Zwischen Pränataler Diagnostik und Reproduktionsmedizin

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Pressezentrum
Dokument:
2/008 PF
Sperrfrist:
Freitag, 15. Juni 2001; 15:00 Uhr
Programmbereich:
Themenbereich 2: In Würde leben
Veranstaltung:
Arbeitsgruppe 2
Lebenszeiten
Referent/in:
Dr. med. Michael Ludwig, Universitätsklinikum Lübeck;
Prof. Dr. Klaus Diedrich, Leiter der Universitäts-Frauenklinik, Lübeck
Ort:
Alte Oper, Großer Saal, Opernplatz 1 (Innenstadt)
Zwischen Pränataler Diagnostik und Reproduktionsmedizin:
Präimplantationsdiagnostik
Zusammenfassung
Die Präimplantationsdiagnostik (PGD) bietet die Möglichkeit, im Falle einer schweren,
genetischen Erkrankung bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft eben diese Erkrankung
bei einem Embryo in vitro zu diagnostizieren. So kann betroffenen Paaren die Möglichkeit
eröffnet werden, eine Schwangerschaft mit der Sicherheit beginnen zu können, dass die
infrage stehende Erkrankung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden sein wird.
Die aufwendigen Vorbereitungen, der technische Aufwand sowie rechtliche und ethische
Fragen der PGD sind Gegenstand dieses Artikels.
Einleitung
Schon seit vielen Jahren besteht die Möglichkeit, durch die verschiedenen Methoden der
pränatalen Diagnostik einem Paar zu helfen, welches um das erhöhte Risiko weiß, ein Kind
mit einer schweren genetischen Erkrankung zu zeugen.
Es existieren für ein solches Paar, welches oftmals schon ein Kind geboren hat, das dann
kurz postnatal an einer solchen Erkrankung verstorben ist, nur wenige andere Alternativen
(Tab. 1). Immer ergibt sich nach einer positiven Diagnose die schwere Entscheidung für oder
wider einen Schwangerschaftsabbruch. Andere Möglichkeiten bestünden im Verzicht auf ein
eigenes Kind oder gegebenenfalls Adoption, oder darin, das Risiko einzugehen und die
Geburt abzuwarten.
Nur jemand, der diese Situation bereits einmal durchlebt hat, kann nachvollziehen, in
welcher Unsicherheit ein solches Paar über die Schwangerschaft hinweg lebt – sei es mit
oder ohne pränatale Diagnostik –, bis die Gewissheit da ist, dass sich nicht die Problematik
einer oder mehrerer vorangegangener Schwangerschaften und Geburten wiederholen wird.
In dieser Situation könnte die Präimplantationsdiagnostik (PGD = preimplantation genetic
diagnosis) im individuellen Falle einen Ausweg bieten: so kann bereits vor Eintritt der
Schwangerschaft mit einer hohen Sicherheit bei einem Embryo in vitro die betreffende
Erkrankung diagnostiziert oder ausgeschlossen werden.
Indikation für die Präimplantationsdiagnostik
Einen Indikationskatalog für diese Technik gibt es genauso wenig wie für Maßnahmen der
Pränatalen Diagnostik. Dadurch würde eine nicht vertretbare Diskriminierung von
Betroffenen entstehen. Vielmehr liegt es in der Entscheidungsfreiheit des individuellen
Es gilt das gesprochene Wort.
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Paares, vor dem Hintergrund einer ganz persönlichen Geschichte im Rahmen der
genetischen Beratung nach einer solchen Möglichkeit zu fragen bzw. die PGD als Alternative
zur herkömmlichen Pränatalen Diagnostik zu wählen.
Ob im Einzelfall eine PGD technisch möglich ist, muss dann individuell geprüft werden.
Weiterhin obliegt es einer Ethikkommission zu entscheiden, inwieweit im individuellen Falle
eine PGD ethisch vertretbar ist. Ein solches Votum sollte in jeden Entscheidungsprozess
eingebunden werden, da das Missbrauchspotential der PGD sicherlich sehr viel größer ist,
als das der Pränatalen Diagnostik: die Ausweitung der Diagnostik auf Erkrankungen
geringerer Schwere oder Merkmale ohne Krankheitswert lediglich auf Wunsch der Eltern
oder der Gesellschaft müssen unbedingt vermieden werden. Somit sind sicherlich z. B. die
Geschlechtsdiagnostik lediglich auf Wunsch der Eltern oder die Durchführung einer PGD bei
Situationen ohne Krankheitswert nicht vertretbar.
