Kabale und Liebe Ein bürgerliches Trauerspiel von Friedrich Schiller Programmhefttext von Sebastian Fust HANDLUNG Luise liebt Ferdinand. Ferdinand liebt Luise. Bedingungslos. Doch sie ist die Tochter des Musikanten Miller. Er ist von Beruf Major und der Sohn des Präsidenten von Walter. Und dieser Vater hat sich durch Intrigen und schmutzige Geschäfte ins Amt gebracht. Und wie das bei schmutzigen Geschäften der Fall ist, muss alles daran gesetzt werden, dass diese nicht ans Licht kommen, will man das Amt behalten. Und so werden, um der Macht und des Amtes Willen, weitere Intrigen gesponnen. Wobei der Herr Wurm, der Haussekretär des Präsidenten, ein eifriges und willfähriges Werkzeug ist – liebt er doch seinerseits die Luise, und ist ihm deshalb der Ferdinand ein unwillkommener Nebenbuhler. Und dann ist da noch eine gewisse Lady Milford, die Mätresse des Fürsten (und eben jenes Fürsten, von dessen Gnaden von Walter das Amt des Präsidenten ausführt), die sich Hals über Kopf ebenfalls in den jungen Major Ferdinand verliebt hat, ja, in ihm ihre einzige, die wahre Liebe, entdeckt. Und die, um zu ihrem Ziel, der Erfüllung ihrer Liebe, welche für sie nur in der Ehe münden kann, zu gelangen, gleichfalls ihre Intrigen (oder sollten wir lieber sagen: Kabalen?) spinnt... Oder kurz: Luise liebt Ferdinand. Ferdinand liebt Luise. Bedingungslos. Und so stehen politische Ränkespiele und Interessen, die gesellschaftliche Konvention und der Standesdünkel ihrem Glück entgegen. Und treibt sie ins Verderben. Friedrich Schiller (1759-1805), gerne gefangen gehalten im goldenen Käfig des Klassikers, des Genies, dem man die Reißzähne durch vorbehaltlose Heiligsprechung (und das Durchschleifen und -kauen im Deutschunterricht) zu ziehen trachtet, ist kein Heiliger. Sein „Kabale und Liebe“ steht nach wie vor in Saft und Kraft, ist Boulevard- und Ideenstück, Gesellschafts- und Standeskritik – und ist nichts von alle dem: ist eine Welt, ein disparater Kosmos, der seine Einheitlichkeit durch seine theatrale Umsetzung findet; der so in sich selbst verzweigt ist, dass der Versuch einer stringenten, alles erklärenden Analyse und Kritik von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Und damit erfüllt sich im Drama der Luise Millerin – so der ursprüngliche Titel -, das was für die Dramen Shakespeares bereits knapp einhundert Jahre vorher galt (und bis heute gilt), und was Heiner Müller in Bezug auf die Textproduktion einmal so formulierte: „Nichts ist, im negativen Sinn, fragmentarischer als ein geschlossenes perfektes Stück.“ Das „bürgerliche Trauerspiel“ von Friedrich Schiller, 1782 in einem vierzehntägigen Strafarrest entworfen, auf der sich kurze Zeit später anschließenden Flucht aus Stuttgart nach Mannheim in ersten Szenen und Hauptmomenten notiert und schließlich 1784 in Frankfurt/Main uraufgeführt, gehört zu den bekanntesten Klassikern der deutschen Dramatik. Den vierzehntägigen Strafarrest hatte sich der damals knapp 23jährige durch die Missachtung des Besuchsverbots der Uraufführung seiner „Räuber“ am 13. Januar 1782 am Mannheimer Theater durch Carl Eugen, den Herzog von Württemberg, zugezogen. Und nicht nur das: der württembergische Herrscher verhängte ein zusätzliches Schreibverbot über Schiller. Der junge Dramatiker wusste also, wovon er sprach, wenn er sich in seinem bürgerlichen Trauerspiel über die Willkürherrschaft der Mächtigen ausließ, diese aufzeigte und anprangerte. Nun kann man von biografischen Interpretationen halten, was man mag. Und natürlich ist der Text schlauer als sein Autor. Aber dessen ungeachtet (denn das eine berührt das andere nicht, noch stellt es dies in Frage), liegt, zugespitzt, der Verdacht nahe: Auf der Flucht geschrieben, um einen Standpunkt zu haben. Im Kerker entworfen, um eine Entschuldigung zu haben. Und diese Zuspitzung könnte uns einen anderen Interpretationsschlüssel in die Hand geben, denn gemeinhin wird “Kabale und Liebe” seinem Untertitel entsprechend als „bürgerliches Trauerspiel“ verstanden und als solches gesehen, besser: durch diese Brille wird auf den Text geschaut, gerade der Untertitel des Stücks liefert den Sprit, der die Interpretation antreibt. Und vielleicht führt uns diese Interpretation auf die falsche Fährte. ÜBER EINEN ABWESENDEN Das bürgerliche Trauerspiel, kurz gefasst, behandelt laut einer hinlänglich bekannten OnlineEnzyklopädie entweder „unpolitische Familienkonflikte, die soziale Gegensätze mö glichst nicht berühren und auf das Verbindende einer ‚reinen Menschlichkeit’ setzen, oder es handelt vom politischen Kampf gegen die Unterdrückung durch den Adel [...]