Friedrich300 - Repräsentation und Selbstinszenierung Friedrichs des Großen Christoph Henzel Die Oper Friedrichs II. von Preußen Repräsentation und Selbstdarstellung Abstract: Friedrich II. hat nach seinem Regierungsantritt die Hofoper als Medium der Repräsentation in Preußen institutionalisiert, wobei er ganz eigene Akzente setzte, die die Oper einerseits von der Dynastie wegrückten und sie anderseits an seine Person banden. Während die außenpolitische Funktionalisierung zwar plausibel, in ihrer Wahrnehmung aber ungeklärt ist, lässt sich die geschmacksbildende Wirkung nach Innen, d.h. auf den Hof und die musikinteressierte Öffentlichkeit in Berlin und darüber hinaus belegen. Sie hat das Bild des Königs spiritus rector des guten Geschmacks in der Musik beigetragen. <1> "Nichts gibt einer Regierung mehr Glanz als die Künste, die unter ihrem Schutz florieren." 1 Die vielzitierte These findet im 21. Kapitel des 1740 publizierten Anti-Machiavel. Hier werden zwei Strategien beschrieben, wie der Fürst seine Macht bzw. die seines Landes vergrößern kann: entweder durch militärische Eroberungen oder durch die Förderung des Handwerks, der Wissenschaften und der schönen Künste. Während das Handwerk und die Wissenschaften den ökonomischen Reichtum stärken, demonstrieren ihn die schönen Künste nach innen und außen: "Das sicherste Zeichen dafür, dass ein Land unter einer weisen Regierung Glück, Überfluss und Reichtum genießt, besteht darin, dass in seiner Mitte die schönen Künste und Wissenschaften erblühen; sie sind wie Blumen, die auf fettem Boden und unter einem glücklichen Himmel gedeihen, die aber bei Trockenheit oder bei einem ungestümen Nordwind dahinwelken."2 Ihre Entfaltung wird als Gradmesser des (materiellen) Wohlstands verstanden, an dessen Hebung sich der Erfolg der Regierung bemisst. Diese politische Funktionsbestimmung der Künste steht programmatisch am Beginn der Regierungszeit Friedrichs II.; sie signalisiert einen Neuansatz sowohl in der Kulturpolitik als auch im Selbstbild des Königs, der sich in Abgrenzung vom Vater als Musenfürst definiert. <2> Obwohl Musik und Schauspiel im betreffenden Kapitel nicht eigens erwähnt werden, lässt sich der besondere Rang der großen Oper innerhalb der Hofmusik aus den Ausführungen ableiten. Denn sie war die einzige repräsentative musikalische Gattung, die quasi international ausgerichtet war. Sie wurde an allen großen und vielen kleinen Höfen Europas gepflegt. Abgesehen von Paris, wo ein ganz eigener Operntypus, die von Jean-Baptiste Lully und Philippe Quinault geschaffene Tragédie lyrique, 1 Anne Baillot / Brunhilde Wehinger (Hg.): Friedrich der Große – Potsdamer Ausgabe, Bd. 6: Philosophische Schriften, Berlin 2007, 213. 2 Baillot / Wehinger: Friedrich der Große (wie Anm. 1), 211/213. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de heimisch war, bestimmte europaweit das italienische Dramma per musica das Bild. Kirchenmusik, ebenfalls ein repräsentatives Genre, war am reformierten Hof in Preußen ohne Bedeutung; sie wurde von Friedrich II. (im Unterschied zu seiner Mutter und seiner Schwester Anna Amalia) persönlich auch nicht geschätzt. Instrumentalmusik spielte zwar im Rahmen der Praxis der Hofmusik quantitativ eine große Rolle. So musizierte der König mit einigen Hofmusikern täglich im quasi privaten, intimen Rahmen. Und die Hofkapelle versammelte sich wöchentlich zu einem größer besetzten Konzert bei den Königinnen (nach dem Siebenjährigen Krieg bei Königin Elisabeth Christine) im Berliner Stadtschloss, welches durch den Ort und die Einbeziehung in den Festkalender des Hofes einen repräsentativen Charakter erhielt.3 Das hier aufgeführte Repertoire stammte vermutlich aus der Feder komponierender Kapellmitglieder, vor allem des Konzertmeisters Johann Gottlieb Graun, des Violinisten Franz Benda und des Cembalisten Carl Philipp Emanuel Bach. 4 Gleichwohl nahm die Instrumentalmusik in der Gattungshierarchie einen nachgeordneten Rang ein. <3> Die zentrale Rolle der Oper in der öffentlichen Wahrnehmung war nichts Neues. Traditionell war sie in die Repraesentatio maiestatis, die Selbstdarstellung der Herrscher im Rahmen eines regional übergreifenden kulturellen Wettstreits eingebunden. Dies war bereits beim Import aus Italien im 17. Jahrhundert die leitende Idee gewesen. Ablesbar war dies an der Exklusivität der Aufführungen, am Prunk der Ausstattungen, an den spektakulären Bühneneffekten, an den kostspieligen Kastraten, Primadonnen, Tänzerinnen, Tänzern und Dekorateuren. Freilich vollzog sich dabei ein Wandel: Analogien bei den Rollen und Handlungen zur Person des Herrschers oder zur Dynastie spielten 1740 in Folge der "Krise der Repräsentationen"5 kaum noch eine Rolle. Dasselbe gilt für Adressierungen in anlassgebundenen Prologen und Licenze. 6 In der Regierungszeit Friedrichs II. wurden nur drei Prologe im Opernhaus aufgeführt.7 3 Nachweise für die Konzerte finden sich in den Berliner Zeitungen bis 1757 in großer Zahl. Aus der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg liegen nur sporadische Nachrichten vor. Dass es ein wöchentliches Konzert bei der Königin gab, wissen wir aus einem Brief des Sängers Antonio Uber gen. Porporino aus dem Jahr 1776; vgl. Christoph Henzel: Das Konzertleben in der preußischen Hauptstadt 1740-1786 im Spiegel der Berliner Presse, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2004, 216-291 u. 2005, 139-241. 4 Vgl. Christoph Henzel: Berliner Klassik. Studien zur Graunüberlieferung im 18. Jahrhundert (= ortus studien 6), Beeskow 2009, 207-212. 