Euphemismus - Deutsches Ärzteblatt

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D O K U M E N T A T I O N
DISKUSSION
zur Verfügung stehen. Der Verweis auf die
Eltern als darüber bestimmende Personen
kann zu schwierigen Situationen führen,
da ein heterozygoter Befund in der Pränataldiagnostik in aller Regel nicht als Argument für eine unzumutbare Belastung der
Schwangeren anerkannt würde. Mit welcher Begründung sollte er es dann in der
Präimplantationsdiagnostik sein?
Ich möchte daher die Frage in den
Raum stellen, ob es nicht möglich wäre, bei
PGD immer nur eine einzelne Eizelle zu
befruchten, zu diagnostizieren und dann
über diesen Embryo eine Ja-nein-Entscheidung zu treffen. Dies würde sowohl bei den
Ärzten als auch bei den Eltern natürliche
Hemmschwellen erhalten, mit dem „Embryonenmaterial“ nicht allzu großzügig
und entpersonalisiert umzugehen. Es hätte
außerdem den wichtigen Vorteil, dass auf
diese Weise möglichst wenig Embryonen
verworfen werden müssten, denn es leuchtet unmittelbar ein, dass umso mehr Embryonen das gesuchte genetische Merkmal
aufweisen werden, je mehr pro Elternpaar
erzeugt werden. Dies scheint mir auch dem
Geist des Embryonenschutzgesetzes noch
am ehesten nahe zu kommen.
Viele Reproduktionsmediziner werden
praktische Einwände gegen diesen Vorschlag erheben und insbesondere eine Verminderung der Schwangerschaftrate beziehungsweise eine Erhöhung der dafür notwendigen Zyklenzahl befürchten. Dies
müsste möglichst gründlich und ohne Vorurteile untersucht werden. Die Daten, die
anhand künstlicher Befruchtung (IVF und
ICSI) gewonnen wurden, können jedoch
nicht ohne weiteres dazu herangezogen
werden, da es sich hierbei um Paare mit
Fruchtbarkeitsstörungen gehandelt hat,
was bei PGD in der Regel nicht der Fall wäre. Möglicherweise wird eine Frau auf diese
Weise mehr Punktionen benötigen, dafür
könnte eventuell auf die Stimulationsbehandlung verzichtet werden (?). Der Trend
scheint aber in der Reproduktionsmedizin
ohnehin zur Reduzierung der Embryonenzahl zu gehen, um die belastenden Mehrlingsschwangerschaften zu vermindern.
Die neuen Richtlinien sehen deshalb bereits bei IVF und ICSI vor, einer Frau unter
35 Jahren nur noch maximal zwei Embryonen zu übertragen (Richtlinien zur assistierten Reproduktion, DÄ Heft 49/1998).
Falls diese – nach meiner Ansicht optimale – Verbindung eines möglichst sicheren Embryonenschutzes bei gleichzeitiger
Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen (als das wesentliche Argument
für PGD) nicht realisierbar sein sollte,
müsste zumindest die Grenze von zwei
oder drei Embryonen, die gleichzeitig erzeugt und untersucht werden dürfen, unbedingt eingehalten werden. Es sollte auch
eindeutig geregelt werden, wie mit hetero-
zygoten Embryonen bei rezessiven Erkrankungen umgegangen wird. Das ist keine akademische Diskussion ohne praktische Relevanz: In Belgien wird bei X-chromosomal rezessiven Erkrankungen auf
Wunsch der Eltern bereits eine Selektion
gegen weibliche verdeckte Anlageträger
vorgenommen (Liebaers, persönliche Mitteilung). Da kein Embryo einer Frau gegen ihren Willen übertragen werden kann,
wird jede vorherige Vereinbarung umgehbar bleiben. Analog zu der Geschlechtsmitteilung bei PND vor der 12. Schwangerschaftswoche könnte deshalb erwogen
werden, einen heterozygoten Befund
grundsätzlich nicht anders als einen homozygot unauffälligen Befund mitzuteilen
(worauf die Eltern bereits im Vorfeld hingewiesen würden).
Ärztliches Ziel der PGD kann nur die
Hilfestellung bei einem bestehenden elterlichen Konflikt sein, nicht die möglichst effiziente Verhinderung von Menschen mit
genetischen Erkrankungen. Insofern ist
der Absatz: „Bei einer PGD darf nur auf
diejenige Veränderung des Erbmaterials
untersucht werden, die zu der infrage stehenden schweren genetischen Erkrankung
führt, für die das Paar ein hohes genetisches Risiko hat.“ ausdrücklich zu begrüßen. Um das darin angestrebte Ziel der
eigenen Beschränkung zu gewährleisten,
sollte aber auch ein Screening der Eltern
auf weitere genetische Veränderungen im
Vorfeld der PGD abgelehnt werden.
Der Qualität wäre es sicherlich zuträglich, wenn nur wenige, wissenschaftlich
ausgerichtete Zentren für PGD entstehen
dürften: Jede Technik muss ausreichend
geübt werden, um möglichst zuverlässig zu
sein. Schließlich werden die genannten
Grenzen der PGD nur so lange wirksam
bleiben, wie eine kommerzielle Nutzung
auf Dauer verhindert werden kann, da eine Anschaffung der benötigten Ressourcen unter dem Druck steht, sich auch den
entsprechenden Bedarf zu erzeugen.
