Die Oper Friedrichs II. von Preußen

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Friedrich300 - Repräsentation und Selbstinszenierung Friedrichs des Großen
Christoph Henzel
Die Oper Friedrichs II. von Preußen
Repräsentation und Selbstdarstellung
Abstract:
Friedrich II. hat nach seinem Regierungsantritt die Hofoper als Medium der Repräsentation in Preußen
institutionalisiert, wobei er ganz eigene Akzente setzte, die die Oper einerseits von der Dynastie
wegrückten und sie anderseits an seine Person banden. Während die außenpolitische
Funktionalisierung zwar plausibel, in ihrer Wahrnehmung aber ungeklärt ist, lässt sich die
geschmacksbildende Wirkung nach Innen, d.h. auf den Hof und die musikinteressierte Öffentlichkeit in
Berlin und darüber hinaus belegen. Sie hat das Bild des Königs spiritus rector des guten Geschmacks
in der Musik beigetragen.
<1>
"Nichts gibt einer Regierung mehr Glanz als die Künste, die unter ihrem Schutz florieren." 1 Die
vielzitierte These findet im 21. Kapitel des 1740 publizierten Anti-Machiavel. Hier werden zwei
Strategien beschrieben, wie der Fürst seine Macht bzw. die seines Landes vergrößern kann: entweder
durch militärische Eroberungen oder durch die Förderung des Handwerks, der Wissenschaften und
der schönen Künste. Während das Handwerk und die Wissenschaften den ökonomischen Reichtum
stärken, demonstrieren ihn die schönen Künste nach innen und außen:
"Das sicherste Zeichen dafür, dass ein Land unter einer weisen Regierung Glück, Überfluss
und Reichtum genießt, besteht darin, dass in seiner Mitte die schönen Künste und
Wissenschaften erblühen; sie sind wie Blumen, die auf fettem Boden und unter einem
glücklichen Himmel gedeihen, die aber bei Trockenheit oder bei einem ungestümen
Nordwind dahinwelken."2
Ihre Entfaltung wird als Gradmesser des (materiellen) Wohlstands verstanden, an dessen Hebung
sich der Erfolg der Regierung bemisst. Diese politische Funktionsbestimmung der Künste steht
programmatisch am Beginn der Regierungszeit Friedrichs II.; sie signalisiert einen Neuansatz sowohl
in der Kulturpolitik als auch im Selbstbild des Königs, der sich in Abgrenzung vom Vater als
Musenfürst definiert.
<2>
Obwohl Musik und Schauspiel im betreffenden Kapitel nicht eigens erwähnt werden, lässt sich der
besondere Rang der großen Oper innerhalb der Hofmusik aus den Ausführungen ableiten. Denn sie
war die einzige repräsentative musikalische Gattung, die quasi international ausgerichtet war. Sie
wurde an allen großen und vielen kleinen Höfen Europas gepflegt. Abgesehen von Paris, wo ein ganz
eigener Operntypus, die von Jean-Baptiste Lully und Philippe Quinault geschaffene Tragédie lyrique,
1
Anne Baillot / Brunhilde Wehinger (Hg.): Friedrich der Große – Potsdamer Ausgabe, Bd. 6: Philosophische
Schriften, Berlin 2007, 213.
2
Baillot / Wehinger: Friedrich der Große (wie Anm. 1), 211/213.
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heimisch war, bestimmte europaweit das italienische Dramma per musica das Bild. Kirchenmusik,
ebenfalls ein repräsentatives Genre, war am reformierten Hof in Preußen ohne Bedeutung; sie wurde
von Friedrich II. (im Unterschied zu seiner Mutter und seiner Schwester Anna Amalia) persönlich auch
nicht geschätzt. Instrumentalmusik spielte zwar im Rahmen der Praxis der Hofmusik quantitativ eine
große Rolle. So musizierte der König mit einigen Hofmusikern täglich im quasi privaten, intimen
Rahmen. Und die Hofkapelle versammelte sich wöchentlich zu einem größer besetzten Konzert bei
den Königinnen (nach dem Siebenjährigen Krieg bei Königin Elisabeth Christine) im Berliner
Stadtschloss, welches durch den Ort und die Einbeziehung in den Festkalender des Hofes einen
repräsentativen Charakter erhielt.3 Das hier aufgeführte Repertoire stammte vermutlich aus der Feder
komponierender Kapellmitglieder, vor allem des Konzertmeisters Johann Gottlieb Graun, des
Violinisten Franz Benda und des Cembalisten Carl Philipp Emanuel Bach. 4 Gleichwohl nahm die
Instrumentalmusik in der Gattungshierarchie einen nachgeordneten Rang ein.
<3>
Die zentrale Rolle der Oper in der öffentlichen Wahrnehmung war nichts Neues. Traditionell war sie in
die Repraesentatio maiestatis, die Selbstdarstellung der Herrscher im Rahmen eines regional
übergreifenden kulturellen Wettstreits eingebunden. Dies war bereits beim Import aus Italien im 17.
Jahrhundert die leitende Idee gewesen. Ablesbar war dies an der Exklusivität der Aufführungen, am
Prunk der Ausstattungen, an den spektakulären Bühneneffekten, an den kostspieligen Kastraten,
Primadonnen, Tänzerinnen, Tänzern und Dekorateuren. Freilich vollzog sich dabei ein Wandel:
Analogien bei den Rollen und Handlungen zur Person des Herrschers oder zur Dynastie spielten 1740
in Folge der "Krise der Repräsentationen"5 kaum noch eine Rolle. Dasselbe gilt für Adressierungen in
anlassgebundenen Prologen und Licenze. 6 In der Regierungszeit Friedrichs II. wurden nur drei
Prologe im Opernhaus aufgeführt.7
3
Nachweise für die Konzerte finden sich in den Berliner Zeitungen bis 1757 in großer Zahl. Aus der Zeit nach
dem Siebenjährigen Krieg liegen nur sporadische Nachrichten vor. Dass es ein wöchentliches Konzert bei der
Königin gab, wissen wir aus einem Brief des Sängers Antonio Uber gen. Porporino aus dem Jahr 1776; vgl.
Christoph Henzel: Das Konzertleben in der preußischen Hauptstadt 1740-1786 im Spiegel der Berliner Presse, in:
Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2004, 216-291 u. 2005, 139-241.
4
Vgl. Christoph Henzel: Berliner Klassik. Studien zur Graunüberlieferung im 18. Jahrhundert (= ortus studien 6),
Beeskow 2009, 207-212.
5
Vgl. Peter Burke: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Frankfurt a.M. 1995, 172ff.
6
Vgl. exemplarisch zur Situation in Dresden Panja Mücke: Johann Adolf Hasses Dresdner Opern im Kontext der
Hofkultur, Laaber 2003, 107 u. 144-146; dies.: "… man erzählt sich Wunderdinge von ihr." Oper und
Repraesentatio Maiestatis im 18. Jahrhundert, in: Barbara Marx (Hg.): Kunst und Repräsentation am Dresdner
Hof, München / Berlin 2005, 217-227; Sabine Henze-Döhring: Der Stellenwert der Musik im höfischen
Zeremoniell, in: Juliane Riepe (Hg.): Musik der Macht – Macht der Musik. Die Musik an den sächsischalbertinischen Herzogshöfen Weißenfels, Zeitz und Merseburg (= Schriften zur mitteldeutschen Musikgeschichte
8), Hamburg 2003, 23-32, hier 31f.
