Mag. Susanna Michner Ich habe eine Idee! Der Unteroffizier: „Einjähriger, was sind Sie in Zivil?“ „Kandidat der Philosophie, Herr Unteroffizier!“ „Dann werden Sie mir sicher sagen können, was eine Idee ist.“ „Jawohl, Herr Unteroffizier. Eine Idee ist ein Erkenntnisbegriff, welcher, ohne einen in möglicher Erfahrung aufweisbaren Gegenstand und deshalb der demonstrativen Erkenntnis unzugänglich, doch aus dem innersten Wesen der Vernunft als Prinzip der Weltanschauung hervorgeht.“ „Schön. Dann nehmen Sie das Gewehr eine Idee höher!“ Sie schütteln den Kopf? Sie haben Worte zum Höhlengleichnis erwartet? Eine Analyse der platonischen Liebe? Und ich erzähle einen alten Witz? Eben. Die Idee ist nicht sichtbar. Trotzdem fällt auf den ersten Blick der Gegensatz zwischen den Vorstellungen (Ideen) auf, die beide Gesprächspartner von der Idee haben: hier das beliebig austauschbare Wort, dort eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Stunden des Lesens, Nachdenkens und des Dialogs. Dass der Witz funktioniert, zeigt recht gut, wie tief wir in einer Denk- und Erkenntniswelt verwurzelt sind, die Platon für uns formuliert hat. Und je gequälter Sie lachen, umso wirksamer hat Platon schon in Ihnen gearbeitet! Doch sehen wir uns den Prozess an, der (nicht nur) zur Antwort des Studenten führt. Am Anfang steht der Anblick (visio) der Einzeldinge, die in ihrer Gesamtheit die uns umgebende Wirklichkeit bilden. Die Wirklichkeit? Oder doch nur Schatten dessen, was „eigentlich“ ist? Was steckt dahinter? Wir suchen, unterscheiden, wählen aus (κρίνω), werden „kritisch“ – bis wir endlich durch die sinnlich wahrnehmbaren Dinge hindurch auf Ewiges blicken, vielleicht sogar wie Faust ahnen, was die Welt im Innersten zusammenhält (Denken Sie jetzt an das Höhlengleichnis? Genau!). Die Vision, die Erkenntnis der Wirklichkeit führt uns zum Schönen und Guten. Doch lassen wir Platon selbst zu Wort kommen: „Wer das Gute liebt, was liebt er?“ – „Dass es ihm zuteil werde!“ – „Und was geschieht jenem, dem das Gute zuteil wird?“ – „Er wird glücklich sein.“ Nachzulesen im Gastmahl. Glück wird uns in Aussicht gestellt, von Liebe ist die Rede. Hoppla, da haben wir sie ja, die platonische Liebe! Also: Die Einzeldinge unserer Welt verdanken sich selbst der Teilhabe an den Ideen und letztlich an der Idee schlechthin. Wir erkennen die Idee als Grund allen Seins und, sozusagen in der Gegenrichtung, aller Erkenntnis des Seins. Das Streben nach Erkenntnis kann als Liebe zum Ewigen verstanden werden. Die Kraft, die uns treibt, lebensbejahend und erkennend, nennt Platon Eros (Freud übrigens auch). Weil aber „der Geist, der stets verneint“ auch mitspielt, geht alles nicht so glatt – auch nicht in der Schule: vorne die Idee, hinten wir, dazwischen viel Mühsal und Unvollkommenheit! Quintilian, Professor vor 2000 Jahren, ermahnt uns Erziehende deshalb, zwar immer zu verbessern, aber nie zu schimpfen – und man könnte hinzufügen, nicht in erster Linie Fehler zu zählen. Denn Sehnsüchte, Begabungen und Empfindungen sind ein wichtiger Teil der Wirklichkeit. Welch ein Zauber geht doch von Lehrenden aus, denen ihre Schutzbefohlenen mehr sind als das Mittel zum Broterwerb! Schule gelingt, wenn der Blick für das Gute und Schöne nicht getrübt wird. Ich meine damit auch den Blick für das Gute, das von allen Beteiligten geleistet wird – immer wieder, jeden Augenblick. Als Schulgemeinschaft sind wir unterwegs. Behalten wir dabei die Idee im Auge: die Idee der Bildung, die Idee des bestmöglichen Verhaltens… aber auch, oder eigentlich ganz besonders, die Idee des Gegenübers. Mag. Susanna Michner ist Übersetzerin und Klassenelternvertreterin der 2a, neben ihrem Sohn besucht auch ihre Tochter das BG 9 (Oberstufe).