Dr. med. Barbara Leube, Institut für
Humangenetik und Anthropologie, Heinrich Heine Universität Düsseldorf, Universitätsstraße 1, 40225 Düsseldorf
Euphemismus
Die novellierte Fassung des § 218 ermöglicht es nach chromosomalen oder genetischen Defekten jeglicher Art zu untersuchen und anschließend die Schwangerschaft abzubrechen – und zwar zu jedem
Zeitpunkt. Grundsätzlich ist auch eine Untersuchung auf das Geschlecht möglich.
Damit hat der Gesetzgeber festgestellt,
dass die „positive Eugenik“ im Rahmen der
Schwangerschaft rechtens ist und die alleinige Entscheidung darüber bei der Frau
A-1132 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
liegt. Und tatsächlich ist dies in der Bundesrepublik jährlich zigtausendfache Praxis,
und jeder tätige Frauenarzt und Humangenetiker weiß, dass die Vorstellungen darüber, was „defekt“ oder was „gesund“ ist,
von Frau zu Frau sehr unterschiedlich sind.
Einen gewissen Einhalt bieten die Richtlinien der Humangenetiker (im Hinblick auf
die Geschlechtsmitteilung), doch sind dies
Selbstverpflichtungen der behandelnden
und diagnostizierenden Ärzte – der Gesetzgeber schreibt dies keineswegs vor.
Es ist kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber in der jahrelangen Diskussion
über die Novellierung des § 218 es „übersehen“ hat, dass durch die jetzige Formulierung des § 218 der pränatalen Diagnostik nach allen erdenklichen Gesichtspunkten mit der Möglichkeit des nachfolgenden Schwangerschaftsabbruches de
facto Tür und Tor geöffnet wurde.
Die Präimplantationsdiagnostik würde
diese Prinzipien, wie sie im Rahmen einer
Schwangerschaft als legal erachtet werden,
auf den Embryo vor seiner Einnistung
übertragen. Mehr nicht. Wenn also schon
„am Rande der schiefen Bahn“, dann hätte dieser Aufschrei im Rahmen der Novellierung des § 218 kommen müssen. Ist er
aber nicht.
Die vorgeschlagenen Richtlinien des
Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer nehmen sich im Gegensatz
zur Praxis des novellierten § 218 ausgesprochen restriktiv aus. Der jetzige Aufschrei der Empörung hat deshalb euphemistische Züge, denn: wie will man es noch
verstehen, dass ein und dieselbe Diagnostik und Vorgangsweise am Embryo vor
seiner Einnistung verboten sein soll, während sie nach seiner Einnistung de facto
ohne Einschränkung und in allen Lebensaltern (also auch an lebensfähigen Feten)
zulässig ist.
Nicht vergessen werden darf, dass das
Verfahren der Pränataldiagnostik eine Befruchtung außerhalb des Körpers (Invitro-Fertilisation) voraussetzt, also vergleichsweise aufwendig ist. Es ist deshalb
davon auszugehen, dass die betroffenen
Paare, sofern sie normal fertil sind, auch
weiterhin auf die PGD verzichten, ihre
Kinder auf normalem Wege zeugen und
die Untersuchungen dann in der Schwangerschaft vornehmen lassen werden.
Doch was ist mit solchen Ehepaaren,
die auf eine In-vitro-Fertilisation angewiesen sind (zum Beispiel aufgrund beidseits
fehlender Eileiter der Frau) und bei denen
gleichzeitig eine bekannte genetische Vorerkrankung besteht? Muss man dann sehenden Auges auf die entsprechende Diagnostik bei dem Embryo-in-vitro verzichten, um ihn anschließend einzusetzen, und
im Rahmen der Schwangerschaft exakt
dieselbe Untersuchung durchzuführen –
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DISKUSSION
freilich mit der Konsequenz eines dritten
Eingriffs, nämlich dem des Schwangerschaftsabbruches? Geht diese absichtliche
Zumutung von zwei zusätzlichen Körperverletzungen (Pränataldiagnostik und
Schwangerschaftsabbruch) ethisch wirklich in Ordnung, oder ist das nicht auch
schon längst „auf der schiefen Bahn“?
Prof. Dr. Dr. W. Würfel, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin in der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe (DGGG), c/o Frauenklinik Dr. Wilhelm Krüsmann, Schmiedwegerl 2–6, 81241 München
Gibt es ein Recht auf
(gesunde) Kinder?
In der Diskussion ethischer und juristischer Aspekte der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird meist der Bezug zu den
entsprechenden Regelungen im Rahmen
der Pränataldiagnostik (FD) und des
§ 218a StGB Abs. 2 hergestellt (vgl. 1).
Dieser Vergleich ist jedoch nicht zulässig.
Bei der moralischen und juristischen
Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation findet
eine Abwägung zwischen dem Schutz des
ungeborenen Lebens und dem Lebensrecht der Frau statt. Von zentraler Bedeutung ist hierbei auch, dass die Schwangere
„unschuldig“ in diese Konfliktsituation
hineingeriet (hierzu 2).
Im Fall der PID findet demgegenüber
diese Abwägung definitiv nicht statt, da eine Schwangerschaft noch nicht besteht.
