DIPLOMARBEIT Maßstabssprung am Schwedenplatz ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades eines Diplom-Ingenieurs unter Leitung Univ.Prof. Dr.sc.techn. Thomas Hasler Univ.Ass. Dipl.-Arch. Ivica Brnic Institut für Architektur und Entwerfen Hochbau und Entwerfen 253-4 eingerichtet an der Technischen Universität Wien Fakultät für Architektur und Raumplanung von Laszlo Zimmermann Matrikelnummer 1026688 Wien, am 03.10.2014 Abstract Das Forschungsgebiet dieser Diplomarbeit ist das Areal Morzin- und Schwedenplatz. Die Besonderheit des Areals besteht darin, dass Bauwerke aus verschiedenen Epochen wegen ihrer unterschiedlichen Maßstäblichkeit miteinander in Konflikt geraten. Die Wasserkante des ersten Bezirks wurde in dem zweiten Weltkrieg beschädigt und gewisse Bauten wurden nie wieder aufgebaut. Auf der anderen Seite des Donaukanals prägen aber die neuen spektakulären Hochhäuser die Uferzone. Dadurch gerät die für das 21. Jahrhundert charakteristische Gebäudegröße mit der kleinmaßstäblichen historischen Größe in unmittelbare Nähe. Dieser Maßstabsprung führt zu zahlreichen städtebaulichen Problemen. In meinem Projekt wurde danach gestrebt, dass das entworfene Gebäudeensemble eine Vermittlungsrolle zwischen diesen zwei Maßstäblichkeiten aufnehmen sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein flussübergreifendes Projekt entworfen, das die punktuelle Erscheinung der Hochhäuser neben dem Donaukanal verstärkt. Die Fassadengliederung des entworfenen Hochhauses wurde aber auf solche Weise konstruiert, dass sie den Maßstab des Hochhauses zu Maßstab der Umgebung näher bringt. Im ersten Teil der Arbeit „Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung“ werden die Zusammenhänge zwischen der Fassadengliederung und Größenwahrnehmung des Gebäudevolumens erläutert. Im zweiten Teil „Maßstabssprung am Schwedenplatz“ werden die Entwurfsentscheidungen der Projektentwicklung entfaltet. Abstract in Englisch The research topic of the thesis is the Morzin- and Schwedenplatz. The characteristic of this location is that the buildings originating from different ages get in conflict with each other due to their scale. The band on the Danube riverside in the first district got damaged during the Second World War and some of the buildings were never rebuilt. On the other side of the Donaukanal however the new spectacular high-rise buildings define the shoreline. Thus the building size characteristic to the 21st century gets into immediate proximity with the small-scale historical building size. This jump in scale leads to various urban architectural problems. In my project it was the intention that the designed building takes an intermediary role between the two scales. To achieve this goal the designed project embraces the river in a way that it strengthens the spot-like appearance of the high-rise buildings next to the Donaukanal. However, the facade segmentation was designed to bring closer the scale of the planned high-rise building to the scale of the environment. In the first part of the thesis „scaling-manipulation by facade-segmentation“ the correlations between the facade-segmentation and the size of the building-mass will be covered. In the second part „scaling-change on Schwedenplatz“ the design decisions of the project’s development will be discussed. Inhaltsverzeichnis Abstract 1. Theoretische Studie Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung 1.1. Vom Maßstab bis zur Fassadengliederung 1.2. Anwendung der klassischen Gliederungselemente durch das Beispiel von Andrea Palladio und der renaissancischen Architektur 1.3. Auseinandersetzung mit dem Maßstabssprung des 19. Jahrhundertes mit Hilfe der Chicagoer Schule 1.4. Modernistische Auffassungen über die Fassadengliederung in Anlehnung an Mies van der Rohe und Auguste Perret Bibliographie 2. Projektbeschreibung und Pläne Maßstabssprung am Schwedenplatz 2.1. Ort, Geschichte 2.2. Volumen, Städtebauliche Setzung 2.3. Struktur, Erschließung 2.4. Konstruktion, Fassade 2.5. Materialität, Atmosphäre 1. Theoretische Studie Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung Victor Vasarely, Op Art Täuschung. Aus: http://jessiethatcher.tumblr. com/post/2364020482/victor-vasarely 1.1. Vom Maßstab bis zur Fassadengliederung Im allgemeinen Sprachgebrauch lassen sich drei Bedeutungen1 des Begriffs Maßstab unterscheiden. Die erste ist die vorbildhafte Norm, die der Beurteilung jemandes Handeln oder Leistung dient. Diese Normen werden durch moralische, religiöse oder soziale Grundlagen bestimmt, deren Einhaltung die jeweilige Gemeinschaft oder Gesellschaft von den Mitgliedern erwartet. Die zweite Bedeutung des Wortes ist das Verhältnis zwischen nachgebildeten Größen und entsprechenden Größen in der Wirklichkeit. Dieser Maßstab wird üblicherweise bei geographischen oder architektonischen Plänen als 1: Maßstabszahl angegeben und ermittelt die tatsächlichen Größen der gezeichneten Größen. Die dritte Bedeutung ist das Messgerät, das der Bestimmung unbekannter Längen dient. Die erste Bedeutung vermittelt also ideelle Werte, die anderen zwei sind wertneutrale Hilfsmittel der Bestimmung einer Größe. Diese Zweideutigkeit folgt aus der Herkunft2 des Wortes. In der Antike war die Suche nach einem idealen Maß „Mittelmaß“ für die harmonische Weltauffassung charakteristisch. Das Mittelmaß war nicht nur ein ästhetisches Ideal für die Gestaltung der Bauwerke, sondern diente als ein ethisches Muster für die Gesellschaft aufgrund dessen man ein maßvolles Leben führen kann. Im Mittelalter war das Wort Maß auch nicht wertneutral, wobei der Mensch als ideales Maß unmittelbar aus der Schöpfungsgeschichte abgeleitet wurde. Die Anwendung der menschlichen Maßverhältnisse bei Bauwerken lässt sich daher als die Folgerung des göttlichen Weltbildes interpretieren. Obwohl die zwei Bedeutungen trennten sich durch den Wandel des Weltbildes voneinander ab, die Interesse an dem menschlichen Maß/Maßstab ist immer geblieben. Im 19. Jahrhundert argumentiert Viollet-le-Duc neben dem menschlichen Maßstab nicht mehr auf Grund religiöser Überlegungen, sondern mit der Wichtigkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz. Er plädiert, dass der verständliche und annehmbare Maßstab ist das, was man mit den eigenen Körpermaßen vergleichen kann. Abb. 01: Le Corbusier, Modulor. Aus: http://wharferj.wordpress. com/2010/12/12/le-corbusiers-modulor-man/ 1 2 vgl. “http://www.duden.de/rechtschreibung/Maszstab.” vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 15-24. „Warum nur entsprechen diese Gebäude nicht unserem eigenen Maßstab, nicht unseren Bedürfnissen und unseren Gewohnheiten? So sei es würdevoller, sagt man. Aber die Fassade von Notre-Dame ist würdevoll genug, obwohl sie sich mit unserem unwürdigen menschlichen Maßstab begnügt; sie ist groß, sie erscheint groß, und doch bleiben die Häuser in ihrer Umgebung immer noch Häuser. Sie werden nicht zu Streichholzschachteln, und das kommt weil bei der Fassade von Notre-Dame, wie groß sie auch immer sein mag, die Architekten sorgfältig darauf geachtet haben, von oben bis unten den menschlichen Maßstab beizubehalten, diesen uns so vertrauten Maßstab, den wir nicht selbst geschaffen haben, aber den wir lieben. “3 Abb. 02: Gulliver´s Travels, Gulliver and the King of