Schließlich bedarf es einer ausführlichen Aufklärung über alternative Techniken
(Amniozentese, Chorionzottenbiopsie), Probleme der notwendigen in vitro Fertilisation (IVF)Behandlung, der hormonellen Vorbereitung und der Grenzen der Diagnostik, um dem Paar
eine Basis zur kompetenten Entscheidung ermöglichen zu können. Diese Zusammenhänge
sind in Abb. 1 schematisch dargestellt.
Ablauf der Präimplantationsdiagnostik
Die PGD setzt voraus, dass Embryonen einer Zellentnahme und Diagnostik zur Verfügung
stehen, somit geht in der Regel einer PGD stets eine IVF-Behandlung mit hormoneller
Stimulation und Follikelpunktion zur Eizellgewinnung voraus.
Am 3. Tag der Entwicklung sollten dann die Embryonen ein Stadium erreicht haben, in dem
sie aus etwa 10 Blastomeren, also einzelnen Zellen, bestehen und eine
Blastomerenentnahme problemlos möglich ist. Nach Daten aus Tierexperimenten sowie aus
Erfahrungen der ersten Jahre der klinischen Anwendung am Menschen ist eindeutig gezeigt,
dass durch die Entnahme von bis zu zwei Blastomeren in diesem Stadium keine negative
Auswirkungen auf den Embryo zu erwarten sind (Hardy et al., 1990; Cui et al, 1994; Cui et
al., 1993). Dies ist unabhängig davon, ob die Eröffnung der Zona pellucida durch
mechanische (zona slitting), chemische (Acid Tyrode) oder physikalische Methoden (Laser)
erfolgt (Muggleton-Harris und Findlay, 1991; Cui et al., 1994; Thompson et al., 1995; Montag
et al., 1998).
Nach Entnahme der Blastomeren werden diese molekulargenetisch untersucht. Dazu
bedient man sich der Polymerasenkettenreaktion (PCR = polymerase chain reaction) oder
der Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) (Ludwig und Diedrich, 1998). Die PCR dient
dabei insbesondere dem Nachweis von definierten Einzelzelldefekten, während FISH sich
beim Nachweis der Geschlechtschromosomen bei X-chromosomal gebundenen
Erkrankungen bewährt hat, deren Erbgang zwar bekannt ist, die jedoch bisher noch nicht
näher definiert werden konnten. Somit muss man sich bei dieser Gruppe auf eine
Geschlechtsdiagnostik beschränken und muss das Paar dahingehend beraten, dass sich ein
Embryo mit einem Chromosomensatz 46, XX in jedem Falle zu einem gesunden Mädchen
entwickeln wird, ein Embryo mit einem Chromosomensatz 46, XY jedoch ein 50%iges Risiko
trägt, dass er Träger der infrage stehenden Erkrankung ist. Dieses Problem ist in Abb. 2
nochmals illustriert.
Eine Geschlechtsdiagnostik ist auch durch den Nachweis von X- und Y-Chromosomspezifischen Sequenzen im Rahmen einer PCR möglich, hat jedoch verschiedene Nachteile
(Tab. 2).
Man muss sich in diesem Zusammenhang bewusst machen, dass die Diagnostik an
einzelnen Zellen nicht dieselbe Sicherheit bieten kann wie eine an einem prinzipiell
unbegrenzten Material, z. B. bei konventionellen Methoden der Pränatalen Diagnostik. So ist
beispielsweise eine Kontrolle bei zweifelhaftem Ergebnis nicht möglich, da kein Zellmaterial
mehr zur Verfügung steht. Ferner muss die Diagnostik innerhalb weniger Stunden erfolgen,
da der Embryotransfer noch am Nachmittag oder frühen Abend desselben Tages erfolgen
sollte, um nicht die Schwangerschaftsrate zu beeinträchtigen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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Schließlich steht nur ein einzelner DNA-Doppelstrang zur Verfügung, so dass zusätzliche
Kautelen bei der Aufbereitung der Proben notwendig sind, um nicht einen Verlust der Zelle
bzw. des genetischen Materials zu riskieren.
