Strategisches Marketing

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Kapitel 4
Strategisches Marketing
4.1
4.1.1
Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing
Bedeutung und Inhalte des strategischen Marketing
Das strategische Marketing beschäftigt sich mit langfristigen, grundlegenden Fragen und Entscheidungen im Marketing. Es nimmt planerische Festlegungen vor,
an die das Unternehmen i. d. R. über einen längeren Zeitraum gebunden ist. Das
strategische Marketing zeigt die grundlegende Entwicklungsrichtung für das Unternehmen auf und schafft damit eine Orientierung für die gesamte Organisation und
ihre Mitglieder. Die Definition strategischer Ziele und strategischer Handlungsprogramme für das Unternehmen ist damit der wichtigste Ansatzpunkt, um die notwendige Ausrichtung des gesamten Unternehmens an den Anforderungen von Markt
und Stakeholdern herzustellen.
Das strategische Marketing ist der grundlegende erste Schritt des Marketing.
Dessen wichtigste planerische Aufgabe ist es, die inhaltliche Basis und den „Orientierungskorridor“ zur Planung einzelner konkreter Marketing-Maßnahmen herzustellen. Im strategischen Marketing ist z. B. die fundamentale Frage zu entscheiden,
ob sich eine Automobilmarke eher über Premium-Produkte mit entsprechend hohem Preis am Markt etablieren möchte (wie Audi) oder ihre Kunden eher über den
Preis anspricht (wie Seat). Auch die Frage, ob man mit seinem Angebot den gesamten Massenmarkt bearbeitet (wie Nivea) oder sich auf bestimmte Kundengruppen
konzentriert (wie die Kosmetikmarke Vichy), muss im Rahmen des strategischen
Marketing beantwortet werden. Erst wenn Antworten auf diese grundlegenden Fragen gefunden sind, können konkrete Maßnahmen im Rahmen des Marketing-Mix
geplant werden (z. B. die Entwicklung einer bestimmten neuen Hautcreme-Variante
von Nivea oder die Entwicklung einer Werbekampagne für ein Nivea-Produkt). In
welchen Planungsschritten das strategische Marketing abläuft und welche konkreten Methoden und Konzepte im strategischen Marketing Anwendung finden, zeigen
die folgenden Abschnitte auf.
G. Walsh et al., Marketing, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
123
124
4 Strategisches Marketing
4.1.2
Grundlage der Strategieplanung: Marktabgrenzung und
Bildung strategischer Geschäftseinheiten
4.1.2.1
Marktabgrenzung als Grundlage des Marketing
Bevor ein strategischer Marketingplan entwickelt werden kann, ist eine fundamentale und sehr wichtige Frage zu beantworten, die zunächst einfach klingt, in der
Praxis aber oft sehr schwer eindeutig zu beantworten ist: Auf welchem Markt ist
das Unternehmen tätig? Die Frage nach der Bestimmung des relevanten Marktes ist
eine sehr elementare für das Marketing: Der Begriff „Marketing“ leitet sich aus dem
englischen Wort „market“ ab, zu deutsch also „Markt“. Marketing als Antwort auf
die Frage, wie sich eine Organisation auf ihrem Markt (und in der Gesellschaft „um
den Markt herum“) verhalten sollte, hat als erster Schritt die fundamentale Frage zu
beantworten, was dieser Markt überhaupt ist und wie er sich definiert.
Aus technischer, rein produktorientierter Sicht ist die Frage nach dem relevanten
Markt einfach zu beantworten. Kfz-Hersteller wie Volkswagen bearbeiten demnach
bspw. den Markt für Automobile, Schoko-Riegel-Hersteller wie Mars den Markt für
Schoko-Riegel und (Buch-) Verlage wie Rowohlt den Markt für Bücher. Demnach
müsste man nur die Käufer und konkurrierenden Anbieter von Automobilen bzw.
