P O L I T I K AKTUELL Präimplantationsdiagnostik Plädoyer für eine unvoreingenommene, offene Debatte Die Bundesärztekammer hat, erarbeitet durch ihren Wissenschaftlichen Beirat, einen „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ vorgelegt; er wurde in Heft 9/2000 veröffentlicht. Die Verfasserin nimmt zu den damit angesprochenen ethischen Fragen der medizinischen Forschung und ihrer möglichen Anwendung aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums Stellung. Grundrechtschutz kommt bereits dem Embryo zu Bei der PGD wird die Eizelle aber zunächst nur zu diagnostischen Zwecken künstlich befruchtet. Stellt sich dabei heraus, dass der Embryo mit der vermuteten genetischen Erkrankung belastet ist, wird er verworfen. Die künstliche Befruchtung verlässt hier also den Rahmen des Embryonenschutzgesetzes. Die Indikation für eine fortpflanzungsmedizinische Maßnahme wird ausgeweitet. Embryonen werden künstlich erzeugt, ohne dass Fertilitätsstörungen bei der Frau oder dem Paar vorliegen, um bereits vor Beginn der Schwangerschaft eine genetische Untersuchung A-586 der extrakorporal vorliegenden Em- Bedeutung und schwerwiegenden gebryonen zu ermöglichen und eine sellschaftlichen Folgen vor ihrer EinAuswahl im Hinblick auf eine geneti- führung eines Grundkonsenses in der sche Erkrankung des zukünftigen Gesellschaft und damit einer RegeKindes treffen zu können. lung durch den Gesetzgeber. Teilweise wird die PGD bereits Auch wenn die BÄK ihren Entjetzt als – in engen Grenzen – nicht wurf zu einer Richtlinie zur Prädurch das Embryoimplantationsdiagnonenschutzgesetz verstik als Diskussionsboten angesehen, entwurf vorlegt, halweil auch bei der te ich es unter der PGD der Gesamtvorstehend beschrievorgang letztlich die benen Ausgangslage Erfüllung des Wunfür nicht unproblesches nach einem matisch, dass der – gesunden – Kind Diskussionsentwurf zum Ziel habe und zum jetzigen Zeitdies nur unter der punkt vorgelegt wird, Voraussetzung gezumal es im Vorwort schehe, dass dabei zum Entwurf heißt, keine totipotenten dass mit dem EntZellen, also solche, wurf versucht weraus denen noch ein den soll, unter andeganzer Mensch entrem den gesetzlichen stehen kann, betrof- Ulrike Riedel, Leiterin der Abteilung „Ge- Regelungen auf dem fen werden. Aber sundheitsvorsorge, Krankheitsbekämpfung“, Gebiet der PGD geauch bei dieser Hal- Bundesministerium für Gesundheit, Bonn recht zu werden. Datung ist zu berückmit entsteht der Einsichtigen, dass nach der Rechtspre- druck einer einseitigen Interpretation chung des Bundesverfassungsgerich- des Embryonenschutzgesetzes und eites der Gesetzgeber verpflichtet ist, ner bereits festgelegten Position zur in grundlegenden gesellschaftlichen PGD, bevor die öffentliche DiskussiFragen, zumal im Bereich der Grund- on hierzu begonnen hat. Auch wird rechtsberührung, alle wesentlichen die PGD in Deutschland aus den Entscheidungen selbst – durch Gesetz vorerwähnten rechtlichen Gründen – zu treffen. Menschenwürde und nicht praktiziert, sodass Eile nicht Grundrechtsschutz kommen bereits geboten ist. dem ungeborenen menschlichen LeAuch die Bioethik-Kommission ben von Anbeginn seiner Existenz an des Landes Rheinland-Pfalz, auf die zu, und damit auch dem Embryo. Die der Diskussionsentwurf in seinem Präimplantationsdiagnostik bedarf Vorwort Bezug nimmt, hat in ihren wegen ihrer grundlegenden ethischen Thesen zu den medizinischen, rechtli- Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 10, 10. März 2000 Foto: privat D ie Präimplantationsdiagnostik (preimplantation genetic diagnosis = PGD) steht im Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz, wonach eine Eizelle nur zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der die Eizelle stammt, künstlich befruchtet werden darf; ein Embryo darf auch nur zu diesem Zweck extrakorporal weiterentwickelt werden; ein extrakorporal erzeugter Embryo darf zu keinem anderen Zweck als zu seiner Erhaltung verwendet werden, siehe § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 und 2 ESchG. Ziel der Regelung der künstlichen Befruchtung im Embryonenschutzgesetz ist die Behandlung von Fertilitätsstörungen, also die Erfüllung des Kinderwunsches einer Frau oder eines Paares. P O L I T I K AKTUELL chen und ethischen Problemstellungen der Präimplantationsdiagnostik wegen der grundlegenden Bedeutung der PGD ebenfalls eine rechtliche Regelung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der PGD gefordert. International sind die Regelungen zur PGD unterschiedlich. Im nahen Ausland ist die PGD zum Teil zugelassen, wie zum Beispiel in Belgien und Großbritannien. Für die Erhaltung oder Festlegung von ethischen und rechtlichen Prinzipien kann dies jedoch nicht entscheidend sein. Denn der Staat, der für das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger und die Beachtung der Grundrechte verantwortlich ist, kann sich nicht mit Blick auf das Ausland seiner eigenen Verantwortung entziehen. Er muss in den grundlegenden