„Wertschätzung“ Kommentar von Daniela Castner

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„Wertschätzung“
Kommentar von Daniela Castner
„Wertschätzung“, geht Ihnen dieses Wort auch so auf die Nerven wie mir? Noch dazu
„Wertschätzung“ als allgemeine ethische Forderung im Umgang mit anderen Menschen;
wie sollen wir das verstehen? Sollen wir einschätzen, wie viel der oder die Andere wert ist?
(Martin Luther King hat das mal ausgerechnet, zwischen 23 und 28 Dollar ist ein Mensch
wert, aus seinem Kupfergehalt lässt sich ein Penny gewinnen, einige Nägel aus Nickel, ein
kleines Stück Seife aus dem Fett...)
Oder soll die Forderung nach „Wertschätzung“ uns leiten, den und die Andere als
wertvollen Schatz ansehen zu lernen? Im Sinne des Diversity-Konzepts: Wertschätzung
von Vielfalt als Bereicherung? Bereicherung durchaus auch ökonomisch zu verstehen,
„wertschätzender Umgang“ mit unterschiedlichen MitarbeiterInnen und KollegInnen zählt
in der Unternehmensliteratur als eines der messbar wirkungsvollsten Mittel zur
Effizienzsteigerung.
Der Wert-Begriff hat denn auch seine Herkunft in Mathematik und Ökonomie, Zahlenwert,
Warenwert, Wert einer Arbeitskraft, und ist erst im 18. und 19. Jahrhundert zu einem
zentralen Begriff in Ethik, Psychologie und Politik geworden.
Es waren die Ökonomen Jeremy Bentham und John Stuart Mill, die Begründer des
Utilitarismus, der Nützlichkeitsethik, die ihre Ethik auf der Idee einer radikalen GleichWertigkeit aller Menschen gründeten. Ziel allen ethischen Handelns soll das
größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl aller Menschen sein, wobei jeder Einzelne,
unabhängig von Stand, Geschlecht, Hautfarbe usw. gleich viel zählt.
Eine Haltung, die die Französische Revolution befeuert hat, eingeschrieben wurde in die
amerikanische Verfassung (das allgemeine Menschenrecht auf Glück), aus dieser Haltung
wurden schließlich auch die Menschenrechte deklariert.
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, der Feminismus, das Antidiskrimierungsgesetz,
die Diversity-Bewegung bis hin zum arabischen Frühling (um einmal über unsere Grenzen
hinaus zu schauen), alle diese Bewegungen werden getragen durch die Überzeugung von
der Gleichwertigkeit aller Menschen.
Dass diese Idee alles andere als selbstverständlich war und ist, wissen wir. Nur zum
Beispiel: In den Vereinigten Staaten, dem Land der Freiheit, des allgemeinen
Menschenrechts auf Glück: Sklaverei bis 1868, Diskriminierung bis - ?
In Deutschland, in Österreich? Hier hat der Wert-Begriff eine besonders verhängnisvolle
Rolle gespielt; besonders Nietzsches, „Umwertung aller Werte“. Nietzsche, der den
Gleichheitsgedanken aus der „Sklavenmoral“ des Christentums ableitet und die
Französische Revolution als „Aufstand der Schwachen“ verachtet, ruft auf zu einer
„Herrenmoral“ der Starken, die den Willen zur Macht als höchsten, das Leben
befördernden Wert ausruft. Wobei Nietzsche selber nicht gerade zu den Starken zählte
und seine letzten Lebensjahre in Umnachtung verbrachte. Seinen politischen,
nationalsozialistischen Jüngern, die millionenfach „Untermenschen“, gesundheitlich und
rassisch „minder-wertiges“ Leben vernichteten, das heißt einen großen Teil der
intellektuellen und künstlerischen Elite im Namen der „Herrenrasse“ umbrachten und
außer Landes trieb, wäre auch Nietzsche sicher als „unwertes Leben“ zum Opfer gefallen.
Für alle totalitären Regime und Gedankengebäude gilt: Die grundsätzliche Gleichwertigkeit
aller Menschen wird geleugnet, es gibt höhere und niedrigere, edlere und unedlere
Menschen, Rassen, Religionen. Weshalb die Niedrigen und Unedlen beherrscht,
kolonialisiert und gegebenenfalls sogar ausgerottet gehören.
„Wertschätzung“ im Sinne der Anerkennung von grundlegender Gleichwertigkeit aller
Menschen ist also nicht nur eine ethische, sondern auch eine eminent politische
Forderung. Und eine Forderung der Psychologie.
Abraham Maslow, bekannt durch seine „Bedürfnispyramide“, ein amerikanischer
Psychologe russisch-jüdischer Herkunft, prägte im Jahr 1943, zur Zeit als in Deutschland
und Österreich Menschen seiner Herkunft wie Ungeziefer vernichtet wurden, den Begriff
„esteem need“. (Der dann mit „Wertschätzung“ übersetzt wurde, für die klientenzentrierte
Psychotherapie nach Carl Rogers grundlegend wurde und nach dem Krieg Eingang in die
öffentlichen Debatten fand.) Maslow versteht unter „esteem need“ das grundlegende
menschliche Bedürfnis nach Achtung und Anerkennung. Anerkennung sowohl durch die
Anderen, wie auch, in Form der Selbst-Achtung, „self-esteem“, Anerkennung durch sich
selbst.
Wird dieses Bedürfnis aber frustriert, wie es in allen autoritären Systemen, die von der
Ungleichwertigkeit der Menschen ausgehen, zwangsläufig geschieht, dann reagieren die
solcherart Missachteten mit Aggression, mit Hass, mit Intrigen, mit Verweigerung. Und sie
tyrannisieren ihrerseits die Schwächeren, wie in vielen Studien nachgewiesen wurde.
Doch auch wenn uns eine Gesellschaft wirklich gleichwertiger, einAnder achtender,
einAnder anerkennender Menschen noch utopisch erscheinen mag, für uns Einzelne lohnt
sich´s, uns selbst zu Wertschätzung, das heißt zu Respekt und Achtung vor allen
Menschen, zu Anerkennung unserer Gleichwertigkeit, zu erziehen.
Das Leben wird friedlicher, weniger Konflikte, besseres Zusammenwirken, mehr Glück für
alle.
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