Sobald für jeden verfügbaren Embryo eine Diagnostik durchgeführt worden ist, kann das
Ergebnis mit den Eltern diskutiert werden. Diese werden nach entsprechender Beratung
entscheiden, welche Embryonen transferiert und welche nicht mehr weiterkultiviert werden
sollen. Diese Entscheidungsfreiheit der Eltern nach einer nicht-direktiven Beratung muss ein
wesentliches Element einer jeden Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik sein.
Erfolge der Präimplantationsdiagnostik
Die aktuellsten Daten zum weltweiten Stand der PGD stammen aus dem Februar 1997 und
wurden von Frau Dr. Joyce Harper anlässlich eines internationalen Treffens zur
Präimplantationsdiagnostik in Edinburgh vor Beginn des ESHRE Kongresses 1997
vorgetragen. Sie werden in Tabelle 3 zusammengefasst.
Rechtliche und ethische Probleme der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland
Während in vielen europäischen Staaten die PGD bereits praktiziert wird, ist in Deutschland
die Rechtslage noch nicht endgültig geklärt. Nachdem deutlich geworden ist, dass durch
Verlust der Tortipotenz nach dem 8-Zell-Stadium der Vorwurf der
embryonenverbrauchenden Diagnostik nicht mehr besteht, bleibt das Problem der
Verwendung solcher Embryonen, die auf Wunsch des Paares nicht transferiert werden
sollen. Die Vereinbarkeit des Vorgehens einer PGD mit dem Embryonenschutzgesetz und
der Berufsordnung wird derzeit geprüft.
Es ist nunmehr fast zwei Jahre her, dass die Ethikkommission der Medizinischen Universität
zu Lübeck zu der Entscheidung gelangt ist, dass die PGD in bestimmten Fällen ethisch
vertretbar ist. Insbesondere wurde der Fall eines Paares begutachtet, welches aufgrund
eines heterozygoten Status beider Partner ein 25%iges Risiko trug, ein Kind mit einer
Mukoviszidose zu zeugen. Tatsächlich war das erste Kind dieses Paare wenige Wochen
postnatal an einer Mukoviszidose verstorben, danach waren mehrere
Schwangerschaftsabbrüche aufgrund eines positiven Ergebnisses durchgeführt worden.
Dieses Paar hatte sich wie viele andere mit der Frage einer PGD an uns gewandt und wartet
noch immer auf die endgültige Entscheidung über die Rechtslage.
Ein anderes ratsuchendes Paar mit einer ganz ähnlichen Geschichte hatte sich nach
Information durch uns über die derzeitige rechtliche Situation in Deutschland auf
Medienberichte hin an die Freie Universität Brüssel gewandt und dort nach drei
Behandlungszyklen zu einer IVF-Behandlung mit einer entsprechenden PGD eine
Schwangerschaft erzielen können.
Dieses zweite Beispiel illustriert die paradoxe Situation des sogenannten
„Patiententourismus“: dass Behandlungen in anderen europäischen Ländern auch
Deutschen verfügbar sind, selbst wenn sie in unserem Lande momentan in einem
„rechtsfreien“ Raum angesiedelt werden müssen oder verboten sind. Dies soll nicht so
verstanden werden, dass wir die Freigabe einer jeden medizinischen Maßnahme auch in
Deutschland propagieren, die im Ausland durchgeführt wird. Vielmehr sollte es nachdenklich
stimmen, einmal mehr das Konzept der PGD als eine Möglichkeit zu diskutieren, um im
individuellen Falle einer betroffenen Familie einen Schwangerschaftsabbruch vermeiden zu
helfen.
Es handelt sich hier nicht um eine neue Maßnahme der herkömmlichen Pränataldiagnostik,
die eine ähnliche weite Verbreitung finden wird; dies ist schon allein von den technischen
Problemen her nicht möglich. Auch sollten die Gefahren des Missbrauchs, die immer wieder
in die Diskussion eingebracht werden, stets vor dem möglichen Nutzen im individuellen Falle
gesehen werden. Eine Beschränkung der PGD auf die hier dargestellten Fälle, nach
Konsultation einer Ethikkommission, wird sicherlich derartigem Missbrauch effizient
vorbeugen können.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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