Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin

Werbung
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Zeit:
Ort:
Vortragender:
Mi. wtl. 09:45 - 11.15 Uhr
HS 33
Pia Janke
1. Vorlesung
03.10.2012
Elfriede Jelinek wurde 1946 geboren. Sie ist nach wie vor literarisch sehr aktiv, reagiert auf unsere
Zeit, reflektiert gesellsch. Entwicklungen. 2004 Lit.Nobelpreis gewonnen - ein Preis gegen
Österreich? Für bestimmte Kreise ist Jelinek (in der Folge: J.) ein Feindbild, zB für die Kronen-Zeitung
und die Freiheitlichen - der Preis war ein Schock für diese Gruppierungen. Diese Haltung J.
gegenüber hat sich bis heute wenig geändert:
Ø
Ø
Ø
Kommunistin: war tatsächlich KPÖ-Mitglied, hat sich davon distanziert.
Pornografie, Ekel werde erzeugt. Sie thematisiert Sexualität, stellt sie aus, als Mittel der
Gewaltausübung, was viele Leute verstört.
Nestbeschmutzerin: Vor allem in den 80er Jahren ein großer Begriff für Turrini, Bernhard,
Gerhard Roth, J,... - ö-kritische Autoren, die sich mit der Nicht-Auseinandersetzung Ö.s mit
dem NS auseinandergesetzt haben. Auch mit den Machtstrukturen in Ö grundsätzlich, der
Provinzialität, dem Alltagsfaschismus. Skandal in den 80er Jahren mit Bernhards
Heldenplatz, auch mit Jelineks Stück Burgtheater. J. sogar im FPÖ-Wahlkampf 1995
thematisiert. "Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk ... oder Kunst und
Kultur? Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler". Wie könne man öffentlich ökritische Autoren öffentlich subventionieren? J. ist aber mit öffentlichen Geldern kaum in Ö
gefördert worden, ihre ersten Erfolge hatte sie in D.
Jelinek war lange Zeit ein Medienphänomen, eine starke Personalisierung hat stattgefunden.
Portraits, Fotos, private Interviews.... kulminiert um den Roman Lust herum. Inszenierung, die sie
selbst betrieben hat, aber auch von den Medien verursacht wurde. Lust war ein Skandal - Porno vs
Antiporno. Das Buch war ein Bestseller, obwohl eigentlich schwierig zu lesen. "Ich mag Männer nicht,
aber ich bin sexuell auf sie angewiesen." - sagte J. im Gespräch mit Sigrid Löffler. Es gibt große
Ambivalenzen in der (Selbst)darstellung Jelineks, auch widersprüchliche Fotos scheinbar untersch.
Charaktere.
J. ist 2004 nicht nach Stockholm gereist, um den Preis entgegenzunehmen. Sie habe eine
Sozialphobie. Ihre Rede wurde in Stockholm auf eine Riesenleinwand projiziert - virtuelle
Überpräsenz. In den letzten Jahren hat sie sich total aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, obwohl sie
früher sehr präsent war, selbst bei Demonstrationen. Falls Sie nun Interviews, dann nur per E-Mail. J.
hat mehrfach Aufführungsverbote für Ö erlassen (zB nach dem FPÖ-Plakat) Ihre Homepage ist sehr
wichtig für sie -> checken: www.elfriedejelinek.com. Sie ist sehr präsent im virtuellen Raum. Der
letzte Roman Neid als Internet-Roman veröffentlicht, Essays über die Homepage. Sie dürfte
tatsächlich diese Angstzustände haben, in die Öffentlichkeit zu gehen, sie hat es aber auch nicht
mehr unbedingt nötig. Spiel mit den Medien, denn wenn sie sich äußert, wird sie jedenfalls
wahrgenommen. Frage: Wer liest ihre Texte wirklich, vor allem die Kritiker? Ihre Texte sind ungemein
schwierig, vor allem die letzten. J. macht extrem viele Anspielungen aufgrund ihres großen Wissens.
Ihre Texte sollte man mehrmals lesen, bis sie zum Vergnügen werden. Dann kommt in ihrer
Intellektualität auch ein Sprachwitz zum Vorschein. Die Spracharbeit ist sehr dominierend in ihrem
Werk. Wir sollen im Lauf dieser Vorlesung pro und contra Jelinek argumentieren lernen.
Wofür wurde ihr der Nobelpreis verliehen - Begründung? (Nicht zu merken:) "Für den musikalischen
Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher
Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht sozialer Klischees enthüllen." Sie hat den Preis für
ihre sprachliche Gestaltung bekommen, also nicht für Feminismus oder politische Haltung. Jelinek ist
eine Sprachkünstlerin. Sie spielt mit Klang, das zeigt auch die Ideologie, die in Sprache versteckt ist,
Unterdrückungsmechanismen durch Sprache. Die Krone (W. Martin reimt "Jelinek" auf "Dreck") hat
massiv gegen J. polemisiert.
Seite 1 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Feminismus, jedoch kein simpler: Inwiefern ist die Frau Komplizin, die ihre eigene
Unterdrückung stützt. Sexualität als Mittel der Unterdrückung und Machtausübung. Sie hat
sich auch mit der Frau als Künstlerin beschäftigt. Kann sie überhaupt in einer männlichen
Gesellschaft künstlerisch tätig sein?
Kritik am kapitalistischen System: Sie setzt sich in den letzten Jahren mit der
Wirtschaftskrise auseinander in ihren Dramen, schon ein Jahr vor der Krise. Sieg des
grenzlosen Konsumdenkens in den 90er Jahren, Gier nach Geld, Besitz.
Umgang mit der Vergangenheit in Ö., mit der Mitschuld am NS, am Holocaust, Jelineks
Vater war Jude, der überlebt hat, jedoch sind viele ihrer Verwandten umgekommen.
Verdrängung der Geschichte in Ö. Protest gegen Verleugnung, Ausgrenzung von anderen,
Wiederbetätigung.
Gespenster- und Gruselgeschichten: Vampirismus, Untote, Zombies - ebenfalls eine
persönliche Vorliebe von ihr. Auch eine gewisse Affinität zu Krimis. Mordfälle kommen bei J.
vor.
Vom Katholizismus zum Kommunismus. J. war in der Klosterschule. Einsetzen für
Unterdrückte, Kritik an den Machtstrukturen der Kirche. Jelinek gibt jedoch zu, dass religiöse
Literatur sie beeinflusst hat - Jesus, Maria, Apokalypse... mit diesen Motiven spielt sie
sprachlich, obwohl sie intellektuell die Kirche kritisiert.
Sie will tatsächlich etwas bewirken, hat einen pol. Anspruch, jedoch ist in den letzten Jahren auch
Sarkasmus und Resignation hinzugekommen, was die Veränderung und Besserung der Gesellschaft
mit Literatur betrifft.
Ca. 500 Essays, ca. 50 Dramen, sehr umfassendes Gesamtwerk. Wir sollen nicht nur Dramen und
Romane kennenlernen, auch Hörspiele, Drehbücher,... Ihr für sie wichtigster Roman ist Die Kinder
der Toten.
Interviewausschnitt: Portrait aus den 90er Jahren. Bestimmte Diktion, Stimmführung, die sie
auszeichnet.
Angeblich wäre sie eine österreichische Provinzautorin (dt. Feuilleton nach dem Nobelpreis), die nur
in Ö verständlich wäre. Dieses Bild greift aber zu kurz. Sie wurde weltweit übersetzt, obwohl sie
aufgrund ihres Sprachwitzes kaum übersetzbar ist. Symposium in Shanghai: Dort war zB die
Klavierspielerin ein Bestseller. Auch im Ausland trifft sie einen Nerv. Das Provinzielle gibt es entweder
auch in anderen Ländern oder sie hat Themen, die auch international interessieren.
Ablauf der Vorlesung - Gesamtüberblick über das Werk:
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
2 - 3 Einführungseinheiten, biografische Kontexte, ihre Integration in den Lit.betrieb,
öffentliche Präsenz etc. Weiters die ästh. Tradition, in der sie steht (Sprachkritik,
Frauenbewegung). Weiters Beschäftigung mit ihrer Sprache, ihren Schreibverfahren
(Intertextualität - benutzt viele andere Texte - von Trivialliteratur bis zum phil., pol. Text,
Hölderlin, Robert Walser,.... Sie verwebt Zitate). Danach die Gattungen:
Lyrik: hat mit Gedichten begonnen, mit denen Jelinek aber nichts mehr zu tun haben möchte
(späte 60er Jahre).
Musik: starke Verankerung in der Musik, wurde von der Mutter zum Wunderkind getrimmt,
versch. Instrumente, Orgelabschlussprüfung Anfang der 70er abgelegt. Sie hat auch selbst
komponiert, mit Komponistinnen zusammengearbeitet. J. empfindet sich auch als lit.
Komponistin (Klangeffekte)
Romane, Dramen - auch deren Aufführungsgeschichte: Wie wurde sie am Theater. Sie hat
eine sehr spezielle dramatische Form, diese könnte auch das Theater insgesamt
mitbeeinflusst haben. Dramen, die keine traditionellen Theaterstücke mehr sind (Textflächen,
Postdramatik - derartige Begriffe werden wird hinterfragen). Ein Sportstück aufgeführt von
Einar Schleef. Ein Highlight der Theatergeschichte generell. Sie gewährt dem Regisseur
große Freiheiten - der Regisseur als Co-Autor.
Multimediale Arbeiten: Drehbücher, Zusammenarbeit mit anderen Künstlern für
Installationen. Sie war eine der ersten Autorinnen, die am PC schrieb und eine Homepage
installierte.
Gast: Am 16.01. kommt Ute Nyssen in die VO - die langjährige Theaterverlegerin und
Lektorin Jelineks. Sie hat J. von Ende der 70er bis Ende der 90er betreut.
Seite 2 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Anforderungen für die Prüfung:
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Anwesenheit: zur Vervollständigung des J.-Bildes (Videos etc.)
Reader zur Verlesung: ausdrucken: germanistik.univie.ac.at/personen/janke-pia. Reader 1
und 2 - 50 Seiten insgesamt. Dies sind Jelinek-Texte - werden in der VO angelesen, daheim
dann selbst lesen. Immer zur VO mitbringen. Auf der Seite gibt es auch eine Bibliografie
von/zu Jelinek - auch diese ausdrucken.
Sekundärliteratur lesen: Fünf Werke (zB zwei Bücher, drei Aufsätze oder umgekehrt, zB zu
den gelesenen Werken. Wer hat welche Position zu welchem Thema. Keine Biografien). Die
vorbereitete Sekundärliteratur ist auf jeden Fall eine Prüfungsfrage!
Primärliteratur: "einige" Romane und "einige" Dramen lesen. Inhaltsangaben sind sinnlos,
weil die Handlung oft sekundär ist.
Sieben Essays lesen (siehe Jelinek-Homepage, zB über Pussy Riot)
Einige Gedichte, evt. ein Hörspiel, Kurzprosa....
Vier fixe Prüfungstermine, es sind keine zusätzlichen (zB in der Sprechstunde) möglich.
1. Letzte Stunde im Jänner: 30. Jänner - schriftlich
2. Anfang des Sommersemesters: 1. März-Woche in ihrem Büro - mündlich (Liste an der Tür)
3. Ende des Sommersemester: letzte Juni-Woche 2013 - schriftlich
4. Anfang des Wintersemesters - Okt. 2013 mündlich
Sprechstunde Mittwoch 13.00 - 14.00 Uhr. Bitte möglichst wenige E-Mails.
Prüfung: ca. 5 - 7 Fragen. Was sicher kommt: Welche Sekundärliteratur haben Sie gelesen,
schreiben Sie darüber, auch im Bezug zur gelesenen Primärliteratur. Auch allg. Fragen zu Jelinek.
Jelinek-Archiv im 3. Stock. (kann Mo/Mi/Fr aufgesucht werden). Archiv und Serviceeinrichtung, auch
Veranstaltungen, Publikationen.
Jelinek-Textausgaben: gut greifbar nur Romane und Theaterstücke. Es gibt zB DramenSammelbände, Einzelausgaben selten. Bei Hörspielen (in Textform), Drehbüchern,... wird es
schwierig, teilw. gar nicht veröffentlicht. Der Haneke-Film Die Klavierspielerin hat wenig mit Jelinek zu
tun. Sie hat selbst ein nicht verfilmtes Drehbuch geschrieben, hatte auf den Haneke-Film keinen
Einfluss. Gute Quelle für J.-Texte: ihre Homepage: Neid nur auf der HP veröffentlicht, auch Essays.
Jelinek-Forschung: ist unüberblickbar, meist wird aber über die selben Werke geschrieben
(Klavierspielerin, Lust), zu vielen anderen Texten existiert gar nichts.
Aktuelle Aufführungen:
Akademietheater Winterreise, inspiriert von Franz Schubert. Der ideale Mann - Oscar-WildeÜbersetzung Jelineks im Burgtheater. Im Jänner ö. Erstaufführung Schatten (Akademietheater).
Oktober München Uraufführung von Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. Juli auch in München
Uraufführung von Rein Gold. Landestheater St. Pölten: Faustin.
2. Vorlesung
10.10.2012
Zu lesen:
Ø
Ø
Ø
Ø
4 - 5 Romane/Theaterstücke (aus versch. Zeiten)
Einige Essays (Homepage)
Einige Gedichte, Hörspiele,...
Sekundärliteratur: 5 versch. Texte (Bücher, Aufsätze gemischt - idealerweise passend zur
Primärliteratur)
Seite 3 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Bibliographie (siehe PDF von Janke):
1. Werke:
Werkverzeichnis Janke aus 2004, also schon etwas veraltet; inkl. Sekundärliteratur u. Interviews.
2. Interviews:
kulminieren vor allem um Lust (1989) und um die Nobelpreisverleihung (2004)
Ø
Ø
Ø
Ø
berühmtes Interview von Alice Schwarzer (zur Zeit von Lust)
Müller: sehr extremes Interview, Persiflage eines best. Interview-Stils
Meyer: Interview-Buch, sehr ausführlich, inkl. biogr. Informationen
Jacob: E-Mail-Interview - Die Sexorzistin (um Lust)
3. Grundlagen/Einführungen
Ø
Ø
Ø
Ø
Gürtler: der erste Sammelband, ein Portrait-Buch (2005).
Janz: gute Einführung für die frühen Romane, geht leider nur bis 1995
Lücke: relativ neu - als Einführung vielleicht nicht so geeignet, sehr philosophischer Ansatz
Koberg: Biographie, liest sich gut, jedoch ein sehr journalistisches Buch, basiert auf
Zeitungsberichten, ist mit Vorbehalt zu lesen.
Die Vortragende wird ein Personenhandbuch herausgeben, 60 Beiträge. Jedes J.-Werk wird
abgehandelt, wird April 2013 erscheinen. 50 internationale Wissenschaftler haben daran
mitgearbeitet.
4. Ausgewählte Forschungsliteratur
im Zeitraum 2004 - 2006: also nach dem Nobelpreis
5. Forschungszentrum an der Uni Wien:
zB Audio- und Videoausschnitte
Biographisches
J. 1946 in Mürzzuschlag geboren. Familie hatte dort ein Sommerhaus. Sie ist jedoch in Wien
aufgewachsen. Essay Kurze biographische Anmerkung auf Jelineks Homepage aus dem Jahr
2007. Sie bezeichnet sich als Wienerin, obwohl viele ihrer Texte in der Steiermark spielen. ZB Lust
oder Die Liebhaberinnen, Neid, Gier - es kommt immer wieder die Szenerie der Stmk. vor. Sie hat
eher wenige Reisen unternommen, hat kurz in Berlin, in Rom gewohnt, lebt vor allem in Wien und in
München. Ihr Mann Gottfried Hüngsberg lebt in München. Hüngsberg hat im Umfeld des
Filmemachers Fassbinder gearbeitet, auch bei einigen Projekten Jelineks mitgearbeitet, betreut auch
ihre Homepage.
Ihr Vater war Jude, zentrales Thema bei J. ist die Vernichtung der Juden. Sie sieht sich in der
Tradition des jüdischen Witzes (schwer greifbar). Die Mutter war sehr dominant, wollte sie zum
musikalischen Wunderkind erziehen. Das Thema der Dominanz der Mutter findet sich in Jelineks
Werk immer wieder, biographische Deutungen sind aber gefährlich - siehe Die Klavierspielerin.
Rückschlüsse sollten hier unterlassen werden. Jelinek hat die Mutter gepflegt, bis diese 2000
gestorben ist. Der Vater hat den 2. WK überlebt, hat Alzheimer bekommen, ist 1969 in einem Heim
gestorben. Auch dieses Thema ist bei Jelinek stark vertreten. Der Herumirrende, Ausgesetzte, der
kein Zuhause hat (zB Winterreise), in ein Heim abgeschoben wurde, auch die Schuld von Tochter und
Gattin.
Jelinek war im kath. Kindergarten und in der kath. Volksschule. Dieser Katholizismus war prägend
für Jelinek, sie hat dies auch selbst thematisiert.
Seite 4 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Reader Seite 1: Lieber Herr DDr. Holl!
Adolf Holl hat ein Buch herausgegeben Ende der 80er, in dem er Prominente über deren Verhältnis
zur Religion befragt hat. Protest J. gegen die Kirche, dennoch religiöse Bilder in ihrer Literatur
vorhanden, ambivalentes Verhältnis zur Kirche. Man hasst das, was einen bewegt.
Versuchte Erziehung zum Wunderkind, 1971 Orgelabschlussprüfung. Sie ist im 8. Bezirk
aufgewachsen, 1964 Studium Theaterwissensch. u. Kunstgeschichte begonnen. Sie ist beinahe nicht
aufgenommen worden, hat das Studium nicht beendet. Psych. Probleme im Umfeld des Todes ihres
Vaters. Ihre Angstzustände wurden immer wieder medial thematisiert (siehe Nobelpreis). Dennoch
sollte ihre Kunst nicht pathologisiert werden.
Reader Seite 2: Über mich (1967)
einer der frühesten von ihr publizierten Texte. Starke Stilisierung des Privaten. Mit dem "Ich" sollte
man vorsichtig sein, wie zB auch bei Neid. Ein Spiel mit dem Ich, Spiel mit der Autorenposition, der
auktorialen Erzählposition. Ironischer Unterton, komprimierte Sprache, sehr stilisiert.
Der Weg in den Literaturbetrieb
Mitglied der KPÖ 1974 - 1991, wurde ihr oft vorgeworfen. Sie hat sich später von der KPÖ distanziert,
gibt zu, dass sie sich hat benutzen lassen. Sie hat Beiträge für KPÖ-Zeitschriften geschrieben, war
bei einigen Veranstaltungen dabei, wurde in der kommunistischen "Volksstimme" rezipiert. Sie hat
sogar Wahlwerbung für die KPÖ betrieben in den 1980ern. Später hat sie für die SPÖ Wahlwerbung
getrieben. 2012 veröffentlichte sie einen neuen Text Der kleine Niko (Pelinka - die Affäre um den
ORF-Büroleiterposten), in dem sie das Ende der der Sozialdemokratie verkündet.
Wilhelm Zobl eine wichtige Person für ihre Anfänge, hat sie zur KPÖ gebracht. Zobl hat ein
Orchester gegründet, in dem sie mitgespielt hat. Es gab eine Gruppe von kommunistisch orientierten
Autoren, in deren Umfeld sich Jelinek bewegt hat (Peter Turrini, Marie-Theres Kerschbaumer, Elfriede
Gerstl....)
Erste Publikation 1967 Lisas Schatten: ein Heftchen mit ein paar Gedichten, findet sich in keiner
Bibliothek in Wien. Ein wichtiger Mentor Jelineks war Otto Breicha, hat die Zeitschrift "Protokolle"
herausgeben, dort wurde Jelinek publiziert. Rowohlt-Verlag aus Hamburg ist sehr wichtig für Jelinek,
typisch für öst. Autoren, dass sie bei dt. Verlagen veröffentlichen. In ihrer ersten Zeit ist sie in Dt.
publiziert worden, auch ihre Hörspiele bei dt. Sendern, Dramen in Dt., dann ist sie wieder nach Ö
zurückgekommen. Dennoch auch in Dt. Probleme mit Jelinek - ihre Ironie wäre in Dt. nicht so
verständlich, weil sie in der öst. Tradition der Sprachkritik steht.
