Universität und Krieg. : Die Auswirkungen des Dreißigjährigen

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Susanne Häcker
Universität und Krieg.
Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges
auf die Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg
Aus den großen Kriegen Alteuropas ragt insbesondere der Dreißigjährige Krieg hervor, der neben erheblichen demographischen und
ökonomischen Schäden tiefe Spuren im Bewusstsein und Verhalten der Bevölkerung hinterlassen und auf die Zeitgenossen zweifellos prägend gewirkt hat. Bis zum Ersten Weltkrieg blieben die spezifischen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges bei Angehörigen aller Bevölkerungsschichten im kollektiven Gedächtnis fest
eingegraben, was in der Forschung bis heute zum Festhalten am
Zäsurcharakter dieses Krieges für fast alle Bereiche der vormodernen deutschen Geschichte geführt hat.1
Welche Einflüsse aber hatte dieser Krieg jedoch konkret auf das
deutsche Bildungswesen und Geistesleben? In Folge soll dieser
Fragestellung nachgegangen und drei südwestdeutsche Universitäten in den Fokus einer vergleichenden Studie genommen werden.
Die reformierte kurpfälzische Universität Heidelberg, die lutherische württembergische Universität Tübingen und die katholische
vorderösterreichische Universität Freiburg sind nicht nur aufgrund
ihrer konfessionellen Verschiedenheit für einen Vergleich besonders geeignet, sondern auch wegen ihrer geographischen Nachbarschaft und weil sie seit den 1620er Jahren und verstärkt seit der
Mitte der 1630er Jahre in vergleichbar hohem Maße von den
Kriegsereignissen betroffen waren. In den Blick genommen werden vor allem die zur Zivilbevölkerung zählenden Professoren und
Studenten.
Der Dreißigjährige Krieg wurde von den Zeitgenossen vor allem in
seinem Charakter als Glaubenskrieg wahrgenommen. Das klare
und eindeutige konfessionelle Bekenntnis, mithin die Rechtgläubigkeit der Professoren und Gelehrten an den Universitäten war
1
Volker Press, Soziale Folgen des Dreißigjährigen Krieges, in: Winfried Schulze
(Hrsg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988, S. 239–268,
hier S. 239.
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schon vor dem Dreißigjährigen Krieg im so genannten Konfessionellen Zeitalter von herausragender Bedeutung. Inwiefern war daher die personelle und konfessionelle Struktur in den Kriegsjahren
Veränderungen unterworfen?
In der Literatur wurden angesichts der zeitweise enormen Präsenz
fremder Soldaten in den Universitätsstädten die zahlreichen Konflikte zwischen Studenten und einfachen Soldaten in besonderer
Weise hervorgehoben und als ein Grund dafür genannt, dass die
studentischen Sitten während des Dreißigjährigen Krieges verrohten.
Mit den teilweise erheblichen, kriegsbedingten Frequenzschwankungen der drei untersuchten Hochschulen ist die Problematik des
akademischen, gelehrten Nachwuchses, welcher am Beispiel der
Theologiestudenten am besten rekonstruierbar ist, weiterhin am
Engsten verbunden. Der zeitweise für die Hochschulen existenziell
bedrohliche Rückgang der Immatrikulationszahlen und die zum
Teil gravierenden Einschränkungen des akademischen Lehrbetriebes an den Landesuniversitäten wirkten sich unausweichlich auf die
soziale Rekrutierung der territorialen Bildungseliten – namentlich
auf die Pfarrer- und Beamtenschaft – aus.
Aus all dem stellt sich die Gesamtfrage, ob und in welcher Form
der akademische Lehrbetrieb in Kriegszeiten aufrechterhalten werden konnte, was unmittelbar die in der Literatur vertretene These
des generellen Niedergangs von Lehre und Forschung berührt.
Konfessionelle Ausgangssituation zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges
Als reformierte Hochschule spielte die Universität Heidelberg für
das deutsche Geistesleben eine große Rolle und zeichnete sich
zudem durch ihre überterritoriale Bedeutung aus. Die Universität
Heidelberg wirkte über den Heidelberger Katechismus und durch
die Prägung ihrer Studenten als Vermittlerin der reformierten
Theologie im Reich sowie darüber hinaus und kann daher um 1600
neben Genf und Leiden als ein bedeutendes Zentrum des
reformierten Protestantismus in Europa bezeichnet werden.2 Die
2
Armin Kohnle, Die Universität Heidelberg als Zentrum des reformierten Protestantismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Márta Font/Lászlo Szögi (Hrsg.),
Die ungarische Universitätsbildung und Europa, Pécs 2001, S. 141–161, hier S. 148.
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reformierten Heidelberger Theologen, vor allem David Pareus,
Franz Junius und Abraham Scultetus, waren Vertreter einer Irenik,
die auf eine Lehreinigung aller Protestanten bei zugleich klarer
Abgrenzung zum Katholizismus abzielten.3 Theologieprofessoren
aus Heidelberg beteiligten sich für die reformierte Pfälzer Landeskirche an der Synode von Dordrecht in den Jahren 1618/19.4
Pareus erkannte aber durchaus auch, dass theologische Klärungsgespräche an der mangelnden Konzessionsbereitschaft auf beiden
Seiten litten.5
Die Theologen der Tübinger Universität vertraten eine streng lutherisch-orthodoxe Linie, allen voran der Polemiker Theodor
Thumm.6 In einem Briefwechsel mit dem württembergischen
Ratsmitglied Benjamin Bouwinghausen von Wallmerode, in dem
dieser die Truppendurchzüge durch den Schwäbischen Kreis ansprach, äußerte sich der Kaiser folgendermaßen: Kann doch ewer fürst
seine pfaffen nicht ziehen, wie sollten dann wir unsere soldaten ziehen?7 Verschiedene Pasquillen des streitbaren Tübinger Theologieprofessors
Theodor Thumm waren am Kaiserhof auf Missbilligung gestoßen.8
Die Einstellung Tübinger Theologen gegenüber den Reformierten
war aber nicht weniger kampfeslustig, in deren Theologie wurde
eine Deformation des Glaubens gesehen.9 Als einzig lutherische Uni3
Günter Brinkmann, Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer
Relevanz zur Wahrheitsfrage, Hildesheim 1972, S. 12f.; Wilhelm Holtmann, Die
Pfälzische Irenik im Zeitalter der Gegenreformation, Göttingen 1960, S. 282f.; Volker Press, Kurfürst Maximilian I. von Bayern, die Jesuiten und die Universität Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg 1622–1649, in: Wilhelm Doerr (Hrsg.), Semper
Apertus. Sechshundert Jahre Universität Heidelberg 1386–1986. Festschrift in sechs
Bänden, Bd. 1, Berlin u.a. 1985, S. 314–370, hier S. 316; Anton Schindling/Walter
Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz und Oberpfalz, in: Dies. (Hrsg.), Die Territorien
des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 5, Münster 1993, S. 8–49, hier S. 38.
4
Ebd., S. 38.
5
Holtmann, Die Pfälzische Irenik (wie Anm. 3), S. 241.
6
Ludwig Timotheus von Spittler, Ueber Christoph Besold’s Religionsveränderung.
Mit Zusätzen von Gottlieb Christian Friedrich Mohnike, Greifswald 1822, S. 25–27.
7
Zitiert nach Axel Gotthard, Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik
Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608–1628), Stuttgart 1992, S. 417.
8
Ebd., S. 417.
9
Zitiert nach Ludwig Timotheus von Spittler, Geschichte Wirtembergs unter der
Regierung der Grafen und Herzoge, Göttingen 1783, S. 4 f.