5 Vgl. Peter Burke: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Frankfurt a.M. 1995, 172ff. 6 Vgl. exemplarisch zur Situation in Dresden Panja Mücke: Johann Adolf Hasses Dresdner Opern im Kontext der Hofkultur, Laaber 2003, 107 u. 144-146; dies.: "… man erzählt sich Wunderdinge von ihr." Oper und Repraesentatio Maiestatis im 18. Jahrhundert, in: Barbara Marx (Hg.): Kunst und Repräsentation am Dresdner Hof, München / Berlin 2005, 217-227; Sabine Henze-Döhring: Der Stellenwert der Musik im höfischen Zeremoniell, in: Juliane Riepe (Hg.): Musik der Macht – Macht der Musik. Die Musik an den sächsischalbertinischen Herzogshöfen Weißenfels, Zeitz und Merseburg (= Schriften zur mitteldeutschen Musikgeschichte 8), Hamburg 2003, 23-32, hier 31f. 7 So wurde Carl Heinrich Grauns Oper Rodelinda, die am 6. Januar 1742 anlässlich der Hochzeit des Prinzen August Wilhelm mit der Prinzessin Louisa-Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel aufgeführt wurde, ein von Graun vertonter galanter Prolog des Hofdichters Giovanni Gualberto Bottarelli vorangestellt. Zweieinhalb Jahre später gab die in Berlin gefeierte Hochzeit der Prinzessin Luise Ulrike mit dem schwedischen Kronprinzen Adolf Friedrich die Veranlassung, die Festaufführung von Grauns Catone in Utica am 18. Juli 1744 mit einem Prolog einzuleiten. Den Text dazu lieferte vermutlich der Hofdichter Leopoldo de Villati, die Musik stammte wiederum von Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de <4> Obwohl formal der zeremonielle Charakter der Opernaufführungen bestehen blieb, rückte das ästhetische Erlebnis in den Vordergrund, dessen Qualität wesentlich an die Teilhabe am "guten Geschmack" gebunden war, der als Ausweis von Bildung und Kultur verstanden wurde. Als Inbegriff des "guten Geschmacks" galt in Berlin der neue, melodiebetonte, auf der Verlangsamung des harmonischen Rhythmus und kleingliedriger Formung beruhende, expressive Stil, der ab ca. 1730 das kontrapunktische Komponieren ablöste. Bezeichnend dafür ist die Bewunderung des Königs für Johann Adolf Hasse, seit 1733 Oberkapellmeister in Dresden, und Carl Heinrich Graun, den der Kronprinz Friedrich 1735 in seinen Dienst genommen hatte und der 1740 die Stelle des Hofkapellmeisters in Berlin erhielt. Johann Sebastian Bach, der im Mai 1747 zum König nach Potsdam gebeten wurde und vor ihm Fugen improvisierte, wurde dagegen wie ein Dinosaurier bestaunt, da er die als veraltet angesehene Kunst des Kontrapunkts wie kein anderer beherrschte. Mit dieser Positionierung befand sich der König ganz im Rahmen des allgemeinen Geschmackswandels. Eigene Akzente setzte er in der großen Oper in Bezug auf die Stoffe und die Dramaturgie, welche in ihrer Gesamtheit zu einer lokalen Profilierung des Dramma per musica führten. 8 Eine solche Profilierung war vor dem Hintergrund der Konkurrenz der Höfe und dem sich 1740 schlagartig artikulierenden politischen Selbstbewusstsein Preußens geradezu selbstverständlich. Im Zusammenhang damit steht allerdings auch ein neues Verständnis vom gesellschaftlichen Ort der Oper. Im Folgenden sollen dieses Verständnis sowie die Profilierung kurz beschrieben und das Verhältnis von Repräsentation und Imagepolitik in den Blick genommen werden. Staatsoper – Hofoper <5> Da Berlin kein Opernhaus hatte, bot sich dem Thronfolger 1740 die Chance, beim Bau etwas Eigenständiges jenseits der Konventionen zu entwickeln. Dies geschah, indem das Opernhaus einerseits als Kunsttempel und anderseits als freistehender Teil eines monumentalen öffentlichen Graun. Danach entstand erst wieder 1776 ein Prolog. Er wurde im Zusammenhang mit Grauns Oper Angelica e Medoro am 24. Juli gegeben, die anlässlich des Besuchs des russischen Großfürsten Paul aufgeführt wurde. Der Prolog Der Schutzgeist Preußens – Der Schutzgeist Russlands wurde von Antonio Landi gedichtet und vom neuen Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt komponiert. Der Rückgriff auf die altertümliche Form des Opernprologs hing in allen drei Fällen mit dem besonders zeremoniellen Charakter der Festaufführungen zusammen. 8 Vgl. Susanne Oschmann: Gedankenspiele. Der Opernheld Friedrichs II., in: Klaus Hortschansky (Hg.): Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert. Aspekte der Librettoforschung (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 1), Hamburg / Eisenach 1991, 175-193; Christoph Henzel: Zu den Aufführungen der großen Oper Friedrichs II. von Preußen 1740-1756, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1997, 9-57; Michele Calella: Metastasios Dramenkonzeption und die Ästhetik der friderizianischen Oper, in: Laurenz Lütteken / Gerhard Splitt (Hg.): Metastasio im Deutschland der Aufklärung, (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 28), Tübingen 2002, 103-123; Claudia Terne: Friedrich II. von Preußen und die Hofoper, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große und der Hof. Beiträge des zweiten Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom 10./11. Oktober 2008, (= Friedrich300 - Colloquien 2), http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-hof/Terne_Hofoper <05.02.2014>; Franziska Windt: Friedrichs Bühne, in: Friederisiko. Friedrich der Große – die Ausstellung, München 2012, 344-361. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de Residenzplatzes, des sog. Forum Fridericianum, konzipiert wurde. 9 Zwar war dafür auch ein neuer "Pallais du Roy" vorgesehen; allerdings befand er sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der Oper. Damit war die traditionelle Anbindung des Opernhauses an die Schlossanlage, d.h. an den höfischen Lebensraum, gelöst.10 Die Oper wurde in einen öffentlichen Raum gestellt; sie war dadurch mehr Staatsoper als Hofoper. Dass Einheimische und Fremde freien Eintritt bei allen Aufführungen und Bällen hatten, entsprach völlig diesem Konzept. Die Lockerung der architektonischen Verbindung zum Hof verstärkte sich noch dadurch, dass nach der Fertigstellung des Opernhauses die Arbeiten am Forum-Projekt eingestellt wurden. Bei der schrittweisen weiteren Realisierung kam es zu erheblichen Modifizierungen der Ausgangsidee. So ließ Friedrich II. unter anderem anstelle des groß dimensionierten Königspalastes ein deutlich verkleinertes Prinzenpalais für seinen Bruder Heinrich bauen. Das weiter entfernt liegende (ungeliebte) Stadtschloss blieb seine Residenz, die er aber nur für wenige Wochen im Jahr bezog. <6> Trotz der Konzeption als Staatsoper war das 1744 fertig gestellte Gebäude doch auch das Opernhaus des Königs. Der Stifter wurde in der Widmungsinschrift namentlich genannt. Und bei den Aufführungen war es ein Ort der Repräsentation. So wurde der Eintritt der verwitweten Königin von Militärmusikern zeremoniell gestaltet, woran sich unmittelbar die Opernouvertüre anschloss. 