7
So wurde Carl Heinrich Grauns Oper Rodelinda, die am 6. Januar 1742 anlässlich der Hochzeit des Prinzen
August Wilhelm mit der Prinzessin Louisa-Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel aufgeführt wurde, ein von
Graun vertonter galanter Prolog des Hofdichters Giovanni Gualberto Bottarelli vorangestellt. Zweieinhalb Jahre
später gab die in Berlin gefeierte Hochzeit der Prinzessin Luise Ulrike mit dem schwedischen Kronprinzen Adolf
Friedrich die Veranlassung, die Festaufführung von Grauns Catone in Utica am 18. Juli 1744 mit einem Prolog
einzuleiten. Den Text dazu lieferte vermutlich der Hofdichter Leopoldo de Villati, die Musik stammte wiederum von
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<4>
Obwohl formal der zeremonielle Charakter der Opernaufführungen bestehen blieb, rückte das
ästhetische Erlebnis in den Vordergrund, dessen Qualität wesentlich an die Teilhabe am "guten
Geschmack" gebunden war, der als Ausweis von Bildung und Kultur verstanden wurde. Als Inbegriff
des "guten Geschmacks" galt in Berlin der neue, melodiebetonte, auf der Verlangsamung des
harmonischen Rhythmus und kleingliedriger Formung beruhende, expressive Stil, der ab ca. 1730 das
kontrapunktische Komponieren ablöste. Bezeichnend dafür ist die Bewunderung des Königs für
Johann Adolf Hasse, seit 1733 Oberkapellmeister in Dresden, und Carl Heinrich Graun, den der
Kronprinz Friedrich 1735 in seinen Dienst genommen hatte und der 1740 die Stelle des
Hofkapellmeisters in Berlin erhielt. Johann Sebastian Bach, der im Mai 1747 zum König nach Potsdam
gebeten wurde und vor ihm Fugen improvisierte, wurde dagegen wie ein Dinosaurier bestaunt, da er
die als veraltet angesehene Kunst des Kontrapunkts wie kein anderer beherrschte. Mit dieser
Positionierung befand sich der König ganz im Rahmen des allgemeinen Geschmackswandels. Eigene
Akzente setzte er in der großen Oper in Bezug auf die Stoffe und die Dramaturgie, welche in ihrer
Gesamtheit zu einer lokalen Profilierung des Dramma per musica führten. 8 Eine solche Profilierung
war vor dem Hintergrund der Konkurrenz der Höfe und dem sich 1740 schlagartig artikulierenden
politischen Selbstbewusstsein Preußens geradezu selbstverständlich. Im Zusammenhang damit steht
allerdings auch ein neues Verständnis vom gesellschaftlichen Ort der Oper. Im Folgenden sollen
dieses Verständnis sowie die Profilierung kurz beschrieben und das Verhältnis von Repräsentation
und Imagepolitik in den Blick genommen werden.
Staatsoper – Hofoper
<5>
Da Berlin kein Opernhaus hatte, bot sich dem Thronfolger 1740 die Chance, beim Bau etwas
Eigenständiges jenseits der Konventionen zu entwickeln. Dies geschah, indem das Opernhaus
einerseits als Kunsttempel und anderseits als freistehender Teil eines monumentalen öffentlichen
Graun. Danach entstand erst wieder 1776 ein Prolog. Er wurde im Zusammenhang mit Grauns Oper Angelica e
Medoro am 24. Juli gegeben, die anlässlich des Besuchs des russischen Großfürsten Paul aufgeführt wurde. Der
Prolog Der Schutzgeist Preußens – Der Schutzgeist Russlands wurde von Antonio Landi gedichtet und vom
neuen Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt komponiert. Der Rückgriff auf die altertümliche Form des
Opernprologs hing in allen drei Fällen mit dem besonders zeremoniellen Charakter der Festaufführungen
zusammen.
8
Vgl. Susanne Oschmann: Gedankenspiele. Der Opernheld Friedrichs II., in: Klaus Hortschansky (Hg.):
Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert. Aspekte der Librettoforschung (= Schriften zur
Musikwissenschaft aus Münster 1), Hamburg / Eisenach 1991, 175-193; Christoph Henzel: Zu den Aufführungen
der großen Oper Friedrichs II. von Preußen 1740-1756, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung
Preußischer Kulturbesitz 1997, 9-57; Michele Calella: Metastasios Dramenkonzeption und die Ästhetik der
friderizianischen Oper, in: Laurenz Lütteken / Gerhard Splitt (Hg.): Metastasio im Deutschland der Aufklärung, (=
Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 28), Tübingen 2002, 103-123; Claudia Terne: Friedrich II. von Preußen und
die Hofoper, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große und der Hof. Beiträge des zweiten
Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom 10./11. Oktober 2008, (= Friedrich300 - Colloquien 2),
http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-hof/Terne_Hofoper
<05.02.2014>; Franziska Windt: Friedrichs Bühne, in: Friederisiko. Friedrich der Große – die Ausstellung,
München 2012, 344-361.
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Residenzplatzes, des sog. Forum Fridericianum, konzipiert wurde. 9 Zwar war dafür auch ein neuer
"Pallais du Roy" vorgesehen; allerdings befand er sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der Oper.
Damit war die traditionelle Anbindung des Opernhauses an die Schlossanlage, d.h. an den höfischen
Lebensraum, gelöst.10 Die Oper wurde in einen öffentlichen Raum gestellt; sie war dadurch mehr
Staatsoper als Hofoper. Dass Einheimische und Fremde freien Eintritt bei allen Aufführungen und
Bällen hatten, entsprach völlig diesem Konzept. Die Lockerung der architektonischen Verbindung zum
Hof verstärkte sich noch dadurch, dass nach der Fertigstellung des Opernhauses die Arbeiten am
Forum-Projekt eingestellt wurden. Bei der schrittweisen weiteren Realisierung kam es zu erheblichen
Modifizierungen der Ausgangsidee. So ließ Friedrich II. unter anderem anstelle des groß
dimensionierten Königspalastes ein deutlich verkleinertes Prinzenpalais für seinen Bruder Heinrich
bauen. Das weiter entfernt liegende (ungeliebte) Stadtschloss blieb seine Residenz, die er aber nur für
wenige Wochen im Jahr bezog.