Brobdingnag. Aus:http://bookish-relish.blogspot.co.at/2011/08/classic-fiction-jonathan-swifts.html Der menschliche Maßstab als allgemeingültiger Maßstab, auf den bei der Errichtung von Bauwerken Rücksicht genommen werden muss, existiert heute nicht mehr. Aber der Vergleich die Größe der Gebäuden bzw. Gebäudeteilen mit der Größe des Menschen ist ein wichtiger Themenbereich des architektonischen Maßstabbegriffs geblieben. Der Begriff Maßstab auch im breiteren Sinn – abgesehen von dem Menschen als Bezugsgegenstand – befasst sich immer mit dem Vergleich von Objekten und Phänomenen. Durch einen Vergleich erlangt man Informationen über die Größen von Objekten, weil die Größen nur im Verhältnis zueinander bestimmt werden können. Für die Verhältnismäßigkeit der Größen ist ein treffliches Beispiel4 aus der Literatur das Buch Gullivers Reisen 3 4 Viollet-le-Duc zitiert nach: Boudon, Der Architektonische Raum S. 105. vgl. Cságoly, Három Könyv Az Építészetről. Szépség S. 17. von Jonathan Swift. Der Hauptfigur des Romans war zu Hause in Nottinghamshire mittelgroß, in Liliput ein Riese und in Brobdingnag ein winziger Zwerg. Während der Reisen bleibt seine Körpergröße die gleiche, aber die Bezugsgrundlagen waren immer unterschiedlich. Die Reisen von Gulliver machen anschaulich, dass ein Ding für sich genommen nie groß oder klein ist, sondern immer nur im Verhältnis zu einem anderen. Demzufolge lässt sich der Maßstab als das Mittel des Größenvergleichs definieren. In der Architektur werden im Allgemeinen Gebäudeteile oder Gebäude miteinander verglichen. Bei einem Bauwerk ist es eindeutig, dass sein Maßstab im Verhältnis zu der Umgebung bestimmt wird, der städtebauliche Kontext dient hier als Bezugsgegenstand. Im Laufe des 19. Jahrhunderts übte die Entwicklung der Wahrnehmungspsychologie5 eine starke Wirkung auf die Interpretation des Begriffs Maßstab. Das Forschungsgebiet dieser Disziplin ist der subjektive Anteil der Wahrnehmung, deren Einfluss auf den Größenvergleich darin liegt, dass gewisse Größen nicht so groß wahrgenommen werden, wie sie in der Wirklichkeit sind. Wenn ein Unterschied zwischen dem, was ein Betrachter vor sich hat, und dem, was er sieht, besteht, dann spricht man von einer visuellen Täuschung. Die Ursache dafür ist, dass die Wahrnehmung mit dem retinalen Abbild nicht unbedingt übereinstimmt, denn die dreidimensionale Wahrnehmung wird durch die zweidimensionale Retina vermittelt. Abb. 03: Oppelsche Täuschung. Aus: http://www.robaweb.de/gdm/ inhalt/VisuelleWahrnehmung/Gestaltwahrnehmung/04-VisuelleTaeuschungen.html 5 6 7 8 Eine auch in architektonischer Hinsicht relevante Täuschung ist die Oppelsche Täuschung. Johann Joseph Oppel zeigte 1855, dass eine Punktreihe länger wirkt als der Abstand zwischen deren Endpunkten und analog dazu scheint eine von Querstrichen gegliederte Linie länger als die Linie selbst. Die Überschätzung von mehrfach gegliederten Größen im Vergleich mit weniger oder ungegliederten nennt Albert Erich Brinkmann unter dem Begriff „optischer Maßstab“6 als ein Grundgesetz aller stadtbaukünstlerischen Gestalten. Mit der Umsetzung der Oppelschen Täuschung geht er von der Tatsache aus, dass ein Quadrat mit Linienraster versehen größer als ein gleich großes, leeres Quadrat erscheint. Mit dem geometrischen Beispiel verweist er auf die Fassadengliederung der Bauwerke und behauptet, dass die reich gezierten gotischen Häuser im Gedächtnis größer bleiben, als die gleich großen klassizistischen Bauten. Dementsprechend kann der Maßstab eines Bauwerkes mit der Anzahl und Anordnung der Gliederungselemente manipuliert werden. Wobei es die Regel gilt, dass in je mehr Teile die Fassade gegliedert wird, desto größer scheint das Gebäude. Brinkmann macht darauf aufmerksam, dass der Größeneindruck lediglich durch eine proportionale Vergrößerung nicht gleichmäßig mit der wirklichen Größe steigert. Deswegen muss der Monumentalbau unter solche Bedingungen gebracht werden, dass „das Auge ihm Maß nehmen kann“.7 Dazu müssen auch solche Elemente auf der Fassade zur Geltung kommen, deren Größen leicht fassbar sind. Er nimmt das Maison de Charles-Quint8 als Beispiel für die Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung. Die beiden Seiten des Eckbaus sind gleichmäßig gestaltet. Vom Marktplatz her steht neben ihm ein dreigeschossiger Wohnbau und auf der anderen Seite ein gleich hohes aber in vier Geschossen gegliedertes Gebäude. Wegen des Unterschiedes der Gliederungsstärke scheint das Maison aus der Richtung des Platzes mittelgroß, aber aus der anderen Richtung erweckt der Eckbau den Eindruck eines gewaltigen Gebäudes. vgl. “http://www.robaweb.de/gdm/inhalt/VisuelleWahrnehmung/Gestaltwahrnehmung/04-VisuelleTaeuschungen.html.” Brinckmann, Stadtbaukunst. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit S. 2. Ibid. S. 2. vgl. ibid. S. 3. Abb. 04: Maison de CharlesQuint, Brügge. Aus: Brinckmann, Albert Erich. Stadtbaukunst. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1925. S. 3 Auf Grund der vorhergehenden Ausführungen lässt sich konstatieren, dass die Fassadengliederung ein effektiver Einflussfaktor der Größenwahrnehmung ist. Die Architektur kennt horizontale, vertikale, hierarchische Gliederungen, die entweder konstruktiv oder formalistisch sind. Mit der Kombination dieser Elemente kann die Größenwirkung manipuliert werden, aber die Anzahl der Elemente kann nicht beliebig viel sein.9 Die zahlreichen ähnlichen nebeneinander liegenden Elemente werden nicht mehr als Gliederung, sondern als Textur wahrgenommen. In 9 vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 102-105. diesem Fall kommt eine umgekehrte Wirkung auf die Größenwahrnehmung zur Geltung und das Gebäude wird als ungegliedert wahrgenommen. Die Elemente der Fassadengliederung sind in verschiedenen Epochen, in Abhängigkeit von der Weltanschauung oder wegen der jeweiligen technischen Möglichkeiten immer unterschiedlich. In den nachfolgenden Kapiteln werden die Anwendung der Gliederungselemente und deren Wirkung auf die Größenwahrnehmung durch prägnante Beispiele untersucht. 1.2. Anwendung der klassischen Gliederungselemente durch das Beispiel von Andrea Palladio und der renaissancischen Architektur Eine grundlegende Bestrebung der renaissansischen Philosophie war die Neuinterpretation des Verhältnisses zwischen dem Menschen und der Welt. Die geistige Grundlage dazu bot die vollkommene Aufdeckung der antiken, klassischen Wissensbasen. Die wissenschaftliche Begründung der Architektur basierte größtenteils auf der euklidischen Geometrie, der pythagoreischen Zahlenmystik, der platonischen Kosmologie und auf den architektonischen Büchern von Vitruv. Für die Pythagoreer ist die Überzeugung charakteristisch, dass der Kosmos eine nach bestimmten Zahlenverhältnissen aufgebaute harmonische Einheit bildet. Es bedeutet, dass die in der Natur herrschende Ordnung mit mathematischen Mitteln beschreibbar ist. Diese Ordnung oder Harmonie löst Schönheitswahrnehmung aus dem Menschen aus, daher sollten alle Kunstgattungen – darunter auch die Architektur - nach einem harmonischen Aufbau streben. Dementsprechend bestimmt die renaissansische Architektur die Regeln der Gebäudegestaltung unter Anlehnung an mathematische Proportionen und Maßsysteme.10 Es ist aber von höchster Bedeutung, dass die Gebäudeteile miteinander und mit dem Ganzen im Einklang stehen