Die noch nicht Schwangere hat zum Beispiel die Möglichkeit, bewusst auf eine
Schwangerschaft zu verzichten und damit
ein Risiko für ihren Gesundheitszustand
aufgrund einer genetischen Erkrankung
eines zukünftigen Kindes zu vermeiden;
sie hat somit alternative Möglichkeiten,
nicht „an der Furcht vor einem genetisch
bedingt schwerstkranken Kind gesundheitlich zu zerbrechen“ (1). Die Abwägung besteht in dieser Situation somit zwischen dem bewussten Verzicht auf biologisch eigene Kinder und den Grundrechten des Gezeugten.
Die meisten in genetischer Beratung
und PD Tätigen können andererseits nicht
an der Tatsache vorbeisehen, dass – vergleichbar einer zukünftigen Nutzung der
PID – zunehmend die Entscheidung für
die Durchführung einer PD schon primär
mit dem Entschluss zu einer Schwangerschaft gefällt wird. Wir bezweifeln jedoch,
dass diese Nutzung der PD und der medizinischen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch – im Sinn einer „Schwangerschaft auf Probe“ – mit Geist und Buch-
stabe des Gesetzes vereinbar ist: Ist Kinderlosigkeit tatsächlich als so schwere Beeinträchtigung des Gesundheitszustands
anzusehen, dass dafür der Schutz des ungeborenen Lebens zurückstehen muss?
Mit der Zulassung der PID würde von
ärztlicher und gesetzgeberischer Seite
auch dieser kalkulierte Einsatz der FD
moralisch positiv sanktioniert; dies entspräche einem Paradigmenwandel der
moralischen Rechtfertigung von PD sowie der Interpretation des § 218a Abs. 2
StGB.
Sowohl die PID als auch sämtliche Verfahren der PD sind vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen, und die implizit im Raum stehende Frage „Gibt es
ein Recht auf (gesunde) Kinder?“ ist explizit zu diskutieren.
Dr. med. Hans-Jürgen Pander, Institut
für Klinische Genetik, Städtische Frauenklinik, Obere Straße 2, 70190 Stuttgart,
Dr. med. Monika Hagedorn-Greiwe,
Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Lübeck, Ratzeburger Allee 160,
23538 Lübeck,
Dr. med. K. Mennicke, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Lübeck, Ratzeburger Allee 160,
23538 Lübeck
1. Hoppe, J.-D., und K.-F. Sewing, Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik – Vorwort, DÄ Heft 9/2000.
2. Böckle, F., Schwangerschaftsabbruch –
1. Ethik, in: Eser, A. et al. (Hg.), Lexikon
Medizin, Ethik, Recht, Freiburg 1989, Sp.
963-969.
Wir alle sind gefordert
Eindeutige Stellungnahmen von Ärzten/Ärztinnen und gesellschaftlichen Organisationen sind dringend gefordert:
➀ Selektion der Eltern: Entgegen allen
sprachlichen Verschleierungs- und Verharmlosungstendenzen der Mitglieder des
Beirates bleibt festzuhalten: Die Ehepaare, bei denen – obwohl keine Unfruchtbarkeit vorliegt – vor extrakorporaler Befruchtung eine genetische Untersuchung
der befruchteten Eizelle vorgenommen
werden kann, werden ausgesucht – bestimmt – selektioniert – wie immer dies bezeichnet werden soll. Sie werden selektioniert nach ihrem Erbgut und der daraus resultierenden Krankheitsgefährdung des
gewünschten Kindes.
➁ Selektion der Kinder: Die Entscheidung, ob die „geschädigte Eizelle“ implantiert oder „verworfen“ wird, richtet sich
nach oberflächlichem Lesen nach der Beeinträchtigung der Mutter. De facto aber
ist einzig und alleine das Ergebnis der genetischen Untersuchung entscheidend,
denn warum sonst sollte sich ein Ehepaar
dem Stress der künstlichen Befruchtung
unterziehen, wenn das Ergebnis der Untersuchung für die Entscheidung der Implantation unerheblich wäre?
➂ Herabsetzung der Tötungsschwelle:
Im Vorwort des Entwurfes ist es eindeutig
beschrieben: „Die PGD kann allerdings
im Einzelfall die spätere Pränataldiagnostik ersetzen und damit zu einer Konfliktreduzierung beitragen, weil sie Entscheidungen über einen eventuellen Abbruch
einer fortgeschrittenen Schwangerschaft
vermeidet.“ Mit anderen Worten: Ein totipotentes Acht-Zell-Stadium „verwirft“
man – mit weniger Bedenken –, bei einem
Schwangerschaftsabbruch im dritten bis
fünften Monat ist der Tod des sich entwickelnden Menschen greifbarer und
führt sicherlich zu stärkeren Konflikten.
Der Mechanismus der Konfliktreduktion
durch Herabsetzung der Tötungsschwelle
ist ein Mechanismus, der uns aus der Zeit
des Nationalsozialismus gut bekannt ist
und Werteänderungen nach sich zieht, die
im Nationalsozialismus zur Vergasung
Tausender behinderter Menschen geführt
hat.
