Ethik mit oder ohne Hierarchie? Egalitaristische und hierarchische

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Ethik mit oder ohne Hierarchie? Egalitaristische
und hierarchische Positionen für und gegen
Tierversuche. Oder: Welche moralische Signifikanz
haben Tiere gegenüber Menschen in Tierversuchen?
Jacques Voland
In der Schweiz wurden im Jahre 2009 gemäss der Statistik des
Bundesamtes für Veterinärwesens (BVET) ca. 700'000 Tiere in
Tierversuchen eingesetzt, davon ca. 440'000 in solchen, welche für die
Tiere belastend sind. Während dieser Zeitperiode bewilligten die
Veterinärbehörden schweizweit 1’051 Tierversuchsgesuche und 10
Projekte wurden abgelehnt. Ca. 80 % der Tiere werden in
Forschungsprojekten eingesetzt, die Restlichen in Projekten zum
Schutz von Mensch, Tier und Umwelt, zur Krankheitsdiagnostik und
zur Ausbildung (BVET Statistik 2009).
Die Schweizerische Bundesverfassung legt in der Fassung vom 18.
April 1999 die Forschungsfreiheit als Grundrecht fest. Demgegenüber
trägt im Artikel 120 die Bundesverfassung Tieren insofern Rechnung,
dass deren Würde zu beachten ist. Das Tierschutzgesetz vom 16.
Dezember 2005 definiert diese genauer und schreibt dem Tier mit
seinem Eigenwert einen Status zu, den es im Umgang mit ihm zu
beachten gilt. Diese zwei Güter, Forschungsfreiheit und Würde des
Tieres, stehen bei Tierversuchen in einem scheinbaren Gegensatz. Um
dieses Dilemma zu lösen hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass bei
einer Bewilligungserteilung von belastenden Tierversuchen u.a.
zwingend eine Güterabwägung zwischen dem Erkenntnisgewinn und
der Belastung des Tieres vorzunehmen ist (Schweizer Tierschutzgesetz,
Artikel
19,
Absatz
4,
2005).
Einerseits
erfüllt
das
Bewilligungsverfahren mittels einer Güterabwägung mit positiven
Resultat für den Tierversuch die Achtung der Würde des Tieres gemäss
Artikel 3, Buchstabe a des Tierschutzgesetzes und andererseits ist die
Güterabwägung eine Bewilligungsvoraussetzung für einen Tierversuch
(Schweizerische Tierversuchsverordnung, Artikel 140, Absatz 1,
Buchstabe. b).
Im Jahr 2009 hat das Bundesgericht die Beschwerden der betroffenen
Forscher abgewiesen, die zwei Tierversuchsprojekte mit Rhesusaffen
1
an der Universität Zürich und der ETH Zürich durchführen wollten, und
somit diese Versuche verboten (NZZ Online, 2009). In der
Urteilsbegründung, halten die Lausanner Richter fest, dass das Verbot
dieser beiden Versuche kein absolutes Verbot für Versuche mit nichtmenschlichen Primaten bedeute. Für die Zulässigkeit von
Tierversuchen, sei vielmehr die Gewichtung der einzelnen Interessen
und die Interessenabwägung von Bedeutung. Die beiden beantragten
Versuche würden demnach gemessen am erwartenden Kenntnisgewinn
den Versuchstieren unverhältnismässige Schmerzen, Leiden, Schäden,
Angst oder Beeinträchtigung ihres Allgemeinbefindens bereiten. Bei
der vorgenommen Güterabwägung hat das Gericht dem Umstand
Rechnung getragen, dass die Rhesusaffen, welche auch Primaten sind,
eine besondere Nähe zum Menschen haben.
Für die meisten Menschen wirft dieser „Verbrauch“ von Tieren, im
Gegensatz zum Beispiel zu Pflanzen, genuine moralische Probleme auf.
Die Grenze der moralischen Relevanz wird dabei offensichtlich nicht
zwischen Pflanzen und Tieren gezogen, sondern zwischen
empfindungsfähigen und nicht-empfindungsfähigen Lebewesen.
Ethische Theorien, welche die Grenzziehung zwischen direkt moralisch
relevanten und nicht oder nur indirekt moralisch relevanten, zwischen
empfindungsfähigen und nicht-empfindungsfähigen Entitäten ziehen,
werden unter dem Sentientismus zusammengefasst (Nida-Rümelin
2005, S. 517).
Grundsätzlich können bei der Frage nach der Vertretbarkeit von
Tierversuchen drei Positionen unterschieden werden: Tierversuche sind
ohne Einschränkungen immer zulässig, Tierversuche sind grundsätzlich
immer nicht zulässig und Tierversuche sind nicht zulässig, aber unter
gewissen Bedingungen und in Ausnahmfällen schon. Die ersten zwei
Positionen werden in unserer westeuropäischen Gesellschaft nur von
wenigen Bürgern und Bürgerinnen vertreten, hingegen werden
Tierversuche in weiten Bevölkerungskreisen als notwendiges Übel
angesehen (Borchers & Luy 2009, S. 7) und so sind gemäss der dritten
Position zum Beispiel in der Schweiz nach der Tierschutzgesetzgebung
Tierversuche zwar verboten, aber unter gewissen Bedingungen in
Ausnahmefällen erlaubt.
Die Ethik fragt nach dem richtigen Handeln und befasst sich mit
Aussagen über moralische Werte und moralische Handlungsnormen auf
einer kritischen wissenschaftlichen Ebene, während die Alltagsmoral
2
hingegen
vorwiegend
intiutiv
ist.
Dabei
erörtern
die
Konsequentialisten1, wie zum Beispiel der australische Tierethiker
Peter Singer insbesondere die Handlungsfolgen, während
Deontologen 2, wie zum Beispiel der amerikanische Tierrechtler Tom
Regan, das Befolgen der Regeln für ihre moralischen Betrachtungen in
den Mittelpunkt stellen. Welche ethische Position man auch vertritt,
ergibt sich im Zusammenhang mit Tierversuchen folgende ethische
Frage: Ist es aus angewandt-ethischer Perspektive legitim Tierversuche
durchzuführen?
Heutzutage besteht weitgehend eine Einigkeit, dass Tiere einen
eigenständigen moralischen Status haben und deshalb um ihrer selbst
willen zu berücksichtigen sind, insofern diese empfindungsfähig sind,
bzw. ein subjektives Wohl haben. Kein Konsens besteht hingegen
darüber, ob Tiere nicht nur einen moralischen Status haben, sondern ob
Tiere den gleichen moralischen Status haben wie wir Menschen (Wolf
2009, S. 77).
In dieser Arbeit will ich die beiden möglichen Positionen, hierarchische
und egalitaristische, darstellen, welche sich ergeben, wenn man der
Frage der moralischen Signifikanz nachgeht, welche Tiere gegenüber
Menschen haben. Es geht also nicht darum, ob Tiere einen moralischen
Status haben, sondern, ob die Tiere als moralische Wesen in gleicher
Weise unseren Respekt verdienen oder ob es doch relevante
Unterschiede gibt in der moralischen Gemeinschaft der
empfindungsfähigen Wesen. Diese grundlegende Unterscheidung
besteht zwischen Moraltheorien, die eine hierarchische oder eine
egalitaristische Ausrichtung haben.
Zu Beginn meiner Arbeit werde ich vorerst die Einteilung der
verschiedenen hierarchischen und egalitaristischen Positionen nach der
Aufgliederung von Rippe (2003 S. 405 ff.) darstellen. In einem
weiteren Schritt werde ich die hierarchische Position mit seinen
Hauptargumenten aufzeigen. Der nächste Teil befasst sich mit der
Gegenposition, dem Egalitarismus, seinem Argumentarium und dessen
Kritik an der hierarchischen Position. Nachher möchte ich die
1
Konsequentialisten sind Vertreter und Vertreterinnen einer Ethik, die ausschließlich die
Konsequenzen von Handlungen für moralisch relevant ansehen.
2
Deontologen sind Vertreter und Vertreterinnen einer Ethik, die das Erforderliche, das Gesollte
oder die Pflicht in den Vordergrund einer Handlung stellen, unabhängig von den Konsequenzen
einer Handlung und ob die Handlung gut oder schlecht ist.
3
Gegenkritik des Hierarchismus an der egalitären Position wiedergeben.
In einem Zwischenschritt werde ich die beiden Positionen miteinander
vergleichen und anschliessend daraus die für einen Tierversuche
ethisch vertretbaren Positionen aufzuzeigen. Der letzte Teil meiner
Arbeit erörtert die ethisch vertretbaren Tierversuche in der Schweiz
anhand der schweizerischen Tierschutzgesetzgebung.
