http://www.mediaculture-online.de Autor: Friedrichs, Reiner. Titel: Feature und Hörspiel. Projektorientierte Handlungsweisen und Hörspielformen. Quelle: Ulrike Lorenz/Heinz-Jürgen Ipfling (Hrsg.): Ideenkiste. Angebote für einen anderen Unterricht. Bad Heilbrunn 1986. S. 106-118. Verlag: Julius Klinkhardt Verlag. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Reiner Friedrichs Feature und Hörspiel. Projektorientierte Handlungsweisen und Hörspielformen Features und Hörspiele nun auch noch im Unterricht! Sollte man nicht lieber Rechtschreib- und Grammatikunterricht in dieser Zeit halten? Und überhaupt: Soll jetzt die Schule die mediale Reizüberflutung der Schüler auch noch verstärken? Mit diesen und ähnlichen Aussagen und Einwänden muß man rechnen, wenn man ein solches Vorhaben ankündigt. Sie scheinen mir aber aus der Erfahrung heraus nicht angebracht, denn: Hörspiele und Features als projektorientierte Verfahren – motivieren die Schüler; – aktivieren die unterschiedlichen Individualinteressen; – decken zugleich die von den Lehrplänen geforderten verbindlichen Qualifikationen in verschiedenen Bereichen ab; – können zum Verstehen medienästhetischer Strukturen und zum kritischen Durchschauen gesellschaftlicher Zusammenhänge anleiten, sofern sie von den alltäglichen Erfahrungsräumen der Schüler und ihrem kulturpädagogischen Kontext ausgehen; – dienen der kreativen Spracharbeit und sensibilisieren und erweitern Ausdrucksfähigkeit und Stilempfinden der Schüler; – fördern durch ihren arbeitsunterrichtlichen Charakter die Konzentrationsfähigkeit der Schüler und ermöglichen eigenständiges Arbeiten. 1 http://www.mediaculture-online.de Planung und Durchführung eines Feature-Projektes in einer achten Klasse Sucht man nach ‘aktuellen’ und/oder schülergerechten Themen, so stößt man auf Werbung, Drogen, Alkohol, Nikotin, Umweltprobleme, Reisen, Wohnungsfragen, Freizeit, Städteplanung, Frieden, Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzprobleme, Mode, Jugendzeitschriften, Liebe und Sexualität, Freundschaften, Krimi, Science-FictionLiteratur, Trivialliteratur u. a. Eine 8. Hauptschulklasse hatte sich das Thema ‘Werbung’ ausgewählt. Alle genannten Themen, so abgedroschen sie anmuten, stellen für jede neue Schülergeneration ganz offensichtlich ein lohnendes Untersuchungsfeld dar. Planung des Projektverlaufs Der Projektverlauf kann, nicht nur aus Raumgründen, nur in groben Umrissen skizziert werden. Qualität und Quantität der Projektphasen und Unterrichtsstunden hängen von Motivation und Leistungsvermögen der jeweiligen Lerngruppe ab. Alle Angaben sind also relativ. Große Bedeutung kommt der eigenständigen Schülerarbeit in Arbeitsgruppen in der Schule und in der häuslichen Projektvorbereitung und Nacharbeit zu. Initiativ- und Planungsphase (1-2 Unterrichtsstunden) Die Initiativphase dient der Bedürfnisermittlung und Problemauslotung. Aus mehreren, von Lehrern und Schülern gemeinsam zusammengetragenen Themenvorschlägen wählen die Schüler nach Meinungsbildung ‘ihr’ Projektthema aus. Die Lerngruppe spielt als curriculare Instanz eine ernstzunehmende Rolle. Dies gilt auch für den Inhalt und den methodischen Weg des Projektes. Untersuchungsvorschläge, Publikationsmöglichkeiten (im vorliegenden Fall war es ein auf Kassette gesprochenes 2 http://www.mediaculture-online.de