➃ Eigeninteresse der Mitglieder des
Wissenschaftlichen Beirates: Die Mitglieder des Beirates sind auch Forscher, die eigene Interessen an der Aufweichung von
Forschungsgrenzen haben, die eventuell
auch weitergehende eigene Forschungsvorhaben entwickeln. Wer sagt uns denn,
ob nicht nach Durchsetzung der PGD der
nächste Schritt die genetischen Reparationsversuche an den „kranken“ befruchteten Eizellen sein werden? Natürlich wieder zum Wohle des sich entwickelnden
Menschen, den man dann nach „Reparatur“ ja doch implantieren könnte? Wer will
denn letztlich verhindern, dass an den
„verworfenen“ Zellen weitere Versuche
gemacht werden? Das Interesse von Wissenschaftlern und deren Wunsch nach Anerkennung ist viel zu groß, als dass von
dieser Seite eigene Sanktionen gegen Missbrauch greifen könnten.
➄ Die Zusammensetzung der Ethikkommissionen, die Beratung und Aufklärung: Die Beratung und Aufklärung
unterliegt laut Entwurf dem Humangenetiker und dem Gynäkologen (die ausschließlich männliche Form ist auch so im
Entwurf enthalten). Wie immer sind nichtärztliche Gruppen in den Regelberatungen nicht vorgesehen, sondern können zusätzlich angeboten werden. Dabei gilt festzuhalten, dass auf sozialpsychologischer
Ebene – auf der zunächst der Konflikt
überhaupt besteht – Mediziner/innen nach
Aus- und Weiterbildung über keinerlei besondere Kompetenz verfügen, eine Beratung adäquat durchführen zu können. Das
Gleiche gilt für die Zusammensetzung der
Ethik-Kommissionen.
✁
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1133
D O K U M E N T A T I O N
DISKUSSION
Wir alle sind gefordert, der Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes und
dem Aufbau weiterer selektionierender Maßnahmen entgegenzutreten. Wer
glaubt, durch Nichteinmischung der Verantwortung für ethische Fragen entgehen
zu können, der irrt.
Cornelia Femers, Kühlenberg 20,
58644 Iserlohn
Erklärung
Aus jahrzehntelanger weit überwiegend positiver Erfahrung als Patient und als
jahrzehntelanger berufspolitischer Wegbegleiter der deutschen Ärzteschaft fühle ich
mich zu einer Erklärung verpflichtet:
Ich stimme der Stellungnahme von Joachim Kardinal Meisner vollinhaltlich zu.
Dazu darf ich bemerken, dass ich der
lutherischen Kirche angehöre, ohne mich
wirklich als Christ bezeichnen zu können.
Ich muss mich heute fragen, ob ich bei
der damaligen Diskussion zur künstlichen
Insemination meine grundsätzliche Ablehnung deutlich genug in den Gremien
der Bundesärztekammer vertreten habe.
Nach meinen Aufzeichnungen wäre die
erste Stellungnahme anlässlich der Vorbereitungen und der Durchführung des
62. Deutschen Ärztetages 1959 in Lübeck
fällig gewesen. Der Deutsche Ärztetag
hielt damals eine homologe intrauterine
künstliche Insemination in besonderen
Ausnahmefällen mehrheitlich für ethisch
vertretbar.
Der 73. Deutsche Ärztetag 1970 in
Stuttgart erhob dann mehrheitlich keine
generellen Einwände mehr. Er bezeichnete diese nicht mehr als standeswidrig, aber
empfahl sie auch nicht ausdrücklich. Ich
entsinne mich sehr deutlich, dass ich damals bereits der Auffassung war, hier verletze der Mensch unter Missbrauch des
naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts eine ihm von der Natur selbst errichtete Grenze, einen kategorischen Imperativ des menschlichen Seins.
Ich entsinne mich dieser meiner damaligen Auffassung um so deutlicher, als
ebenfalls in die Siebzigerjahre eine lebhafte Diskussion zum Thema „Sterbehilfe als
Lebenshilfe“ fällt, in der ich mich eindeutig gegen die Straffreiheit auch von „passiver“ Sterbehilfe ausgesprochen habe. Das
geschah mit dem Hinweis, dass der
Mensch gegebenenfalls, seinem Gewissen
folgend, auch gegen geltendes Strafrecht
handeln müsse. Er könne dann lediglich
auf einen einsichtigen Richter hoffen, der
wohl wissen sollte, dass als unverzichtbarer Bestandteil jeder sittlichen Rechtsordnung auch Gnade zu gelten habe.
Prof. Dr. J. F. Volrad Deneke, Axenfeldstraße 16, 53177 Bonn
Armutszeugnis
Scham und Mitleid erfüllen einen,
wenn man liest, was die Herren Hoppe
und Sewing sowie die Arbeitsgruppe
„Präimplantationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer unter ihrem „Beitrag
zur Schärfung des Problembewusstseins“
zur Präimplantationsdiagnostik verstehen.
Mitnichten wird hier irgendeine ethische
Problematik angeschnitten. Der vorgelegte „Diskussionsentwurf“ ist indes ein
bloßes Abwicklungspapier, welches die genaueren Modalitäten der Präimplantationsdiagnostik festzulegen versucht. Besonders wertvoll erscheint mir dabei die
Erkenntnis, dass „kein Arzt gegen sein
Gewissen verpflichtet werden kann, an einer Präimplantationsdiagnostik mitzuwirken“, oder aber die Feststellung, dass die
involvierten Ärzte über entsprechende
Kenntnisse und Erfahrung verfügen müssen. Hierüber besteht in der Tat ein ganz
erheblicher Diskussionsbedarf.