müssen. Dieses Anstreben lässt sich bei der Gliederung der renaissansichen Fassadengestaltung zu beobachten. Selbst die Gebäudeelemente wurden auch aus der antiken Welt übernommen und uminterpretiert verwendet. Das Neudefinieren der antiken architektonischen Mittel war nicht nur im Interesse der flexibleren Anwendung sondern auch wegen der Umwandlung der Funktionen und Ansprüche nötig. Die Bauwerke wurden durch Achsen geteilt und nur in Sonderfällen wurde von den Regeln des symmetrischen Konstruierens abgesehen. Die regelmäßige Gliederung bot die Gewähr für die Sicherung der Reinheit und Übersichtlichkeit. Die Verteilung der Säulen durch ungerade Zahlen war typisch, damit der Eingang in die Mitte des Bauwerks geraten kann, wo im Verhältnis zu den anderen Säulenabständen gewöhnlich eine breitere Säulenweite das Eingangstor akzentuierte. Die Öffnungen liegen immer übereinander gestapelt in der Mitte der Achsen. Die Dimensionen der Öffnungen wurden auch auf Grund von mathematischen Zusammenhängen festgelegt. Laut der Beschreibung von Palladio12 müssen gleichmäßige Abb. 05: Volunten Konstruktion. Aus: Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948. S. 40. „Ich sage daher, dass die Architektur, wie auch alle anderen Künste, eine Nachahmerin der Natur ist und daher nichts duldet, was dieser fremd ist. Und so sehen wir, dass die alten Architekten begonnen haben, jene alten Gebäude, die sie aus Holz gemacht hatten, aus Stein zu errichten. Sie setzten fest, dass die Säulen an ihren Spitzen weniger dick gemacht werden als an ihrem Fuß. Sie nahmen dazu die Bäume als Beispiel, die alle an ihrer Spitze dünner sind als an ihrem Stamm und bei den Wurzeln.“11 10 11 vgl. Jormakka, Geschichte der Architekturtheorie S. 122-123. Palladio, Die Vier Bücher zur Architektur S. 82. Abb. 06: Dorische Säulenordnung der Renaissance. Aus: Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948. S. 25. 12 vgl. ibid. S. 90-97. Abb. 07: Konstruktion der Giebel. Aus: Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948. S. 18. Fensterabmessungen pro Geschoss angewendet werden und die Öffnungsgrößen sollen nach oben ansteigend immer kleiner sein. Bei der Bestimmung der Fenstergrößen geht er von den Geschosshöhen und den nach den Öffnungen liegenden Raumgrößen aus. Überdies müssen die Öffnungen einen solchen Mittelwert aufnehmen, der das Gebäude vor der übermäßigen Erwärmung bzw. Abkühlung bewahrt. Wegen konstruktiver Überlegungen flankieren aus Stein behaute Rahmen die Fenster. Deren Verzierung gliedert sich analog zu den Säulenordnungen in drei Teile: Architrav, Fries und Gesims. Der Architrav bildet die Fensterlaibungen rundum die Öffnungen, dessen Tiefe den jeweiligen Wanddicken entspricht. Die Abmessungen des Frieses und des Gesims werden verhältnismäßig aus der Architravgröße abgeleitet. Die Fensterstürze werden mit Dreiecksgiebel oder Segmentgiebel verziert, die entweder pro Geschoss oder pro Achsen abwechselnd angebracht werden. Die prägendsten Elemente der renaissansischen Fassaden sind die Säulenordnungen. Obwohl keine neuen erfunden wurden, entstanden doch viele farbenreiche Überarbeitungen durch die Umdeutung der alten. Im Vergleich mit der Antiken wurden die Säulen viel mehr als integrativer Bestandteil der Wände oder mit Verbindung der Bogenstellungen angewendet. Der Umgang mit den Säulenordnungen hatte keine allgemeingültigen Regeln, umso mehr waren die Einzellösungen der Pionierarchitekten typisch. In der individuellen Lösungsvielfalt waren aber die Proportionen der einzelnen Teile gemein und mit dem Ganzen streng einzuhalten. Diese Proportionen wurden mit Hilfe eines Modulsystems festgesetzt. Die Säulenbreiten jeder Säulenordnung wurden im Verhältnis zu Säulenhöhe bestimmt, dementsprechend sind zum Beispiel die Proportionen einer Säule der toskanischen Säulenordnung ein Modul zu sieben Modulen und einer Säule der ionischen Ordnung ein Modul zu neun Modulen.13 Bei Anwendung mehrerer Säulenordnungen geriet immer das stärkste nach unten, das heißt, deren Stamm im Verhältnis zu ihrer Höhe am breitesten war. Es lässt sich als ein einfacher konstruktiver Ansatz verstehen, demzufolge wurde die dorische immer unter die ionische, die ionische unter die korinthische und die korinthische unter die Komposite Säulenordnung gesetzt. Die horizontalen Gliederungselemente bei den renaissansischen Gebäuden waren das Gebälk und die Postamente, die mit den Fensterbrüstungen oder mit den Balustraden einen horizontal durchziehenden Streifen bildeten. Strenge mathematische Regeln bezogen auch auf die Höhe dieser Elemente bei jeder einzelnen Säulenordnung. Die Höhenwerte der Gebälke sind gemäß dem Modulsystem bei der toskanischen Ordnung zum Beispiel ein und dreiviertel Modul und bei der ionischen Ordnung zwei und einviertel Modul. Außer den inneren Verhältnissen der Gliederungselemente wurde eine besondere Aufmerksamkeit den Proportionen des zwischen den Säulen entstandenen Feldes gewidmet. Obwohl die Größe der Interkolumnien in jedem einzelnen Fall in Abhängigkeit der Gesamtlänge des Bauwerks unterschiedlich ist, doch die Säulenweiten lassen sich mit Moduleinheiten ausdrücken. Laut der Beschreibung von Palladio15 müssen auch die Säulenproportionen geändert werden, wenn die Abmessungen der Interkolumnien von der idealen Breite abweichen. Dementsprechend muss eine breitere Säule bei einer breiteren Säulenweite verwendet werden. Abb. 09: Palazzo Porto, Vicenza: Fassadenstudien. Aus: Puppi, Lionello. Andrea Palladio: Das Gesamtwerk. Auflage: Gekürzte Studienausgabe. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1994. S. 122. Abb. 08: Die Säulenordnungen der Renaissance. Aus: Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948. S. 50. „Schönheit entspringt der Schönen Form und der Entsprechung des Ganzen mit den Einzelteilen, wie der Entsprechung der Teile untereinander und dieser wieder zum Ganzen, so dass das Gebäude wie ein einheitlicher und vollkommener Körper erscheint. Entspricht doch ein Teil dem anderen, und sind noch alle Teile unabdingbar notwendig, um das zu erreichen, was man gewollt hat.“15 13 14 15 vgl. Kotratschek, Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance S. 19-20. vgl. ibid. S. 40-42. Palladio, Die Vier Bücher zur Architektur S. 20. Die Stadtpaläste16 bestehen in den meisten Fällen aus drei Geschossen. Das Erdgeschoss war am höchsten, dessen meiste Räume mit gewölbter Decke ausgestaltet wurden und von draußen mit Quadersteintextur verziert wurde. Das erste Obergeschoss – piano nobile -, das die aufwändigere Gestaltung erhielt, diente dem Besitzer und seiner Familie als Residenz. Darüber befindet sich das Mezzaningeschoss, das mit einer niedrigeren Geschosshöhe versehen wurde und den Dienstboten zugedacht war. Zum Vicentiner Palazzo Porto17 (um 1549) angefertigte Palladio hatte mehrere Fassadenentwürfe. Das Erdgeschoss des dreigeschossigen Stadtpalasts ist bei den zwei Fassadenvarianten abgesehen von der 16 17 vgl. Günther, Was Ist Renaissance? S. 157-167. vgl. Puppi, Andrea Palladio: Das Gesamtwerk S. 121-126. Quadersteintextur und der Umrahmung der Öffnungen ganz ähnlich ausgestaltet. Der Aufbau der oberen zwei Geschosse weicht aber voneinander stark ab. Auf der linken Seite wurde das piano nobile mit ionischen Säulenordnungen konstruiert. Die ionischen Pilaster stehen ohne Postament unmittelbar auf dem Gesims des Erdgeschosses, daher geraten die Fensterbrüstungen in das zwischen den Pilastern liegende Feld. Das Gebälk der ionischen Ordnung trennt das Mezzaningeschoss vom piano nobile. Das Mezzaningeschoss wird durch Lisenen in den Achsen der ionischen Pilaster gegliedert, was ein schmales Hauptgesims abschließt. Auf der rechten Seite verbindet eine korinthische Säulenordnung das piano nobile mit dem Mezzaningeschoss. Die Lisenen der korinthischen Ordnung stehen auf Postamenten, die mit den Fensterbrüstungen einen horizontalen Streifen bilden. Demgemäß reichen die korinthischen Lisenen – einschließlich das Kapitel und die Basis – von der unteren Ebene der Fensterreihe des ersten Obergeschosses bis in die obere Ebene der Fensterreihe des zweiten Obergeschosses. Das Gebälk der korinthischen Ordnung schließt die Fassade unmittelbar über der Fensterreihe Abb. 10: Palazzo Chiericati, Fassade. Aus: Palladio, Andrea. Die Vier Bücher zur Architektur. 