Schoko-Riegeln bzw. Büchern identifizieren und analysieren, um seinen Markt zu
definieren und kennen zu lernen. Eine kundenorientierte Sichtweise auf das Produkt zeigt jedoch, dass diese technokratische Perspektive auf den eigenen Markt
viel zu kurz greift (Bauer 1989). Ein Produkt ist immer ein Mittel, das ein Käufer
zur Bedürfnisbefriedigung einsetzt. Folgerichtig sind für den Kunden alle Produkte
Kaufalternativen – und damit für den Hersteller auch Wettbewerber – welche (mehr
oder weniger) geeignet sind, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Damit können Produkte in das Blickfeld rücken, die auf den ersten Blick keineswegs zum eigenen
Wettbewerberkreis gehören.
Der Käufer eines Automobils bspw. versucht primär, das Bedürfnis nach Mobilität
zu befriedigen. Dieses kann jedoch nicht nur durch Pkw befriedigt werden, sondern
auch durch Fahrräder, Flugzeuge oder öffentliche Verkehrsmittel. Für den Kunden
stellt daher ggf. der öffentliche Nahverkehr eine Alternative zur Pkw-Nutzung – und
damit für den Kfz-Hersteller einen wichtigen Wettbewerber – dar, der im Marketing für Kfz berücksichtigt werden muss. Für einen Marketer ist es daher nötig zu
identifizieren, welche Produkte und Produktkategorien aus Kundensicht überhaupt
als Alternativen und damit als substituierbar angesehen werden. Levitt (1960) hat
in seinem klassischen Artikel „Marketing Myopia“ („Marketing-Kurzsichtigkeit“)
am Beispiel der US-amerikanischen Eisenbahngesellschaften aufgezeigt, wie eine
zu technische und daher zu enge Marktdefinition als Grundlage des Marketing zu
fatalen Managementfehlern bis hin zum Unternehmensruin führen kann.
So wird der Käufer eines Schoko-Riegels je nach Situation anstreben, bspw.
seinen Hunger zu stillen oder hedonistische Genussbedürfnisse zu befriedigen.
Der Schoko-Riegel Mars steht damit zunächst einmal im direkten Wettbewerb
zu anderen Schokoriegeln, bspw. von Milka (s. Abb. 4.1). Je nach Präferenz und
4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing
125
Markt für Lebensmittel
Markt für Snacks
Markt für Süßwaren
Markt für Schokoladen-Snacks
Markt für Schoko-Riegel
z. B. AlpiaSchokolade
z. B.
HariboWeingummi
z. B.
BiFiMiniSalami
z. B.
Dr. OetkerTK-Pizza
z.B. Mars-Riegel
Abb. 4.1 Möglichkeiten zur Definition des relevanten Marktes (Bsp. Schokoriegel)
Kundenbedürfnis können aber auch andere Schokoladenprodukte (z. B. Alpia-Tafelschokolade) oder in noch weiterer Perspektive Süßwaren generell (z. B. HariboWeingummi) für den Käufer Alternativen darstellen. Erweitert man die Perspektive
noch weiter, kann der Käufer zur Stillung des Hungergefühls außerhalb des Süßwaren-Sortiments genauso auch zu deftigen Snacks (z. B. BiFi-Mini-Salami) oder
generell zu schnell zubereitbaren Lebensmitteln jeglicher Art greifen (z. B. Dr. Oetker-Tiefkühlpizzas). Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Mars also nicht nur im
unmittelbaren Wettbewerb zu Milka und vergleichbaren Anbietern steht, sondern
auch zu Ritter Sport, Haribo, BiFi und Dr. Oetker sowie anderen Anbietern in den
jeweiligen Produktsegmenten, ist keineswegs einfach zu beantworten.
Da es verschiedene Kundengruppen mit verschiedenen Bedürfnissen und auch
verschiedenen Kaufsituationen gibt, in denen unterschiedliche Kaufmotive relevant
werden, ist es für den Anbieter von Mars nicht objektiv und eindeutig definierbar,
was genau der relevante Markt ist und wer demzufolge zum Wettbewerbsumfeld
gehört. In der Regel lassen sich jedoch verschiedene Märkte mit unterschiedlicher
Nähe zum eigenen Produkt definieren (wie im Schoko-Riegel-Beispiel). Es hängt
dann jeweils von der konkreten Planungsfrage ab, wie eng oder wie weit der eigene
Markt definiert wird.