Fragen eine eigene innerstaatlich begründete Entscheidung treffen. Begründet wird die PGD damit, dass auf diese Weise der Frau eine spätere Abtreibung nach Pränataldiagnostik erspart werden könne. Aber so verständlich der Wunsch von Eltern ist, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, und das Bestreben der Ärzte, Eltern dabei zu helfen – so muss man doch auch sehen, dass mit dem Verwerfen eines genetisch belasteten Embryos ein Mensch im frühen Stadium seiner Entwicklung vernichtet wird. Ein genetisch kranker Embryo wird geopfert, um einem unbelasteten Embryo zum Leben zu verhelfen. Menschen beispielsweise mit Mukoviszidose, die ein lebenswertes Leben führen, verurteilen diese Methode zu Recht. Gefahr einer „Erwartungshaltung für gesunde Kinder“ Das Recht auf Leben eines behinderten Menschen gerät in Gefahr, wenn man im Zusammenhang mit der PGD eine Auswahl zugunsten des nicht behinderten Lebens vornimmt. Es besteht die Gefahr, dass in der Gesellschaft eine Erwartungshaltung für gesunde Kinder entsteht und es Eltern schwer gemacht wird, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden. Der oft ins Feld geführte Einwand, die PGD als vorgezogene PräA-588 nataldiagnostik zu bewerten, ist zu hinterfragen. Auch bei durchgeführter PGD bleibt wegen der hohen Fehlerquote eine Pränataldiagnostik erforderlich. Vor allem aber sind beide Situationen nicht miteinander vergleichbar. Gesetzentwurf zur Fortpflanzungsmedizin Die Schwangerschaft ist eine einzigartige Situation, die unvergleichbar mit anderen Situationen ist und die durch die körperliche Verbindung von Embryo und Frau gekennzeichnet ist. Der Fetus, Embryo in vivo, ist ohne die Frau nicht lebens- und entwicklungsfähig. Die Schwangerschaft hat für die Frau weitreichende Konsequenzen. Daher wird die – gesetzlich verbotene – Abtreibung unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft. Hieraus können keine Rechtfertigungsgründe für andere, nicht vergleichbare Situationen abgeleitet werden. Der Embryo in vivo steht unter dem realen Schutz der Frau, der Embryo in vitro auf dem Labortisch steht nur unter dem rechtlichen Schutz und ist daher darauf besonders angewiesen. Daher ist auch eine parallele Regelung der Voraussetzungen von PGD und Schwangerschaftsabbruch hinsichtlich gesundheitlicher Beeinträchtigungen der zukünftigen Schwangeren beziehungsweise der wirklich Schwangeren, wie dies in dem Diskussionsentwurf vorgenommen wird, fragwürdig. Seit 1994 hat der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für die Fortpflanzungsmedizin. In den letzten Jahren haben das Bundesministerium für Gesundheit, andere Bundesministerien und die Länder in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe bereits Vorarbeiten für ein solches Gesetz geleistet. Diese Arbeitsgruppe endete 1998 mit dem Diskussionsergebnis, am Verbot der PGD festzuhalten. Die Konferenz der Gesundheitsminister der Länder hat im Juni 1999 die Bundesregierung aufgefordert, ein Fortpflanzungsmedizingesetz vorzulegen und darin neben anderen rechtlich nicht geklärten Fragen der Fortpflanzungsmedizin auch die Frage der PGD zu klären. Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 10, 10. März 2000 Das Bundesministerium für Gesundheit als federführendes Ressort beabsichtigt, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. In Anbetracht der grundlegenden ethischen Fragen und schwerwiegenden gesellschaftlichen Folgen, die mit einem solchen Gesetz berührt werden, ist es aber unerlässlich, dass vor der Entscheidung über die Regelungen eines solchen Gesetzentwurfes eine intensive und offene gesellschaftliche Diskussion über alle wichtigen Fragen stattfindet. Das Bundesministerium für Gesundheit wird daher vom 24. bis 26. Mai 2000 in Berlin ein Symposium zu den aktuellen medizinischen, ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen der Fortpflanzungsmedizin und den damit in Zusammenhang stehenden Fragen des Embryonenschutzes, auch zur PGD, durchführen. Auf der für die Öffentlichkeit zugänglichen Veranstaltung mit Fachreferaten, Podiums- und Plenumsdiskussionen soll der derzeitige Meinungsstand der medizinischen Wissenschaft und Praxis, der Forschung, Ethik, Rechts- und Sozialwissenschaften zum Thema dargestellt und kontrovers diskutiert werden. Endgültige Position erst nach breiter Diskussion Die durch den Entwurf einer Richtlinie zur PGD ausgelöste Diskussion in der Ärzteschaft wird mit Sicherheit neben den von mir vorgebrachten Gesichtspunkten noch andere hinzufügen. Und auch von den anderen Professionen und der Öffentlichkeit müssen deren Sachverstand und Überzeugungen in die Debatte eingebracht werden. Ich halte es für wünschenswert, dass die Ärzteschaft ihre endgültige Position erst nach einer solchen breiten und offen geführten Diskussion festlegt. Ulrike Riedel Leiterin der Abteilung Gesundheitsvorsorge und Krankheitsbekämpfung Bundesministerium für Gesundheit Am Probsthof 78 a, 53108 Bonn E-Mail: [email protected]