Maßstabssprung am Schwedenplatz

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DIPLOMARBEIT
Maßstabssprung am Schwedenplatz
ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen
Grades eines Diplom-Ingenieurs unter Leitung
Univ.Prof. Dr.sc.techn. Thomas Hasler
Univ.Ass. Dipl.-Arch. Ivica Brnic
Institut für Architektur und Entwerfen
Hochbau und Entwerfen 253-4
eingerichtet an der Technischen Universität Wien
Fakultät für Architektur und Raumplanung von
Laszlo Zimmermann
Matrikelnummer 1026688
Wien, am 03.10.2014
Abstract
Das Forschungsgebiet dieser Diplomarbeit ist das
Areal Morzin- und Schwedenplatz. Die Besonderheit
des Areals besteht darin, dass Bauwerke aus
verschiedenen Epochen wegen ihrer unterschiedlichen
Maßstäblichkeit miteinander in Konflikt geraten. Die
Wasserkante des ersten Bezirks wurde in dem zweiten
Weltkrieg beschädigt und gewisse Bauten wurden
nie wieder aufgebaut. Auf der anderen Seite des
Donaukanals prägen aber die neuen spektakulären
Hochhäuser die Uferzone. Dadurch gerät die für das
21. Jahrhundert charakteristische Gebäudegröße
mit der kleinmaßstäblichen historischen Größe in
unmittelbare Nähe. Dieser Maßstabsprung führt zu
zahlreichen städtebaulichen Problemen. In meinem
Projekt wurde danach gestrebt, dass das entworfene
Gebäudeensemble eine Vermittlungsrolle zwischen
diesen zwei Maßstäblichkeiten aufnehmen sollte. Um
dieses Ziel zu erreichen, wurde ein flussübergreifendes
Projekt entworfen, das die punktuelle Erscheinung
der Hochhäuser neben dem Donaukanal verstärkt.
Die Fassadengliederung des entworfenen Hochhauses
wurde aber auf solche Weise konstruiert, dass
sie den Maßstab des Hochhauses zu Maßstab der
Umgebung näher bringt. Im ersten Teil der Arbeit
„Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung“
werden
die
Zusammenhänge
zwischen
der
Fassadengliederung
und
Größenwahrnehmung
des Gebäudevolumens erläutert. Im zweiten Teil
„Maßstabssprung am Schwedenplatz“ werden die
Entwurfsentscheidungen
der
Projektentwicklung
entfaltet.
Abstract in Englisch
The research topic of the thesis is the Morzin- and
Schwedenplatz. The characteristic of this location
is that the buildings originating from different ages
get in conflict with each other due to their scale. The
band on the Danube riverside in the first district got
damaged during the Second World War and some of
the buildings were never rebuilt. On the other side of
the Donaukanal however the new spectacular high-rise
buildings define the shoreline. Thus the building size
characteristic to the 21st century gets into immediate
proximity with the small-scale historical building size.
This jump in scale leads to various urban architectural
problems. In my project it was the intention that the
designed building takes an intermediary role between
the two scales. To achieve this goal the designed project
embraces the river in a way that it strengthens the
spot-like appearance of the high-rise buildings next to
the Donaukanal. However, the facade segmentation
was designed to bring closer the scale of the planned
high-rise building to the scale of the environment. In
the first part of the thesis „scaling-manipulation by
facade-segmentation“ the correlations between the
facade-segmentation and the size of the building-mass
will be covered. In the second part „scaling-change on
Schwedenplatz“ the design decisions of the project’s
development will be discussed.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Theoretische Studie
Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung
1.1. Vom Maßstab bis zur Fassadengliederung
1.2. Anwendung der klassischen Gliederungselemente durch das
Beispiel von Andrea Palladio und der renaissancischen Architektur
1.3. Auseinandersetzung mit dem Maßstabssprung des 19.
Jahrhundertes mit Hilfe der Chicagoer Schule
1.4. Modernistische Auffassungen über die Fassadengliederung
in Anlehnung an Mies van der Rohe und Auguste Perret
Bibliographie
2. Projektbeschreibung und Pläne
Maßstabssprung am Schwedenplatz
2.1. Ort, Geschichte
2.2. Volumen, Städtebauliche Setzung
2.3. Struktur, Erschließung
2.4. Konstruktion, Fassade
2.5. Materialität, Atmosphäre
1. Theoretische Studie
Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung
Victor Vasarely, Op Art Täuschung. Aus: http://jessiethatcher.tumblr.
com/post/2364020482/victor-vasarely
1.1. Vom Maßstab bis zur Fassadengliederung
Im allgemeinen Sprachgebrauch lassen sich drei
Bedeutungen1 des Begriffs Maßstab unterscheiden.
Die erste ist die vorbildhafte Norm, die der Beurteilung
jemandes Handeln oder Leistung dient. Diese Normen
werden durch moralische, religiöse oder soziale
Grundlagen bestimmt, deren Einhaltung die jeweilige
Gemeinschaft oder Gesellschaft von den Mitgliedern
erwartet. Die zweite Bedeutung des Wortes ist das
Verhältnis zwischen nachgebildeten Größen und
entsprechenden Größen in der Wirklichkeit. Dieser
Maßstab wird üblicherweise bei geographischen oder
architektonischen Plänen als 1: Maßstabszahl angegeben
und ermittelt die tatsächlichen Größen der gezeichneten
Größen. Die dritte Bedeutung ist das Messgerät, das
der Bestimmung unbekannter Längen dient. Die erste
Bedeutung vermittelt also ideelle Werte, die anderen
zwei sind wertneutrale Hilfsmittel der Bestimmung
einer Größe. Diese Zweideutigkeit folgt aus der
Herkunft2 des Wortes. In der Antike war die Suche nach
einem idealen Maß „Mittelmaß“ für die harmonische
Weltauffassung charakteristisch. Das Mittelmaß war
nicht nur ein ästhetisches Ideal für die Gestaltung der
Bauwerke, sondern diente als ein ethisches Muster für
die Gesellschaft aufgrund dessen man ein maßvolles
Leben führen kann. Im Mittelalter war das Wort Maß
auch nicht wertneutral, wobei der Mensch als ideales
Maß
unmittelbar aus der Schöpfungsgeschichte
abgeleitet wurde. Die Anwendung der menschlichen
Maßverhältnisse bei Bauwerken lässt sich daher als
die Folgerung des göttlichen Weltbildes interpretieren.
Obwohl die zwei Bedeutungen trennten sich durch den
Wandel des Weltbildes voneinander ab, die Interesse an
dem menschlichen Maß/Maßstab ist immer geblieben.
Im 19. Jahrhundert argumentiert Viollet-le-Duc neben
dem menschlichen Maßstab nicht mehr auf Grund
religiöser Überlegungen, sondern mit der Wichtigkeit
der gesellschaftlichen Akzeptanz. Er plädiert, dass der
verständliche und annehmbare Maßstab ist das, was
man mit den eigenen Körpermaßen vergleichen kann.
Abb. 01: Le Corbusier, Modulor. Aus: http://wharferj.wordpress.
com/2010/12/12/le-corbusiers-modulor-man/
1
2
vgl. “http://www.duden.de/rechtschreibung/Maszstab.”
vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 15-24.
„Warum nur entsprechen diese Gebäude nicht unserem
eigenen Maßstab, nicht unseren Bedürfnissen und
unseren Gewohnheiten? So sei es würdevoller, sagt man.
Aber die Fassade von Notre-Dame ist würdevoll genug,
obwohl sie sich mit unserem unwürdigen menschlichen
Maßstab begnügt; sie ist groß, sie erscheint groß, und
doch bleiben die Häuser in ihrer Umgebung immer
noch Häuser. Sie werden nicht zu Streichholzschachteln,
und das kommt weil bei der Fassade von Notre-Dame,
wie groß sie auch immer sein mag, die Architekten
sorgfältig darauf geachtet haben, von oben bis unten
den menschlichen Maßstab beizubehalten, diesen uns
so vertrauten Maßstab, den wir nicht selbst geschaffen
haben, aber den wir lieben. “3
Abb. 02: Gulliver´s Travels, Gulliver and the King of Brobdingnag.