In meiner Arbeit steht nicht die Frage im Zentrum, ob Tiere überhaupt
moralisch berücksichtigt werden müssen, sondern wie viel sie im
Vergleich zu uns Menschen überhaupt zählen. Deshalb formuliere ich
vorgängig folgende These: „Menschliche Interessen haben im
Konfliktfall den moralischen Vorrang gegenüber tierlichen Interessen.“
Rein intiutiv würden wohl die meisten Menschen diese These
unterstützen.
Ethik mit und ohne Hierarchie
Um über die ethische Vertretbarkeit eines Tierversuches zu
entscheiden, ist es unabdingbar den moralischen Status von Tieren zu
klären. Darüber, dass Tiere einen eigenständigen moralischen Status
besitzen und diesbezüglich zu berücksichtigen sind, besteht Einigkeit.
Hingegen ist es strittig, ob die Tiere den Gleichen haben wie wir
Menschen (Wolf 2009, S. 77). Auf der Ebene, wie viel Tiere zählen,
geht es um die Frage der „moral significance“, also darum, ob Tiere in
gleicher Weise und im selben Grade Respekt verdienen. Zwei konträre
Positionen können dabei vertreten werden, die Egalitaristische und die
Hierarchische. Für Egalitaristen sind tierliche, wie menschliche
Interessen, gleich zu berücksichtigen, während für Vertreter und
Vertreterinnen einer hierarchischen Sichtweise der Einbezug von
Tieren in die moralische Gemeinschaft nicht ausschliesst, dass Tiere für
menschliche Zwecke genutzt werden dürfen (Rippe 2003, S. 405). Das
Wohlergehen und das Leiden der Tiere werden moralisch
berücksichtigt, aber nicht in gleicher Art und Weise wie beim
Menschen. Für hierarchische Positionen gibt es einen begründenden
Vorrang des Menschen gegenüber nicht-menschliche Wesen, während
egalitaristische Positionen dagegen halten, dass eine solche
Vormachtstellung des Menschen nicht begründet ist, das heisst für
Egalitaristen zählen Tiere gleich viel wie Menschen. Rippe (2003, S.
406) unterscheidet diesbezüglich eine schwache und eine starke
egalitaristische Position. Beide Standpunkte sind sich darüber einig,
4
dass eine Gleichberechtigung zwischen Menschen und Tieren besteht.
Für Vertreter und Vertreterinnen des schwachen Egalitarismus, wie
zum Beispiel Peter Singer, besteht diese aber nur in Bezug auf die
Leidensfähigkeit von Lebewesen. Bei einer Interessenabwägung
können Menschen aufgrund anderer Fähigkeiten bevorzugt werden. Die
starke Haltung sieht in allen Situationen vor, dass Tiere und Menschen
gleich zu behandeln sind und lehnt deshalb jegliche Bevorzugung des
Menschen gegenüber Tieren strikte ab. Tom Regan ist einer der
prominentesten Vertreter dieser Ansicht. Bei Fragen des Tierschutzes,
respektive der Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft oder in der
Forschung in Tierversuchen lehnt er kategorisch jegliche
Güterabwägung von tierlichen und menschlichen Interessen ab. Tiere
haben nicht nur moralische Rechte, sondern auch eine Würde wie
Menschen, die unantastbar ist (Regan 1997, S. 33 ff.). Hierarchisten
hingegen, setzen sich dafür ein, dass Nutztiere, Heimtiere und
Versuchstiere vor Leiden, Schmerzen, Zufügung von Schäden oder in
Angst versetzen geschützt werden. Die Tiernutzung in Wissenschaft,
Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie wird dabei nicht
grundsätzlich in Frage gestellt. Die hierarchische Position unterteilt
Rippe (2003, S. 410) in Bezug auf ihre moralische Bedeutung in drei
unterschiedliche Positionen: Die Kommunitaristisch orientierte
Hierarchisten, wie zum Beispiel Mary Midgley bei der die Nähe zum
Menschen relevant ist, die Speziesorientierte, wie zum Beispiel Carl
Cohen, bei der verschiedene Arten einen unterschiedlichen inhärenten
Wert haben und in Interessenorientierte, wie zum Beispiel Gary E.
Varner, bei der die Art der involvierten Interessen zum entscheidenden
Kriterium wird.
Die hierarchische Position
Die hierarchische Position geht davon aus, dass Vertreter
unterschiedlicher Arten ungleich behandelt werden dürfen, auch wenn
alle diese Lebewesen moralisch berücksichtigt werden müssen.
Gemäss dieser Position nehmen bestimmte Wesen, in diesem Falle die
Menschen, eine Sonderstellung ein. Diese ist aber nicht mit einem
Anthropozentrismus zu verwechseln, wo zwar der Mensch eine
Sonderstellung einnimmt, aber insofern keine Hierarchie zwischen dem
Menschen und dem Tier herrscht, da nur der Mensch alleine in
moralischer Hinsicht zählt (Info-Dossier 2009, S. 5). In der
5
hierarchischen Tierethik gehören alle empfindungsfähigen Wesen zur
moralischen Gemeinschaft, doch die Mitglieder zählen nicht alle gleich
viel.
Den moralischen Vorrang menschlicher Interessen vor vergleichbaren
tierlichen Interessen begründet zum Beispiel Lawrence C. Becker
(2008, S. 132) folgendermassen: „Der Mensch hat bestimmte
Charaktereigenschaften, die ihn als Wesen moralischer Vortrefflichkeit
oder Tugend ausmachen. Die Präferenzen dieser Eigenschaften werden
durch die Nähe der sozialen Distanz bestimmt. Dadurch ist das Tier
normalerweise weiter weg von uns als Menschen.“ Dieses Argument
bedeutet nicht, dass die Interessen von Tieren bei der moralischen
Entscheidungsfindung nicht zu berücksichtigen sind. Für Gary E.
Varner gibt es Interessen, die nicht speziesorientiert, aber in enger
Beziehung zu einem selbst stehen und unserem Leben einen Sinn von
grundlegender und zukunftsbezogener Bedeutung verleihen. Zudem
bestehen daneben so genannte nicht-kategorische Interessen oder
Wünsche, wie zum Beispiel den Durst zu stillen, welche in moralischer
Hinsicht aber von weniger grosser Bedeutung sind als die Erfüllung
grundlegender Projekte (Rippe 2003, S. 410).
Die Kommunitaristisch orientierten Hierarchisten
Eine moralische Hierarchie zwischen empfindungsfähigen Wesen
postuliert Mary Midgley (2008, S. 150 ff.), indem sie sich auf die
Beziehungen beruft, welche man mit anderen Wesen pflegt. Nach
dieser Position haben solche Lebewesen eine höhere moralische
Bedeutung für uns, die uns emotional oder familiär näher stehen. Aus
solchen Beziehungen entstehen spezielle Verpflichtungen, wie etwa die
Fürsorge, welche wir unseren Nächsten schulden. Sie führt diese
Tatsache auf die Begrenztheit der Konkurrenz und die Relevanz der
Spezieszugehörigkeit zurück. Unsere sozialen Fähigkeiten sind sehr
komplex und führen dazu, dass diese sowohl innerhalb als auch
ausserhalb unsrer eigenen Spezies relevant ist. Midgley ist der
Meinung, dass unser Sozialleben, unsere Interessen wie auch unser
Mitgefühl sich auf Wesen ausserhalb unserer eigenen Spezies erstreckt,
aber auf unterschiedliche Weise. Auch Tiere sind für sie nicht einfach
Tiere. Die Konkurrenz zwischen Menschen und Tieren ist
unvermeidbar und sogar im Falle von Fleischverzehr drastisch, aber
Midgley ortet in dieser Konkurrenz auch Grenzen. Zum Beispiel, wenn
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es um Leben und Tod geht, wo wir vorrangige Pflichten haben können,
wenn diese auf Verwandtschaft oder auf andere ähnliche Formen
sozialer Nähe zurückzuführen sind. Dies gilt nicht nur für die Nähe
innerhalb unserer eigenen Spezies, sondern auch für andere Arten von
Nähe, zum Beispiel zu den Menschenaffen. Für die Bestimmung des
Vorranges unter den verschieden Arten gibt es für Midgley keine
einfache Formel und sie sieht die Moralität der Bevorzugung von
Spezies in der natürlichen Vorliebe zur eigenen Spezies. Diese Nähe ist
nicht wie das Rassenvorurteil ein Produkt der Kultur, sondern sie ist in
allen menschlichen Kulturen per se vorhanden und in Fällen echter
Konkurrenz kommt sie stark zum tragen. Diese Speziesbande existiert
wirklich. Sie ist zu beachten und nur so sind Ausschlusshaltungen
unserer eigenen Spezies überhaupt zu verstehen. Beim Menschen wie
auch bei anderen Lebewesen ist zunächst eine tiefe emotionale Neigung
gegenüber denjenigen um uns herum die uns ähneln und uns
aufgezogen haben und erst dann zu den Anderen. Deshalb schenken wir
den Anderen weniger oder eine andere Beachtung. Ansprüche, welche
die eigene Gemeinschaft begünstigen, haben eine hohe Priorität, aber
sie sind sicherlich nicht die einzigen. Am wichtigsten ist für Midgley,
dass wir Menschen in einer Multi-Spezies-Gemeinschaft leben und
unsere Spezies die besondere Eigenschaft hat, andere Arten nicht zu
ignorieren, sie aufzunehmen und sie zu domestizieren um mit ihnen zu
leben. Kein anderes Tier als der Mensch hat diese Fähigkeit dies in
einem so grossen Masse zu tun.