<6>
Trotz der Konzeption als Staatsoper war das 1744 fertig gestellte Gebäude doch auch das Opernhaus
des Königs. Der Stifter wurde in der Widmungsinschrift namentlich genannt. Und bei den
Aufführungen war es ein Ort der Repräsentation. So wurde der Eintritt der verwitweten Königin von
Militärmusikern zeremoniell gestaltet, woran sich unmittelbar die Opernouvertüre anschloss. 11 Friedrich
II. nahm seinen Platz nicht in der Königsloge ein, wo der weibliche Teil der Familie versammelt war,
sondern er saß zusammen mit den Prinzen und weiteren Offizieren im Parkett. 12 Dies war zwar eine
demonstrative Distanzierung vom weiblichen Teil der Familie, bedeutete aber keine Abwertung, da ihm
wichtige repräsentative Funktionen überlassen blieben. 13 Vielmehr demonstrierte der König auf diese
Weise, wer die Stützen des Staats seien: die Dynastie und das Militär mit ihm als Oberbefehlshaber.
Dass er seinen Platz direkt hinter dem dirigierenden Kapellmeister hatte, wurde als Ausdruck der
9
Vgl. Martin Engel: Das Forum Fridericianum und die monumentalen Residenzplätze des 18. Jahrhunderts, Diss.
Phil. FU Berlin 2001, http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000001297 <05.02.2014>.
10
Vgl. Terne: Friedrich II. von Preußen und die Hofoper (wie Anm. 8), <4>.
11
Vgl. Johann Friedrich Borchmann: Briefe zur Erinnerung an merkwürdige Zeiten, und rühmliche Personen, aus
dem wichtigen Zeitlaufe, von 1740, bis 1778, Berlin 1778, 186, zitiert nach Christoph Henzel: Quellentexte zur
Berliner Musikgeschichte im 18. Jahrhundert (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft 135), Wilhelmshaven
1999, 21: "Bald hierauf erschien der Hof in den königlichen Logen. Ein lebhaftes Geräusche erhob sich unter den
Zuschauern. Die auf dem Parterre stehenden Gardes du Corps rückten ihre Gewehre. Der König kam. […] Er
stellete sich, auf dem Parterre, gerade vor die beiyden Grauns; und sahe, durch ein Fernglas, um sich.
Unterdessen wurde die ankommende Mutter des Königes, durch zwey abwechselnde Chöre von Pauken, und
Trompeten, empfangen. Kaum schwieg der letzte Ton derselben, als das Graunsche Chor – alle mit einem Striche
zugleich – anfieng […]." Abweichend davon überliefert Louis Schneider einen anonymen Bericht, demzufolge der
Tusch beim Eintritt des Königs erklang; vgl. Louis Schneider: Geschichte der Oper und des Königlichen
Opernhauses, Berlin 1852, 87.
12
Vgl. Terne: Friedrich II. von Preußen und die Hofoper (wie Anm. 8), <7>.
13
Vgl. Alfred P. Hagemann: Der König, die Königin und der preußische Hof. Schlaglichter auf eine schwierige
Beziehung im Spiegel der Berichterstattung der 'Königlich Privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und
gelehrten Sachen' 1740-1786, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große und der Hof. Beiträge
des zweiten Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom 10./11. Oktober 2008 (= Friedrich300 - Colloquien 2),
http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-hof/Hagemann_Zeitung
<05.02.2014>.
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überwachenden Rolle des königlichen Mäzens interpretiert. Als Kronzeuge kann hier der Engländer
Charles Burney gelten, der im Verlauf seiner Forschungsreisen auf dem Kontinent im Vorfeld der
Abfassung seiner General History of Music 1771 Berlin und Potsdam besuchte. Burney, der freilich
persönlich keine Opernaufführung besuchte, schrieb dazu: "Der König steht fast beständig hinter dem
Kapellmeister, welcher die Partitur vor sich hat; er sieht fleißig hinein und ist wirklich ein ebenso guter
Generaldirektor hier als Generalissimus im Felde."14
<7>
Hauptspielzeit der Oper war wie auch andernorts der Karneval. Festaufführungen am Geburtstag (in
katholischen Ländern auch am Namenstag) des Herrschers waren in Preußen – im Unterschied etwa
zu Sachsen –nicht üblich, obwohl sie durch die natürliche Verbindung mit dem Karneval (der
Geburtstag fiel auf den 24. Januar) problemlos möglich gewesen wären. Stattdessen ließ Friedrich II.
zuerst 1744 und dann regelmäßig ab 1746 den Geburtstag seiner Mutter, der verwitweten Königin
Sophia Dorothea, am 27. März mit einer Opernaufführung feiern. Von 1746 an stand stets eine
Uraufführung auf dem Programm.15 Wurden zunächst Feste theatrale, repräsentative
Gelegenheitswerke mit galanter Thematik, gegeben, so gelangten ab 1749 große Opern mit
wunderbaren Stoffen zur Aufführung. Im Vergleich dazu wiesen die neuen Karnevalsopern in dieser
Zeit einen historisch-politischen Charakter auf; ihre Stoffe waren vorzugsweise der römischen
Geschichte entnommen.16 In dieser Hinsicht kann man durchaus einen 'weiblichen' von einem
'männlichen' Geschmack unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen allerdings die Rezeption der
französischen Dramatik.
Friderizianischer Operntypus
<8>
Die Berliner Hofoper schloss sich zunächst dem herrschenden Geschmack in der italienischen
Operndramatik an: Ab 1743 dominierten Dramen des kaiserlichen Hofpoeten Pietro Metastasio im
Spielplan (La Clemenza di Tito, Artaserse, Catone in Utica, Alessandro e Poro, Adriano in Siria und
Demofoonte); auch zwei Libretti von Apostolo Zeno fanden Verwendung (Lucio Papirio und Caio
Fabricio). Ab 1747 bestimmten jedoch Adaptionen französischer Opernlibretti von Joseph-François
Duché der Vancy, Antoine Houdar de Lamotte, Philippe Quinault und Michel di Boullay sowie
Bearbeitungen französischer Tragödien von Jean Racine und Pierre Corneille, später auch von
Voltaire das Bild. Von Metastasio wurden bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 nur noch
drei Stücke aufgenommen (Didone abbandonata, Cleofide und Ezio). Damit einher ging aber nur
partiell und mit wechselnder Akzentuierung die Übernahme von Merkmalen der Tragédie en
musique.17 Bezeichnend ist, dass kaum einmal das Ballett in die Handlung integriert wurde; es trat wie
14
Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise, Hamburg 1772, Reprint, hg. v. Eberhard Klemm
(Taschenbücher zur Musikwissenschaft 65), Wilhelmshaven 1985, 379.
15
1744 war Rodelinda (UA 1741) wiederaufgenommen worden.
16
Vgl. Calella: Metastasios Dramenkonzeption (wie Anm. 8), 111f.
17
Darin unterscheidet sich die preußische Hofoper von der bayerischen, welche nach 1717 sehr viel deutlicher
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bisher fast ausschließlich in den Zwischenakten und nach dem Schluss der Oper auf.