Erster Roman: bukolit. Schwierig zu lesen, Rowohlt hat nicht veröffentlicht aufgr. div. drastischer
Darstellungen, erst in den späten 70er Jahren bei einem Wiener Verlag erschienen, nach dem
Nobelpreis neu aufgelegt worden, jedoch nie bei Rowohlt.
wir sind lockvögel baby! 1970, der erste veröffentlichte Roman bei Rowohlt, so wie alle weiteren
Romane bei Rowohlt erschienen sind (außer Neid, der nur auf der HP erschienen ist)
Theaterverlag: von Ute Nyssen und ihrem Mann Jürgen Bansemer. Der Verlag Nyssen-Bansemer
hat J. von den späten 70ern bis 1998 theatermäßig betreut. Jelinek sollte möglichst an die großen
Theater gebracht werden, was doch ein Widerspruch zu sein scheint für eine Autorin, die sich für
Unterdrückte einsetzt.
Hinweis: Zur Zeit läuft im Theater Garage X (Wien, Petersplatz) Was geschah, nachdem Nora ihren
Mann verlassen hatte (J. erstes Stück).
Neid nur auf der HP veröffentlicht. Damit ergibt sich die Möglichkeit, Texte und damit auch sich selbst
immer wieder verschwinden zu lassen, eine Inszenierung dieser Ungreifbarkeit durch J. Das zeigt
sich schon im Starbild der Homepage, auf dem sie nur im Hintergrund und durch einen Spiegel
gebrochen erscheint. Es handelt sich um keine interaktive Homepage, nur ein Speichermedium, über
das sie volle Verfügungsgewalt besitzt.
Seite 5 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Durchbruch: Die Liebhaberinnen 1975, Die Klavierspielerin 1983, Lust 1989 - hier war sie medial
stark präsent. 1985 Uraufführung von Burgtheater. Knapp vor der Waldheim-Affäre. J. thematisiert
Ö.s Verstrickung in den NS, auch die Verstrickungen der Kunstproduktion. Bsp Paula Wessely - Attila
Hörbiger. Wessely hat in Propagandafilmen mitgewirkt, zB im Film Heimkehr, der extrem
antisemitisch war (Wessely im Film: "Wir kaufen nicht bei Juden".). Burgtheater In D uraufgeführt. In
Extreme Skandalisierung. Dies hat den Ruf J. als Nestbeschmutzerin begründet. J. hat den Text für
Österreich gesperrt, er dürfe nur am Burgtheater aufgeführt werden.... Ein alternative Bühne hat den
Text dann in Graz aufgeführt. Die Hasswelle nach Burgtheater ist noch heute ein Trauma Jelineks.
Ein Höhepunkt Jelineks: Aufführung Ein Sportstück 1998. Im selben Jahr hat sie den Büchner-Preis
bekommen, J.-Schwerpunkt bei den Sbg. Festspielen, leichte Verschiebung der öffentl. Bewertung
hin zum Positiven. Nobelpreis 2004. Verfilmung der Klavierspielerin durch Haneke hat J.
international bekannt gemacht, obwohl J. mit dem Film an sich nichts zu tun hatte.
J. positionierte sich öffentlich ab 1985 sehr stark, versch. Initiativen, Plattformen (pro Asylanten,
Minderheiten,....), Demos gegen Rechte, Petitionen,..... Briefe, Reden, Statements. J.-Text zum Fall
der Arigona Zogaj. Große Gegner:
Ø
Ø
Ø
FPÖ, Jörg Haider. J. hat die Ausgrenzungsmechanismen thematisiert. Großer Essay J. nach
dem Tod von Haider auf der Homepage.
Kronenzeitung: "Jelinek - Dreck".
Klaus Peymann: Direktor des Burgtheaters, viele öffentl. Auseinandersetzungen mit
Peymann. Peymann hat dann aber J. in den 90ern am Burgtheater gespielt, J. zuvor schon
am Volkstheater.
2000 FPÖ-ÖVP-Regierung: J. hat mehrere Reden gehalten, Essays geschrieben. Sie hat ein
Aufführungsverbot ihrer Stücke für Ö verhängt, typische Form des Rückzugs für J. Schon 1995
(Plakataktion der FPÖ), sie wolle sich schützen, hält diesen Hass nicht aus. Hat nur zwei Jahre
gehalten, Verbot wurde mit dem Sportstück beendet. 2000 wiederum Aufführungsverbot, es gebe
keinen Schutz mehr für differenzierte Sprache. Auch Proteste ihrer Befürworter, gerade jetzt sollten
ihre Stücke gespielt werden, das Aufführungsverbot wurde dann tatsächlich wieder aufgehoben nach
wenigen Jahren. Auch Rechnitz (2008) durfte einige Jahre in Ö nicht gespielt werden, erst im letzten
Jahr wieder verstärkt J.-Aufführungen in Ö. Immer wieder Rückzüge und Rückzüge von den
Rückzügen. Sie fühlt sich gehasst, liest auch heftige Internet-Postings über sich selbst und verarbeitet
dies künstlerisch.
Mediale Selbstinszenierung:
Spiel mit versch. Identitäten in J.-Fotografien. Interesse für Mode, hat darüber geschrieben, sich auch
fotografieren lassen. Essay auf Handout S. 4 - 5 - Mode. Ambivalenz bez. des Beobachtet-Werdens.
Handout S. 3 ebenfalls lesen. Bezugnahme auf pol. Position, Text aus 1983. Sie schreibt über pol.
Literatur, leichter Widerspruch kann entdeckt werden. Sie hat sich für eine Partei engagiert, in lit.
Texten glaubt sie aber nicht an Parteilit. Abwehr von Parteilit., jedoch Lit., die aufklärerisch wirken,
etwas bewirken soll, auch wenn sie das selbst oft wieder ironisch bricht.
J. spielt im Film Die Ausgesperrten selbst mit. Im Stück Raststätte hat sie Regisseur Castorf als
Sexpuppe auf die Bühne gebracht. Regisseur Nicolas Steemann arbeitet immer wieder mit einer J.Perücke auf der Bühne. In manchen ihrer Stücke gibt es die Figur die Autorin, die auf der Bühne
auftaucht.
Videoclip Nobelpreisverleihung - J.-Rede auf drei großen Videoscreens. J. übergroß präsent,
obwohl sie selbst nicht erscheinen ist. Der verlesene Text heißt Im Abseits, findet sich auch auf der
HP. Im Abseits stehe die Schriftstellerin, die nicht am herkömmlichen Leben teilnimmt, sondern eine
Position außerhalb des Alltags hat, aufgr. dieser Perspektive andere Dinge wahrnimmt, reflektieren
kann. Ein sehr komplexer Text.
Seite 6 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
3. Vorlesung
17.10.2012
Politische und ästhetische Traditionen
und Kontexte von E. Jelinek
J. ist in den 60er und 70er Jahren künstlerisch geprägt worden, andererseits hat sie auch selbst
jüngere AutorInnen geprägt, zB Kathrin Röggla, eine Dramatikerin, Essayistin (Elfriede Jelinek hat
mir das Sprechen beigebracht.) Problem, wie man seine Eigenständigkeit gegenüber dieser
dominanten Position Jelineks entwickeln kann als junger, von ihr beeinflusster Autor.
Internationale Kontexte
J. keine Provinzautorin, hat sich auch mit internat. Strömungen auseinandergesetzt, zB mit der amer.
Medienkultur, Filmemachern wie David Lynch, Cindy Sherman (bildende Künstlerin), Paul
McCarthy (bildender Künstler - Installationen, Performances). In dem Stück Ulrike Maria Stuart
bezieht J. sich in Regieanweisungen auf McCarthy. Ulrike Maria Stuart: Ulrika Maria Meinhof (RAF)
vs. Maria Stuart (Stück von Schiller). Das Drama ist bisher nicht veröffentlicht wurden, Einspruch von
Meinhofs Tochter. In Wahrheit geht es J. aber um Sprachfiguren, groteske Wesen, keine Abbildungen
real existierender Personen. Es gibt nur einen kleinen Ausschnitt des Stücks auf J.s Homepage. J.
hat einige McCarthy-Bilder auf iher Homepage, visuelle Eindrücke beeinflussen ihre Texte, zB
McCarthys mechanical pig -> J.: Über Tiere.
Einfluss Frankreich, Philosophie: Roland Barthes: Die Mythen des Alltags. Sie hat auch aus dem
Französischen übersetzt, zB komische Stücke von George Feydeau und Eugène Labiche. Komik
spielt durchaus eine Rolle bei J. Siehe zB Burgtheater - der Untertitel: Posse mit Gesang - das
erinnert an Nestroy, also an die Komödientradition. Die Kontrakte des Kaufmanns - ein Stück über
Wirtschaft - Untertitel: Eine Wirtschaftskomödie. Sie bezieht sich hier auf best. lit. Traditionen. Seit
den späten 90er Jahren hat sie sich intensiv mit internat. Politik beschäftigt, Stücke zum Irak-Krieg
geschrieben (2003), Auseinandersetzung mit dem Islam und dem Stand der Frau im Islam. Der
aktuellste Essay handelt von Pussy Riot. Bez. der Übersetzungen: Thomas Pynchon: Die Enten der
Parabel hat J. in dreijähriger Arbeit übersetzt, Schärfung der eigenen Sprache J.s an fremder
Literatur. Pynchon gehört zur Postmoderne, arbeitet intertextuell. Der ideale Mann ist eine
Übersetzung von Oscar Wilde - engl. Komödientradition. J. hat schon mehrere Stücke von Wilde
übersetzt. Sie interessiert sich für Wildes Sprachwitz.
Politischer Kontext
68er-Bewegung: eine von Studenten ausgehende Bewegung gegen die NS-Verdrängung, gegen
repressive autoritäre Strukturen, für alternative Formen des Zusammenlebens, freie Sexualität, auch
in der Kunst eine wichtige Bewegung. Der Versuch, Kunst und Politik zu verschränken. Kunst solle
eingreifen in die Wirklichkeit, einen pol. Anspruch haben. Der Schriftsteller als pol. Aktionist,
Solidarität mit der Arbeiterschaft, auch wenn J. in der Arbeiterschaft sicher nicht viele Leser gefunden
hat. Bestimmte Gattungen wie Reportagen, Flugblätter, Leitartikel wurden forciert.
J. hat in dieser Zeit zu studieren begonnen, in einer WG mit Robert Schindel (Autor) und Leander
Kaiser (bildender Künstler) gewohnt. Es sind jedoch nicht viele öffentliche Aktionen nachweisbar, an
denen J. im Bezug mit der 68er-Bewegung teilgenommen hat. Interesse an Massenliteratur, Medien,
Fernsehserien, Heftchenromane, Boulevard-Zeitungen. Die frühen Romane der 70er beziehen sich
stark auf Fernsehserien (Lassie, Flipper,...). J montiert dies in ihre Texte ein, Ausdruck eines
kleinbürgerlichen, beschränkten Bewusstseins, das hier ausgestellt wird.
68er-Intuition: Raus aus den Institutionen, Straßentheater, Happenings. Anweisungen für eine
Performance J.s, die jedoch nie stattgefunden hat: Rotwäsche. Siehe Reader S. 6 und 7. Erinnert an
den Aktionismus, Gewalt, Repression, Einheit zw. Bühne und Zuschauerraum. Mit richtigen Dramen
hat sie erst Ende der 70er begonnen, haben mit dieser Performance wenig zu tun.
Seite 7 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Literarische österreichische Traditionen
Sprache ist zentral bei J. als Medium der Kritik. In Sprache ist Ideologie enthalten, die durch Sprache
auch wieder dekonstruiert werden kann. Sprachspiele, Entfaltung des klanglichen Potentials, Spiel mit
klanglichen Elementen. ZB Rede zum Böll-Preis: In den Waldheimen und auf den Haidern (vgl. das
Lied Im Wald und auf der Heide). Durch diese Sprachspiele ergeben sich eine Menge von
Assoziationen - das unschuldige Volkslied vs. zwei Politiker im Zusammenhang mit NS und
Ausgrenzung.
Die öst. Sprachkritik kann man bis Nestroy, Karl Kraus, Hofmannsthal (Der Brief des Lord
Chandos: er habe gar nicht die Begriffe, um das auszudrücken, was er sagen will), I. Bachmann,
Wiener Gruppe zurückverfolgen. Die Wiener Gruppe ist sehr wichtig für J. Fünf Schriftsteller in den
50er Jahren: Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Beyer, Oswald Wiener, Gerhard
Rühm. Wie prägt das Bewusstsein die Sprache und umgekehrt. Dies wurde in der Phil. auch von L.
Wittgenstein thematisiert. Die Sprache als Material. Großer Einfluss zB auf P. Handke oder J.
Welche konventionalisierte Sprechweisen gibt es, wie können diese durchbrochen werden. Auch die
Konventionen des Erzählens: die Fragwürdigkeit abgerundeter Geschichten, Thematisierung des
Erzählens an sich. Sprache ist etwas Gemachtes wie auch die Konventionen der Lit. Dies alles sind
auch wichtige Fragen für J. Sie hat dies in der Folge durch die Politisierung der 68er-Bewegung auf
eine andere Ebene gehoben. Wie können Ideologien, Machtverhältnisse mit Sprache hergestellt und
wieder aufgelöst werden. Peter Handke - Antipode zu J.? Gemeinsam haben sie die Geprägtheit
durch die Sprache und die Auseinandersetzung mit Sprache. Konflikt in den späten 60ern: Zeitschrift
manuskripte (HG Alfred Kolleritsch). Verhältnis von Lit. und Politik. Handke vertrat eine unpol.,
formalästhetische Haltung, Lit. habe keine pol. Funktion. J. meint, die Kontextualisierung von Lit. mit
der Wirklichkeit wäre wichtig. Dieser Streit erstreckte sich über mehrere Hefte - siehe Reader S. 8.
Zweite Strömung: Anti-Heimat-Literatur: Eine Strömung der 70er Jahre. Heimat-Lit. der 2. Hälfte des
19. Jh. bis in die 30er und 40er Jahre hat eine große Tradition. Heimat steht für Natur, Gott, die heile
Welt, das Gesunde. Diese Heimat ist dann zu einem ideologisch aufgeladenen Kampfbegriff
geworden gegen das Städtische, Moderne, Intellektuelle, auch gegen das Jüdische. Lit. des
Austrofaschismus (30er Jahre), in der die Heimat zu einer Staatsideologie erklärt worden ist (das
Katholische, Bäuerliche = Österreich). Hier dann offene Übergänge zum NS - Blut-und-BodenLiteratur. Karl Heinrich Waggerl. In den 60er Jahren begann eine jüngere Generation, sich mit
dieser Lit. auseinanderzusetzen, Heimat und Provinz anders darzustellen, in der man die
Machtmechanismen, Autoritäten, die Kirche in der "Heimat" zeigen wollte. ZB Franz Innerhofer,
Gernot Wolfgruber, Josef Winkler, teilw. Th. Bernhard. Vor diesen damals neuen Autoren gab es
auch schon öst.-kritische Autoren: Hans Lebert: Die Wolfshaut (1960). Ein für J. wichtiger Roman, v.
a. für Die Kinder der Toten. Und Gerhard Fritsch: Fasching. Auseinandersetzung mit der
Verstrickung Österreichs in den NS. Diese Bewegung gab es auch am Theater: Peter Turrini, Felix
Mitterer: Unterdrückung der Frauen, Außenseinseiter, Katholizismus. Diese Bewegung gab es auch
am deutschen Theater: Franz Xaver Kroetz. Bis zum letzten Roman Neid wird man Elemente dieser
Anti-Heimat-Literatur bei J. finden - die Kritik an der Provinz. Alltagsfaschismen, Unterdrückung,
Ausbeutung (von Frauen, der Natur). Die geschönten, auch touristischen Bilder Österreichs sollen
aufgedeckt werden. Die Klavierspielerin und Die Ausgesperrten spielen jedoch in Wien.
Die Frauenbewegung der 70er Jahre
J. als DIE Feministin? Man sollte sie nicht auf dieses Thema reduzieren. Sie war in Berlin Mit-HG
einer feministischen Zeitschrift von 1977 - 1987: Die schwarze Botin. Sie hätte jedoch keine Utopien
und Alternativen angeboten, sie sei zynisch und kalt - vor allem an Die Liebhaberinnen. Eine Kritik
der konventionellen Frauenbewegung an J. Wichtige Fragen der Frauenbewegung wären: Wie könne
man eine weibliche Sprache schaffen, Findung von Subjektivität. Lt. J. ist das aber eine biologische
Fixierung, es gebe keine neue weibliche Sprache, die Frau könne keinen Ort in der Gesellschaft
bekommen. Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Die Frau als das andere. Bei J. findet
man immer wieder Themen wie die Ausgrenzung der Frau aus dem männlichen Denken, die
Unmöglichkeit der Frau, schöpferisch tätig zu werden - das sei eine falsche, männliche Anmaßung,
man müsse sich dafür eine männliche Position aneignen.
Seite 8 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Soziofeminismus: ein von ihr geprägter Begriff - man müsse immer die soziologischen Kontexte
bedenken, wenn man sich mit der Situation der Frau beschäftigt. Diese Machtverhältnisse sind auch
in der Sexualität von Bedeutung, dort spiegeln sich die Machtverhältnisse der Gesellschaft am
reinsten. Die Frau kann ihre eigene Begierde nicht realisieren, denn dann löscht sie das Begehren
des Mannes aus. Stück Clara S. - die Frau hat als Künstlerin keinen Ort.
Gibt es Frauenliteratur: Es gibt schreibende Frauen. Bezugsperson: Ingeborg Bachmann: zB
Malina. J. hat Malina zu einem Drehbuch bearbeitet, auch Essays über Bachmann geschrieben. Auch
Marlen Haushofer - Die Wand.
Marlene Streeruwitz: Die beiden haben über einander geschrieben. Es gibt ein berühmtes
gemeinsames Interview von J. und Streeruwitz - siehe Reader. Emma: wichtige feministische Zeitung
(geleitet von A. Schwarzer). J.: Eine Frau habe keine Existenz, die Frau als Vampir, der nicht
verschwindet, der aber kein lebendes Wesen wird. J. und Streeruwitz sind ähnlich von ihrer
Einstellung her, stilistisch sehr unterschiedlich. Streeruwitz betont extrem die knappen Hauptsätze,
Auflösung der Satzhierarchie.
Weitere literarische Vorbilder und Bezüge
1998 J.-Schwerpunkt bei den Sbg. Festspielen, sehr konservativ und elitär - ein Widerspruch?
Lesungen, Ausstellung, Uraufführung,.... J. wurde eingeladen, ihre lit. Verwandtschaften zu
präsentieren. HG J. und Brigitte Landes: Jelineks Wahl. Literarische Verwandtschaften. Reader S.
10 - Einleitung zu diesem Band. Das Sich-Suchen und Nicht-Finden, das Ausgesetzt-Sein, das ImAbseits-Sein. Ganz zentral für sie war zu diesem Zeitpunkt Robert Walser, ein Außenseiter (in der
Nervenheilanstalt gestorben), auf den sie stark Bezug nimmt. Der Dichter liegt am Einband tot im
Schnee. Siehe Reader: "....besessen von der Präzision des Ausdrucks." Die sprachliche Präzision ist
zentral für J. Neben Walser kommt auch der eigentlich sehr pathetische Friedrich Hölderlin in
diesem Band vor, weiters Georg Trakl, Paul Celan, auch Autoren der Wr. Gruppe.
4. Vorlesung
31.10.2012
Wenn Material benötigt wird -> Jelinek-Archiv. Mo, Mi, Fr 09.00 - 17.00 Jelinek-Archiv im 3. stock
ganz droben (Raum Nr. 79). Nicht möglich: Entlehnung, jedoch kopieren möglich.
