Bericht - Österreichisches Parlament

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1766 der Beilagen XVIII. GP - Ausschussbericht NR (gescanntes Original)
1766 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVIII. GP
Bericht
des Familienausschusses
über den Entschließungsantrag 610/A(E) der
Abgeordneten Christine Heind! und Genossen
betreffend entsprechende Maßnahmen gegen
pseudoreligiöse Organisationen und destruktive Kulte
Die Abgeordneten Christine H ein d I und
Genossen haben diesen Entschließungsantrag am
24. September 1993 im Nationalrat eingebracht
und wie folgt begründet:
"Bei dem am 27. Jänner 1993 im Parlament
abgehaltenen Hearing über Sektengefahren wurde
auf eine Studie Bezug genommen, nach der ein
Drittel bis zur Hälfte der zukünftigen Wähler für
solche Gruppen ansprechbar sind. Kulte dieser Art
haben nicht nur Einfluß auf die religiösen
Vorstellungen ihrer Mitglieder, sondern sie beeinflussen das gesamte soziale Verhalten. Meist ist
bedingungsloser Gehorsam die unerläßliche V oraussetzung einer Mitgliedschaft. Es versteht sich
von selbst, daß sich eine solche Einschränkung der
persönlichen Freiheit nicht nur auf den religiösen
Bereich bezieht, sondern die gesamten Belange des
Menschen erfaßt, mit allen damit verbundenen
Konsequenzen. Abgesehen von den daraus sich
ergebenden persönlichen und familiären Tragödien
erwächst der Gesellschaft ein unermeßlicher wirtschaftlicher Schaden durch die von Indoktrination
herrührenden Verhaltensweisen.
Einige Organisationen, zB die ,Scientology
Kirche' haben überhaupt keinen religiösen Inhalt,
geben aber vor, eine religiöse Gemeinschaft zu
sein, um in den Genuß von Vorteilen zu kommen,
die Religionsgemeinschaften vorbehalten sind.
Diese Machenschaften erfolgen in einer bisher
noch nicht von der Gesetzgebung erfaßten Grauzone und der/die einzelne Staatsbürger/in ist
ihnen daher hilflos ausgeliefert. Da bei dem
Hearing weitgehender Konsens der Fraktionen,
Experten und Beamten der Ministerien bestand,
daß entsprechende Maßnahmen zu setzen sind,
wird dieser Entschließungsantrag gestellt.«
Der Familienausschuß hat den Entschließungsantrag 610/A(E) in seiner Sitzung am 29. Juni
1994 in Verhandlung genommen.
Als Berichterstatterin für den Ausschuß fungierte
die Abgeordnete Christine H ein d 1.
'
An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten' Edith Hall e r, Christine H ein d I, Dr.
Irmtraut K a rl s s'o n, die Obfrau Dr. Ilse
M e r tel sowie die Bundesministerin für Umwelt,
Jugend und Familie Maria Rau c h - Kali a t.
Bei der Abstimmung fand der gegenständliche
Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der
Ausschußmehrheit.
Zur Berichterstatterin für das Haus wurde die
Abgeordnete Dr. Elisabeth H I a v a c gewählt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Familienausschuß somit den A n t rag, der Nationalrat
wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.
Wien, 1994 06 29
Or. Use Merte" .
Oe. Elisabeth Hlavac
Berichterstatterin
übfrau
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Abweichende persönliche Stellungnahme der Abgeordneten
Christine Heindl
(gemäß § 42 Abs. 5 GOG)
In Österreich wie in vielen europäischen
Ländern versuchen derzeit pseudoreligiöse Organisationen und destruktive Kulte, die sich jeweils in
Grenzbereichen zwischen Religion und Therapie,
Politik und Wirtschaft ansiedeln, an Einfluß zu
gewinnen. Häufig dient auch der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz der Religionsfreiheit
zur Tarnung außerreligiöser Ziele und Aktivitäten
dieser Organisationen. Generell läßt sich sagen,
daß diesen Sekten und Sondergruppen gemeinsam
ist, daß sie wesentliche Defizite aufweisen in
wirtschaftlicher Transparenz, Toleranz nach innen,
ethischer Konzeption und Transparenz der Ideologie. Damit verbunden ist der Druck auf
Mitglieder und Anhänger, die oft durch massive
Manipulation "bei der Stange" gehalten werden.
Destruktive Kulte können bei den Betroffenen
einen radikalen Wertewandel, eine drastische
Beeinflussung des gesellschaftlichen und politischen Erlebens, extreme Abhängigkeit und damit
oft finanzielle Ausbeutung mit sich bringen.
3. Anregung eines parlamentarischen Hearings
Dieses Hearing fand mit Unterstützung des
ParIamentspräsidenten im Jänner 1993 statt.
Beigezogen wurden alle im Parlament
vertretenen Fraktionen, Vertreter der entsprechenden Ministerien, ExpertInnen. Alle
an dem Hearing Beteiligten waren sich
darüber einig, daß es entsprechende Präventivmaßnahmen (Broschüren, Informationskampagnen usw.) geben müßte. Die Ministerien wurden zu einer verstärkten Zusammenarbeit aufgerufen.