Die Spezies orientieren Hierarchisten
Eine andere Möglichkeit eine Ungleichbehandlung verschiedener
moralischen Wesen zu postulieren ist diejenige, dass man
empfindungsfähige Wesen aufgrund ihrer biologischen Art
hierarchisiert. So haben gemäss dieser Position alle Menschen und die
grossen Menschenaffen den übrigen Wirbeltieren einen moralischen
Vorrang. Für Carl Cohen (2008, S. 51 ff.) sind Tiere keine Träger von
Rechten, da der Begriff des Rechts seinem Wesen nach auf Menschen
bezogen ist. Der Ursprung liegt in der moralischen Welt des Menschen
und kann nur in dieser Welt geltend gemacht oder angewendet werden.
Cohen geht der Frage nach, worin sich die Handlungen von Menschen
und Handlungen von Ratten unterscheiden. Nach Kant ist die kritischen
Vernunft der Kern menschlichen Handelns und daraus entsteht ein
7
moralischer Wille. Diese Fähigkeit ist Menschen vorbehalten,
einzigartig und nur menschliche Wesen können überhaupt Prinzipien
formulieren, die unser Verhalten leiten sollen. Menschen können die
Maxime solcher Prinzipien begreifen, indem wir diese auf uns selbst
und andere anwenden und nur sie stehen vor Entscheidungen
moralischer Art, aber niemals Ratten. Nur Menschen können
moralische Akteure sein, da nur sie verstehen können, dass manche
Handlungen zwar in unserem Interesse sein können und dennoch nicht
ausgeführt werden dürfen, weil sie einfach moralisch falsch sind. Für
Cohen ist es nur möglich in einer Gemeinschaft, welche von solchen
menschlichen Wesen zusammengesetzt ist, ein Recht plausibel geltend
zu machen. Menschen sind im Besitze moralischer Fähigkeiten, geben
sich Ihre Gesetze selbst und sind Mitglieder einer moralischen
Gemeinschaft. Menschen besitzen innerhalb von dieser Gemeinschaft
Rechte und Tiere nicht. Tiere sind deshalb in diesem Sinne nicht
autonom. Forscher, die Tierversuche durchführen, verletzen gemäss
Cohen darum die Rechte von Versuchstieren nicht, denn diese haben
gar keine Rechte die tangiert werden könnten. Für Cohen ist es aber
wichtig, das aus der Tatsache, dass Tiere keine Rechte haben nicht
folgt, dass man mit Tieren machen kann was man will. Er sieht
durchaus Pflichten gegenüber Tieren, aber diese entstehen für ihn nicht
aus Tierrechten. Da die menschliche Spezies einen Vorrang hat, folgt
ein Vorrang menschlicher Interessen gegenüber den Interessen nichtmenschlicher Lebewesen (Rippe 2003, S. 410).
Die Interessen orientierten Hierarchisten
Die Interessen orientierten Hierarchisten sind der Meinung, dass nicht
die Nähe oder die Spezieszugehörigkeit, sondern die Art der Interessen
für eine moralische Hierarchisierung von Lebewesen wichtig sind.
Nach der Auffassung von Gary E. Varner (1998, S. 15 ff.) gibt es
Interessen, welche auf die Verwirklichung grundlegender Projekte
abzielen und einen Zukunftsbezug haben, wie zum Beispiel die Planung
einer Karriere. Diese sind eng verknüpft zu einem selbst und verleihen
dem eigenen Leben einen Sinn. Daneben gibt es für Warner so
genannte nicht-kategorische Interessen, wie zum Beispiel den Durst zu
löschen oder den Hunger zu stillen. Die Interessen grundlegender
Projekte haben gegenüber den nicht-kategorischen einen moralischen
Vorrang. Aus diesem Vorrang leitet dann Varner eine Hierarchie für
8
Lebewesen ab. Er wertet Lebewesen, die grundlegende Projekte
verfolgen höher ein, als Lebewesen die nur Wünsche haben, also bloss
nicht-kategorische Interessen verfolgen. So stuft er dann den Mensch
bei Interessenkonflikten höher ein als das Tier. Die Affen- und
Walarten, die gemäss den neusten Erkenntnissen eventuell auch wie der
Mensch grundlegende Projekte verfolgen können, stehen für ihn auf
derselben Stufe wie der Mensch.
Die egalitaristische Position
Vertreter und Vertreterinnen der egalitaristischen Position betonen,
dass Tiere im selben Mass zählen wie Menschen. Menschliche und
tierliche Interessen müssen, wenn man eine Güterabwägung durchführt,
gleichermassen berücksichtigt werden. Die schwache egalitaristische
Position hält eine Gleichberechtigung von Mensch und Tier nur
hinsichtlich der Leidensfähigkeit für gerechtfertigt. In bestimmten
Situationen besteht aber die Möglichkeit, dass Menschen aufgrund
anderer Fähigkeiten bei einer Interessenabwägung privilegiert werden
können, während die starke egalitaristische Position jede Bevorzugung
des Menschen ablehnt und konsequenterweise auch jede
Güterabwägung, wo tierliche und menschliche Interessen miteinander
abgewogen werden. Für starke Egalitaristen ist es moralisch unzulässig
eine solche durchzuführen, denn auch Tieren werden moralische Rechte
beziehungsweise ein Würde zugesprochen, die eine Abwägung gegen
andere Werte verbietet. Der schwache Egalitarismus kann anhand von
Peter Singer und der Starke anhand von Tom Regan dargestellt werden
(Rippe 2003, S. 406). Peter Singer vertritt dabei eine utilitaristische
Position, Regan dagegen eine deontologische3.
Der schwache Egalitarismus
Gleichbehandlung ist für diese Position nur hinsichtlich der
Leidensfähigkeit gerechtfertigt. Es ist aber durchaus möglich, den
Menschen in gewissen Situationen aufgrund anderer Fähigkeiten bei
Interessenabwägungen zu bevorzugen. Als Vertreter dieser Position gilt
3
Die Grundlage für die ethische Bewertung einer Handlung ist das Nützlichkeitsprinzip, welcher
der Kern des Utilitarismus darstellt. Das heisst, dass man so handeln muss, dass das
grösstmögliche Mass an Glück entsteht. Das Grundprinzip der Deotologie ist die Berufung auf die
Motivation der Handlung. Das bedeutet, dass das Erforderliche, das Gesollte und die Pflicht einer
Handlung unabhängig ist von den Konsequenzen der Handlung.
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z.B. der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer. Ausgehend
vom grundlegenden Prinzip der Gleichheit erweitert er die moralische
Gemeinschaft der Menschen auch auf Tiere aus (Singer 1997, S. 13 ff.).