4. überarbeitete Auflage. BaselBoston-Berlin: Birkhäuser, 1993. S. 120. des Mezzaningeschosses ab. Es lässt sich durch den Vergleich der zwei Fassadengliederungen konstatieren, dass die zwei Variationen in der Größenwahrnehmung voneinander abweichen. In beiden Fällen prägt die Gliederung die Säulenordnungen, daher teilt sich die Fassade linkerseits in drei horizontale Teile und rechterseits in zwei horizontale Teile. Im Sinne der in dem ersten Kapitel ausgeführten Grundthese der Größenwahrnehmung scheint die Fassade auf der linken Seite höher als die Fassade auf der rechten Seite. Abb. 11: Palazzo Chiericati. Aus: Puppi, Lionello. Andrea Palladio: Das Gesamtwerk. Auflage: Gekürzte Studienausgabe. Stuttgart: Deutsche VerlagsAnstalt, 1994. S. 50. Die Fassadengestaltung vom Palazzo Chiericati18 (um 1550, Vicenza) wurde durch städtebauliche Überlegungen stark beeinflusst. Der in der ganzen Länge des Erdgeschosses durchziehende Portikus diente nicht nur der Repräsentation, sondern eher der Wertsteigerung des vor dem Bauwerk stehenden Platzes. Das Gebäude steht auf einem niedrigen Sockel, den Palladio mit der Nähe des Flusses Bacchiglione erklärt. Die erste Ordnung der Fassade ist eine dorische, die zweite ist eine ionische. Die ionischen Säulen umfassen auch in diesem Fall zwei Geschosse, die ein der Ordnung entsprechendes dreigeteiltes Hauptgesims abschließt. Zwischen den zwei Säulenreihen bilden das Gebälk der 18 vgl. ibid. S. 126-129. dorischen Ordnung und das mit Balustraden verbundene Testament der ionischen Ordnung einen markanten horizontalen Streifen, der die Fassade in zwei Teile teilt. Dadurch kommt hier auch die Manipulierung des Maßstabs zur Geltung und scheint das dreigeschossige Bauwerk wegen der Fassadengliederung niedriger. Eine gegensätzliche Wirkung löst die volumetrische Auskragung des mittleren Teiles aus, weil sich die Fassade des Gebäudes mit der Erscheinung des Mittelrisalits in drei vertikale Teile teilt. Die wahrnehmungstechnischen Folgerungen dieser volumetrischen Gliederung liegen darin, dass die elf Achsen lange Fassade kürzer scheint, als deren tatsächliche Länge. 1.3. Auseinandersetzung mit dem Maßstabssprung des 19. Jahrhundertes mit Hilfe der Chicagoer Schule Vor dem 19. Jahrhundert gab es grundlegend die Möglichkeit nur für horizontale Verdichtung, höhere Bauten erschienen nur punktuell in den Stadtgeweben. Dies hat einerseits gesellschaftliche, anderseits bautechnische Hintergründe. Die höheren Bauten in dem traditionellen Stadtkontext nahmen immer eine ausgezeichnete Stelle ein, die vorwiegend Sakralbauten, teilweise wichtigere öffentliche Gebäude oder machtdemonstrierende profane Bauten waren. Um diese Bauten herum wurden üblicherweise öffentliche Plätze und Freiräume ausgestaltet, um die stadträumliche Sonderstellung zu verstärken. Diese zeremonielle Setzung der höheren Bauten wurde wegen Abb. 12: Stadtplan mit dem Gebiet, das durch den Brand zerstört wurde. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 31. 19 vgl. Flierl, Hundert Jahre Hochhäuser S. 17-20. der Umwandlung des Weltbildes im 19. Jahrhundert aufgegeben. Die Bestrebung der kapitalistischen Denkweise19 nach Profitmaximierung bringt die volle Ausnutzung der Grundstücke mit sich, die zu einer vertikalen Verdichtung führt. Dieser Prozess kann durch Chicagos Beispiel vorzüglich beobachtet werden, wo die große Feuersbrunst 1871 – demzufolge etwa 18000 Gebäude vernichtet wurden – eine hervorragende Möglichkeit für Grundstücksspekulation bot. Neben der Spekulation verhindert auch der rasterartige Stadtplan von Chicago die traditionelle Setzung der höheren Bauten, wobei an Stelle von Blickachsen und Stadtperspektiven der allgemein geltende gleichwertige Baublock tritt. Die grundlegende technologische Voraussetzung des Hochhausbaus war die Erfindung des Personenfahrstuhls. Elisha Graves Otis präsentierte 1854 bei der Ausstellung „Exhibition of the Industry of all Nations“ im Crystal Palace in New York den ersten Elevator mit Sicherheitsfangvorrichtung. Der Glanzpunkt der Präsentation war, dass der Erfinder das Seil, mit dem er die Plattform hochzog, durchschnitt und die unsichtbaren Bremsen den Absturz des Aufzuges verhinderten. Otis löste damit das Erschließungsproblem der höheren Bauten.20 Die andere grundlegende Voraussetzung der mehrstöckigen Gebäude war die Technik der Eisenskelettkonstruktion. Die Lösungen der Der erste amerikanische Pionier, der sich mit dem Prinzip der Eisenskelettkonstruktion sehr intensiv auseinandersetzte, war James Bogardus, ein Fabrikant von Mahlmaschinen für Getreide. Er erfand eine Bolzenverbindug, die der Träger-Stützen-Struktur genügend Festigkeit verlieh, um auf diagonale Versteifungsträger oder auf Mauerwerk verzichten zu können. Er baute in den 50er Jahren zwei Schrottürme, wobei der mehrstöckige Eisenrahmen der Türme das ganze Gewicht des umschießenden Mauerwerks trug. Damit wurde es möglich, die Bauten anstelle eines schweren Mauerwerks nur mit dreißig Zentimeter dicken Ziegelwänden zu ummanteln. Der andere Vorteil Abb. 13: Rekonstruktion von Jenneys Konstruktionssystem für die Außenpfeiler des Home Insurance Building. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 50. technischen Probleme des Eisenskelettbaus stammen größtenteils aus Europa, wo gusseiserne Bedachungen und Stützen bei Bahnhofshallen, Markthallen und Kirchen schon vom Anfang des 19. Jahrhunderts angewandt wurden. Bei der Ausarbeitung und Entwicklung des Konzeptes, durch dessen Hilfe mehrstöckige Eisenskelettbauten errichtet werden können, spielten französische und englische Architekten bzw. Ingenieure – wie zum Beispiel: Joseph Paxton, Victor Baltard, Louis-Auguste Boileau oder Gustave Eiffel – eine entscheidende Rolle, deren Ergebnisse eine gute Aufnahme in den Vereinigten Staaten fanden. 