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versität im süddeutschen Raum hatte die Eberhardina zu Beginn des
17. Jahrhunderts nichtsdestotrotz eine besondere Ausstrahlungskraft auf die ostmitteleuropäischen Länder, wie etwa Böhmen,
Mähren, Schlesien und Ungarn sowie auf die evangelische Bevölkerung der Habsburgischen Erblande.10
Nach fast fünfzigjährigen Bemühungen der österreichischen Erzherzöge wurden im November 1620 an der Albertina in Freiburg
die Jesuiten eingesetzt, um den wahren Glauben zu lehren. Diese
übernahmen die Lehrstühle an der Philosophischen und zum Teil
auch der Theologischen Fakultät.11 Das Einzugsgebiet der Albertina
erstreckte sich zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges in erster Linie auf die katholischen Gebiete in Südwestdeutschland, der
Schweiz und des Elsasses.12 Mit der festen Etablierung der Jesuiten
im Jahr 1620 stiegen hier die Studentenzahlen stark an.13
Der Kriegsverlauf im Südwesten des Reiches
Die Kurpfalz und damit auch Heidelberg, die Residenzstadt der
pfälzischen Kurfürsten, waren bereits ab 1620 unmittelbar vom
Kriegsgeschehen betroffen und wurden bis zum Kriegsende immer
wieder von den Kriegsereignissen heimgesucht.14
Freiburg und Tübingen hingegen – in den 1620er Jahren zunächst
nur von den Randerscheinungen des Krieges, wie der Inflation im
10
Matthias Asche, Bildungsbeziehungen zwischen Ungarn, Siebenbürgen und den
deutschen Universitäten im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Wilhelm Kühlmann/Anton Schindling (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und
Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart 2004, S. 27–52.
11
Otto Krammer, Bildungswesen und Gegenreformation. Die Hohen Schulen der
Jesuiten im katholischen Teil Deutschlands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert,
Würzburg 1988, S. 93; Friedrich Schaub, Die vorderösterreichische Universität
Freiburg, in: Friedrich Metz (Hrsg.), Vorderösterreich. Eine geschichtliche Landeskunde, Bd. 1, 1. Aufl., Freiburg im Breisgau 1959, S. 228–244, hier S. 231; Anton
Schindling, Die katholische Bildungsreform zwischen Humanismus und Barock.
Dillingen, Dole, Freiburg, Molsheim und Salzburg. Die Vorlande und die benachbarten Universitäten, in: Hans Maier/Volker Press (Hrsg.), Vorderösterreich in der
frühen Neuzeit, Sigmaringen 1989, S. 137–176.
12
Hermann Mayer (Bearb.), Die Matrikel der Universität Freiburg i. Br. von 1460–
1656, Bd. 2, Freiburg/Br. 1907, S. 790–814.
13
Theodor Kurrus, Die Jesuiten an der Universität Freiburg i. Br. 1620–1773, Bd.
1, Freiburg/Br. 1963, S. 18.
14
Schindling/Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz und Oberpfalz (wie Anm. 3).
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Gefolge der der Kipper und Wipper oder der Truppendurchzüge,
tangiert – wurden von direkten Kriegsauswirkungen erst in der
zweiten Kriegshälfte berührt. Für die vorderösterreichische Stadt
Freiburg begannen die schweren Kriegsjahre mit dem Vordringen
der Schweden in den süddeutschen Raum im Jahre 1632.15 In Tübingen hielten die drückenden Kriegszeiten erst nach der Niederlage Schwedens und seiner Verbündeten, zu denen auch der Herzog
von Württemberg gehörte, nach der Schlacht von Nördlingen
(1634) Einzug.16 Sowohl in Tübingen als auch in Freiburg waren
die üblichen Begleiterscheinungen des Krieges bis zum Westfälischen Frieden präsent, wobei Freiburg als umkämpfte Festungsstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zur französischen Grenze im
Vergleich doch stärker von direkten Kriegshandlungen betroffen
war als Tübingen.
An einen planmäßigen Wiederaufbau des Landes war aber in allen
drei Städten vor dem Kriegsende nicht zu denken. Die Begleiterscheinungen des Krieges, wie Seuchen, Hunger und Teuerungen,
machten der Bevölkerung schwer zu schaffen, und die Bevölkerungsverluste aller drei Städte lagen bei über 70 Prozent.17
Auswirkungen auf die Professorenschaft
Drei Gesichtspunkte werden im Zentrum dieses Kapitels stehen:
Zunächst wird die Neuberufungspolitik der Besatzungsmächte,
nach Flucht, Vertreibung oder dem Tod der bisherigen Lehrstuhlinhaber behandelt. Da das eindeutige konfessionelle Bekenntnis
und die Rechtgläubigkeit der Professoren und Gelehrten von großer Wichtigkeit waren, fällt der Blick weiterhin auf Konvertiten
innerhalb des Lehrkörpers. Abschließend wird die Rolle der aka15
Horst Buszello/Hans Schadek, Alltag der Stadt – Alltag der Bürger. Wirtschaftskrisen, soziale Not und neue Aufgaben der Verwaltung zwischen Bauernkrieg und
Westfälischem Frieden, in: Heiko Haumann/Hans Schadek (Hrsg.), Geschichte der
Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 2, Stuttgart 1994, S. 69–161, hier S. 125.
16
Hermann Ehmer, Württemberg, in: Schindling/Ziegler, Die Territorien des
Reichs (wie Anm. 3), S. 168–192, hier S. 188.
17
Günther Franz, Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk, 4. Aufl., Stuttgart 1979; dazu John Theibault, The Demography of the Thirty Years War
Revisited. Günther Franz and his Critics, in: German History 15 (1997), S. 1–21;
Manfred Vasold, Die deutschen Bevölkerungsverluste während des Dreißigjährigen
Krieges, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 56 (1993), S. 147–164.
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demischen Medizin für die medizinpoliceyliche Versorgung der Stadtbevölkerung während der Kriegs- und Pestzeiten dargestellt.
Unter den Kriegseinwirkungen wurde der Professorenbestand an
allen drei Universitäten stark dezimiert. Am härtesten traf dieser
Rückgang die Rupertina in Heidelberg, dort sank die Zahl der Lehrenden bis 1622 von vormals 16 auf sieben; diese Professoren, die
mit Ausnahme eines Konvertiten, der bereits zum katholischen
Glauben gewechselt war, dem reformierten Glauben angehörten,
wurden im Jahre 1626 durch Kurfürst Maximilian I. von Bayern
entlassen, und die Hochschule blieb bis 1629 ohne Lehrkräfte. In
den Jahren 1629 bis 1631 kam wieder ein Lehrbetrieb mit einer
Minimalbesetzung von jeweils einem katholischen Professor an der
Theologischen, Juristischen und Philosophischen Fakultät bzw.
zwei an der Medizinischen Fakultät zustande.18 Während der
schwedischen Besatzungszeit waren zwar protestantische Professoren berufen worden, diese konnten ihre Tätigkeit aufgrund des
schwedischen Rückzugs nach der Schlacht von Nördlingen allerdings nicht mehr aufnehmen. Für die Jahre 1635 bis 1649 sind katholische Professoren für die Theologische, Philosophische und
Medizinische Fakultät nachgewiesen worden, Spuren eines Lehrbetriebs finden sich aber nicht.19
Die Lehrstühle der Albertina in Freiburg waren während der gesamten Kriegsjahre mit katholischen Professoren besetzt, obwohl auch
hier im Verlauf der ersten schwedischen Besatzungszeit (1633–
1635) der Versuch unternommen wurde, protestantische Gelehrte
zu berufen. Das wechselnde Kriegsglück vereitelte jedoch dieses
Vorhaben.20 Auch in Freiburg lag der Lehrbetrieb zeitweise still.