Schreibverfahren
Reader S. 14 - Ausschnitt aus Stück Burgtheater
Dieses Stück hat für große Aufregung gesorgt. Involvierung von Künstlern in die NS-Propaganda und
um die sprachliche Kontinuität des faschistischen Gedankenguts nach 1945. Das Burgtheater als öst.
Nationaltheater war maßgeblich an der Konstruktion eines naturhaften Ö.bilds beteiligt. Angespielt
wird auf den Wessely-Hörbiger-Clan. Paula Wessely ist in der Zwischenkriegszeit unter Max
Reinhardt (jüdischer Reg.) berühmt geworden, dann die bestbezahlte Schauspielerin im III. Reich.
Film Heimkehr Rechtfertigungsversucht für den Einmarsch der NS in Polen. Nach dem Krieg wurde
Wessely Ensemble-Mitglied am Burgtheater.
Indem Jelinek die NS-Vergangenheit von berühmten Publikumslieblingen ansprach, hat sie eine
heilige Kuh geschlachtet. 1985 Uraufführung (vor Waldheim-Affäre). Jelinek wurde als
Nestbeschmutzerin und Mörderin (könnte Attila Hörbiger umbringen) bezeichnet. Für Jelinek waren
nicht die Personen als solche interessant, sondern das, wofür sie standen, und wie in ihrer Kunst
Ideologie durch Sprache transportiert wurde. Es geht um den Typus des vermeintlich unpol.
Publikumslieblings, der sich vor jeden ideologischen Karren spannen lässt.
1. Teil des Stücks: 1941 im Esszimmer einer nicht namentlich genannten Wr. Schauspielerfamilie.
Burleseke Schinkenfleckerlsfressorgie. Burgschauspieler Käthe, Istvan und Schorsch, also Paula
Wessely, Attila und Paul Hörbiger erzählen von ihren Filmprojekten, geben stilisierte Kostproben aus
Seite 9 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
ihren laufenden Filmprojekten, zB aus Heimkehr. Die Verstrickungen der drei Schauspieler in den NS
werden immer deutlicher. Dann ein allegorisches Zwischenspiel, in dem ein Alpenkönig auftritt.
Anspielung auf Raimund. Der Alpenkönig wird in der Manier des Zauberspiels von der Decke
heruntergelassen und bittet die Schauspieler um finanzielle Unterstützung für die öst.
Widerstandsbewegung gegen den NS. Der Alpenkönig wird daraufhin totgeprügelt und zerstückelt
(Ende des Zwischenspiels) -> Handout. Parodistisch verfremdete Ö-Vision. Sprache: erstmals bei
Jelinek Dialekt, allerdings ist dies als Kunstsprache aufzufassen und soll künstlich wirken. Kein
sprachlicher Realismus, sondern groteske Sprache, die in ihrer Überzeichnung die Worthülsen der
NS-Ideologien entlarven sollen. Dazu gibt es einen Essay J.s Ich schlage sozusagen mit der Axt
drein. J. will keine psychologisch agierenden Figuren, sondern Montage - versch. Sprachebenen,
indem sie den Figuren Aussagen in den Mund legt, die es schon gibt. Es geht nicht um echte
Menschen, sondern um Polemik, starke Kontraste, s/w-Malerei, eine Holzschnitttechnik.
Vorgefundenes Textmaterial wird aus ursprünglichem Zusammenhang gerissen und neu
kontextualisiert, um eine Bewusstmachung best. Zustände zu evozieren.
Handout S. 14: Welchen Text verwendet J. hier: Grillparzer - König Ottokars Glück und Ende.
Berühmtes Lobgedicht auf Österreich. Kein anderes Theaterstück wurde so zur Selbstmythisierung
Ö.s verwendet wie dieses Drama. Wurde zB bei Wiedereröffnung des Burgtheaters 1945 gespielt.
Jelinek hat den Originaltext verfremdet (Original vorgelesen -> Audiofile VN680169.wma - 16:03).
Jelinek hat ursprüngliche Textzusammenhänge aufgebrochen. Band - Brand, froher Mut - Wut,
Jugendsinn - Ludersinn. Viele Neologismen mit unangenehmen Assoziationen: greubeln (Gräuel),
versargen, Nacktbrand (nackt - Brand). Anhäufung am Ende des Stücks - Reader S. 11.
Im 2. Teil 1945 kurz vor Einmarsch der roten Armee. Käthe völlig aufgelöst, versucht halbherzig, sich
das Leben zu nehmen. Dann tritt ein Burgtheaterzwerg auf, kleinwüchsiger Schauspieler, der das 3.
Reich überlebt hat, weil Käthes Schwester Resi diesen Zwerg versteckt hat. Istvan und Käthe wittern
Chance auf Rehabilitierung, der Zwerg soll vor den Russen bezeugen, dass sie den Zwerg vor den
NS gerettet haben. Jedoch tritt Schorsch auf, der bekanntgibt, dass er sich vor dem Kriegsende als
vermeintliche Widerstandskämpfer hat inhaftieren lassen, um auch nach dem Ende der NS mit seiner
ganzen Familie gut dazustehen. Reader: Wortsymphonie, in der öst. Statussymbole, Künstler und
Kunstwerke mit Assoziationen zur Nazi-Diktatur kombiniert werden. Saubertöte statt Zauberflöte,
Ringstraßenmorderie... Es gibt in dem Stück eine Vielzahl anderer intertextueller Bezüge wie zB zum
Film Heimkehr, Heimatfilmen, Wienerliedern,...
Film-Ausschnitt (der ganze Film ist verboten): Lehrerin Maria (P. Wessely) ist in Polen inhaftiert
worden, weil sie sich heimlich in einer Scheune eine Hitler-Rede angeschaut haben. Sie warten
sehnsüchtig auf die dt. Truppen, die alsbald in Polen einmarschieren. Versatzstücke aus dieser Rede
findet man immer wieder in Käthes Äußerungen bei J. Sprachliche Parallelen dieser Intertexte zu
anderen Intertexten. Die Sprache der Kitsch- und Heimatfilme der 50er greift auf die Muster der NSFilme zurück. Damit wird das Bild des unschuldigen Publikumslieblings und der unschuldigen Kulturund Naturnation Ö.s. demontiert.
J.s Ideologiekritik lässt sich vor allem auf sprachlicher Ebene festmachen. Lange öst. Tradition - bis
zu den parodistischen Sprachspielen Nestroys, die der pol. Satire dienen (Freiheit in Krähwinkel).
Auch Anknüpfungspunke im 20. Jh., vor allem zu Karl Kraus - Die letzten Tage der Menschheit - wo
er mit der Montage aus den Medien arbeitet - Berichterstattung aus dem 1. WK. Wie J. geht es ihm
um überzeichnete Polemiken. Kunstsprache von Ödön von Horvath - Fleischer Oskar in den
Geschichten aus dem Wienerwald. Unfähigkeit zur authentischen zwischenmenschlichen
Kommunikation, versteckt sich hinter Sprachmasken (Zitate aus Liebesromanen, Trivialliteratur).
Wichtig für J. auch Ö.s Nachkriegsavantgarde - Wiener Gruppe (Collage, Wortspiele).
J. greift diese Verfahren auf und radikalisiert sie. Texte werden komplexer, dichter, vielschichtiger. ZB
Drama Wolkenheim, drei Jahre nach Burgtheater: keine Angaben von Personen und Schauplätzen,
nur Text. Die Intertexte reichen von Hölderlin und Kleist bis zu phil. Werken von Heidegger bis
Goebbels-Reden.... Späte 90er-Jahre: J. verstärkt auf Dramen der griechischen Antike
zurückgegriffen. Bsp.: Drama Es lebe wohl - Reader S. 15 - 16. Anlässlich des Rückzugs von Haider
von der FPÖ-Parteispitze nach der schwarz-blauen Koalitionsbildung 2000. Haider-Monolog. Zitate
aus Aischylos, der ältesten griech. Tragödientrilogie. Die Zitate werden von Jelinek mit einem Text v.
J. Haider kombiniert. Haider hat den Text Glücksgefühl nach bangen Stunden anlässlich seines
Rückzugs geschrieben und in "News" veröffentlicht. Die Entgleisungen Haiders werden durch die
Vermischung mit Versatzstücken der griech. Tragödie auf entlarvende Weise neu kontextualisiert.
Seite 10 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Dem hohen Pathos der griech. Tragödie wird das hohle Pathos des Rechtspopulisten
gegenübergestellt. Regieanweisung: nicht namentlich genannter Sprecher, von Knaben umringt, die
andächtig der Abschiedsrede lauschen. Groteske Parodie einer Siegerrede. Komplette Leugnung
jeglicher Schuld und Mitverantwortung. Video: Uraufführung am 22.06.2000 am Ballhausplatz im
Rahmen einer Donnerstagsdemo gegen die schwarz-blaue-Regierung. Untersch. Sprachebenen, die
J. in Bezug gesetzt. Weiterer Aspekt:
Mythendekonstruktion. Reader S. 12 - 1. Essay Die endlose Unschuldigkeit: links Beginn, rechts ist
das Ende. Unschuldigkeit. Es gibt Leute, die für die Unschuld verantwortlich sind, das ist schon eine
Handlung. Mythos der österr. Opfer-These. J.s erster poetologischer Versuch. 1970 Anthologie über
triviale Mythen: Trivialmythen. Das Thema wurde aus US-Popliteratur übernommen. Ende der 60er
en vogue, Themen aus der US-Lit. zu übernehmen. Für Trivialmythen hat Jelinek Die endlose
Unschuldigkeit beigesteuert. J. verwendet die Form der Collage, montiert Zitate von Roland Barthes,
Hans Barth und Marshall McLuhan.
Ihre Auffassung des Mythos nimmt sie von Barthes Mythen des Alltags. Den lit. Umgang mit
Alltagsmythen, den sie im Essay formuliert, behält sie bis heute bei. Die Mythendekonstruktion zeigt
sich in Verarbeitung, Umdeutung, Parodie und Ironisierung von Mythen, was ihre Ästhetik
auszeichnet. J. verwendet wie in Burgtheater Trivialmythen, die sie verfremdet und ironisch
hinterfragt. Es gibt antike Mythen, biblische Mythen, Kultur des 20 als Alltagsmythen. Bei J. finden
sich als Mythen zB die Diskurse der Heimat wie in Heimkehr, der Nation, das beschönigte Bild Ö.s,
Bilder von Mann und Frau in der Werbung, Geschlechterbeziehungen, Mythifizierung von Natur,
Kunst, Liebe, Sexualität, Familie, pol. Konstruktionen der Rechtspopulisten, Opferstatus Ö.s. Seit J.s
Anfängen entwickelt sie lit. Verfahren gegen das Vergessen des NS und gegen die Opferrolle.
Veränderung von konservativen Rollenbildern, von ökonomischer Ausbeutung und patriarchaler
Macht. Einführung Marlies Janz: Dort gibt es diesen Essay Die endlose Unschuldigkeit. Sie spricht
aber von Destruktion - zerstörerischer Aspekt? Diese Meinung teilt die Lit.wissensschaft heute nicht
mehr, weniger Zerstörung, sondern Eröffnung von Räumen.
Mythos: Mythenanalyse ist von vielen Philosophen untersucht worden. Theodor W.
Adorno/Horkheimer - Die Dialektik der Aufklärung. J. bezieht sich darauf nicht explizit, aber ein sehr
grundlegendes Werk. D. d. A. entstand während des 2. WKs im US-Exil der beiden Philosophen.
Frage, wie es zur Zeit des NS sein konnte, dass trotz aller Aufklärung sich die Rassenideologie
ausbreiten und der Holocaust geschehen konnte. Adorno u. H. sehen eine Ursache in der
Kulturindustrie, die die Mythenbildung industriell für die Produktion der Unterhaltungsindustrie nutzt.
Kein künstlerischer Wert, sondern Profitmaximierung. Mittel: eingängige, verständliche Aussagen,
emotionale Stimmungserzeugung, Spannungsbögen, um die Aussagen schnell zu den Konsumenten
zu transportieren. Diese Mythen scheinen so wahr zu sein, dass die künstliche Geschichte zur
Wahrheit wird. Siehe Antisemitismus in der Rede Wesselys in Heimkehr. Kernthese: der D. d. A.:
Aufklärung schlägt in Mythos um. Rezept: mehr Aufklärung.
J. setzt aber bei R. Barthes ein. Sie fordert zwar zu mehr Wahrheit auf, verwendet aber nicht mehr
Adornos und Horkheimers wahrheitssuchende Verfahren. Ihre Texte geben Rätsel auf, aber
vermeiden es, eindeutige Antworten vorzufertigen, denn endgültige Antworten würde Aufklärung
wieder in Mythos umschlagen lassen. Sie verwendet das Verfahren der Dekonstruktion. Das Buch
von Barthes 1957 veröffentlicht worden, 1964 im dt.sprachigen Raum. Barthes: Er will den Mythos
nicht nur als negative Lügengeschichte auffassen, sondern weitet den Begriff des Mythos aus auf alle
Techniken und Dinge der Gegenwart. Analyse, die die Alltagsmythen sprachlich differenziert und
erfasst. ZB Autos, Bauwerke, Mode, Medien, pol. Mythifizierungen - können sprachlich analysiert
werden. Die Form im Mythos hat eine sinnhafte Bedeutung. ZB die Form des BMW ist ein corporate
design, ein Mythos, ein verschachteltes System. Im Essay bezieht sich J. auch auf Hans Barth Masse und Mythos, und auf Marshall McLewan - Slogan the medium is the message. Sehr wichtige
Kernthese. Medien sind selbst schon die Botschaft. Die mediale Wirklichkeit ist aus der techn.
Beschaffenheit seiner Medien konstruiert und weniger aus dem Inhalt, den sie transportieren. Die
heutige Wirklichkeit sei von neuen Mythen bestimmt, die durch die versch. technischen Medien
gesteuert werden.
Dekonstruktion (Poststrukturalismus): Derridas: Grammatologie. Die Phil. Martin Heideggers
und die Sprachphil. Saussures (Strukturalismus) aufgegriffen und produktiv erweitert. Dekonstruktion:
komplexer phil. Vorgang, geht der Produktion von Bedeutung, auch mythischer Bedeutung nach. Die
Bedeutungen werden nicht nur zerlegt, sondern im gleichen Vorgang wird Bedeutung neu konstruiert.
Seite 11 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Es geht eben um das Dilemma, wie kann man es vermeiden, durch Aufklärung, also Analyse, wieder
zum Mythos zu gelangen. Der eigene Standpunkt musst ständig hinterfragt werden. Hier dockt J. an,
zitiert Derridas aber nicht, jedoch sind beide im gleichen Fahrwasser, wie auch Barthes.
J. verwendet eine Dekonstruktionstechnik. Bestehende Stücke, Filme,... werden verfremdet, mit
zeitgenössischem Material kurzgeschlossen. Wenn mit Barthes gesprochen, das Problem des Mythos
ist, dass er die Sachen natürlich erscheinen lassen möchte, findet in dieser Natürlichmachung eine
Entpolitisierung statt. Heimkehr: Es sei ganz natürlich, antisemitisch zu sein. Im Mythos erscheinen
die Sachen natürlich und entpolitisiert. Barthes schlägt vor, wie man dem entgehen kann. Er hat
vorgeschlagen, einen künstlichen Mythos schaffen, der am bestehenden Mythos aufbaut. Der
künstliche Mythos könne den "natürlichen" Mythos ebenfalls künstlich erscheinen lassen. Sie
verwendet zB diesen Kunstdialekt, der die Künstlichkeit ihrer Literatur deutlich macht. Lücke zw.
Original und ihrem. J. schreibt 1970 im Essay: Reader S. 12: 68er-Sprache. Das Unpolitische,
Revolution - die Sachen von unten nach oben bringen, Volksbildung. Wie kann man es schaffen, dass
der Masse der Genuss am Mythos genommen wird. Im Essay erreicht J. eine Mehrschichtigkeit, die
sehr kompliziert ist. Collage aus phil. Vorlagen, mythifizierenden Werbebildern und einer
Vampirgeschichte. Geschichte in den poetologischen Entwurf eingearbeitet, in der eine Nancy Winter
von einer vampirartigen Gestalt überfallen und vergewaltigt wird - Geschichte über den ganzen Text
verteilt. Kontrapunkt zu den phil. Texten. Nancy tötet ihn aber. Merkwürdiges Verfahren, dass J. einen
poetologischen Entwurf liefert, der von der Vergewaltigung einer Frau begleitet ist. Kritisiert werden im
Essay weiters u. a. die Kulturindustrie, Hygienewahn, Obrigkeitshörigkeit, Sexualmoral, Degradierung
der Frau zu aufgeputzten Sexualobjekten.
Sekundärdrama: Reader S. 17. Ironisches Anbieten eines "neuen" Dramas an den Literaturbetrieb.
Wieder ein sehr intertextuelles Verfahren. Kritik am lit. Kanon und am Spielplan. Es gibt zwei
Sekundärdramen von J. 1. Abraumhalde (2009, Berlin) - soll mit Lessings Nathan der Weise
inszeniert werden. 2. FaustIn and out (2012, Zürich) - dockt an Goethes Urfaust an.
Das Sekundärdrama unterscheidet sich in der Machart nicht von den übrigen J-Dramen. Nicht nur
Zitate aus den Primärdramen, verbindet auch zB Zitate von Goethen mit Fritzl-Berichten. Die
Sekundärdramen entstehen dezitiert zu Klassikern. Das kennt man auch schon von früheren Texten:
Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft: bezieht
sich auf Ibsen. Weiters: Präsident Abendwind: 1987 uraufgeführt - Referenz Nestroys Häuptling
Abendwind oder Das Gräuliche Festmahl. Ulrike Maria Stuart: Schiller - Maria Stuart. Das Spezielle
am Sekundärdrama, ist, dass es nicht selbständig existieren darf, nur mit dem Primärtext inszeniert
werden darf. Essay Das Parasitärdrama: Hier beschreibt sie dieses Aneignen fremder Texte. Das
Sekundärdrama ist auf die Realisierung und die theatrale Umsetzung angewiesen, damit diese Form
der Intertextualität entsteht. Realisierungsformen im 2. Absatz Reader S. 17. J. richtet sich an den
Theaterbetrieb und die Inszenierungsformen. Bei FaustIn and out zB die Anweisung, dass während
der Inszenierung auf TV-Gerät traditionelle Inszenierung von Faust zu sehen ist. FaustIn and out in
Zürich
und
Frankfurt
aufgeführt
(Frankfurt
kein
Bezug
zum
Primärtext).
Die
Uraufführungsinszenierung als Gastspiel in St. Pölten. Die Texte der Sekundärdramen sind auf der
Homepage zu finden! Reader S. 8 Beginn von Abraumhalde.
Lyrik: Gedichte im Reader S. 19 - 22 sollen gelesen werden. Die ersten Texte J. in den 1960ern
waren Gedichte. Traditionen des Symbolismus, Expressionismus, Surrealismus. Viele Gedichte nach
wie vor unpubliziert. Lisas Schatten 1967, sieben Gedichte: stark rhythmisiert, komplexe klangliche
und rhet. Verfahren, sehr künstlich, intertextuelle Verweise, Farbsymbolik, Natur- und Todeschiffren.
Märchenassoziationen, Volksliedanklänge, Bezüge zu aktueller Popkultur. Thematisieren
Vereinzelung, Schrecken, Gewalt und Sexualität. Gedicht Reader S. 19.
1967 zweiter Band mit 40 Gedichten und Prosatexten. Illustrationen von bildenden Künstlern. 1969
zwei Preise erhalten - "Preis für Lyrik" und "Preis für Prosa". Später nur noch selten Lyrik verfasst.
1980 Die süße Sprache. Gedicht Reader S. 21 - Anthologie gegen deutsch-nationale-Töne.
Verstrickung der dt. Sprache in NS. 1980 neuer Lyrikband: ende / gedichte 1966-1968. 1991:
Prachtband mit gleichem Titel, Auswahl aus Gedichten aus diesem Band. Ltd. Edition mit 100
Exemplaren. Das Buch erhält farbige Holzschnitte. 2010: der dritte ende-Band. Book on Demand wird nur auf Bestellung gedruckt. In diesen Bänden ist das Gedicht Frühling enthalten: Gedicht
Reader S. 20 - behandelt das Gewaltpotenzial sexueller Begegnungen. Überkommene lit.