Die Ausdehnung der moralischen Gemeinschaft bedeutet nicht, dass
wir Menschen und Tiere in genau derselben Weise behandeln und
ihnen genau dieselben Rechte gewähren müssen. Singer argumentiert
so, dass das grundlegende Prinzip der Gleichheit eine Gleichheit der
Rücksichtnahme ist und eine gleiche Rücksicht auf verschiedene
Wesen kann zu unterschiedlicher Behandlung und Rechten führen. Die
Forderung nach Gleichheit beruht nicht auf der tatsächlichen Gleichheit
aller Wesen, sondern auf deren Empfindungsfähigkeit. Singers
Grundlage moralischer Gleichheit baut auf einem utilitaristischen
System auf. Dies bedeutet, dass die Auswirkungen der Handlungen gut
sein müssen. In diesem Falle bedeutet Glück, erfüllte Präferenzen,
befriedigte Wünsche oder entsprochene Interessen, welche von
denjenigen Lebewesen empfunden werden, die diese Fähigkeiten
haben. Das heisst, die Interessen eines jeden von einer Handlung
betroffenen Wesens werden berücksichtigt und ihnen wird dasselbe
Gewicht beigemessen wie den entsprechenden Interessen jedes anderen
Wesens. Unsere Rücksicht auf andere ist nicht davon abhängig zu
machen, wie diese aussehen, welche Fähigkeiten sie besitzen oder
welcher Spezies sie angehören. Diese Gedanken sind für Singer die
Grundlage für die Argumente gegen den Speziesismus, für ihn eine
analoge Form wie der Rassismus und der Sexismus. Deshalb berechtigt
der höhere Intelligenzgrad eines Menschen nicht nur andere Menschen
für seine Zwecke zu benutzen, sondern auch nichtmenschliche Wesen,
also auch Tiere, zum Beispiel in einem Tierversuch. Die Forderung
nach dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung der Interessen gilt also
ebenso für Mitglieder anderer Spezies, wie für unsere eigene. Jeramy
Bentham folgend ist für Singer die Leidensfähigkeit das entscheidende
Kriterium. Aufgrund dieser Leidensfähigkeit hat ein Wesen ein Recht
auf die gleiche moralische Berücksichtigung. Diese Fähigkeit zum
Leiden ist nicht einfach eine Eigenschaft, wie die Fähigkeit zu
Sprechen oder zu Musizieren, sondern ist eine Voraussetzung, um
überhaupt Interessen zu haben. Deshalb macht es für Singer keinen
Sinn vom Interesse eines Steins zu sprechen. Rassisten, Sexisten und
Speziesisten verletzten das Prinzip der Gleichheit, indem sie den
eigenen Interessen bei einem Interessenkonflikt grundsätzlich mehr
10
Gewicht beimessen als den Interessen der Mitglieder anderer Rassen,
des anderen Geschlechts oder anderer Spezies. Eine solche
Diskriminierung findet auch statt, wenn Wissenschaftler an anderen
Spezies experimentieren, um zu erforschen, ob bestimmte Substanzen
Menschen heilen können. Für Singer gilt das absolutistisch formulierte
Argument nicht, dass Tierversuchsgegner bereit sind tausende
Menschen sterben zu lassen, welche durch ein Experiment an einem
einzigen Tier gerettet werden könnten. Er antwortet darauf, dass
Forscher auch nicht bereit sind dieses Experiment an einem verwaisten
menschlichen Säugling durchzuführen, um die vielen Leben zu retten.
Daraus folgert Singer, dass wenn Forscher nicht bereit sind einen
verwaisten Säugling zu verwenden aber bereit sind Tiere zu verwenden,
dies eine Form von Diskriminierung und Speziesismus ist, denn
erwachsene Affen, Katzen, Mäuse und andere Säugetiere haben ein
höheres Bewusstsein als menschliche Säuglinge und sind mindestens so
schmerzempfindlich wie diese. Der Forscher zeigt also jedes Mal, wenn
er einen Tierversuch durchführt, eine Voreingenommenheit zugunsten
seiner eigenen Spezies. Für Singer sind Tierversuche und
Fleischkonsum die Hauptformen des Speziesismus in unserer
Gesellschaft.
Der starke Egalitarismus
Diese Position lehnt jegliche Ungleichbehandlung von Mensch und
Tier ab. Zudem sind starke Egalitaristen der Meinung, dass es
moralisch unzulässig ist eine Güterabwägung vorzunehmen, wenn es
um Fragen des Lebens oder grundlegenden Interessen von Tieren geht.
Diese Position kann anhand Tom Regan dargestellt werden.
Auch Tom Regan (2008, S. 33 ff.) vertritt das Gleichheitsprinzip aller
empfindungsfähigen Lebewesen, aber er geht nicht wie Singer von der
Empfindungsfähigkeit und den damit verbunden Interessen per se aus,
sondern von einem gleichen inhärenten Wert, den alle Individuen
besitzen. Er verwirft die Relevanz der indirekten Pflichten gegenüber
Tieren, den wir Menschen untereinander haben. Diese Auffassung
beruht für Regan auf der falschen Annahme, dass einerseits Tiere nicht
fühlen und andererseits nur menschlicher Schmerz moralisch relevant
ist. Auch den tugendethischen Ansatz der Grausamkeit und der
Freundlichkeit verneint er, denn es gibt für ihn keine Garantie, dass
eine freundliche Handlung auch eine richtige Handlung ist. Den
11
utilitaristischen Ansatz verneint er ebenso, da dieser keinen Raum
bietet für die gleichen Rechte unterschiedlicher Individuen und dieser
den Gedanken der inhärenten Gleichwertigkeit nicht zulässt. Für den
Utilitaristen hat die Befriedigung der Interessen eines Individuums
einen Wert und nicht das Individuum selbst, um dessen Interessen es
eigentlich geht. Für Regan heiligt der gute Zweck nicht das schlechte
Mittel. Deshalb begründet Regan den Egalitarismus im Unterschied zu
Singer mit dem inhärenten Wert, welcher jedes Individuum hat. Die
entscheidende und grundlegende Gemeinsamkeit der beiden Vertreter
des Egalitarismus ist, dass jeder von uns das empfindende Subjekt eines
Lebens, eine bewusste Kreatur ist. Diese strebt nach einem
individuellen Wohl, das für uns von Bedeutung ist, unabhängig davon,
wie nützlich wir für andere sein mögen. Dasselbe gilt für Regan für
Tiere, wie Heimtiere, Nutztiere und Versuchstiere, die wir nutzen, denn
auch sie haben als empfindende Subjekte eines Lebens einen eigenen
inhärenten Wert. Den gleichen inhärenten Wert für Tiere und
Menschen begründet er damit, dass wir auch zurückgebliebenen
Kindern oder Geistesgestörten, nicht weniger inhärenten Wert
einräumen, obwohl sie ein Mangel an Vernunft, Autonomie oder
Verstand haben. Regan stellt allerdings dem kantischen Verständnis
von Autonomie eine Alternative gegenüber, bei der Wesen autonom
handeln, wenn sie die Fähigkeit haben auf eine Art und Weise zu
handeln, dass sie ihre Wünsche befriedigt werden und einen gewissen
Zukunftsbezug haben (Rippe 2003, S. 407). Da Kinder oder Demente,
wie auch Tiere, empfindende Subjekte eines Lebens sind, können wir
rationalerweise den Tieren nicht weniger inhärenten Wert zugestehen.
Deshalb haben alle Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, den gleichen
inhärenten Wert. Für Regan ist es nicht eine Empfindung oder eine
Gefühlsregung, welche uns verpflichtet Tieren den gleichen inhärenten
Wert anzuerkennen, sondern die Vernunft, die uns zwingt den Tieren
gleiches Recht zu gestatten und somit Tiere mit Respekt zu behandeln.
Dieser Rechts-Ansatz hat Konsequenzen für die Landwirtschaft und
Forschung und verlangt kategorisch die Abschaffung von
Tierversuchen, da diese Tiere routinemässig und systematisch so
behandelt werden, als wäre ihr Wert auf ihre Nützlichkeit für Andere
reduzierbar. Diese Tiere werden mit einem Mangel an Respekt
behandelt und ihre Rechte werden systematisch und routinemässig
verletzt. Regan fordert im Bereich von Tierversuchen nicht nur die
12
Verfeinerung oder die Reduktion von Tierversuchen auf das
unerlässliche Mass, grössere und sauberere Käfige, einen besseren
Gebrauch von Betäubungsmitteln oder das Verbot von
Mehrfachoperationen, also eine Verbesserung des Systems, sondern
vielmehr die Abschaffung und ein Verbot. Für Regan ist das Beste, was
wir tun können, wenn es um die Verwendung von Tieren für die
Forschung geht, diese erst gar nicht einzusetzen. Wir Menschen haben
gemäss dem Rechts-Ansatz hier eine Pflicht. Bezüglich der
Nutztierhaltung, Jagd oder der Lebensmittelindustrie macht Regan die
gleichen Überlegungen und ist der gleichen Ansicht, wie beim Einsatz
von Versuchstieren für die Zwecke der Forschung.