4. Entschließungsantrag der Grünen betreffend
entsprechende Maßnahmen gegen pseudoreligiöse Organisationen und destruktive
Kulte (24. September 1993)
Die grüne Parlaments fraktion hat in den
vergangenen zwei Jahren mehrere parlamentarische Initiativen zur Bewältigung der Sektenproblematik gestartet.
1. Anfragenserie betreffend die in Österreich
zur Zeit besonders aktiven Jugendreligionen,
Psychokulte, Gurubewegungen, insbesondere
"ScientologyIDianetics IScientology-Kirche"
(April 1992)
2. Anfragen an
neun Ministerien betreffend
Aktivitäten destruktiver Kulte (Februar 1994)
Die Anfragebeantwortungen lassen darauf
schließen, daß es wenig politischen Willen
seitens des Bundesgesetzgebers gibt, der
zunehmenden Problematik mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen.
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N ach dem Hearing gab es von den Grünen
Bemühungen, die anderen Fraktionen zu
einer gemeinsamen Entschließung zu bewegen. Da der vorgelegte Entwurf keine
Unterstützung bei der Koalition fand und
von dieser auch keine anderen Initiativen
ausgingen, brachten wir den Entschließungsantrag, der folgende Forderungen enthält, am
24. September 1993 ein:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, für
die Durchführung folgender Maßnahmen zu
sorgen:
in Zusammenarbeit mit den zuständigen
Ministerien und unter Miteinbeziehung
von ExpertInnen eine interministerielle
Kommission
zu
dem
Problemkreis
Jugendsekten, pseudoreligiöse Organisationen und destruktive Kulte einzurichten
und die entsprechenden personellen und
finanziellen Ressourcen bereitzustellen,
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die Herausgabe einer Neuauflage' der
In Österreich ist es möglich, daß politische
Aufklärungsbroschüre "J ugendreligionen, ·Mandatare destruktiven Kulten angehören - in
Psychokulte, Gurubewegungen" durch Deutschland wurde zB in mehreren politischen
die Bundesregierung zu veranlassen,
Parteien das Verbot einer Doppelmitgliedschaft bei
zur Prävention eine Aufklärungsaktion an Scientology und politischer Partei beschlossen. In
den Schulen zu starten, die auch Eltern- Österreich ist es derzeit möglich, daß destruktive
und LehrerInneninformation mit em- Kulte Kindergärten betreiben, häuslichen Unterschließt,
richt erteilen, Nachhilfeunterricht anbieten. In
für entsprechende Aufklärung in den Österreich ist es ebenso möglich, daß junge Leute
staatlichen Organen zu sorgen, damit von destruktiven Kulten über Stelleninserate
diese über die Problematik der über- angeheuert werden und dort für ein Taschengeld
nahme von Patronanzen materieller oder arbeiten, ohne kranken- oder sozialversichert zu
sein. Kontrollen der Sozialversicherung finden nur
ideeller Art informiert sind,
die rechtlichen Möglichkeiten abzuklären, selten statt, und damit werden die verdeckten
auszuschöpfen und einen gesetzlichen Arbeitsverhältnisse, die oft als freiwillige Tätigkeit
Maßnahmenkatalog vorzulegen, der die für den Verein ausgegeben werden, auch nicht
effektive Strafverfolgung von Gruppen, aufgedeckt.
die geltendes Recht brechen, ermöglicht,
Die einzige nichtkirchliche Beratungs- und
die Gesellschaft gegen Sekten- und
Kultgefahren, die in enger Zusammen- AnlaufsteIle, die Gesellschaft gegen Sekten- und
arbeit mit der interministeriellen Kommis- Kultgefahren, an die verzweifelte Betroffene
sion stehen soll, finanziell entsprechend verwiesen werden, ist finanziell so schwach
höher zu dotieren und sie als permanent ausgestattet, daß sie nur stundenweise besetzt
besetzte AnlaufsteIle zu institutionalisie- werden kann. Für Betroffene ist unter .diesen
Bedingungen keine ausreichende Beratung möglich.
ren,
Selbsthilfegruppen für Betroffene und
AussteigerInnen zu fördern,
Erforderliche Maßnahmen:
eine ausreichende Förderung vorhandener
Beratungsstellen vorzusehen,
Neben den oa. Forderungen des Grünen
bei der Anerkennung von Vereinen zu Entschließungsantrages müssen die staatliche Verprüfen, ob diese nicht wirtschaftliche waltung und die Justiz, vor allem im Bereich der
Hauptinteressen verfolgen,
Jugendwohlfahrt, des Pflegschaftsrechts und des
über die Vorschläge der interministeriellen . Schulwesens der Bevölkerung und den an der
Kommission und die gesetzten Maßnah- Vollziehung Beteiligten geeignete Informationen
men dem Nationalrat emen Bericht zugänglich machen (Vorträge, Schulungen, Semivorzulegen.
nare vor allem für Pflegschaftsrichter, Lehrer und
zuständige Beamte in den Ministerien). Ebenso
Zur Einschränkung der Aktionsmöglichkeiten wären Aufklärungsaktionen in den staatlichen
der destruktiven Kulte wurden bisher trotz der Organen bezüglich der Problematik der überwachsenden Problematik, der Urgrenzen der nahme von Patronanzen erforderlich.
Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren und
Ähnlich wie in Deutschland wäre die Eindes Referates für Weltanschauungsfragen der
Erzdiözese Wien von den Regierungsparteien richtung von Beratungsstellen als ganztägig besetzte AnlaufsteIlen (ein Team von Soziologen,
keine politisch wirksamen Maßnahmen gesetzt.
Psychologen, Rechtsberatern betreut Betroffene
Ganz anders eingestellt hat man sich auf diese und Angehörige) dringend erforderlich. Da sich
Problematik zB in Deutschland:
für viele Betroffene der Ausstieg als sehr schwierig
gestaltet (Verlust der sozialen Umfeldes, VerschulIn Berlin gibt es eine staatliche Sektenbeauf- dung, Indoktrination), sind Rechtsbeistand und
tragte, die sich ausschließlich mit dem Thema psychologische HiIfestellungen beim Ausstieg
Sekten beschäftigt. In Hamburg wurde eine unerläßlich.
Arbeitsgruppe eingerichtet, in Baden Württemberg
ist die Einrichtung einer Beratungsstelle des Landes
Erforderlich wäre auch eme Novelle zum
in Vorbereitung, geplant ist ein Team von Juristen, Anerkennungsgesetz, wobei die Latte für die
Sozialarbeitern und Psychologen sowie eine staatliche Anerkennung sehr hoch angelegt werzentrale Dokumentationsstelle. In Bonn soll über den muß (Einrichtung einer Kommission, die im
die Einrichtung einer großen, staatlich unter- Anerkennungsverfahren zwingend einzubringen ist,
stützten Organisation ("Aktion Jugendschutz") bestehend aus Vertretern der betroffenen BundesVorarbeit für staatliche Stellen geleistet werden. ministeri.en BMUK, BMWF, BMJF, BMJ, der im
Ebenso gibt es laufend Informationsveranstaltun- Nationalrat vertretenen Parteien, der großen,
gen für Behörden (Richter, Beamte usw.) und anerkannten Kirchen, der gesetzlichen Interessens-·
interministerielle Arbeitskreise.
vertretungen, Beiziehung unabhängiger Fachleute).
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Eine Studie der Universität Wien (Univ.-Prof.
Dr. Rollet) im Herbst 1992 hat ergeben, daß in der
Großstadt 12,2% der Jugendlichen als akut
gefährdet gelten und 34,5% leicht Opfer der
Werbetechniken von Sekten und Kulten werden
könnten. Auf dem Land und in den Kleinstädten ist
die Zahl der als äußerst gefährdet einzustufenden
Jugendlichen noch höher.
Destruktive Kulte haben eine völlig andere
Vorstellung von der Gesellschaft als die, welche
unserer heutigen demokratischen Staatsverfassung
zugrunde liegt. Meist ist es die Vorstellung einer
totalitären Gesellschaftsordnung, in der es nur eine
- nämlich ihre Meinung - geben darf. Die
Anspruche der- mittlerweile auch über beträchtliche Wirtschaftsmacht verfügenden - Kultoberhäupter, als absolut herrschende Machtinstanzen
anerkannt zu werden, stellen eine ernste Gefährdung der Demokratie dar. Dies zeigt zB folgendes
Zitat aus dem Gedankengut der Scientology"Kirche":
"Vielleicht werden in Zukunft nur dem Nichtaberrierten (dh. dem Scientologen) die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel in der
Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die
Staatsbürgerschaft erreichen und davon profitieren
kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren
Erreichung die Oberlebensfähigkeit und das Glück
der Menschen zu steigern vermöchte.« ("Dianetik",
Seite 487.)
Umso weniger verständlich ist es, daß die im
Parlament vertretenen Parteien weder dem Entschließungs antrag der Grunen Fraktion noch dem
vorgelegten Entwurf der ÖVP (der ähnliche
Maßnahmen vorsieht, allerdings nur als Diskussionspapier, nicht aber als Antrag eingebracht
wurde) ihre Zustimmung gegeben haben. Diese
Verweigerung ist um so weniger akzeptabel, als es
sich bei den eingebrachten Anträgen nur um
Maßnahmen zur Prävention und um Hilfestellungen für Betroffene handelt und die verfassungsmäßig verankerten Grundfreiheiten nicht berührt
werden. Der Einwand seitens der SPÖ, nach dem
die vorgelegten Anträge keinen Schutz für die
Beamten vorsehen, kann nur als Vorwand
verstanden werden, denn es wäre allemal möglich
gewesen, die vorliegenden Anträge um diesen
Punkt zu erweitern und zu ergänzen. Dem
politischen Unwillen der im Parlament vertretenen
Parteien ist es zuzuschreiben, wenn Betroffene
weiterhin mit ihrer Problematik alleine gelassen
werden und Sekten und destruktive Kulte ungehindert auch die Wirtschaft und Politik unterwandern können.
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Christine Heindl
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