11 Friedrich II. nahm seinen Platz nicht in der Königsloge ein, wo der weibliche Teil der Familie versammelt war, sondern er saß zusammen mit den Prinzen und weiteren Offizieren im Parkett. 12 Dies war zwar eine demonstrative Distanzierung vom weiblichen Teil der Familie, bedeutete aber keine Abwertung, da ihm wichtige repräsentative Funktionen überlassen blieben. 13 Vielmehr demonstrierte der König auf diese Weise, wer die Stützen des Staats seien: die Dynastie und das Militär mit ihm als Oberbefehlshaber. Dass er seinen Platz direkt hinter dem dirigierenden Kapellmeister hatte, wurde als Ausdruck der 9 Vgl. Martin Engel: Das Forum Fridericianum und die monumentalen Residenzplätze des 18. Jahrhunderts, Diss. Phil. FU Berlin 2001, http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000001297 <05.02.2014>. 10 Vgl. Terne: Friedrich II. von Preußen und die Hofoper (wie Anm. 8), <4>. 11 Vgl. Johann Friedrich Borchmann: Briefe zur Erinnerung an merkwürdige Zeiten, und rühmliche Personen, aus dem wichtigen Zeitlaufe, von 1740, bis 1778, Berlin 1778, 186, zitiert nach Christoph Henzel: Quellentexte zur Berliner Musikgeschichte im 18. Jahrhundert (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft 135), Wilhelmshaven 1999, 21: "Bald hierauf erschien der Hof in den königlichen Logen. Ein lebhaftes Geräusche erhob sich unter den Zuschauern. Die auf dem Parterre stehenden Gardes du Corps rückten ihre Gewehre. Der König kam. […] Er stellete sich, auf dem Parterre, gerade vor die beiyden Grauns; und sahe, durch ein Fernglas, um sich. Unterdessen wurde die ankommende Mutter des Königes, durch zwey abwechselnde Chöre von Pauken, und Trompeten, empfangen. Kaum schwieg der letzte Ton derselben, als das Graunsche Chor – alle mit einem Striche zugleich – anfieng […]." Abweichend davon überliefert Louis Schneider einen anonymen Bericht, demzufolge der Tusch beim Eintritt des Königs erklang; vgl. Louis Schneider: Geschichte der Oper und des Königlichen Opernhauses, Berlin 1852, 87. 12 Vgl. Terne: Friedrich II. von Preußen und die Hofoper (wie Anm. 8), <7>. 13 Vgl. Alfred P. Hagemann: Der König, die Königin und der preußische Hof. Schlaglichter auf eine schwierige Beziehung im Spiegel der Berichterstattung der 'Königlich Privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen' 1740-1786, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große und der Hof. Beiträge des zweiten Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom 10./11. Oktober 2008 (= Friedrich300 - Colloquien 2), http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-hof/Hagemann_Zeitung <05.02.2014>. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de überwachenden Rolle des königlichen Mäzens interpretiert. Als Kronzeuge kann hier der Engländer Charles Burney gelten, der im Verlauf seiner Forschungsreisen auf dem Kontinent im Vorfeld der Abfassung seiner General History of Music 1771 Berlin und Potsdam besuchte. Burney, der freilich persönlich keine Opernaufführung besuchte, schrieb dazu: "Der König steht fast beständig hinter dem Kapellmeister, welcher die Partitur vor sich hat; er sieht fleißig hinein und ist wirklich ein ebenso guter Generaldirektor hier als Generalissimus im Felde."14 <7> Hauptspielzeit der Oper war wie auch andernorts der Karneval. Festaufführungen am Geburtstag (in katholischen Ländern auch am Namenstag) des Herrschers waren in Preußen – im Unterschied etwa zu Sachsen –nicht üblich, obwohl sie durch die natürliche Verbindung mit dem Karneval (der Geburtstag fiel auf den 24. Januar) problemlos möglich gewesen wären. Stattdessen ließ Friedrich II. zuerst 1744 und dann regelmäßig ab 1746 den Geburtstag seiner Mutter, der verwitweten Königin Sophia Dorothea, am 27. März mit einer Opernaufführung feiern. Von 1746 an stand stets eine Uraufführung auf dem Programm.15 Wurden zunächst Feste theatrale, repräsentative Gelegenheitswerke mit galanter Thematik, gegeben, so gelangten ab 1749 große Opern mit wunderbaren Stoffen zur Aufführung. Im Vergleich dazu wiesen die neuen Karnevalsopern in dieser Zeit einen historisch-politischen Charakter auf; ihre Stoffe waren vorzugsweise der römischen Geschichte entnommen.16 In dieser Hinsicht kann man durchaus einen 'weiblichen' von einem 'männlichen' Geschmack unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen allerdings die Rezeption der französischen Dramatik. Friderizianischer Operntypus <8> Die Berliner Hofoper schloss sich zunächst dem herrschenden Geschmack in der italienischen Operndramatik an: Ab 1743 dominierten Dramen des kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio im Spielplan (La Clemenza di Tito, Artaserse, Catone in Utica, Alessandro e Poro, Adriano in Siria und Demofoonte); auch zwei Libretti von Apostolo Zeno fanden Verwendung (Lucio Papirio und Caio Fabricio). Ab 1747 bestimmten jedoch Adaptionen französischer Opernlibretti von Joseph-François Duché der Vancy, Antoine Houdar de Lamotte, Philippe Quinault und Michel di Boullay sowie Bearbeitungen französischer Tragödien von Jean Racine und Pierre Corneille, später auch von Voltaire das Bild. Von Metastasio wurden bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 nur noch drei Stücke aufgenommen (Didone abbandonata, Cleofide und Ezio). Damit einher ging aber nur partiell und mit wechselnder Akzentuierung die Übernahme von Merkmalen der Tragédie en musique.17 Bezeichnend ist, dass kaum einmal das Ballett in die Handlung integriert wurde; es trat wie 14 Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise, Hamburg 1772, Reprint, hg. v. Eberhard Klemm (Taschenbücher zur Musikwissenschaft 65), Wilhelmshaven 1985, 379. 15 1744 war Rodelinda (UA 1741) wiederaufgenommen worden. 