Allerdings scheinen hier nie weniger als drei Professoren vor Ort
präsent gewesen zu sein. Durch die Arbeiten von Theodor Kurrus
oder auch von Hermann Mayer kann leicht der Eindruck entstehen, dass die jesuitischen Lehrkräfte während der Kriegsjahre im
Vergleich zu ihren weltlichen Kollegen besonders mutig und
standhaft den Lehrbetrieb aufrechterhalten haben. Bemerkenswert
ist auch, dass die schwedischen Besatzer 1632/33 die jesuitischen
18
Eike Wolgast, Die Universität Heidelberg 1386–1986, Berlin/Heidelberg 1986, S.
51–54.
19
Hermann Weisert, Geschichte der Universität Heidelberg, Heidelberg 1983, S. 45.
20
Kurrus, Die Jesuiten an der Universität Freiburg (wie Anm. 13), S. 27.
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Professoren geduldet hatten, obwohl diese ihr konfessionelles
Feindbild schlechthin verkörperten. Solch ein Verhalten beschränkt sich nicht nur auf Freiburg, sondern kann auch bei der
Besetzung Erfurts durch die Schweden im Jahr 1631 beobachtet
werden. Gustav Adolf selbst sorgte hier dafür, dass die Katholiken
in Erfurt vor Übergriffen geschützt wurden.21 Seit 1635 bis zum
Kriegsende stand eine konfessionelle Umstrukturierung der Hochschule nicht mehr zur Disposition, da Frankreich nun der Hauptgegner der Habsburger war.
Die Professorenschaft der Tübinger Eberhardina bestand während
des gesamten Krieges aus Lutheranern, wenn man von Christoph
Besold absieht, bei dem das genaue Datum seiner Konversion zum
katholischen Glauben nicht bekannt ist. Es wurden keine Versuche
unternommen, andersgläubige Gelehrte zu berufen, was sicherlich
damit zusammenhängt, dass sich Kaiser Ferdinand II. 1635 im
Prager Frieden dazu verpflichtet hatte, Württemberg beim lutherischen Glauben zu belassen.22 Die geringste Zahl der Tübinger Professorenschaft war im Jahr 1639/40 mit acht Professoren erreicht.
Abgesehen vom Höhepunkt der Kriegswirren direkt nach der
Schlacht bei Nördlingen und wohl auch während der Pest wurde
hier der Lehrbetrieb nie komplett eingestellt.23 Insgesamt lässt sich
unter anderem anhand der Neuberufungen erkennen, dass die jeweiligen Besatzungsmächte durchaus ein Interesse an der Fortführung der Universitäten hatten und eine vollständige Auflösung dieser Bildungsanstalten nicht in ihrem Sinne war.
Das eindeutige konfessionelle Bekenntnis und die Rechtgläubigkeit
der Professoren und Gelehrten waren an den Universitäten im 16.
und 17. Jahrhundert naturgemäß von herausragender Bedeutung.
Da konfessionelle Gesichtspunkte bei Berufungen von Professoren
bestimmend waren, gab es an vielen Universitäten regelrechte
21
Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die
Geschichte der Universität Erfurt, Bd. 3, Leipzig 1983 (ND Erfurt 1997), S. 132 f.
22
Klaus Schreiner, Die Katastrophe von Nördlingen. Politische, wirtschaftliche
und kulturelle Folgen einer Schlacht für Land und Leute des Herzogtums Württemberg, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen und das Ries 27 (1985),
S. 29–90, hier S. 53.
23
Bernhard Zaschka, Die Lehrstühle der Universität Tübingen im Dreißigjährigen
Krieg. Zur sozialen Wirklichkeit im vorklassischen Zeitalter, Tübingen 1993, S. 155.
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Konfessionseide als Voraussetzung für die Lehrtätigkeit.24 Über die
Ausbildung einer geistlichen (Pfarrer) und weltlichen Führungselite
(Beamte) an der konfessionell gebundenen Landesuniversität sollten immerhin nicht weniger als die vom Landesherrn bestimmten
Glaubensvorstellungen verbreitet werden.
Dem rechten Glauben anzugehören war in dieser unruhigen Kriegszeit von existenzieller Bedeutung. Materielle Gesichtspunkte und
das Ziel, die Kriegszeiten möglichst unbeschadet zu überstehen,
hatten neben Gewissens- und Glaubensgründen große Bedeutung
für so manchen Konvertiten innerhalb der Professorenschaft. Der
Konfessionsübertritt bedeutender Männer darf insbesondere in der
Zeit des Dreißigjährigen Krieges als ein bedeutendes, Aufsehen
erregendes Ereignis gewertet werden. Die Regierung bzw. die oftmals konfessionsfremden Besatzungsmächte erhofften sich von
solchen öffentlichen Konfessionswechseln zweifellos einen Nachahmungseffekt in der Studentenschaft und in der Bevölkerung.
Unter den Heidelberger und Tübinger Professoren konnten für die
Zeit des Dreißigjährigen Krieges insgesamt fünf Konvertiten nachgewiesen werden.
Ein erster spektakulärer Konfessionsübertritt während des Dreißigjährigen Krieges wurde am 23. November 1621 in der Tübinger
Stiftskirche öffentlich zelebriert, und zwar derjenige des Jesuiten
Jacob Reihing zum lutherischen Glauben. Reihing, der als profilierter Gegner des Protestantismus galt, hatte zuvor an den Jesuitenkollegs in Innsbruck und München sowie an der Universität Ingolstadt gelehrt und fungierte seit 1613 als Hofprediger des
Pfalzgrafen von Neuburg, wo er maßgeblich an der Rekatholisierung des Landes beteiligt gewesen war. Anfang 1621 floh er
recht überraschend ins lutherische Württemberg. Für Reihings
Übertritt zum evangelischen Glauben scheinen trotz aller polemischen Schriften im Nachhinein, die darauf verwiesen, er habe Unzucht mit einer ledigen Frau betrieben und Angst vor der Strafe
24
Volker Schäfer, Die Universität Tübingen zur Zeit Schickards, in: Ders., Aus
dem Brunnen des Lebens. Gesammelte Beiträge zur Geschichte der Universität
Tübingen. Festgabe zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Sönke Lorenz/Wilfried Setzler,
Ostfildern 2005, S. 99–112, hier S. 103.
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des Provinzials gehabt,25 keine äußeren Gründe vorgelegen zu haben. Er habe am Neuburger Hof wohl stets als integrer Mann gegolten.26 Reihings Übertritt scheint auch nicht aus materiellen
Gründen erfolgt zu sein, er verließ eine gesicherte Stelle als Hofprediger und angesehener Ordensmann für eine zunächst ungewisse Zukunft als Protestant.27 In seiner Konversionsrede gab er
selbst als Hauptgrund an, dass er die Autorität der Heiligen Schrift
erkannt habe.28 Reihing wurde in einem viertägigen Examen durch
Lucas Osiander und Theodor Thumm auf seinen rechten Glauben
geprüft. Die Tübinger Theologen bestätigten daraufhin, dass es
sich um keine Scheinbekehrung, sondern eine Bekehrung aus
Glaubensgründen handle.29 Der Glaubenswechsler durfte sogar an
der streng lutherischen Tübinger Theologischen Fakultät lehren.
1622 berief der Herzog Reihing zunächst zum außerordentlichen
Professor der Theologie. In dieser Funktion hatte er zunächst seine
eigenen antilutherischen Schriften publizistisch zu widerlegen.