Feature für einen geplanten ‘Schulrundfunk’), Arbeitsverteilung, Untersuchungsobjekte, Gruppenaufteilung usw. werden von der Lerngruppe gemeinsam festgelegt. Nachdem die Schüler sich für das Thema Werbung entschieden hatten, boten sich folgende Einstiegsmöglichkeiten an: Analyse von Werbeplakaten oder Werbespots aus dem Rundfunk oder Fernsehen, Märchenverfremdungen in Werbemanier oder eine Untersuchung zum Leitbildcharakter der Werbung. Die Schüler entschieden sich für den zuletzt genannten Weg. Sie erhielten Abbildungen von Frauen und Mädchen aus der “Vorher-Nachher”-Rubrik der Frauenzeitschrift “Brigitte”. Um dem Leitbildcharakter der Werbung auf die Spur zu kommen, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Die Schüler betrachten die Abbildungen (Plakat oder OHP-Folie) und beantworten anonym folgende Testfragen: 1. Wen findest du sehr, wen weniger sympathisch? 2. Wen würdest du dir als Arbeitskollegin aussuchen? 3. Wen hättest du gerne als Wohnungsnachbar? 4. Mit wem wärest du gerne befreundet oder würdest in Urlaub fahren? 5. Wer erscheint dir eher intelligent, wer weniger intelligent? 6. Wer wirkt auf dich eher wohlhabend, wer ärmlich? Die Abbildungen sind numeriert und ermöglichen so eine rasche Zuordnung zu den Testfragen. In 99% aller Fälle ergibt die Auswertung ein eindeutiges Votum zugunsten der “Nachher”-Frauen, denen nach ihrer “Veränderungskur” die Leitbilder ‘Eleganz’, ‘Jugendlichkeit’, ‘Sportlichkeit’, ‘Intelligenz’, zugeschrieben werden. Klärt man die Lerngruppe über die Identität jeweils zweier Frauen auf, so ergibt sich nahezu zwangsläufig die Frage nach der Ursache dieser Leitbildwirkung. 3 http://www.mediaculture-online.de Ein Vergleich der “Nachher”-Frauen mit ausgewählten Werbeplakaten aus Illustrierten und Fernsehzeitungen vermittelt den Schülern erste Einsichten und wirft weitere Fragen zum Themenbereich auf. Häusliche Projektvorbereitung der Schüler – Informationsbeschaffung zum Thema Werbung (Plakate; fiktionale und expositorische Texte); – Durchsicht der Lese- und Sprachbücher zum Projektthema; Aussagen Erwachsener über die Werbung sammeln; – Eigene Notizen zum Informationswert der Werbung und zur Werbung an sich. Planungsüberlegungen des Projektleiters – Projektumfang (ohne häusliche oder nachmittägliche Arbeiten): 10-14 Unterrichtsstunden; – Rezeption und Produktion verschiedener Texte und Textsorten (Klassenarbeiten können aus dem Projekt erwachsen; dazu sind Absprachen mit der Lerngruppe erforderlich). Rezeptionsmöglichkeiten – Werbeplakate und Werbeanzeigen in Illustrierten, Zeitschriften, Zeitungen, Jugendzeitschriften; – Werbespots in Rundfunk und Fernsehen; – Werbung auf Produkten und in/mit öffentlichen Verkehrsmitteln; – Ingeborg Bachmann: Reklame (Behandlungsmöglichkeit in einer leistungsfähigen Lerngruppe); – Auszüge aus: Packard, Vance: Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann. Frankfurt/M.: Ullstein o. J. (=Bd. 402); – Springmann, Ingo (Hrsg.), Werbetexte – Texte zur Werbung. Stuttgart: Reclam (=Arbeitstexte für den Unterricht) 1979, Nr. 9522. 