16 Vgl. Calella: Metastasios Dramenkonzeption (wie Anm. 8), 111f. 17 Darin unterscheidet sich die preußische Hofoper von der bayerischen, welche nach 1717 sehr viel deutlicher Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de bisher fast ausschließlich in den Zwischenakten und nach dem Schluss der Oper auf. <9> In Abgrenzung vom Dramma per musica jedoch konzentrieren sich die Dramen der Berliner Hofoper auf einen Hauptstrang in der Handlung (anstelle des üblichen Geflechts von Haupt- und Nebenhandlungen). Zur prägnanteren szenisch-musikalischen Vergegenwärtigung des Geschehens werden Chöre, Chor-Solo-Nummern und Ensembles in größerer Anzahl verwendet; sie modifizieren die stereotype Abfolge von Rezitativen und Arien. Generell schrumpft der Rezitativanteil, außerdem fallen die Arien durch ihre Integration in den dialogischen Zusammenhang zunehmend kürzer aus; ab 1754 tritt die übliche Dacapoform gegenüber kleineren zwei- und dreiteiligen Formen in den Hintergrund. Auffällig schließlich im Rahmen der Gattungskonventionen des Dramma per musica ist die Häufigkeit des tragico fine in der Friderizianischen Oper, was die modifizierte Sicht auf die zentrale Forderung der Wahrscheinlichkeit der dramatischen Handlung bestätigt. Unverändert dagegen blieb die Reflexion von Herrschertugenden innerhalb der Opern, was sich zum Beispiel in der Herausstellung politischer Sentenzen in Arien oder Ensembles zeigt. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Oper nicht nur ein die Sinne ansprechendes Spektakel sei, sondern dass sie auch die Vernunft ansprechen und somit zur Verbesserung der Sitten beitragen könne. Dies war das Fundament für das Konzept der 'Staatsoper' und gleichzeitig die Rechtfertigung für die hohen finanziellen Aufwendungen. Der "Impresario" <10> Friedrich II. verzichtete auf die Verherrlichung der eigenen Person in den Opern, nicht aber im Opernhaus und durch das Opernhaus. Gleichzeitig kontrollierte er den künstlerischen Betrieb, indem er persönlich die Lenkung übernahm. Es gab zwar wechselnde Directeurs des Spectacles, ihr Einfluss war aber gering. Die Engagements der Musiker, die Höhe ihrer Besoldung, die Gewährung von Zulagen, die Höhe der Ausgaben für die Produktionen, die Wahl der Stoffe und Libretti – alles wurde vom König entschieden. Bis zu seinem Tod 1758 übernahm der Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorff, ein Vertrauter Friedrichs II. die Vermittlung seiner Wünsche an die Mitglieder der Hofkapelle. In einem Brief an ihn bezeichnete sich Friedrich II. selbst einmal ironisch als "Impresario" 18 der Oper. Kaum zufällig geschah dies in einer Situation, als es um die Frage der finanziellen Aufwendungen ging. Doch ist der Begriff irreführend, weil die Ökonomie der preußischen Hofoper mit dem Rentabilitätsdruck eines gepachteten Theaters nichts zu tun hatte. Vielmehr spielte der König auf Elemente der französischen Tragédie in die italienische Oper adaptierte, und zwar vorzugsweise bei den repräsentativen Festopern; vgl. Reinhard Strohm: Die klassizistische Vision der Antike. Zur Münchner Hofoper unter den Kurfürsten Maximilian II. Emanuel und Karl Albrecht, in: Archiv für Musikwissenschaft 64 (2007), 1-22 u. 77-104; Sebastian Biesold: Italien versus Frankreich? Musikdramatische Werke bei den bayerischen Wittelsbachern um 1700, in: Händel-Jahrbuch 2012, 349-364. 18 Vgl. das Schreiben v. 30.4.1754, in: Johannes Richter (Hg.): Die Briefe Friedrichs des Großen an seinen vormaligen Kammerdiener Fredersdorff, Berlin 1926, 289: "aber nicht einen groschen mehr! Wohr würde das hingehen! Zuletzt müste der Impresario banquerote Machen!" Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de seine Leitungsfunktion an, die in Parallele zu seinem Anspruch auf Selbstherrschaft im Staat und in der Armee gesehen werden kann. <11> Freilich galten hier andere Maßstäbe: Grundlage seines Leitungsanspruchs war weder der finanzielle Einsatz noch die künstlerische Professionalität, die er trotz des beachtlichen Niveaus seines Flötenspiels und gewisser kompositorischer Fähigkeiten nicht für sich beanspruchte 19, sondern das Urteilsvermögen des gebildeten underfahrenen Kenners. Seine Kompositionen für die Flöte waren nur für den eigenen Gebrauch bestimmt. Die Opernarien waren entweder für Unterrichtszwecke oder für Konzerte im kleinen Kreis gedacht, nur ausnahmsweise für szenische Gelegenheitswerke vor exklusivem Publikum.20 Das Dramma per musica war die Domäne der professionellen Komponisten. Eigene Beiträge lieferte Friedrich II. hier in Gestalt von Libretti, dem einzigen Bestandteil der Oper, der gedruckt wurde und ihren Werkcharakter begründete. Gesichert ist die Autorschaft in vier Fällen (Coriolano, 1749, Silla, 1753, Il tempio d'amore, 1755 und Montezuma, 1755); außerdem war er an der Einrichtung von Racines La Thébaïde und von Voltaires Mérope zumindest beteiligt. Allerdings verfasste der König die Texte in französischer Sprache; italienisch versifiziert wurden sie vom Hofpoeten. Die Librettodrucke verschweigen die Autorschaft; wahrscheinlich war sie aber ein offenes Geheimnis beim Publikum. So vermerkte der Kammerherr der Königin Ernst Heinrich von Lehndorff in seinem Tagebuch anlässlich der Uraufführung von Grauns I fratelli nemici 1756, dass es sich um eine Bearbeitung des Königs nach Racine handle.21 <12> Für die künstlerische Umsetzung seiner Pläne baute der königliche "Impresario" eine Hofmusik von Rang auf: Er engagierte im internationalen Vergleich erstklassige italienische Sängerinnen und Sänger und stellte eine 16köpfige Tanztruppe mit hochkarätigen französischen Ballettmeistern zusammen. 22 Nach Dresdener Vorbild erweitert er die kronprinzliche Kapelle; sie wurde vom Konzertmeister Johann Gottlieb Graun angeführt und bot etlichen Musikern mit gutem Renommee Platz, welche sich in Berlin als Solisten, Komponisten und Pädagogen entfalten konnten. Hierzu zählten unter anderen die Brüder Graun, Johann Joachim Quantz, Franz Benda und Carl Philipp Emanuel Bach. Beträchtliche Mittel 19 Da Friedrich II. Algarotti gegenüber seine eigenen Gedichte mit den Kompositionen der Dilettanten verglich, dürfte er ähnlich über seine musikalischen Werke gedacht haben; vgl. den Brief an Algarotti aus dem Sommer 1753, in: Wieland Giebel (Hg.): Francesco Algarotti, Briefwechsel mit Friedrich II., Berlin 2008, 112. 