Die wichtigste Erkenntnis bei der Definition des relevanten Marktes ist, dass
eine rein technische Definition des Produktes i. d. R. viel zu kurz greift. Der bekannte US-amerikanische Managementtheoretiker Drucker (1974) hat bereits vor
über drei Jahrzehnten die These formuliert, dass die mangelnde Beschäftigung mit
der fundamentalen Frage „What Business are we in?“ die wichtigste Ursache für
126
4 Strategisches Marketing
das Scheitern von Organisationen ist. Aufgabe des Marketing ist es, zur Beantwortung dieser Frage die Kundenperspektive als zentrale Beurteilungsinstanz einzubringen und so Fehler durch ein zu technisch geprägtes Verständnis des eigenen
Marktes zu vermeiden.
4.1.2.2
Die Bildung strategischer Geschäftseinheiten
Viele Unternehmen sind auf mehreren unterschiedlichen Märkten tätig, so dass sich
die Frage nach dem relevanten Markt mehrfach stellt. Auf organisatorischer Ebene
führt dies oft zur Bildung sog. strategischer Geschäftseinheiten (SGE) innerhalb
des Unternehmens, die jeweils eigene Umsatz- und Gewinnverantwortung tragen
(engl. Strategic Business Units/SBU; s. Abb. 4.2).
Jede dieser SGE ist eine organisatorische Teileinheit im Unternehmen mit „eigenständiger Marktaufgabe“ und separaten Umsatz- und Gewinnzielen, die unabhängig
von anderen Geschäftseinheiten des Unternehmens definiert werden können (diese
eigenständige Marktaufgabe wird dann auch als strategisches Geschäftsfeld/SGF bezeichnet). Eine SGE kann ein Unternehmensbereich des Gesamtunternehmens, eine
Produktlinie innerhalb eines Unternehmensbereichs oder auch ein Einzelprodukt bzw.
eine einzelne Marke sein (Kotler et al. 2007, S. 103). SGE sind die kleinsten Organisa-
Konzern
Konzernsegmente
(Umsatz)
BMW Group
Automobile
Motorräder
(€42,4 Mrd.)
(€1,2 Mrd.)
BMWAutomobile
Strateg.
Geschäftseinheiten
(SGE)
MINIAutomobile
BMWMotorräder
RollsRoyceAutom.
Abb. 4.2 Bildung strategischer Geschäftseinheiten im BMW-Konzern
Finanzdienstleistungen
(€12,1 Mrd.)
Leasing
Flottengeschäft
Kreditfinanzierung
Einlagengeschäft
Versicherungen
4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing
127
tionseinheiten, für die es ökonomisch sinnvoll ist, eine eigenständige Marketingstrategie zu formulieren.
Dass die SGE eines Unternehmens jeweils diese Eigenständigkeit in ihrer Marktaufgabe besitzen, lässt sich typischerweise daran erkennen, dass sich Produkte,
Kunden und Wettbewerber von SGE zu SGE jeweils unterscheiden (Grant u. Nippa
2006, S. 600). Der BMW-Konzern spricht bspw. mit seiner SGE „BMW-Automobile“ ganz andere Kunden an und steht mit anderen Unternehmen im Wettbewerb als
die SGE „BMW-Motorräder“ (s. Abb. 4.2). Demzufolge muss auch die strategische
Planung für diese beiden SGE voneinander getrennt werden. SGE besitzen i. d. R.
einen bestimmten Autonomiegrad im Unternehmen. Gewinnverantwortliche SGE
werden als „Profit Center“ bezeichnet und stellen eine Art „Unternehmen in Unternehmen“ dar.