1625 rückte er in eine ordentliche Theologieprofessur ein, verstarb
aber bereits drei Jahre später im Alter von 49 Jahren.30
In Tübingen sorgte es für ebenso großes Aufsehen, als Christoph
Besold, Professor an der Juristischen Fakultät, 1635 vom lutherischen zum katholischen Glauben übertrat. Bereits in früheren Jahren war aufgrund verschiedener Schriften Besolds, wie etwa
Heraclites, oder Spiegel der weltlichen Eitelkeit und des Elends menschlichen
Lebens (1617) und Nachfolgung des armen Lebens Christi (1621) ihm gegenüber der Verdacht aufgekommen, dass er mit der katholischen
Kirche sympathisierte.31 Die ‚Rechtgläubigkeit’ Besolds wurde im
Jahre 1626 von den Theologen Thumm und Lucas Osiander untersucht und anerkannt.32 1627 hatte Besold den Besitz des württem25
Kurt Schwindel, D. Jakob Reihing. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation, München 1931, S. 88.
26
Ulrich Sieber, Professor Johann Martin Rauscher (1592–1655). Studien zur
Geschichte der Universität Tübingen im Dreißigjährigen Krieg, Köln 1968, S. 56.
27
Schwindel, Jakob Reihing (wie Anm. 25), S. 103.
28
Ebd., S. 103–121.
29
Ebd., S. 78 f.
30
Schäfer, Universität Tübingen zur Zeit Schickards (wie Anm. 24), S. 99.
31
Spittler, Religionsveränderung (wie Anm. 6), S. 31; Barbara Zeller-Lorenz, Christoph Besold (1577–1638) und die Klosterfrage, Tübingen 1986, S. 19.
32
Spittler, Religionsveränderung (wie Anm. 6), S. 34–36.
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bergischen Herzogs an einigen Klöstern gegenüber dem Bischof
von Augsburg und dem Abt von Kaisheim verteidigt.33 1628 bekannte er sich nochmals anlässlich des Amtsantritts des HerzogAdminatrators Ludwig Friedrichs feierlich zur Konkordienformel.34 Ebenso besuchte Besold nach wie vor den Gottesdienst und
das Abendmahl.35 Aber bereits 1630 soll er in Heilbronn heimlich
zum katholischen Glauben übergetreten sein; doch lässt sich das
Konversionsdatum nicht mit letzter Bestimmtheit nachweisen.36
Erst nach der Schlacht von Nördlingen (1634) gab er diesen Schritt
bekannt.37 Besold wurde nach seinem öffentlichen Bekenntnis zum
katholischen Glauben im August 1635 als Regimentsrat in Stuttgart
Mitglied der durch Ferdinand II. eingesetzten württembergischen
Räteregierung. Der Konvertit setzte sich allerdings auch weiterhin
leidenschaftlich für die Sache der Klöster ein und machte sich aufgrund dessen bei den Habsburgern unbeliebt, denen bei einem
Aussterben der württembergischen Herzogsfamilie im Mannesstamm die Erbfolge vorbehalten war, und es lag nicht in ihrem Interesse, das Land durch die Restitution von Klöstern und Stiften zu
dezimieren.38 Einer Stelle als Reichshofrat nach Wien zog Besold
die Annahme einer Professur in Ingolstadt vor. 1636 siedelte er
nach Ingolstadt über, fungierte dort als kurbayerischer Rat und
lehrte an der Juristischen Fakultät der dortigen Universität. 1638
verstarb Besold in Ingolstadt.39 Er soll noch auf dem Sterbebett
vor den versammelten Kollegen den Wunsch geäußert haben, dass
33
Ebd., S. 35.
Ebd., S. 35; Zeller-Lorenz, Christoph Besold (wie Anm. 31), S. 19.
35
Spittler, Religionsveränderung (wie Anm. 6), S. 36.
36
Ebd., S. 39; Zeller-Lorenz: Christoph Besold (wie Anm. 31), S. 20.
37
Spittler, Religionsveränderung (wie Anm. 6), S. 44.
38
Gudrun Emberger, Christoph Besold, in: Universitätsbibliothek Tübingen
(Hrsg.), „…helfen zu graben den Brunnen des Lebens.“ 500 Jahre Eberhard-KarlsUniversität Tübingen 1477–1977. Historische Ausstellung des Universitätsarchivs
Tübingen, Tübingen 1977, S. 97–100, hier S. 99; Spittler, Religionsveränderung (wie
Anm. 6), S. 48; Zeller-Lorenz, Christoph Besold (wie Anm. 31), S. 23 f.
39
Emberger, Christoph Besold (wie Anm. 38), S. 99; Klaus Schreiner, Beutegut aus
Rüst- und Waffenkammern des Geistes. Tübinger Bibliotheksverluste im Dreißigjährigen Krieg, in: Eine Stadt des Buches. Tübingen 1498–1998. Ausstellungskatalog, Tübingen 1998, S. 77–130, hier S. 102.
34
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seine Tochter Dorothea im katholischen Glauben erzogen würde
und seine Frau Barbara ebenso konvertiere.40
Auf die drei anderen Konvertiten wird hier nicht im Detail eingegangen. Es handelt sich um den Mehrfachkonvertiten Richard
Bachoven, der sich als Heidelberger Rechtsprofessor bis 1635
nacheinander zu allen drei großen Konfessionen bekannte, den
Heidelberger Mediziner Balthasar Reid und den ebenfalls aus Heidelberg stammenden Philosophen Christoph Jungnitz, die beide
zum katholischen Glauben übergingen. Um Scheinbekehrungen zu
entlarven und den wahren Glauben der Konvertiten zu testen,
wurden diese stets kritischen Prüfungen unterzogen. Doch selbst
nach bestandener Examination blieb ihnen gegenüber immer ein
Rest Argwohn bestehen.41
Da der Tod im Dreißigjährigen Krieg allgegenwärtig war und wie
viele andere Infektionskrankheiten – etwa Ruhr, Typhus, Diphtherie, Pocken – auch die Pest untrennbar zur Realität des Dreißigjährigen Krieges gehörte, ist es naheliegend, die Rolle der akademisch
gebildeten Mediziner beziehungsweise die der Medizinprofessoren
kritisch zu beleuchten.42
Die Bedeutung der Medizinischen Fakultät an den Universitäten
des Alten Reiches war in aller Regel gering; meist lehrten nur ein
oder zwei Professoren in dieser Fakultät, die zudem wenig Studenten hatte. Die in erster Linie theoretische Ausbildung der Mediziner war den großen Autoritäten der Antike wie Galen, Avicenna
und Hippokrates gewidmet. Empirische Forschung gab es kaum,
und Anschauungsunterricht bei anatomischen Sektionen war selten.43 Während sich die italienischen und niederländischen Universitäten im 16. und 17. Jahrhundert neuen physiologischen und anatomischen Erkenntnissen geöffnet hatten, verlief der medizinische
40
Zeller-Lorenz, Christoph Besold (wie Anm. 31), S. 26.
Schwindel, Jakob Reihing (wie Anm. 25), S. 78 f.
42
Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom
Mittelalter bis heute, München 1991, S. 139; Susanne Häcker, Mediziner auf der
Flucht? Die Rolle der akademischen Medizin während der Pestzüge des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel der vorderösterreichischen Universität Freiburg, in: Virus.
Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 7 (2008), S. 185–194.
43
Ebd. S. 102.
41
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Universität und Krieg
Unterricht im Reich weitestgehend in traditionellen Bahnen.44
Zwar wurde von den Heidelberger, Tübinger und Freiburger Medizinprofessoren gewünscht, die fortgeschrittenen Studenten zur
Urinuntersuchung und zum Pulsmessen ans Krankenbett mitzunehmen, aber dies konnte wohl durchaus nicht als obligatorischer
Lehrinhalt angesehen werden. Zu den Aufgaben der Medizinprofessoren gehörten eigentlich die medizinische und hygienische
Versorgung der Stadtbevölkerung sowie die Überwachung des
Heilpersonals und der Apotheken, die Medicinalpolicey.