Der Umstand, dass in den einleitenden
Worten eine Präjudiz explizit ausgeschlossen wird, täuscht den intelligenten Leser
und Herrn Kardinal Meisner nicht darüber
hinweg, dass selbstverständlich ein Ergebnis vorweggenommen wird. Indem nämlich darüber lamentiert wird, unter welchen organisatorischen Rahmenbedingungen die bereits bejahte Präimplantationsdiagnostik letztendlich vorgenommen
werden soll. Mit Spannung erwarte ich den
„Diskussionsentwurf“, der sich damit beschäftigen wird, unter welchen Kautelen
dann schließlich die Unterscheidung zwischen „krank“ und „gesund“ getroffen
wird und welches Antragsverfahren für die
nachfolgende Elimination des „Kranken“
erforderlich ist.
Der „Diskussionsentwurf“ ist ein bemerkenswertes Armutszeugnis der deutschen Ärzteschaft und trägt nichts zu der
inhaltlichen, das heißt sittlichen Auseinandersetzung mit der beschriebenen Problematik bei. Vielmehr scheint die Chance
vertan, aus ärztlicher Sicht gerade im Hinblick auf den rasanten Zuwachs an diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten auf die sehr umfangreichen ethischen
Folgeprobleme hinzuweisen. Dass ein
Theologe uns auf die immer schwierigeren
Grenzen zwischen medizinisch Machbarem und sittlich Zulässigem hinweisen
muss, ist bitter.
Man darf es getrost als eine Zumutung
bezeichnen, auf welchem Niveau sich Kardinal Meisner mit den deutschen Ärzten
beziehungsweise ihren repräsentativen
Gremien verständigen muss. Dass er hierbei einen direkten Vergleich zum ärztlichen Mitwirken an der historischen „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ heran-
A-1134 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
zieht, ist völlig zutreffend und legitim. So
wie damals Ärzte es waren, die ihr Wissen
in den Dienst einer verwerflichen Weltanschauung stellten, ist es auch heute wieder
unser Berufsstand, der eine vermeintlich
ethische Pragmatik zur Verfügung stellt,
um ein im Grunde unethisches Vorgehen
zu ermöglichen. Heute wie damals wird
sich unser Stand jedoch letztlich nicht seiner Verantwortung entziehen können.
Unter diesen Umständen ist zu überlegen, inwieweit Stellungnahmen und so
genannte Diskussionsentwürfe der Bundesärztekammer zu derlei Dingen überhaupt noch sinnvoll sind. Zur „Schärfung
des Problembewusstseins im gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess“
tragen sie jedenfalls sicherlich nicht bei.
Dr. med. Karl-Anton Kreuzer, Abteilung für Innere Medizin, Medizinische Fakultät Charité der Humboldt-Universität
zu Berlin, Campus Virchow-Klinikum,
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
Thema verfehlt
Zu der Stellungnahme von Kardinal
Meisner . . . gibt es nur einen Kommentar:
Thema verfehlt.
Dr. Konrad Ringleb, Brunnenstraße
97, 99974 Mühlhausen
Ausweg: Adoption
Im Vorwort zum Diskussionsentwurf
der BÄK-Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik steht, dass die damit verbundenen ethischen Konflikte nur dann zu vermeiden sind, wenn „betroffene Paare bewusst auf Kinder verzichten oder sich zu
einer Adoption entschließen“. Jedoch
würden diese Alternativen von Paaren mit
hohen genetischen Risikofaktoren „häufig
nicht akzeptiert“. Aus früherer andrologischer Praxis wohl bekannt sind mir viele
Vorbehalte gegen eine Adoption, die bei
spermatologisch gesicherter Infertilität zur
Erfüllung des Kinderwunsches damals einzig offen stand (abgesehen von der ethisch
und [Personenstands-]rechtlich absolut
unzulässigen anonym-heterologen Insemination). Verständliche Ängste oder Vorurteile („Blamage“ für das Paar beziehungsweise den Mann, befürchtete Unterschiebung „minderwertiger“ Kinder durch die
Gesundheitsämter u. a.) waren aber durch
einfühlsame Aufklärung des Paares zu
mildern oder zu entkräften.
Auch heute noch könnte sachkundige
Adoptionsberatung viel erreichen, wenn
zum Beispiel auch die langwierige, oft als
Zumutung empfundene Gründlichkeit der
für beide Seiten – Adoptiveltern und Kind
– gleichermaßen verantwortlichen Behör-
D O K U M E N T A T I O N
DISKUSSION/KOMMENTAR
den erläutert wird, andererseits dem Paar
die Minimierung von Risiken – Ausschluss
erbkranker oder erkennbar belasteter
Kinder durch pädiatrische Voruntersuchung, gesundheitsamtliche Überprüfung
des sozialen Milieus und der Gesundheit
der Mutter sowie (nach Möglichkeit) des
Vaters – und die Chance der freien Wahl
eines Wunschkindes unter verschiedenen
Kleinkindern (nur zu Kleinkindern wurde geraten) im Waisenhaus klargemacht
wird. Dies und nicht zuletzt die mit
der Adoption gegebene „Gleichberechtigung“ hinsichtlich der Rechte und Pflichten zur Erziehung und Förderung des Kindes lässt die Adoption dann in neuem
Licht erscheinen, nicht mehr als bloßen
Notbehelf.