<9>
In Abgrenzung vom Dramma per musica jedoch konzentrieren sich die Dramen der Berliner Hofoper
auf einen Hauptstrang in der Handlung (anstelle des üblichen Geflechts von Haupt- und
Nebenhandlungen). Zur prägnanteren szenisch-musikalischen Vergegenwärtigung des Geschehens
werden Chöre, Chor-Solo-Nummern und Ensembles in größerer Anzahl verwendet; sie modifizieren
die stereotype Abfolge von Rezitativen und Arien. Generell schrumpft der Rezitativanteil, außerdem
fallen die Arien durch ihre Integration in den dialogischen Zusammenhang zunehmend kürzer aus; ab
1754 tritt die übliche Dacapoform gegenüber kleineren zwei- und dreiteiligen Formen in den
Hintergrund. Auffällig schließlich im Rahmen der Gattungskonventionen des Dramma per musica ist
die Häufigkeit des tragico fine in der Friderizianischen Oper, was die modifizierte Sicht auf die zentrale
Forderung der Wahrscheinlichkeit der dramatischen Handlung bestätigt. Unverändert dagegen blieb
die Reflexion von Herrschertugenden innerhalb der Opern, was sich zum Beispiel in der
Herausstellung politischer Sentenzen in Arien oder Ensembles zeigt. Dahinter stand die Überzeugung,
dass die Oper nicht nur ein die Sinne ansprechendes Spektakel sei, sondern dass sie auch die
Vernunft ansprechen und somit zur Verbesserung der Sitten beitragen könne. Dies war das
Fundament für das Konzept der 'Staatsoper' und gleichzeitig die Rechtfertigung für die hohen
finanziellen Aufwendungen.
Der "Impresario"
<10>
Friedrich II. verzichtete auf die Verherrlichung der eigenen Person in den Opern, nicht aber im
Opernhaus und durch das Opernhaus. Gleichzeitig kontrollierte er den künstlerischen Betrieb, indem
er persönlich die Lenkung übernahm. Es gab zwar wechselnde Directeurs des Spectacles, ihr Einfluss
war aber gering. Die Engagements der Musiker, die Höhe ihrer Besoldung, die Gewährung von
Zulagen, die Höhe der Ausgaben für die Produktionen, die Wahl der Stoffe und Libretti – alles wurde
vom König entschieden. Bis zu seinem Tod 1758 übernahm der Kammerdiener Michael Gabriel
Fredersdorff, ein Vertrauter Friedrichs II. die Vermittlung seiner Wünsche an die Mitglieder der
Hofkapelle. In einem Brief an ihn bezeichnete sich Friedrich II. selbst einmal ironisch als "Impresario" 18
der Oper. Kaum zufällig geschah dies in einer Situation, als es um die Frage der finanziellen
Aufwendungen ging. Doch ist der Begriff irreführend, weil die Ökonomie der preußischen Hofoper mit
dem Rentabilitätsdruck eines gepachteten Theaters nichts zu tun hatte. Vielmehr spielte der König auf
Elemente der französischen Tragédie in die italienische Oper adaptierte, und zwar vorzugsweise bei den
repräsentativen Festopern; vgl. Reinhard Strohm: Die klassizistische Vision der Antike. Zur Münchner Hofoper
unter den Kurfürsten Maximilian II. Emanuel und Karl Albrecht, in: Archiv für Musikwissenschaft 64 (2007), 1-22 u.
77-104; Sebastian Biesold: Italien versus Frankreich? Musikdramatische Werke bei den bayerischen
Wittelsbachern um 1700, in: Händel-Jahrbuch 2012, 349-364.
18
Vgl. das Schreiben v. 30.4.1754, in: Johannes Richter (Hg.): Die Briefe Friedrichs des Großen an seinen
vormaligen Kammerdiener Fredersdorff, Berlin 1926, 289: "aber nicht einen groschen mehr! Wohr würde das hingehen! Zuletzt müste der Impresario banquerote Machen!"
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seine Leitungsfunktion an, die in Parallele zu seinem Anspruch auf Selbstherrschaft im Staat und in
der Armee gesehen werden kann.
<11>
Freilich galten hier andere Maßstäbe: Grundlage seines Leitungsanspruchs war weder der finanzielle
Einsatz noch die künstlerische Professionalität, die er trotz des beachtlichen Niveaus seines
Flötenspiels und gewisser kompositorischer Fähigkeiten nicht für sich beanspruchte 19, sondern das
Urteilsvermögen des gebildeten underfahrenen Kenners. Seine Kompositionen für die Flöte waren nur
für den eigenen Gebrauch bestimmt. Die Opernarien waren entweder für Unterrichtszwecke oder für
Konzerte im kleinen Kreis gedacht, nur ausnahmsweise für szenische Gelegenheitswerke vor
exklusivem Publikum.20 Das Dramma per musica war die Domäne der professionellen Komponisten.
Eigene Beiträge lieferte Friedrich II. hier in Gestalt von Libretti, dem einzigen Bestandteil der Oper, der
gedruckt wurde und ihren Werkcharakter begründete. Gesichert ist die Autorschaft in vier Fällen
(Coriolano, 1749, Silla, 1753, Il tempio d'amore, 1755 und Montezuma, 1755); außerdem war er an
der Einrichtung von Racines La Thébaïde und von Voltaires Mérope zumindest beteiligt. Allerdings
verfasste der König die Texte in französischer Sprache; italienisch versifiziert wurden sie vom
Hofpoeten. Die Librettodrucke verschweigen die Autorschaft; wahrscheinlich war sie aber ein offenes
Geheimnis beim Publikum. So vermerkte der Kammerherr der Königin Ernst Heinrich von Lehndorff in
seinem Tagebuch anlässlich der Uraufführung von Grauns I fratelli nemici 1756, dass es sich um eine
Bearbeitung des Königs nach Racine handle.21
<12>
Für die künstlerische Umsetzung seiner Pläne baute der königliche "Impresario" eine Hofmusik von
Rang auf: Er engagierte im internationalen Vergleich erstklassige italienische Sängerinnen und Sänger
und stellte eine 16köpfige Tanztruppe mit hochkarätigen französischen Ballettmeistern zusammen. 22
Nach Dresdener Vorbild erweitert er die kronprinzliche Kapelle; sie wurde vom Konzertmeister Johann
Gottlieb Graun angeführt und bot etlichen Musikern mit gutem Renommee Platz, welche sich in Berlin
als Solisten, Komponisten und Pädagogen entfalten konnten. Hierzu zählten unter anderen die Brüder
Graun, Johann Joachim Quantz, Franz Benda und Carl Philipp Emanuel Bach. Beträchtliche Mittel
19
Da Friedrich II. Algarotti gegenüber seine eigenen Gedichte mit den Kompositionen der Dilettanten verglich,
dürfte er ähnlich über seine musikalischen Werke gedacht haben; vgl. den Brief an Algarotti aus dem Sommer
1753, in: Wieland Giebel (Hg.): Francesco Algarotti, Briefwechsel mit Friedrich II., Berlin 2008, 112.
20
Während die Arie Sulle più belle piante in die in Charlottenburg am 3. und 21. August 1747 gespielte 'Serenata'
(auch Il rè pastore betitelt) eingefügt wurde, in der auch Christoph Nichelmann, Georg Benda und Johann Adolf
Hasse mit Kompositionen vertreten waren, entstand die Arie M'affanna il cenno als Einlage für die von Graun
komponierte Pastorale Il giudizio di Paride, welche ebenfalls in Charlottenburg anlässlich der Hochzeit des
Prinzen Heinrich mit der Prinzessin Wilhelmina von Hessen-Kassel am 26. Juni 1752 aufgeführt wurde.