Während der Pestwellen 1627/28 verpflichtete der städtische Rat
Freiburgs die Absolventen der Medizinischen Fakultät Johann Jakob Federer und Dieterich Meyl als Pestärzte und trug diesen auf,
sowohl die Armen als auch die Reichen der Stadt zu behandeln.45
Doch trotz allem spielte die Medizinische Fakultät bis ins frühe 18.
Jahrhundert keine erhebliche Rolle in der medizinischen Versorgung der Freiburger Bevölkerung. Im Alltag waren handwerklich
und zünftisch organisierte Ärzte, wie Bader, Barbiere und Chirurgen, bedeutender. Die diagnostischen Möglichkeiten der akademisch gebildeten Ärzte waren begrenzt. Ihre wichtigsten Hilfsmittel Harnschau und Pulsmessung wurden gleichsam zum Symbol
des Arztberufes. Durch akademisch gebildete Ärzte wurden zwar
immer wieder Pestschriften mit Behandlungsmethoden und Verhaltensmaßregeln zu Pestzeiten veröffentlicht, doch wirklich sichere Methoden zur Vorbeugung oder Heilung gab es nicht, und sowohl Ärzte, als auch Patienten standen der Pest hilflos gegenüber.
Das wirksamste Mittel, sich der Ansteckung durch Pest und Seuchen zu entziehen, war im 17. Jahrhundert für diejenigen, die es
sich leisten konnten, die Flucht. Viele Medizinprofessoren und ihre
Studenten beherzigten zu Pestzeiten ihren eigenen Rat und flohen.46
44
Wolfgang Uwe Eckart, Geschichte der Medizin, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg
1994, S. 167 f.
45
Buszello/Schadek, Alltag der Stadt (wie Anm. 15), S. 124.
46
Ulrich Knefelkamp, Das Verhalten von Ärzten in Zeiten der Pest (14.–18. Jahrhundert), in: Jan Cornelius Joerden (Hrsg.), Der Mensch und seine Behandlung in
der Medizin – bloß ein Mittel zum Zweck?, Berlin/Heidelberg 1999, S. 13–39, hier
S. 39.
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Auswirkungen des Krieges
auf die Studentenschaft und die Immatrikulationszahlen
Die Immatrikulationszahlen können als wichtiger Indikator für die
Attraktivität einer Hochschule gewertet werden. Es ist aber problematisch, von den in einem Semester an einer Hochschule eingeschriebenen Studenten auf eine tatsächliche Studentenzahl rückzuschließen, auch wenn es hierzu bereits Berechnungsversuche gibt.47
Eine solche Berechnung wird, wenn überhaupt, nur einen Annäherungswert bringen, da in der frühneuzeitlichen Hochschulmatrikel,
der wichtigsten seriellen Quelle zur Untersuchung von Studentenzahlen, nur Immatrikulations-, jedoch keine Exmatrikulationsdaten
verzeichnet sind.48
Die reformierte Universität Heidelberg war als erste und wohl auch
am längsten bzw. am härtesten von den Kriegsereignissen betroffen. Das reformierte Hochschulwesen im Reich wurde insgesamt
durch den Dreißigjährigen Krieg erheblich beeinträchtigt. Studenten reformierten Glaubens wichen in erster Linie auf die reformierten Universitäten in den Niederlanden und der Schweiz aus. Einige
Heidelberger Studenten wechselten kurz vor oder nach der Belagerung Heidelbergs an die lutherischen Universitäten in Straßburg
und Tübingen (vgl. Abb. 1).
Aufgrund des militärischen Erfolges der katholischen Liga und der
kaiserlichen Truppen Ende der 1620er Jahre waren die katholischen Universitäten und damit auch Freiburg erst ab den 1630er
Jahren, mithin nach dem Kriegseintritt Schwedens und einer Kräfteverschiebung zugunsten der Protestanten, direkt von den Kriegsereignissen betroffen (vgl. Abb. 2).
Tübingen als lutherische Universität bekam die massiven Kriegslasten und -folgen als letzte der drei angesprochenen Universitäten zu
spüren. Insgesamt scheint das lutherische Bildungswesen den
47
Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904 (ND Berlin 1994), S. 29–42; dazu kritisch
Willem Frijhoff, Grandeur des nombres et misères des réalités. La courbe de Franz
Eulenburg et la débat sur le nombre d’intellectuels en Allemagne, 1576–1815, in:
Dominique Julia u.a. (Hrsg.), Les Universités Européennes du XVIe au XVIIIe
siècle. Histoire sociale des populations étudiantes, Bd. 1, Paris 1986, S. 23–63.
48
Susanne Häcker/Florian Lang, [Art.] Hochschulmatrikel, in: Enzyklopädie der
Neuzeit 5 (2007), Sp. 549–551.
110
Universität und Krieg
Krieg am glimpflichsten überstanden zu haben. Die Frequenz an
lutherischen Hochschulen hatte im Vergleich zu derjenigen der katholischen oder gar der reformierten Hochschulen während des
Krieges den geringsten Einbruch erlebt.49 Als Ausweichuniversität
für Tübinger Studenten diente vermutlich die lutherische Hochschule in Straßburg, wobei hierzu allerdings abgesehen von der
Arbeit von Alexander Persijn zu den pfälzischen Studenten Forschungen bislang fehlen (vgl. Abb. 3).50
Unmittelbare Kriegseinwirkungen, wie Belagerungen und Einquartierungen, sowie Pestzüge, brachten einen direkten Rückgang der
Immatrikulationszahlen. Zwar stieg die Zahl der Einschreibungen
meist nach der Wiederherstellung einigermaßen geregelter und
stabiler Verhältnisse rasch wieder an, doch der Zuzug auswärtiger
Studenten ließ danach häufig über längere Zeit hinweg auf sich
warten. Bei den Neuimmatrikulationen während der Kriegsjahre
handelte es sich meist um Landeskinder oder Studenten aus nahe
gelegenen Territorien ohne eigene Hochschulen, wie etwa im Fall
der Universität Tübingen aus den lutherischen Reichsstädten
Oberdeutschlands. Neben dem Anteil an auswärtigen Studenten
sank auch der Anteil adeliger Studenten. Gründe hierfür könnten
sein, dass sich vielen Adeligen während der Kriegsjahre die Möglichkeit einer militärischen Karriere auftat oder aber auch, dass diese eher die Mittel und Möglichkeiten hatten, an eine entfernter gelegene Universität auszuweichen. Durch ihre zeitweilige Schließung
waren die Frequenzeinbußen der Universitäten Heidelberg und in
Freiburg, deren Studentenzufluss teilweise über Jahre hinweg auf
vereinzelte Immatrikulationen absank oder vollständig erlag,
schwerwiegender als diejenigen an der Universität Tübingen. Hier
unterschritt die Zahl der jährlichen Immatrikulationen nie dreizehn
Studenten und blieb im Vergleich zu den beiden anderen Hochschulen – freilich auf geringem Niveau – verhältnismäßig stabil.
49
Howard Hotson, A dark Golden Age. The Thirty Years War and the Universities
of Northern Europe, in: Allan I. Macinnes u.a. (Hrsg.), Ships, Guns and Bibles in
the North Sea and Baltic States, c. 1350–c. 1700, East Linton 2000, S. 235–270, hier
S. 247.
50
Alexander Persijn, Pfälzische Studenten und ihre Ausweichuniversitäten während
des Dreißigjährigen Krieges. Studien zu einem pfälzischen Akademikerbuch, Mainz
1959.