4.1.3
Ebenen der Strategieplanung
Verknüpft mit der Frage der SGE-Bildung ist die Frage, auf welchen logischen Ebenen und für welche Planungseinheiten Marketingstrategien formuliert werden. Dabei lassen sich drei klare logische Planungsebenen differenzieren (s. Abb. 4.3):
• Strategien auf der Ebene des Gesamtunternehmens/Konzerns
• Strategien auf der Ebene einzelner Unternehmensbereiche
• Strategien auf der Ebene einzelner Marketinginstrumente
Die logisch „höchste“ Ebene der Strategieplanung ist die Unternehmens- bzw. Konzernebene, welche alle unterschiedlichen SGE zusammenfasst. Die Strategieplanung
Ebene 1
Strategieproblem z. B.:
Unternehmen / Konzern
Unternehmens-
Gestaltung des
Konzernimages
strategie
Ebene 2
Geschäfts-
Strategieproblem z. B.:
SGE 1
SGE 2
SGE 3
Positionierung als
bereichs-
Qualitätsführer in
strategie
Markt 1
Ebene 3
ProInstrumentalstrategie
dukt
KomPreis
munikation
Abb. 4.3 Planungsebenen des strategischen Marketing
Vertrieb
Strategieproblem z. B.:
Umsetzung Abschöpfungsstrategie
128
4 Strategisches Marketing
umfasst hier z. B. Umsatz- und Renditeziele für den Gesamtkonzern, aber auch Aspekte der verfolgten Markenstrategie, die SGE-übergreifend geplant werden. So
verfolgt der BMW-Konzern für die Gesamtmarke BMW das strategische Ziel, „der
führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle Mobilität“ (BMW Group 2007, S. 6) zu sein. Dieses Markenleitbild der
„individuellen Mobilität“ gilt für alle SGE innerhalb des Konzerns in den Bereichen
Automobile, Motorräder und Finanzdienstleistungen.
Darunter liegt die Ebene einzelner Unternehmensbereiche. Dass SGE als
Unternehmensbereiche sinnvolle und sehr wichtige Einheiten der Strategieplanung
darstellen, haben die Ausführungen im vorigen Abschnitt gezeigt (BMW plant z. B.
Strategien für das Geschäftsfeld „BMW-Automobile“, die sich von den Strategien
für das Geschäftsfeld „Rolls-Royce-Automobile“ unterscheiden). Daneben können
auch Strategien für einzelne Funktionen innerhalb eines Unternehmens bzw. Konzerns geplant werden, z. B. in Gestalt von Beschaffungs-, Personal- oder LogistikStrategien (wenn z. B. der BMW-Konzern für alle SGE speziell im Bereich Personal eine bestimmte Strategie verfolgt, etwa eine bewusst international gemischte
Besetzung von Führungspositionen). Die Planung von SGE-Strategien ist in der
Praxis der Unternehmensführung jedoch weitaus wichtiger als die Planung von
Funktionalstrategien. Auf der Ebene der SGE findet insgesamt gesehen der bedeutendste Teil der Strategieplanung statt.
Aber auch unterhalb der logischen Ebene der SGE sind grundlegende Marketingstrategien zu formulieren. Die Gestaltung des Marketing-Mix wird zwar traditionell oft mehr oder weniger mit dem operativen Marketing gleichgesetzt, das
dem strategischen Marketing nachgelagert ist und dieses nur konkretisiert. Für den
weitaus größten Teil der Planungsfragen im Marketing-Mix ist diese Sichtweise
auch zutreffend (z. B. die Frage, mit welchen Anzeigenmotiven eine Werbekampagne gestaltet werden soll). Versteht man Strategien wie üblich als „Grundsatzregelungen mittel-/längerfristiger Art“ (Becker 2006, S. 143), lassen sich jedoch auch
für einzelne Marketing-Instrumente oft sinnvoll Vorgaben machen, die durchaus
strategischen Charakter haben. Hier kann man dann von Instrumentalstrategien
sprechen, die für einzelne Instrumente im Marketing-Mix gelten. Beispiele für Instrumentalstrategien im Marketing sind eine innovationsorientierte Produktpolitik
mit der Ausrichtung des Unternehmens als „Pionier“ (s. Kap. 6), die Festlegung von
längerfristigen Preisstrategien (z. B. eine sog. „Abschöpfungsstrategie“; s. Kap. 7)
oder die systematische und langfristige Abstimmung aller Maßnahmen der Kommunikationspolitik im Rahmen einer Strategie der „integrierten Kommunikation“
(s. Kap. 9).