Konventionen, die sie mit trivialer Sprache (Werbesprache) kontrastiert. 2001 Gedicht Das Nashorn.
Gedicht Reader S. 22. J.s. Haltung zu den eigenen lyrischen Texten war schon sehr früh kritisch Seite 12 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
schon in den Ausgesperrten (1980) ironisiert sie ihre Gedichte. 2007: Meine Gedichte nicht mehr
davon - Urteil über frühe Lyrik: Ihre Gedichte seien epigonal, waren an expressionistische Lyrik
angedockt. Ihre alten Notizen sollten verbrannt werden. Selbstironische Haltung, dennoch
interessante, zu entdeckende Texte. Sprachl. Verdichtung, intertextuelles Arbeiten, Offenlegung von
Gewalt und Verletztheit.
5. Vorlesung
07.11.2012
Neu auf der Homepage
Ø
Ø
Ø
Die Straße. Die Stadt. Der Überfall (Uraufführung in München)
Aber sicher! - Ursprünglich Zusatztext zu dem Stück Die Kontakte des Kaufmanns. Nun aber
diesen Zusatztext erweitert, ein eigenständiger Text geworden, wird nächstes Jahr
uraufgeführt. Schwierige Textgenese
Erklärung Pereiras: Text zu Olga Neuwirth
Aktuell in den Medien:
Pressekonferenz von Heidemarie Unterreiner, Kultursprecherin der FPÖ. Sie hat gegen die linke
Kulturschickeria gewettert, die vom Staat stark subventioniert werde - Menasse, Thomas Glavinic,
Jelinek etc. Die Polarisierung FPÖ - Jelinek gibt es also immer noch. Aber das J.-Forschungszentrum
wird nicht vom Staat subventioniert, auch J. selbst nicht. Sie hat dazu sofort ein Statement
abgegeben. (siehe ORF-Homepage, Standard online).
Lyrik
siehe Reader!
Erste Publikationen in den 60er Gedichte: Lisas Schatten - erste Publikation J.s 1967. Sie hat auch
Einzelgedichte veröffentlicht. Bis 2000 auch Lyrikbände neu aufgelegt. Auswahlgedichtband (heute
nicht mehr erhältlich). J. hat sich später von ihren Gedichten distanziert. Bei Dramen, Romanen gäbe
es kein Ende, könnte man immer wieder fortschreiben, Gedichte müssten auf einen endgültigen
Punkt kommen. 2007: ".....sie müssen verbrannt werden, diese Zettel." "Meine Gedichte waren ja
völlig epigonal ... an expressionistische Lyrik angedockt."
Im Reader zwei Gedichte: Die Nacht Lisa und Frühling. Die Gedichte aus den 60ern sehr komplex,
Bildmischungen, künstliche, schwer zu dechiffrierende Bilder. In Wahrheit sind sie sehr
durchstrukturiert. Refrainhafte Elemente. Klare Gliederung bei Frühling. Auch eine optisch starke
Komposition. Dennoch auch Themen traditioneller Lyrik: Frühling. Naturbeschreibungen, Liebe, Tod,
Nachtstimmungen. Auch Symbolismus wichtig, Surrealismus, Wiener Gruppe. Ein durchaus zu
entdeckendes Forschungsgebiet, das bisher kaum abgearbeitet worden ist. Zwei weitere Gedichte im
Reader - S. 21 u. 22. 1980: Die süße Sprache. Für eine Anthologie geschrieben, die gegen den
Deutschnationalismus aufgetreten ist, slowenische Autoren unterstützt hat. Im Gedicht: Verstrickung
der dt. Sprache in den NS, Ausgrenzungsmechanismen durch Sprache. Intertextuelle Verweise:
"Fleischwort...." (Bibel - "das Wort, das unter uns gewohnt hat.....") "Was man nicht sprechen kann,
kann man nicht denken" (Wittgenstein). Holocaust zentrales Thema. S. 22: Das Nashorn. Für eine
Schülerzeitung geschrieben. Vierhebige Jamben, strophisch, streng (Kinderreim).
Jelinek und Musik
Intensive musikalische Ausbildung durch die ehrgeizige Mutter, gerade Orgel als Instrument der
Kirchenmusik. Sie hat immer noch ein Klavier zu Hause. Orgelabschlussprüfung am Konservatorium
1991. Sie hat in den 60ern auch selbst komponiert. Es gibt Aufnahmen, es gab einige Aufführungen.
Bekannt sind vor allem drei Lieder aus den 60ern. Zwei Lieder für Klavier und Sopran, eines für
Cembalo und Tenor. Zwei Lieder davon auf eigene Texte von ihr. Gedicht: Meine Liebe - Reader S.
Seite 13 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
26. Es gibt ein Du, ein Ich. Viele Wortschöpfungen, spezielle Zeilenumbrüche, best. Rhythmus.
Kompositionen an Zwölftonmusik orientiert, sehr große Intervalle, eine best. Atmosphäre wird
hervorgerufen (Hörbeispiel).
Ballade von Villon und seiner dicken Margot (kein Text von J). Villon ein französischer Dichter,
eine Imitation von Vagantendichtung, eine Art Bänkelsang, ein Hurenlied. Das Cembalo ahmt
Bänkelsang-Elemente nach. Es gibt einen wissenschaftlichen Aufsatz zu diesen Kompositionen, der
einen Zusammenhag zu Hans Eisler (Komponist) herstellen möchte. Warum ist J. nun keine
Komponistin geworden? In den 60er Jahren dürfte es sehr schwierig gewesen sein, sich als
Komponistin zu etablieren. Sie meinte außerdem, das Notenschreiben sei eine sehr umständliche
Arbeit für sie gewesen, das Schreiben ginge schneller, und sie hätte dann auch gleich das
tatsächliche Ergebnis am Papier.
Ist J.s Schreibweise musikalisch? Diese Idee steht in einer Tradition von Autoren, die eine starke
Affinität zur Musik haben in Ö - Thomas Bernhard, I. Bachmann, Wiener Gruppe. Dieser Bezug
erscheint etwas zweifelhaft. Siehe Begründung für den Nobelpreis Reader S. 25. "...musikalischen
Fluß von Stimmen und Gegenstimmen." Auch die Akademie behauptet dieses Kompositionsprinzip.
Selbst J. behauptet, sie arbeite wie eine Komponistin. Janke ist diesbez. skeptisch. Es gibt zwar
komplexe Bezüge zw. Text und Musik, dennoch ist es ein anderes Medium, mit dieser Vorstellung
kommt man nicht wirklich weit. J. arbeitet aber klanglich. Thematisch gibt es natürlich musikalische
Bezüge: Die Klavierspielerin - Musikmilieu, das Klavierspielen generell. Auch Clara S. - Frau von
Robert Schumann - also motivische Elemente aus der Musik in J.s Werk. J. hat viele Essays über
Musiker, Komponisten geschrieben. Reader S. 23, 24: Essay zu Franz Schubert. Er ist für sie der
wichtigste Komponist. Sie hat auch Werke mit Schubert-Titeln benannt: Stück Der Wanderer, Stück
Erlkönigin, Der Tod und das Mädchen, Winterreise. Bei Winterreise bezieht sie sich auch intertextuell
auf die einzelnen Lieder des Liederzyklus. Sie hat auch Singspiele nach Schubert bearbeitet, eine
neue Oper geschrieben - Der tausendjährige Posten oder der Germanist, ist vor kurzem
uraufgeführt worden. Witziges Verfahren: benützt Schubert-Musik der Singspiele und
Handlungselemente und verknüpft das mit einer neuen Geschichte. Handlung: Germanist Hans Ernst
Schneider, war ein Nazi, hat sich nach dem Krieg eine neue Identität zugelegt. Ist dann in den 90er
Jahren aufgeflogen, musste seine Ämter zurücklegen. (Schubert-Essay lesen!) J. beschreibt
Schuberts Heimatlosigkeit, er sei nicht bei sich. Hier findet sich wieder diese Position im Abseits, die
sie auch für selbst empfindet. Sie beschreibt auch die Wirkung von Schubert-Musik, diese mach den
Hörer sich selbst fremd.
Sie hat auch immer wieder mit Komponistinnen zusammengearbeitet: Patrizia Jünger,
Zusammenarbeit in den 80ern. Jünger hat aus der Klavierspielerin ein Hörspiel und eine Oper
gemacht, auch andere Stücke mit Jelinek-Texten komponiert. Die zweite Komponistin ist Olga
Neuwirth, mit der J. seit den 80ern bis heute zusammenarbeitet. Dzt. Festival Wien Modern mit
Neuwirth-Schwerpunkt. J. hat in der Falter-Beilage einen Fragebogen zu Neuwirth beantwortet. (Wie
würden sie ihre Musik beschreiben,.....). J. ist eine Art Mentorin von Neuwirth. Neuwirth 1968 geboren
- eine Projektion J.s? Die Komponistin, die sie selbst nicht werden konnte? J. hat Essays über
Neuwirth geschrieben, neuer (Neuwirth verteidigender) Essay auf der Homepage seit einigen
Wochen: Erklärung Pereiras. (Intendant der Sbg.er Festspiele, der sich schließlich doch gegen
Neuwirth bei den Festspielen entschieden hat).
Es gab aufgrund diverser Probleme einige nicht realisierte Projekte von J./Neuwirth. Beide arbeiten
sehr intermedial, mit Film, mit mehreren ineinandergreifenden Ebenen. Es entstehen dabei keine
traditionellen Opern, Filmebenen werden eingebaut, Räume ineinander verschränkt, versch. zeitliche
Ebenen - wäre eine Bereicherung für die Musiktheaterform. Beide haben ähnliche ästh. Verfahren,
Hinterfragen von Konventionen und Klischees, Arbeiten mit Zitaten, Intertexten (macht Neuwirth im
musikalischen Sinne auch), subversiver Humor, Versuch, Irritation herzustellen, Vorliebe für
Gespenster- und Vampirgeschichten, Aufbrechen von festgefahrenen Strukturen. Neuwirth ist es
erlaubt, sich an Texten von J. bedienen, um sie zu verarbeiten. Es gibt auch Werke, zu denen J. neue
Texte für Neuwirth geschrieben hat. Drei Libretti hat J. für Neuwirth geschrieben. Oper Robert der
Teufel (1980er). Ein Projekt beim steirischer Herbst. Der Komponist Hans Werner Henze wollte mit
Jugendlichen einen Musikschwerpunkt machen, Neuwirth hat mitgewirkt, J. ein Libretto verfasst, das
dann Jugendliche und Neuwirth komponiert haben. Neuwirth war damals ca. 17 Jahre alt, J. hat sie
dann weiter gefördert.
Seite 14 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Weitere Opern mit J.-Oper: Lost Highway (der Film stammt von D. Lynch), Bählamms Fest. Bei Lost
Highway (2002) gab es einen Konflikt. Video-Ebene, die die ganze Oper hindurch laufen sollte innere Vorkommnisse der Figuren. Sie wollten Valie Export für diese Filmebene. Angeblich hätte der
Intendant gesagt, drei Frauen wären zuviel. Die Video-Ebene ist komplett verschwunden
Bählamms Fest: Bei den Wiener Festwochen 1999 uraufgeführt. Vorliebe für Horrorgeschichten,
schwarze Romantik, Szenerie von Untoten, Werwölfen, Vampiren. Basiert auf einem surrealistischen
Stück von Leonora Carrington. Spießbürgerliche Familie. Die Frau Theodora will ausbrechen aus
ihrer Ehe. Jeremy ist in Wirklichkeit ein Werwolf, reißt Lämmer, steht für Unabhängigkeit, der den
Ausbruch von Theodora forciert. Der Werwolf ist ein Countertenor. Morphing - die Stimme wird
allmählich verfremdet in eine Wolfsstimme. Jeremy wird gejagt und ermordet, die Familie rächt sich
an ihm. Er erscheint dann als Gespenst, fordert von Theodora, ewig schön und bleich zu bleiben.
Element der Ironie und Brechung, Slapstick-Momente, Einblendungen von alten Stummfilmen
(Nosferatu). Das Pathos der Oper wird gebrochen. J. und Neuwirth waren mit der Inszenierung nicht
zufrieden. Theodora flüchtet sich immer in ihr Kinderzimmer, ein Schutzraum. Ein Element, das
Neuwirth immer wieder benutzt (Filmausschnitt). Die Komponistin habe keinen Ort - von Neuwirth und
J. thematisiert. In der klassischen Musikszene wäre der Ausschlussvorgang für Frauen am
extremsten. Die Co-Produktion mit den Festwochen in Straßburg nicht zustandegekommen. Essay
J.s. gegen die Absetzung der Produktion in Straßburg.
Film: Die Schöpfung: 2010 - Haydn-Jahr (eigentlich 2009). Neuwirth hat zu dem Thema einen Film
gemacht, beide wirken an der Schöpfung mit. Bibl. Schöpfungsgeschichte + künstlerisches Werk, das
entsteht. Festgemacht an der komponierenden Neuwirth und der schreibenden J. Wie kann eine Frau
überhaupt schöpferisch tätig sein in einer männlichen Gesellschaft? Man hört dabei Gott zu, wie er
die Schöpfung initiiert und kommentiert. Ein Film, der sehr collage-artig arbeitet, geteilte Bilder,
Elemente, die geschaffen werden (Himmel, Erde, Wasser). Es geht um Lit. und Musik und um die
Verbindung von beidem. J. hat einen Text geschrieben für diesen Film, hat ihn selbst eingelesen. Man
hört ihn im Hintergrund, reflektiert über Musik, ihr Verhältnis zur Zeit. Gott entsetzt: "Das sind die
Zeugungen des Himmels und der Erde?" Die schöpferischen Frauen (Videoausschnitt)
6. Vorlesung
14.11.2012
Romane
11 Romane, die einen Gesamttext bilden. Best. Figurenkonstellationen, Themen tauchen immer
wieder auf. Zu den Romanen gibt es am meisten Sekundärliteratur, vor allem zu Lust, Klavierspielerin
und Liebhaberinnen. Der bekannteste Roman ist weltweit die Klavierspielerin, auch wg. der HanekeVerfilmung. Eine Gleichsetzung mit dem Buch wäre verfehlt. Lust war ein Bestseller aufgrund des
Porno-Images. Die Liebhaberinnen war der Durchbruch von Jelinek und liest sich sehr leicht. Eher
unbekannt von J. ist die Kurzprosa: ca. 20 - 30 fiktionale Texte. Unterscheidung zw. Kurzprosa
(literarisch fiktional) und Essays (anlassbezogen, pol. Themen, Medien, Schriftstellerkollegen,...). Die
Gattungsgrenzen sind bei ihr schwer zu ziehen. ZB Dramen, die wie ein Prosatext ausschauen
(wolken.heim). J. selbst unterscheidet für sich jedoch definitiv zw. Theater- und Prosatexten.
Theatertexte sind zu sprechende Texte.
Beispiele für Kurzprosa:
Ø
Ø
Begierde und Fahrerlaubnis (auch auf der HP)
Die Frau und K. (Reader S. 28, Mitte der 90er): intertextuelle Verweise auf Kafka. Frau und
Körper gehören zusammen - Festlegung der Frau auf den Körper.
Die meisten Kurzproasetexte sind aus den 70er-Jahren und intertextuell verwoben mit div. Romanen,
Hörspielen...Best. Themen aus der Kurzprosa werden also fortgeschrieben, daraus entstehen
Dramen etc. Die Kurzformen als eine Art Zwischenform. Es gibt von J. zw. 30 und 40 Dramen, ca.
500 Essays, über 20 Hörspiele, "nur" 11 Romane, obwohl diese aus ihrer Sicht die wichtigsten Werke
sein. Romane teilw. sehr umfangreich, Kinder der Toten, 660 Seiten. Neid - über 900 Seiten zum
Ausdrucken. Sie arbeitet immer mehrere Jahre an einem Roman.
Seite 15 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Fragestellung des Erzählens - können die Inhalte überhaupt zusammengefasst werden? In der
Klavierspielerin evt. möglich, aber es ist auch immer das Erzählen selbst, die von J. thematisiert wird.
Sie spielt mit stereotypen Mustern des Erzählens. Viele Romane sind eigentlich Kriminalgeschichten,
Heftchenromane... Damit wird gespielt, der Schein des unbeschwerten Erzählens wird zerstört.
Erzählen als Suggerierung einer falschen Harmonie. Dagegen J.s. Bewusstmachung, dass das
Erzählen etwas Gemachtes ist. Verfremdung, Aufbrechen scheinbarer Natürlichkeit.
Reader S. 27 - zwei Ausschnitte von Neid. Das Erzählen wir hier in Frage gestellt. Sie kritisiert sich
dann aber auch wieder selbst. Es sei doch natürlich, erzählen zu können. Die Schicksalshaftigkeit ist
die unausweichliche Folge des Natürlichen. J. ist gegen das Schicksal, das Natürliche, das
Unausweichliche. Auch im zweiten Ausschnitt eine Thematisierung des Erzählens. Sie könne und
wolle nicht erzählen und schreibt dabei ein 900-Seiten-Buch. Das "neue Erzählen": Mit Glavinic,
Kehlmann hätte das Erzählen einen neuen Wert bekommen. J. sieht dies kritisch. Bsp. Gier: Sie spielt
mit der auktorialen Erzählposition, reflektiert diese offen. Die Auktorialsituation ist nicht allwissend, ist
unsicher, sie spricht mit dem Leser, ironisiert sich selbst und diese Position über der Erzählung,
durchbricht damit Illusion und Spannung. Es sei davor gewarnt, die Erzählinstanz mit der Autorin
gleichzusetzen, was bei Neid sehr oft passiert ist. Es gibt dort zuweilen ein "E. J. " in Klammer - auch
mit dieser Art Selbstpräsentation muss vorsichtig umgegangen werden.
wir sind lockvögel baby! (1970) Der erste veröffentlichte Roman mit einer sehr speziellen
Veröffentlichungsform. Die Erstausgabe hat einen schwarzen Plastikeinband. Siehe Reader S. 29 Gebrauchsanweisung. Wie in einem Schulheft kann man den Originaltitel entfernen und einen der
angebotenen wählen. Pathos der 68er-Bewegung: Veränderung. Kleinschreibung, kaum
Interpunktion, Aufforderung, aktiv zu werden. Dann würde man das Buch auch nicht lesen müssen.
Ein Spiel mit dem Leser. Widmung: gewidmet dem österreichischen Bundesheer.
Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972). Die ersten Bücher arbeiten mit sehr
stark mit trivialen Mustern, Medien, Werbung, Fernsehen, Radio, Heftchenromane, Horrorfilme,
Comics, Popliteratur. Daktari, Lassie, Flipper, James Bond, Udo Jürgens, Heintje.... Mit derartigen
Trivialmythen beschäftigt sie sich, verfremdet sie. Aufzeigen der Klischees, der kleinbürgerlichen
Glücksvorstellungen, die mit diesen Mythen verbunden sind. Intention der Bewusstmachung.
Infantilisierung durch die Medien, Bewusstseinsprägung durch diese Mythen. Michael: Es gibt auch
von Goebbels einen Michael-Roman. Konnex Trivialmythos - Faschismus. Kleinbürgerliches
Glück/Alltagsfaschismus/Gewalt. In Michael tritt der Auktorialerzähler wie ein Fernsehmoderator auf.
Video-Ausschnitt (Audio-File VN680175.wma ca. 46:00). Lesung im Rahmen einer Fernsehsendung
aus den 70ern aus diesen frühen Romanen + J.s Kommentar aus den 90ern. Sie verweist auf den
Einfluss der Wiener Gruppe.
Milieu der späteren Romane: hauptsächlich im ländlichen Milieu der Steiermark. Tradition des AntiHeimatromans. Also keine Idylle, sondern die Alltagsfaschismen in der Provinz. Teilw. Zerstörung der
Natur durch Kapitalismus, Tourismus. Stark in den Liebhaberinnen und in Lust. Das Kleinbürgertum
ist wichtig in den Darstellungen J.s (Tradition angefangen von Horvath über Canetti). Die Schicht
zwischen Proletariat und Großbürgertum, die aufsteigen will, aber nicht kann. Zwei J.-Romane
spielen in Wien: Die Klavierspielerin und Die Ausgesperrten (1980).