21
Vgl. Wieland Giebel (Hg.): Die Tagebücher des Grafen Lehndorff. Die geheimen Aufzeichnungen des
Kammerherrn der Königin Elisabeth Christine, Berlin 2012, 265: "Man führt zum ersten Mal die Oper 'Feindliche
Brüder' auf. Die Übersetzung des Originals ist vom König bearbeitet worden, der Stoff Racines Tragödie
entnommen."
22
Vgl. zum Ballett auch Rainer Theobald: Noverres Anfänge in Berlin. Zur Geschichte des Balletts an der
Hofoper Friedrichs des Großen, in: Tanzwissenschaft 4, http://www.sk-kultur.de/tanz/tanz0497.htm <05.02.2014>.
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wurden für die Dekorationen und Garderoben aufgewendet. Giuseppe Galli Bibiena, der 1753 aus
Dresden abgeworbene Dekorateur, erhielt mit 2400 Talern Jahresgehalt mehr als der
Hofkapellmeister. In Bezug auf die repräsentative Wirkung der Opern ist die Schauseite der
Aufführungen nicht zu unterschätzen. Lehndorff etwa, der über keine tiefere musikalische Bildung
verfügte, hat alle Opern, teilweise auch mehrfach, gesehen. In seinem Tagebuch findet man aber
keine einzige Bemerkung zur Musik oder wenigstens zum Gesang, sondern ausschließlich knapp
formulierte Eindrücke vom Bühnenbild und von den Tänzen.
<13>
Die bedeutenden, im Gesamt des Hofstaatsetats letztlich aber doch bescheidenen Ausgaben
erreichten am Anfang der 1750er Jahre ihren Höhepunkt. 23 Ab 1754 bemühte sich der König um die
Reduktion der Ausgaben.24 Und nach dem Siebenjährigen Krieg verstärkte sich die Sparsamkeit
noch.25 Ablesbar ist dies etwa an den Ausgaben für die Sängerinnen und Sänger für die ersten Rollen:
Hatten die bedeutendsten unter ihnen wie Giovanna Astrua sowie die Kastraten Felice Salimbeni und
Giovanni Carestini vormals weit über 4000 Taler erhalten, so verdienten ihre Nachfolger deutlich
weniger; der Kastrat Carlo Concialini, 1765 engagiert, erhielt 3600 Taler, die Primadonna Elisabeth
Schmeling, die 1771 in die Hofkapelle aufgenommen wurde, 3000 Taler. Nach ihrem Abgang 1780
ging der König dazu über, die Primadonnen nur noch für die Karnevalssaison (wo sie unverzichtbar
waren) für 1000 Taler unter Vertrag zu nehmen. Namhafte Sängerinnen aus Italien waren so kaum
noch in Berlin zu hören.26
<14>
Überhaupt wurde die große Oper zu einem seltener gebrauchten Instrument der Repräsentation: Zum
einen gab es im Karneval nur noch zehn Aufführungen, nachdem am Beginn der Regierungszeit
Friedrichs II. bis zu 18, unmittelbar vor dem Krieg immerhin noch 12 Vorstellungen gegeben worden
waren. Zum anderen fanden in den letzten 10 Jahren der Regierung Friedrichs II. keine Aufführungen
mehr außerhalb des Karnevals statt. Auf diese Weise sparte der König an den Produktionskosten.
Offensichtlich traten das persönliche Vergnügen an den Aufführungen, die der König in den letzten
Jahren seiner Regierungszeit mied, und das Repräsentationskalkül in den 1770er Jahren allmählich
23
Vgl. Henzel: Zu den Aufführungen (wie Anm. 8), 17-22.
24
Vgl. Christoph Henzel: 'Montezuma' und das Produktionssystem der Berliner Hofoper, in: Jahrbuch des
Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2013 (im Druck).
25
Vgl. Christoph Henzel: Johann Friedrich Agricola und die friderizianische Oper nach dem Siebenjährigen Krieg,
in: Jahrbuch (wie Anm. 24). Bei aller Vorsicht in Bezug auf den vielbehaupteten "Verfall" kann man gleichwohl
kaum belegen, dass der Opernbetrieb "wieder auf das glanzvolle Niveau der frühen 1750er Jahre" angehoben
wurde und dass sich Friedrich II. "bis in die 1780er Jahre hinein beständig mit den neuesten Entwicklungen des
europäischen Musikbetriebes auseinander[setzte]"; vgl. Thomas Biskup: Höfisches Retablissement. Der Hof
Friedrichs des Großen nach dem Siebenjährigen Krieg, in: Michael Kaiser / Jürgen Luh (Hg.): Friedrich der Große
- eine perspektivische Bestandsaufnahme. Beiträge des ersten Colloquiums in der Reihe „Friedrich300“ vom
28./29. September 2007 (= Friedrich300 - Colloquien
1),http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrichbestandsaufnahme/biskup_retablissement <05.02.2014>, <22>.
26
Einen Ausnahmefall stellt Luigia Todi dar, die im Karneval 1783/84 in Berlin engagiert war.
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auseinander. Die Leidenschaft für den guten (Kastraten-)Gesang blieb ihm zwar erhalten, doch konnte
er sie auch im Rahmen der Konzerte auf den Schlössern ausleben. Immerhin hielt sich ab 1774 der
Kastrat Giovanni Coli fast durchweg in Potsdam auf. 27 In Anbetracht der zunehmenden Sparsamkeit
bei der Hofoper fragt man sich, warum er nicht gänzlich auf die italienische Oper verzichtete. Immerhin
gab es in den 1780er Jahren im deutschen Raum nur noch in Kassel und München vollsubventionierte
italienische Hofopern. Die Höfe in Dresden, Braunschweig und Stuttgart etwa hatten ihre Hofopern
bereits aufgegeben.