Kritik des Egalitarismus an der Hierarchischen Position
Die Egalitaristen kritisieren grundsätzlich alle hierarchischen
Positionen mit verschiedenen Argumenten. Den Kommunitaristisch
orientieren Hierarchisten, wie zum Beispiel Mary Midgley, halten sie
vor, dass nicht die persönliche Fürsorge, sondern objektive
Eigenschaften wie zum Beispiel die Empfindungsfähigkeit, die Art und
Weise bestimmt, wie wir mit Lebewesen umgehen. Zudem sollte eine
Moraltheorie nicht auf die persönlichen Beziehungen und Gefühlen,
sondern auf allgemeinen Prinzipien basieren. Für Egalitaristen, gibt es
keinen rationalen Grund, weshalb die blosse Zugehörigkeit zu einer
bestimmten biologischen Art, wie sie zum Beispiel Carl Cohen vertritt,
für den Umgang mit Lebewesen relevant sein soll. Auch bestimmte
Eigenschaften wie spezielle Interessen, Vernunft, Selbstbewusstsein
sind problematisch, da es zum Beispiel immer auch Menschen gibt, die
diese nicht aufweisen. Grundsätzlich gibt es für Egalitaristen keinen
rationalen Grund, dass Menschen besondere Rechte gegenüber Tiere
haben (Info-Dossier 2009, S. 7).
Der wohl bekannteste Vorwurf der Egalitaristen an die Hierarchiesten
ist der des Speziesismus. Damit wird die Bevorzugung einiger Gruppen
oder Individuen aufgrund deren Spezieszugehörigkeit bezeichnet.
Singer (1994, S. 82 ff.) argumentiert wie schon erwähnt vom Prinzip
der Gleichheit aus und erweitert dieses mit dem Prinzip der gleichen
Interessenberücksichtigung über die Spezies des Menschen hinaus. Für
ihn verletzen menschliche Speziesisten bei einer Interessenkollision das
Prinzip der Gleichheit, indem sie die Interessen ihrer eigenen Spezies
grösseres Gewicht beimessen, Sie anerkennen nicht, dass Schweine
13
oder Mäuse ebenso schlimmen Schmerzen verspüren wie der Mensch
(Info-Dossier 2009, S. 9 ff.).
Gegenkritik des Hierarchismus an der Egalitaristischen
Position
Den wohl grundlegendsten Einwand, den man gegenüber der
egalitaristischen Moraltheorie machen kann, ist dieser, dass man die
von Singer postuliere Empfindungsfähigkeit als einzige mögliche
moralische Grenze in Frage stellt (Singer 1997, S. 13 ff.). Es gibt
Menschen, die werden geboren ohne die Fähigkeit zu empfinden. Aus
diesem Grunde schliessen wir diese aber nicht aus der Gemeinschaft
derjenigen aus, die zu berücksichtigen sind. Singer beschränkt die
Leidensfähigkeit auf Tiere, welche physiologisch uns ähnlich sind.
Aber es gibt sehr wohl niedere Tiere, also gemäss der Evolutionstheorie
einfachere Formen, wie zum Beispiel Wirbellose oder sogar auch
Pflanzen, welche auf Reize reagieren können. Aus diesen Gründen ist
es nicht einsichtig die Grenze für moralisch zu berücksichtigende
Wesen so zu setzen, wie Singer diese postuliert. Sein Egalitarismus gilt
nur für höhere Tiere.
Einer der Hauptkritikpunkte an Singers egalitaristischen Ethik ist seine
auf einem utilitaristischen System basierende Begründung der
Gleichheit von Mensch und Tier. Für ihn sind Erfahrungen wie Glück,
Schmerzen oder Präferenzen die einzigen Träger von Werten, welche in
moralischer Hinsicht von Bedeutung sind. Rivas (1997, S. 169 ff.)
kritisiert diesen Ansatz, da das Individuum in dieser Hinsicht selbst
keinen inhärenten Wert mehr hat, sondern nur einen Wert als Nutzen.
Dadurch rückt das Bewusstsein seiner selbst von Lebewesen in den
Hintergrund und wird nicht mehr als Kriterium für eine moralische
Relevanz in Betracht gezogen. Diese utilitaristische Logik ist für Rivas
fragwürdig. Es ist nicht einsichtig, warum das Erfahren von Glück
eines Lebewesens berücksichtigt wird und gleichzeitig das Individuum
selbst nicht, denn es ist ja das Individuum selbst, dass überhaupt Glück
erfahren kann oder Präferenzen hat. Zudem kann nur das Individuum
selbst Glück empfinden. Das utilitaristische Ziel des grösstmöglichsten
Nutzens wird dadurch sinnlos und es ist nicht klar, wer genau dabei
profitieren soll. Singer kontert damit, dass es unmöglich ist die
Erfahrung, welches ein Individuum selbst erfährt, vom Individuum zu
14
trennen. Aber Rivas sieht durchaus Situationen, wo der Utilitarismus
mit seinem erklärten Ziel der Maximierung des Nutzes für ein
Individuum den Tod oder Leiden zur Folge hat, nur wegen der
Befriedigung einer grösseren Anzahl von anderen Individuen. Zum
Beispiel erfahren einige wenige Tiere in Tierversuchen Schmerzen,
Leiden oder Schaden, damit tausende von Menschen oder Tiere von
einer Krankheit geschützt werden können. Diese Krankheiten bereiten
ihnen Schmerzen oder können sogar zum Tod führen. Utilitaristen
kommen in solchen Situationen in Beweisnot und sogar Singer gibt zu,
dass es Umstände gibt, wo Tierversuche einen so grossen Nutzen
bezüglich der Schmerzverminderung bei Tieren und Menschen zur
Folge haben, dass es legitim ist, den wenigen Tieren die dafür
eingesetzt werden Schmerzen zuzufügen. Er proklamiert aber, dass in
einem solchen Falle wenn möglich alternative Methoden eingesetzt
werden und so der Einsatz von empfindungsfähigen Wesen ersetzt
wird. Singers Argumentarium ist damit inkonsistent.
Für Rivas (1997, S. 169 ff.) ist der andere egalitaristische Ansatz, dieser
von Tom Regan, zumindest in einer Hinsicht plausibler als der
utilitaristische von Singer, da Regan einen inhärenten Wert für das
Individuum voraussetzt. Allerdings sind die beiden Bedingungen von
Regan, einerseits das empfindende Subjekt eines Lebens und
andererseits das Recht, dass ein solches Wesen hat, für Rivas
fragwürdig. Beim Ersteren ist es für Rivas unklar, warum nur
Lebewesen, die das Kriterium eines empfindsamen Subjektes erfüllen
einen inhärenten Wert haben und beim Zweiten führt der Begriff Recht
für ihn zu Missverständnissen. Regan gibt keine eigentliche
Begründung, warum Empfindungsfähigkeit und Bewusstsein dafür
genügen. Damit wird der Gebrauch des inhärenten Wertes für Tiere als
prima facie Verbot empfindungsfähige Wesen zu Nutzen und ihnen
eine deontologische, egalitaristische Behandlung zu gewähren,
fragwürdig und unbegründet.
Regan testet seine Position am Beispiel des Rettungsbootes. Er geht
von der Annahme aus, dass sich in diesem Boot vier Menschen und ein
grosser Hund befinden. Das Rettungsboot ist überladen und droht zu
kentern. Regan entscheidet sich den Hund daran glauben zu lassen und
überlässt ihn dem Meer, wo sein sicherer Tod ihn erwartet. Für Regan
ist das kein Zugeständnis, welche die Sache des Tieres verrät, sondern
er begründet es damit, dass es ein extremer Ausnahmefall ist (Brenner
15
2008, S. 171). Für Brenner ist es zudem unseriös, dass in diesem Fall
praktizierte Verhalten auf die Praxis für Tierversuchen zu übertragen,
denn beim Rettungsboot ist keine Alternative in Sicht, was bei
Tierversuchen mit Blick auf die Wissenschaftsgeschichte nicht zu
behaupten ist. Brenner ortet eine weitere Lücke, wenn man das
Rettungsbootbeispiel auf Tierversuche übertragen will. Nämlich die,
wenn aus dem Verhalten in Extremsituation auf den Regelfall
geschlossen werden dürfte, so wäre auch die Tötung von Menschen
erlaubt, denn in Notwehr ist dies auch nicht verboten.