4.1.4 Ablauf des strategischen Planungsprozesses
Der Ablauf des strategischen Marketing lässt sich in ein idealtypisches Phasenschema untergliedern, das Schritt für Schritt durchlaufen wird (s. Abb. 4.4).
4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing
129
Ziele
(Definition strategischer Marketingziele)
Strategien
(Definition von Marketingstrategien)
Maßnahmen
(Definition und Realisierung von Marketing-Maßnahmen)
Implementierung (Schaffung interner
Voraussetzungen zur Strategieumsetzung)
Analyse
(Analyse der strategischen Ausgangssituation)
Kontrolle
(Kontrolle der strategischen Marketing-Ergebnisse)
Abb. 4.4 Idealtypischer Phasenablauf des strategischen Marketing (= graue Bereiche)
Folgende Aktivitäten spielen somit im strategischen Marketing eine Rolle:
• Im ersten Schritt erfolgt die Analyse der strategischen Ausgangssituation.
Diese umfasst die Untersuchung des (externen) Unternehmensumfelds (z. B. die
Markt- und Konkurrenzsituation) und der internen Unternehmenssituation (z. B.
finanzielle Ressourcen, Produktionsauslastung). Die strategische Analyse liefert
die Informationsgrundlage für die folgende Entwicklung langfristiger Ziele und
Marketingstrategien. Bevor z. B. konkrete Zielmarken für die Kundenzufriedenheit als strategisches Marketingziel definiert werden, sollten Informationen über
den aktuellen Stand der Kundenzufriedenheit im eigenen Unternehmen und bei
den wichtigsten Wettbewerbern beschafft werden.
• Aufbauend auf der strategischen Analyse sind strategische Ziele für das Marketing festzulegen, also die angestrebten Zustände, die durch das Marketing
erreicht werden sollen. Diese strategischen Marketingziele können primär ökonomischer Natur sein (z. B. Umsatz- oder Marktanteilsziele) oder primär „vorökonomischer“ Natur (z. B. Image- oder Kundenzufriedenheitsziele).
• Daraufhin sind konkrete strategische Maßnahmenprogramme zu definieren,
oder kurz Strategien. Strategien legen in grundsätzlicher Form fest, wie sich
das Unternehmen in Markt und Gesellschaft zu verhalten gedenkt. Zentrale Strategiealternativen liegen z. B. in der wichtigen Frage, ob sich ein Unternehmen
eher über hohe Qualität (Bsp. Audi) oder eher über niedrige Preise (Bsp. Seat)
am Markt positioniert. Die Strategieplanung baut logisch auf der Zielplanung
auf; sie zeigt den Weg auf, der vom Unternehmen eingeschlagen werden soll, um
die gesetzten Ziele zu erreichen.
130
4 Strategisches Marketing
• Der nächste Schritt ist die Übersetzung der grundlegenden Strategien in konkrete operative Maßnahmenprogramme. Dieser Schritt ist nicht mehr Aufgabe des strategischen Marketing. Im Wesentlichen geht es hier darum, den
Marketing-Mix inhaltlich auszugestalten, also Produkt-, Preis-, Vertriebs- und
Kommunikationspolitik zu bestimmen. Auch die Realisierung der MarketingMix-Maßnahmen erfolgt im Rahmen des operativen Marketing.