“. „Kabale und Liebe“ wäre hier Platzhalter für die letztgenannte Herangehensweise. Um das aufrissartig zu betrachten, sollten wir den Blick auf den großen Abwesenden des Stückes richten: den Fürsten. Der Fürst taucht als handelnde Person nicht auf. Von ihm wird nur berichtet. Dennoch wissen wir einiges über ihn. Zunächst grundsätzlich: Der Präsident von Walter führt für ihn die Regierungsgeschäfte. Und damit ist die eindeutige Aussage über die Person des Fürsten abgeschlossen, denn alles weitere ist rein dualistisch aufzufassen: In der ersten Szene der Lady Milford wird uns der Fürst als absolutistischer Willkürherrscher präsentiert, nur sie scheint einen mäßigenden Einfluss auf ihn zu haben.1 Das ist die eine Seite des Fürsten, die des Despoten. Für die andere stehen zwei Bewegungen, die in eins fallen: Einmal die Absicht Ferdinands (in der Szene, wo Luise auf Befehl seines Vaters, des Präsidenten, an den Pranger gestellt werden soll), zum Fürsten selbst zu gehen, um diesem zu sagen „wie man Präsident wird“ (er also die ganzen Machenschaften des Vaters/Präsidenten offenlegen möchte), wie auch in der Luise/ Wurm-Szene, in der Luise zur letztlich fatalen Kabale (dem Schreiben des falschen Liebesbriefes) durch Wurm gezwungen wird. Auch hier will Luise zum Fürsten eilen, um ihm das ihr widerfahrene Unrecht zu schildern – und dafür Gerechtigkeit zu empfangen. Gerechtigkeit. Der selbe Movens, der Ferdinand antrieb, zum Fürsten zu gehen. (Was beides Mal von der bedrängenden Instanz, um sich selbst zu schützen, verhindert wird.) Die Gerechtigkeit (wo an dieser Stelle nicht dargestellt werden kann, was überhaupt die jeweilige 1 Lady Milford macht für sich geltend, dass sie, als Mätresse, einen mäßigenden Einfluss auf diesen absolutistischen Herrscher gehabt habe, dass dieser, unter ihrem Einfluss, wenn er seine Lust an ihr befriedigt hatte, sanft an ihrem Busen entschlummernd, empfänglich für Nachsicht, und vielleicht sogar zu so etwas wie Liebe, seinem Volk gegenüber, fähig gewesen sei. Wohlgemerkt: Es ist die Milford selbst, die das Schreckensszenario aufmacht, und sich als Engel der Linderung ins Spiel bringt. Wie vertrauenswürdig ist so ein Aussagesubjekt? Welchen Ablasshandel betreibt sie, wenn sie zum Beispiel der Luise all ihren Schmuck schenken will, wenn sie den Armen helfen will; warum tut sie das? Aus Nächsten-, oder Menschenliebe heraus? Um ihre Seele zu retten, für was ihr jedes Mittel recht ist, in letzter Konsequenz bis zur Selbstverleugnung: Sie fängt ein Leben in Armut und Demut an (eine Spiegelung ihrer vorher gehegten Liebe zu Ferdinand), ein Gemüt, das nur zwei Bewegungen kennt, Alles oder Nichts, und das sich (wie Ferdinand interessanter Weise) auch genau dahin mitzunehmen bereit ist, jenseits der Konsequenzen, jenseits des „Richtig oder Falsch“. Wen liebt sie denn anderen in ihrem Verzicht als sich selbst? Ist das Projekt der Milford nicht letztlich ein großartiges, selbstverliebtes Retten des eigenen Egos, des Selbstverständnisses? Gerechtigkeitsprojektion im Einzelnen ist oder wäre), liegt demnach immer noch – und gerade durch seine Abwesenheit, respektive seine Anwesenheit als Nicht-Person – beim Fürsten, dem weltlichen Richter. Seine Funktion bleibt unangetastet: er schafft das Recht. In diesem Sinne ist auch die Schlussszene zu verstehen. Sterbend dahin sinkend reicht Ferdinand dem Vater die Hand. Dieser, der Vater und Präsident in einem, greift dessen Hand – und interpretiert (was gerne von der Sekundärliteratur übersehen wird) jene Geste als Vergebung des Sohnes für den Vater. Erst diese Interpretation seitens des Vaters/Präsidenten, entzieht diesen (zumindest im sprachlichen Kontext) der göttlichen