In einem anderen Rettungsbootbeispiel haben die vier Menschen eine
degenerative Gehirnkrankung und der Hund ist gesund. Ein Mediziner
ist an Bord, der die Menschen heilen kann, aber das entsprechende
Medikament wurde noch nie getestet und könnte potentiell gefährliche
Substanzen erhalten. Das neue Medikament könnte im Boot zunächst
am Hund getestet werden. Gemäss dem vorangehenden Fall im
Rettungsboot denken wir, dass Regan das Medikament am Hund testen
lässt. Aber Regan ist nun gegen den Einsatz des Hundes zum Nutzen
der Interessen der sich im Boot befindenden Menschen. Er begründet
dies damit, dass in diesem Scenario der inhärente Wert des Tieres
vermindert würde zum Nutzen des Menschen. Für Rivas besteht aber
kein Unterschied zwischen den beiden Rettungsbootbeispiele, da auch
im ersten Rettungsboot der Hund zum Nutzen der Menschen getötet
wird und er ortet hier eine Inkonsistenz in Regans Egalitarismus.
Ein anderes Grundproblem der Position von Regan ist die Ausweitung
der kantischen Position der Achtung gegenüber der moralischen
Autonomie auf die Achtung gegenüber empfindsamen Subjekten des
Lebens (Rippe 2003, S. 407). Auch die Notion von Regan, dass Tiere
Meinungen, Wünsche und Absichten haben, welche zukunftsbezogen
sind, wird nicht von den Verhaltensforschern und Philosophen geteilt.
Walz (2003, S. 239) ortet auch bei Regan als Kriterien der
Wertzuschreibung für den inhärenten Wert ein Bündel von
Eigenschaften wie Annahmen, Wünsche, Wahrnehmungen, Gedächtnis,
Emotionen,
Zukunftsvorstellungen,
Präferenzund
Wohlfahrtsinteressen, psychologische Eigenidentität in der Zeit, wie die
Fähigkeit, selbständige Handlungen zu initieren. Dieses Bündel haben
Menschen wie auch Säugetiere und mit diesem wird die kantsche Idee
der Autonomie erweitert. Es ist für Walz einerseits empirisch sehr
fragwürdig, ob dieses Eigenschaftsbündel wirklich bei allen
16
Säugetieren vorzufinden ist. Schon bei Katzen und Hunden ist es rein
intuitiv
eher
unwahrscheinlich,
dass
sie
die
gleichen
Zukunftserwartungen und Präferenzen besitzen wie wir Menschen.
Auch der Begriff des inhärenten Wertes bleibt für Walz obskur.
Letztendlich postuliert Regan diesen Wert nur, wie auch den kantischen
Begriff „Zwecks an sich“ und begründet ihn nicht. Trotz seines starken
Egalitarismus, begibt sich Regan in Dilemmasituationen aufs Glatteis,
wenn er trotzdem bei solchen Interessenkonflikten, wie im ersten Fall
des Rettungsbootbeispieles, eine Schadensaufrechnung nach dem
utilitaristischen Muster vornimmt. Er muss also in Grenzsituationen
Präferenzentscheidungen treffen, was einem Zusprechen gleicher
inhärenter Werte für Mensch und Tier widerspricht.
Regan und Singer sind beide grundsätzlich der Meinung, dass die
Spezieszugehörigkeit nicht relevant ist für die moralische Signifikanz
von Lebewesen. Sie bezichtigen die Vertreter und Vertreterinnen der
egalitaristischen Position, wie zum Beispiel Mary Midgley. als
Speziesisten, Es ist es nicht falsch, wenn der Speziesismus im gleichen
Sinne ausgeprägt ist wie der Sexismus und der Rassismus, diesen zu
verwerfen. Aber es stellt sich die Frage, ob wenn irgendjemand
irgendein Unterschied zwischen den Spezies macht, dies schon per se
einen Speziesismus darstellt oder es doch gewichtige Gründe gibt
Unterscheidungen zu machen? Mary Midgley (2008, S. 150 ff.) legt
dar, dass festgestellte Unterschiede zwischen Spezies nicht immer
ungerecht sind, denn sie können sogar entscheidend und äusserst
wichtig sein. Sie begründet es damit, dass es absolut essentiell ist, die
Eigenheit einer Tierart zu kennen, um mit ihr artgerecht umzugehen.
Das bedeutet noch Lange nicht, dass ein Mensch, wenn er diese
Unterscheidungen berücksichtigt und in Betracht zieht zu einem
Speziesisten im rassistischen Sinn wird. Bei Tierversuchen ist es sehr
wichtig die eingesetzte Tierart genau zu kennen und den Unterschied
zum Menschen zu berücksichtigen. So dürfen Mäuse grundsätzlich oder
in einem Versuch nicht wie wir Menschen vor einer Operation 24
Stunden gefastet werden, da diese einen höheren, respektive
schnelleren Umsatz des Stoffwechsels als wir haben und somit viel
schneller als wir verhungern oder verdursten. Der artgerechte Umgang
mit Tieren wie Nutztieren, Heimtieren, Zootieren oder der Schutz von
Wildtieren ist natürlich nur möglich, wenn man die Eigenheiten der
Tierarten kennt.
17
Nur der Tierart Mensch wird der Vorwurf des Speziesismus gemacht.
Andere Tierarten, wie der Löwe oder der Hai, die ihre Beute töten und
fressen wird nicht vorgeworfen, spezisistisch zu sein. Dieses Beispiel
verdeutlicht, dass das Konzept des Speziesismus doppelmoralisch ist.
Es ist auch nicht einsichtig, warum der Mensch kein Fleisch essen oder
keine Tierversuche durchführen soll, wenn andere Tierarten wie
Raubtiere dies tun dürfen. Zudem dürfte es den Beutetieren recht egal
sein, ob sie von einem Raubtier oder einem Menschen getötet werden,
vielleicht würden sie sogar die Tötung unter Betäubung vorziehen,
welche gemäss der Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung
hierzulande vorgesehen ist.
Fazit der beiden Positionen des Egalitarismus und des
Hierarchismus
In den vorangegangenen Kapiteln habe ich anhand der beiden
möglichen Positionen des Egalitarismus und des Hierarchismus die
moralische Signifikanz dargestellt, welche Tiere gegenüber Menschen
haben. Ebenso habe ich die Argumente verschiedener Vertreter und
Vertreterinnen dieser Positionen, sowie die Gegenargumente gegenüber
der jeweiligen Gegenposition aufgezeigt.
Lebewesen moralisch nur zu berücksichtigen, wenn sie
empfindungsfähig sind, ist problematisch und ungenügend. Dies
bedeutet nicht, dass wenn Wesen nicht empfinden, sie keine moralische
Rechte haben oder nicht moralisch zu berücksichtigen sind. Andere
Kriterien müssen in Betracht gezogen werden, um den Katalog der
Bedingungen zu erweitern.
Werden Tiere in die moralische Gemeinschaft einbezogen, so schliesst
das für Vertreter und Vertreterinnen einer hierarchischen Position
keineswegs die Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke aus,
dasselbe gilt also auch für Tierversuche. Die Vorrangstellung des
Menschen und die daraus folgende Ungleichbehandlung sind somit
moralisch legitim, auch wenn dies für Egalitaristen unbegründet ist. Der
Utilitarismus, als Vertreter einer egalitaristischen Position, übergeht die
Individuen als eigentliche Objekte der Moral. Die fragwürdigen und
negativen Folgen für die Individuen lassen mich darum eine
utilitaristische begründete Position ablehnen.
18
Positionen die Tieren keinen moralischen Schutz gewähren, die Tieren
keine Rechte gewähren oder Tiere abolitionistisch4 schützen, das heisst
Tierversuche kategorisch abschaffen und verbieten wollen, stellen
extreme Positionen in der Debatte um den Status von Tieren in Bezug
auf den Menschen dar. Diese Positionen sind aus ethischer Perspektive
abzulehnen, da sie entweder das Tier moralisch oder rechtlich nicht
berücksichtigen oder aber wie die abolistische Position von Regan, die
Interessen der Menschen völlig in den Hintergrund stellen. Es zeigt
sich, dass keine der übergeordneten deontologischen oder
utilitaristischen Theorien alleine einen Tierversuch ethisch vertretbar
machen, denn diese Theorien sind inkonsistent. Nur ein Pluralismus
von Positionen kann den Konflikt zwischen Mensch und Tier, zum
Beispiel bei einem Tierversuch, lösen.
