Albrecht Beutelspacher Zahlen Geschichte, Gesetze, Geheimnisse

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Unverkäufliche Leseprobe
Albrecht Beutelspacher
Zahlen
Geschichte, Gesetze, Geheimnisse
112 Seiten, Paperback
ISBN: 978-3-406-64871-7
Weitere Informationen finden Sie hier:
http://www.chbeck.de/11752727
© Verlag C.H.Beck oHG, München
Vorwort
«Was ist eigentlich eine Zahl?» Es gibt kaum etwas, womit man
einen Mathematiker so leicht in Verlegenheit bringen kann, wie
mit dieser simplen Frage.
Man denkt: Wenn die Mathematiker etwas wissen müssen,
dann zumindest, was eine Zahl ist. Denn sie beschäftigen sich
doch die ganze Zeit mit Zahlen!
Aber jede Mathematikerin und jeder Mathematiker wird bei
dieser Frage zunächst leicht verlegen werden, dann so etwas
murmeln wie «Das ist nicht so einfach, wie Sie denken» und
eigentlich am liebsten die Antwort verweigern. Nach einiger
Zeit wird sie bzw. er aber zugeben müssen, keine wirkliche Antwort zu wissen.
Skandalös: Die einfachste Frage an die Mathematik bleibt
ohne Antwort!
Das liegt daran, dass diese Frage keine Antwort hat. Jedenfalls keine einfache. Und auch nicht nur eine. Das vorliegende
Büchlein versucht nicht nur zu erklären, was eine Zahl ist, sondern gibt dabei auch eine Antwort auf die Frage, warum es keine einfache Antwort auf die Frage «Was ist eine Zahl?» gibt.
Natürlich wurde in der Geschichte der Mathematik immer wieder versucht zu sagen, was eine Zahl ist.
– Die griechischen Mathematiker der Antike sagten: Zahlen
sind die natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, … Immerhin wussten sie schon: Zahlen gibt es ohne Ende.
– Bald merkte man, dass man auch gebrochene Zahlen benötigt.
Man musste Objekte halbieren oder in drei gleich große Teile
teilen; also entstand der Bedarf nach Zahlen wie ½ und ⅔.
Die Kaufleute des Mittelalters waren durch den täglichen
Gebrauch von Brüchen der Überzeugung, dass auch Brüche
Zahlen sind.
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Vorwort
– Viel länger brauchten die Menschen, bis sie auch negative
Zahlen, also −1 und −5, als Zahlen anerkannten.
– Schon die griechischen Mathematiker waren über Zahlen wie
— —
—
√ 2, √ 7 und 3√ 2 gestolpert. Manche dieser Zahlen «existieren», weil man sie geometrisch als Länge einer Strecke realisieren kann, aber «als Zahlen» boten die Wurzeln zunächst
Verständnisschwierigkeiten.
– Dann tauchten auch so geheimnisvolle Objekte auf wie die
Kreiszahl π oder die Euler’sche Zahl e. Diese waren wie erkaltete Meteore, die man auf der Erde fand. Man konnte sie betrachten und zu verstehen versuchen, aber man spürte auch,
dass diese Zahlen Boten waren, die von fernen Welten kündeten und Repräsentanten einer riesigen Anzahl damals noch
geheimnisvoller reeller Zahlen waren.
– Bei der «imaginären Einheit» i, die als Wurzel aus −1 definiert
ist, hörte auch für viele Mathematiker der Spaß auf.
Es kann einem schwindlig werden. So viele verschiedene Zahlen! So viele unterschiedliche Sorten von Zahlen! Man reibt sich
die Augen und fragt verwundert:
– Hört das eigentlich nie auf?
– Braucht man all diese Zahlen?
– Ist die Definition einer Zahl abhängig von der Zeit, in der sie
gemacht wird?
Neben einigen Antworten auf die Eingangsfrage zeigt dieses
Buch auch,
– welchen Reichtum an Erfahrungsmöglichkeiten die Zahlen
bieten,
– was man alles mit Zahlen beschreiben kann,
– welche erstaunlichen Anwendungen Zahlen haben,
– welche Zahlen besonders faszinierend sind und
– welche Geheimnisse die Zahlen immer noch in sich bergen.
1. Natürliche Zahlen
Die Zahlen sind freie Schöpfungen
des menschlichen Geistes,
sie dienen als Mittel,
um die Verschiedenheit der Dinge
leichter und schärfer aufzufassen.
Richard Dedekind, Was sind
und was sollen Zahlen? (1888)
1.1 Zählen
Der Zahlensinn ist uns Menschen angeboren. Allerdings ist das
nichts spezifisch Menschliches, auch Tiere haben einen Zahlensinn. Bei vielen höher entwickelten Tieren ließ sich nachweisen,
dass diese mit Zahlen umgehen können: Sie können gleiche Anzahlen erkennen und größere Mengen von kleineren unterscheiden. Offenbar ist es ein Vorteil im Überlebenskampf, wenn man
Mengen ihrer Größe nach unterscheiden kann.
Tiere haben einen Zahlensinn, aber sie können nicht zählen.
Diese Aktivität ist an eine differenzierte Sprache gekoppelt und
deshalb dem Menschen vorbehalten. Aber sie ist ihm nicht angeboren. Jeder Mensch muss das Zählen lernen. Das Zahlenverständnis eines Neugeborenen unterscheidet sich nicht wesentlich von dem eines Huhns. Wir kommen mit einer Fähigkeit,
gewisse Mengen der Größe nach abschätzen zu können, auf die
Welt. Alles andere müssen wir mühsam erlernen.
