Barockmusik - Capella vocalis spielt Telemann ein

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Barockmusik - Capella vocalis spielt Telemann ein
Es weihnachtet zur Freibadzeit
VON MARKUS HERR
REUTLINGEN. Auf den ersten Blick erscheint es schon einigermaßen
grotesk, angesichts von Freibadlaune, Grillsaison und Sommerferien
gerade jetzt ein Konzert mit weihnachtlichem Programm zu präsentieren.
Der Knabenchor Capella vocalis schuf sich daher mit seinem Konzert am
Sonntagabend sicher ein Alleinstellungsmerkmal.
Beim Publikum weihnachtliche Stimmung zu erzeugen, war aber gar nicht
die Intention des Auftritts. Gemeinsam mit dem SWR erarbeitete das
renommierte Ensemble unter der Leitung von Christian Bonath Aufnahmen
für CD und Radio und bot in diesem Zusammenhang dem öffentlichen
Publikum die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Livemitschnitt in der
Reutlinger Christuskirche. Damit dieser auch rechtzeitig vor der
Weihnachtszeit bearbeitet und geschnitten ist und sozusagen als
Weihnachtsgeschenk erklingen kann, eignet sich der Sommer nun einmal
am besten, wie Anette Sidhu-Ingenhoff vom SWR vor dem Konzert
erläuterte.
Drei Kantaten
Gemeinsam mit Instrumentalisten des Barockensembles Pulchra Musica
brachte die Capella vocalis drei Weihnachtskantaten aus einem insgesamt
70-teiligen Kantatenzyklus des Komponisten Georg Philipp Telemann
(1681–1767) zur Aufführung. Christian Bonath brachte den Zuhörern vor
dem Konzert in einer prägnanten und informativen Werkeinführung
Komponist und Werk näher.
Denn Georg Philipp Telemann, der heute eher zu den unbekannteren
Komponisten seiner Zeit gehört, war zu Lebzeiten um einiges bekannter
und beliebter als Johann Sebastian Bach – der übrigens seine Stelle als
Thomaskantor vor allem deshalb bekam, weil Telemann sie ablehnte.
Geschmeidige Tonsprache
Was das Besondere an Telemanns Musiksprache ist, das vermittelte die
Capella am Abend erfolgreich ihrem Publikum: Barocke Affektsprache,
Kontrapunktik und Koloratur verbinden sich mit aufklärerischen
Merkmalen wie dem Streben nach Verständlichkeit und durchschaubarer
Polyfonie – alles Dinge, die dem Knabenchor aus Reutlingen nun wirklich
keine Probleme bereiten.
Der Tenor Jonas Boy und der Knabensopran Jan Jerlitschka überzeugten
mit ihren weichen, unglaublich klaren Stimmen in den Rezitativen und
Arien, die immer wieder mal barocke, mal klassische Elemente
hervorschimmern ließen.
Ganz im Sinne der historischen Aufführungspraxis übernahm CapellaDirigent Bonath die Leitung von der Truhenorgel aus. Mit direktem Blick
auf den Chor koordinierte er Gesang und Instrumentalisten stellenweise
einhändig, ansonsten auch nur gestisch.
Das Ergebnis war hörbar: saubere Intonation, Ausgewogenheit unter den
Stimmen und transparenter Chorklang. Gemeinsam mit den weichen
Tönen der historischen Instrumente verlieh die Capella den Stücken eine
bezaubernde Leichtigkeit.
Feine Interpretation
Die feine Interpretation, mit der Bonath selbst einfachen Chorälen
begegnet, ist faszinierend und bindet dem geplanten Weihnachtsgeschenk
sicher noch die krönende Schleife um.
Ein Geschenk für das interessierte Publikum – vor allem aber auch für den
Komponisten Georg Philipp Telemann, dessen Werke zu unrecht in
Vergessenheit geraten sind. (GEA)
Reutlinger General-Anzeiger, 28.07.2015
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