4 http://www.mediaculture-online.de Produktionsmöglichkeiten – Kritische Analyse von Werbeplakaten und Werbespots; – Werbung und Leitbilder – eine kritische Untersuchung; – Manipulations- und Informationscharakter der Werbung; – Verfremdung von anderen Texten unter Werbegesichtspunkten (z. B. Märchen, Fabeln); – Ein Tag in meinem Leben – werbegerecht gesehen (Satire); – O heile Welt der Werbung – o Welt der Wirklichkeit, eine kritische Gegenüberstellung; – Ich wache auf – alle Werbung ist verschwunden, eine utopische Geschichte; – utopische Texte zur Werbung entwerfen; – Werbesprüche persiflieren, karikieren, collagieren; – Collagen aus Bild- und Textelementen zur Werbung verfassen; – Sprachgebrauch der Werbung untersuchen; – Protokolle über die einzelnen Unterrichtsstunden anfertigen; – Gedichte zur Werbung schreiben. Die Schüler können ihre Arbeitsweise (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) selbst bestimmen. Über die Protokolle und die Plenumsdiskussionen partizipieren alle Beteiligten am Fortgang des Gesamtprojektes. Fachspezifische Lernziele des Gesamtprojektes Diese Ziele, die durchaus innerhalb des Projektes verändert und abgewandelt werden können, sind nicht vorgegeben, sondern erwachsen aus dem Projekt. – Visualisierte und verbalisierte Zeichensysteme der Werbung in ihrer Leistung und Wirkung kennenlernen und sich produktiv damit auseinandersetzen; – Informations- und Manipulationscharakter der Werbung erschließen und produktiv darauf reagieren; – Sprachgestaltung (Metaphern- und Attributgebrauch, Redundanz) kritisch in Leistung und Wirkung erschließen und produktiv darauf reagieren. 5 http://www.mediaculture-online.de Leitgedanke und anvisiertes Projektziel/Projektdurchführung Alle Schülerbeiträge werden auf ihre Verwendung in einem geplanten akustischen Feature zum Thema Werbung geprüft. Akzentuierungsphase (2-4 Unterrichtsstunden) Leitgedanke dieser Sequenz: Auseinandersetzung mit den Strukturen der Werbung und ihrer Wirkung. Ziel der Akzentuierungsphase: Die Schüler gewinnen für sich selbst Klarheit über ihre spezifischen Interessen innerhalb des Gesamtprojekts, wählen ‘ihren’ eigenen Untersuchungsgegenstand und bestimmen den methodischen Weg. In einer Doppelstunde (sie muß nicht voll ausgeschöpft werden) setzt sich die Lerngruppe im Unterrichtsgespräch (später in Partnerarbeit) mit der ‘Welt der Werbung’ in Wort und Bild auseinander. Anhand von Werbeplakaten lernen die Schüler Leistung und Wirkung der werbespezifischen Strukturen kennen. Sie erfahren, welche Assoziationen sich bei bestimmten farblichen Darstellungen, durch Aussehen, Haltung, Ausdruck der dargestellten Figuren und durch geschickte Wortwahl einstellen können. Im Erschließungsprozeß begreifen die Schüler, daß die Werbung primär über die Konnotationen auf den Adressaten wirkt: Dem potentiellen Käufer werden ‘Stimmungen’, ‘Leitbilder’, ‘Wünsche’ verkauft, die dieser mit dem redundant dargebotenen Produkt assoziiert. Folgende Teilaspekte können Untersuchungsgegenstände bei den Werbeplakaten sein: Gesamtaufmachung, assoziierte Stimmung, Wünsche, Gefühle, Leitbilder, bildliche und textliche Darbietung des Produktes, Untersuchung des Informationsgehaltes (Preis, Verwendungszweck, Größe, Gewicht, Gefahren oder Umweltbelastungen usw.), gemachte Versprechungen und Wahrheitsgehalt, Übertreibungen, Redundanz, Anordnung des Produktes auf dem Plakat u. a. m. 6 http://www.mediaculture-online.de Die im Plenum gewonnenen Einsichten werden in einem späteren Transfer in der Analyse von drei bis fünf verschiedenen