111
Susanne Häcker
Sinkende Studentenzahlen und die hohen Mortalitätsraten in
Kriegszeiten konnten in der Nachkriegszeit zu einem erheblichen
Mangel an Beamten und Pfarrern führen. Für die Rekrutierung sowohl einer geistlichen, als auch einer weltlichen Beamtenschaft
spielten diejenigen eine wichtige Rolle, die während der Kriegszeiten oftmals an Ausweichuniversitäten studiert hatten. Dies gilt in
besonderem Maße für die Kurpfalz, aber auch für Württemberg
und Freiburg.51 Es ist zu vermuten, daß die Anforderungen an ein
Theologiestudium am Ende des Krieges bezüglich Dauer und
Lehrinhalten reduziert wurden, um möglichst rasch Pfarrernachwuchs zu erhalten. So wurden im Jahre 1649 zwanzigjährigen
Magistern Pfarrstellen im Herzogtum Württemberg anvertraut. Die
Pfarrer waren teilweise vier bis fünf Jahre zuvor noch an Lateinschulen gewesen und hatten das Theologiestudium noch nicht abgeschlossen.52 Zweifellos ist jedoch davon auszugehen, daß der
Pfarrermangel in der Kriegs- und Nachkriegszeit gerade für traditionell bildungsferne Schichten eine in der Altständischen Gesellschaft sehr seltene Phase erhöhter sozialer Mobilität markierte.
Gemäß ihren Privilegien waren die Universitäten und ihre Angehörigen vom Militärwesen befreit. Nichtsdestotrotz wurden immer
wieder Studenten und andere Universitätsangehörige im Notfall zu
Verteidigungsmaßnahmen herangezogen.53 In Heidelberg wurden
die Studenten angehalten, in ihren Häusern zu bleiben, da es häufig
zu Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Studenten kam.54
Trotzdem waren auch sie häufig dazu bereit, an der Defension
Heidelbergs mitzuwirken,55 wie etwa gegen die Truppen Tillys im
51
Joachim Köhler, Die Universität zwischen Landesherr und Bischof. Recht, Anspruch und Praxis an der vorderösterreichischen Landesuniversität Freiburg (1550–
1752), Wiesbaden 1980, S. 162.; Persijn, Ausweichuniversitäten (wie Anm. 51), S. 53.
52
Ebd., S. 23.
53
Susanne Häcker, „... sogar Kriegskameraden trifft man unter euch an.“ Die Verteidigung von Stadt, Lehre und Glauben durch Heidelberger, Tübinger und Freiburger Universitätstheologen im Dreißigjährigen Krieg, in: Franz Brendle/Anton
Schindling (Hrsg.), Geistliche im Krieg, Münster 2008, S. 89–100.
54
Eduard Winkelmann (Bearb.), Urkundenbuch der Universität Heidelberg. Regesten, Bd. 2, Heidelberg 1886, S. 186.
55
Eike Wolgast, Die kurpfälzische Universität 1386–1803, in: Doerr, Semper Apertus (wie Anm. 3), S. 1–70, hier S. 43.
112
Universität und Krieg
Jahr 1622. Dabei hatten sich auch zwei Kohorten der Studenten
beteiligt.56
Zur Beteiligung von Universitätsangehörigen an der Verteidigung
der Stadt Tübingen und der Landesfestung Hohentübingen finden
sich in den Quellen und der Literatur keine Hinweise. Dies mag
damit zusammengehangen haben, dass die Stadt Tübingen selbst
1634 an die bayerischen und nochmals 1647 an die französischen
Besatzer kampflos übergeben wurde. 1634 wurde neben der Stadt
auch das Schloss Hohentübingen kampflos ausgeliefert. 1647 wurde
das Schloss zwar mehrere Wochen von der bayerischen Besatzung
gegen die französischen Belagerer gehalten, doch über eine Beteiligung akademischer Bürger finden sich auch hier keine Hinweise.
In Freiburg wurde bereits 1622, als sich die Kriegsgefahr von der
Pfalz und vom Oberrhein her zu nähern schien, eine Anfrage an
die über siebzehnjährigen Studenten gestellt, welche von ihnen sich
bereit erklären würden, der Stadt im Verteidigungsfall unter eigenem akademischen Feldzeichen zu dienen. Darauf meldeten sich
300 Studenten freiwillig.57 Im Dezember 1632 waren etwa 190 Studenten an der Stadtverteidigung gegen die schwedischen Belagerer
beteiligt.58 Ebenso sollen zwei Jesuiten-Patres die Kanonen auf der
Burg bedient haben.59 Dieser Beteiligung von Studenten an der
Stadtverteidigung war ein langer Schriftverkehr zwischen Stadtkommandant und Universität vorausgegangen.60 Ebenso hatten die
Studenten Bedingungen an ihre Beteiligung geknüpft. Sie würden
nicht unter der Bürgerschaft wachen, sondern wollten eigene Posten haben, die nicht einem beliebigen Hauptmann unterstellt sein
sollten, sondern einem aus dem akademischen Senat, etwa dem
Rechtsprofessor Adam Meister. Weiterhin forderten sie, dass die
Korporation Universität in den Vertrag bei Übergabe der Stadt
56
Wolgast, Die Universität Heidelberg (wie Anm. 18), S. 52.
Hermann Mayer, Freiburg i. Br. und seine Universität im Dreißigjährigen Krieg
(1. Teil), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 26 (1910), S. 121–188, hier S. 123.
58
Heinrich Schreiber, Freiburg im Breisgau mit seinen Umgebungen. Geschichte
und Beschreibung, Freiburg/Br. 1825, S. 31.
59
Leo Alexander Ricker, Freiburg. Aus der Geschichte einer Stadt, Karlsruhe 1964,
S. 66.
60
Mayer, Freiburg Teil 1 (wie Anm. 58), S. 128–137.
57
113
Susanne Häcker
eingeschlossen werden würde.61 Dies waren die Bedingungen, die
Universität und Studenten in jedem Verteidigungsfall gegenüber
dem Magistrat stellten. Sie resultierten aus einem spezifischen
Standesverhalten, dessen rechtliche Grundlage der privilegierte Status der Professoren und Studenten als Universitätsverwandte bildete.
Ebenso zeigen sich besonders deutlich das Standesbewusstsein und
das Selbstverständnis der akademischen Bürgerschaft innerhalb des
Stadtverbundes. Während der schwedischen Belagerung im Frühjahr 1638 hatten sich wiederum fünfzig Studenten an der Stadtverteidigung beteiligt.62 Danach kam es erst wieder im Jahr 1648 aufgrund der französischen Belagerung zu einer Beteiligung von
Studenten an den Wachdiensten.63
In der Geschichtsschreibung wird immer wieder der allgemeine
Verfall studentischer Sitten und der Disziplin während des
Dreißigjährigen Krieges erwähnt. Dies kann durchaus eine Folge
der Wechselwirkungen zwischen Studenten- und Soldatenleben
sowie des allgemein rauer werdenden sozialen Klimas in Kriegszeiten sein. Möglich ist, dass die ständige Anwesenheit von Kriegsvolk bei den Studenten ein roheres Benehmen, wie etwa Fluchen,
Spielen und Schlaghändel, aufkommen ließ.64 Der ‚abgebrannte’
oder relegierte Student wurde manchmal Landsknecht oder Reiter
und kehrte dann später wieder an die Universität zurück. Auf diese
Weise konnten durchaus die Unsitten der militärischen Lagergesellschaft an die Universitäten gelangen.65 Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass den Studenten sowohl vor als auch nach dem
Krieg hoher Alkoholkonsum, Duellunwesen, Spielsucht und an-
61
Ebd., S. 134.