Wenn wir das nicht lernen, bleiben wir bei dem «eins, zwei,
viele» stehen. Immer wieder wird von «primitiven» Völkern berichtet, die nur für die Zahlen Eins und Zwei Wörter haben.
Kleine Anzahlen können wir auf einen Blick erfassen. Bei fünf
oder weniger Gegenständen gelingt es uns, die Anzahl zu bestimmen, ohne zu zählen. Bei größeren Anzahlen ist das nur
möglich, wenn die Objekte als Muster angeordnet sind.
Spätestens als die Menschen sesshaft wurden, wurde es auch
wichtig, größere Anzahlen exakt festhalten zu können. Es gibt
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1. Natürliche Zahlen
einige spärliche Hinweise auf Zahlendarstellungen, die 20 000
bis 30 000 Jahre alt sind: Man hat Knochen gefunden, auf denen Zahlen in Form von zahlreichen Einkerbungen festgehalten
wurden. Die ersten brauchbaren Systeme, mit denen man auch
große Zahlen sinnvoll erfassen konnte, stammen von den Babyloniern (ca. 2000 v. Chr.; siehe Kapitel 2).
Vermutlich noch älter als die Zahlennotation ist das Zählen.
Es basiert auf dem Erlebnis der Rhythmen der Welt und deren
sprachlicher Erfassung. Das Leben wird durch zahlreiche sich
stets gleichmäßig wiederholende Vorgänge strukturiert. Dazu
gehören der gleichmäßige Wechsel von Tag und Nacht, der
Rhythmus der Jahreszeiten und nicht zuletzt die kurze Aufeinanderfolge der Schritte beim Gehen oder der eigene Herzschlag.
Ich stelle mir vor, dass die Menschen irgendwann angefangen
haben, den Rhythmus des Gehens aufzunehmen, indem sie dazu
gesungen, gesprochen oder getrommelt haben. Vielleicht haben
sie zunächst nur leise ihre Wörter für links und rechts oder eins
und zwei vor sich hingemurmelt, vielleicht haben sie gesungen,
vielleicht hat jemand den wiegenden Zweiertakt getrommelt –
egal, wie sie es damals gemacht haben: Es war der Beginn des
Zählens. Jedenfalls der Beginn des Zählens auf 2: eins, zwei,
eins, zwei und so weiter.
Irgendwann hatte dann irgendjemand die verrückte Idee, diesen in sich geschlossenen, sich immer wiederholenden Zweiertakt aufzubrechen und einfach weiter zu zählen: eins, zwei –
drei. Wahrscheinlich kam als Nächstes ein Vierertakt: eins, zwei,
drei, vier, eins, zwei, drei, vier und so weiter.
Aber wenn die erste Hürde genommen ist, ist es leicht, auch
die zweite zu überwinden. Mit der Drei war die unendliche
Zahlenreihe geboren: eins, zwei, drei und so weiter. Damit war
klar, dass man immer noch einen Schritt machen kann und dass
auf jede Zahl eine nächste folgt. Das war der eigentliche Beginn
des Zählens. Wer Drei sagen kann, der kann zählen.
Das mathematische Bild dafür ist die Zahlengerade, genauer gesagt der Zahlenstrahl. Dieser ist ein unendlich langer Strahl, der
mit null beginnt und auf dem wir jeweils einen Schritt voran-
1.2 Eigenschaften von Zahlen
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schreiten und so alle Zahlen erobern können: Mit dem ersten
Schritt kommen wir von null auf eins, mit dem zweiten auf zwei,
dann auf drei und so weiter. Die Zahlen, die man so erreicht,
also die Zahlen 0, 1, 2, …, nennt man die natürlichen Zahlen.
Zahlenstrahl
Die Zahlengerade, das heißt der um die negativen Zahlen erweiterte Zahlenstrahl, umfasst die sogenannten ganzen Zahlen.
Die Zahlengerade dient der Erklärung und Veranschaulichung
zahlreicher Zahlenphänomene.
Zahlengerade
Man kann auf der Zahlengeraden in kleinen und großen Schritten gehen, man kann auf ihr vor- und zurückhüpfen, man kann
versuchen, die Lücken zwischen den ganzen Zahlen zu schließen. Die Idee der Zahlengeraden wird in diesem Buch immer
wieder aufgenommen werden.
[…]
1.2 Eigenschaften von Zahlen
Etwa um das Jahr 600 v. Chr. geschah ein Einschnitt in der europäischen Geistesgeschichte, dessen Folgen nicht hoch genug
eingeschätzt werden können. Damals haben ein paar Menschen
in Griechenland und Kleinasien die Macht des Denkens entdeckt. Genauer gesagt haben sie die Möglichkeit der Abstraktion,_________________________________________
das heißt der verstehensorientierten gedanklichen Vereinfachung, entdeckt. Der Vorteil dieses manchmal mühsamen ProMehrist,Informationen
zu diesem
undSachverhalte
vielen weiteren
zesses
dass man abstrakte
Objekte und
durch
Büchern
aus
dem
Verlag
C.H.Beck
finden
Sie kann.
unter:
Gedankenarbeit, insbesondere durch Logik, untersuchen
www.chbeck.de
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