Bezüge zu Mordfällen, Gespenstern, Gruselgeschichten (Die Kinder der Toten). Bei den Morden geht
es jedoch nicht um Spannung, die Mörder sind bekannt. Auch in Gier geht es um einen Mordfall.
Die Ausgesperrten: sehr gut lesbar. (Sehr schwer: Die Kinder der Toten und Neid.) Ein Schüler, der
seine Familie umbringt. Interesse an einem best. Jugendmilieu. Eine Bande, die kleine Attentate
verübt. Die vier Jugendlichen stehen für drei Gesellschaftsschichten. Ein Arbeiter, die Zwillinge
stehen für den Kleinbürger (Vater als Nazi), ein Mädchen aus dem Großbürgertum. Arbeiter und die
Zwillinge wollen aussteigen, schaffen es aber nicht. Sie begehen Attentate ohne best. Zielrichtung.
Kritik J.s den diesen Schichten: keine pol. Lösung anstreben, rein anarchische Gewalttaten. Eine
Sozialstudie best. Klassen und ihrer Aufstiegshoffnungen. Der eine Zwilling tötet sinnloserweise seine
Familie.
Fortschreibungen: Best. Namen, Konstellationen, die immer wieder vorkommen. Die Klavierspielerin
gibt es als Geigenlehrerin wieder in Neid. In Lust gibt es einen Michael. Eine Brigitte in den
Liebhaberinnen und Neid. Lust (1989), Gier (2000), Neid (2007/2008): Die Klammer der Todsünden.
Seite 16 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Lust, die mit Gewalt verbunden ist. Gier nach Kapital (gieriger Gendarm). Neid: derer, die nicht leben
können, auf die, die leben können. Also eine Klammer durch die Romantitel.
Männliche Gewalt - weibliche Knechtschaft, das marxistische Modell von Kapitalist - Arbeiter
übertragen auf das Verhältnis von Mann - Frau zeigt sich in vielen Texten - zB zentral in Lust.
Sexualität ist keine Form der Liebe, sondern eine Form der männlichen Besitzergreifung und Gewalt.
J. bedient kein Lustempfinden des Lesers, sondern eine Distanz, Bewusstmachung von
Gewaltverhältnissen. Die Frau wird dabei nicht nur als Opfer dargestellt, sondern auch als Komplizin.
Die Frauen als Abhängige, die sich auch missbrauchen lassen. In Gier gibt sich die Frau dem
Gendarmen bis zum Selbstmord hin. Obwohl die Frau weiß, dass sie ausgebeutet wird, überschreibt
sie letztlich ihren Besitz dem Gendarmen und bringt sich dann um. In Lust: Eine Ehefrau, die zu
trinken beginnt und sich missbrauchen lässt, sich einen jüngeren Liebhaber nimmt, von dem sie sich
aber auch ausbeuten lässt.
Audio-Ausschnitt Interview beim Erscheinen von Gier (2000) (Audio-File: 1:05:00). Gier zur Zeit der
schwarz-blauen Regierung. Zu dieser Zeit ist J. pol. aktiv aufgetreten, Auftrittsverbot,.... Themen, die
auf den Roman projiziert worden, in dem Alltagsfaschismen zur Sprache kommen. Ende des
Romans: Die Frau bringt sich um. "Es war ein Unfall." Bei Malina von I. Bachmann: "Es war Mord."
Also eine Ironisierung J.s. Untertitel: Ein Unterhaltungsroman. Lt. Interview J.s.: der leichte Ton als
sprachliche Herausforderung, nachdem Die Kinder der Toten ein sehr schwerer Brocken war.
Einige Stichwörter aus dem Interview: Moralischer Anspruch, Lautlichkeit (Kalauer), Provinzautorin
("bin unübersetzbar" - Selbstironisierung), Sexualität (miteinander arbeitende Körper - keine Liebe),
R. Barthes (Mythen des Alltags). Vgl. Barthes. Holzfäller vs. Sexualität - Objektsprache, keine
Metasprache. Sie schreibt keine Literatur des schönen Scheins - Zerstören der Oberfläche, des
Harmonischen.
7. Vorlesung
21.11.2012
Die Liebhaberinnen (1975)
Beliebt, bekannt und leicht lesbar, wurde auch häufig dramatisiert (auch Hörspiele). Es geht um zwei
Frauenfiguren aus dem Arbeitermilieu, die klassenspezifisch verortet sind. Die Lebenswege von
Brigitte und Paula werden parallel erzählt. Beide arbeiten jeweils in einer Unterwäschefabrik. Brigitte
beginnt dort zu arbeiten, will aber eigentlich raus. Paula endet dort. Beide können sich aus einem
vorgegebenen Weg nicht lösen, werden definiert nur über das Frau-Sein, Mutterschaft, Sexualität, ein
vorgefertigtes Frauenbild, von dem sie sich nicht lösen können.
Brigitte will sozial aufsteigen, sucht sich einen Mann namens Heinz, arbeitet gezielt auf die Heirat
hin, der sie auch heiratet, aber nur als Körper benutzt. Sie wird bewusst schwanger. Sie bauen ein
Elektrogeschäft auf, sie passt sich den patriarchalen Vorstellungen an.
Paula macht eine Schneiderlehre, glaubt an den Mythos der großen Liebe. Sie wird schwanger vom
Holzfäller Erich (den gibt es in einem späteren Roman wieder), der nur an Autos und Motorräder
denkt (Satire). Erich trinkt, missbraucht, prostituiert Paula. Sie sinkt immer weiter ab. Es gibt keine
Ausbruchsmöglichkeit für die Frauenfiguren. Das hat etwas mit den Horvathschen Frauenfiguren zu
tun. Frauen, die aus dem Milieu ausbrechen wollen und scheitern (Geschichten aus dem
Wienerwald, Kasimir und Karoline).
Lt. J. scheitern die beiden Frauen an den Klischeevorstellungen von Glück und von der
kleinbürgerlichen Häuslichkeit. Liebe komme nicht vom Himmel, sondern werde von ökonomischen
Tatsachen determiniert. Die Frauen erliegen falschen Glücks- und Liebesvorstellungen. Ökonomie ist
ein Leitmotiv der J.-Werke (Weitere Themen: Patriarchale Strukturen, NS, Untote, Natur, Heimat,
Körper - Sport - Krieg). Beschrieben wird das Milieu der Provinz in den Liebhaberinnen. Lit. Muster
stammen aus der Trivialliteratur: Liebes-, Heimat-, Heftchenroman (Glücksvorstellungen). Die
Kapitelüberschriften zitieren und ironisieren die Trivialliteratur (zB Doch eines Tages. Nur die Liebe
Seite 17 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
lässt uns leben! Fortsetzung: Paulas Gefühle. Jetzt ist sie wieder also da. Wo eine Liebe ist, da ist
auch ein Weg.)
Der Sprachstil unterscheidet sich stark von den späteren Arbeiten, ein pseudo-naiver Stil, simple
Sätze, aber sehr strukturiert, ein Ausstellen einer scheinbar unschuldigen Sprache. Durchgehende
Kleinschreibung. Das 1. Kapitel ist ähnlich dem letzten Kapitel - eine Kreisstruktur, es hat sich nichts
geändert. Vorwort siehe Reader S. 30, 31. Auktoriale Erzählinstanz. Schön, schön, friedlich, friedlich,
gut - Klischeebild eines Landes. Ein Leserhyhtmus wird kreiert durch ganz bestimmte
Zeilenumbrüche. Die Fabrik wird als Teil der Natur dargestellt. Die Leute haben effizient zu
funktionieren. Klischeebilder Mann-Frau (Auto,...). Die Frauen gehören ihren Familien. oft heiraten
diese frauen oder sie gehen sonstwie zugrunde. wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann.
wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau. Video-Ausschnitt aus den 80er Jahren:
Lesung von J. Sie möchte nicht eine positive Utopie zeigen, das, was sein könnte, sondern das
Schlechte, das ist. (Kapitel: am beispiel paula, S. 14 unten, 15, 16 oben) so ist im laufe der jahre ein
natürlicher kreislauf zustandegekommen. geburt und einsteigen, geheiratet werden. [...] der
konsumladen, diese drehscheibe des natürlichen kreislaufs der natur. Von der Wirtschaft wird alles
geprägt.
Die Klavierspielerin (1983)
J. ist international mit dem Haneke-Film 2001 bekannt geworden, ob J. mit dem Film selbst nichts zu
tun hat. Es gibt im Roman zwar biogr. Bezüge zu J. (Mutter-Tochter-Verhältnis, Vater in
psychiatrischer Anstalt, Musik,...), trotzdem ist der Roman keine Biographie. Man sollte sich die
Themen als solche ansehen, nicht als biogr. Bezüge. Der Roman hat eine nacherzählbare Handlung
(im Unterschied zu manch späterem Werk), vor allem geht es aber um Machtverhältnisse, Destruktion
von Klischeevorstellungen. Darstellung eines best. Milieus in Wien - kleinbürgerl. Welt und ihrer
Aufstiegshoffnungen.
Erika Kohout lebt mit ihrer Mutter zusammen, diese möchte mit Hilfe der Tochter einen gesellsch.
Aufstieg erreichen. Symbiotisches Verhältnis. Die Tochter ist falsch besetzt, sie ersetzt der Mutter den
Mann nach dem Tod des Vaters. Sie wurde zur großen Künstlerin gedrillt, ist das Kapital der Mutter.
Sie wird jedoch keine Künstlerin, sondern Klavierlehrerin, bleibt im Mittelmaß. Die Mutter übt Macht
über die Tochter aus, was die Tochter an ihre Schüler weitergibt. Disziplinierung mit Hilfe von Musik
als Unterdrückung von Sexualität.
Psychoanalytische Interpretationen der Klavierspielerin (J. hat sich mit Freud auseinandergesetzt):
Erika hat kein eigenes weibliches Selbstbild, sondern empfindet Weiblichkeit als Mangel und befindet
sich in einer männlichen Rolle und ist trotzdem immer die Schwächere. Sie ist beziehungsunfähig,
kann Sexualität nicht positiv erleben. Es ergeben sich zB Situationen, die mit Autoaggressionen
verbunden sind, verletzt sich selbst, schneidet sich in die Schamlippen, geht als Voyeur in PeepShows und den Prater. Später eine Herr-Knecht-Beziehung zu einem Schüler. Sie gibt ihm briefliche
Anleitungen, er soll sie erniedrigen, schlagen, knebeln (Sadomasochismus). Sie will das Szenario
aber bestimmen, scheitert daran. Er vergewaltigt sie einfach. Sie will ihn am Schluss mit dem Messer
verletzen, verletzt sich aber letztlich nur selbst und geht zur Mutter zurück.
Reader Beginn S. 32. Schreibstil komplexer als bei den Liebhaberinnen. Erika trat auf, der Vater ab.
Der Stab, der Phallus, geht vom Vater auf die Tochter über. Die Tochter wird wie ein Kleinkind
behandelt (kleiner Wirbelwind). Perspektive der Mutter auf das Kind (....weil das Kind gern lügt.)
Video-Ausschnitt Die Klavierspielerin (Beginn bis 04:04). Isabelle Huppert als E. Kohout. 2001
preisgekrönt in Cannes. Kampf Mutter gegen Tochter, dann tränenreiche Versöhnung.
Lust (1989)
Der Roman ist nicht einfach zu lesen, sprachlich sehr anspruchsvoll. Kein Porno, sondern Sexualität
als Machtausübungsinstrument des Mannes gegenüber der Frau. Ein eheliches Besitzverhältnis ist
Gewaltausübung des Mannes (Kapitalist vs. Arbeiter). Mann als Herr der Lust.
Seite 18 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Eine Geschichte in der Provinz: Ehe zw. Hermann (Direktor einer unrentablen Papierfabrik - hat
Arbeiter unter sich) und Frau Gerti. Das Kind wird überhäuft mit Konsum, ist schon ein kleiner
Hermann. Gerti wird permanent sexuell missbraucht. Die neue Krankheit Aids ist aufgetaucht, der
Mann geht nicht mehr ins Bordell, sondern benutzt, erniedrigt seine Frau. Rolle der Frau festgelegt
auf das Objekt der männlichen Lust. Gerti lässt dies mit sich passieren, ihre Ausbruchsversuche sind
nicht echt. Sie beginnt zu trinken, nimmt sich einen Liebhaber, einen Studenten, den sie selbst
missbraucht. Sie wird zur Komplizin ihres Mannes.
Heftige Reaktionen auf den Roman, auf die drastischen Beschreibungen von Sexualität als Gewalt. J.
hat darüber einen Essay geschrieben. Die drastischen Stellen seien politisch. Es geht nicht um ein
Aufgeilen. Sexualität solle nicht in ihrer scheinbaren Unschuldigkeit bleiben. Das Herr-KnechtVerhältnis zwischen Männern und Frauen sei aufzudecken. Mit Voyeurismus hat das nichts zu tun.
Die Frau bringt als Ersatzhandlung ihr Kind um, das wie der Vater zu werden droht
(literaturgeschichtliches Motiv des Kindsmords: siehe Gretchen, Medea). Ein komplexer Roman,
arbeitet schon stark mit Intertexten. Männlicher Diskurs über Liebe: Lyriktradition, in der es um den
heiligen Eros geht, Heiligung von männlicher Sexualität. J. verarbeitet den Duktus von Hölderlin,
Goethe, Rilke, mystische, katholische Lit. Man muss beim Lesen ein Sensorium entwickeln, worauf J.
sich hier jeweils bezieht. Es geht J. um eine Destruktion dieses männlichen Sprechens über Liebe.
Video-Ausschnitt aus dem Literarischen Quartett 1989. Ranicki, Sigrid Löffler, H. Karasek + Gast.
Lockere, emotionale Art, über Lit. zu sprechen, die auch aufs Publikum schielt. Rollenverteilung im
Quartett. Löffler als Anwältin von J. Sie hat das ikonisierte Bild von J. mitgeprägt. Ranicki der große
Gegner von J., Karasek dazwischen. Eine Show auf Kosten der Autorin. Ranicki: Wie funktioniert die
Psyche einer Autorin, die permanent so einen Dreck beschreibt?
Neid (2007/2008)
Auf der Homepage erschienen. Ein sehr umfangreicher Roman, wurde in Fortsetzungen auf die
Homepage gestellt. Es hat zwei Wochen gedauert, bis das 1. Kapitel von der Öffentlichkeit "entdeckt"
wurde. J. hat keinerlei Aussendung dazu gemacht. Ein Affront gegen den Literaturbetrieb, gegen den
Verlag, kein Vertriebssystem, kostenlos. Als Nobelpreisträgerin konnte sie sich das leisten (der erste
größere Text nach dem Nobelpreis). Eher wenige Rezensionen im Vgl. zu früher. "Der Falter" hat
keine Rezension gebrach, "Die Zeit" ebenfalls nicht.
Es geht um eine Todsünde, den Neid. Neid derer, die nicht leben können auf die, die leben können.
Das Untote. Ein Lebensgefühl von J. selbst, sie fühlt sich im Abseits. Es geht auch um das Sterben
best. Gegenden, um Eisenerz, den Erzberg. Eine Industriegegend, die verkommt, Abwanderung,
Niedergang, Altern, Verengung, Sterben der Landschaft. Dies wird von J. verbunden mit dem NS, den
Todesmärschen 1945 von der ungarischen Grenze nach Mauthausen durch diese Gegend,
verbunden mit einem Massaker am Präbichl. Verdrängung von Schuld, des NS. Hauptfigur Brigitte
(vgl. Die Liebhaberinnen) ist Geigenlehrerin (vgl. Die Klavierspielerin). Es geht um einen
angedeuteten Mordfall, der am Ende zentral wird (Krimi-Element).
J. hat bewusst antinarrativ gearbeitet, es gibt keine durchgehende Handlung. Reader S. 33. Interview
FAZ mit J. über den Roman. Ambivalenz: präsent im Internet, dadurch nicht existent? Ein
Privatroman im Internet. Sie hat die Verfügungsgewalt über den Text, kann ihn wieder verschwinden
lassen. Darf man ihn nun ausdrucken und archivieren? Das Literaturhaus Wien hat ihn ausgedruckt
und gebunden. Das Lesen am Bildschirm ist auch ein anderes. Man kann durchaus versuchen, sich
durchzuklicken und spontan einzelne Teile zu lesen. Ein Motivgeflecht, die Motive kommen immer
wieder. Sie habe den Roman wie als Tagebuch als Blog-Form geschrieben. Ist es aber ein
Internetroman? Gibt es eine Interaktivität, gibt es etwas Prozesshaftes? Eigentlich nicht. Nur die
Publikationsform macht das Internetmäßige aus. Sie dürfte nachträglich an dem Roman auch kaum
etwas geändert haben, kein work in progress. Der Roman ist als solcher abgeschlossen. Vor einem
Jahr hat es im BR ein Radioprojekt zu diesem Roman gegeben. Es wurde ein Hörspiel in zehn Folgen
daraus gemacht. J. hat einiges auch selbst gelesen. Der Roman wurde dabei um die Hälfte gekürzt.
Dazu auch ein großes Interview mit J. Die Antworten hat J. schriftlich formuliert, eingelesen, das
Interview wurde montiert. Es hat auch ein Gespräch mit S. Löffler gegeben.
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/schwerpunkte/jelinekneid100.html
Seite 19 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
8. Vorlesung
28.11.2012
Hörspiele
J. hat mit Lyrik begonnen (60er), Prosa ab den 70ern, auch Kurzprosa (Zeitschriften), in den 70ern
auch Hörspiele. Ende der 70er hört sie damit auf, fließender Übergang zum Theater. Die
Theaterästhetik J.s ist besser zu verstehen, wenn man voraussetzt, dass sie vom Hörspiel, von der
Sprache kommt, weniger vom Visuellen.
Reader S. 34: Hören Sie zu! Dankesrede zum (deutschen) Hörspielpreis der Kriegsblinden, den J.
gewonnen hat. Für Ö1 hat sie einen Ausschnitt eingelesen (Audio-Ausschnitt). Hören ist denken, hat
mit Bewusstseinsveränderung zu tun. Generell scheinen J.-Texte verständlicher zu werden, wenn
man sie laut liest, weil die für J. so wichtige lautliche Ebene wahrnehmbarer wird. Zentrale Begriffe:
Denken, Bild, Hören. "Nein, Sie müssen nicht denken, bevor sie sprechen, aber Sie müssen denken,
wenn Sie hören." Denken wird aktiviert durch das Hören. Wichtig auch das subversive, verbotene
Denken. "Am liebsten denkt man, was man nicht denken darf." "Das Denken, das Hören ...... das
man nicht zu sehen braucht." Ein nicht vordergründig optische Wahrnehmung
Es gibt von J. ca. 20 Arbeiten fürs Radio, vor allem originale Hörspiele, die vor allem in Deutschland
produziert worden. Ende der 70er hat sie Theaterstücke zu Hörspielen umgeschrieben. Finanzieller
Aspekt für sie, aber auch interessant aus der Sicht des Medienwechsels. Es finden zwar
Transformationen statt, aber das Hörspielartige scheint in ihren Dramen auch angelegt zu sein. Dann
eine Phase, in der Hörspielregisseure ihre Dramen zu Hörspielen umgeformt haben. Seit 2005 vom
BR viele J.-Stücke zu Hörspielen umfunktioniert. Relativ konventionelle Bearbeitungen, nah dran an
den ursprünglichen Texten, teilweise näher am Text als die die freien Theateraufführungen.
J. schreibt auch Texte fürs Radio, die keine Hörspiele sind. Auch Hörspielbearbeitungen ihrer eigenen
Dramen durch J. selbst. Oft ist es schwierig festzustellen, welche Radiotexte von J. selbst sind, und
welche Texte fremde Bearbeitungen sind.