Aus:http://bookish-relish.blogspot.co.at/2011/08/classic-fiction-jonathan-swifts.html
Der menschliche Maßstab als allgemeingültiger
Maßstab, auf den bei der Errichtung von Bauwerken
Rücksicht genommen werden muss, existiert heute
nicht mehr. Aber der Vergleich die Größe der Gebäuden
bzw. Gebäudeteilen mit der Größe des Menschen ist
ein wichtiger Themenbereich des architektonischen
Maßstabbegriffs geblieben. Der Begriff Maßstab auch
im breiteren Sinn – abgesehen von dem Menschen
als Bezugsgegenstand – befasst sich immer mit dem
Vergleich von Objekten und Phänomenen. Durch
einen Vergleich erlangt man Informationen über
die Größen von Objekten, weil die Größen nur im
Verhältnis zueinander bestimmt werden können. Für
die Verhältnismäßigkeit der Größen ist ein treffliches
Beispiel4 aus der Literatur das Buch Gullivers Reisen
3
4
Viollet-le-Duc zitiert nach: Boudon, Der Architektonische Raum S. 105.
vgl. Cságoly, Három Könyv Az Építészetről. Szépség S. 17.
von Jonathan Swift. Der Hauptfigur des Romans war
zu Hause in Nottinghamshire mittelgroß, in Liliput ein
Riese und in Brobdingnag ein winziger Zwerg. Während
der Reisen bleibt seine Körpergröße die gleiche, aber
die Bezugsgrundlagen waren immer unterschiedlich.
Die Reisen von Gulliver machen anschaulich, dass
ein Ding für sich genommen nie groß oder klein ist,
sondern immer nur im Verhältnis zu einem anderen.
Demzufolge lässt sich der Maßstab als das Mittel
des Größenvergleichs definieren. In der Architektur
werden im Allgemeinen Gebäudeteile oder Gebäude
miteinander verglichen. Bei einem Bauwerk ist es
eindeutig, dass sein Maßstab im Verhältnis zu der
Umgebung bestimmt wird, der städtebauliche Kontext
dient hier als Bezugsgegenstand.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts übte die Entwicklung
der Wahrnehmungspsychologie5 eine starke Wirkung
auf die Interpretation des Begriffs Maßstab. Das
Forschungsgebiet dieser Disziplin ist der subjektive
Anteil der Wahrnehmung, deren Einfluss auf den
Größenvergleich darin liegt, dass gewisse Größen
nicht so groß wahrgenommen werden, wie sie in der
Wirklichkeit sind. Wenn ein Unterschied zwischen dem,
was ein Betrachter vor sich hat, und dem, was er sieht,
besteht, dann spricht man von einer visuellen Täuschung.
Die Ursache dafür ist, dass die Wahrnehmung mit dem
retinalen Abbild nicht unbedingt übereinstimmt, denn
die dreidimensionale Wahrnehmung wird durch die
zweidimensionale Retina vermittelt.
Abb. 03: Oppelsche Täuschung. Aus: http://www.robaweb.de/gdm/
inhalt/VisuelleWahrnehmung/Gestaltwahrnehmung/04-VisuelleTaeuschungen.html
5
6
7
8
Eine auch in architektonischer Hinsicht relevante
Täuschung ist die Oppelsche Täuschung. Johann Joseph
Oppel zeigte 1855, dass eine Punktreihe länger wirkt
als der Abstand zwischen deren Endpunkten und
analog dazu scheint eine von Querstrichen gegliederte
Linie länger als die Linie selbst. Die Überschätzung von
mehrfach gegliederten Größen im Vergleich mit weniger
oder ungegliederten nennt Albert Erich Brinkmann unter
dem Begriff „optischer Maßstab“6 als ein Grundgesetz
aller stadtbaukünstlerischen Gestalten. Mit der
Umsetzung der Oppelschen Täuschung geht er von der
Tatsache aus, dass ein Quadrat mit Linienraster versehen
größer als ein gleich großes, leeres Quadrat erscheint.
Mit dem geometrischen Beispiel verweist er auf die
Fassadengliederung der Bauwerke und behauptet, dass
die reich gezierten gotischen Häuser im Gedächtnis
größer bleiben, als die gleich großen klassizistischen
Bauten. Dementsprechend kann der Maßstab eines
Bauwerkes mit der Anzahl und Anordnung der
Gliederungselemente manipuliert werden. Wobei es die
Regel gilt, dass in je mehr Teile die Fassade gegliedert
wird, desto größer scheint das Gebäude. Brinkmann
macht darauf aufmerksam, dass der Größeneindruck
lediglich durch eine proportionale Vergrößerung
nicht gleichmäßig mit der wirklichen Größe steigert.
Deswegen muss der Monumentalbau unter solche
Bedingungen gebracht werden, dass „das Auge ihm Maß
nehmen kann“.7 Dazu müssen auch solche Elemente auf
der Fassade zur Geltung kommen, deren Größen leicht
fassbar sind. Er nimmt das Maison de Charles-Quint8
als Beispiel für die Maßstabsmanipulation durch die
Fassadengliederung. Die beiden Seiten des Eckbaus
sind gleichmäßig gestaltet. Vom Marktplatz her steht
neben ihm ein dreigeschossiger Wohnbau und auf der
anderen Seite ein gleich hohes aber in vier Geschossen
gegliedertes Gebäude. Wegen des Unterschiedes der
Gliederungsstärke scheint das Maison aus der Richtung
des Platzes mittelgroß, aber aus der anderen Richtung
erweckt der Eckbau den Eindruck eines gewaltigen
Gebäudes.
vgl. “http://www.robaweb.de/gdm/inhalt/VisuelleWahrnehmung/Gestaltwahrnehmung/04-VisuelleTaeuschungen.html.”
Brinckmann, Stadtbaukunst. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit S. 2.
Ibid. S. 2.
vgl. ibid. S. 3.
Abb. 04: Maison de CharlesQuint, Brügge. Aus: Brinckmann,
Albert Erich. Stadtbaukunst.
Vom Mittelalter bis zur Neuzeit.
Wildpark-Potsdam: Akademische
Verlagsgesellschaft
Athenaion,
1925. S. 3
Auf Grund der vorhergehenden Ausführungen lässt
sich konstatieren, dass die Fassadengliederung ein
effektiver Einflussfaktor der Größenwahrnehmung
ist. Die Architektur kennt horizontale, vertikale,
hierarchische Gliederungen, die entweder konstruktiv
oder formalistisch sind. Mit der Kombination dieser
Elemente kann die Größenwirkung manipuliert werden,
aber die Anzahl der Elemente kann nicht beliebig
viel sein.9 Die zahlreichen ähnlichen nebeneinander
liegenden Elemente werden nicht mehr als
Gliederung, sondern als Textur wahrgenommen. In
9
vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 102-105.
diesem Fall kommt eine umgekehrte Wirkung auf die
Größenwahrnehmung zur Geltung und das Gebäude
wird als ungegliedert wahrgenommen. Die Elemente
der Fassadengliederung sind in verschiedenen Epochen,
in Abhängigkeit von der Weltanschauung oder wegen
der jeweiligen technischen Möglichkeiten immer
unterschiedlich. In den nachfolgenden Kapiteln werden
die Anwendung der Gliederungselemente und deren
Wirkung auf die Größenwahrnehmung durch prägnante
Beispiele untersucht.
1.2. Anwendung der klassischen Gliederungselemente durch das Beispiel von
Andrea Palladio und der renaissancischen Architektur
Eine grundlegende Bestrebung der renaissansischen
Philosophie war die Neuinterpretation des Verhältnisses
zwischen dem Menschen und der Welt. Die geistige
Grundlage dazu bot die vollkommene Aufdeckung der
antiken, klassischen Wissensbasen. Die wissenschaftliche
Begründung der Architektur basierte größtenteils auf
der euklidischen Geometrie, der pythagoreischen
Zahlenmystik, der platonischen Kosmologie und auf
den architektonischen Büchern von Vitruv. Für die
Pythagoreer ist die Überzeugung charakteristisch, dass
der Kosmos eine nach bestimmten Zahlenverhältnissen
aufgebaute harmonische Einheit bildet. Es bedeutet,
dass die in der Natur herrschende Ordnung mit
mathematischen Mitteln beschreibbar ist. Diese Ordnung
oder Harmonie löst Schönheitswahrnehmung aus dem
Menschen aus, daher sollten alle Kunstgattungen
– darunter auch die Architektur - nach einem
harmonischen Aufbau streben. Dementsprechend
bestimmt die renaissansische Architektur die
Regeln der Gebäudegestaltung unter Anlehnung an
mathematische Proportionen und Maßsysteme.10 Es ist
aber von höchster Bedeutung, dass die Gebäudeteile
miteinander und mit dem Ganzen im Einklang stehen
müssen. Dieses Anstreben lässt sich bei der Gliederung
der renaissansichen Fassadengestaltung zu beobachten.
Selbst die Gebäudeelemente wurden auch aus der antiken
Welt übernommen und uminterpretiert verwendet.
Das Neudefinieren der antiken architektonischen Mittel
war nicht nur im Interesse der flexibleren Anwendung
sondern auch wegen der Umwandlung der Funktionen
und Ansprüche nötig. Die Bauwerke wurden durch
Achsen geteilt und nur in Sonderfällen wurde von den
Regeln des symmetrischen Konstruierens abgesehen.
