GELSENKIRCHEN: LADY MACBETH VON MZENSK. Premiere

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09.02.2013, Der neue Merker
GELSENKIRCHEN: LADY MACBETH VON MZENSK. Premiere
GELSENKIRCHEN: LADY MACBETH VON MZENSK - Premiere am 9. Februar
2013
Foto: Musiktheater im Revier/Forster
Die ironisch zeremoniell herum getragene Stalin-Büste erinnert an den Urheber eines der
spektakulärsten Opernschicksale. „Lady Macbeth von Mzensk“, geschrieben von dem noch
nicht 30jährigen Dmitri Schostakowitsch, streichelt (wie zuvor schon seine „Nase“)
Mütterchen Russland nicht über die Wangen, sondern legt albtraumhafte Verhältnisse bloß
und spart dabei nicht mit bruitistisch aufschreiender, ätzender Musik. Trotzdem – oder
gerade deswegen – machte das Werk rasch Furore (auch im Ausland). Der Leningrader
Uraufführung 1935 folgte bereits 2 Tage später die Moskauer Premiere. Stalin ließ sie
Produktion des Nemirowitsch-Dantschenko-Theaters für eine einzige Vorstellung ins
Bolschoi transferieren, weil es dort für ihn eine Sicherheitsloge gab. Bald danach war in der
Prawda von „Chaos statt Musik“ zu lesen. Weitere Aufführungen wurden verboten. Nach
Stalins Tod machte sich Schostakowitsch an eine Umarbeitung.
Diese „Katerina Ismailowa“ wurde 1963 wiederum bei Nemirowitsch-Dantschenko
herausgebracht, anschließend erfolgte eine Plattenaufnahme. Die Düsseldorfer Rheinoper
spielte 1959 nochmals die Erstfassung (mit abenteuerlich erworbenem Notenmaterial –
„Spiegel“-Bericht“ im Internet nachlesbar). Doch erst nach dem Tode des Komponisten
verbreitete sich (unter Mithilfe von Mstistaw Rostropowitsch, der dann auch eine Aufnahme
mit seiner Frau, der kürzlich verstorbenen Galina Wischnewskaja, vorlegte) das authentische
Notenmaterial. Wuppertal präsentierte 1980 eine erste deutsche Aufführung, die damals
entstandene Übersetzung von Jörg Morgener und Regisseur Siegfried Schoenbohm nutzt
jetzt auch das Musiktheater im Revier, in Übernahme einer von Intendant MICHAEL
SCHULZ im November 2011 für das Staatstheater Kassel erarbeiteten Inszenierung.
Das letzte Bild der Oper ist tragisch umflort, auch hat Schostakowitsch einige Krassheiten
der Erzählung von Nikolai Leskow (etwa Katerinas Tötung ihres minderjährigen Neffen)
gestrichen, um seine Titelheldin moralisch verständlich bleiben zu lassen. Die Morde am
verhassten, despotischen Schwiegervater Boris und an dem ungeliebten Gatten Sinowi
waren ihm wohl genug. An der sexuellen Färbung des Sujets nahm Schostakowitsch
allerdings keine Abstriche vor, scheute sich auch nicht vor musikalischen Vulgarisierungen
(Beischlaf-Szene). Die Triebhaftigkeit von Katerina wird durchaus nicht bemäntelt, und der
Regisseur zeigt vor Beginn der Aufführung eine stumme Sequenz mit der wollüstig um
Schlaf ringenden Katerina. Später hört man während einer Szene mit ihr und dem neuen
Lover Sergej aber auch eine lyrisch, fast tristanesk aufblühende Musik: Sex zwar sehr
irdisch, aber doch auch von sublimen Gefühlsregungen durchzogen. Und hier ist Katerina
dem Hallodri Sergej emotional fraglos voraus. Überhaupt wird die Männerwelt vor allem als
rohes Kollektiv gezeichnet (Vergewaltigungsszene 1. Akt). Schostakowitsch wollte
Abgründiges der Frauenseele durchaus nicht beschönigen, setzte sie jedoch mit
emanzipatorischer Energie in Rechte ein, die ihr bislang verwehrt waren.
All diese Facetten sind in der Darstellung YAMINA MAAMAR vereinigt. Die deutsche
Sängerin mit tunesischen Wurzeln begann als Mezzo, wechselte 2006 ins jugendlich
dramatische Fach (hierzu u.a. Auskünfte in einem „Merker“-Interview 6/2008). Einen
eindrucksvollen Querschnitt ihres Repertoires kann man sich bei Youtube vergegenwärtigen
(Fidelio, Salome, Ödipus der Tyrann, Kundry, Manon Lescaut). Yamina Maamar agiert mit
großer Emphase, singt ausdrucksvoll und mit vehementer Leuchtkraft. Dieser wunderbaren
Leistung möchte man eigentlich nicht entgegenhalten, dass für ein ideales Katerina-Porträt
ein herbes Timbre von Vorteil wäre. TOMAS MÖWES wiederum dürfte als Boris von
Renatus Mészár (als Boris bereits in Kassel zu erleben) überflügelt werden. Bei aller
Persönlichkeitsstrahlung fehlt ihm ein wenig das Urige, er wirkt zu „domestiziert“. LARSOLIVER RÜHL ist ein vollpotenter Sergej, der tenoral vielversprechende HONGJAE LIM gibt
den Sinowi mit primär heller, gleichwohl reicher Ausdruckspalette. Aus dem Ensemble
überzeugender Comprimario-Sänger schälen sich noch PIOTR PROCHERA (virtuose
Zeichnung des eitlen Polizeichefs) und JOACHIM GABRIEL MAASS (Pope) heraus.
WILLIAM SAERTRE muss schon eine spezielle Partie wie den Schäbigen finden, um auch
vokal akzeptiert werden zu können. RASMUS BAUMANN bringt mit der exzellentem NEUEN
PHILHARMONIE WESTFALEN das musikalisch reiche Spektrum von Schostakowitschs
kompromisslos zuspitzender Musik mit dramatischer Energie zum Klingen.
„Lady Macbeth von Mzensk“ ließe sich fraglos realistischer inszenieren, als wie es Schulz
tut. Doch für seine Entscheidung zur Stilisierung hat er den Komponisten auf seiner Seite,
welcher beispielsweise mehrere anti-illusionistischer Banda-Auftritte vorsieht. Mit den
stärksten Eindruck hinterlässt die Arbeit von Schulz im Finalbild. Die Decke von DIRK
BECKERs klinisch weißer Raumeinkleidung (passende Kostüme: RENÉE LISTERDAL)
senkt sich herab, ihr Rundausschnitt umfasst den Chor (superb im Einsatz) wie mit
Gefängnismauern. Möglichkeiten zur Bewegung bleiben da kaum.
Das ist besser als jeder Versuch, Lager-Tristesse mit realistischen Verzweiflungsgesten
einzufangen (ein Problem immer wieder auch bei Janaceks „Totenhaus“). Über die etwas
steife Chorführung ließe sich rechten, auch über bildnerische Entscheidungen wie die Tür als
transportables Requisit im 2. Akt.
Zwingend hingegen wirken bestimmte optische Akzentuierungen (Sergejs Flirten bereits
während der Hochzeit) wie überhaupt dieses Bild gleich zu Beginn das Unglückhafte
kommender Ereignisse unzweideutig einfängt.
Dass Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ für Opernerbauung wenig taugt,
zeigten die nach der Premierenpause gelichteten Zuschauerreihen. Insgesamt war die
Zustimmung jedoch nachhaltig und eindeutig positiv.
Christoph Zimmermann
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