Plakaten vertieft, die in arbeitsteiligen Gruppen untersucht werden. Die Ergebnisse können von jeder Gruppe ökonomisch anhand vorstrukturierter OHP-Folien expliziert werden. Hausaufgabe: Kritische Erschließung des in der Stunde untersuchten (oder eines selbst ausgewählten) Werbeplakates – schriftlicher Text. Vorstellung und Besprechung der Hausaufgabe bilden den Einstieg in die folgende Doppelstunde der Akzentuierungsphase. Geeignete Schülertexte werden bereits für das spätere Feature ausgewählt. Eine Besprechung des weiteren Projektverlaufes schließt sich an. Nach Arbeitsverteilung, Beratung und Anleitung teilen sich die Arbeitsgruppen innerhalb der Klasse auf. Erste Ergebnisse werden am Stundenende besprochen. Alle gewählten Themen werden von allen Schülern zu Hause beendet. Dazu stehen bis zu drei Tage zur Verfügung. Während dieser Zeit pausiert das Projekt unterrichtlich. Die Unterrichtsplanung muß zwischenzeitlich allerdings so offen sein, daß verschiedene Schülergruppen nach Bedarf in einer Stunde Ergebnisse austauschen oder koordinieren können. In Pausen und nach Unterrichtsende sollte der Lehrer als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Im Sinne einer offenen Unterrichtsplanung bieten sich für die dem Projekt zwischengeschalteten Deutschstunden folgende Themen an: – Rechtschreibübungen (möglichst aus dem Unterricht erwachsend); – Frage- und Antwortpläne der Redestrategien als Vorbereitung für die Interview-Gruppe (vgl. hierzu Wagner 1978); – Analyse von Werbespots auf Kassette oder Videoband; – Lesestunden: Einlesen in Jugendbücher, gezielte Lese- und Vortragsübungen mit Bandkontrolle als Vorübung zur akustischen Feature-Gestaltung. Durchführungsphase (2 Unterrichtsstunden) Es liegt in der Natur eines Projektes, daß alle Teilphasen mehr oder weniger stark ineinanderfließen. So dient die Durchführungsphase eigentlich der Darbietung, Kritik und 7 http://www.mediaculture-online.de Überarbeitung der von den Schülern zu Hause angefertigten Arbeiten. Es stellt für die Lerngruppe meist eine fruchtbringende Erfahrung dar, wenn Schüler einander ihre Texte vorlesen und sich wechselseitig als ‘Autoren‘, ‘Hörer’ und ‘Kritiker’ ernst nehmen. Eine solche Lese- und Gesprächsrunde fördert einerseits Konzentrationsfähigkeit und -bereitschaft und dient andererseits der Auswahl der Texte für das geplante Feature. Die ausgewählten und mit Anmerkungen versehenen Texte werden zu Hause überarbeitet. Innerhalb der Durchführungsphase vertieft die gesamte Lerngruppe ihre Kenntnisse, und Einsichten in die Projektthematik und erweitert ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet der Textkritik und -überarbeitung. Gestaltungsphase (2 Unterrichtsstunden) Für die Textrevision ist zwischen Phase vier und Phase fünf eine Pause von zwei bis vier Tagen vorgesehen. Die Gestaltungsphase dient der Auswahl derjenigen Texte, die die Gestalt des späteren Features bestimmen sollen. Am effizientesten ist es, wenn die vorgeschlagenen Schülertexte vervielfältigt vorliegen und überarbeitet werden können. Auch die Interview-Gruppe stellt ihre bereits zusammengeschnittene Tonaufzeichnung vor. Alle Texte werden kritisch durchgesehen. Dann teilt sich die Klasse in drei Arbeitsgruppen auf. Jede Gruppe entwirft einen Gliederungsvorschlag für das spätere Feature. Die