3. Liederabend (Kleine Zeitung_Kronen

Werbung
Musikverein für Steiermark - Hermann Becke, 19.3.2017
http://www.deropernfreund.de/graz-konzerte.html
PIOTR BECZALA - HELMUT DEUTSCH
Graz, Stephaniensaal am 18. 3. 2017
Das Einmalige in der Routine
„Liederabende sind viel intimer als Opernvorstellungen, man kann sich nicht verstecken. Jeder Abend ist
ein neues Abenteuer, mit mir, dem Pianisten und dem Publikum. Man sieht das Publikum, man bekommt die
Reaktionen viel stärker mit. Ja, ich genieße das, obwohl es nicht einfach ist.“ Das sagte der Opern-Weltstar
Piotr Beczała jüngst in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.
In Graz hatte man Piotr Beczała bisher noch nicht als Liedsänger erlebt. Er war nur einmal im Juni 2014 in
einem Sonderkonzert mit dem Orchester der Wiener Volksoper in Graz zu Gast und präsentierte damals ein
Operettenprogramm als „Tribut an Richard Tauber“. Soweit ich das überblicke, ist das Jahr 2014 jenes Jahr,
in dem sich Piotr Beczała erstmals auf bedeutenden Konzertpodien als Liedsänger vorstellte. Bei
den Salzburger-Festspielen-2014 gab es einen Liederabend mit exakt jenem Programm, das seit damals in
vielen Städten erklungen ist - und mit dem Piotr Beczała und Helmut Deutsch nun im Jahre 2017 auf
Tournee sind. Anfang März gab es dieses Programm in Bilbao, Gran Canaria, Barcelona und in Frankfurt.
Nach Graz folgen Auftritte in Berlin, in der Elbphilharmonie Hamburg, in Heidelberg, in Grafenegg…..Die
ungeheure Routine, die Piotr Beczała mit diesem Liedprogramm durch Jahre erworben hat, ist vielleicht
gerade das Besondere und das Reizvolle an diesem Abend. Denn es ist wirklich so: Jeder Abend ist ein
neues Abenteuer - man kann sich nicht verstecken.
Und zweifellos ist es auch so, dass durch die Zusammenarbeit mit Helmut Deutsch speziell die
Interpretation der Schumannschen Dichterliebe ständig vertieft und weiter entwickelt wird. Insofern kam
also das Grazer Publikum zu einem besonderen und in seiner Ausprägung einmaligen Abend. Piotr
Beczala und Helmut Deutsch haben nicht Routine abgespult, sondern die aufgeführten Werke vor dem
übervollen Saal (auch die sonst kaum verkauften Klappsitze an der Saalwand waren besetzt) aus dem
Augenblick heraus neu entstehen lassen.
Die Zusammenstellung des Programms ist für den polnischen Tenorstar klug und passend gewählt, wenn
auch nicht neu. Persönliche Anmerkung dazu: Im Jahre 1963 erlebte ich in Graz den unvergleichlichen
Nicolai Gedda - auch er sang vor der Pause Schumanns Dichterliebe und am Ende Rachmaninow.
Robert Schumann hat aus Heinrich Heines 65 Titel umfassenden „Lyrischen Intermezzo“ 16 Texte
ausgewählt, sie genial als kunstvoll-raffinierte Miniaturen vertont und unter dem von ihm erdachten Titel
Dichterliebe zusammengefasst. Piotr Beczała beginnt den Zyklus sehr vorsichtig und zurückgenommen.
Natürlich beherrscht er die Pianophrasen technisch perfekt und klangschön, aber persönliche Betroffenheit
und Intensität erlebt man erstmals im 4.Lied Wenn ich in deine Augen seh, wenn er mit seinem großartigen
Partner am Klavier bei den Worten Ich liebe dich nicht nur das in den Noten vermerkte ritardando macht,
sondern davor einen deutlichen Einschnitt setzt. Plötzlich hat man den Eindruck, der Sänger hat sich nun
ganz gefunden und hört gespannt zu. Die wunderschön timbrierte Stimme wirkt an diesem Abend gesund
und ausgeruht - auch die tief liegenden Phrasen (etwa in Im Rhein, im heiligen Strome) gelingen rund und
fundiert. Bei Ich grolle nicht und wenn das Herz auch bricht erlebt man erstmals, wie sich speziell bei den
Vokalen a und o die große Stimme des Opernsängers ganz öffnet, ohne dass dabei vordergründige
Theatralik entsteht. Und bei Und wüssten’s die Blumen, die kleinen erlebt man dann jene dem deutschen
Lied adäquate Pianophrasierung, die man anfangs noch ein wenig vermisste. Großartig leichtfüßig und
transparent gelingt den beiden Künstlern Hör ich das Liedchen klingen. Piotr Beczała artikuliert die Texte
mit hervorragender Klarheit Er kommt bei der Textwiedergabe ganz aus dem natürlichen Klangmelos, da
gibt es nie übertriebene Konsonanten - alles ist vorbildlich verständlich. Viele Details könnte man noch
erwähnen - man merkt, wie intensiv an der Interpretation gearbeitet wurde. Vielleicht ein Beispiel: In der 3.