Auch die umgekehrte Richtung wurde realisiert: Regisseure haben Hörspiele J.s fürs Theater
umgestaltet. Interessante Frage für wissensch. Arbeiten, wie sich die Texte damit verändern.
Allerdings die Problematik, dass die Hörspiele sehr schwer zugänglich sind, damit auch die
wissensch. Forschungslücke erklärbar. Selbst die Texte sind schwer zugänglich, allerdings besteht oft
die Möglichkeit, Hörspiel-Typoskripte von den Sendern anzufordern. Der veröffentlichte Abdruck der
Typoskripte wird von J. nicht forciert, weil die endgültige Hörspielfassung eben erst das echte
Hörspiel ist aus ihrer Sicht.
In den 70ern gab es das Hörspiel wenn die sonne sinkt ist für manche auch noch büroschluß
auf Audiocassette. Weiters auch CDs vom BR (der auch Neid bearbeitet hat.) Zum Teil auch
Downloads vorhanden. Die sind aber eben Bearbeitungen von J.-Theaterstücken, keine OriginalHörspiele von J. Im J.-Forschungszentrum liegen fast alle Hörspiele J.s vor.
Tradition von Hörspielen: Seit den 1920er Jahren mit der Entwicklung des Radios. Nach 1945
zeigen sich bestimmte Phasen der Hörspiel-Entwicklung. I. Bachmann, Ilse Aichinger - sehr
psychologisch angelegt, ein literarisches Hörspiel. In den 60ern ist eine neue Form entwickelt worden:
das neue Hörspiel. Dieses hat sich vom lit. Hörspiel, von der Geschichte, abgelöst. Man hat hier
versucht, alle Schallereignisse der Realität (O-Töne, elektronisch produzierte Töne) einzubinden.
Fiktionale Handlung weniger dominierend, Verfremdungen, Tonhöhenverändernungen, Einbindung
der Stereophonie.... Collageartiges Spielen mit Tönen. Auch Komponisten haben das Hörspiel
entdeckt (vgl. Olga Neuwirth). In diesem Kontext steht J. nicht wirklich. Sie distanziert sich eher von
diesen Klangspielen. Wichtiger ist ihr das Sprechen an sich, das Thema, die kleinbürgerlichen
Glücksvorstellungen, der politische Anspruch.
1. Wien West
1. Hörspiel (Richtung Hütteldorf, in dieser Gegend wohnt sie auch selbst). Dazu hat sie einen
Vorspruch geschrieben (Rückblick J.s. auf ihre Hörspiele im Jahr 1989). Ihre Hörspiele seien sehr
Seite 20 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
sprachintensiv. Figuren, die nur aus Sprache existieren. In Wien West habe sie sich selber parodiert,
weil dort die Geräusche stärker eingebunden worden, als sie dies üblicherweise machen würde. Die
Geräusche transportieren allerdings die Handlung.
Es geht in Wien West um zwei Wirtshäuser. Der eine Wirt will den anderen schädigen, heuert drei
Männer an, die mit Moped, Motorrad, Auto unterwegs sind. Der Sohn des andere Wirts hat ein
Fahrrad, dieses hört man nicht. Es geht in dem Stück um Profit und um die Tochter des einen Wirts
(Erni), in die alle verliebt sind. Der Sohn mit dem Motorrad rettet das Wirtshaus seines Vaters (AudioAusschnitt). Es gibt einen Auktiorialerzähler, der die Handlung erklärt, Figuren einführt. Das
Wienerische wird von den dt. Sprechern imitiert, dadurch entsteht eine best. Künstlichkeit und Komik.
Die Figuren werden in ihrer Beschränktheit ausgestellt. Auch die Musik spielt eine große Rolle,
einerseits klassische Musik (Mahler, Beethoven), auch Schlager, Volksmusik, Filmmusik, TVSerienmusik. Ein Aufgreifen von Trivialmythen, Spiel mit Versatzstücken aus der Populärkultur, was
im Zusammenhang mit der kleinbürgerlichen Atmosphäre, diesen Glücksvorstellungen steht. Es geht
um die Demaskierung von Klischees ("die große Liebe"). Brechung der Handlung durch eine
Sprechinstanz. Typisch auch, dass die Figuren darüber sprechen, wo sie sich gerade befinden
(mangelndes Bild). Phrasenartig agierende Figuren, die sich in ihren Ansprüchen entlarven. Die
Hörspiele J.s haben eine gewisse Leichtigkeit, einen Unterhaltungswert.
Radiotheorie von Bertolt Brecht: Prinzip der Verfremdung. Etwas als nicht naturgegeben
demaskieren, der pädagogische Anspruch auch im Hörspiel.
2. wenn die sonne sinkt ist für manche auch noch büroschluß (1972)
Reader S. 35 Ausschnitt (Audio-Ausschnitt). Es geht um Gabi, 17 Jahre, Verkäuferin (Warenwelt,
Kleinbürgertum), lernt einen reichen, älteren Mann, Markus kennen. Sie kommen zusammen.
Sehnsucht der Frau nach dem Ausstieg. Markus ist aber an Krebs erkrankt, stirbt, Gabi erbt das
Vermögen. Schlussworte: "Was ich mit jetzt alles kaufen kann." Der Mythos der großen Liebe wird
enttarnt. Schlagermusik kommt vor, um Gabis Welt zu verdeutlichen. Auch hier gibt es einen
Erzähler. Die Sprechweise der Figuren ist auffällig, spiegelt gewisse Klischees vor. Ironisierung durch
viele Wiederholungen. Ein Frage-Antwort-Spiel in der Pause zwischen den beiden erzählten Tagen,
durch Musik untermalt (Klischee der Sehnsüchte junger Frauen, erinnert an Frauen-Zeitschriften).
3. Der Untergang eines Tauchers (1973)
Gewisse Figuren, Themen kommen bei J. immer wieder vor (vg. Michael). Es geht um Trivialmythen,
Fernsehserien, Flipper, Lassie,... Sehr positiv gezeigte Tiere in diesen Serien. Dieses Hörspiel ist
eher collage-artig, J. springt von einer Serie zur nächsten. Die lieben Tiere verwandeln sich in
mörderische Monster. Die harmonische, kleine Welt der Serien wird zerstört. Ein beim Tauchen
erstickter Taucher (von J. aufgegriffener Zeitungsartikel) - so wie der Kleinbürger, der aufsteigen will
und dabei scheitert. Auch zu diesem Hörspiel hat sie einen Vorspruch geschrieben. "Die Betulichkeit
dieser Serien wird zu blanker Mordlust. ... Gewalt, die dieser Gesellschaft latent innewohnt." (AudioAusschnitt). Schwer zu rezipierendes Hörspiel aufgrund der Collage-Technik.
4. Für den Funk dramatisierte Ballade von drei wichtigen Männern sowie dem
Personenkreis um sie herum (1974)
Die Männer: Pilot Charles Lindbergh, der berühmte Dirigent (vgl. Herbert von Karajan), Tarzan.
Klischeehafte Männertypen: Der Entdecker, das Genie, der Naturbursch (Männlichkeit, Sexualität).
Um sie herum stehen die Frauen, lediglich eine Begleiterscheinung. Männer als Subjekte, Frauen als
Aufputz - traditionelle Geschlechterrollen. Sukzessive werden die Schwächen der Männer immer
stärker demonstriert, bis zu einem best. Zeitpunkt die Stimmen getauscht werden. Die Frauen
sprechen die Männerrollen und umgekehrt, auch ein Vertausch der stereophonischen Anordnung.
Eine Trennung zw. den Figuren und dem was sie sprechen. Dadurch werden die typisch männlichen
und weiblichen Sprechweisen hinterfragt. Ein feministisches Hörspiel, das stark mit dem Sprechen
arbeitet. Was gibt es für typische Redeweisen für Männer und Frauen, die dann verfremdet werden.
Reader S. 36 - Seite aus dem Hörspiel-Typoskript. Auch zu diesem Hörspiel gibt es einen Vorspruch
J.s. Es gibt eine Industrie, die an diesen Festschreibungen interessiert ist. (Audio-Ausschnitt).
Seite 21 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
5. Kasperl und die dicke Prinzessin oder Kasperl und die dünnen Bauern
(1974)
ist für Kinder entstanden, Hörspielreihe für Kinder im süddt. Rundfunk. vgl. auch Reader S. 37 - Der
brave Franz ist brav. Auch Kinder sollten kritisch sein, nicht immer alles erfüllen, was sie von
anderen vorgesetzt bekommen. Der Stil imitiert den Kinderbuchstil.
Beim Kasperltheater geht es um Typen, um drastische Komik, nicht um Psychologisierung. Die
Volkstheatertradition kommt zum Vorschein. Weiterer Text zusammen mit Christoph Schlingensief. Er
hat 2000 (FPÖ-ÖVP-Regierung) einen Big-Brother-Container im Rahmen der Wiener Festwochen
aufgebaut. Drinnen waren Asylanten, denen man zusehen konnte und die man rauswählen konnte derjenige wurde dann abgeschoben. An einem Tag war J. zu Gast, hat ein Kasperltheater mit den
Asylanten geschrieben. (youtube - Ich liebe Österreich).
Reader S. 38. Hans Clarin (Pumuckl) spricht den Kasperl in dem Hörspiel. Kasperl und Pezi
unterstützen das System des Königs. Die Prinzessin wird immer dicker. Derjenige kriegt die Hand der
Tochter und das halbe Königreich, der die Prinzessin vom Essen abhält. Kasperl und Pezi wollen dies
versuchen. Die kluge Gretel, die mit Kasperl und Pezi zusammenlebt, protestiert dagegen, verbündet
sich mit dem armen Bauern, will sich gegen die Obrigkeit auflehnen. Es kommt zu einer Revolution,
die Bauern teilen sich das Land neu auf. (Audio-Ausschnitt). Auch hier gibt es einen Sprecher, der
sich an das Publikum wendet, an die lieben Kinder, die brav sein sollen. Bewusstmachung der
erwünschten Nicht-Anpassung. Das Hörspiel ist teilw. textmäßig etwas anders realisiert als das
Typoskript.
9. Vorlesung
05.12.2012
Jelinek und das Theater
Begriff der Textfläche: J. hat den Begriff selbst eingeführt für ihre Dramen, hat sich aber mittlerweile
wieder davon distanziert.
Das Theater hat das Hörspiel bei J. eingelöst. Dramenästhetik von der Hörspielästhetik beeinflusst.
Das Sprechen und Hören steht im Vordergrund. J. hat die Theaterästhetik insgesamt mit beeinflusst.
Inszenierung des Sportstücks 1998 ist sehr berühmt. Skandal mit Stück Burgtheater. Das Stück
Wolken.Heim von 1988 war ein Wendepunkt in J.s Theater. Ihre Stücke schauen schon in der
Textfassung anders aus - kein Personenverzeichnis, keine Sprecher, keine Regieanweisungen, keine
Sprecher. Ein durchgängiger Text - Gattungsfrage? Warum ist das kein Prosatext? ->
Postdramatisches Theater
Begriff geht auf den Theaterwissenschaftler Hans Thies Lehmann zurück: Das postdramatische
Theater (1999). Es geht hier nicht um Dramentexte, sondern um theatrale Formen der Gegenwart.
Ein neue Form des Theaters habe sich herausgebildet. Es geht nicht um ein Literaturtheater, das nah
am Text bleiben will, sondern um Formen, wo die Aufführung selbst das Zentrum ist. Von Lehmann
ausgehend, hat sich der Begriff des postdramtischen Theaters für neue Dramenformen
verselbständigt. Ist der Begriff aber wirklich zulässig für J.? Derartige Dramen haben keine
psychologisch gefassten Figuren, Subjekte, sondern Sprechinstanzen bzw. die Sprache selbst, die
auftritt. In den Texten gibt es eine Vielstimmigkeit, Sprechformen, aber dennoch Dialoge, und zwar
Dialoge von Diskursen. Ideologische Sprechweisen treffen aufeinander und geraten in Konflikt. Das
dialogische Moment ist zwar neu gefasst, aber noch nicht völlig eliminiert. Analogie dieser
Vielstimmigkeit mit dem Chor im antiken Theater - hier in neuer Form aufgegriffen. Ein vielstimmiger
Sprechkörper, der in Erscheinung tritt. J. übernimmt aber auch tatsächlich Elemente aus den antiken
Dramen.
Seite 22 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Wie gehen Schauspieler damit um? Üblicherweise stellen sie "echte" Figuren dar. Manche
Regisseure versuchen dann, J. mit traditionellen Figuren zu inszenieren. Dies ist nicht im Sinne von J.
Schauspieler nur als Sprechkörper, die dafür eigentlich eine spezielle Ausbildung bräuchten. Es geht
eben nicht um die Psychologisierung von Charakteren. Sprache müsste körperlich werden. Dennoch
gibt es in J.s Dramen auch Bezügen zur Dramengeschichte. Intertextuell, inhaltlich wird mit diesen
Formen gespielt.
Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften:
Erstes J.Stück. Bezug zu Henrik Ibsen und sein bürgerliches Nora-Drama. Solche Verweise findet
man bei fast jedem J.-Drama. Sie nimmt generell Bezug auf das Kafka-Theater, auf das Volksstück
(Burgtheater: an Raimund - Alpenkönig u. Menschenfeind angelehnt). Sie hat Nestroy-Stücke
weitergeschrieben, Shakespeare als Folie benutzt für Raststätte. Auch Bezug zu Brechts epischem
Theater. J.s Drama ohne Brecht nicht denkbar. Opern-Bezug: Rechnitz - bezieht sich auf die Oper
Der Freischütz (Carl Maria Weber). J.-Stück Rein Gold - Spiel mit der Wagner-Oper Das Rheingold
(Ring der Nibelungen). Wagner scheint der größte Widerspruch zu J. sein - (deutschnationales)
Pathos Wagners. Aber gerade diese Brechungen interessieren J. In den letzten Jahren hat sie oft
antike Dramen als Folie benutzt (Aischylos). Vgl. Textclip Rede Haider mit Aischylos aus früherer
Vorlesung. Sprachlich pathetisches, religiöses Werk kombiniert mit der Abschiedsrede Haiders. Das
antike Drama ist auch von der Form her interessiert - das chorische Element führt sie weiter. Rechnitz
hat sie als Botenbericht (Mittel des antiken Dramas) konzipiert. Informationen, die man selbst nicht
miterlebt, werden durch Boten eingebracht. Dieses dramaturgische Mittel verwendet sie, um das
Sprechen über den NS einzubringen. Wir waren nicht dabei, müssen uns von verschiedenen
Stimmen erzählen lassen.
Begriffe wie Textfläche und Postdramatik müssten also diskutiert werden. Beim Nestroy-Preis 2011
hat Turrini den Preis fürs Lebenswerk bekommen, wollte eine Laudatio von J. Turrini hat das Forum
benutzt, um gegen das Regie-Theater zu sprechen. Gegenposition von Handke: polemisierte gegen
die Textflächenstücke - man schreibe keine richtigen Dramen mehr. Daniel Kehlmann schreibt jetzt
auch Dramen, hat vor einigen Jahren bei Eröffnungsrede Sbg. Festspiele gegen das Regietheater
(Stückezertrümmerung) polemisiert. Das neue Stück Kehlmanns: Der Mentor: älterer Schriftsteller mit
traditionellem Drama gegen den jungen Schriftsteller, der für die Postdramatik steht - J.-Parodie? Ein
aktuelles Thema in der Lit. und der Lit.wissenschaft.
Einflüsse für J.s Dramatik:
1) Bertolt Brecht
Episches Theater, Lehrstück-Form. Dramen, die auf etwas hinweisen, die etwas bewirken sollen. Zu
Beginn stand J. stark in dieser Tradition, insbes. mit dem Verfahren der Verfremdung. Etwas
scheinbar Natürliches soll als etwas Gemachtes entlarvt werden. Dinge sind gesellschaftlich gemacht
und veränderbar, nicht natürlich. Auch J. will durch Bewusstmachung dieser Veränderbarkeit die
Gesellschaft tatsächlich verändern. In neueren J.-Dramen gibt es aber keine Brecht'schen Figuren
und einfachen Antworten mehr. Aber die Auseinandersetzung mit Kapital und Macht verbindet J. mit
Brecht weiterhin.
2) Heiner Müller
DDR-Dramatiker, von Brecht geprägt, der die Widersprüche von Brecht noch mehr zuspitzt, Macht,
Gewalt, dt. Geschichte dargestellt hat. Umschlag von Zivilisation und Barbarei, Faschismus. Die
Geschichte als großes Schlachthaus. Einfluss auf J. jedoch eher auf der formalen Ebene. In den
70ern und 80ern sind die Textflächen-Stücke Müllers entstanden. Collageartig gebaute Stücke,
Selbst- und Fremdzitate. Die Hamlet-Maschine (1977) und Bildbeschreibung (1984). Scheinbare
Prosatexte ohne herkömmliche Figuren, sehr assoziativ. J. bezieht sich auf die Bildbeschreibung, gibt
zu, davon beeinflusst zu sein. Müller über J.: Ihn interessiere J.s Widerstand gegen das Theater, so
wie es ist. Es hat also einen gewissen Austausch zwischen den beiden gegeben.
J. hat eine große Wirkung auf die theatralen Formen, hat auch viele Preise für Dramen erhalten.
Mühlheimer Theaterpreis, Dramatikerin des Jahres,.... Brigitte Landes: stets das Ihre: Elfriede
Jelinek: Theaterleute äußern sich hier über J. Eine gute Einführung ins Thema.
Seite 23 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Poetik-Essays J.s über ihre Dramen:
Reader S. 39 - 41: sehr bekannte Essays. Ich möchte seicht sein (1983, später überarbeitet - siehe
auch HP). Ich schlage sozusagen mit der Axt drein (1984). Sie beschreibt in den Essays zB Nora,
Clara S. und Burgtheater.
Ich möchte seicht sein: Interesse für Oberflächlichkeit, Mode. Beginnt mit Negationen - sie will keine
Identifikation der Schauspieler mit der Figur, keine Psychologie, keine Einheit. Sie will die
Dissoziation, das Auseinanderklaffen von Schauspieler und Gesprochenem. "Ich will kein [Anm.:
herkömmliches!] Theater". Keine Identifikation des Zuschauers mit dem Dargestellten. Die
Schauspieler sollen sich ebenfalls nicht identifizieren, das Sprechen selbst auf die Bühne bringen.
Ich schlage sozusagen mit der Axt drein: Sie bezieht sich explizit auf Brecht - s. S. 41, Schluss.
Die Sprache zum Sprechen bringen. Montage, Konfrontierung versch. Sprechweisen. Den politischen
Anspruch (letzter Satz) würde sie heute nicht mehr so formulieren. Sie spricht von Prototypen - siehe
Einleitung des Texts - auch dort die Rede von Bedeutungsträgern. Hier arbeitet J. also noch eher mit
traditionellen Sprechern, ab 1988 wird das immer weniger - dann dominiert eher das
Textflächenartige.
Textfläche:
2012 auf japanisch erschienener Text, Vorwort für Übersetzung von J.-Stücken ins Japanische (J.Schwerpunkt in Tokio). Hier geht sie auf den Begriff der Textfläche ein. Sie findet das Wort
inzwischen verpönt: Langeweile, keine interessanten Bühnengestalten, es fehle das saftige Leben also Vorwürfe, die an ihr Theater herangetragen wurden. Sie sucht nun nach neuen Begriffen:
Rhizom: ein Wurzelgeflecht, das kein Zentrum hat, sich ständig verzweigt, vernetzt und
weiterentwickelt. J. findet, ihre Stücke sind überdeterminiert, nicht so schwierig zu entschlüsseln wie
das traditionelle, extrem stilisierte japanische Kabuki-Theater. J. spricht in den Dramen mehr aus, als
man in Realität eigentlich sagen würde, das Unbewusste kommt in entlarvender Form zur Sprache.
Textgeflecht vs. Textfläche. Textgeflecht ist wohl ein passenderer Begriff, nicht nur eine glatte
Fläche.