fertigen Entwürfe werden anhand einer Tafelanschrift diskutiert und zu einer endgültigen Feature-Struktur zusammengefaßt. Zu Hause montieren alle Schüler anhand der vorliegenden Kopien und des Strukturgerüstes das Feature-Manuskript zusammen und schreiben (arbeitsteilig) Überleitungstexte zu den einzelnen Beiträgen. Kontrollphase (2 Unterrichtsstunden) Das nunmehr fertige, mit Zwischentexten versehene und erneut vervielfältigte Manuskript wird von der Klasse diskutiert. Musikeinblendungen, Hintergrundgeräusche und Blenden werden besprochen. In verschiedenen Sprechproben werden die Sprecher der einzelnen Texte ermittelt. 8 http://www.mediaculture-online.de Produktionsphase (1 Nachmittag) Schüler nachmittags in der Schule zu versammeln ist – auch bei auswärtigen – weniger problematisch als gemeinhin angenommen wird. Eltern bieten sich zum Transport an, und mit ihrer Zustimmung kann auf eigene Verantwortung auch einmal ein engagierter Lehrer einspringen. So entstand in unserem Fall an einem Nachmittag die akustische Feature-Gestalt. Ein Kassettenrecorder, ein Stereo-Tonbandgerät und zwei Mikrofone gehörten zur technischen Ausrüstung. (Es geht auch einfacher.) 22 Schülerinnen und Schüler nahmen an der Aufnahme teil (Klassenstärke: 27 Schüler). Ein Schüler sorgte live auf einer Hammond-Orgel für einen Teil der musikalischen Untermalung. Solche nachmittäglichen Arbeiten werden von Schülern nicht nur gerne angenommen, sondern konstruktiv unterstützt. Trotz der Kenntnis solcher Tatsachen ist es für einen Pädagogen immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie im Unterricht stille, inaktive oder schwache Schüler sich eifrig und mit guten Vorschlägen an allen Arbeiten umsichtig beteiligen. Ab und an sollte man, eine Regelbildung ist tunlichst zu vermeiden, solche Arbeitssitzungen mit ‘Chips’ und ‘Cola’ auflockern. Von Schülern und Lehrern gemeinsam durchlebte außerschulische Erfahrungen fördern – die Schullandheimbewegung wußte es längst – auch ein erträgliches, mitmenschliches, offenes soziales Miteinander im regulären Schulalltag und fördern- die Arbeitshaltung der Schüler im Unterricht dauerhaft. Resümee Alle Arbeiten, auch die projektbegleitenden, motivierten die Schüler vor allem deshalb ungemein, weil die Texte nicht aus primär pädagogischen Interessen entstanden, sondern ganz im Sinne eines arbeitsunterrichtlichen Verfahrens ‘Werkstücke’ waren, die Teile eines späteren Ganzen, des Features, bildeten. Auch die offene Unterrichtsplanung kam den individuellen Interessen und Arbeitsweisen der einzelnen Schüler entgegen. So konnten auch schwächere Schüler mithalten, 9 http://www.mediaculture-online.de erhielten überraschende Erfolgserlebnisse und zeigten ein teilweise verblüffendes Leistungsvermögen im Bereich der Arbeitsorganisation, der technischen Fähigkeiten, des handwerklichen Arrangements und der kritischen Überarbeitung von Zusammenhängen. Die vom Projekt ausgehende Motivation wirkte sich langfristig auf den gesamten Unterricht positiv aus. Das aufgelockerte vor- und nachmittägliche Miteinander-Arbeiten förderte die sozialen Beziehungen aller Beteiligten untereinander mehr als gelegentliche reine Klassenfeiern, so notwendig und fruchtbringend auch diese sind. Abschließend sei noch vor einem verhängnisvollen Irrtum gewarnt, dem weniger die