Strophe von Allnächtlich im Traume ist die Passage heimlich ein leises Wort geheimnisvoll-plastisch
hervorgehoben, ohne dass der Bogen des Gesamtzusammenhanges gestört wird. Sänger und Pianist
realisierten eine ideale Synthese von Musik und Text. Beim Andante espressivo des wunderbar-langen
Nachspiels, zu dem Helmut Deutsch erst nach einem winzigen, aber kostbaren Einschnitt ansetzte, hatte man
den Eindruck, dass man nun endgültig in das Reich der Poesie gelangt ist, in dem sich Heinrich Heine und
Robert Schumann zu einem Ganzen verbinden. Das Publikum war bis zum letzten Takt angespannt und
aufmerksam. Der große Beifall setzte erst zögernd ein. Für mich war es eine gültige, geradlinig-ehrliche
Wiedergabe mit vielen sehr schönen Details - wenn etwas anzumerken ist, dann vielleicht, dass das
Zwiespältig-Gebrochene, das Distanzierte, das ja auch Heine immanent ist, in Beczałas Interpretation ein
wenig fehlte. Aber das ist keine Kritik, sondern eben nur eine Anmerkung.
Nach der Pause geschah dann zunächst Überraschendes:
Auf das Podium traten nicht nur die beiden Ausführenden, sondern auch der Generalsekretär des
Musikvereins Dr. Michael Nemeth. Er ehrte Helmut Deutsch, der seit 1972 als wesentlicher Faktor im
Grazer Liederabendabonnement 37 Liederabende mit den größten Sängerpersönlichkeiten der letzten
Jahrzehnte gestaltet hat. Helmut Deutsch bedankte sich mit launigen Worten und wiederholte - unter großen
Beifall des Publikums! - das, was auch in diesem Video von ihm zu hören ist: Liederabende leben, wenn
auch manchmal gemeint wird, sie seien nicht mehr zeitgemäß. Graz mit seinem wunderschönen Saal und
seinem fachkundigen Liedpublikum sei dafür ein leuchtendes Beispiel und Vorbild. Das Grazer Publikum und auch der Schreiber dieses Berichts, der für sich in Anspruch nehmen kann, dass er wohl alle Auftritte
von Helmut Deutsch in den letzten 45 Jahren erleben durfte - hoffen jedenfalls auf noch viele Abende mit
Helmut Deutsch!
Im 2.Teil war dann Piotr Beczała ganz in jenem spätromantischen Milieu der effektvollen Podiumslieder, in
dem er sich hörbar wohl fühlte. Die Stimme strömte frei - und auch wenn man weder polnisch noch
tschechisch oder russisch versteht, vermittelte er einem den Eindruck plastischer Textgestaltung und vor
allem prachtvolle slawische Belcanto-Phrasen. Das war Wohlklang pur. Mieczysław Karłowicz (1876 1909) ist ein mir bisher unbekannter polnischer Komponist mit einem Œuvre, das in Polen zum festen
Bestandteil der nationalen Musiktradition gehört. Die sieben Lieder, die Piotr Beczała an diesem Abend
sang (übrigens nicht in der im Programmheft angeführten Reihenfolge, sondern genau in der seines
Salzburger Liederabends) sind Jugendwerke - effektvoll und sängerfreundlich an der Volksmusik orientiert.
Diese Lieder sind für Beczala wohl das, was in der letzten Zeile des 2.Liedes ausgesprochen wird: Die
Musik meiner Seele. Dann folgten die dem Liedpublikum wohlbekannten Zigeunerlieder von Antonín
Dvořák - packend und leidenschaftlich vorgetragen. Die letzte Gruppe des offiziellen Programms bildeten
vier Lieder von Sergej Rachmaninow mit den strahlend-prächtigen Frühlingsfluten als effektvollen
Schlusspunkt. Bei allen drei slawischen Komponisten strahlte die Stimme Beczalas in allen Lagen und
dynamischen Abstufungen. Das Publikum war begeistert und feierte das Lied-Duo mit Standing Ovations.
Natürlich gab es Zugaben - auch sie allerdings im Rahmen des durch Jahre Erprobten. Da ist so wie im
Programm selbst alles genau überlegt und dosiert. Als erstes erklang die effektvolle Zueignung des 18jährigen Richard Strauss. Die zweite Zugabe war ein zungenbrecherisch flottes und effektvolles polnisches
Lied - ich vermute, es stammt aus der Feder von Stanislaw Moniuszko. Die ersten beiden Zugaben
erklangen übrigens vor kurzem auch in Frankfurt. Und als absoluten Abschluss gab es dann Italienisches:
das berühmte Core N'grato - Catari, mit dem Piotr Beczała schon 2014 seinen Salzburger Liederabend
gekrönt hatte - also auch bei den Zugaben Bekanntes und Bewährtes - und doch: es war großartig, eben
genau so wie der ganze Abend - trotz oder vielmehr wegen der Routine und Erfahrung: Kunst des
Augenblicks, Kunst des Jetzt! Generalsekretär Dr. Michael Nemeth kann zufrieden sein - mit solchen
Programmierungen kann und wird er das Liederabend-Publikum noch lange begeistern können.
Hermann Becke, 19.3.2017
Hinweise:
Ausführliches Audio-Interview mit Piotr Beczała über Liedgesang und das heutige Programm für den
Heidelberger Frühling, wo das Konzert am 7.4.2017 wiederholt wird
Wer einen Eindruck von den Karłowicz-Lieder gewinnen will, kann hier zwei Beispiele hören allerdings nicht mit Piotr Beczała, der zwar auf eine ungemein reichhaltige Diskographie verweisen kann, in
der man aber bisher keine Lieder findet. Der Grazer Abend wurde mitgeschnitten - bahnt sich da vielleicht
die erste Lied-CD an??
Natürlich darf auch ein akustischer Eindruck von Piotr Beczała in diesem Bericht nicht fehlen: hier
sein Core N‘grato
-
Der nächste Liederabend folgt in Graz schon am 6. April - mit Christiane Karg und Gerold Huber
Herunterladen