20 Während die Arie Sulle più belle piante in die in Charlottenburg am 3. und 21. August 1747 gespielte 'Serenata' (auch Il rè pastore betitelt) eingefügt wurde, in der auch Christoph Nichelmann, Georg Benda und Johann Adolf Hasse mit Kompositionen vertreten waren, entstand die Arie M'affanna il cenno als Einlage für die von Graun komponierte Pastorale Il giudizio di Paride, welche ebenfalls in Charlottenburg anlässlich der Hochzeit des Prinzen Heinrich mit der Prinzessin Wilhelmina von Hessen-Kassel am 26. Juni 1752 aufgeführt wurde. 21 Vgl. Wieland Giebel (Hg.): Die Tagebücher des Grafen Lehndorff. Die geheimen Aufzeichnungen des Kammerherrn der Königin Elisabeth Christine, Berlin 2012, 265: "Man führt zum ersten Mal die Oper 'Feindliche Brüder' auf. Die Übersetzung des Originals ist vom König bearbeitet worden, der Stoff Racines Tragödie entnommen." 22 Vgl. zum Ballett auch Rainer Theobald: Noverres Anfänge in Berlin. Zur Geschichte des Balletts an der Hofoper Friedrichs des Großen, in: Tanzwissenschaft 4, http://www.sk-kultur.de/tanz/tanz0497.htm <05.02.2014>. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de wurden für die Dekorationen und Garderoben aufgewendet. Giuseppe Galli Bibiena, der 1753 aus Dresden abgeworbene Dekorateur, erhielt mit 2400 Talern Jahresgehalt mehr als der Hofkapellmeister. In Bezug auf die repräsentative Wirkung der Opern ist die Schauseite der Aufführungen nicht zu unterschätzen. Lehndorff etwa, der über keine tiefere musikalische Bildung verfügte, hat alle Opern, teilweise auch mehrfach, gesehen. In seinem Tagebuch findet man aber keine einzige Bemerkung zur Musik oder wenigstens zum Gesang, sondern ausschließlich knapp formulierte Eindrücke vom Bühnenbild und von den Tänzen. <13> Die bedeutenden, im Gesamt des Hofstaatsetats letztlich aber doch bescheidenen Ausgaben erreichten am Anfang der 1750er Jahre ihren Höhepunkt. 23 Ab 1754 bemühte sich der König um die Reduktion der Ausgaben.24 Und nach dem Siebenjährigen Krieg verstärkte sich die Sparsamkeit noch.25 Ablesbar ist dies etwa an den Ausgaben für die Sängerinnen und Sänger für die ersten Rollen: Hatten die bedeutendsten unter ihnen wie Giovanna Astrua sowie die Kastraten Felice Salimbeni und Giovanni Carestini vormals weit über 4000 Taler erhalten, so verdienten ihre Nachfolger deutlich weniger; der Kastrat Carlo Concialini, 1765 engagiert, erhielt 3600 Taler, die Primadonna Elisabeth Schmeling, die 1771 in die Hofkapelle aufgenommen wurde, 3000 Taler. Nach ihrem Abgang 1780 ging der König dazu über, die Primadonnen nur noch für die Karnevalssaison (wo sie unverzichtbar waren) für 1000 Taler unter Vertrag zu nehmen. Namhafte Sängerinnen aus Italien waren so kaum noch in Berlin zu hören.26 <14> Überhaupt wurde die große Oper zu einem seltener gebrauchten Instrument der Repräsentation: Zum einen gab es im Karneval nur noch zehn Aufführungen, nachdem am Beginn der Regierungszeit Friedrichs II. bis zu 18, unmittelbar vor dem Krieg immerhin noch 12 Vorstellungen gegeben worden waren. Zum anderen fanden in den letzten 10 Jahren der Regierung Friedrichs II. keine Aufführungen mehr außerhalb des Karnevals statt. Auf diese Weise sparte der König an den Produktionskosten. Offensichtlich traten das persönliche Vergnügen an den Aufführungen, die der König in den letzten Jahren seiner Regierungszeit mied, und das Repräsentationskalkül in den 1770er Jahren allmählich 23 Vgl. Henzel: Zu den Aufführungen (wie Anm. 8), 17-22. 24 Vgl. Christoph Henzel: 'Montezuma' und das Produktionssystem der Berliner Hofoper, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2013 (im Druck). 25 Vgl. Christoph Henzel: Johann Friedrich Agricola und die friderizianische Oper nach dem Siebenjährigen Krieg, in: Jahrbuch (wie Anm. 24). Bei aller Vorsicht in Bezug auf den vielbehaupteten "Verfall" kann man gleichwohl kaum belegen, dass der Opernbetrieb "wieder auf das glanzvolle Niveau der frühen 1750er Jahre" angehoben wurde und dass sich Friedrich II. "bis in die 1780er Jahre hinein beständig mit den neuesten Entwicklungen des europäischen Musikbetriebes auseinander[setzte]"; vgl. Thomas Biskup: Höfisches Retablissement. Der Hof Friedrichs des Großen nach dem Siebenjährigen Krieg, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große - eine perspektivische Bestandsaufnahme. Beiträge des ersten Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom 28./29. September 2007 (= Friedrich300 - Colloquien 1),http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrichbestandsaufnahme/biskup_retablissement <05.02.2014>, <22>. 26 Einen Ausnahmefall stellt Luigia Todi dar, die im Karneval 1783/84 in Berlin engagiert war. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de auseinander. Die Leidenschaft für den guten (Kastraten-)Gesang blieb ihm zwar erhalten, doch konnte er sie auch im Rahmen der Konzerte auf den Schlössern ausleben. Immerhin hielt sich ab 1774 der Kastrat Giovanni Coli fast durchweg in Potsdam auf. 27 In Anbetracht der zunehmenden Sparsamkeit bei der Hofoper fragt man sich, warum er nicht gänzlich auf die italienische Oper verzichtete. Immerhin gab es in den 1780er Jahren im deutschen Raum nur noch in Kassel und München vollsubventionierte italienische Hofopern. Die Höfe in Dresden, Braunschweig und Stuttgart etwa hatten ihre Hofopern bereits aufgegeben. <15> Dass Friedrich II. diesen Schritt nicht ging, war wahrscheinlich im Verständnis der Oper als Staatsoper begründet. Sie sollte letztlich nicht abhängig von den Launen des Regenten, sondern unabhängig davon der Demonstration und Verbreitung des guten Geschmacks verpflichtet sein. Und genau hier sah sich der König in der Pflicht. Nach dem Tod des Hofkomponisten Johann Friedrich Agricola 1774, der als Nachfolger des 1759 verstorbenen Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun nach dem Siebenjährigen Krieg noch Beiträge zum friderizianischen Operntypus geliefert hatte, verzichtete Friedrich