Selbstverständlich setzt eine Beratung,
die auch das Selbstvertrauen und die
(durch die Wartefrist oft belastete) Frustrationstoleranz des Paares stützen soll,
ein taktvoll-hilfsbereites Verhalten der
Behördenpersonen voraus, um präsumptive Adoptiveltern nicht zu verunsichern.
Möglicherweise beruht die geringe Akzeptanz des Adoptionsangebots auf mehreren
Gründen. Zu geringes ärztliches Interesse
an einer „nur“ sozio-therapeutischen
(aber oft glücklichen) – statt einer instrumentell machbaren – Erfüllung des Kinderwunsches, unpersönlicher Formalismus bei Behörden, falsche Scham vor dem
„Makel“ einer ungewollt kinderlosen Ehe
usw. Hätten hier nicht die Jugendämter,
die Kirchen und die „Medien“ eine wertvolle, gegenüber der uninformierten Öffentlichkeit viel zu lange vernachlässigte
Aufgabe?
Professor Dr. med. Otto P. Hornstein,
Danziger Straße 5, 91030 Uttenreuth
Dank an Kardinal Meisner
. . . Die ethische Verrohung geht einher
mit marktförderlichem Mechanismus. Der
Utilitarismus eines Herrn Lenin lässt
grüßen, ebenso der Sozialdarwinismus aller Schattierungen. Die Bundesärztekammer sollte im Wissen um das üble Erbe der
Reichsärztekammer konsequente Hüterin
des Lebens sein! Will man in 50 Jahren
wieder behaupten, die katholische Kirche
hätte zu leise gewarnt? Wer das 20. Jahrhundert unter Marktaspekten gleich Ideologieaspekten betrachtet, kommt zu der
Feststellung, dass insbesondere die katholische Kirche ein Markthemmungsfaktor
ist, den das 20. Jahrhundert erfolgreich beseitigt hat. Dem Deutschen Ärzteblatt ist
für die Veröffentlichung der Stellungnahme von Kardinal Meisner außerordentlich
zu danken.
Dr. med. Stephan Kunze, FriedrichHegel-Straße 31, 01187 Dresden
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer
Von richtigen rechtlichen
Voraussetzungen ausgehen
Zur rechtlichen Bewertung der Präimplantationsdiagnostik
Der vom Wissenschaftlichen Beirat der
Bundesärztekammer vorgelegte „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ hat unterschiedliche Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden. Dabei ist immer wieder die Frage
nach der Vereinbarkeit der Präimplantationsdiagnostik mit dem Embryonenschutzgesetz aufgeworfen worden, so auch von
Riedel (DÄ Heft 10/2000), die feststellt,
die Präimplantationsdiagnostik stehe im
Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz.
Es überrascht, wie apodiktisch und vehement zugleich Riedel zur Einleitung ihres Plädoyers für eine unvoreingenommene Debatte behauptet, eine Zulassung der
Präimplantationsdiagnostik sei mit dem
Embryonenschutzgesetz (EschG) nicht
vereinbar, ohne dass eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gesetzestext stattgefunden hat.
Ihrem Beitrag, in dem sie die durchaus
nachvollziehbare Forderung einer gesetzlichen Regelung erhebt, stellt Riedel die
These voran, die Präimplantationsdiagnostik stehe im Widerspruch zum ESchG.
Diesem zufolge, so heißt es, dürfe eine Eizelle nur zum Zweck der Herbeiführung
einer Schwangerschaft bei der Frau, von
der die Eizelle stammt, künstlich befruchtet werden; ein Embryo dürfe auch nur zu
diesem Zweck weiterentwickelt und ein
extrakorporal erzeugter Embryo dürfe zu
keinem anderen Zweck als zu seiner Erhaltung verwendet werden, siehe § 1 l Nr.
2, § 2 l und II ESchG. Ziel der Regelung
der künstlichen Befruchtung im ESchG sei
die Behandlung von Fertilitätsstörungen,
also die Erfüllung des Kinderwunsches einer Frau oder eines Paares. Dieses von
Riedel so betonte Ziel wird im ESchG jedoch gerade nicht ausdrücklich benannt.
Riedels Aussagen zeigen vielmehr, dass
hier der Wunsch des Bestehens eines Verbotes Mutter der Argumentation ist, mehr
jedoch nicht.
Ein allgemeines Verbot der Präimplantationsdiagnostik könnte sich aus § 1 l Nr. 2
ESchG herleiten. Dort heißt es, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit
Geldstrafe werde bestraft, wer es unter-
nimmt, eine Eizelle zu einem anderen
Zweck künstlich zu befruchten, als eine
Schwangerschaft der Frau herbeizuführen,
von der die Eizelle stammt.
Wenn ein Arzt im Rahmen einer Invitro-Fertilisation (IVF) eine Eizelle befruchtet und diese durch Entnahme einer
nicht mehr totipotenten Zelle auf bestimmte genetische Defekte untersucht, um je
nach Befund den Embryo zu transferieren
oder nicht, ist fraglich, ob der Arzt die Eizelle gemäß § 1 l Nr. 2 EschG – wie Riedel
behauptet – zu einem anderen Zweck
künstlich befruchtet, als die Schwangerschaft einer Frau herbeizuführen – nämlich
vielmehr, um eine „Selektionsmöglichkeit“
zu eröffnen. Tatbestandslos handelt, wer
mit der Absicht handelt, eine Schwangerschaft herbeizuführen.