Die Kommunitaristisch und die Interessen orientierten Hierarchisten
haben Konzepte, welche ein konsistentes Argumentarium beinhalten
für einen ethisch vertretbaren Tierversuch. Tier und Mensch werden
jeweils moralisch und rechtlich berücksichtigt und nebst der
Empfindungsfähigkeit, werden stringente und genuine Gründe
respektiv moralisch relevante Eigenschaften herangezogen, sei es die
Nähe zu uns oder die Fähigkeit zukunftsbezogen grundlegende Projekte
zu Verfolgen. Diese Eigenschaften sind nicht speziesistisch, wie Mary
Midgley gut darlegt. Es sind auch diese Positionen, die einen
Tierversuch ethisch vertretbar machen.
Konfliktfälle, wo sich konkurrenzierende Güter oder Interessen treffen,
welche nicht gleichzeitig verwirklicht werden können, werden nicht nur
im Rechtswesen, sondern auch in der Ethik mittels einer
Güterabwägung vorgenommen. Die Positionen, welche einen
Tierversuch für ethisch vertretbar halten, bedingen eine
Güterabwägung. Insbesondere das Schweizerische Tierschutzgesetz
sieht im Falle eines Tierversuches, bei dem sich die Interessen der
Forscher und Forscherinnen in Form eines Erkenntnisgewinnes und die
Belastung des Tieres in Form von Schmerzen und Leiden gegenüber
stehen, eine Güterabwägung vor. Im nächsten Kapitel gehe ich der
Frage nach wie es mit der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen
in der Schweiz steht.
4
englisch „abolition“ = abschaffen, aufheben
19
Die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen in der Schweiz
Im Wesentlichen sind die Tierschutzgesetze einzelner Staaten einerseits
ein Kondensat der allgemein akzeptierten moralischen beziehungsweise
ethischen Beschränkungen im Umgang mit Tieren. Andererseits wirken
sich die juristischen Kriterien auch auf den Ethos der Mensch-Tier
Beziehung aus. Diese Tatsachen rechtfertigen eine Analyse der
bestehenden schweizerischen Tierschutzregelung auf ethische
Begründungsmodelle die ihr zugrunde liegen (Nida-Rümelin und
Pfordten 2005, S. 543 ff.). Der Fokus liegt im Folgenden im Bereich
der Tierversuche und deren ethischer Vertretbarkeit.
In
der
Schweizerischen
Tierschutzgesetzgebung
ist
im
Tierschutzgesetzt, Artikel 2, Absatz 2 der Geltungsbereich auf
Wirbeltiere beschränkt und wird in der Tierschutzverordnung, Artikel
112 für den Bereich Tierversuche auf Panzerkrebse und Kopffüsser, auf
Säugetiere, Vögel und Kriechtiere im letzten Drittel der
Entwicklungszeit vor der Geburt oder dem Schlüpfen und auf
Larvenstadien von Fischen und Lurchen, die frei Futter aufnehmen,
erweitert.
Das
schweizerische
Tierschutzgesetz
beinhaltet
mehrere
Voraussetzungen für die rechtliche Zulässigkeit von Tierversuchen.
Grundsätzlich müssen Tierversuche einerseits unerlässlich sein
(Schweizerisches Tierschutzgesetz, Artikel 17) und andererseits darf
der gemessen am erwarteten Kenntnisgewinn dem Tier keine
unverhältnismässigen Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt werden
oder es darf nicht in unverhältnismässige Angst versetzt werden
(Schweizerisches Tierschutzgesetz, Artikel 19, Absatz 4).
Die Frage der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen wird in der
Gesetzgebung als Abwägung konkurrierender Güter dargestellt (Ach
2009, S. 89 ff.). Für Ach ist immer dann eine Güterabwägung
erforderlich, wenn mindestens zwei Güter, Rechte oder Interessen auf
dem Spiel stehen, keine absolute Vorrangsregeln existieren und nicht
beide fraglichen Güter, Rechte oder Interessen gleichzeitig verwirklicht
werden können. Dies trifft bei Tierversuchen genau zu. Weder der
Erkenntnisgewinn des Forschers, noch das Wohl des Tieres, haben
einen absoluten Vorrang. Die Forschungsfreiheit steht also dem Schutz
des Tieres gegenüber.
Die Position, dass Tiere keinen moralischen Schutz geniessen und dass
somit Tierversuche uneingeschränkt durchgeführt werden können, wird
20
heutzutage kaum noch vertreten. Aus angewandt-ethischer Perspektive
ist es auch nicht legitim Tierversuche uneingeschränkt ohne
Güterabwägung durchzuführen, da der moralische Status eines
Versuchstieres in einem solchen Fall nicht berücksichtigt wird, denn es
besteht ein Konsens, dass alle Tiere um ihrer selbst willen ein
Gegenstand moralischer Rücksichtname sind (Wolf 2009, S. 77).
Auch Vertreter und Vertreterinnen der starken egalistischen Position,
wie zum Beispiel Tom Regan, werden ihre Forderung nach einer
totalen Abschaffung der Tierversuche in der Schweizerischen
Tierschutzgesetzgebung nicht vorfinden. Für Sie gibt es keine
Rechtfertigung für die Durchführung von Tierversuchen. Sie lehnen
Tierversuche kategorisch ab. Das Schweizerische Tierschutzgesetz
garantiert rechtlich jedem Tier seine Würde, welche mit dem Eigenwert
des Tieres definiert wird. Dieser Eigenwert ist aber im Gegensatz zum
inhärenten Wert den Tom Regan postuliert antastbar, nämlich indem
eine Belastung des Tieres durch überwiegende Interessen gerechtfertigt
werden kann.
Das Dilemma zwischen den Interessen der Forschung einen
Erkenntnisgewinn für die Grundlagenforschung, für die Gesundheit des
Menschen oder des Tieres oder die Umwelt zu erzielen und dem
Interesse des Tieres keiner Belastung ausgesetzt zu sein wird in der
Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung mit einer Güterabwägung
bewältigt. Schaber (2010) und Huppenbauer (2010) stellen dieses
Konzept einer Güterabwägung allerdings aus verschiedenen Gründen
in Frage. Bei dieser Güterabwägung soll der Wert eines Tierversuches
für den Menschen mit dem Wertverlust des Tieres abgewogen werden.
Diese utilitaristische Idee, dass wir es mit einem einheitlichen Wert zu
tun haben, der sich quantifizieren und vergleichen lässt, ist für Schaber
höchst problematisch. Für ihn ist offen, wie die Grundgüter von Tieren
gegenüber menschliche Güter abzuwägen sind. ob die Grundgüter von
Tieren wie beim Menschen besonders zu gewichten sind und wie
gewichtig überhaupt die Grundgüter von Tieren sind. Auch
Huppenbauer sieht noch eine Reihe offener Punkte in Bezug auf diese
Güterabwägung, wie zum Beispiel subjektiv empfundene Zustände von
Individuen verschiedener biologischer Arten oder wie Zustände von
empfindungsfähigen Tieren mit Gütern völlig anderer Art, wie dem
Erkenntnisgewinn, sich miteinander vergleichen lassen.
21
Für Vertreter und Vertreterinnen der egalitaristischen Position, wie
Peter Singer, stellt die unterschiedliche Gewichtung von menschlichen
und tierlichen Interessen in der Güterabwägung, eine hierarchische
Haltung des Speziesismus dar (Ach 2009, S. 89 ff). Folgt man der
Argumentation von Singer, ist die Zugehörigkeit zu einer biologischen
Gattung weder eine notwendige noch einen hinreichende Bedingung für
die Zuschreibung eines moralischen Status. Für Singer gibt es also vor
dem Hintergrund seiner Interessen orientierten Moralkonzeption keinen
Grund die Interessen tierlicher und menschlicher Lebewesen nicht in
gleicher Weise zu berücksichtigen. Für ihn gilt der Satz: „Interesse ist
Interesse, wessen Interesse es auch sein mag“ (Singer 1994, S. 84). Für
die Güterabwägung in der Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung
heisst das, dass die betroffenen Interessen und das Wohlergehen der
Versuchstiere, in gleicher Weise und mit dem gleichen Gewicht
einbezogen werden müssen wie die menschlichen Interessen und deren
Wohlergehen. Bei gerechtfertigten Tierversuchen muss für Singer die
Abwägung der Interessen aller Betroffenen per saldo für alle
Betroffenen die besten Konsequenzen haben. Folgt man der
Argumentation von Singer, muss man, wenn man Versuche mit
empfindungsfähigen Tieren für moralisch gerechtfertigt hält, auch
Versuche an Menschen mit vergleichbaren Eigenschaften und
Fähigkeiten für legitim halten (Ach 2009, S. 89 ff.). Diese
utilitaristische moralische Konzeption wird von verschiedenen Seiten
her kritisiert, da sie Grenzen überschreitet oder bestimmte
Eigenschaften, wie familiäre Beziehungen oder die Fähigkeit bewusst,
zukunftsbezogene Projekte durchzuführen, ausser Betracht lässt. Die
Grenze wird überschritten, wenn bei einer Güterabwägung bestimmte
Handlungen, die bezüglich empfindungsfähiger Tiere per se verboten
sind, wie zum Beispiel das Quälen von Tieren, keinen Wert erhalten
oder wenn Versuche mit Grossaffen durchgeführt werden, welche uns
familiär näher stehen und dieser Umstand kein Gewicht in der
Abwägung erhält.