II. auf die Aufführung von Neukompositionen. Der neue Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt erhielt ein stark reduziertes Gehalt (1200 statt 2000 Taler), weil er nur für die Leitung der Hofkapelle, nicht aber für das Komponieren zuständig war. Stattdessen wurden ältere Opern von Graun und Hasse zur Aufführung gebracht – als Exemplare eines klassischen musikdramatischen Stils. Man geht fehl, wenn man dies als starrsinniges Festhalten des alternden Königs an einem veralteten Musikgeschmack sieht. Denn zum einen war der Stil Grauns und Hasses in Nord- und Mitteldeutschland noch keineswegs veraltet. Zum anderen war der moderne italienische Stil in Gestalt der Opera buffa am Hof in Potsdam durchaus präsent; ihre Aufführungen dienten dort auch repräsentativen Zwecken.28 Doch unterschied sich davon deutlich die musikalische Tragödie, deren Stilhöhe Friedrich II. in der Musik Grauns und Hasses verwirklicht sah. Sie blieb in ihrer Blüte – nach der Meinung des Königs inmitten einer degenerierten Gegenwart – als Erinnerung (und Mahnung) im Berliner Opernhaus bestehen. So schrieb er am 8. Januar 1777 an Maria Antonia Walpurgis von Sachsen anlässlich der Wiederaufnahme von Hasses Cleofide 46 Jahre (!) nach ihrer Erstaufführung in Dresden: "Le public s'amuse ici avec l'opéra de Cléofide, de Hasse, qu'on a remis sur le théâtre. Les bonnes choses restent toujours telles, et, quoiqu'on les ait entendues autrefois, on aime encore à les rentendre; d'ailleurs, la nouvelle musique est dégénérée en un charivari qui blesse les oreilles au lieu de les flatter, et le chant noble n'est plus connu des contemporains. Pour le retrouver, il faut recourir à Vinci, Hasse et Graun."29 27 Vgl. Christoph Henzel: Die Schatulle Friedrichs II. von Preußen und die Hofmusik (Teil 2), in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2000, 175-209, hier 207. 28 Vgl. Sabine Henze-Döhring: Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München 2012, 125-144. 29 Johann D. E. Preuss (Hg.): Correspondance de Frédéric II roi de Prusse Bd. 9 (= Œuvre de Frédéric le Grand 24), Berlin 1854, 324. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de Der kommunikative Kontext <16> Wen wollte Friedrich II. mit der Oper ansprechen? Parallel zum höfischen Zeremoniell lassen sich mit Julius Bernhard von Rohr die Mitregenten, der Hof bzw. die Familie sowie die Untertanen als Adressaten benennen.30 In diesem Licht zeigt sich erstens die außenpolitische Funktionalisierung: Die friderizianische Oper war ein Mittel der Demonstration von Reichtum und Exklusivität in Preußen, darüber hinaus auch der dynastischen Grenzziehung.31 Friedrich II. distanzierte sich mit dem von ihm inspirierten Operntypus von den Habsburgern und den mit ihnen verbundenen Wettinern, die bis zur Auflösung ihrer Hofoper 1763 den metastasianischen Operntypus favorisierten. Die Oper war ein Mittel, den von ihm gesetzten Dualismus im Reich zum Ausdruck zu bringen. Kaum zufällig wurden Berliner Opern nur bei den politisch mit Preußen verbundenen Höfen in Braunschweig und Stuttgart aufgeführt. In Schwerin und Darmstadt, die keine italienische Hofoper unterhielten, spielten Auszüge aus den Opern in den Hofkonzerten nachweislich eine Rolle. 32 Bekannt ist auch die breite Übereinstimmung im ästhetisch-dramaturgischen Konzept der Oper mit seiner Schwester Wilhelmine in Bayreuth.33 Allerdings bedeutete dies nicht, dass die Opern des kaiserlichen Hofpoeten dem Verdikt verfallen wären. Immerhin wurden drei seiner Werke in Berlin in den 1750er Jahren aufgeführt. 34 Inwieweit sich die Abgrenzung von den Habsburgern und ihren Verbündeten in Dresden über das dramaturgische Profil der Oper hinaus auf der Ebene der Stoffe und Handlungen niederschlug, ist noch nicht systematisch untersucht worden. Handelt es sich bei Montezuma (1755), die mit ihren "Raketen wider die Barbarei der kath. Religion" 35 eine Spitze gegen Kaiserin Maria Theresia enthielt, um einen einmaligen Fall? Unbekannt ist auch, wie die Berliner Inszenierungen in Dresden und Wien aufgenommen wurden.36 30 Vgl. Andreas Gestrich: Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 103), Göttingen 1994, 157. 31 Vgl. Sabine Henze-Döhring: Kunst als Medium dynastischer Grenzziehung: Italienische Opern an deutschen Residenzen, in: Katrin Eberl / Wolfgang Ruf (Hg.): Musikkonzepte – Konzepte der Musikwissenschaft. Bericht über den Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung in Halle (Saale) 1998 Bd. 1, Kassel 2000, 161-171, hier 166ff. 32 Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 143-165. 33 Vgl. Sabine Henze-Döhring: Konzeption einer höfischen Musikkultur, in: Peter Niedermüller / Reinhard Wiesend (Hg.): Musik und Theater am Hof der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (= Schriften zur Musikwissenschaft 7), Mainz 2002, 97-118. 34 1752 Didone abbandonata, komponiert von Johann Adolf Hasse (UA 1742 in Dresden), 1754 Cleofide (nach Alessandro nell'Indie), vertont von Johann Friedrich Agricola, sowie 1755 Ezio, komponiert von Carl Heinrich Graun. 35 So Friedrich II. im Oktober 1753 an Francesco Algarotti, zitiert nach Henze-Döhring: Friedrich der Große (wie Anm. 27), 85. 36 Die privaten Briefe des österreichischen Botschafters Gottfried van Swietens an den Staatskanzler Fürst Wenzel von Kaunitz-Rietberg aus den 1770er Jahren verraten eine klare ablehnende Haltung gegenüber der preußischen Hofoper, deren Produktionen er offensichtlich als veraltet und künstlerisch mittelmäßig einschätzte; vgl. Gudrun Busch, Der österreichische Botschafter Gottfried van Swieten, das Berliner Musikleben 1771-1777 und die Musik C. P. E. Bachs, in: Hans-Günter Ottenberg (Hg.): Carl Philipp Emanuel Bach. Musik für Europa (= Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Konzepte, Sonderband 2), Frankfurt an der Oder 1998, 108-162, hier 116f. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de <17> Neben der außenpolitischen lässt sich (zweitens) auch die innenpolitische Bedeutung der Hofoper näher beschreiben. Die Oper war ein Mittel der Integration des weitgehend ohne Zentrum bestehenden Hofs37, zu dem neben den Geschwistern des Königs auch die brandenburgischen Markgrafen gehörten, die über eigene Hofhaltungen und Kapellen verfügten. Über den ablenkendunterhaltenden Zweck hinterließ der repräsentative Anspruch der Aufführungen bei ihnen seine Spuren. Sie schlossen sich mehrheitlich dem Geschmack des Königs an, was man vor allem an den Musiksammlungen der Schwester Anna Amalia, des jungen Neffen Friedrich Wilhelm und des Markgrafen Friedrich Heinrich in Schwedt ablesen kann. 38 Allerdings setzten sie dabei teilweise eigene Akzente: So interessierten sich die Königinnen und die Prinzessin Anna Amalia für die geistliche Musik. Letztere gab den Anstoß zur Dichtung und Komposition der Passionskantate Der Tod Jesu durch Carl Wilhelm Ramler und Carl Heinrich Graun, welche nach der Uraufführung in der Berliner Domkirche 1755, bei der die Hofkapelle die vom Hofmusiker Friedrich Wilhelm Riedt geleitete Musikübende Gesellschaft unterstützte, und dem Partiturdruck 1760 bei Breitkopf in Leipzig im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zur meistgespielten Passionsmusik in Deutschland wurde. Nur der Prinz Heinrich grenzte sich nach dem Siebenjährigen Krieg von seinem Bruder ab, indem er in seiner Residenz Schloss Rheinsberg französische Opern aufführen ließ. Dies hatte weniger mit seinem persönlichen Musikgeschmack zu tun als mit dem Wunsch, symbolisch seiner Verärgerung darüber Ausdruck zu verleihen, dass er vom König politisch und militärisch zurückgesetzt wurde. 39 <18> Schließlich ist (drittens) vom Eindruck der Opernaufführungen auf das nicht zum Hof gehörende adlige und bürgerliche Publikum, auf Fremde und Einheimische, auf Gesandte und Durchreisende zu sprechen. Ihnen allen stand das Opernhaus – wenigstens theoretisch – unentgeltlich offen stand. Die Teilhabe an den Aufführungen war auch über die Handlungsbeschreibungen in der Presse gewährleistet. (Aufführungsberichte, geschweige denn -kritiken wurden nie publiziert.) Gedruckte italienisch-deutsche Textbücher konnten vor den Vorstellungen käuflich erworben werden, ebenso handschriftliche Partituren und Klavierauszüge, auch einzelner Nummern, welche von professionellen Kopisten vertrieben wurden. Die Berliner Opernmusik bildete zusammen mit der Instrumentalmusik der Berliner Hofmusiker den Grundstock diverser bürgerlicher Musiksammlungen (darunter auch Konzertveranstalter).40 Ihre Besitzer demonstrierten dadurch ihre Teilhabe am sozialen und politischen Fortschritt der friderizianischen Aufklärung. 37 Vgl. Biskup: Höfisches Retablissement (wie Anm.24), <10> - <12>. 38 Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 124-131 u. 186-198. 39 Vgl. Karoline Zielosko: Eine Frage der Ehre. Militär und höfische Repräsentation unter Friedrich dem Großen und Prinz Heinrich, http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-studien/zielosko_ehre <05.02.2014>. 40 Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 217-304. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de <19> In einem Zeitalter der – gerade in Berlin – anwachsenden Musikpublizistik und –kritik sowie der Ausbreitung des Musizierens in Adel und Bürgertum gewann besondere Bedeutung als Adressat der sog. Kenner, genauer: der in der Reflexion versierte Musiker (nicht unbedingt der professionelle Musiker), außerdem der Gebildete, der die ästhetischen Debatten zumindest zur Kenntnis nahm, zum Beispiel den andauernden Streit um die Vorzüge der französischen und italienischen Musik. Er ist in Rohrs Systematik nicht erfasst. Aus diesen Kreisen sind diverse Zeugnisse emphatischen Lobs für die musikalische bzw. geschmackliche Kompetenz des Königs überliefert. Dies ist kaum verwunderlich, weil sie zusammen mit den Musikern am meisten von der sozialen Aufwertung der Musik bzw. des Musizierens profitierten. Doch erntete Friedrich bereits als Kronprinz Lobeshymnen. Johann Adolf Scheibe etwa hob im unmittelbaren Zusammenhang mit der berühmten, 1737 in Hamburg publizierten Kritik am "schwülstigen" Bach Carl Heinrich Graun, der zwei Jahre zuvor nach Ruppin gezogen war, als Gegenbeispiel heraus und resümierte wie folgt: "[…] wir wissen, daß er ein Mann ist, welcher unserem Vaterlande Ehre machet, und der durch seine Gründlichkeit alle Italiener übertrifft. Ein erhabener Friederich würdiget ihn seiner Gnade, und belohnet seine Verdienste. Dies ist zu seinem Lobe genug. Wer von einem so großen und weisen Prinzen geliebet wird, muß gewiß eine wahre Geschicklichkeit besitzen."41 Dient der Kronprinz hier als Projektionsfläche für einen kulturpolitischen Traum, nämlich die Stärkung der Nationalkultur auf der Grundlage des neuen Geschmacks in der Musik, so wurde der König später zum Förderer des neuen Geschmacks erklärt. Friedrich Wilhelm Marpurg, Komponist, Theoretiker und Musikschriftsteller in Berlin, stellte 1756 fest: "Die preißwürdige Sorgfalt, welche Seine izt regierende Königliche Majestät in Preussen, seit dem Antritt Dero glorreichen Regierung, zum Wachsthum und Aufnahme der Wissenschaften und Künste, in Dero sämtlichen Staaten überhaupt anzuwenden geruhet haben, hat sich insbesondere auch, auf die Wiederherstellung der daselbst vorhero fast gänzlich in Verfall gerathenen Tonkunst erstrecket."42 Auf diese Weise wurde Friedrichs II. positiv vom Soldatenkönig abgehoben. Und die Tatsachen sprachen hier für sich: der Bau des Opernhauses, die Engagements berühmter Tänzer und Sänger, die Errichtung der Hofkapelle, deren Einfluss auf die städtische Musikkultur nicht zu überschätzen ist. Vermutlich war überhaupt keine aktive Imagepolitik notwendig, um solche Urteile ins Leben zu rufen. Die Glorifzierung ist auch außerhalb Preußens zu beobachten. So erklärte Christian Friedrich Daniel Schubart den König zum Begründer der sog. Berliner Schule, weil er bis in die Einfälle hinein ihre Musik bestimmte: 41 Johann Adolf Scheibe: Critischer Musikus, neue, vermehrte und verbesserte Auflage, Leipzig 1745 (Reprint Hildesheim u. Wiesbaden 1970), 63. 