20 vgl. Koolhaas, Delirious New York S. 26. der Erneuerung von Bogardus war die Steigerung der Bewegungsfreiheit des Erdgeschosses, das ohne Tragwände eine flexiblere Nutzung bot. Nach dem Muster der Schrottürme wurden zahlreiche Warenhäuser, Getreidespeicher und Kaufhäuser in den USA errichtet, obwohl die hohe Brandgefahr der Gusseisenkonstruktionen damals noch ein ungelöstes Problem war. Ein anschauliches Beispiel eines solchen Adaptationsversuchs war das Fair Store Warenhaus22 (1890) von William le Baron Jenney. Die Abstände zwischen den vertikalen Gliederungselementen entsprechen hier den für die Eisenkonstruktionen charakteristischen Intervallen. Die horizontale Gliederung wird aber nach dem Muster eines Renaissancepalastes konstruiert. Die elf Geschosse hohe Fassade teilt sich in vier Teile, wobei der Sockel zwei Geschosse umgreift. Darüber liegt eine drei Geschosse umfassende Pilasterordnung, die mit Kompositkapitell versehen ist. Danach folgt ein Rustikageschoss als die Abschließung der Kolossalordnung. Überdies steht nochmals eine überdimensionierte Kompositordnung, die über fünf Geschosse bis zum Hauptgesims streckt. Durch diese Fassadengliederung wird es deutlich, was für Schwierigkeiten entstehen, wenn die wohlproportionierten Ordnungen des Abb. 14: Theophil Hansen, Palais Todesco. Aus: Kristan, Markus. Die Architektur der Wiener Ringstraße 1860 - 1900. Wien: Album Verlag, 2003. S. 70. Renaissancepalazzo auf einen hohen Gebäudeblock übertragen werden. Einerseits werden die gewohnten Proportionen der klassischen Säulen und Pilastern durchgebrochen, anderseits lässt sich die Gebäudehöhe nur mit mehrmals aufeinandergesetzten Palazzofassadenstreifen erreichen. 1953 beschrieb Frank Lloyd Wright diese Situation folgendermaßen: „When buildings first begann to be tall, architects were confused – didn´t know how to make them tall. They would put one 2 or 3 story building on top of another until they had enough.“23 Trotz der Stilprobleme hat die horizontale Gliederung eine starke Wirkung auf die Größenwahrnehmung. Gemäß dem Zitat von Wright ist die Fassadengliederung des Fair Store Warenhauses eine fehlerhafte Auffassung einer Hochhausfassade, aber wenn das die Absicht war, dass das Gebäude niedriger als die tatsächliche Höhe erscheinen sollte, dann lässt sich die Fassade positiv beurteilen. Abschluss2 Die Anwendung von Gusseisensäulen wurde nach der zweiten Chicagoer Feuersbrunst 1874 verboten, was eine große Bedrohung für den Baueisenmarkt war, deswegen fing eine intensive Entwicklung der Feuerbeständigkeit von Eisenkonstruktionen an. Die Lösung lieferte die mit guten Isoliereigenschaften verfügende poröse Terrakotta Mauerverkleidung. Die Ziegel wurden mechanisch an die Eisensäulen befestigt, wodurch ein solcher Aufbau entstand, mit dem die Technik der Eisengerüstbauweise problemlos angewandt werden konnte. Ein weit bekanntes Beispiel für „feuerfeste“ Eisensäulen war das 1884 errichtete Home Insurance Building von William le Baron Jenney. Da waren die geschosshohen, hohlen Gusseisensäulen mit Beton gefüllt und bis zu dreißig Zentimeter stark mit Ziegeln ummantelt. Jenneys Eisenskelett war aber nicht völlig vom Mauerwerk unabhängig, weil die Säulen das Gewicht der äußeren Ziegelverblendung nur teilweise trugen und die Stabilität wegen der lockeren Verbindungen ohne das Mauerwerk auch nicht gesichert werden konnte. Trotzdem wurde das Home Insurance Building ein ikonisches Bauwerk der Chicagoer Schule als ein Vorläufer der Bürohochhäuser.21 Am Ende des 19. Jahrhunderts waren alle Möglichkeiten gegeben, mehrstöckige Bauten zu errichten. Dies stellte eine völlig neue Aufgabe für die Architekten, für welche die Entwurfstradition keine Muster hatte. Außer der Gebäudehöhe war problematisch, dass alle Gebäude - unabhängig von Bautyp – die gleiche Grundform aufnehmen musste. Diese Form war eine dreidimensionale Fortsetzung der rechteckigen Parzellen, mit der die höchstmögliche Bodennutzung erreicht werden kann. Unter diesen Bedingungen wurden die sekundären Entwurfsentscheidungen besonders wichtig, zunächst die Fassadengliederung. Dementsprechend besteht die in Chicago gestellte architektonische Aufgabe darin, was für Fassade eine überall geltende Eisenskelettkonstruktion haben sollte. Das Eisengerippe der Hochhäuser musste wegen der Feuerschutzvorschriften unbedingt verkleidet werden, die Frage war also, wie das Gebäude durch die Verkleidung in die Kommunikationssphäre der städtischen Architektur eingefügt werden kann. Die Entwicklung begann mit der Anwendung der für das 19. Jahrhundert charakteristischen traditionellen Stilmittel. Diese Anstrebung lässt sich aber selbstverständlich betrachten, weil das Historismus derzeit die herrschende Stilrichtung in Europa war. Ein treffendes Beispiel der Fassadengestaltung dieser Epoche ist die Ausprägung der Bauten der Wiener Ringstraße, die den Charakter der Innenstadt auch noch heute prägt. Die traditionellen Stilmittel wurden aber nicht für die neue Struktur des Hochhauses geschaffen, daher war es zunächst erforderlich die alten Stilmittel umzuinterpretieren. Schaft2 Abschluss1,Sockel2 Schaft1 Sockel1 22 21 vgl. Zukowsky, Chicago Architektur 1872 - 1922 S. 39-54. 23 vgl. ibid. S. 69-70. Ibid. S. 74. Abb. 15: William Le Baron Jenney, Fair Store. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 59. Abschluss Abb. 16: Adler and Sullivan, Wainwright Building. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 72. Schaft 1.4. Modernistische Auffassungen über die Fassadengliederung in Anlehnung an Mies van der Rohe und Auguste Perret Nach der Emigration in die USA realisierte Mies zahlreiche vertikal verdichtete Wohnbauprojekte und Bürohäuser in seinem einfachen logischen Stil, der eine Offenheit für die Nutzung industrieller Techniken besitzt. Sein verglastes Stahlskelett bot ein neues Grundmuster der Hochhausgestaltung, was das Chicagoer Entwurfsproblem endgültig verlöschte. Mies setzte konsequent bei seinen Bauten die Grundthesen der Moderne um. Die erhobene Baumasse über den Boden verkörpert sich bei ihm in den Arkaden, die seine Hochhäuser üblicherweise auf allen vier Seiten umgeben. Das Konzept des freien Grundrisses sicherte er mit dem Stützenraster und die größtmögliche Offenheit der Fassade bot damals die Curtain-Wall Konstruktion. Darüber hinaus dominiert bei der Gliederung jeglicher Bauelemente ein orthogonales Grundraster – von den Bodenplattenteilungen bis zum Fassadenraster.26 Mies Sockel Im Formfindungsprozess für die Fassadengestalt des Hochhauses lieferte Louis Sullivan einen völlig neuen Interpretationsrahmen mit dem Wainwright Building (1890, St. Louis). Obwohl er auch mit den klassischen Stilmitteln arbeitete, ignorierte er aber schon die Anwendung der klassischen Proportionen bei der Fassadengestaltung. Statt Übereinanderstapeln der Säulenordnungen ziehen sich seine Backsteinpilaster vom Sockel bis zum Kranzgesims. Dadurch gliedert sich das Gebäude in drei gut abgrenzbare Teile: in einen zweigeschossigen Sockel, in einen siebengeschossigen Schaft und in ein mit reicher Ornamentik versehenes Mezzaningeschoss. Die andere maßgebende Entwurfsentscheidung war bei dem Wainwright Building, dass die Fassadengestaltungselemente nicht mehr den breiten Intervallen der inneren 24 25 Ibid. S. 19-20. vgl. ibid. S. 74-75. Eisenkonstruktion angepasst wurden, sondern formalistische vertikale Gliederungselemente wurden noch zwischen den echten Stützen eingefügt. Diese Geste betont die Vertikalität der Fassade, die auch noch mit den zurückgesetzten Fensterbrüstungen verstärkt wurde. Dieser Typ von Fassadengestaltung beschreibt Sullivan in seiner Veröffentlichung „The Tall Office Building Artistically Concidered“ folgenderweise: „… dass man Wolkenkratzer, da sie im Wesen vertikal sind, nach dem Vorbild der Säule konzipieren sollte: mit deutlich ausgeprägter Basis, durchgehendem Schaft und einem abschließenden Kapitell.