Die regelmäßige Gliederung bot die Gewähr für die
Sicherung der Reinheit und Übersichtlichkeit. Die
Verteilung der Säulen durch ungerade Zahlen war
typisch, damit der Eingang in die Mitte des Bauwerks
geraten kann, wo im Verhältnis zu den anderen
Säulenabständen gewöhnlich eine breitere Säulenweite
das Eingangstor akzentuierte. Die Öffnungen liegen
immer übereinander gestapelt in der Mitte der Achsen.
Die Dimensionen der Öffnungen wurden auch auf Grund
von mathematischen Zusammenhängen festgelegt. Laut
der Beschreibung von Palladio12 müssen gleichmäßige
Abb. 05: Volunten Konstruktion.
Aus: Kotratschek, Karl. Die
Säulenordnungen der Antike
und Renaissance. Wien: Georg
Prachner, 1948. S. 40.
„Ich sage daher, dass die Architektur, wie auch alle
anderen Künste, eine Nachahmerin der Natur ist und
daher nichts duldet, was dieser fremd ist. Und so sehen
wir, dass die alten Architekten begonnen haben, jene
alten Gebäude, die sie aus Holz gemacht hatten, aus
Stein zu errichten. Sie setzten fest, dass die Säulen
an ihren Spitzen weniger dick gemacht werden als an
ihrem Fuß. Sie nahmen dazu die Bäume als Beispiel, die
alle an ihrer Spitze dünner sind als an ihrem Stamm und
bei den Wurzeln.“11
10
11
vgl. Jormakka, Geschichte der Architekturtheorie S. 122-123.
Palladio, Die Vier Bücher zur Architektur S. 82.
Abb. 06: Dorische Säulenordnung der Renaissance. Aus: Kotratschek,
Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg
Prachner, 1948. S. 25.
12
vgl. ibid. S. 90-97.
Abb. 07: Konstruktion der Giebel. Aus: Kotratschek, Karl. Die
Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg
Prachner, 1948. S. 18.
Fensterabmessungen pro Geschoss angewendet
werden und die Öffnungsgrößen sollen nach oben
ansteigend immer kleiner sein. Bei der Bestimmung
der Fenstergrößen geht er von den Geschosshöhen
und den nach den Öffnungen liegenden Raumgrößen
aus. Überdies müssen die Öffnungen einen solchen
Mittelwert aufnehmen, der das Gebäude vor der
übermäßigen Erwärmung bzw. Abkühlung bewahrt.
Wegen konstruktiver Überlegungen flankieren aus
Stein behaute Rahmen die Fenster. Deren Verzierung
gliedert sich analog zu den Säulenordnungen in drei
Teile: Architrav, Fries und Gesims. Der Architrav bildet
die Fensterlaibungen rundum die Öffnungen, dessen
Tiefe den jeweiligen Wanddicken entspricht. Die
Abmessungen des Frieses und des Gesims werden
verhältnismäßig aus der Architravgröße abgeleitet.
Die Fensterstürze werden mit Dreiecksgiebel oder
Segmentgiebel verziert, die entweder pro Geschoss
oder pro Achsen abwechselnd angebracht werden.
Die prägendsten Elemente der renaissansischen
Fassaden sind die Säulenordnungen. Obwohl keine
neuen erfunden wurden, entstanden doch viele
farbenreiche Überarbeitungen durch die Umdeutung
der alten. Im Vergleich mit der Antiken wurden die
Säulen viel mehr als integrativer Bestandteil der
Wände oder mit Verbindung der Bogenstellungen
angewendet. Der Umgang mit den Säulenordnungen
hatte keine allgemeingültigen Regeln, umso mehr
waren die Einzellösungen der Pionierarchitekten
typisch. In der individuellen Lösungsvielfalt waren aber
die Proportionen der einzelnen Teile gemein und mit
dem Ganzen streng einzuhalten. Diese Proportionen
wurden mit Hilfe eines Modulsystems festgesetzt. Die
Säulenbreiten jeder Säulenordnung wurden im Verhältnis
zu Säulenhöhe bestimmt, dementsprechend sind zum
Beispiel die Proportionen einer Säule der toskanischen
Säulenordnung ein Modul zu sieben Modulen und
einer Säule der ionischen Ordnung ein Modul zu neun
Modulen.13 Bei Anwendung mehrerer Säulenordnungen
geriet immer das stärkste nach unten, das heißt, deren
Stamm im Verhältnis zu ihrer Höhe am breitesten war.
Es lässt sich als ein einfacher konstruktiver Ansatz
verstehen, demzufolge wurde die dorische immer unter
die ionische, die ionische unter die korinthische und
die korinthische unter die Komposite Säulenordnung
gesetzt. Die horizontalen Gliederungselemente bei
den renaissansischen Gebäuden waren das Gebälk und
die Postamente, die mit den Fensterbrüstungen oder
mit den Balustraden einen horizontal durchziehenden
Streifen bildeten. Strenge mathematische Regeln
bezogen auch auf die Höhe dieser Elemente bei
jeder einzelnen Säulenordnung. Die Höhenwerte
der Gebälke sind gemäß dem Modulsystem bei der
toskanischen Ordnung zum Beispiel ein und dreiviertel
Modul und bei der ionischen Ordnung zwei und
einviertel Modul. Außer den inneren Verhältnissen
der Gliederungselemente wurde eine besondere
Aufmerksamkeit den Proportionen des zwischen
den Säulen entstandenen Feldes gewidmet. Obwohl
die Größe der Interkolumnien in jedem einzelnen
Fall in Abhängigkeit der Gesamtlänge des Bauwerks
unterschiedlich ist, doch die Säulenweiten lassen sich
mit Moduleinheiten ausdrücken. Laut der Beschreibung
von Palladio15 müssen auch die Säulenproportionen
geändert werden, wenn die Abmessungen der
Interkolumnien von der idealen Breite abweichen.
Dementsprechend muss eine breitere Säule bei einer
breiteren Säulenweite verwendet werden.
Abb. 09: Palazzo Porto, Vicenza: Fassadenstudien. Aus: Puppi,
Lionello. Andrea Palladio: Das Gesamtwerk. Auflage: Gekürzte
Studienausgabe. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1994. S. 122.
Abb. 08: Die Säulenordnungen der
Renaissance. Aus: Kotratschek,
Karl. Die Säulenordnungen der
Antike und Renaissance. Wien:
Georg Prachner, 1948. S. 50.
„Schönheit entspringt der Schönen Form und der
Entsprechung des Ganzen mit den Einzelteilen, wie
der Entsprechung der Teile untereinander und dieser
wieder zum Ganzen, so dass das Gebäude wie ein
einheitlicher und vollkommener Körper erscheint.
Entspricht doch ein Teil dem anderen, und sind noch
alle Teile unabdingbar notwendig, um das zu erreichen,
was man gewollt hat.“15
13
14
15
vgl. Kotratschek, Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance S. 19-20.
vgl. ibid. S. 40-42.
Palladio, Die Vier Bücher zur Architektur S. 20.
Die Stadtpaläste16 bestehen in den meisten Fällen aus
drei Geschossen. Das Erdgeschoss war am höchsten,
dessen meiste Räume mit gewölbter Decke ausgestaltet
wurden und von draußen mit Quadersteintextur verziert
wurde. Das erste Obergeschoss – piano nobile -, das die
aufwändigere Gestaltung erhielt, diente dem Besitzer
und seiner Familie als Residenz. Darüber befindet
sich das Mezzaningeschoss, das mit einer niedrigeren
Geschosshöhe versehen wurde und den Dienstboten
zugedacht war. Zum Vicentiner Palazzo Porto17 (um 1549)
angefertigte Palladio hatte mehrere Fassadenentwürfe.
Das Erdgeschoss des dreigeschossigen Stadtpalasts ist
bei den zwei Fassadenvarianten abgesehen von der
16
17
vgl. Günther, Was Ist Renaissance? S. 157-167.
vgl. Puppi, Andrea Palladio: Das Gesamtwerk S. 121-126.
Quadersteintextur und der Umrahmung der Öffnungen
ganz ähnlich ausgestaltet. Der Aufbau der oberen zwei
Geschosse weicht aber voneinander stark ab. Auf der
linken Seite wurde das piano nobile mit ionischen
Säulenordnungen konstruiert. Die ionischen Pilaster
stehen ohne Postament unmittelbar auf dem Gesims des
Erdgeschosses, daher geraten die Fensterbrüstungen in
das zwischen den Pilastern liegende Feld. Das Gebälk
der ionischen Ordnung trennt das Mezzaningeschoss
vom piano nobile. Das Mezzaningeschoss wird durch
Lisenen in den Achsen der ionischen Pilaster gegliedert,
was ein schmales Hauptgesims abschließt.
Auf der rechten Seite verbindet eine korinthische
Säulenordnung das piano nobile mit dem
Mezzaningeschoss. Die Lisenen der korinthischen
Ordnung stehen auf Postamenten, die mit den
Fensterbrüstungen einen horizontalen Streifen bilden.