42 F. W. Marpurg: Entwurf einer ausführlichen Nachricht von der Musikübenden Gesellschaft zu Berlin, in: Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik Bd. 1, Berlin 1754 (Reprint Hildesheim/New York 1970), 385-413, hier 385. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de "Er selber spielte die Flöte als Meister, accompagnirte vortrefflich mit den Flügel, und verstand den Satz [= die Komposition, C.H.] meisterhaft. Zu vielen der Graunischen Arien hat er die Motiven angegeben. Mit einem Wort: Friedrich der Grosse ist auch der Schöpfer einer der ersten musikalischen Schulen, so wie er der Schöpfer einer der berühmtesten politischen und tactischen Schulen der Welt ist."43 Schubarts Auslassung ist erstaunlich, weil er Friedrich II. nie gehört hat. Und gewiss hat er auch keine Komposition von ihm gesehen, da sie unpubliziert blieben. Zu Lebzeiten Friedrichs II. erschien nur ein einziger Bericht eines Ohrenzeugen über das Flötenspiel des – übrigens knapp 60jährigen – Königs im Druck. Es scheint, dass die Exklusivität der Musikübung die beste Garantie für die Überhöhung im Ansehen und Andenken war. Dabei leitend war von Anfang an das von den gedruckten Schriften gestützte Bild vom Philosophen bzw. Aufklärer auf dem Königsthron, welches der Phantasie in Hinblick auf die künstlerische Kompetenz Friedrichs II. Flügel verlieh. Nicht zuletzt mögen dabei auch persönliche Interessen der Autoren, vor allem der Berliner Autoren, eine Rolle gespielt haben. Repräsentation und Imagepolitik <20> Die Aufführungen im Opernhaus Unter den Linden waren eine öffentliche Parteinahme für einen bestimmten Musikstil, für ein bestimmtes Belcantoideal und (ab den späten 1740er Jahren) für eine bestimmte dramaturgische Profilierung der großen Oper. Dahinter standen präzise Vorstellungen über Wesen und Funktion der Musik bzw. Oper, die Friedrich II. allerdings an keiner Stelle, etwa in einer Abhandlung oder wenigstens einem Brief, systematisch entfaltet hat. 44 An den musikästhetischen Debatten seiner Zeit hat er sich nicht beteiligt. Erstaunlich ist, dass Musik und Oper im umfangreichen Briefwechsel von ganz untergeordneter Bedeutung sind. Man findet lediglich einzelne Bemerkungen in den Briefen an seine Schwester Wilhelmine und an Francesco Algarotti, der viele Jahre lang sein Vertrauter in Kunstangelegenheiten war, nach dem Siebenjährigen Krieg dann im Briefwechsel mit der verwitweten Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen. Möglichweise hat der König bei seinen Äußerungen die Publizität der an die anderen Höfe gesandten Briefe einberechnet und auf diese Weise das Bild vom Urheber des guten Geschmacks mitgeformt. In diese Richtung kann man den wiederholten Hinweis gegenüber seiner Schwester verstehen, dass er die von ihm engagierten Sänger persönlich unterrichte.45 Friedrich II. orientierte sich hierbei wahrscheinlich an Ludwig XIV., wobei er sich von seinem Vorbild dadurch abgrenzte, dass er die Kunst des Gesangs als pars pro toto des Musikverständnisses wählte.46 43 Jürgen Mainka (Hg.): Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (Wien 1806), Leipzig 1977, 99. 44 Allgemein und wiederum ohne konkreten Bezug zu Musik und Theater verbleibt der gegen Rousseau gerichtete Aufsatz Über den Nutzen der Künste und Wissenschaften im Staat von 1772, in: Gustav Bertold Volz (Hg.): Die Werke Friedrichs des Großen Bd. 8, Berlin 1913, 54-61. 45 Vgl. zu zu seinem Belcantoideal Henze-Döhring: Friedrich der Große (wie Anm. 27), 47f. 46 Vgl. Burke: Ludwig XIV. (wie Anm. 5), 97. 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Über alle öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen hinaus trug gerade das private Musizieren, über das fast nur vom Hörensagen etwas bekannt wurde, wesentlich zum positiven Friedrich-Bild bei. <22> Erst posthum erhob sich Kritik am König, vor allem an der angeblichen Einseitigkeit seines Musikgeschmacks, die sich in der Abneigung gegen stilistische Neuerungen und im Festhalten an der Musik Grauns und Hasses zeigte. Johann Friedrich Reichardt etwa schilderte seine Abwehr des modernen italienischen Opernstils sehr lebendig.47 Er stellte ihm als positives Beispiel seinen Nachfolger auf dem Thron Friedrich Wilhelm II. gegenüber, indem er diesem lobend attestierte, "dass er sich durchaus für keinen Geschmack in der Musik ausschließlich erklärt, sondern bisher Werke von allen Arten aus allen Schulen und Stylen aufführen lässt" 48. Auch wenn die Absicht, den Neffen auf Kosten des Onkels aufzuwerten – wozu Reichardt allen Grund hatte, da Friedrich Wilhelm II. ihn durch Kompositionsaufträge und eine Gehaltserhöhung endlich zum vollwertigen Hofkapellmeister gemacht hatte – klar erkennbar ist, setzte sich im Rückblick die Sichtweise durch, dass sich Friedrich II. nach einem großartigen Anfang zu einer Art eiferndem Dilettanten (mit grobianischen Zügen) entwickelte, der keine Impulse für die deutsche Nationalkultur gab. Doch hat dies nicht verhindert, dass der Musenfürst immer ein fester Bestandteil des Friedrichbilds geblieben ist. In dem Maße nämlich, wie Musik ihre staatstragende Bedeutung verlor und zur Privatsache wurde, sah man dem König seine vermeintlichen Altersirrtümer gerne nach. Friedrichs Wunsch, als Apollo Ruhm zu ernten, ist in Erfüllung gegangen. Autor: Prof. Dr. Christoph Henzel Hochschule für Musik Würzburg Hofstallstr. 6-8 97070 Würzburg [email protected] 47 Vgl. Johann Friedrich Reichardt / Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen (Hg.): Musikalische Monathsschrift 1 (1792), 69f., besonders 70: "Der italienischen Opera buffa, die zuweilen, wiewohl selten, für hohe Gäste in Potsdam spielen musste, wohnte er aus Abscheu für die neue und komische Musik äusserst selten und fast nie ein ganzes Stück hindurch bei." Dass diese Ansicht im Widerspruch zu der Tatsache stand, dass der König den modernen Stil durch den Unterhalt der Opera buffa in Potsdam eigentlich erst pflegte, fiel Reichardt offensichtlich nicht auf. 48 Reichardt / Kunzen: Musikalische Monathsschrift (wie Anm. 47), 70. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de