<15>
Dass Friedrich II. diesen Schritt nicht ging, war wahrscheinlich im Verständnis der Oper als Staatsoper
begründet. Sie sollte letztlich nicht abhängig von den Launen des Regenten, sondern unabhängig
davon der Demonstration und Verbreitung des guten Geschmacks verpflichtet sein. Und genau hier
sah sich der König in der Pflicht. Nach dem Tod des Hofkomponisten Johann Friedrich Agricola 1774,
der als Nachfolger des 1759 verstorbenen Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun nach dem
Siebenjährigen Krieg noch Beiträge zum friderizianischen Operntypus geliefert hatte, verzichtete
Friedrich II. auf die Aufführung von Neukompositionen. Der neue Hofkapellmeister Johann Friedrich
Reichardt erhielt ein stark reduziertes Gehalt (1200 statt 2000 Taler), weil er nur für die Leitung der
Hofkapelle, nicht aber für das Komponieren zuständig war. Stattdessen wurden ältere Opern von
Graun und Hasse zur Aufführung gebracht – als Exemplare eines klassischen musikdramatischen
Stils. Man geht fehl, wenn man dies als starrsinniges Festhalten des alternden Königs an einem
veralteten Musikgeschmack sieht. Denn zum einen war der Stil Grauns und Hasses in Nord- und
Mitteldeutschland noch keineswegs veraltet. Zum anderen war der moderne italienische Stil in Gestalt
der Opera buffa am Hof in Potsdam durchaus präsent; ihre Aufführungen dienten dort auch
repräsentativen Zwecken.28 Doch unterschied sich davon deutlich die musikalische Tragödie, deren
Stilhöhe Friedrich II. in der Musik Grauns und Hasses verwirklicht sah. Sie blieb in ihrer Blüte – nach
der Meinung des Königs inmitten einer degenerierten Gegenwart – als Erinnerung (und Mahnung) im
Berliner Opernhaus bestehen. So schrieb er am 8. Januar 1777 an Maria Antonia Walpurgis von
Sachsen anlässlich der Wiederaufnahme von Hasses Cleofide 46 Jahre (!) nach ihrer Erstaufführung
in Dresden:
"Le public s'amuse ici avec l'opéra de Cléofide, de Hasse, qu'on a remis sur le théâtre. Les
bonnes choses restent toujours telles, et, quoiqu'on les ait entendues autrefois, on aime
encore à les rentendre; d'ailleurs, la nouvelle musique est dégénérée en un charivari qui
blesse les oreilles au lieu de les flatter, et le chant noble n'est plus connu des
contemporains. Pour le retrouver, il faut recourir à Vinci, Hasse et Graun."29
27
Vgl. Christoph Henzel: Die Schatulle Friedrichs II. von Preußen und die Hofmusik (Teil 2), in: Jahrbuch des
Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2000, 175-209, hier 207.
28
Vgl. Sabine Henze-Döhring: Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München 2012, 125-144.
29
Johann D. E. Preuss (Hg.): Correspondance de Frédéric II roi de Prusse Bd. 9 (= Œuvre de Frédéric le Grand
24), Berlin 1854, 324.
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Der kommunikative Kontext
<16>
Wen wollte Friedrich II. mit der Oper ansprechen? Parallel zum höfischen Zeremoniell lassen sich mit
Julius Bernhard von Rohr die Mitregenten, der Hof bzw. die Familie sowie die Untertanen als
Adressaten benennen.30 In diesem Licht zeigt sich erstens die außenpolitische Funktionalisierung: Die
friderizianische Oper war ein Mittel der Demonstration von Reichtum und Exklusivität in Preußen,
darüber hinaus auch der dynastischen Grenzziehung.31 Friedrich II. distanzierte sich mit dem von ihm
inspirierten Operntypus von den Habsburgern und den mit ihnen verbundenen Wettinern, die bis zur
Auflösung ihrer Hofoper 1763 den metastasianischen Operntypus favorisierten. Die Oper war ein
Mittel, den von ihm gesetzten Dualismus im Reich zum Ausdruck zu bringen. Kaum zufällig wurden
Berliner Opern nur bei den politisch mit Preußen verbundenen Höfen in Braunschweig und Stuttgart
aufgeführt. In Schwerin und Darmstadt, die keine italienische Hofoper unterhielten, spielten Auszüge
aus den Opern in den Hofkonzerten nachweislich eine Rolle. 32 Bekannt ist auch die breite
Übereinstimmung im ästhetisch-dramaturgischen Konzept der Oper mit seiner Schwester Wilhelmine
in Bayreuth.33 Allerdings bedeutete dies nicht, dass die Opern des kaiserlichen Hofpoeten dem Verdikt
verfallen wären. Immerhin wurden drei seiner Werke in Berlin in den 1750er Jahren aufgeführt. 34
Inwieweit sich die Abgrenzung von den Habsburgern und ihren Verbündeten in Dresden über das
dramaturgische Profil der Oper hinaus auf der Ebene der Stoffe und Handlungen niederschlug, ist
noch nicht systematisch untersucht worden. Handelt es sich bei Montezuma (1755), die mit ihren
"Raketen wider die Barbarei der kath. Religion" 35 eine Spitze gegen Kaiserin Maria Theresia enthielt,
um einen einmaligen Fall? Unbekannt ist auch, wie die Berliner Inszenierungen in Dresden und Wien
aufgenommen wurden.36
30
Vgl. Andreas Gestrich: Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn
des 18. Jahrhunderts (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 103), Göttingen 1994, 157.
31
Vgl. Sabine Henze-Döhring: Kunst als Medium dynastischer Grenzziehung: Italienische Opern an deutschen
Residenzen, in: Katrin Eberl / Wolfgang Ruf (Hg.): Musikkonzepte – Konzepte der Musikwissenschaft. Bericht
über den Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung in Halle (Saale) 1998 Bd. 1, Kassel 2000,
161-171, hier 166ff.
32
Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 143-165.
33
Vgl. Sabine Henze-Döhring: Konzeption einer höfischen Musikkultur, in: Peter Niedermüller / Reinhard Wiesend
(Hg.): Musik und Theater am Hof der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (= Schriften zur Musikwissenschaft 7),
Mainz 2002, 97-118.
34
1752 Didone abbandonata, komponiert von Johann Adolf Hasse (UA 1742 in Dresden), 1754 Cleofide (nach
Alessandro nell'Indie), vertont von Johann Friedrich Agricola, sowie 1755 Ezio, komponiert von Carl Heinrich
Graun.
35
So Friedrich II. im Oktober 1753 an Francesco Algarotti, zitiert nach Henze-Döhring: Friedrich der Große (wie
Anm. 27), 85.
36
Die privaten Briefe des österreichischen Botschafters Gottfried van Swietens an den Staatskanzler Fürst
Wenzel von Kaunitz-Rietberg aus den 1770er Jahren verraten eine klare ablehnende Haltung gegenüber der
preußischen Hofoper, deren Produktionen er offensichtlich als veraltet und künstlerisch mittelmäßig einschätzte;
vgl. Gudrun Busch, Der österreichische Botschafter Gottfried van Swieten, das Berliner Musikleben 1771-1777
und die Musik C. P. E. Bachs, in: Hans-Günter Ottenberg (Hg.): Carl Philipp Emanuel Bach. Musik für Europa (=
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Konzepte, Sonderband 2), Frankfurt an der Oder 1998, 108-162, hier 116f.