Demgemäß reichen die korinthischen Lisenen –
einschließlich das Kapitel und die Basis – von der unteren
Ebene der Fensterreihe des ersten Obergeschosses
bis in die obere Ebene der Fensterreihe des zweiten
Obergeschosses. Das Gebälk der korinthischen Ordnung
schließt die Fassade unmittelbar über der Fensterreihe
Abb. 10: Palazzo Chiericati,
Fassade. Aus: Palladio, Andrea.
Die Vier Bücher zur Architektur.
4. überarbeitete Auflage. BaselBoston-Berlin: Birkhäuser, 1993.
S. 120.
des Mezzaningeschosses ab. Es lässt sich durch den
Vergleich der zwei Fassadengliederungen konstatieren,
dass die zwei Variationen in der Größenwahrnehmung
voneinander abweichen. In beiden Fällen prägt die
Gliederung die Säulenordnungen, daher teilt sich
die Fassade linkerseits in drei horizontale Teile und
rechterseits in zwei horizontale Teile. Im Sinne der
in dem ersten Kapitel ausgeführten Grundthese der
Größenwahrnehmung scheint die Fassade auf der
linken Seite höher als die Fassade auf der rechten Seite.
Abb. 11: Palazzo Chiericati. Aus:
Puppi, Lionello. Andrea Palladio:
Das
Gesamtwerk.
Auflage:
Gekürzte
Studienausgabe.
Stuttgart: Deutsche VerlagsAnstalt, 1994. S. 50.
Die Fassadengestaltung vom Palazzo Chiericati18
(um 1550, Vicenza) wurde durch städtebauliche
Überlegungen stark beeinflusst. Der in der ganzen
Länge des Erdgeschosses durchziehende Portikus
diente nicht nur der Repräsentation, sondern eher der
Wertsteigerung des vor dem Bauwerk stehenden Platzes.
Das Gebäude steht auf einem niedrigen Sockel, den
Palladio mit der Nähe des Flusses Bacchiglione erklärt.
Die erste Ordnung der Fassade ist eine dorische, die
zweite ist eine ionische. Die ionischen Säulen umfassen
auch in diesem Fall zwei Geschosse, die ein der Ordnung
entsprechendes dreigeteiltes Hauptgesims abschließt.
Zwischen den zwei Säulenreihen bilden das Gebälk der
18
vgl. ibid. S. 126-129.
dorischen Ordnung und das mit Balustraden verbundene
Testament der ionischen Ordnung einen markanten
horizontalen Streifen, der die Fassade in zwei Teile
teilt. Dadurch kommt hier auch die Manipulierung des
Maßstabs zur Geltung und scheint das dreigeschossige
Bauwerk wegen der Fassadengliederung niedriger.
Eine gegensätzliche Wirkung löst die volumetrische
Auskragung des mittleren Teiles aus, weil sich die Fassade
des Gebäudes mit der Erscheinung des Mittelrisalits in
drei vertikale Teile teilt. Die wahrnehmungstechnischen
Folgerungen dieser volumetrischen Gliederung liegen
darin, dass die elf Achsen lange Fassade kürzer scheint,
als deren tatsächliche Länge.
1.3. Auseinandersetzung mit dem Maßstabssprung des 19. Jahrhundertes
mit Hilfe der Chicagoer Schule
Vor dem 19. Jahrhundert gab es grundlegend die
Möglichkeit nur für horizontale Verdichtung, höhere
Bauten erschienen nur punktuell in den Stadtgeweben.
Dies hat einerseits gesellschaftliche, anderseits
bautechnische Hintergründe. Die höheren Bauten
in dem traditionellen Stadtkontext nahmen immer
eine ausgezeichnete Stelle ein, die vorwiegend
Sakralbauten, teilweise wichtigere öffentliche Gebäude
oder machtdemonstrierende profane Bauten waren.
Um diese Bauten herum wurden üblicherweise
öffentliche Plätze und Freiräume ausgestaltet, um die
stadträumliche Sonderstellung zu verstärken. Diese
zeremonielle Setzung der höheren Bauten wurde wegen
Abb. 12: Stadtplan mit dem Gebiet, das durch den Brand zerstört
wurde. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922.
München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 31.
19
vgl. Flierl, Hundert Jahre Hochhäuser S. 17-20.
der Umwandlung des Weltbildes im 19. Jahrhundert
aufgegeben. Die Bestrebung der kapitalistischen
Denkweise19 nach Profitmaximierung bringt die volle
Ausnutzung der Grundstücke mit sich, die zu einer
vertikalen Verdichtung führt. Dieser Prozess kann durch
Chicagos Beispiel vorzüglich beobachtet werden, wo
die große Feuersbrunst 1871 – demzufolge etwa 18000
Gebäude vernichtet wurden – eine hervorragende
Möglichkeit für Grundstücksspekulation bot. Neben der
Spekulation verhindert auch der rasterartige Stadtplan
von Chicago die traditionelle Setzung der höheren Bauten,
wobei an Stelle von Blickachsen und Stadtperspektiven
der allgemein geltende gleichwertige Baublock tritt.
Die grundlegende technologische Voraussetzung
des Hochhausbaus war die Erfindung des
Personenfahrstuhls. Elisha Graves Otis präsentierte
1854 bei der Ausstellung „Exhibition of the Industry
of all Nations“ im Crystal Palace in New York den
ersten Elevator mit Sicherheitsfangvorrichtung. Der
Glanzpunkt der Präsentation war, dass der Erfinder das
Seil, mit dem er die Plattform hochzog, durchschnitt und
die unsichtbaren Bremsen den Absturz des Aufzuges
verhinderten. Otis löste damit das Erschließungsproblem
der höheren Bauten.20 Die andere grundlegende
Voraussetzung der mehrstöckigen Gebäude war die
Technik der Eisenskelettkonstruktion. Die Lösungen der
Der erste amerikanische Pionier, der sich mit dem
Prinzip der Eisenskelettkonstruktion sehr intensiv
auseinandersetzte, war James Bogardus, ein Fabrikant
von Mahlmaschinen für Getreide. Er erfand eine
Bolzenverbindug, die der Träger-Stützen-Struktur
genügend Festigkeit verlieh, um auf diagonale
Versteifungsträger oder auf Mauerwerk verzichten zu
können. Er baute in den 50er Jahren zwei Schrottürme,
wobei der mehrstöckige Eisenrahmen der Türme das
ganze Gewicht des umschießenden Mauerwerks trug.
Damit wurde es möglich, die Bauten anstelle eines
schweren Mauerwerks nur mit dreißig Zentimeter
dicken Ziegelwänden zu ummanteln. Der andere Vorteil
Abb. 13: Rekonstruktion von Jenneys Konstruktionssystem für die
Außenpfeiler des Home Insurance Building. Aus: Zukowsky, John.
Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH +
Co., 2000. S. 50.
technischen Probleme des Eisenskelettbaus stammen
größtenteils aus Europa, wo gusseiserne Bedachungen
und Stützen bei Bahnhofshallen, Markthallen und
Kirchen schon vom Anfang des 19. Jahrhunderts
angewandt wurden. Bei der Ausarbeitung und
Entwicklung des Konzeptes, durch dessen Hilfe
mehrstöckige Eisenskelettbauten errichtet werden
können, spielten französische und englische Architekten
bzw. Ingenieure – wie zum Beispiel: Joseph Paxton,
Victor Baltard, Louis-Auguste Boileau oder Gustave
Eiffel – eine entscheidende Rolle, deren Ergebnisse
eine gute Aufnahme in den Vereinigten Staaten fanden.
20
vgl. Koolhaas, Delirious New York S. 26.
der Erneuerung von Bogardus war die Steigerung
der Bewegungsfreiheit des Erdgeschosses, das
ohne Tragwände eine flexiblere Nutzung bot. Nach
dem Muster der Schrottürme wurden zahlreiche
Warenhäuser, Getreidespeicher und Kaufhäuser in
den USA errichtet, obwohl die hohe Brandgefahr der
Gusseisenkonstruktionen damals noch ein ungelöstes
Problem war.
Ein
anschauliches
Beispiel
eines
solchen
Adaptationsversuchs war das Fair Store Warenhaus22
(1890) von William le Baron Jenney. Die Abstände
zwischen den vertikalen Gliederungselementen
entsprechen hier den für die Eisenkonstruktionen
charakteristischen
Intervallen.
