Torberg, Bruno Traven,
Leo Trotzki, Karl Tschuppik, Kurt Tucholsky, Fritz von Unruh, Jakob Wassermann, Alex Wedding, Armin T. Wegner, Ernst Weiß,
Franz Werfel, Eugen Gottlob Winkler, Friedrich Wolf, Paul Zech,
Carl Zuckmayer, Arnold Zweig, Stefan Zweig Nichts ist schwerer und nichts erfordert
mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und
laut zu sagen: NEIN!
(Kurt Tucholsky)
Was für den Vogel die Kraft
der Schwingen, das ist für
den Menschen die Freundschaft; sie erhebt ihn über
den Staub der Erde.
(Zenta Maurina)
Und Handeln sollst du so, als hinge
Von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge,
Und die Verantwortung wäre dein.
(Johann Gottlieb Fichte)
Mensch sein, heißt Verantwortung fühlen: sich schämen beim Anblick einer Not, auch
wenn man offenbar keine Mitschuld an ihr hat; stolz sein über den Erfolg der Kameraden, seinen Stein beitragen im Bewußtsein, mitzuwirken am Bau der Welt.
(Antoine de Saint-Exupéry)
Eingreifen und Zivilcourage zeigen! – […] Gefragt ist Zivilcourage oder sozialer Mut im
Alltag: sich für andere einsetzen, gegen den Strom schwimmen, etwas deutlich kritisieren oder öffentlich handeln, auch wenn damit ein Risiko verbunden ist. […] Viele
dieser Situationen sind wenig spektakulär und keineswegs ist immer Gewalt im Spiel.
In unserem Alltag sind denn meist auch nicht Heldentaten gefragt, sondern eher beherztes Eintreten für Toleranz, für ein berechtigtes Anliegen, für mehr Gerechtigkeit.
Die meisten aber reagieren mit Wegsehen und Schweigen. Sie denken „Man kann ja
doch nichts machen“ und „Lass mich in Ruh‘, ich hab‘ genug eigene Sorgen“. Oft sind
es auch Angst und Resignation - viele verständliche, aber nicht immer gute Gründe, um
nichts zu tun. Was verstehen wir nun - genauer - unter Zivilcourage? Was kennzeichnet Situationen, Verhaltensweisen und Motive, die charakteristisch sind für zivilcouragiertes Handeln? Nicht jedes mutige Handeln ist Zivilcourage oder, wie wir im Blick
auf das alltägliche soziale Geschehen gleichbedeutend auch sagen, sozialer Mut. […]
Häufig, aber nicht notwendig, handelt es sich um eine „Täter-Opfer-Situation“. […] Zivilcouragiert handeln vor allem, aber nicht nur, einzelne Menschen. Auch Gruppen können
in solchen Situationen Zivilcourage beweisen, zumal im politischen Raum. Zivilcourage folgt primär ideellen, nicht-materiellen Motiven, Werten und Interessen. Moralische
Überzeugungen und ethische Prinzipien müssen jedoch nicht bewusst sein oder als
solche formuliert werden. Sozial mutig handeln heißt, freiwillig, sichtbar und aktiv für
allgemeine humane und demokratische Werte, für die legitimen Interessen vor allem
anderer Menschen (aber sekundär auch für die eigenen) einzutreten. Deshalb sollen
hier nicht nur idealistisches Streben und reiner Altruismus als legitime Motivation und
Begründung sozial mutigen Handelns gelten, sondern auch allgemein akzeptierte Werte und Interessen, die zentral sind für das Leben, die Würde und die sozial verantwortliche Freiheit der Person wie der ganzen Gesellschaft. […] Wer Zivilcourage zeigt, fühlt
sich nicht nur in seinem Wert- oder Gerechtigkeitsempfinden verletzt, sondern übernimmt aktiv, freiwillig und eigenständig Verantwortung für andere wie für sich selbst.
Zivilcouragiertes Handeln kann spontan oder überlegt, eher rational oder eher intuitiv bzw. emotional bestimmt sein. In vielen Situationen, in denen Zivilcourage gefragt
ist, sind zuvor Angst oder andere innere Schwellen zu überwinden. Zivilcourage heißt
dennoch nicht, tollkühn zu handeln oder sich in blinder Ergebenheit aufzuopfern. Wer
sozialen Mut beweist, ist im Augenblick des Handelns entschieden und - nach eigenem
Empfinden - sicher, das Richtige zu tun.
Quellenhinweis:
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Christoph Probsts Brief vom 13. Juni 1936. In: ChristophProbst-Gymnasium Gilching (Hrsg): „...damit Deutschland weiterlebt“. Christoph Probst 1919-1943. Gilching
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--Scholl, Inge: Die weisse Rose. Frankfurt am Main 1952,
S. 10ff.
Impressum
Herausgeber:
JUNGES SCHAUSPIEL ENSEMBLE MÜNCHEN
Direktion und Geschäftsführung Michael Stacheder
Theaterbüro: Krüner Straße 51, D-81373 München
Tel. +49 + 89 / 50 07 87 50
Fax. +49 + 89 / 50 09 45 89
[email protected]
www.junges-schauspiel-ensemble.de
Spielzeit 2007/2008
Redaktion: Krisztina Horváth
Fotos, Zeichnungen und Layout: Max Ott, www.D-Design.de
Druck Weber Offset, München
Selg, Peter: Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns
selbst. Der geistige Weg Hans und Sophie Scholls.
Dornach 2006, S. 117.
http://1000-zitate.de
--Bergengruen, Werner: Die Lüge. In: Bergengruen,
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Brecht, Bertolt: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben
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Meyer, Gerd; Hermann, Angelika: Zivilcourage im Alltag
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--Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Die klassische
Zitatensammlung. Frankfurt am Main/Hamburg 1961,
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Alexander Schmorells Brief an die Eltern am Hinrichtungstag, 13. Juli 1943. In: Siefken, Hinrich (Hrsg): Die
Weiße Rose und ihre Flugblätter. Dokumente, Texte,
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1994, S. 136.
Willi Grafs Brief aus dem Staatsgefängnis MünchenStadelheim. München, den 23.5.1943. In: Knoop-Graf,
Anneliese; Jens, Inge (Hrsg): Willi Graf. Briefe und
Aufzeichnungen. Frankfurt am Main 2004, S. 188.
Huber, Clara: Rückblicke auf vier Jahrzehnte. In: Huber,
Clara (Hrsg): Kurt huber zum Gedächtnis. „…der Tod war
nicht vergebens“. München 1986, S. 22.
Scholl, Inge: Die weiße Rose. Frankfurt am Main 2003,
S. 175.
--Aus „Rodelinda – Regina de‘ Longobardi“ von Georg
Friedrich Händel
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