“24 Auf Grund dieser Auffassung lässt sich konstatieren, dass das Gebäude durch diese Fassadengliederung dem entwerferischen Ansatz entsprechend höher als dessen tatsächliche Höhe zur Erscheinung kommt.25 Lake Shore Drive Apartments, Construction photograph. Aus: Carter, Peter. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. S. 39. 26 27 vgl. Frampton, Die Architektur der Moderne S. 198-203. Ibid. S. 199. leitete seine modernistische Formensprache nie aus Funktionalismus ab, sondern aus seiner einzigartigen Annäherungsweise zu der technischen Entwicklung: „Die Technik wurzelt in der Vergangenheit. Sie beherrscht die Gegenwart und reicht hinein in die Zukunft. Sie ist eine echte historische Bewegung – eine der großen Bewegungen, die ihre Epoche formen und repräsentieren. Sie kann nur mit der Entdeckung der Persönlichkeit durch die Griechen, mit dem römischen Willen zur Macht und der religiösen Bewegung des Mittelalters verglichen werden. Die Technik ist weit mehr als eine Methode, sie ist eine Welt für sich. Als Methode ist sie in beinahe jeder Hinsicht überlegen. Aber dort, wo sie ganz sich selbst überlassen bleibt, wie etwa in den gigantischen Bauten der Ingenieure, dort enthüllt die Technik ihre wahre Natur…“27 Lake Shore Drive Apartments, Fassadenschnitt. Aus: Carter, Peter. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. S. 46. Die Konstruktionen von Mies bestehen aus mit Beton ummantelten I-Stahlstützen, deren Intervalle die sichtbaren I-Träger der Vorhangfassade noch in weitere Teile verteilen. Obwohl die traditionelle hierarchische Gliederung - in Sockel, Schaft und Abschluss - bei seinen meisten Bauten verfolgt werden kann, sind alle Geschosse grundsätzlich gleichermaßen gestaltet. Die Maßstabsmanipulation durch die Fassadengliederung war bei Mies kein Thema, dessen wahrnehmungstheoretische Folgerung darin liegt, dass die Fassadenstruktur wegen der zahlreichen ähnlichen nebeneinander liegenden Elemente als eine Textur wahrgenommen wird. Wie es schon im ersten Kapitel eingeführt wurde, kommt in diesem Fall eine umgekehrte Wirkung auf die Größenwahrnehmung zur Geltung und das Gebäude wird als ungegliedert wahrgenommen. Diese extreme Vielzahl gleicher Elemente ist aber schwer erfassbar und erscheinen bezugslos, was zur Maßstabslosigkeit beitragen kann.28 Colonnade Apartments, Fassade. Aus: Carter, Peter. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. S. 56. Le Havre. Aus: Cohen, Jean-Louis. Encyclopédie Perret. Paris: Le Moniteur, 2002. S. 233. Auguste Perret war ein starker Kritiker der modernistischen Fassadengestaltung, wessen Architekturauffassung mit den Dogmen der Moderne unvereinbar war. Er war zwar Rationalist, aber in seinen Arbeiten spiegeln sich die klassischen Kompositionen immer wieder zurück, deren harmonische Proportionierung mit den modernistischen Auffassungen natürlich nicht vereinbar ist. Dieser Konflikt zeigt sich zum Beispiel auch in seiner Reaktion auf das Konzept von Le Corbusier über die horizontal verlaufenden Fensterbänder der neuen Architektur: „…Angesichts dieser praktischen Nachteile könne das Langfenster höchstens als ästhetischer Effekt für das Gebäudeäußere bezeichnet werden. Doch auch als solcher sei es abzulehnen, denn in seiner Horizontalität symbolisiere das Bandfenster den Tod, während es die eigentliche Aufgabe der Maueröffnung sei, in der Hochrechteckigkeit das lebensvolle Aufrechtstehen des Menschen auszudrücken.“29 Neben diesem symbolischen Argument lässt sich aus seiner Fassadengestaltung ablesen, dass er die Fenster als eigenständige Gliederungselemente betrachtet, welche Sichtweise dem funktionalistischen Konzept der Horizontalfenster gegenübersteht. 29 28 vgl. Voßkötter, Maßstäbe der Architektur S. 118-120. 30 Freigang, Auguste Perret S. 290. vgl. ibid. S. 14-19. Die meisten seiner Fassaden sind geometrisch klar proportionierte Rechteckkompositionen, die mit Pilastern, auskragenden Decken oder Fensterrahmen gegliedert sind. Diese Gliederungselemente ordnen sich reliefartig in hierarchisch differenzierten Schichten. Die Fassadengestaltung eines Wohnhochhauses des Projektes Le Havre (1945-54) ist ein ausdrucksvolles Beispiel seiner Konstruktionsweise. Die Wände der zwölfgeschossigen Fassade bilden die erste Reliefschicht, aus dieser Ebene springen die rechteckigen Fensterrahmen hervor. Die Öffnungsproportionen der unteren zwei Geschosse weichen von den anderen ab, wodurch eine klar abgrenzbare Sockelzone entsteht. Die Auskragungen der zweiten, fünften und achten Decken, die zugleich als Balken funktionieren bilden die dritte Schicht der Fassade. Die Abstände zwischen diesen Decken stehen miteinander in ganzzahligen Verhältnissen (Abb. 21). Von oben nach unten gelesen: 3:2:2:1, deren Summe 8 ergibt. Aus dieser Zahlenreihe lassen sich mehrere abstrakte mathematische Proportionen ablesen. Die Höhe des obersten Balkons verhält sich zum Beispiel zu Gesamthöhe wie 5:8, welches Verhältnis dem Teilungsverhältnis des goldenen Schnittes entspricht.30 Obwohl ich keine abstrakten mathematischen Proportionen in meinem Projekt angewandt habe, war für mich die Fassadenproportionierung durch die Deckenauskragungen vorbildlich, demzufolge erscheint das Wohnhochhaus von Perret niedriger als ohne diese Gliederungsschicht. Im Projekt Le Havre sind die Bauten außer den punktuell gesetzten Hochhäusern durchschnittlich sechs Geschosse hoch. Bei den Fassaden dieser Bauten sind vorwiegend alle Decken sichtbar, aber bei den Hochhäusern – wie es dieses Beispiel zeigt – kommen die Decken nur teilweise zur Erscheinung, um die Gebäudehöhe wahrnehmungstechnisch zu mindern. Diese Geste bringt die zwei unterschiedlichen Maßstäblichkeiten zueinander näher. In Analogie zu Le Havre wurde in meinem Projekt die Fassade des Hochhauses durch die außen liegende Tragkonstruktion solcherweise konstruiert, dass die Fassadengliederung den Maßstab des Hochhauses zu Maßstab der Umgebung näher bringt. Bibliographie 3 5 2 2 3 Boudon, Philippe. Der Architektonische Raum. Über Das Verhältnis von Bauen Und Erkennen. Basel: Birkhäuser, 1991. Jormakka, Kari. Geschichte der Architekturtheorie. 3. Auflage. Wien: edition selene, 2007. Brinckmann, Albert Erich. Stadtbaukunst. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1925. Koolhaas, Rem. Delirious New York: Ein retroaktives Manifest für Manhattan. Auflage: 4., Aufl. Aachen: Arch+, 2006. Carter, Peter. Mies Van Der Rohe At Work. Auflage: Revised. London: Phaidon Press, 1999. Cságoly, Ferenc. Három Könyv Az Építészetről. Szépség. Budapest: Akadémiai Kiadó, 2013. 1 8 Flierl, Bruno. Hundert Jahre Hochhäuser. Berlin: Verlag Bauwesen, 2000. Frampton, Kenneth. Die Architektur der Moderne: Eine kritische Baugeschichte. 5. Auflage. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt DVA, 1995. Freigang, Christian. Auguste Perret. Auflage: 1., Aufl. München: Deutscher Kunstverlag, 2003. Le Havre. Aus: Cohen, Jean-Louis. Encyclopédie Perret. Paris: Le Moniteur, 2002. S. 234. Günther, Hubertus. Was Ist Renaissance? Eine Charakteristik Der Architektur Zu Beginn Der Neuzeit. Darmstadt: Primus, 2009. Kotratschek, Karl. Die Säulenordnungen der Antike und Renaissance. Wien: Georg Prachner, 1948. Palladio, Andrea. Die Vier Bücher zur Architektur. 