Die
horizontale
Gliederung wird aber nach dem Muster eines
Renaissancepalastes konstruiert. Die elf Geschosse hohe
Fassade teilt sich in vier Teile, wobei der Sockel zwei
Geschosse umgreift. Darüber liegt eine drei Geschosse
umfassende Pilasterordnung, die mit Kompositkapitell
versehen ist. Danach folgt ein Rustikageschoss als die
Abschließung der Kolossalordnung. Überdies steht
nochmals eine überdimensionierte Kompositordnung,
die über fünf Geschosse bis zum Hauptgesims
streckt. Durch diese Fassadengliederung wird
es deutlich, was für Schwierigkeiten entstehen,
wenn die wohlproportionierten Ordnungen des
Abb. 14: Theophil Hansen, Palais
Todesco. Aus: Kristan, Markus. Die
Architektur der Wiener Ringstraße
1860 - 1900. Wien: Album Verlag,
2003. S. 70.
Renaissancepalazzo auf einen hohen Gebäudeblock
übertragen
werden.
Einerseits
werden
die
gewohnten Proportionen der klassischen Säulen und
Pilastern durchgebrochen, anderseits lässt sich die
Gebäudehöhe nur mit mehrmals aufeinandergesetzten
Palazzofassadenstreifen erreichen. 1953 beschrieb
Frank Lloyd Wright diese Situation folgendermaßen:
„When buildings first begann to be tall, architects were
confused – didn´t know how to make them tall. They
would put one 2 or 3 story building on top of another
until they had enough.“23 Trotz der Stilprobleme hat
die horizontale Gliederung eine starke Wirkung auf die
Größenwahrnehmung. Gemäß dem Zitat von Wright
ist die Fassadengliederung des Fair Store Warenhauses
eine fehlerhafte Auffassung einer Hochhausfassade,
aber wenn das die Absicht war, dass das Gebäude
niedriger als die tatsächliche Höhe erscheinen sollte,
dann lässt sich die Fassade positiv beurteilen.
Abschluss2
Die Anwendung von Gusseisensäulen wurde nach
der zweiten Chicagoer Feuersbrunst 1874 verboten,
was eine große Bedrohung für den Baueisenmarkt
war, deswegen fing eine intensive Entwicklung der
Feuerbeständigkeit von Eisenkonstruktionen an. Die
Lösung lieferte die mit guten Isoliereigenschaften
verfügende poröse Terrakotta Mauerverkleidung.
Die Ziegel wurden mechanisch an die Eisensäulen
befestigt, wodurch ein solcher Aufbau entstand, mit
dem die Technik der Eisengerüstbauweise problemlos
angewandt werden konnte. Ein weit bekanntes Beispiel
für „feuerfeste“ Eisensäulen war das 1884 errichtete
Home Insurance Building von William le Baron Jenney.
Da waren die geschosshohen, hohlen Gusseisensäulen
mit Beton gefüllt und bis zu dreißig Zentimeter stark
mit Ziegeln ummantelt. Jenneys Eisenskelett war aber
nicht völlig vom Mauerwerk unabhängig, weil die
Säulen das Gewicht der äußeren Ziegelverblendung
nur teilweise trugen und die Stabilität wegen der
lockeren Verbindungen ohne das Mauerwerk auch
nicht gesichert werden konnte. Trotzdem wurde das
Home Insurance Building ein ikonisches Bauwerk der
Chicagoer Schule als ein Vorläufer der Bürohochhäuser.21
Am Ende des 19. Jahrhunderts waren alle Möglichkeiten
gegeben, mehrstöckige Bauten zu errichten. Dies
stellte eine völlig neue Aufgabe für die Architekten,
für welche die Entwurfstradition keine Muster hatte.
Außer der Gebäudehöhe war problematisch, dass
alle Gebäude - unabhängig von Bautyp – die gleiche
Grundform aufnehmen musste. Diese Form war
eine dreidimensionale Fortsetzung der rechteckigen
Parzellen, mit der die höchstmögliche Bodennutzung
erreicht werden kann. Unter diesen Bedingungen
wurden die sekundären Entwurfsentscheidungen
besonders wichtig, zunächst die Fassadengliederung.
Dementsprechend besteht die in Chicago gestellte
architektonische Aufgabe darin, was für Fassade eine
überall geltende Eisenskelettkonstruktion haben sollte.
Das Eisengerippe der Hochhäuser musste wegen
der Feuerschutzvorschriften unbedingt verkleidet
werden, die Frage war also, wie das Gebäude durch
die Verkleidung in die Kommunikationssphäre der
städtischen Architektur eingefügt werden kann. Die
Entwicklung begann mit der Anwendung der für das 19.
Jahrhundert charakteristischen traditionellen Stilmittel.
Diese Anstrebung lässt sich aber selbstverständlich
betrachten, weil das Historismus derzeit die herrschende
Stilrichtung in Europa war. Ein treffendes Beispiel der
Fassadengestaltung dieser Epoche ist die Ausprägung
der Bauten der Wiener Ringstraße, die den Charakter
der Innenstadt auch noch heute prägt. Die traditionellen
Stilmittel wurden aber nicht für die neue Struktur
des Hochhauses geschaffen, daher war es zunächst
erforderlich die alten Stilmittel umzuinterpretieren.
Schaft2
Abschluss1,Sockel2
Schaft1
Sockel1
22
21
vgl. Zukowsky, Chicago Architektur 1872 - 1922 S. 39-54.
23
vgl. ibid. S. 69-70.
Ibid. S. 74.
Abb. 15: William Le Baron Jenney,
Fair Store. Aus: Zukowsky, John.
Chicago Architektur 1872 - 1922.
München: Prestel Verlag GmbH +
Co., 2000. S. 59.
Abschluss
Abb. 16: Adler and Sullivan,
Wainwright
Building.
Aus:
Zukowsky,
John.
Chicago
Architektur
1872
1922.
München: Prestel Verlag GmbH +
Co., 2000. S. 72.
Schaft
1.4. Modernistische Auffassungen über die Fassadengliederung in Anlehnung an
Mies van der Rohe und Auguste Perret
Nach der Emigration in die USA realisierte Mies
zahlreiche vertikal verdichtete Wohnbauprojekte und
Bürohäuser in seinem einfachen logischen Stil, der
eine Offenheit für die Nutzung industrieller Techniken
besitzt. Sein verglastes Stahlskelett bot ein neues
Grundmuster der Hochhausgestaltung, was das
Chicagoer Entwurfsproblem endgültig verlöschte. Mies
setzte konsequent bei seinen Bauten die Grundthesen
der Moderne um. Die erhobene Baumasse über den
Boden verkörpert sich bei ihm in den Arkaden, die
seine Hochhäuser üblicherweise auf allen vier Seiten
umgeben. Das Konzept des freien Grundrisses sicherte er
mit dem Stützenraster und die größtmögliche Offenheit
der Fassade bot damals die Curtain-Wall Konstruktion.
Darüber hinaus dominiert bei der Gliederung jeglicher
Bauelemente ein orthogonales Grundraster – von den
Bodenplattenteilungen bis zum Fassadenraster.26 Mies
Sockel
Im Formfindungsprozess für die Fassadengestalt des
Hochhauses lieferte Louis Sullivan einen völlig neuen
Interpretationsrahmen mit dem Wainwright Building
(1890, St. Louis). Obwohl er auch mit den klassischen
Stilmitteln arbeitete, ignorierte er aber schon die
Anwendung der klassischen Proportionen bei der
Fassadengestaltung. Statt Übereinanderstapeln der
Säulenordnungen ziehen sich seine Backsteinpilaster
vom Sockel bis zum Kranzgesims. Dadurch gliedert sich
das Gebäude in drei gut abgrenzbare Teile: in einen
zweigeschossigen Sockel, in einen siebengeschossigen
Schaft und in ein mit reicher Ornamentik versehenes
Mezzaningeschoss.
Die
andere
maßgebende
Entwurfsentscheidung war bei dem Wainwright
Building, dass die Fassadengestaltungselemente
nicht mehr den breiten Intervallen der inneren
24
25
Ibid. S. 19-20.
vgl. ibid. S. 74-75.
Eisenkonstruktion angepasst wurden, sondern
formalistische vertikale Gliederungselemente wurden
noch zwischen den echten Stützen eingefügt. Diese
Geste betont die Vertikalität der Fassade, die auch noch
mit den zurückgesetzten Fensterbrüstungen verstärkt
wurde. Dieser Typ von Fassadengestaltung beschreibt
Sullivan in seiner Veröffentlichung „The Tall Office
Building Artistically Concidered“ folgenderweise: „…
dass man Wolkenkratzer, da sie im Wesen vertikal sind,
nach dem Vorbild der Säule konzipieren sollte: mit
deutlich ausgeprägter Basis, durchgehendem Schaft
und einem abschließenden Kapitell.“24 Auf Grund dieser
Auffassung lässt sich konstatieren, dass das Gebäude
durch diese Fassadengliederung dem entwerferischen
Ansatz entsprechend höher als dessen tatsächliche
Höhe zur Erscheinung kommt.25
Lake Shore Drive Apartments,
Construction photograph. Aus:
Carter, Peter. Auflage: Revised.