Schüler als vielmehr Lehrer aufsitzen könnten: Bei einer projektorientierten Feature- oder Hörspielarbeit geht es nicht darum, ein ausgefeiltes Produkt zu erstellen, das mit der professionellen Rundfunkproduktion konkurrieren kann. Die Schüler lernen auch durch, ein möglicherweise gescheitertes Projekt – die medienästhetischen Strukturen auf produktivkreative Weise besser kennen und durchschauen als bei einer reinen Rezeption. Nicht das fertige und – nach Möglichkeit – gelungene Produkt steht im Mittelpunkt eines solchen Projektes, sondern die er- und durchlebten Erfahrungen aller am Projekt Beteiligten. Das Schülermanuskript des Werbe-Features (Auszüge) Schulgong Schule (müde) Erkennungsmelodie SWF 3 Rundfunk (fröhlich) Schule (unbetont/sachlich) Rundfunk (sachlich) Schule!!! Rundfunk!!! Schule??? Rundfunk?? Sprechchor: SCHULRUNDFUNK!!! Frage u. Antwort bis zu den Themenvorschlägen im Dialog. Wechsel zwischen männlichem u. weiblichem Sprecher. 10 http://www.mediaculture-online.de – Schulrundfunk? Was ist das eigentlich? – Ein Rundfunk in der Schule halt. Er soll informieren und den Unterricht auflockern. – Und worüber informiert dieser Schulrundfunk? Er kann verschiedene Themen behandeln. – Diesmal geht es um Werbung Einblenden: Montage verschiedener Werbespots – ausblenden (Thema:) Werbung unter die Lupe genommen – Werbung – Information oder Manipulation? – verführerisch, unterhaltsam oder ärgerlich? Während des folgenden Textes: Hintergrundmusik; zunächst “Dor-Song” und anschließend “Calgon-Song” instrumental gespielt. (Sprecherin): Die Werbung ist Reklame für Reiche und für Arme. Tag für Tag ertönt’s aus jedem Sender: Ajax hinterläßt keine Ränder. Alle Leute laufen, um das Angepriesene zu kaufen. Alles wird uns angepriesen, auch vom Waschpulver, dem weißen Riesen. Alle Zeitungen sind mit Reklame voll. Das finden alle toll. Hier und da ein Angebot, auch von Wüstenrot. Auf Werbung kann die Menschheit nicht verzichten, sonst gibt es nichts mehr zu berichten. 11 http://www.mediaculture-online.de 3 verschiedene Sprecher: – Jacobs Nacht und Tag – der Kaffee, der Sie niemals schlafen läßt. (männlicher Sprecher – möglichst samtig – weich) – Dash wäscht so weiß – sogar die Farben gehen raus! (weiblicher Sprecher – fröhlich begeistert) – Mit dem weißen Riesen kann man so viel Wäsche waschen. Ein Paket reicht für eine 250-m-lange-Leine. – Mal im Ernst: Wer hat schon so 'ne lange Leine!?? (Wechsel zwischen weiblichem Sprecher u. männlichem Sprecher) Interview – Montagen – hart ein- und ausblenden. Überleitungsmelodie: “Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung” – instrumental – 20 sec. Vorlauf, anschließend 60 sec. Hintergrundmelodie zum folgenden Text. (Sprecherin): Schon beim Aufwachen stieg mir das Aroma von Jacobskaffee in die Nase. Im Bad sprühte ich mir die belebende Frische für den ganzen Tag unter die Achselhöhlen, versorgte mich in der Küche mit den köstlichen Appetitscheiben von Milkana und trank dazu, was so minzig schmeckt: Fixminze von Teekanne. Der Gedanke an die folgende Klassenarbeit konnte mich nicht schrecken; denn meine hautenge Levis gibt mir Schwung für den ganzen Tag. Eigentlich hatte ich ja keine Zeit mehr zum Schuheputzen, aber mit Pilofix war auch das kein Problem. Mit dem Schwung von Coke ging der Schulalltag rasch vorbei. Am