Hermann Mayer, Zur Geschichte der Frequenz der Universität Freiburg im 16.
und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 27 (1911), S. 119–134, hier S. 126.
63
Hermann Mayer, Freiburg i. Br. und seine Universität im Dreißigjährigen Krieg
(2. Teil), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 27 (1911), S. 35–90, hier S. 85.
64
Martin Leube, Die Geschichte des Tübinger Stifts im 16. und 17. Jahrhundert,
Stuttgart 1921, S. 44.
65
Johannes Scherr, Deutsche Kultur- und Sittengeschichte, Leipzig 1897, S. 364.
62
114
Universität und Krieg
dere moralische Verfehlungen vorgeworfen wurden,66 diese Vorwürfe mithin keineswegs als ein Spezifikum von Kriegszeiten
angesehen werden können. Neu waren die Händel der Studenten
mit fremden Söldnern. Ob sich jedoch die Konflikte der Studenten
mit den Soldaten von den auch vor dem Krieg üblichen studentischen Händeln mit den Bürgersöhnen und Handwerkergesellen
strukturell so gravierend unterschieden, erscheint fraglich, zumal
neueste kulturhistorische Studien nahe legen, dass es sich hierbei
im Kern um ritualisierte Ehrkonflikte handelte, welche die sich erst
allmählich zu einer eigenen sozialen Gruppe konstituierenden
Studentenschaften mit konkurrierenden Sozialgruppen austrugen.67
Wirtschaftliche Auswirkungen
Ebenso vielfältig waren die wirtschaftlichen Auswirkungen des
Krieges. Die Folgen des kaiserlichen Restitutionsedikts von 1629
führte im Falle der Universität Tübingen zum Ausbleiben erheblicher Mittel aus Klostergütern, die bislang zur Finanzierung und
Unterstützung des Klosterschul- und Stipendienwesens, aber auch
zur Besoldung der Professoren bereitstanden.68 In Württemberg
hatten die zeitweise Schließung der Klosterschulen und die
schlechte Lage des Tübinger Stifts gravierende Auswirkungen auf
das Bildungswesen.
Einquartierungen, Kontributionen und sonstige Kriegszahlungen
lasteten schwer auf den Universitäten und ihren Angehörigen, da
auf deren akademische Privilegien zu Kriegszeiten kaum Rücksicht
genommen wurde. Durch die Unsicherheit der Wege war die Verwaltung entfernt liegender Güter schwierig geworden, und die ohnehin durch die Kriegseinflüsse verringerten Einkünfte konnten
nicht mehr eingeholt werden. Infolge der Geldknappheit und des
Mangels an Naturalien wurden auch bei der Universität liegende
Privatstipendien angegriffen und zuweilen auch Sachvermögen, wie
etwa Tafelsilber, kostbare Bücher oder sonstiges wertvolles Inven66
Max Bauer, Sittengeschichte des deutschen Studententums, Dresden 1926, S. 53.
Marian Füssel, Devianz als Norm? Studentische Gewalt und akademische Freiheit in Köln im 17. und 18. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 54 (2004), S.
45–166.
68
Zeller-Lorenz, Christoph Besold (wie Anm. 31), S. 123.
67
115
Susanne Häcker
tar, veräußert.69 Zusätzlich nahmen die Universitäten Darlehen auf
und waren nach dem Krieg entsprechend hoch verschuldet. In einigen Fällen erwirkten die Hochschulen für sich gesonderte
Schutzbriefe, die sie vor Kontributionen und Einquartierungen
bewahren sollten.70
Nach der Schlacht von Nördlingen im September 1634 erwirkten
Stadt und Universität einen gemeinsamen Schutzbrief des Herzogs
von Lothringen, wodurch sie vor den schlimmsten Verwüstungen
bewahrt werden konnten.71 Trotz der dennoch folgenden hohen
Kontributionen, Quartierlasten und Plünderungen kam Tübingen
im Vergleich zu manch anderer württembergischen Stadt noch einigermaßen glimpflich davon.72 Neben Tübingen blieben im Herzogtum Württemberg lediglich Stuttgart und Marbach ungeplündert.73 Die kampflose Übergabe von Stadt und Festung war somit
der Preis für eine relativ gute Behandlung durch die Besatzer.74
Während der Besatzungszeit 1647/48 bat die Universität Tübingen
im Einvernehmen mit der Stadt den französischen General Turenne um einen Schutzbrief. In diesem verbot jener eigenmächtige
Einquartierungen und Plünderungen bei den Universitätsverwandten.75
Da die städtische Bürgerschaft hingegen häufig der Meinung war,
dass bei der akademischen Bürgerschaft noch mehr Vermögen
vorhanden sei als diese vorgaben und sie zudem nicht die ganzen
Kriegslasten alleine tragen wollten und konnten, war es für die Universitätsverwandten nicht immer einfach, diese Schutzbriefe auch tatsächlich durchzusetzen. Dies war etwa der Fall, als die Universität
Freiburg vom Herzog von Lothringen im Februar 1635 einen
Schutzbrief zusammen mit einem dekret und ihr f. durchl. Sigill und
namen ahn die statt Freyburg, die universitetische von einquartierungen zu
69
Wilfried Setzler u.a., Kleine Tübinger Stadtgeschichte, Tübingen 2006, S. 79.
Mayer, Freiburg Teil 1 (wie Anm. 58), S. 179.
71
Rudolf von Roth, Die fürstliche Librerei auf Hohentübingen und ihre Entführung im Jahr 1635, Tübingen 1888, S. 9.
72
Setzler u.a., Kleine Tübinger Stadtgeschichte (wie Anm. 70), S. 78.
73
Gebhard Mehring, Wirtschaftliche Schäden durch den Dreißigjährigen Krieg im
Herzogtum Württemberg, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 30 (1921), S. 58–89, hier S. 79.
74
Roth, Die fürstliche Librerei (wie Anm. 72), S. 10.
75
Schreiner, Die Katastrophe von Nördlingen (wie Anm. 22), S. 52.
70
116
Universität und Krieg
befreyen und die berait belegten personen zue delogieren erhielt.76 Nach längeren Auseinandersetzungen musste die Stadt den Schutzbrief anerkennen und versprach am 2. Juni 1635, die Universität nur im
äußersten Notfall mit Einquartierungen zu belegen. So ein Notfall
wurde bereits am 4. Juni angekündigt.77
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Universitäten zum Kriegsende wirtschaftlich ruiniert waren. Diese finanzielle Not der Universitäten während und direkt nach dem Krieg hatte allerdings
auch Rückwirkungen auf die Gesamtfinanzlage der Stadt, da stark
frequentierte Universitäten einen erheblichen Wirtschaftsfaktor
darstellten. Münzverschlechterungen, Kapitalverluste durch Konkurse, uneinbringliche Zinsrückstände und Zinskürzungen lagen
als schwere Last auf den Privatstiftungen.78
Die katholische Besatzungszeit hatte in Heidelberg die Auswirkung, dass die von Thomas Erast gestifteten Stipendien eingezogen
wurden, da ihre Vergabe an die konfessionelle Zugehörigkeit zum
reformierten Glauben gebunden war.79 Für das Tübinger Stift gingen
durch das Restitutionsedikt wichtige Einnahmequellen verloren.
Aufgrund der Kriegswirren und der allgemeinen wirtschaftlichen
Notlage in Württemberg nach der Schlacht bei Nördlingen
mussten die ursprünglich 150 Stipendienplätze zeitweise auf 30
verringert werden (vgl. Abb. 4).