4. überarbeitete Auflage. Basel-Boston-Berlin: Birkhäuser, 1993. Puppi, Lionello. Andrea Palladio: Das Gesamtwerk. Auflage: Gekürzte Studienausgabe. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1994. Voßkötter, Silke. Maßstäbe der Architektur. Eine Untersuchung zur Größenwahrnehmung und Größenbewertung von Gebäuden. Auflage: 1., Aufl. Marburg: Tectum, 2010. Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. 2. Projektbeschreibung und Pläne Maßstabssprung am Schwedenplatz Ludwig Tischler, Herminenhof (1887-1890) ansichtskarten-lexikon.de/ak-26464.html . Aus: http:// 2.1. Ort, Geschichte Die drei wichtigsten Einflussfaktoren der Entstehung des Areals Schweden- und Morzinplatz sind die Donauregulierung, die Errichtung der Ringstraße und die Schäden des zweiten Weltkrieges. Wien lag über Jahrtausende nur rechtsufrig an der Donau, erst nach der Regulierung im 19. Jahrhundert konnte das Gelände am linken Ufer besiedelt werden. Vor der Regulierung war die Donau in zahlreiche Verzweigungen aufgeteilt, unter denen der Donaukanal den am weitesten südlich gelegenen Seitenarm ausmachte. Im Mittelalter war der Lauf des heutigen Donaukanals der Hauptarm der Donau, der Hauptstrom verlagerte sich aber immer wieder in nördliche Richtung. Erst im Jahre 1866 wurde über die Aufräumung der Hochwassergelände wegen der ständigen Schäden beschlossen. Demzufolge wurde zwischen 1870-75 ein neues Strombett für den Hauptarm vom Kaiserwasser bis zum Florisdorfer Arm ausgegraben. Im Zuge der Bauarbeiten wurde der Donaukanal nochmals ausgebaut, wodurch der Lauf des heutigen Donaukanals entstand, der unser Areal aus nördlicher Richtung flankiert. Noch vor der Donauregulierung wurde über ein anderes großzügiges städtebauliches Projekt entschieden – nämlich die Errichtung der Ringstraße. Die Stadtmauer und die davor befindliche Glacisstreifen wurden wegen des schnellen Wachstums der Stadt für unnötig und zwecklos gehalten, daher wurde 1858 ein Wettbewerb für Ideen zur Gestaltung der nach dem Abriss der Wehranlagen frei werdenden Flächen angekündigt. Die Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs beinhaltete anstelle der Schutzmauer eine prächtige Straße mit repräsentativem Charakter zu entwerfen. Das Siegerprojekt stammt von den Architekten Ludwig Förster, August Siccard von Siccardsburg und Eduard van der Nüll. Im Projekt wurden neben Parkanlagen und öffentlichen Gebäuden großzügige Bauflächen für Privatbauten vorgesehen. Mit der Umsetzung des Grundplans in den folgenden Jahrzehnten gewannen die Ringstraße und der Franz-Josef-Kai ihr charakteristisches historistisches Erscheinungsbild. Die meisten repräsentativen Bauten des Kais wurden aber in der Schlacht um Wien 1945 zerstört, die größtenteils durch 5- bis 6-stöckige Gründerzeitbauten ersetzt wurden. Generalstadtplan 1912. Aus: http://www.wien.gv.at/kulturportal/ public/ In der näheren Umgebung wurden die im typischen Ringstraßenstil errichteten Bauten zwischen Schwedenund Morzinplatz nie wieder aufgebaut. Die zwei Bauten - die damals den Schwedenplatz von Morzinplatz trennten – waren die größten Wohnhäuser in Wien. Der Herminenhof von Ludwig Tischler (1887-1890) war ein freistehender 110 Meter langer Wohnhof, der unterschiedlichen Eigentümern gehörte aber vom selben Architekten geplant wurde, um die einheitliche Gesamterscheinung zu sichern. Der benachbarte Rotenturmhof von Karl König (1890) war ein ähnlich riesiges Wohn- und Geschäftshaus, der von der Rotenturmstraße bis zum Schwedenplatz reichte. Der Ausfall dieser zwei Bauten bildet heute ein Loch in dem Stadtgewebe, was zahlreiche städtebauliche Probleme hervorbringt. Die Grenzen des Areals bilden zwei Nachkriegszeitbauten - der Leopold-Fliegl-Hof und der Wohnhof in Franz-Josef-Kai 11. Beide Gebäude sind Blockrandbebauungen mit 50 Meter hohen Ecktürmen, die vom selben Architekten Vytiska Josef geplant wurden. Der Leopold-Fliegl-Hof wurde auf dem Grundstück des ehemaligen Hotel Mertopols erbaut, das bis 1938 als ein Luxushotel betrieben wurde, aber nach dem „Anschluss Österreichs“ wurde das Gebäude als Gestapo-Hauptquartier, das wichtigste Instrument des NS-Terrors in Österreich. Das von Ludwig Tischler und Carl Schumann geplante Hotel wurde 1945 stark beschädigt und nach 1948 abgerissen, aber vor dem Gebäude befindet sich ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Wiener Stadtplan von 1858 verdeutlicht die Lage der Stadtmauern. Aus: http://www.wien.gv.at/kultur/archiv/geschichte/ ueberblick/index.html 31 vgl. “https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/donauraum/geschichte.html” 28 vgl. “https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/schwedenplatz/pdf/tor-zur-stadt.pdf” 2.2. Volumen, Städtebauliche Setzung Das Areal Schweden- und Morzinplatz ist ein besonderer Treffpunkt verschiedener architektonischen Gesten aus verschiedenen Epochen. Die rechte Seite des Donaukanals prägen die für die innerstädtische Blockrandbebauung charakteristischen historischen Bauten. Die an den zwei Ecken des Areals stehenden Nachkriegszeitbauten – der Leopold-Fliegl-Hof und der Wohnhof in FranzJosef-Kai 11 – vertreten schon einen ganz anderen Maßstab und auf der anderen Seite des Donaukanals dominieren die Hochhäuser des 21. Jahrhunderts. Bei diesem Schnittpunkt der Stadt wurde ein aus zwei Gebäuden stehendes Ensemble vorgeschlagen. Das eine ist ein signifikantes Hochhaus, das auf die zwei Eckbauten und auf die Hochhäuser der Leopoldstadt reagiert, um das Konzept eines flussübergreifenden Projekts zu entwickeln, wodurch das Erscheinungsbild des Donauufers durch punktuell gesetzte Turmhäuser geprägt wird. Das andere ist ein niedriges langes Volumen, das das Hochhaus in den Maßstab des ersten Bezirks einbettet. Das Gebäudeensemble ist nahe parallel mit der Uferkante, damit das Hochhaus aus beiden Richtungen des Donauufers unter einem entsprechenden Blickwinkel sichtbar wird. Der Vorplatz zwischen der Rotenturmstraße und dem Hochhaus bildet mit dem Schwedenplatz eine Einheit, quasi dessen Erweiterung. Der längliche Platz zwischen der anderen Seite des Hochhauses und dem Leopold-Fliegl-Hof wird als Marktplatz vorgesehen. Die Arkaden der Markthalle und des Hochhauses flankieren den Marktplatz aus zwei Richtungen, um entsprechende Zwischenräume zwischen den Eingängen und dem Platz zu sichern. Skizze 2. Bezirk Hochhäuser entlang des Donaukanals Skizze 1. Bezirk Blick von der Aspernbrücke 0 100 200 Schwarzplan Lois Welzenbacher Wettbewerb Donaukanal 1946 Ringturm von der Rossauer Brücke Blick vom Schützenhaus Städtebauliche Entwicklung Lagepläne Städtebauliche Entwicklung Modellfotos 0 20 40 Lageplan Steinpflaster Ziegelfassade Modellfoto Morzinplatz Kopfsteinpflaster 0 20 40 Tiefgarage Morzinplatz Schnitt Umgebungsmodell Tiefgarage Morzinplatz Grundriss Fassadencollage Mündung Rabensteig 2.3. Struktur, Erschließung Das Gebäude besteht aus neunzehn Stockwerken, woraus drei eine mit einer anderen Fassadengestaltung versehene Sockelzone bilden. Sie sind mit einer dreistöckigen Arkade und mit einem ebenso hohen zentralen Empfangsraum verbunden. Auf dem Erdgeschoss befindet sich neben den Erschließungsund Bedienungsräumen ein Café auf der Seite des Schwedenplatzes, auf den zwei Mezzaningeschossen sind Büros vorgesehen. Über der Sockelzone sind die zwei Regelgeschosse siebenmal übereinander gestapelt, die paarweise mit einem zentralen Raum verbunden sind. Dieser Raum nimmt in der Struktur eine entscheidende Rolle ein, weil der Kern wegen dieser leeren Mitte in zwei Teile geteilt wurde, was das Erschließungssystem des Hochhauses prägt. Außerdem bietet der Zentralraum eine große Flexibilität in der Nutzung, wobei die Möglichkeit besteht, die zwei Regelgeschosse als eine Einheit aber auch voneinander unabhängig zu behandeln. Das 17. Obergeschoss ist für ein zweistöckiges Restaurant vorgesehen, wobei die Küche mittig zwischen den Kernen liegt, die von dem mit Loggien flankierenden Gästebereich umgeben ist. 0 10 20 Schnitt durch die Erschließungskerne Bei dem Courthouse in Chicago wurden die Kerne in zwei Teile verteilt, um die zweistöckigen Gerichtsräume in die Struktur zu integrieren. Diese doppelgeschossige Mitte und die Erschließungskerne sind von eingeschossigen Büroräumen umgeben. Dieses Geschossigkeitssystem wurde in meine Hochhausstruktur adaptiert. 