London: Phaidon Press, 1999.
Auflage:
Revised.
London:
Phaidon Press, 1999. S. 39.
26
27
vgl. Frampton, Die Architektur der Moderne S. 198-203.
Ibid. S. 199.
leitete seine modernistische Formensprache nie aus
Funktionalismus ab, sondern aus seiner einzigartigen
Annäherungsweise zu der technischen Entwicklung:
„Die Technik wurzelt in der Vergangenheit. Sie
beherrscht die Gegenwart und reicht hinein in die
Zukunft. Sie ist eine echte historische Bewegung – eine
der großen Bewegungen, die ihre Epoche formen und
repräsentieren. Sie kann nur mit der Entdeckung der
Persönlichkeit durch die Griechen, mit dem römischen
Willen zur Macht und der religiösen Bewegung des
Mittelalters verglichen werden. Die Technik ist weit
mehr als eine Methode, sie ist eine Welt für sich. Als
Methode ist sie in beinahe jeder Hinsicht überlegen.
Aber dort, wo sie ganz sich selbst überlassen bleibt, wie
etwa in den gigantischen Bauten der Ingenieure, dort
enthüllt die Technik ihre wahre Natur…“27
Lake Shore Drive Apartments, Fassadenschnitt. Aus: Carter, Peter.
Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. Auflage: Revised.
London: Phaidon Press, 1999. S. 46.
Die Konstruktionen von Mies bestehen aus mit
Beton ummantelten I-Stahlstützen, deren Intervalle
die sichtbaren I-Träger der Vorhangfassade noch
in weitere Teile verteilen. Obwohl die traditionelle
hierarchische Gliederung - in Sockel, Schaft und
Abschluss - bei seinen meisten Bauten verfolgt werden
kann, sind alle Geschosse grundsätzlich gleichermaßen
gestaltet. Die Maßstabsmanipulation durch die
Fassadengliederung war bei Mies kein Thema, dessen
wahrnehmungstheoretische Folgerung darin liegt,
dass die Fassadenstruktur wegen der zahlreichen
ähnlichen nebeneinander liegenden Elemente als eine
Textur wahrgenommen wird. Wie es schon im ersten
Kapitel eingeführt wurde, kommt in diesem Fall eine
umgekehrte Wirkung auf die Größenwahrnehmung
zur Geltung und das Gebäude wird als ungegliedert
wahrgenommen. Diese extreme Vielzahl gleicher
Elemente ist aber schwer erfassbar und erscheinen
bezugslos, was zur Maßstabslosigkeit beitragen kann.28
Colonnade Apartments, Fassade. Aus: Carter, Peter. Auflage:
Revised. London: Phaidon Press, 1999. Auflage: Revised. London:
Phaidon Press, 1999. S. 56.
Le Havre. Aus: Cohen, Jean-Louis. Encyclopédie Perret. Paris: Le
Moniteur, 2002. S. 233.
Auguste Perret war ein starker Kritiker der
modernistischen
Fassadengestaltung,
wessen
Architekturauffassung mit den Dogmen der Moderne
unvereinbar war. Er war zwar Rationalist, aber in seinen
Arbeiten spiegeln sich die klassischen Kompositionen
immer
wieder
zurück,
deren
harmonische
Proportionierung
mit
den
modernistischen
Auffassungen natürlich nicht vereinbar ist. Dieser
Konflikt zeigt sich zum Beispiel auch in seiner Reaktion
auf das Konzept von Le Corbusier über die horizontal
verlaufenden Fensterbänder der neuen Architektur:
„…Angesichts dieser praktischen Nachteile könne
das Langfenster höchstens als ästhetischer Effekt
für das Gebäudeäußere bezeichnet werden. Doch
auch als solcher sei es abzulehnen, denn in seiner
Horizontalität symbolisiere das Bandfenster den Tod,
während es die eigentliche Aufgabe der Maueröffnung
sei, in der Hochrechteckigkeit das lebensvolle
Aufrechtstehen des Menschen auszudrücken.“29
Neben diesem symbolischen Argument lässt sich
aus seiner Fassadengestaltung ablesen, dass er die
Fenster als eigenständige Gliederungselemente
betrachtet, welche Sichtweise dem funktionalistischen
Konzept der Horizontalfenster gegenübersteht.
29
28
vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 118-120.
30
Freigang, Auguste Perret S. 290.
vgl. ibid. S. 14-19.
Die meisten seiner Fassaden sind geometrisch klar
proportionierte Rechteckkompositionen, die mit
Pilastern, auskragenden Decken oder Fensterrahmen
gegliedert sind. Diese Gliederungselemente ordnen
sich reliefartig in hierarchisch differenzierten Schichten.
Die Fassadengestaltung eines Wohnhochhauses des
Projektes Le Havre (1945-54) ist ein ausdrucksvolles
Beispiel seiner Konstruktionsweise. Die Wände
der zwölfgeschossigen Fassade bilden die erste
Reliefschicht, aus dieser Ebene springen die rechteckigen
Fensterrahmen hervor. Die Öffnungsproportionen der
unteren zwei Geschosse weichen von den anderen ab,
wodurch eine klar abgrenzbare Sockelzone entsteht.
Die Auskragungen der zweiten, fünften und achten
Decken, die zugleich als Balken funktionieren bilden
die dritte Schicht der Fassade. Die Abstände zwischen
diesen Decken stehen miteinander in ganzzahligen
Verhältnissen (Abb. 21). Von oben nach unten gelesen:
3:2:2:1, deren Summe 8 ergibt. Aus dieser Zahlenreihe
lassen sich mehrere abstrakte mathematische
Proportionen ablesen. Die Höhe des obersten Balkons
verhält sich zum Beispiel zu Gesamthöhe wie 5:8,
welches Verhältnis dem Teilungsverhältnis des goldenen
Schnittes entspricht.30
Obwohl ich keine abstrakten mathematischen
Proportionen in meinem Projekt angewandt habe,
war für mich die Fassadenproportionierung durch
die Deckenauskragungen vorbildlich, demzufolge
erscheint das Wohnhochhaus von Perret niedriger
als ohne diese Gliederungsschicht. Im Projekt Le
Havre sind die Bauten außer den punktuell gesetzten
Hochhäusern durchschnittlich sechs Geschosse hoch.
Bei den Fassaden dieser Bauten sind vorwiegend
alle Decken sichtbar, aber bei den Hochhäusern –
wie es dieses Beispiel zeigt – kommen die Decken
nur teilweise zur Erscheinung, um die Gebäudehöhe
wahrnehmungstechnisch zu mindern. Diese Geste
bringt die zwei unterschiedlichen Maßstäblichkeiten
zueinander näher. In Analogie zu Le Havre wurde in
meinem Projekt die Fassade des Hochhauses durch
die außen liegende Tragkonstruktion solcherweise
konstruiert, dass die Fassadengliederung den Maßstab
des Hochhauses zu Maßstab der Umgebung näher
bringt.
Bibliographie
3
5
2
2
3
Boudon, Philippe. Der Architektonische Raum. Über Das Verhältnis
von Bauen Und Erkennen. Basel:
Birkhäuser, 1991.
Jormakka, Kari. Geschichte der Architekturtheorie. 3. Auflage.
Wien: edition selene, 2007.
Brinckmann, Albert Erich. Stadtbaukunst. Vom Mittelalter bis zur
Neuzeit. Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1925.
Koolhaas, Rem. Delirious New York: Ein retroaktives Manifest für
Manhattan. Auflage: 4., Aufl. Aachen: Arch+, 2006.
Carter, Peter. Mies Van Der Rohe At Work. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999.
Cságoly, Ferenc. Három Könyv Az Építészetről. Szépség. Budapest:
Akadémiai Kiadó, 2013.
1
8
Flierl, Bruno. Hundert Jahre Hochhäuser. Berlin: Verlag Bauwesen,
2000.
Frampton, Kenneth. Die Architektur der Moderne: Eine kritische
Baugeschichte. 5. Auflage. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt DVA,
1995.
Freigang, Christian. Auguste Perret. Auflage: 1., Aufl. München:
Deutscher Kunstverlag, 2003.
Le Havre. Aus: Cohen, Jean-Louis.
Encyclopédie Perret. Paris: Le
Moniteur, 2002. S. 234.
Günther, Hubertus. Was Ist Renaissance? Eine Charakteristik Der
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Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948.
Palladio, Andrea. Die Vier Bücher zur Architektur. 4. überarbeitete
Auflage. Basel-Boston-Berlin: Birkhäuser, 1993.
Puppi, Lionello. Andrea Palladio: Das Gesamtwerk. Auflage:
Gekürzte Studienausgabe. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1994.
Voßkötter, Silke. Maßstäbe der Architektur. Eine Untersuchung zur
Größenwahrnehmung und Größenbewertung von Gebäuden. Auflage: 1., Aufl. Marburg: Tectum, 2010.
Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000.
2. Projektbeschreibung und Pläne
Maßstabssprung am Schwedenplatz
Ludwig Tischler, Herminenhof (1887-1890)
ansichtskarten-lexikon.de/ak-26464.html
.
Aus:
http://
2.1. Ort, Geschichte
Die drei wichtigsten Einflussfaktoren der Entstehung
des Areals Schweden- und Morzinplatz sind die
Donauregulierung, die Errichtung der Ringstraße und
die Schäden des zweiten Weltkrieges. Wien lag über
Jahrtausende nur rechtsufrig an der Donau, erst nach
der Regulierung im 19. Jahrhundert konnte das Gelände
am linken Ufer besiedelt werden. Vor der Regulierung
war die Donau in zahlreiche Verzweigungen aufgeteilt,
unter denen der Donaukanal den am weitesten südlich
gelegenen Seitenarm ausmachte. Im Mittelalter war
der Lauf des heutigen Donaukanals der Hauptarm der
Donau, der Hauptstrom verlagerte sich aber immer
wieder in nördliche Richtung. Erst im Jahre 1866 wurde
über die Aufräumung der Hochwassergelände wegen
der ständigen Schäden beschlossen. Demzufolge
wurde zwischen 1870-75 ein neues Strombett für
den Hauptarm vom Kaiserwasser bis zum Florisdorfer
Arm ausgegraben. Im Zuge der Bauarbeiten wurde
der Donaukanal nochmals ausgebaut, wodurch der
Lauf des heutigen Donaukanals entstand, der unser
Areal aus nördlicher Richtung flankiert. Noch vor der
Donauregulierung wurde über ein anderes großzügiges
städtebauliches Projekt entschieden – nämlich die
Errichtung der Ringstraße. Die Stadtmauer und die
davor befindliche Glacisstreifen wurden wegen des
schnellen Wachstums der Stadt für unnötig und
zwecklos gehalten, daher wurde 1858 ein Wettbewerb
für Ideen zur Gestaltung der nach dem Abriss der
Wehranlagen frei werdenden Flächen angekündigt.
Die Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs
beinhaltete anstelle der Schutzmauer eine prächtige
Straße mit repräsentativem Charakter zu entwerfen.
Das Siegerprojekt stammt von den Architekten Ludwig
Förster, August Siccard von Siccardsburg und Eduard
van der Nüll. Im Projekt wurden neben Parkanlagen
und öffentlichen Gebäuden großzügige Bauflächen
für Privatbauten vorgesehen. Mit der Umsetzung
des Grundplans in den folgenden Jahrzehnten
gewannen die Ringstraße und der Franz-Josef-Kai ihr
charakteristisches historistisches Erscheinungsbild. Die
meisten repräsentativen Bauten des Kais wurden aber
in der Schlacht um Wien 1945 zerstört, die größtenteils
durch 5- bis 6-stöckige Gründerzeitbauten ersetzt
wurden.
Generalstadtplan 1912. Aus: http://www.wien.gv.at/kulturportal/
public/
In der näheren Umgebung wurden die im typischen
Ringstraßenstil errichteten Bauten zwischen Schwedenund Morzinplatz nie wieder aufgebaut. Die zwei Bauten
- die damals den Schwedenplatz von Morzinplatz
trennten – waren die größten Wohnhäuser in Wien.
Der Herminenhof von Ludwig Tischler (1887-1890)
war ein freistehender 110 Meter langer Wohnhof,
der unterschiedlichen Eigentümern gehörte aber vom
selben Architekten geplant wurde, um die einheitliche
Gesamterscheinung zu sichern. Der benachbarte
Rotenturmhof von Karl König (1890) war ein ähnlich
riesiges Wohn- und Geschäftshaus, der von der
Rotenturmstraße bis zum Schwedenplatz reichte.
Der Ausfall dieser zwei Bauten bildet heute ein Loch
in dem Stadtgewebe, was zahlreiche städtebauliche
Probleme hervorbringt. Die Grenzen des Areals bilden
zwei Nachkriegszeitbauten - der Leopold-Fliegl-Hof
und der Wohnhof in Franz-Josef-Kai 11. Beide Gebäude
sind Blockrandbebauungen mit 50 Meter hohen
Ecktürmen, die vom selben Architekten Vytiska Josef
geplant wurden. Der Leopold-Fliegl-Hof wurde auf dem
Grundstück des ehemaligen Hotel Mertopols erbaut,
das bis 1938 als ein Luxushotel betrieben wurde, aber
nach dem „Anschluss Österreichs“ wurde das Gebäude
als Gestapo-Hauptquartier, das wichtigste Instrument
des NS-Terrors in Österreich. Das von Ludwig Tischler
und Carl Schumann geplante Hotel wurde 1945 stark
beschädigt und nach 1948 abgerissen, aber vor dem
Gebäude befindet sich ein Mahnmal zur Erinnerung an
die Opfer des Nationalsozialismus.
Der Wiener Stadtplan von 1858 verdeutlicht die Lage der
Stadtmauern. Aus: http://www.wien.gv.at/kultur/archiv/geschichte/
ueberblick/index.html
31
vgl. “https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/donauraum/geschichte.html”
28
vgl. “https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/schwedenplatz/pdf/tor-zur-stadt.pdf”
2.2. Volumen, Städtebauliche Setzung
Das Areal Schweden- und Morzinplatz ist ein besonderer
Treffpunkt verschiedener architektonischen Gesten aus
verschiedenen Epochen. Die rechte Seite des Donaukanals
prägen die für die innerstädtische Blockrandbebauung
charakteristischen historischen Bauten. Die an den
zwei Ecken des Areals stehenden Nachkriegszeitbauten
– der Leopold-Fliegl-Hof und der Wohnhof in FranzJosef-Kai 11 – vertreten schon einen ganz anderen
Maßstab und auf der anderen Seite des Donaukanals
dominieren die Hochhäuser des 21. Jahrhunderts. Bei
diesem Schnittpunkt der Stadt wurde ein aus zwei
Gebäuden stehendes Ensemble vorgeschlagen. Das
eine ist ein signifikantes Hochhaus, das auf die zwei
Eckbauten und auf die Hochhäuser der Leopoldstadt
reagiert, um das Konzept eines flussübergreifenden
Projekts zu entwickeln, wodurch das Erscheinungsbild
des Donauufers durch punktuell gesetzte Turmhäuser
geprägt wird. Das andere ist ein niedriges langes
Volumen, das das Hochhaus in den Maßstab des
ersten Bezirks einbettet. Das Gebäudeensemble ist
nahe parallel mit der Uferkante, damit das Hochhaus
aus beiden Richtungen des Donauufers unter einem
entsprechenden Blickwinkel sichtbar wird. Der Vorplatz
zwischen der Rotenturmstraße und dem Hochhaus
bildet mit dem Schwedenplatz eine Einheit, quasi dessen
Erweiterung. Der längliche Platz zwischen der anderen
Seite des Hochhauses und dem Leopold-Fliegl-Hof wird
als Marktplatz vorgesehen. Die Arkaden der Markthalle
und des Hochhauses flankieren den Marktplatz aus
zwei Richtungen, um entsprechende Zwischenräume
zwischen den Eingängen und dem Platz zu sichern.
Skizze 2. Bezirk
Hochhäuser entlang des Donaukanals
Skizze 1. Bezirk
Blick von der Aspernbrücke
0
100
200
Schwarzplan
Lois Welzenbacher
Wettbewerb Donaukanal 1946
Ringturm von der Rossauer Brücke
Blick vom Schützenhaus
Städtebauliche Entwicklung Lagepläne
Städtebauliche Entwicklung Modellfotos
0
20
40
Lageplan
Steinpflaster
Ziegelfassade
Modellfoto Morzinplatz
Kopfsteinpflaster
0
20
40
Tiefgarage Morzinplatz Schnitt
Umgebungsmodell
Tiefgarage Morzinplatz Grundriss
Fassadencollage
Mündung Rabensteig
2.3. Struktur, Erschließung
Das Gebäude besteht aus neunzehn Stockwerken,
woraus drei eine mit einer anderen Fassadengestaltung
versehene Sockelzone bilden. Sie sind mit einer
dreistöckigen Arkade und mit einem ebenso hohen
zentralen Empfangsraum verbunden. Auf dem
Erdgeschoss befindet sich neben den Erschließungsund Bedienungsräumen ein Café auf der Seite des
Schwedenplatzes, auf den zwei Mezzaningeschossen
sind Büros vorgesehen. Über der Sockelzone sind
die zwei Regelgeschosse siebenmal übereinander
gestapelt, die paarweise mit einem zentralen Raum
verbunden sind. Dieser Raum nimmt in der Struktur
eine entscheidende Rolle ein, weil der Kern wegen
dieser leeren Mitte in zwei Teile geteilt wurde, was das
Erschließungssystem des Hochhauses prägt. Außerdem
bietet der Zentralraum eine große Flexibilität in der
Nutzung, wobei die Möglichkeit besteht, die zwei
Regelgeschosse als eine Einheit aber auch voneinander
unabhängig zu behandeln. Das 17. Obergeschoss ist für
ein zweistöckiges Restaurant vorgesehen, wobei die
Küche mittig zwischen den Kernen liegt, die von dem
mit Loggien flankierenden Gästebereich umgeben ist.