Riedel scheint der Ansicht zu sein, dass
eine solche Absicht bei der Präimplantationsdiagnostik zum Zeitpunkt der Befruchtung noch nicht besteht. Diese Auffassung
wird den tatsächlichen Gegebenheiten jedoch nicht gerecht, da sie eine künstliche
Aufteilung eines einheitlichen Vorganges
vornimmt. Die Betroffenen handeln von
Beginn der IVF mit dem Bewusstsein,
dass die gesamte Behandlung auf Herbeiführung einer Schwangerschaft ausgerichtet ist. Dass die Schwangerschaft noch
von einer Bedingung abhängig gemacht
wird, stellt dabei ein separat zu behandelndes Problem dar. So ist die Frage, ob die
Absicht deshalb verneint werden könnte,
weil ein später vorzunehmender Teilakt
noch von einer weiteren Bedingung, das
heißt der Entscheidung der Mutter zum
Transfer, abhängig gemacht werden soll.
Die Absicht wird allein nach der voluntativen Beziehung zwischen Täterpsyche und
Taterfolg definiert. Bewusst herbeigeführte und erwünschte Erfolge sind immer beabsichtigt, auch wenn ihr Eintritt nicht sicher ist (Roxin, Strafrecht Allgemeiner
Teil, Band l, 3. Auflage, § 12 Rdnr. 11;
Cramer in: Schönke/Schröder, 25. Auflage, § 15 Rdnr. 67, m. w. N.). Das Abhängigmachen der Vornahme eines zukünftig
vorzunehmenden Teilaktes von einem Bedingungsschritt, hier der Annahme zur
Übertragung eines Embryos auf die Mut-
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1135
D O K U M E N T A T I O N
KOMMENTAR
ter, schließt die Absicht, eine Schwangerschaft herbeizuführen, gerade nicht aus.
Eine Strafbarkeit nach § 1 l Nr. 2 ESchG
kann daher nicht bejaht werden, wenn die
Fertilisation erfolgt. Dieses Ergebnis ist
naheliegend, bedenkt man, dass auch bei
der Vornahme einer regulären IVF ohne
Präimplantationsdiagnostik der Arzt den
anschließenden Embryotransfer stets von
der Bedingung abhängig macht, dass sich
die Patientin auch später noch bereit erklärt, diesen vornehmen zu lassen (hierzu
und im Folgenden demnächst Schneider in
MedR 2000. Auf dem Weg zur Selektion –
Strafrechtliche Aspekte der Präimplantationsdiagnostik). Weiterer Anknüpfungspunkt für eine mögliche Strafbarkeit nach
§ 1 l Nr. 2 ESchG kann sein, die „Ausschließlichkeit“ der Zweckverfolgung in
Zweifel zu ziehen. Die Frage ist, ob nur
derjenige tatbestandslos handelt, der die
Eizelle ausschließlich deshalb künstlich
befruchtet, um eine Schwangerschaft der
Frau herbeizuführen, von der der Embryo
stammt, oder ob der Täter auch einen anderen Nebenzweck mit der künstlichen
Befruchtung verfolgen kann, ohne tatbestandsmäßig zu handeln.
Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor, dass die Absicht der Herbeiführung
einer Schwangerschaft durch die gleichzeitige absichtliche Verfolgung eines anderen
Zweckes – nämlich zuvor die genetische
Struktur des Embryos zu prüfen – ausgeschlossen ist. Dieses Ergebnis ließe sich
nur im Wege unzulässiger erweiternder
Interpretation oder Analogie gewinnen.
Die äußerste Auslegungsgrenze markiert
jedoch nach der Rechtsprechung des
BVerfG (BVerfGE 73, 206 [234 ff.]; 92, 1
[12]) und vorherrschender Ansicht im
Schrifttum (Larenz, Methodenlehre der
Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S. 323
m. w. N.) der mögliche Wortsinn eines gesetzlichen Begriffs.
Im Strafrecht gilt ferner das Verbot der
strafbarkeitsbegründenden oder -schärfenden Analogie (Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band l, 3. Auflage, § 5
Rdnr. 26 ff., m. w. N.). Art. 103 II GG
macht die Strafbarkeit einer Tat von einer
gesetzlichen Regelung abhängig und verbietet eine Ausdehnung der Strafbarkeit
über den Gesetzeswortlaut hinaus auf ähnlich strafbedürftig und strafwürdig erscheinende Verhaltenweisen.
Diese engen Grenzen verkennt Riedel.
Für die Annahme einer „Ausschließlichkeit“ des verfolgten Zwecks im Sinne des Verbotes eines Nebenzwecks sind
im Gesetz keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Von Riedel wird ferner der mit „Missbräuchliche Verwendung“ überschriebene
§ 2 l EschG als Argument für ein Verbot
genannt. Dort heißt es, dass derjenige, der
einen extrakorporal erzeugten [. . .]
menschlichen Embryo [. . .] zu einem nicht
seiner Erhaltung dienenden Zweck [. . .]
verwende, mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werde.