Hierarchisten sind der Auffassung, dass nicht-menschliche Tiere zwar
einen gewissen moralischen Schutz geniessen, aber nicht einen Vollen,
wie er uns Menschen zukommt. Sie stimmen daher mit der
Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung überein. Für sie sind
Tierversuche moralisch legitim, wenn wie im Artikel 3 des
Tierschutzgesetzes vorgeschrieben, eine Belastung des Tieres durch
22
überwiegende Interessen in einer Güterabwägung gerechtfertigt werden
können. Die Legitimität solcher Tierversuche wird für sie zudem durch
das gesetzlich vorgesehene unerlässliche Mass bekräftigt.
Zusammenfassung und Ausblick
Gibt es eine Ethik mit oder ohne Hierarchie, wenn man Tiere mit
Menschen vergleicht oder einen Tierversuch bewilligen will?
Egalitaristen wie Singer und Regan sind der Überzeugung, dass ihre
Argumente so stark sind, dass sie den Tieren den gleichen ethischen
Status geben wie uns Menschen. Im Gegenzug legen Hierarchisten wie
Medley und Varner sehr wohl dar, dass es triftige Gründe gibt,
Menschen in Konfliktsituationen, zum Beispiel in der Landwirtschaft
und Forschung mit Tieren, gegenüber Tieren moralisch höher zu
stellen.
Werden Tiere in der Wissenschaft bei Tierversuchen eingesetzt, lässt
Singers Utilitarismus diese zu, wenn die Interessenbefriedung
maximiert ist, allerdings unter der Prämisse der Gleichheit, das heisst
dieselben Versuche mit Menschen zu tun, welche auf dem gleichen
Stand der Empfindungsfähigkeit sind. Diese Auffassung kann wohl
nicht ernst genommen werden. Das heisst, dass man demente Menschen
in Versuche einsetzen kann. Dies haben schon die Nazis mit
Behinderten, Zigeunern und Juden gemacht.
Aus meiner Sicht sind Positionen, wie diese von Regan, welche
Tierversuche ablehnen und abschaffen wollen und zudem auch keine
Güterabwägung zwischen Tier und Mensch tolerieren moralisch nicht
zu legitimieren. In Zukunft können so viele für den Menschen im
Moment unheilbare Krankheiten nicht geheilt werden.
In der Schweiz müssen Tierversuche die erforderlichen gesetzlichen
Rahmenbedingungen erfüllen. Tierversuche sind nur statthaft, wenn sie
unerlässlich sind und wenn die Tiere bei unnötigen Leiden narkotisiert
werden. Sie unterliegen zudem einer gesetzlich vorgeschriebenen
Güterabwägung,
welche von
den
zuständigen
kantonalen
Tierversuchskommissionen überprüft werden. Eine für den Menschen
positive Güterabwägung in einem Tierversuch kann nur mit einer
hierarchischen Ethikposition, entweder einer Kommunitaristisch
orientierten oder einer Interessen orientierten, moralisch legitimiert
werden. Im Falle der Affenversuche an der ETH und der Universität
23
Zürich, kann man diese Versuche sogar mit einer solchen
hierarchischen Position mit dem Argument der besonderen Nähe zum
Menschen legitim ablehnen. Die beiden verbotenen Versuche zeigen
aber deutlich die bereits angesprochene Problematik der
Güterabwägung. Diese Versuche, welche im Bereich der
Grundlagenforschung angesiedelt werden können, wurden auch
abgelehnt, weil die Umsetzung der Ergebnisse der Versuche in die
Klinik nicht innerhalb der Bewilligungsdauer von drei Jahren erfolgt
wäre. Der Erkenntnisgewinn sei also in diesem Falle nicht so gross wie
die Belastung, welche die Rhesusaffen erfahren würden und somit
wären die Versuche nicht zu rechtfertigen. Nebst dem, dass sich
Grundlagenforschung kaum in einer so kurzen Zeit umsetzen lässt, ist
bei diesem Urteil die Beurteilung der einzelnen Güter problematisch.
Es ist unklar, welche Massstäbe für die einzelnen Güter angewendet
wurden und mit welchem Referenzsystem die verschiedenen Güter
miteinander verglichen wurden. Auch wenn hierarchische Positionen
Tierversuche ethisch legitimieren können, lösen sie die Problematik der
eigentlichen Güterabwägung nicht. In diesem Falle handelt es sich also
nicht unbedingt um ein moraltheoretisches Problem, sondern um ein
ethisches Entscheidungsproblem ganz konkret in der Praxis der
Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung.
Aus den vorangegangen Überlegungen zu den verschiedenen
egalitaristischen und hierarchischen Positionen trifft die eingangs dieser
Arbeit postulierte These „Menschliche Interessen haben im Konfliktfall
den moralischen Vorrang gegenüber tierischen Interessen.“ durchaus
zu.
Hierarchische
Positionen,
wie
zum
Beispiel
eine
Interessenorientierte oder kommunitaristisch Orientierte, lassen ethisch
vertretbare Tierversuche zu. Es hat sich auch gezeigt, dass nicht eine
Theorie alleine einen Tierversuch ethisch vertretbar macht, denn eine
Theorie alleine ist meistens in irgendeinem Punkt inkonsistent. Eine
Theorie braucht andere Positionen zum Diskurs und zur Überprüfung.
Nur ein Pluralismus von Positionen, kann den Konflikt zwischen
Mensch und Tier in einem Tierversuch lösen.
Die
Güterabwägung,
welche
in
der
Schweizerischen
Tierschutzgesetzgebung vorgesehen ist, gewährt den Forschenden ihre
Freiheit und achtet die Würde der Tiere in den Versuchen. Die
Güterabwägung ist allerdings in der Praxis nicht etabliert und damit
wird die Entscheidungsfindung problematisch. Die Frage ist nach wie
24
vor offen, ob die konkurrierenden Güter, Rechte oder Interessen, wegen
ihrer Unvergleichbarkeit gegeneinander abgewogen werden können
oder nicht. Die Güterabwägung bedarf entweder die Entwicklung neuer
Ethik-Tools, die einen Vergleich möglich machen oder einen anderen
Zugang zu Tieren, zum Beispiel einen Umgang mit Respekt und nicht
einen auf einer theoretischen Güterabwägung basierenden. Das heisst,
dass es auch zu einem moralisch legitimen Nutzen von Tieren gehört,
dass wir uns dafür Einsetzen, damit die Belastung für die Tiere minimal
ist. Im Bereich der Tierversuche bedeutet das dem 3R-Prinzip (Reduce,
Refine, Replace) zu folgen und diese Fähigkeit hat kein anderes Tier in
einem so grossen Masse wie der Mensch, wenn ich Mary Midgleys
Worten folge.
Das Schweizer Volk hat dem neuen Schweizerischen Tierschutzgesetz
im Jahre 1978 hoch mit 85 % zugestimmt. Dieses Gesetz führte die
Bewilligungspflicht von Tierversuchen durch die kantonale Behörde,
den Einbezug einer aus Fachleuten bestehenden Kommission beim
Bewilligungsverfahren und die Beschränkung der Tierversuche auf das
unerlässliche Mass ein. Seither sind drei Initiativen zur Abschaffung
von Tierversuchen eingereicht worden und durch die Stimmenden
abgelehnt worden, der letzte eidgenössische Vorstoss im Jahr 1993, der
die Totalabschaffung der Tierversuche forderte, wurde mit 72 % NeinStimmen deutlich verworfen. Dies zeigt, dass Tierversuche in der
Schweiz politisch unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen ihre
politische und rechtliche Legitimation haben. In dieser Arbeit habe ich
gezeigt, dass Tierversuche aus kommunitaristischen
oder
interessenorientierten Gründen durchaus auch ethisch gerechtfertigt
werden können.
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