0
10
20
Schnitt durch die Erschließungskerne
Bei dem Courthouse in Chicago wurden die Kerne in zwei
Teile verteilt, um die zweistöckigen Gerichtsräume in die
Struktur zu integrieren. Diese doppelgeschossige Mitte
und die Erschließungskerne sind von eingeschossigen
Büroräumen umgeben. Dieses Geschossigkeitssystem
wurde in meine Hochhausstruktur adaptiert.
3. Obergeschoss
regelgeschoss 2 1:400
U. S. Courthouse and Federal Office Building. Aus: Carter, Peter. Mies
Van Der Rohe At Work.
4. Obergeschoss
0
10
20
Raummodell
Die Gestaltung des Zentralraumes prägt die Gliederung
der sichtbaren Stützen und Träger. Die Seitenlängen des
Raumes stehen miteinander im Verhältnis 1:3, was ihm
eine Dynamik verleiht. Er wird durch die Büroräume
aus der Richtung der zwei kürzeren Seiten belichtet.
Auf der einen Seite des Raumes ist eine innere Arkade
vorgesehen, um eine entsprechende Empfangssituation
zu bieten, zugleich die Plastizität des Zentralraumes zu
stärken.
0
10
20
Schnitt
1. Obergeschoss
Erdgeschoss, Seagram Buliding. Aus: Carter, Peter. Mies Van Der
Rohe At Work.
Erdgeschoss
0
10
20
Die Erdgeschosszone des Seagram Buildings gliedert
sich in miteinander parallele Abschnitte. Vom Vorplatz
kommt man durch die Arkade in den Empfangsraum.
In der Mitte liegt der Kern, dem ein Durchgang mit
Nebeneingängen und schließlich der hintere Trakt
folgen. Diese klare Gliederung wurde auf meinen
Erdgeschossgrundriss übertragen.
Die Markthalle ist eine Legierung des traditionellen
zentralräumigen Bautyps und des Kaufhauses. Die
Decke über dem zweiten Stock teilt das viergeschossige
Gebäude in zwei Teile auf. Die unteren zwei Geschosse
sind für die Händler vorgesehen, auf den oberen
zwei Geschossen werden Geschäfte und Restaurants
angelegt. Die gesamte Konstruktion, die Fassade und
die Raumgestaltung wurden nach der Struktur des
Hochhauses adaptiert.
Stuttgart, Markthalle am Dorotheenplatz Aus: Hamm, Manfred:
Markthallen.
Markthalle Erdgeschoss
Frankfurt am Mein, Kleinmarkthalle. Aus: Hamm, Manfred:
Markthallen. S. 129.
0
10
20
vorgefertigter Beton
Kunstharz Bodenbelag
natureloxiertes Aluminium
Markthalle Interieur
Markthalle 3. Obergeschoss
0
10
20
Markthalle Schnitt
0
10
20
2.4. Konstruktion, Fassade
Die Tragstruktur des Gebäudes ist ein Stützen-TrägerSystem aus vorgefertigten Betonelementen. Es wird
jeweils ein zweigeschossiges Gerüst aus vorgefertigten
Elementen aufgebaut und die Decken werden
nachträglich gegossen. Bei den ohne Auskragungen
gestalteten Deckenebenen liegen die Träger senkrecht
zur Fassade, daher ist die Tragrichtung der Decken in
diesen Ebenen parallel mit der Fassade. Bei den mit
Auskragungen gestalteten Deckenebenen sind die
Tragrichtungen umgekehrt: die Träger sind parallel mit
der Fassade und die Decken tragen senkrecht dazu. Die
draußen liegende Tragkonstruktion hat eine doppelte
Rolle in der Struktur. Einerseits verleiht sie der Fassade
eine deutliche Plastizität, anderseits bietet sie die
Möglichkeit die Fassadengliederung zu manipulieren. Die
0
vertikale Gliederung der außen liegenden Konstruktion
folgt dem inneren Stützenraster, dementsprechend
weist einen Rhythmus von a,b,a,b,a auf der einen und
a,b,b,b,a auf der anderen Seite der Fassade auf. Die
horizontale Gliederung wurde gemäß dem Konzept der
Maßstabsmanipulation konstruiert. Nur jede zweite
Decke ist bei dem oberen Teil der Fassade sichtbar, was
die Gebäudehöhe wahrnehmungstechnisch mindert.
Diese Geste bringt den Maßstab des Hochhauses zu
Maßstab der Umgebung zueinander näher. Außerdem
weicht die Gestaltung des Sockels, des Schaftes und des
Abschlusses voneinander ab, was dem Gebäude eine
klare hierarchische Gliederung verleiht, die schon auf
dem ersten Blick die Wahrnehmung systematisiert.
Fassadenschnitt mit Ansicht
Regelgeschoss
Auguste Perret, Le Havre. Aus: http://thefunambulist.
net/2010/12/18/photography-visiting-concrete-le-havre-augusteperret-oscar-niemeyer/
0,50
1,50
Adler and Sullivan, Wainwright Building. Aus: Zukowsky, John.
Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH +
Co., 2000. S. 65.
Stützen-Träger System
Für die Bauweise der Chicagoer Schule war
charakteristisch, dass die aus Stahl gefertigte StützenTräger-Konstruktion vorher aufgebaut und mit den
anderen Bauteilen das Stahlgerüst nachträglich
verkleidet wurde. Gemäß dieser Logik wurde in meinem
Projekt das zweistöckige Stützen-Träger-System
entwickelt.
vorgefertigter Anteil der Konstruktion
Schnittperspektive
Casa del Fascio, Giuseppe Terragni. Aus: http://azukarillo.wordpress.
com/2012/02/23/casa-del-fascio-giusseppe-terragni-como/
Hochhauskern
Die Auffassung, dass die Tragkonstruktion nicht nur
tragen, sondern sie zugleich gliedern und schmücken
kann – wie es bei dem Interieur von Terragni deutlich
zur Erscheinung kommt – war für mich bei der
Innenraumgestaltung vorbildlich. Die Struktur des
zweigeschossigen Empfangsraums, die die innere
Atmosphäre des entworfenen Hochhauses prägt, wurde
in diesem Sinne konstruiert.
0
3,00
6,00
0
17. Obergeschoss
Fassadenschnitt mit Ansicht
Restaurantgeschoss
0
10
20
0,50
1,50
Ansicht vom Franz-Josefs-Kai
0
10
20
Interieur Restaurant
Ausblick über Wien
0
0,50
1,50
Fassade Rotenturmstraße
Fassadenschnitt mit Ansicht
Sockelgeschosse
0
10
20
2.5. Materialität, Atmosphäre
Die sichtbaren vorgefertigten Betonelemente geben
zugleich für die äußere und die innere Gestaltung
einen umfassenden Rahmen. Die hinter der äußeren
Tragstruktur zurückgesetzte Fassade ist eine vertikal
strukturierte Aluminiumfassade. Die gesamte Fassade
wird in zweigeschossigen Elementen vorfabriziert,
wobei dem Gebäuderaster die Elementbreite
angepasst wurde. Ein außen liegender textiler
Sonnenschutz verhindert eine zu starke Erwärmung
des Gebäudes und dient gleichzeitig als Blendschutz.
Das Material des Netzgewebes erlaubt auch im
geschlossenen Zustand den Blick nach draußen. Die
abgehängten Metallrasterdecken der Büroräume
sind aus natureloxiertem Aluminium. Die Gliederung
der abgehängten Decke ist der Elementbreite der
Vorhangfassade angepasst. Die Grundbeleuchtung ist
in die Metallrasterdecken integriert, die ebenso die
Aluminiumprofile der abgehängten Decke tragen. Die
Trennwände der Büroräume sind aus weiß geputzten
Gipskartonplatten, wodurch die Möglichkeit für eine
flexible Umgestaltung besteht. Die Wände zwischen den
Gängen und Büros sind aus Glas, damit der Zentralraum
aber auch die Gänge durch die Büros belichtet werden
können. Der Bodenbelag wird sowohl in den Büros, als
auch im zentralen Raum aus grauem Kunstharz verlegt.
Seagram Buliding Interior. Aus:
http://galleryhip.com/seagrambuilding-interior.html
Büroraum
Axonometrie mittlere Stütze
Zentralraum Hochhaus
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