Gerichtsbarkeit. Er sieht seine Schuld ein und wendet sich...: an die irdische Gerichtsbarkeit. Und das ist: der Fürst. Das heißt: an der weltlichen Ordnung wird nicht gerüttelt, nicht mal gekratzt. Der Schluss bestätigt sie, die weltliche Ordnung, das feudale System, den Fürsten. Unter diesem Gesichtspunkt wird das Label des „bürgerlichen Trauerspiels“ zur Tarnkappe. Oder, wie gesagt: Auf der Flucht geschrieben, um einen Standpunkt zu haben. Im Kerker entworfen, um eine Entschuldigung zu haben. Soviel in knappen Worten. Und als kurzer Rekurs: Natürlich gibt es keine eineindeutige Interpretationsmöglichkeit. Und so gilt für das eben gesagte: es erklärt nichts, es schließt vielleicht bestenfalls einen neuen Raum auf, weißt auf etwas hin. Und der Text bleibt, was er ist: ein Text. Kabale und Liebe. Schiller neu lesen – am 7.10. hat KABALE UND LIEBE von F. Schiller unter der Regie von Hannes Hametner am Grossen Haus in Quedlinburg um 19.30 Uhr Premiere. Aus diesem Anlass schreibt der Regisseur an dieser Stelle für die Volksstimme über sein Inszenierungskonzept. Luise liebt Ferdinand. Ferdinand liebt Luise. Und dessen despotischer Vater/Präsident will ihn, um seinen eigenen Machterhalt zu sichern, zur Heirat mit Lady Milford zwingen. Und dem armen Musikus Miller wird seine einzige Tochter genommen, während Ferdinand den Ungehorsam zur Machtfrage zuspitzt.... Folgt man der gängigen Schulinterpretation. Mitnichten. Dieses Melodram (hier als Synonym für Rührseligkeit gebraucht) findet nicht statt. Die Verhältnisse sind komplexer. Das Stück ist das Drama der Unreife (Ferdinand) und der kleinbürgerlichen Beschränktheit (Luise). Denn, liest man das Stück von seinem Ende her, findet in einer einzigen Geste, die gerne übersehen wird, der Schulterschluss der Mächtigen des Stückes statt (Blut ist dicker als Wasser): Ferdinand reicht sterbend seinem Vater die Hand. Was erzählt diese Geste? „Er vergab mir.“ sagt der Präsident, diese Geste deutend. Aber Ferdinand? Leistet er Abbitte, will er, dass ihm verziehen wird? Was hat Ferdinand zu diesem Schritt veranlasst? Noch nicht kalt liegt seine Luise tot neben ihm auf der Bühne. In ihm selber wirkt das tödliche Gift. Dem Rausch der Rebellion folgt die Ernüchterung. Die „verwahrloste Bürgerdirne“ (so Lady Milford über Luise) hat sich in den Stricken ihrer religiösen Borniertheit selbst zu Fall gebracht. Die Saat der Erziehung ihres religiös eifernden Kleinbürger-Vaters Miller ist aufgegangen: die Verwirklichung ihrer Träume hat Luise aufs Jenseits vertagt. Erst sterbend - und somit zu spät - entdeckt sie Ferdinand ihre Lüge. Ferdinand erkennt seine Unreife, und erkennt – auch zu spät – das sein Vater es gut mit ihm gemeint hat. Inhaltlich betrachtet, spiegelt sich hierin der Gedanke der Lady Milford: dass die Erziehung der Luise am Hof der einzige Ort gewesen wäre, wo diese sich ihrer „bürgerlichen Vorurteile“ hätte entledigen können. Denn der wirkliche Gegenspieler von Ferdinand ist Vater Miller. Er zwingt seine Tochter zur Lüge. Das erkennt Ferdinand zu spät. Ferdinand entschuldigt sich bei seinem Vater für sein Drama der Unreife, dessen Subjekt die Liebe und dessen Objekt Luise war. Betrogen aber sind sie alle: von Lady Milford, die als kluge, aufgeklärte Frau des Hofes die KABALE für ihre LIEBE zu inszenieren weiß. Sie verabschiedet sich souverän aus dem Stück (fast einem Gedanken Adornos folgend), indem sie einsieht, dass es „kein wahres Leben im falschen“ geben kann. Übrig bleibt Wurm, der nichts gewinnen konnte und darum nichts verloren hat. „Wer schreibt, der bleibt“ heißt es – und das ist Wurms trauriges Schicksal: er kann die Liebe eine Frau (Luise) nicht erzwingen. Wo er als Mann versagt, dient ihm das Schreiben als Machtersatz. Er ist der Gefährlichste. (Aber verdient er dadurch unser Mitleid weniger?) Bleibt Sophie, die Kammerzofe der Lady Milford. Als ein bei Schiller wenig beschriebenes Blatt wird sie bei uns zu einer Figur wie aus einem Pasolini Film: sie kündigt ihren Dienst und geht. Geht zurück in ihr Heimatdorf und wird, ob des Überdrusses an KABALE UND LIEBE, zur Heiligen, die ihr Glück in der Entsagung findet. Vielleicht.