Mittag brachte Knorr die besten Ideen auf den Tisch und das Fenjala-Cremebad entspannte meine Haut für die Nacht und macht sie wieder schön und geschmeidig für den nächsten Tag. Zwischenmelodie: “Geisterreiter” einblenden und aus (Sprecherin – Überschrift etwas affektiert sprechen): 12 http://www.mediaculture-online.de Rotkäppchen und die Werbung Es war einmal ein Mädchen mit strahlenden Blend-a-med-Zähnen und einem nach einer Brigitte-Anleitung gestrickten roten Mützchen. Daher hieß es auch das Rotkäppchen. Eines Tages ging das Mädchen mit einer Flasche Kellergeister und einem Glas Schwartau Extrakonfitüre zu seiner Oma, die im Erholungsheim ‘Zum glücklichen Kuckuck’ im Böhmerwald lebte. Auf dem Weg dorthin traf es den Wolf, der sein dickes Fell regelmäßig mit Schauma Shamptu-Shampoo wusch. Dieser fragte Rotkäppchen: – Sag einmal, du schönes Kind, wohin willst du so geschwind wie ein Golf GTI? (männlicher Sprecher) – Zu meiner Oma, aber du wirst sie ja kennen, sie ist die Frau von Dr. Oetker. Aber ich muß jetzt weitergehen. Und schon hüpfte es mit den neuen Salamander-Sandaletten fröhlich hinweg. Da dachte der Wolf, das wird ein Leckerbissen, da kommt sogar Danones Traumcreme nicht mehr mit und stieg in seinen neuen Porsche Carrera und war damit ein bißchen schneller bei der Oma als Rotkäppchen. Als Rotkäppchen im Erholungsheim eintraf, ging es die von Black und Decker verarbeitete Treppe zur Oma hinauf. Doch als es die Tür aufmachte, schlug sofort der Wolf mit seinem täglich mit dem Kukident-2-Phasen-gepflegten Gebiß zu. Nun lag das Rotkäppchen zusammen mit der Oma im Bauch des Wolfes. Der Wolf war so satt, daß auch ein Underberg nicht mehr schnell über den Berg half, und so legte er sich in Omas Möbel-Franz-Bett und schlief ein ... Und wenn sie nicht gestorben sind, so gucken sie heute noch Werbung. Instrumentale Werbemelodie zwischenblenden und aus 13 http://www.mediaculture-online.de Sprecher: O schöne heile Welt der Werbung – o Welt der Wirklichkeit Sprecher (anderer): Die Werbung stellt immer fröhliche, vergnügte und vitale Menschen dar, die nie Sorgen haben, Menschen, die alle Probleme sofort lösen können, weil sie z. B. in Fenjala baden oder Camel rauchen. Reklame ist so aufgebaut, daß sie einem einredet, daß man ohne ein bestimmtes Produkt nicht leben kann. In Wirklichkeit ist es aber doch so, daß es keinen Menschen gibt, der sich immer nur vergnügen kann. Es lösen sich wohl auch keine Probleme von selbst, nur weil man eine bestimmte Zigarettenmarke raucht. Die Werbung spielt uns ein Leben vor, wie es jeder gerne hätte. Kleine Zwischenmontage aus dem Interview. Hörbild “Krimi” Nach dem gleichen Projektverfahren entstand ein Jahr später mit den gleichen Schülern ein Hörbild zum Thema Krimi. Die folgenden Manuskriptauszüge vermitteln einen kleinen Eindruck. Krimis außer Rand und Band leicht ironische Betrachtungen von Schülern der Klasse 9a Hauptschule Mülheim-Kärlich – Ein Hörbild Sprecher: 14 http://www.mediaculture-online.de Die Hand im Schnee. Eine kurze Kriminalszene von E. V. Er: Erna, bist du fertig? Sie: Ja doch, Moment noch. (Stimme weit weg) Er: Ernaaa, du weißt doch, daß wir pünktlich bei Schneiders sein sollten. - Daß du immer so trödeln mußt. Typisch Weiber. Sie: Was hast du gesagt, Hans? Er: Ach nichts. (Weibl. Schritte kommen