Politischer Anspruch ihrer Dramen: Sie reagiert sehr schnell auf aktuelle Ereignisse mit ihren
Dramen. Fukushima -> sofort ein Stück darüber geschrieben, jedoch sind die Theater mit ihren
Spielplänen langfristig verplant. Die unmittelbare Aktualität ihrer Stücke kann somit nicht ad hoc nach
außen dringen. Der Haider-Monolog (Das Lebewohl) konnte damals im Rahmen der
Donnerstagsdemos sofort aufgeführt werden, in einem großen Theater ist eine derartig spontane
Aufführung nicht möglich. Briefbombenaktionen in den 90ern, Roma-Morde im Burgenland, 2001
Seilbahnunglück Kaprun, Irakkrieg, Wirtschaftsverflechtungen, Fukushima, Fritzl, Kampusch..... Sie
verarbeitet diese Themen natürlich nicht in einem journalistischen Sinne, sondern viel komplexer.
Publikationsformen: Von wenigen Stücken einzelne Buchausgaben. Nora gibt es nur in einem
Sammelband wie auch Burgtheater. Das hängt mit der Verlagspolitik zusammen. Man wartet auf
mehrere Stücke, ein Sammelsurium von Stücken in einem Band, die thematisch keineswegs
zusammenhängen. Manchmal doch eine Logik: ein Band nur mit Prinzessinnendramen: Der Tod und
das Mädchen. vgl. Franz Schubert. Unter diesem Übertitel der Prinzessinnendramen hat J. fünf
Dramen nacheinander geschrieben. Ähnliche Typen, Assoziationen an Märchenfiguren. Fünf kurze
Dramen, die miteinander erschienen sind. Als nächstes kommt jedoch ein Einzelband heraus - Rein
Gold (Wirtschaftsfragen) - März 2013. Bestimmte Stücke gibt es auf der HP. Bis heute nicht
erschienen ist Ulrike Maria Stuart. RAF, Ulrike Meinhoff auf der Folie des Schiller-Dramas. Die
Tochter von U. Meinhof hat gegen dieses Stück protestiert. Ihre Mutter würde hier mythisiert. J. hat es
jedoch extra für eine Wissenschaftlerin zwei Tage auf der HP gehabt, deswegen darf man daraus
zitieren. Somit ist das Stück eigentlich publiziert. Manche Stücke sind nur in Theaterzeitschriften
veröffentlicht worden.
In den Dramen häufig: "Dank an.... "immer sehr ironisch formuliert. Hinweis J.s. auf die verwendeten
Intertexte. ZB "Dank an News" (Text von Jörg Haider), Aischylos,.... Sie gibt aber nicht alle Quellen
an, Spiel mit den verwendeten Quellen.
Seite 24 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
"Feministische Trilogie" (diesen Ausdruck nicht benutzen...):
Ø
Ø
Ø
Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften
(1979)
Clara S. (1982)
Krankheit oder Moderne Frauen (1987)
In diesen drei Stücken geht es um die Möglichkeit weiblicher Autonomie. Kann die Frau Subjektstatus
erreichen in einer männlich dominierten Gesellschaft? Kann sie selbst schöpferisch tätig sein? Das
sind frühe Stücke, in denen es noch Personenverzeichnisse gibt. Dennoch sind es keine
psychologischen Figuren sondern Sprechinstanzen. Es sind die international am häufigsten
aufgeführten Stücke. Vor allem Nora wird in Ländern gespielt, in denen die Postdramatik noch keine
Bedeutung hat. Nora ist eben auch traditioneller aufführbar. In China ist Nora das einzig aufgeführte
J.-Stück. Dort gibt es eine Ibsen-Tradition.
Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften:
1979 beim steirischen herbst uraufgeführt. Vorlagen von Ibsen: Nora oder ein Puppenheim und
Stützen der Gesellschaft. Hier erkennt man noch deutlich den Brecht'schen Lehrstückcharakter.
Reader S. 42, auch 40 - Ich schlage sozusagen mit der Axt drein. Man spricht etwas aus, was man
normalerweise nicht tun würde. Eine Sprechinstanz, die Verborgenes enthüllt. Rechte Spalte: Sie
bezieht sich hier auf Brecht und wünscht sich einen anderen Inszenierungsstil für ihre Stücke. Gegen
die Uraufführung in Graz hat J. sogar protestiert - Konflikt mit dem Regisseur.
In dem Stück geht es um die Emanzipation der Frau. Muss man parallel lesen zur Frauenbewegung
der 70er. Marlies Janz hat dieses Stück als Abrechnung mit der Frauenbewegung bezeichnet - mit
einem unpolitischen Feminismus, dem es nur um die Selbstverwirklichung der Frau in einem unpol.
Sinn geht, wo die Frau dennoch ein Objekt der Männer bleibt. Die Klischees der Frau (Mutterschaft,
kleines Glück) bleiben die selben. Nora will ausbrechen, kann aber nicht, weil sie in den selben
Kategorien denkt wie die Männer. Zusammenhang Kapitalismus und Situation der Frau versteht Nora
nicht. Leseprobe vom Beginn: "Ich bin keine Frau,.... Beruf." Sie will sich emanzipieren, steht vor dem
Personalchef. "Ich habe Pflege und Aufzucht .... vermasselt." Sie bleibt in den alten Vorstellungen,
was eine Frau können muss, gibt eingelernte Phrasen wieder. Scheitern eines
Emanzipationsversuchs.
Clara S.:
Auch hier scheitern die Frauen beim Versuch auszubrechen. Clara S. = Clara Schumann - Frau des
Komponisten Robert. Die Frau, die nicht selbst komponieren kann wg. ihres Mannes und der
Klischeevorstellungen von Frau. Kombination der Zeit Robert Schumanns mit den 20er Jahren.
Familie von Robert S. mit präfaschistischem Dichter kombiniert - Gabriele d'Annunzio. Dieser will
Clara S. nur konsumieren. Handlung spielt in d'Annunzios Villa - ein Zeitsprung. Clara kann sich
schöpferisch nicht emanzipieren, übernimmt die patriarchalen Wertvorstellungen. Sie zwingt Robert
zum Genie, er wird wahnsinnig, zerbricht daran. Die Frau hat als Künstlerin dennoch keinen Ort.
Krankheit oder Moderne Frauen:
1987 uraufg. Grundmotiv des Vampirs. Zwei weibliche Vampire in diesem Stück. Die Frau, die
verschwindet, wieder auftaucht, keine wirkliche Existenz hat, nicht wirklich leben kann. J. beschreibt
die Geschichte Österreichs mit diesem Bild. Die Geschichte Österreichs taucht immer wieder auf, weil
sie nicht aufgearbeitet worden ist. In diesem Stück erfolgt eine Anmaßung der lesbischen
Vampirinnen, die selbst begehren, sich nicht nur zum Objekt machen. Sie wollen keine Kinder
gebären sondern diese aussaugen. Überschreitung der traditionellen Rolle der Frau. Sie lehnen
Mutterschaft ab, müssen bei dieser Grenzüberschreitung scheitern. Wieder ein pessimistisches
Stück, ein Protest. In dieser Negativität steckt aber immer auch eine Aufforderung, es wäre verkürzt,
J. als reine Pessimistin zu beschreiben.
Prinzessinnendramen:
Die Position der Frau bleibt für J. ein wichtiges Thema. Die Prinzessinnendramen (um 2000) sind
auch in dieser Tradition zu sehen. Ein Stück ist eine Paraphrase auf Dornröschen, eines auf
Seite 25 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Schneewittchen, eines Jacky Kennedy,.... Frauen, die nie einen Subjektstatus erhalten können,
immer von Männern abhängig bleiben. Dornröschen zB muss vom Prinzen erweckt werden. Die Frau
wird nie Königin, bleibt immer Prinzessin.
10. Vorlesung
12.12.2012
Prüfung:
Im Jänner drei Einheiten (09., 16., 23. Jänner).
Ø 1. Termin: am 30.01. erster Prüfungstermin (schriftlich)
Ø 2. Termin: Anfang März (mündlich - Anfang Februar Info auf der Homepage des Instituts. Es
wird im dritten Stock eine Liste an der Prof. zum Eintragen geben)
Ø 3. Termin (letzte Juni-Woche schriftlich - wieder über HP informiert)
Ø 4. Termin (Anfang Oktober - mündlich - wieder Liste zum Eintragen)
Individuelle Leseliste:
4 - 5 Romane (gestreut)
4 - 5 Stücke (gestreut)
6 - 7 Essays (zB zwei politische Essays, Essays zu den Stücken, dürfen auch Essays sein, die auf
den Readern angelesen worden sind; (teilw. J.-Homepage), Hörspiel, Lyrik, Kurzprosa...
Ø
Ø
Ø
Fragen zu Jelinek allgemein (Inhalt der VO)
Konkretere Fragen - Bsp: Erklären Sie Jelineks Dramenform anhand eines Werks aus Ihrer
Leseliste.
5 Stück Sekundärliteratur (zB 2 Bücher, 3 Aufsätze - am besten zu den gelesenen Werken,
keine Biographien, sondern konkrete Sekundärliteratur. Auch Wissen über die Autoren der
Sekundärliteratur! Es kommt sicher eine Frage zur Sekundärliteratur. Diese Frage kann man
sich vor der Prüfung vorbereiten)
Dominierende Richtungen in J.-Stücken:
Ø
Ø
Ø
Ø
Feministische Stücke (zB die Prinzessinnen-Dramen, Ulrike Maria Stuart,....)
Kapitalismuskritische Stücke (Raststätte)
Stücke zur deutschen Geistesgeschichte
Österreichkritische Stücke
Raststätte: Kapitalismuskritik, Konsumwahn nach Zusammenbruch des Kommunismus. In den
letzten Jahren J.-Schwerpunkt in diesem Bereich: Die Kontrakte des Kaufmanns - Stück zur
Wirtschaftskrise, sehr komplexes Stück (siehe Ausschnitt im Reader). Auslöser: Skandal um die
Meinl-Bank. Abrechnung mit dem Kapitalismus und der Sprache des Kapitalismus ("erwirtschaftete
Verluste", "Minuswachstum",.....) In dem Stück auch Anklänge an die Antike (antike Chöre). Zu
diesem Stück hat J. Erweiterungstexte geschrieben. Uraufführung inszeniert von Nicolaus Stemann
- wichtiger Regisseur für J.
Wolken.Heim (1988):
Die dritte Schiene: Auseinandersetzung mit der dt. Geistesgeschichte und deren
Ausgrenzungsmechanismen, dem Denken der großen dt. Philosophen (Hegel, Herder, Heidegger).
Zentraler Text dazu: Wolken.Heim. Wolkenkuckucksheim ist ein Luftstaat in einem Werk von
Aristophanes (Die Vögel). In J.s Stück geht es um die Bekräftigung einer Heimat, eines kollektiven
Wir. J. gibt teilw. ihre Quellen an: Texte von Hölderlin, Hegel, Kleist, Fichte, Heidegger bis hin zu
Briefen der RAF. Sie zeigt damit die Sprache der dt. Philosophie als Sprache der Ausgrenzung der
anderen, Bestätigung des Eigenen. Das Stück als Textfläche, es verzichtet auf Figuren,
Regieanweisungen, wirkt äußerlich wie ein Prosatext. Es gibt aber Sprechinstanzen, ein Wir, das sich
immer selbst bestätigt gegen die anderen. Reader S. 43 - Beginn von Wolken.Heim. Man hört das
spezielle Pathos. Es gibt Untersuchungen, die aufschlüsseln, was sie hier verarbeitet. Allein in
diesem einen Absatz stecken vier Hölderlin-Gedichte. Man kann das Original Hölderlin mit dem
Seite 26 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
vergleichen, was sie daraus macht. (Anm.: Ist das ihr Anspruch, dass der Leser dies spontan
erschließen kann?)
Video-Ausschnitt. Regisseur Jossi Wieler, Wolken.Heim-Inszenierung 1993, der Durchbruch J.s im
Theater, eine berühmte Inszenierung. Ein psychologischer Ansatz Wielers, der aber hinterfragt
werden kann. Er versucht, versch. Typen, Konstellationen zu finden. Ein angreifbarer, aber auch den
Text verständlicher machenden Ansatz. Denn wie kann eine Textfläche wie Wolken.Heim überhaupt
inszeniert werden? Wieler entwirft sechs Frauenfiguren (für die typische Männersprache). Witwen,
Töchter von verstorbenen Männern, Soldaten, Tätern. Der Text der Männer wird in den Mund der
Frauen gelegt. Die Frauen versuchen, mit dieser Sprache umzugehen und die Männer auf diese Art
zu beschwören. Gezeigt wird ein Bunker, in den die Frauen steigen, ein Erinnerungs-, Kriegsraum, in
dem die Reste der Toten aufbewahrt werden. Sie suchen die Spuren der Männer, rufen sie in
Erinnerung. Allmähliches Abtasten des Raumes, was war, was ist übrig. Typisch für Wieler auch das
Singen, das Lachen.
Totenauberg (1991):
Todtnauberg ist der Ort im Schwarzwald, in dem Martin Heidegger gelebt hat. J.: Die Toten, die
verborgen sind, die wiederkehren, nicht sterben können. Ein Stück, das sich mit Heidegger
beschäftigt (Nahestellung zum NS). Gegenüberstellung mit Hannah Arendt, eine wichtige Philosphin,
Jüdin, Moralistin, Frau, die eine Beziehung zu Heidegger hatte, und die nur schwer einen Ort
bekommen hat in der dt. Geistesgeschichte. Die Frau auf der Suche nach ihrem Ort im Denken.
Dagegen der Mann, der große Heidegger, der fest in der Welt steht mit seinem faschistoiden,
ausgrenzenden Denken Heideggers.
Österreichkritische Stücke: Burgtheater, der Haider-Monolog (Das Lebewohl), Das Werk über das
Speicherkraftwerk Kaprun. Ein Projekt, das mit Kriegsgefangenen errichtet wurde. Thematisierung
der Kriegsschuld. Die Schuld Österreichs und das Leugnen ist ein zentrales Thema von J. Reader
Essay: Die Österreicher als Herrn der Toten (1992). "Unsere Identität beruht auf der Aufhebung
fremder Identität." "Der kollektive Wille zur endlosen Unschuldigkeit der Österreicher....." Mitschuld
am Holocaust.
Stecken, Stab und Stangl (1996):
Auslöser: Briefbombenattentate in den 90ern. Eine Bombe in Oberwart bei der Roma-Siedlung. Vier
Roma wollten die Bombe entschärfen, alle vier sind gestorben. Dabei war eine Tafel: "Roma zurück
nach Indien." - also ein rechtsradikaler Anschlag. Als Täter wurde Franz Fuchs verhaftet. Haider
meinte, die Roma seien selbst Schuld wg. Waffenschiebereien, die die Roma veranstaltet hätten. J.
führt die Ausgrenzung der Roma etc. zusammen mit dem Holocaust. Der Titel Stecken, Stab und
Stangl ist ein typisches Sprachspiel (Alliterationen). Stab: Kolumnist Staberl, hatte damals eine
Kolumne geschrieben, in der er den Holocaust relativiert hat. Franz Stangl: war ein öst. KZ-Leiter in
Treblinka. Stecken, Stab: Bibel Psalm 23: "Und wenn ich auch wandere im finsteren Todestal, so
fürcht ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab die trösten mich." Attribute,
die Gott zugeordnet sind -> Männlichkeit, Phallus, Patriarchat, Kronenzeitung.
Rechnitz (Der Würgeengel) (2008)
2008 uraufg. bei den Münchner Kammerspielen. Jossi Wieler als ein zentraler J.-Regisseur. Die
Sprache der Täter ist zentral im Stück, und wichtig die Toten, die in er Erde verborgen sind. Der
Würgeengel: Das ist ein Film von Luis Bunuel. Das Stück entstand auf Anregung von Wieler. Im Film
wird eine reiche Festgesellschaft dargestellt. Die Gäste kommen, aber die Dienstboten verschwinden
nach und nach. Die Adeligen bleiben zurück. Das endet letztlich im Chaos, die Reichen können die
Villa nicht verlassen, dies dauert die ganze Nacht. J. verschränkt dies mit Rechnitz und dem
Massaker in Rechnitz. Bei ihr treten die Boten auf, die auf der Bühne zurückbleiben, während die
Herrschaften die Bühne verlassen haben.
Historischer Hintergrund: Massaker März 1945, knapp vor Ende des Kriegs. Speziell dabei ist,
dass es nie wirklich aufgeklärt wurde. Das Massengrab wurde nie gefunden, die Bewohner des Ortes
haben sich in Schweigen gehüllt. Rechnitz wurde zu einer Chiffre für die nicht aufgearbeitete
Vergangenheit Österreichs. In Rechnitz gab es ein Schloss, welches seit dem 16. Jh. der Familie
Seite 27 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Batthyany gehörte. Verkauft im 20. Jh. an Heinrich Thyssen, einen Großindustriellen, der sich mit den
Nazis eingelassen hat, nach dem Krieg in die Schweiz emigriert. Die Tochter, Margit Thyssen, hat in
diesem Schloss gewohnt, hat dann den Grafen Iwan Batthyany geheiratet. 1938 wurde das Schloss
dem Grafen geschenkt. Das Schloss hatte im NS eine zentrale Funktion. Rechnitz liegt an der Grenze
zu Ungarn. Okt. 1944: Arbeiten am Südostwall, dieser sollte die dt. Grenze gegen die sowj. Armee
schützen. Einheimische, HJ, Kriegsgefangene haben daran gearbeitet, waren auch im Schloss
untergebracht. 6000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter wurden ebenfalls für die Arbeiten am
Südostwall verpflichtet.
Im März 1945 hörte man schon die Schüsse der nahenden sowj. Armee. Am 24. März wurden
nochmals 1000 ung.-jüd. Zwangsarbeiter für den Wall angefordert. Davon wurden ca. 180 sofort
ausgesondert und zum Bahnhof gebracht und weiter zum Kreuzstadl außerhalb des Ortes: ein Stall in
Form eines Kreuzes. Inzwischen gab es ein Gefolgschaftsfest im Schloss, die Batthyanys, NSMitglieder, HJ-Vertreter. Im Lauf des Fests gab es eine Telefonat des Ortsgruppenleiters, der dann 14
- 15 Gäste im Magazinraum des Schlosses versammelt, hat Gewehre ausgegeben, diese sind dann
zum Kreuzstadl und haben die 180 Arbeiter erschossen. Die Gräfin ist daraufhin geflohen, das
Schloss wurde also verlassen, zurück bleiben die Boten. Das Grab konnte bis heute nicht gefunden
werden.
Wichtig dabei: Es findet kurz vor Kriegsende noch ein Fest statt. Die Gräfin, die Tochter
(Täterfamilie), andererseits die SS-Leute, HJ. Ein Fest, etwas Orgiastisches in den letzten Tagen des
Krieges. Und während des Fests findet das Töten der Zwangsarbeiter als Teil der Orgie statt. Die
Gräfin ist die Tante der Francesca Habsburg (auch heute noch ein brisantes Thema). Ein Massaker
als Partybelustigung. Wer war tatsächlich beteiligt am Morden, auch die Gräfin? Hat das Töten
überhaupt tatsächlich stattgefunden, wenn das Grab nicht gefunden worden ist? Leugnen von
Mitschuld -> ein großes Thema bei J.
Film Totschweigen (1990-94) von Eduard Erne und Margareta Heinrich: Dieser Film ist prägend für
J. generell, auch für Kinder der Toten, Stecken, Stab und Stangl: Auf welchem Boden gehen wir, was
ist unter uns versteckt. Der Film wollte die Suche nach dem Grab thematisieren. Die Grabungen
mussten immer wieder abgebrochen werden. Erne u. Heinrich haben auch die Ortsansässigen
interviewt. Man hatte ohne Ergebnisse um anonyme Hinweise gebeten, hat dann die Zeugen direkt
befragt. Man wollte auch die Täter ausfindig machen. Franz Podezin, der NS-Ortsgruppenführer in
Rechnitz, hat sich nach S-Afrika abgesetzt, konnte dort unbehelligt leben. Der Film vermittelt das
kollektive Verschweigen und das Leugnen der Schuld. Das war ausschlaggebend für J.s Stück
Rechnitz. Ein Chiffre für das generelle Leugnen der Mitverantwortung Österreichs. Die Gräfin ist nie
zur Verantwortung gezogen wurden, Zeugen sind in den 50ern umgebracht worden. Es gibt nicht
ausgewertete Materialien. Es scheint so zu sein, dass man diesen Vorfall nicht aufarbeiten will.