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<17>
Neben der außenpolitischen lässt sich (zweitens) auch die innenpolitische Bedeutung der Hofoper
näher beschreiben. Die Oper war ein Mittel der Integration des weitgehend ohne Zentrum
bestehenden Hofs37, zu dem neben den Geschwistern des Königs auch die brandenburgischen
Markgrafen gehörten, die über eigene Hofhaltungen und Kapellen verfügten. Über den ablenkendunterhaltenden Zweck hinterließ der repräsentative Anspruch der Aufführungen bei ihnen seine
Spuren. Sie schlossen sich mehrheitlich dem Geschmack des Königs an, was man vor allem an den
Musiksammlungen der Schwester Anna Amalia, des jungen Neffen Friedrich Wilhelm und des
Markgrafen Friedrich Heinrich in Schwedt ablesen kann. 38 Allerdings setzten sie dabei teilweise eigene
Akzente: So interessierten sich die Königinnen und die Prinzessin Anna Amalia für die geistliche
Musik. Letztere gab den Anstoß zur Dichtung und Komposition der Passionskantate Der Tod Jesu
durch Carl Wilhelm Ramler und Carl Heinrich Graun, welche nach der Uraufführung in der Berliner
Domkirche 1755, bei der die Hofkapelle die vom Hofmusiker Friedrich Wilhelm Riedt geleitete
Musikübende Gesellschaft unterstützte, und dem Partiturdruck 1760 bei Breitkopf in Leipzig im letzten
Drittel des 18. Jahrhunderts zur meistgespielten Passionsmusik in Deutschland wurde. Nur der Prinz
Heinrich grenzte sich nach dem Siebenjährigen Krieg von seinem Bruder ab, indem er in seiner
Residenz Schloss Rheinsberg französische Opern aufführen ließ. Dies hatte weniger mit seinem
persönlichen Musikgeschmack zu tun als mit dem Wunsch, symbolisch seiner Verärgerung darüber
Ausdruck zu verleihen, dass er vom König politisch und militärisch zurückgesetzt wurde. 39
<18>
Schließlich ist (drittens) vom Eindruck der Opernaufführungen auf das nicht zum Hof gehörende adlige
und bürgerliche Publikum, auf Fremde und Einheimische, auf Gesandte und Durchreisende zu
sprechen. Ihnen allen stand das Opernhaus – wenigstens theoretisch – unentgeltlich offen stand. Die
Teilhabe an den Aufführungen war auch über die Handlungsbeschreibungen in der Presse
gewährleistet. (Aufführungsberichte, geschweige denn -kritiken wurden nie publiziert.) Gedruckte
italienisch-deutsche Textbücher konnten vor den Vorstellungen käuflich erworben werden, ebenso
handschriftliche Partituren und Klavierauszüge, auch einzelner Nummern, welche von professionellen
Kopisten vertrieben wurden. Die Berliner Opernmusik bildete zusammen mit der Instrumentalmusik
der Berliner Hofmusiker den Grundstock diverser bürgerlicher Musiksammlungen (darunter auch
Konzertveranstalter).40 Ihre Besitzer demonstrierten dadurch ihre Teilhabe am sozialen und politischen
Fortschritt der friderizianischen Aufklärung.
37
Vgl. Biskup: Höfisches Retablissement (wie Anm.24), <10> - <12>.
38
Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 124-131 u. 186-198.
39
Vgl. Karoline Zielosko: Eine Frage der Ehre. Militär und höfische Repräsentation unter Friedrich dem Großen
und Prinz Heinrich, http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-studien/zielosko_ehre
<05.02.2014>.
40
Vgl. Henzel: Berliner Klassik (wie Anm. 4), 217-304.
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<19>
In einem Zeitalter der – gerade in Berlin – anwachsenden Musikpublizistik und –kritik sowie der
Ausbreitung des Musizierens in Adel und Bürgertum gewann besondere Bedeutung als Adressat der
sog. Kenner, genauer: der in der Reflexion versierte Musiker (nicht unbedingt der professionelle
Musiker), außerdem der Gebildete, der die ästhetischen Debatten zumindest zur Kenntnis nahm, zum
Beispiel den andauernden Streit um die Vorzüge der französischen und italienischen Musik. Er ist in
Rohrs Systematik nicht erfasst. Aus diesen Kreisen sind diverse Zeugnisse emphatischen Lobs für die
musikalische bzw. geschmackliche Kompetenz des Königs überliefert. Dies ist kaum verwunderlich,
weil sie zusammen mit den Musikern am meisten von der sozialen Aufwertung der Musik bzw. des
Musizierens profitierten. Doch erntete Friedrich bereits als Kronprinz Lobeshymnen. Johann Adolf
Scheibe etwa hob im unmittelbaren Zusammenhang mit der berühmten, 1737 in Hamburg publizierten
Kritik am "schwülstigen" Bach Carl Heinrich Graun, der zwei Jahre zuvor nach Ruppin gezogen war,
als Gegenbeispiel heraus und resümierte wie folgt:
"[…] wir wissen, daß er ein Mann ist, welcher unserem Vaterlande Ehre machet, und der
durch seine Gründlichkeit alle Italiener übertrifft. Ein erhabener Friederich würdiget ihn
seiner Gnade, und belohnet seine Verdienste. Dies ist zu seinem Lobe genug. Wer von
einem so großen und weisen Prinzen geliebet wird, muß gewiß eine wahre Geschicklichkeit
besitzen."41
Dient der Kronprinz hier als Projektionsfläche für einen kulturpolitischen Traum, nämlich die Stärkung
der Nationalkultur auf der Grundlage des neuen Geschmacks in der Musik, so wurde der König später
zum Förderer des neuen Geschmacks erklärt. Friedrich Wilhelm Marpurg, Komponist, Theoretiker und
Musikschriftsteller in Berlin, stellte 1756 fest:
"Die preißwürdige Sorgfalt, welche Seine izt regierende Königliche Majestät in Preussen, seit
dem Antritt Dero glorreichen Regierung, zum Wachsthum und Aufnahme der Wissenschaften
und Künste, in Dero sämtlichen Staaten überhaupt anzuwenden geruhet haben, hat sich
insbesondere auch, auf die Wiederherstellung der daselbst vorhero fast gänzlich in Verfall
gerathenen Tonkunst erstrecket."42
Auf diese Weise wurde Friedrichs II. positiv vom Soldatenkönig abgehoben. Und die Tatsachen
sprachen hier für sich: der Bau des Opernhauses, die Engagements berühmter Tänzer und Sänger,
die Errichtung der Hofkapelle, deren Einfluss auf die städtische Musikkultur nicht zu überschätzen ist.
Vermutlich war überhaupt keine aktive Imagepolitik notwendig, um solche Urteile ins Leben zu rufen.
Die Glorifzierung ist auch außerhalb Preußens zu beobachten. So erklärte Christian Friedrich Daniel
Schubart den König zum Begründer der sog. Berliner Schule, weil er bis in die Einfälle hinein ihre
Musik bestimmte:
41
Johann Adolf Scheibe: Critischer Musikus, neue, vermehrte und verbesserte Auflage, Leipzig 1745 (Reprint
Hildesheim u. Wiesbaden 1970), 63.
42
F. W. Marpurg: Entwurf einer ausführlichen Nachricht von der Musikübenden Gesellschaft zu Berlin, in:
Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik Bd. 1, Berlin 1754 (Reprint Hildesheim/New York 1970),
385-413, hier 385.