eine Treppe herunter näher) Sie: Am besten gehen wir durch den Wald, dann kommen wir am schnellsten zu Schneiders. Erzähler: Es ist ein verschneiter, kalter nebliger Donnerstag. Reif hängt an den Bäumen und tropft von den Ästen. Der Schnee ist naß und pappig. Die Schritte verursachen knirschende Geräusche und hinterlassen tiefe Spuren. Unsere beiden beschleunigen ihren Gang. (raschere Schrittgeräusche) Plötzlich erblicken sie etwas Schreckliches. (Schritte halten ein. Musik heult auf – Stille) Sie: Hans, schau mal dort. (Gellend) Ääääh, eine Leiche, eine Leiche! (Schritte, die sich rasch entfernen) Er: (Stimme als innerer Monolog – Gedanken hörbar machen) Jetzt sehe ich es auch. Es ist eine Hand. ja wirklich, da ragt eine Hand aus dem Schnee. (rasche, feste Schritte) (Stimme wieder normal) Beruhige dich, Erna, wir dürfen jetzt nichts falsch machen. (Stimme wieder als Gedanken) Es war schrecklich anzusehen. Dort drüben ragt eine Hand aus dem Schnee. Vielleicht ein totes Mädchen, dessen Eltern es jetzt verzweifelt suchen. Wir haben selber zwei Kinder. (kurze Zwischenmusik – rasche Schritte – Türklingeln – Tür öffnet sich) (Polizeisignal kommt näher – Schritte im Schnee und Türen knallen zu) Er: (innerer Monolog) 15 http://www.mediaculture-online.de Er/Sie: Nun stehen wir wieder am Tatort. Stehen wir um ein totes Mädchen herum? Wir starren wie versteinert auf die Hand. Unzweifelhaft eine zarte Hand; fast wie aus Porzellan. Die Sonne glitzert durch die Bäume, im Schnee spiegelt sich das Licht. Es ist schrecklich. Endlich bückt sich ein Polizist. Er zieht an der Hand, richtet sich auf – und – – Alle: Eine Schaufensterpuppe – eine Schaufensterpuppe! (*** aufbrausende Musik ***) Sprecherin: Tatü, tata, der Derrick ist da. Eine lyrische Satire von F. H. Sprecher: Nun wieder ist es Freitag, Viertel nach Acht und wieder wird ein Mord vollbracht. Schon ist die Polizei rasch da, doch natürlich kein Zeuge – ist ja klar. jeder vor einem Rätsel steht, der Fall kein Stückchen nach vorne geht, Doch da kommt Derrick, der Supermann, der alle Fälle lösen kann. Kaum ist er vor Ort, passiert es auch prompt: Sofort ein anonymer Anrufer kommt. Halli, hallo, gehn’s zum Schulze mal rein, der war’s gewesen, das dreckige Schwein. Derrick findet natürlich sofort den Beweis, daß Schulz es nicht war; nun wird’s jedem heiß. Denn gleich ist es wieder viertel nach Neun. Der Täter muß doch zu finden sein. Tja, nun ist’s geschehen, 16 http://www.mediaculture-online.de da kam keiner drauf. Derrick deckt das Geheimnis auf. Der Mörder, das war der alte Herr Kalz, der hat kein Geld und nur Schulden am Hals. Die Indizien sprachen alle dafür. Herr Kalz kommt hinter verriegelte Tür. Das ist die deutsche Gerechtigkeit, und wieder ist’s zum Ins-Bett-gehen Zeit. Und alle vier Wochen dasselbe Trara: Tatü, tata, der Derrick ist da. *** Themenmelodie von “Derrick” *** Literaturnachweis Friedrichs, Reiner: Was freut uns so am Mord? Wir planen, gestalten und produzieren ein Feature; in: Praxis Deutsch H. 44/1980, S. 42-45. Friedrichs, Reiner: Hörspiele aus der Sicht des Unterrichtspraktikers; in: Wirkendes Wort, 32.Jg., H. 3/1982, S. 208-231. Wagner, Klaus R.: Sprechplanung. Empirie, Theorie und Didaktik der Sprecherstrategien; Frankfurt/M. 1978. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 17