Filmausschnitt. Es wird sogar die Köchin interviewt. Einerseits wird bestätigt, andererseits geleugnet.
Es geht um Gerüchte etc. Das macht J.s Stück aus. Es geht um das Sprechen über etwas, das man
nicht sieht. Das Stück ist ein antiker Botenbericht, dies ist der Hauptfaktor des Stücks. Reader
Regieanweisung: Es sprechen nur die Boten und Botinnen. Das sind wir alle heute, die über
Vergangenheit sprechen. Die Medien, relativierende Stimmen, Täter,... Die Orgie oder das Massaker
ist nicht Thema des Stücks. Eine Distanzierung, Relativierung, Infragestellung. J. thematisiert auch
die Generation der Nachgeborenen, wie gehen wir heute mit der Vergangenheit um. J. greift nicht nur
die Floskeln der Ortsansässigen auf, sondern auch Stimmen von Politikern, Historikern.
Sinnentleertes Distanzieren durch Politiker (Sündenstolz). Es fehlt der analytische Blick, deswegen
lebt das NS-Gedankengut weiter. Durch die Boten entsteht eine Unsicherheit, Frage der Wahrheit aus
dritter Hand. Wichtig ist auch das Orgiastische. Die Ermordung im Rahmen des Festes ist etwas
Spezielles. Auch das verbindet J. mit der griechischen Tragödie: Die Bakchen von Euripides. Das
Dionysische, Orgiastische ist in der griech. Tragödie zentral. Hier ist es Pentheus, der im Rausch der
Orgie von der eigenen Mutter zerrissen wird. Bei J. fast eine Parodie, wenn diese Orgie in der
Ermordung von Hilflosen endet. Es kommt bei J. die Sprache der Täter zu Gehör, die Floskeln von
Leugnern ("die Leute waren ja schon krank, halb verhungert,....") Zentral auch das Jagdmotiv:
Regieanweisung am Beginn des Texts. Die Botinnen haben Gewehre in der Hand, feuern Schüsse
ab. J. verbindet das mit der Weber-Oper Freischütz und im Epilog mit dem Kannibalen von
Rotenburg.
Wichtig dabei: Neben dem Botenbericht-Style gibt es einen Epilog, in dem ein Dialog verarbeitet
wird. Kriminalfall, der medial thematisiert wurde. Ein Mann, der unbedingt einen Menschen essen
Seite 28 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
wollte, und einer, der gegessen werden wollte. Ein Vertrag wurde geschlossen zwischen den beiden .
Dazu gibt es Chatprotokolle. Auch das hat J. im Stück verarbeitet, also wieder sehr intertextuell von J.
was hat das alles mit Rechnitz zu tun. Eine Klammer des Orgiastischen, der Einverleibung des
Opfers. Opfer-Täter-Konstellationen. (Anm.: Parallelität der Mitschuld???) Jossi Wieler hat in seiner
Inszenierung diesen Epilog gestrichen. Dennoch waren Knochen im Stück präsent. Als der Epilog
2009 tatsächlich aufgeführt wurde, gab es einen Skandal um die Kannibalismus-Dialoge (obwohl es
keine explizite Darstellung des Kannibalismus gab). Reinbrüllen in die Aufführung, Spucken,
Zuschauer haben das Theater verlassen.
Filmausschnitt Inszenierung Rechnitz.
11. Vorlesung
09.01.2013
Wie theatralisch sind eigentlich J.s Theaterstücke? Klar ist, dass J. die Theaterästhetik dennoch stark
mitgeprägt hat. Dabei ist sie üblicherweise an den Inszenierungen nicht beteiligt, lässt den
Regisseuren freie Hand. Oft enthalten ihre Stücke ironische Regieanweisungen („Wie Sie das
machen, ist mir sowas von egal….“) Ein Spiel mit dem Regisseur. J. hat die Regisseure als ihre CoAutoren bezeichnet. Das Sportstück ist extrem lang, könnte man in vollem Umfang gar nicht spielen.
Der Regisseur ist also gezwungen, eine gekürzte Fassung zu erstellen. Weiters wichtig ist die
Entscheidung, wie einzelne Rollen erstellt und aufgeteilt werden, nachdem dies aus den Texten kaum
hervorgeht.
Interessant ist, dass J. vorwiegend an repräsentativen, großen Bühnen gespielt wurde und wird, nicht
an kleinen Theatern, denen die Aufführung von J.-Stücken verboten wird. Dies ist in erster Linie eine
(kommerzielle) Entscheidung des Verlages. Möglicherweise verhindert das die Entwicklung neuer
Theaterformen, während größere Häuser doch zu eher traditionellen Inszenierungen neigen. Die
Haltung J.s scheint dazu ambivalent zu sein.
Ulrike Ottinger – Begierde und Fahrerlaubnis
(Inszenierung steirischer herbst 1986)
Der erste sehr antitraditionelle Inszenierungsversuch für J. Ottinger arbeitet stark mit Bildzitaten, mit
interkulturellen Zitaten. Begierde und Fahrerlaubnis ist eigentlich ein schwieriger Kurzprosatext.
Ottinger hat die Textebene getrennt von der Schauspielerin, Text und Theater gegeneinander gestellt.
Auf der Bühne war eine Leinwand, auf der der Text eingeblendet wurde. Davor ist eine gehörlose
Schauspielerin gestanden und hat den Text in Gebärdensprache interpretiert. Textebene und
Körpersprachebene. Der Text ist körperlich geworden. Bei der Premiere ist es zu Tumulten im
Publikum gekommen, die taube Schauspielerin hat das nicht wirklich mitbekommen und einfach
weitergespielt. Ottinger hat zB auch Clara S. inszeniert. Es gibt auch ein nicht realisiertes Filmprojekt
von J. und Ottinger – Die Blutgräfin. Es scheitert an der Finanzierung.
Einar Schleef – Ein Sportstück
(Inszenierung Burgtheater 1998 unter Claus Peymann)
Eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Inszenierung und die wohl prägendste J.-Inszenierung für J.
selbst und für die Theatergeschichte. Die Aufführung war ein großes mediales Ereignis, der
Publikumszuspruch war aber sehr bescheiden, musste bald wieder abgesetzt werden. Man wollte das
Burgtheater füllen, indem man das Publikum dazu animiert hat, sportlich verkleidet ins Theater zu
kommen. Die Kurzfassung dauert drei bis vier Stunden, die Langfassung sieben Stunden.
142 Darsteller, davon 29 Kinder. J. hat Schleef sehr bewundert aufgr. dieser Aufführung. Sie hat
weitere Texte für Schleef geschrieben, zB Das Werk. Dort wurden Chöre benutzt (wie auch im
Sportstück). Im Sportstück schreibt Sie: „Machen Sie, was sie wollen. Das einzige, was unbedingt
sein muss ist: griechische Chöre, einzelne Massen.“ Die Verbindung aus Sport, Krieg und
Seite 29 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Faschismus ist wichtig. Bezug zu Elias Canetti, der die Hetzmasse in Masse und Macht beschreibt.
Das antike Theater ist aus dem Chor entstanden. Natürlich soll dieses Masseverhalten kritisiert
werden. Schleef hat selbst die Chöre dirigiert. Die Proben müssen sehr anstrengend gewesen sein.
Die Überforderung ist ein wichtiges Element in diesem Stück. Die Schauspieler gelangen an ihre
körperlichen Grenzen.
Schleef ist allerdings schon verstorben. Das Werk konnte er nicht mehr inszenieren. J. hat einige
Essays über Schleef, der aus der DDR stammt, geschrieben.
Schleef hat die Körper wie Installationen benutzt und die Sprache als Sprache ausgestellt. Er hat
auch stark mit schwarz-weiß-Kontrasten (Lichtbahnen), Filmprojektonen gearbeitet, Teile des ElektraDramas eingefügt.
Filmausschnitt: Man sieht die Sportchoreographie. Ein Textfragment wird immer wieder wiederholt,
dazu die Kampfchoreographie, alle bewegen sich im gleichen Rhythmus, Bewusstmachung der
Verbindung von Sport und Kampf. Die ganze Szene dauert 30 Minuten.
Nicolas Stemann – Das Werk (Inszenierung 2003)
hat in den letzten 10 Jahren die wichtigsten J.-Uraufführungen inszeniert. Hat Das Werk 2003
inszeniert, eine erfolgreiche Aufführung. Stemann macht J. auch für ein größeres Publikum
konsumierbar. Er hat auch Ulrike Maria Stuart und Babel (Fortsetzung von Bambiland, zum IrakKrieg) aufgeführt. Stemann schrieb, dass er J.-Texte schrecklich findet, natürlich schätzte er sie aber
auch: „Ich muss nach drei Seiten Jelinek-Lektüre schreiend aus dem Fesnter springen. Dieser Schrei
ist dann die Inszenierung.“
Filmausschnitt Das Werk. Ein Schauspieler mit J.-Perücke beginnt zu lesen. Im Lesen wird die
Überforderung thematisiert, er wirft dann den Zettel auf den Boden. Das Stück setzt sich mit dem
Kraftwerksbau in Kaprun auseinander, ein Bauwerk, das 1955 als Symbol des neuen Österreichs
eröffnet wurde. Baubeginn bereits in den 1920ern, auch die Nazis haben mit Zwangsarbeitern
weitergebaut. Hier gab es auch viele Opfer. J. zeigt so die Kontinuitäten in der Geschichte
Österreichs, eine Geschichte, die auch auf Toten aufbaut.
Es gibt eine zweite Phase Stemanns in der Auseinandersetzung mit J., die mit 2009 mit den
Kontrakten des Kaufmanns begonnen hat. Er hat zuerst den gesamten Text vor Publikum lesen
lassen, wollte ein Gefühl für den Text bekommen, was ist mit ihm möglich, eine improvisatorische
Form, aus der die tatsächliche Aufführung entstanden ist, die sich jeden Abend neu entwickelt, etwas
verändert. Mit Rheingold probierte er nun ähnliches, hat eine derartige Lesung im Juli 2012 in
München gemacht, war jedoch nicht sehr erfolgreich. Die Frage ist nun, ob Stemann Rheingold
tatsächlich inszenieren wird, ob die Zusammenarbeit mit J. weitergeht.
Christoph Schlingensief – Bambiland
Auch zu ihm hatte J. eine besondere Beziehung, er ist 2010 an Krebs gestorben. Er wurde lange nur
als Provokateur eingeschätzt, die Bewertung hat sich aber sehr geändert, hat in Bayreuth Parzifal
inszeniert. Er hat neue multimediale Formen entwickelt, Aktionskunst, ein neues Verhältnis zwischen
Bühne und Öffentlichkeit. Er hat auch mit Behinderten zusammengearbeitet. Er verwendet das
Element der Störung, der Infragestellung. J. war zutiefst betrübt angesichts seines Todes. „Er war der
Künstler schlechthin.“
Er hat Bambiland am Burgtheater uraufgeführt, was schon im Vorfeld medial skandalisiert wurde. Die
Produktion war recht erfolgreich. Ein Stück über den Irak-Krieg und über den Voyeurismus der
Medien gegenüber diesem Krieg. Krieg und Pornographie wurden zusammengebracht. Der Text
wurde nicht auf Schauspieler aufgeteilt, sondern er war in Form einer Computerstimme innerhalb des
Geschehens präsent. Es gab drei Leinwände mit Einspielungen vom Irak-Krieg, dazu viele Zitate
(Aktionismus, Parzifal, Musik). Die Medien meinten, der J.-Text wäre im Stück gar nicht
vorgekommen, sie selbst war aber höchst zufrieden mit der Inszenierung. Die intertextuelle Machart
von J. habe Schlingensief visuell auf die Bühne übersetzt.
Seite 30 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
12. Vorlesung
16.01.2013
Gastvortrag: Ute Nyssen
13. Vorlesung
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
23.01.2013
"Welche Sekundärliteratur haben Sie gelesen? Von welchem Autor...." kommt garantiert zur
Prüfung.
Allg. Fragen zu Jelinek
Beschreibung von Aspekten auf Basis der Leseliste
2. Termin: 28.02./05.03. Ab Montag 28.01. Liste an der Tür der Vortragenden, um sich dort
einzutragen.
3. Termin Ende Juni schriftlich.
4. Termin Anfang Oktober schriftlich (Termine siehe jeweils auf der Institutshomepage.)
Jelinek und Intermedialität
Film
Starke Beziehung zum Film, zB Interesse für Grusel- und Gespensterfilme. Das Motiv der Untoten ist
sehr wichtig für J. Sie hat Essays geschrieben über Regisseure wie Hitchcock und David Lynch.
Themen wie Gewalt, Wahnsinn, Subjektauflösung. J. hat Lost Highway bearbeitet, mit Olga Neuwirth
zum Libretto umgeformt. Sie hat auch einen Essay über Paradies Glaube, den neuen Film von Ulrich
Seidl, geschrieben.
Es gibt eine Theorie, dass ihre lit. Werke nach Filmprinzipien geschrieben würden (Montage,
Collage,....). In best. Werken Bezüge zu Filmen hergestellt, zB das Stück Burgtheater (Heimatfilm der
Nachkriegszeit. Sie hat den Film Heimkehr bearbeitet). Werke von J. wurden verfilmt, zB Die
Klavierspielerin. J. war an unrealisierten Filmprojekten beteiligt. ZB Regisseurin Ulrike Ottinger hat mit
J. das Drehbuch Die Blutgräfin geschrieben.
Ramsau am Dachstein
Nicht auf DVD veröffentlicht, nur in Archiven zugänglich, kaum Sekundärliteratur dazu. Ein
Dokumentarfilm aus 1976 gedreht für den ORF und auch 1976 gesendetin der Reihe Vielgeliebtes
Österreich. Öst. Autoren sollten gewonnen werden, um best. Gegenden Österreichs in ihrer
Schönheit vorzustellen. J. war vermutlich nicht die optimale Adresse für diesen Zweck. Ein kleinerer
Skandal, es gab Probleme zw. J. und dem ORF. In Ramsau sollte mit dem Film der Tourismus
angekurbelt werden. J. fragt, auf wessen Kosten das alles geht: auf Kosten der Natur, auf Kosten
derer, die dabei auf der Strecke bleiben. Wo sind die Opfer der wirtschaftlichen Ausbeutung dieser
Gegend. Eine alte Bauernmagd wird interviewt, die über diese Bedingungen spricht. Sie war immer
ausgebeutet, nie angemessen entlohnt worden, musste mit 86 Jahren immer noch im Hotel Geschirr
abwaschen. Die Tochter von Paula Wessely, Elisabeth Orth, fungiert als Sprecherin. Auch J. tritt
selber im Film auf: "Das ist eine schöne Landschaft." J. hat selbst ein Interview zu dem Film gegeben.
Sie wollte die Leute zeigen, die von der wirtsch. Entwicklung der Gegend nicht profitiert haben. J.
musst das Drehbuch zwar umarbeiten, dennoch als J.-Film erkennbar, der kritische Impetus ist noch
enthalten. Sie hat daraus dann noch zwei Hörspiele gemacht. In der Ramsau wurde der Film gezeigt,
Proteste der Ramsauer Bevölkerung, auch der ÖVP. Zwei Filmausschnitte. Die Magd, die interviewt
wird, zeigt sich zufrieden trotz der harten Arbeit, die sie Zeit ihres Lebens hat leisten müssen. Sie ist
von einer alkoholkranken Bäuerin als Kind geschlagen worden. Die Ausbeutung erkennt sie als
solche nicht. J. will so ein Bewusstsein schaffen, Missstände aufzeigen.
Seite 31 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Elfriede Jelinek - Nestbeschmutzerin und Nobelpreisträgerin
Malina
Ein Roman von I. Bachmann, der 1991 verfilmt worden ist. Regisseur: Werner Schroeter. J. hat das
Drehbuch verfasst, dieses ist auch in Buchform veröffentlicht. Malina sollte auch als DVD erhältlich
sein. Zum Film gibt es auch Sekundärliteratur. Der Film ist von Feministen kritisiert worden. Der
Roman wäre verfälscht worden, es sei lediglich eine Liebesgeschichte daraus geworden. J. hat sich
dabei nicht gegen Schroeter gestellt, seine filmische Arbeit gelobt. Reader S. 50. Geschrieben wie ein
Stück. Kaum Anweisungen für Kameraführung etc. Schröter ist aber stark vom Drehbuch
abgewichen. J. wollte Bachmanns Subtext herausarbeiten: die Situation einer Frau in der
Gesellschaft, das Problem einer Frau, ihre Sexualität und Kreativität zu leben. Es geht auch um die
Kontinuitäten des Faschismus in der Nachkriegsgesellschaft. Filmausschnitt: Schluss des Films.
Auslöschung der Frau, sie verschwindet in der Wand. Das Feuer im Film wurde kritisiert (vgl. Tod
Bachmanns). Schlusssatz: "Es war Mord." Vgl. Drehbuch im Reader.
Installation: Trigger your Text
Eine Computerinstallation aus dem Jahr 1993, die sie in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Gottfried
Hüngsberg erstellt hat. Reader S. 51. Ein aggressives Videospiel, das auf das Totschlagen virtueller
Fliegen abzielt. Je aggressiver man zuschlug, desto mehr ist man zu einer aggressiven Textebene
(Goebbels, Heidegger,...) von Wolken.heim vorgedrungen (Thema: Ausschluss der anderen,
Bestätigung eines Wir). Je weniger aggressiv man agierte, desto schöner wurden die Texe, zu denen
man Zugang erhielt (Hölderlin, Kleist..). Die Installation ist mittlerweile zerstört. Filmausschnitt zu
dieser Installation aus dem Jahr 1993. Sie spricht dort auch über ihren Bezug zu neuen Medien.
Zusammenarbeit mit Jenny Holzer
Amerikanische Künstlerin, die mit Lichtinstallationen arbeitet. 2006 eine Ausstellung im Wiener
Museum für Angewandte Kunst. Lichtprojektion mit Texten von J. Ausschnitte aus Die
Liebhaberinnen und Die Ausgesperrten. Der Raum wurde mit diesen Texten gestaltet. Die Texte
haben den Raum sozusagen ausgekleidet, sind über Boden, Decke und Wände gewandert. J. hat
Jenny Holzer die Auswahl der Texte überlassen. J. sieht eine Parallele zu Holzer, dass sie beide die
Sprache als solche ausstellen. Sprache zum Anfassen.
Zusammenarbeit mit VALIE EXPORT
Feministische Künstlerin, die stark mit Medien arbeitet. Geplant war eine Verfilmung der
Klavierspielerin, die aber letztlich nicht von EXPORT verfilmt worden ist. Dafür hätte J. das Drehbuch
geschrieben. Die beiden haben einen ähnlichen Ansatz. Es geht um die Manipulation von Wirklichkeit
durch Medien, um den Blick auf den weiblichen Körper, wie existent ist die Frau in einer patriarchalen
Gesellschaft, ähnlicher politischer Anspruch.
Film: News From Home. 18.8.88
Entstanden für den steirischen herbst 1988, in einer Ausstellung als Endlosschleife gelaufen. Der Film
zeigt J. bei sich zu Hause vor dem Fernseher. Sie sieht sich Zeit im Bild an, auch die Nachrichten aus
dem Bundesländerstudio. J. kommentiert das (Jörg Haider, Geiseldrama,....) Das dauert ca. eine
halbe Stunde. Auf der einen Seite die realen Ereignisse, andererseits die Bearbeitung der Realität
durch die Medien (Manipulation) und J. vor dem TV, die dies kommentiert. Dazu den Blick der
Kamera (EXPORT) auf J. Also eine mehrfache Brechung von Wirklichkeit. Bewusstmachung der
Manipulation, der wir alle ausgesetzt sind.
Seite 32 von 32
erstellt von Manfred Wadsack
Herunterladen