Für die Freiburger Rupertina bedeutete der Verlust des Elsass an
Frankreich, dass 26 Stipendien völlig erloschen, da deren Fonds bei
der elsässischen Landeskammer angelegt waren und vom französischen König in seiner Funktion als Landvogt des Elsaß nach dem
Krieg nicht mehr ausgezahlt wurden.80
Zu den Selbstverständlichkeiten des Kriegsalltages gehörte es, Beute zu machen. Dabei war der Raub von Kunstschätzen durch das
Kriegsrecht durchaus legitimiert.81 In diesem Zusammenhang dokumentieren Bücher als Beutegut die Ohnmacht und die kulturel76
Zitiert nach Mayer, Freiburg Teil 1 (wie Anm. 58), S. 179.
Mayer, Freiburg Teil 1 (wie Anm. 58), S. 181.
78
Schäfer, Universität Tübingen zur Zeit Schickards (wie Anm. 24), S. 48.
79
Press, Kurfürst Maximilian I. von Bayern (wie Anm. 3), S. 325.
80
Adolf Weisbrod, Die Freiburger Sapienz und ihr Stifter Johannes Kerer von
Wertheim, Freiburg/Br. 1966, S. 123.
81
Schreiner, Beutegut (wie Anm. 39), S. 128.
77
117
Susanne Häcker
len Verluste der Unterlegenen, aber auch das Machtstreben und
den Geltungsdrang der Sieger. Vor dem Hintergrund eines humanistischen Bildungsideals galt es als Zeichen der Überlegenheit und
als Gebot der Staatsräson, unterworfenen Gegnern ihre geistigen
Waffen und damit auch ihre kulturelle Identität abzuringen.82 Bibliotheken galten als Zentren des Wissens, als Symbole herrschaftlichen Daseins und als Repräsentationsorte kirchlicher Rechtgläubigkeit. Frühneuzeitliche Fürsten und Herren waren darauf bedacht, dem Bildungsideal des Reformzeitalters gerecht zu werden
und Ruhm und Rang ihrer Dynastie durch wertvolle Bibliotheksschätze zu vermehren.83 Insbesondere in symbolischer Hinsicht
wogen der Verlust der Bibliotheca Palatina, die 1623 von Kurfürst
Maximilian I. von Bayern an Papst Urban VIII. übergeben wurde,
aber auch der Abtransport der Tübinger Schlossbibliothek im Jahr
1635 nach München schwer. Die Heidelberger Palatina und auch
die Tübinger Schlossbibliothek stellten aufgrund ihres ausgesuchten Sortiments und der Bedeutung ihrer Bücher und Schriften erstrebenswerte Beuteobjekte dar. Der Freiburger Universitätsbibliothek, die dem damaligen Standard an den Universitäten entsprochen haben dürfte, wurde hingegen wenig Beachtung geschenkt. Zwar wurde in aller Regel an Schutzvorkehrungen für die
Bibliotheken gedacht, ein Abtransport der Bücher konnte allerdings oft aufgrund der Büchermenge und des Zeitmangels nicht
mehr veranlasst werden.
Fazit
Abschließend lässt sich für alle drei untersuchten Universitäten
festhalten, dass der Dreißigjährige Krieg einen Niedergang aus
wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Blüte bedeutete, von dem
sie sich nur schwer erholen konnten. Lange Jahre führten die Universitäten nur eine Art Scheinleben, wie es in der ausgeprägtesten
Form wohl an der Universität Heidelberg zu Tage trat. Der Professorenbestand war an allen drei behandelten Universitäten zeitweise
stark dezimiert; phasenweise waren kaum Lehrkräfte zugegen.
82
Ebd., S. 126.
Klaus Schreiner, Württembergische Bibliotheksverluste im Dreißigjährigen
Krieg, Frankfurt/M. 1974, S. 658.
83
118
Universität und Krieg
Gegen die kriegsbedingt fast schon regelmäßig auftauchenden Seuchenepidemien waren die damaligen Medizinprofessoren weitgehend machtlos. So kam es, dass viele Medizinprofessoren, statt die
Pest aktiv zu bekämpfen, lieber wie andere Angehörige der Zivilbevölkerung vor der raubenden und plündernden Soldateska sowie
den ihnen folgenden Seuchen aus den Städten flohen.
Von den durch die Zeitgenossen grundsätzlich als Bedrückung
wahrgenommenen Einquartierungen fremder Kriegsvölker waren
nicht nur die städtischen Bürger, sondern auch die Professorenhaushalte betroffen. Kontributionen, Einquartierungen und sonstige Kriegsfolgekosten führten gleichermaßen an den Universitäten
als Institutionen wie auch bei den Universitätsangehörigen zu finanziellen Bedrückungen.
Die Frequenzentwicklung einer Universität sowie die regionale und
soziale Zusammensetzung der Studenten unterlagen während der
Kriegszeiten starken Veränderungen. Zeitweise kam es zu einer
Verlagerung der Studentenströme an kriegsverschonte Ausweichuniversitäten.
Als unmittelbare Kriegsfolgeerscheinung verfiel jedoch nicht nur
vielerorts die Bausubstanz der Universitätsgebäude, sondern auch
die Häuser in akademischem Besitz wurden von den fremden Besatzungstruppen verschiedentlich – manchmal sogar dauerhaft –
der Hochschule entfremdet, was sich zu einer zusätzlichen Behinderung für die akademische Lehre entwickeln konnte. Die Folgen
der – modern gesprochen – ‚psychologischen Kriegsführung’
konnten dazu führen, daß die Besatzungstruppen sich häufig nicht
nur damit begnügten, den materiellen Besitz der Stadtbevölkerung
zu plündern, sondern gelegentlich auch dazu übergingen, sich gewissermaßen den geistigen und kulturellen Besitz einer Universität
anzueignen, wie das Beispiel des Raubs der berühmten Palatina in
Heidelberg zeigt. Der Raub der Heidelberger Universitätsbibliothek durch Kurfürst Maximilian I. von Bayern und deren Verbringung nach Rom kann nicht nur als symbolische Bestrafung des von
ihm vertriebenen reformierten Kurfürsten, sondern – nach Kategorien Pierre Bourdieus – auch als Verlust objektivierten kulturellen Kapitals der Universität Heidelberg, mithin als geistige Degradierung der ‚ketzerischen’ kurpfälzischen Hochschule, gedeutet
werden.
119
Susanne Häcker
Abbildung 1: Diagramm der Gesamtimmatrikulationszahlen und des Adelsanteils
innerhalb dieser Neuinskriptionen an der Universität Heidelberg von 1618 bis 1653.
Erstellt nach Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg, Bd. 2, Heidelberg 1886, S. 287–318.
120
Universität und Krieg
Abbildung 2: Diagramm der Gesamtimmatrikulationszahlen sowie des darin enthaltenen Anteils Adeliger und Freiburger an der Universität Freiburg (Eintragungen
mit Herkunftsort Freiburg, die nicht näher erläutert sind, werden der Stadt Freiburg
im Breisgau zugeordnet.) von 1618 bis 1653. Erstellt nach Mayer, Matrikel Freiburg
(wie Anm. 12), S. 794–932.
121
Susanne Häcker
Abbildung 3: Diagramm der Gesamtimmatrikulationszahlen sowie des darin enthaltenen Anteils adeliger Studenten und Klosterschulabsolventen an der Universität
Tübingen von 1618 bis 1653. Erstellt nach Albert Bürk/Wilhelm Wille (Hrsg.), Die
Matrikeln der Universität Tübingen, Tübingen 1953, S. 109–260.
122
Universität und Krieg
Abbildung 4: Diagramm über die Anzahl der am Tübinger Stift anwesenden Studenten zwischen 1618 und 1660. Erstellt nach: Leube: Die Geschichte des Tübinger
Stifts (wie Anm. 65).
123
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