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"Er selber spielte die Flöte als Meister, accompagnirte vortrefflich mit den Flügel, und
verstand den Satz [= die Komposition, C.H.] meisterhaft. Zu vielen der Graunischen Arien
hat er die Motiven angegeben. Mit einem Wort: Friedrich der Grosse ist auch der Schöpfer
einer der ersten musikalischen Schulen, so wie er der Schöpfer einer der berühmtesten
politischen und tactischen Schulen der Welt ist."43
Schubarts Auslassung ist erstaunlich, weil er Friedrich II. nie gehört hat. Und gewiss hat er auch keine
Komposition von ihm gesehen, da sie unpubliziert blieben. Zu Lebzeiten Friedrichs II. erschien nur ein
einziger Bericht eines Ohrenzeugen über das Flötenspiel des – übrigens knapp 60jährigen – Königs
im Druck. Es scheint, dass die Exklusivität der Musikübung die beste Garantie für die Überhöhung im
Ansehen und Andenken war. Dabei leitend war von Anfang an das von den gedruckten Schriften
gestützte Bild vom Philosophen bzw. Aufklärer auf dem Königsthron, welches der Phantasie in
Hinblick auf die künstlerische Kompetenz Friedrichs II. Flügel verlieh. Nicht zuletzt mögen dabei auch
persönliche Interessen der Autoren, vor allem der Berliner Autoren, eine Rolle gespielt haben.
Repräsentation und Imagepolitik
<20>
Die Aufführungen im Opernhaus Unter den Linden waren eine öffentliche Parteinahme für einen
bestimmten Musikstil, für ein bestimmtes Belcantoideal und (ab den späten 1740er Jahren) für eine
bestimmte dramaturgische Profilierung der großen Oper. Dahinter standen präzise Vorstellungen über
Wesen und Funktion der Musik bzw. Oper, die Friedrich II. allerdings an keiner Stelle, etwa in einer
Abhandlung oder wenigstens einem Brief, systematisch entfaltet hat. 44 An den musikästhetischen
Debatten seiner Zeit hat er sich nicht beteiligt. Erstaunlich ist, dass Musik und Oper im umfangreichen
Briefwechsel von ganz untergeordneter Bedeutung sind. Man findet lediglich einzelne Bemerkungen in
den Briefen an seine Schwester Wilhelmine und an Francesco Algarotti, der viele Jahre lang sein
Vertrauter in Kunstangelegenheiten war, nach dem Siebenjährigen Krieg dann im Briefwechsel mit der
verwitweten Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen. Möglichweise hat der König bei seinen
Äußerungen die Publizität der an die anderen Höfe gesandten Briefe einberechnet und auf diese
Weise das Bild vom Urheber des guten Geschmacks mitgeformt. In diese Richtung kann man den
wiederholten Hinweis gegenüber seiner Schwester verstehen, dass er die von ihm engagierten
Sänger persönlich unterrichte.45 Friedrich II. orientierte sich hierbei wahrscheinlich an Ludwig XIV.,
wobei er sich von seinem Vorbild dadurch abgrenzte, dass er die Kunst des Gesangs als pars pro toto
des Musikverständnisses wählte.46
43
Jürgen Mainka (Hg.): Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (Wien 1806),
Leipzig 1977, 99.
44
Allgemein und wiederum ohne konkreten Bezug zu Musik und Theater verbleibt der gegen Rousseau gerichtete
Aufsatz Über den Nutzen der Künste und Wissenschaften im Staat von 1772, in: Gustav Bertold Volz (Hg.): Die
Werke Friedrichs des Großen Bd. 8, Berlin 1913, 54-61.
45
Vgl. zu zu seinem Belcantoideal Henze-Döhring: Friedrich der Große (wie Anm. 27), 47f.
46
Vgl. Burke: Ludwig XIV. (wie Anm. 5), 97.
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<21>
Eine aktive Imagepolitik betrieb Friedrich II. aber vorwiegend am und im Opernhaus. Im
Repräsentationsmedium Oper blieb für die Selbstdarstellung immer noch der größte Raum. Die
Giebelinschrift und der Platzwechsel ins Parterre belegen die Abschwächung der Rolle der Dynastie
zugunsten der eigenen Person künstlerischer Spritus rector. Dies war für jeden Besucher sichtbar, in
der Musikpublizistik auch nachlesbar. Mehr war vielleicht auch gar nicht nötig, denn nach dem
Soldatenkönig war es leicht, Bewunderung beim kunstbeflissenen Publikum zu gewinnen. Über alle
öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen hinaus trug gerade das private Musizieren, über das fast nur
vom Hörensagen etwas bekannt wurde, wesentlich zum positiven Friedrich-Bild bei.
<22>
Erst posthum erhob sich Kritik am König, vor allem an der angeblichen Einseitigkeit seines
Musikgeschmacks, die sich in der Abneigung gegen stilistische Neuerungen und im Festhalten an der
Musik Grauns und Hasses zeigte. Johann Friedrich Reichardt etwa schilderte seine Abwehr des
modernen italienischen Opernstils sehr lebendig.47 Er stellte ihm als positives Beispiel seinen
Nachfolger auf dem Thron Friedrich Wilhelm II. gegenüber, indem er diesem lobend attestierte, "dass
er sich durchaus für keinen Geschmack in der Musik ausschließlich erklärt, sondern bisher Werke von
allen Arten aus allen Schulen und Stylen aufführen lässt" 48. Auch wenn die Absicht, den Neffen auf
Kosten des Onkels aufzuwerten – wozu Reichardt allen Grund hatte, da Friedrich Wilhelm II. ihn durch
Kompositionsaufträge und eine Gehaltserhöhung endlich zum vollwertigen Hofkapellmeister gemacht
hatte – klar erkennbar ist, setzte sich im Rückblick die Sichtweise durch, dass sich Friedrich II. nach
einem großartigen Anfang zu einer Art eiferndem Dilettanten (mit grobianischen Zügen) entwickelte,
der keine Impulse für die deutsche Nationalkultur gab. Doch hat dies nicht verhindert, dass der
Musenfürst immer ein fester Bestandteil des Friedrichbilds geblieben ist. In dem Maße nämlich, wie
Musik ihre staatstragende Bedeutung verlor und zur Privatsache wurde, sah man dem König seine
vermeintlichen Altersirrtümer gerne nach. Friedrichs Wunsch, als Apollo Ruhm zu ernten, ist in
Erfüllung gegangen.
Autor:
Prof. Dr. Christoph Henzel
Hochschule für Musik Würzburg
Hofstallstr. 6-8
97070 Würzburg
[email protected]
47
Vgl. Johann Friedrich Reichardt / Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen (Hg.): Musikalische Monathsschrift 1
(1792), 69f., besonders 70: "Der italienischen Opera buffa, die zuweilen, wiewohl selten, für hohe Gäste in
Potsdam spielen musste, wohnte er aus Abscheu für die neue und komische Musik äusserst selten und fast nie
ein ganzes Stück hindurch bei." Dass diese Ansicht im Widerspruch zu der Tatsache stand, dass der König den
modernen Stil durch den Unterhalt der Opera buffa in Potsdam eigentlich erst pflegte, fiel Reichardt offensichtlich
nicht auf.
48
Reichardt / Kunzen: Musikalische Monathsschrift (wie Anm. 47), 70.
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