3. Obergeschoss regelgeschoss 2 1:400 U. S. Courthouse and Federal Office Building. Aus: Carter, Peter. Mies Van Der Rohe At Work. 4. Obergeschoss 0 10 20 Raummodell Die Gestaltung des Zentralraumes prägt die Gliederung der sichtbaren Stützen und Träger. Die Seitenlängen des Raumes stehen miteinander im Verhältnis 1:3, was ihm eine Dynamik verleiht. Er wird durch die Büroräume aus der Richtung der zwei kürzeren Seiten belichtet. Auf der einen Seite des Raumes ist eine innere Arkade vorgesehen, um eine entsprechende Empfangssituation zu bieten, zugleich die Plastizität des Zentralraumes zu stärken. 0 10 20 Schnitt 1. Obergeschoss Erdgeschoss, Seagram Buliding. Aus: Carter, Peter. Mies Van Der Rohe At Work. Erdgeschoss 0 10 20 Die Erdgeschosszone des Seagram Buildings gliedert sich in miteinander parallele Abschnitte. Vom Vorplatz kommt man durch die Arkade in den Empfangsraum. In der Mitte liegt der Kern, dem ein Durchgang mit Nebeneingängen und schließlich der hintere Trakt folgen. Diese klare Gliederung wurde auf meinen Erdgeschossgrundriss übertragen. Die Markthalle ist eine Legierung des traditionellen zentralräumigen Bautyps und des Kaufhauses. Die Decke über dem zweiten Stock teilt das viergeschossige Gebäude in zwei Teile auf. Die unteren zwei Geschosse sind für die Händler vorgesehen, auf den oberen zwei Geschossen werden Geschäfte und Restaurants angelegt. Die gesamte Konstruktion, die Fassade und die Raumgestaltung wurden nach der Struktur des Hochhauses adaptiert. Stuttgart, Markthalle am Dorotheenplatz Aus: Hamm, Manfred: Markthallen. Markthalle Erdgeschoss Frankfurt am Mein, Kleinmarkthalle. Aus: Hamm, Manfred: Markthallen. S. 129. 0 10 20 vorgefertigter Beton Kunstharz Bodenbelag natureloxiertes Aluminium Markthalle Interieur Markthalle 3. Obergeschoss 0 10 20 Markthalle Schnitt 0 10 20 2.4. Konstruktion, Fassade Die Tragstruktur des Gebäudes ist ein Stützen-TrägerSystem aus vorgefertigten Betonelementen. Es wird jeweils ein zweigeschossiges Gerüst aus vorgefertigten Elementen aufgebaut und die Decken werden nachträglich gegossen. Bei den ohne Auskragungen gestalteten Deckenebenen liegen die Träger senkrecht zur Fassade, daher ist die Tragrichtung der Decken in diesen Ebenen parallel mit der Fassade. Bei den mit Auskragungen gestalteten Deckenebenen sind die Tragrichtungen umgekehrt: die Träger sind parallel mit der Fassade und die Decken tragen senkrecht dazu. Die draußen liegende Tragkonstruktion hat eine doppelte Rolle in der Struktur. Einerseits verleiht sie der Fassade eine deutliche Plastizität, anderseits bietet sie die Möglichkeit die Fassadengliederung zu manipulieren. Die 0 vertikale Gliederung der außen liegenden Konstruktion folgt dem inneren Stützenraster, dementsprechend weist einen Rhythmus von a,b,a,b,a auf der einen und a,b,b,b,a auf der anderen Seite der Fassade auf. Die horizontale Gliederung wurde gemäß dem Konzept der Maßstabsmanipulation konstruiert. Nur jede zweite Decke ist bei dem oberen Teil der Fassade sichtbar, was die Gebäudehöhe wahrnehmungstechnisch mindert. Diese Geste bringt den Maßstab des Hochhauses zu Maßstab der Umgebung zueinander näher. Außerdem weicht die Gestaltung des Sockels, des Schaftes und des Abschlusses voneinander ab, was dem Gebäude eine klare hierarchische Gliederung verleiht, die schon auf dem ersten Blick die Wahrnehmung systematisiert. Fassadenschnitt mit Ansicht Regelgeschoss Auguste Perret, Le Havre. Aus: http://thefunambulist. net/2010/12/18/photography-visiting-concrete-le-havre-augusteperret-oscar-niemeyer/ 0,50 1,50 Adler and Sullivan, Wainwright Building. Aus: Zukowsky, John. Chicago Architektur 1872 - 1922. München: Prestel Verlag GmbH + Co., 2000. S. 65. Stützen-Träger System Für die Bauweise der Chicagoer Schule war charakteristisch, dass die aus Stahl gefertigte StützenTräger-Konstruktion vorher aufgebaut und mit den anderen Bauteilen das Stahlgerüst nachträglich verkleidet wurde. Gemäß dieser Logik wurde in meinem Projekt das zweistöckige Stützen-Träger-System entwickelt. vorgefertigter Anteil der Konstruktion Schnittperspektive Casa del Fascio, Giuseppe Terragni. Aus: http://azukarillo.wordpress. com/2012/02/23/casa-del-fascio-giusseppe-terragni-como/ Hochhauskern Die Auffassung, dass die Tragkonstruktion nicht nur tragen, sondern sie zugleich gliedern und schmücken kann – wie es bei dem Interieur von Terragni deutlich zur Erscheinung kommt – war für mich bei der Innenraumgestaltung vorbildlich. Die Struktur des zweigeschossigen Empfangsraums, die die innere Atmosphäre des entworfenen Hochhauses prägt, wurde in diesem Sinne konstruiert. 0 3,00 6,00 0 17. Obergeschoss Fassadenschnitt mit Ansicht Restaurantgeschoss 0 10 20 0,50 1,50 Ansicht vom Franz-Josefs-Kai 0 10 20 Interieur Restaurant Ausblick über Wien 0 0,50 1,50 Fassade Rotenturmstraße Fassadenschnitt mit Ansicht Sockelgeschosse 0 10 20 2.5. Materialität, Atmosphäre Die sichtbaren vorgefertigten Betonelemente geben zugleich für die äußere und die innere Gestaltung einen umfassenden Rahmen. Die hinter der äußeren Tragstruktur zurückgesetzte Fassade ist eine vertikal strukturierte Aluminiumfassade. Die gesamte Fassade wird in zweigeschossigen Elementen vorfabriziert, wobei dem Gebäuderaster die Elementbreite angepasst wurde. Ein außen liegender textiler Sonnenschutz verhindert eine zu starke Erwärmung des Gebäudes und dient gleichzeitig als Blendschutz. Das Material des Netzgewebes erlaubt auch im geschlossenen Zustand den Blick nach draußen. Die abgehängten Metallrasterdecken der Büroräume sind aus natureloxiertem Aluminium. Die Gliederung der abgehängten Decke ist der Elementbreite der Vorhangfassade angepasst. Die Grundbeleuchtung ist in die Metallrasterdecken integriert, die ebenso die Aluminiumprofile der abgehängten Decke tragen. Die Trennwände der Büroräume sind aus weiß geputzten Gipskartonplatten, wodurch die Möglichkeit für eine flexible Umgestaltung besteht. Die Wände zwischen den Gängen und Büros sind aus Glas, damit der Zentralraum aber auch die Gänge durch die Büros belichtet werden können. Der Bodenbelag wird sowohl in den Büros, als auch im zentralen Raum aus grauem Kunstharz verlegt. Seagram Buliding Interior. Aus: http://galleryhip.com/seagrambuilding-interior.html Büroraum Axonometrie mittlere Stütze Zentralraum Hochhaus