Fraglich ist, ob es eine „missbräuchliche Verwendung“ darstellt, den
Embryo nach erfolgter Biopsie und der
Feststellung von bestimmten genetischen
Defekten nicht zu transferieren, sondern
in der Petrischale liegen zu lassen, bis er
sich nicht weiterentwickeln kann und daraufhin abstirbt.
Dies setzt zunächst voraus, dass die
„Verwendung“ im Sinne von § 2 l EschG
auch durch Unterlassen begehbar ist
(andere Auffassung Günther, in: Keller/
Günther/Kaiser, § 2 Rn. 34). Unterstellt
man dies, ist im Falle der Vornahme eine
Präimplantationsdiagnostik – welche im
Einverständnis und auf Bitten des betroffenen Ehepaares durchgeführt wird – § 2 l
ESchG in Form des Unterlassens deshalb
nicht einschlägig, weil dem Arzt die Einsetzung der „selektierten“ Eizelle entweder gar nicht möglich ist oder es ihm nicht
zuzumuten wäre, gegen den Willen der Patientin und entgegen dem Ziel der Behandlung die Eizelle dennoch – etwa unter
Täuschung der Patientin – zu transferieren. Im Fall der Präimplantationsdiagnostik ist die Erfüllung des Tatbestandes von
§ 2 l ESchG durch Nichtübertragung des
Embryos, sondern Liegenlassen, wenn die
Patientin einen Transfer der belasteten
Zelle ablehnt, nicht strafbar.
PGD im Deutschen
Ärzteblatt
Die auf diesen Seiten dokumentierten Stellungnahmen und Leserzuschriften beziehen sich auf den von
der Bundesärztekammer vorgelegten,
von deren Wissenschaftlichem Beirat
ausgearbeiteten „Diskussionsentwurf
zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ (PGD = preimplantation genetic diagnosis) (Heft 9)
sowie folgenden Beiträgen: „Auftakt
des öffentlichen Diskurses“ von Sabine Rieser (Heft 9), „Am Rande der
schiefen Bahn“ von Norbert Jachertz
(Heft 9), „Plädoyer für eine unvoreingenommene, offene Debatte“ von Ulrike Riedel (Heft 10), „Mensch von
Anfang an“ von Joachim Kardinal
Meisner (Heft 14). Zu einigen zentralen Punkten der Diskussion nimmt
der Wissenschaftliche Beirat in den
beiden Kommentaren Stellung. NJ
A-1136 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
Ein Verstoß gegen § 2 l ESchG wäre
ferner denkbar, wenn man in der Entnahme und Untersuchung einer Zelle eine
Verwendung des Embryos sehen würde,
die einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zwecke gewidmet ist, das heißt mit anderen Worten, wenn man argumentiert,
„das Untersuchen“ diene nicht der Erhaltung und würde somit eine missbräuchliche Verwendung darstellen. Entnimmt der
Arzt dem Embryo eine Zelle und beeinträchtigt das die späteren Weiterentwicklungschancen nicht, insofern als der Embryo noch mit den regulären Erfolgsaussichten auf Herbeiführung einer Schwangerschaft in den Mutterleib übertragen
werden kann, ist die Behandlung als „neutrale Handlung“ zu werten. Die Untersuchung ist zwar nicht notwendig für die Erhaltung, zugleich beeinträchtigt sie eine
solche Erhaltung auch nicht. Schon der objektive Tatbestand scheint nicht erfüllt zu
sein. § 2 l ESchG verlangt jedoch weiter als
spezielles subjektives Tatbestandsmerkmal die Absicht des Täters, einen nicht der
Erhaltung des Embryos dienenden Zweck
zu verfolgen. Eine solche Absicht in Form
zielgerichteten Wollens ist jedoch nicht gegeben. Es kommt dem Arzt nicht darauf
an, mit der Handlung einen Zweck zu verfolgen, der nicht der Erhaltung des Embryos dient. Ein Verstoß gegen § 2 l ESchG
ist daher auch durch die Untersuchung
nicht gegeben.
Was den § 2 II ESchG betrifft, in dem es
heißt: „Ebenso wird bestraft, wer zu einem
anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein
menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt“, so muss auch hier auf das
Erfordernis der Absicht, das heißt des dolus directus ersten Grades, hingewiesen
werden. Ein solches zielgerichtetes Wollen
ist nicht gegeben.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass
der Ausgangspunkt Riedels, die Präimplantationsdiagnostik stehe im Widerspruch zum ESchG, nicht richtig ist.
Welche Konsequenz die fehlende Regelung der Präimplantationsdiagnostik in
Zukunft haben wird und ob der Gesetzgeber sie regeln sollte, ist damit jedoch noch
keineswegs geklärt. Den Autoren des Diskussionsentwurfs eine einseitige Fehlinterpretation des Embryonenschutzgesetzes
und eine schon deshalb falsche Position
zur Präimplantationsdiagnostik vorzuwerfen, ist verfehlt. Der Entwurf dient gerade
dazu, die öffentliche Diskussion anzuregen. Die in ihm vertretene Position ist
rechtlich jedenfalls möglich. Man sollte bei
der Beurteilung von richtigen rechtlichen
Voraussetzungen ausgehen.
Prof. Dr. Dr. med. h. c. H.-L. Schreiber,
Direktor des Juristischen Seminars, Postfach 37 44, 37027 Göttingen
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