• Nachdem die Strategien definiert und die operativen Maßnahmenprogramme
realisiert wurden, sind im Rahmen der (strategischen) Kontrolle die Ergebnisse
des (strategischen) Marketing zu überprüfen. Soweit es bei der Marketing-Kontrolle um die Überwachung strategischer Zielgrößen geht (z. B. die Frage, ob
der als strategisches Ziel definierte Marktanteil erreicht wurde), sind diese Kontrollaktivitäten auch Bestandteil des strategischen Marketing (sog. strategische
Kontrolle).
• Neben Analyse, Planung und Kontrolle sind im Unternehmen die notwendigen
inneren Voraussetzungen zu schaffen, um die Erreichung der gesetzten Ziele
durch die definierten Strategien und Maßnahmen zu unterstützen (MarketingImplementierung). Wenn bspw. Kundenzufriedenheit in den strategischen
Unternehmenszielen eine große Rolle spielt, müssen auch die entsprechenden
Controlling-Systeme geschaffen werden, die eine systematische Überwachung
der Zielgröße „Kundenzufriedenheit“ sicherstellen, bspw. durch turnusmäßige
Marktforschungs-Studien.
In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Ablaufschritte des strategischen
Marketing näher erläutert und mit konkreten Beispielen versehen.
4.2
4.2.1
Strategische Analyse
Informationsfelder in der strategischen Analyse
Der logische erste Schritt des strategischen Marketing ist die strategische Analyse.
Gegenstand der strategischen Analyse ist die Sammlung, Analyse, Aufbereitung und
Kommunikation von Informationen über den aktuellen Status Quo (Ist-Analyse)
und die zukünftige Entwicklung (Prognose) von Faktoren, die für das Unternehmen
von strategischer Bedeutung sind. Ohne eine fundierte Informationsgrundlage hinsichtlich des eigenen Unternehmens, des bearbeiteten Marktes und der relevanten
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lassen sich nur schwer sinnvolle strategische Ziele und Strategien definieren. Bevor sich bspw. ein Handelsunternehmen wie
Aldi das strategische Ziel setzt, Kosten- und Preisführer im Lebensmittel-Einzelhandel zu werden, sollte eine Untersuchung dahingehend durchgeführt werden, ob
relevante Wettbewerber (v. a. Lidl, Penny, Plus) nicht strategische Voraussetzungen
haben, die ein noch kostengünstigeres Warenangebot ermöglichen (z. B. effektivere
Einkaufsstrategien oder kostengünstigere Logistik). Im Rahmen der strategischen
Analyse stellen sich zwei Kernfragen:
4.2 Strategische Analyse
131
1. Welche Themen und Bereiche sollen analysiert werden?
2. Welche Instrumente sollen zur Analyse konkret eingesetzt werden?
Die Eigenheiten und die strategische Ausgangslage jedes Unternehmens sind individuell unterschiedlich. Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der strategischen Analyse ist daher mit Blick auf diese beiden Fragen ebenso individuell für das
jeweilige Unternehmen zu beantworten und lässt sich nicht in „Standardrezepte“
fassen. Mit Blick auf die erste Frage („Welche Themen und Bereiche?“) lassen sich
jedoch unabhängig von der individuell auszugestaltenden Analyse zumindest drei
globale Informationsfelder benennen, die im Rahmen der strategischen Analyse
abzudecken sind (s. Abb. 4.5).
• Unternehmen: Es müssen relevante interne Faktoren mit Blick auf Unternehmen bzw. Geschäftsbereich oder Marke analysiert werden, insbesondere die
eigenen strategischen Stärken und Schwächen (z. B. vorhandene Finanzmittel,
Unternehmensimage, technologische Kompetenzen).
• Marktumfeld: Alle weiteren relevanten Akteure auf dem eigenen Markt müssen
mit Blick auf ihre Charakteristika, Potenziale, Ressourcen, Strategien, Stärken
und Schwächen analysiert werden. Dies umschließt natürlich v. a. Kunden und
Wettbewerber, aber auch z. B. Händler bzw. Vertriebspartner des Unternehmens,
Lieferanten oder Kapitalgeber.
• Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld: Es müssen auch die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen für das Unternehmen (z. B. demografische Entwicklungen
oder Wertewandel) sowie relevante Stakeholder des Unternehmens im weiteren
Umfeld untersucht werden, da auch diese sehr großen Einfluss auf das Unternehmen ausüben können (z. B. Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen
oder kritische Medien).
Mit Blick auf die zweite Kernfrage der strategischen Analyse („Welche Methoden
und Instrumente?“) zeigen die folgenden Abschnitte überblicksartig nach Art eines
3. Gesellschaft / Stakeholder
2. Markt
1. Unternehmen
Image, Finanzmittel,
technische Kompetenzen,
Ertragskennziffern usw.
Kunden
Bedürfnisse,
Kaufkraft usw.
Wettbewerber
Image, Kompetenzen usw.
Handel/
Vertrieb
Verhandlungsmacht usw.
usw.
Abb. 4.5 Grundlegende Inhaltsbereiche der strategischen Analyse
- Politisches
- Ökonomisches
- Soziokulturelles
- Technologisches
- Rechtliches
- Ökologisches
…Umfeld
Markt- und unternehmensrelevante
Entwicklungen
und Trends
132
4 Strategisches Marketing
„Werkzeugkastens“ verschiedene Methoden und Instrumente auf, die sich in der
strategischen Analyse bewährt haben und regelmäßig eingesetzt werden.
4.2.2 Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld
Ein Denken in engen Marktkategorien greift im Marketing heute in aller Regel viel
zu kurz. Auch kleine und mittelständische Unternehmen kommen nicht umhin, sich
mit relevanten Faktoren in Gesellschaft und weiterem Unternehmensumfeld auseinanderzusetzen (Wiedmann 1993). Dort sind zum einen wichtige Entwicklungen
und Trends zu beachten, die einen Einfluss auf das Unternehmen haben können.
So können bspw. technologische Entwicklungen im Onlinebereich ganze Branchen
umwälzen (z. B. Video-on-demand-Dienstleistungen, welche die klassischen Videotheken überflüssig machen). Ebenso können Veränderungen der gesellschaftlichen Werte ganz neue Märkte entstehen lassen (so wandelt sich z. B. derzeit der
Markt für Bio-Produkte aufgrund des allgemein veränderten Ernährungsbewusstseins von einem kleinen Nischenmarkt hin zu einem profitablen und volumenstarken Massenmarkt). Zum anderen finden sich im weiteren Unternehmensumfeld
regelmäßig wichtige Stakeholder (s. Kap. 1.1.3), also Personen und Institutionen,
die sehr großen und teilweise überlebenskritischen Einfluss auf ein Unternehmen
haben können (politische Entscheidungsträger, Bürgerinitiativen, kritische Medien,
Verbraucherschutz-Organisationen usw.). Kaum ein Marketer kommt daher umhin,
sich im Rahmen der strategischen Analyse systematisch mit dem weiteren Unternehmensumfeld zu beschäftigen.
4.2.2.1
Relevante Untersuchungsfelder in der strategischen Analyse
Als inhaltliches Raster für die Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld
dient die sog. PESTLE-Analyse (ein dem Englischen entlehnter Begriff) (Partridge
u. Sinclair-Hunt 2005, S. 77). Das Akronym PESTLE steht für die sechs zentralen
Felder, die typischerweise zu untersuchen sind:
1. Politisches Umfeld („Political factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends im politischen Bereich (die relevanten Rahmenbedingungen
für Automobilhersteller bspw. werden sich sehr unterschiedlich entwickeln, je
nachdem, welche Parteien in den kommenden Legislaturperioden die Regierung
in Deutschland stellen).
2. Ökonomisches Umfeld („Economical factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends im wirtschaftlichen Umfeld (die Entwicklung des Ölpreises und damit der Benzinkosten wird z. B. einen großen Einfluss darauf haben,
welche Pkw gute Absatzchancen haben. Der Absatz bspw. von verbrauchsintensiven „Sports Utility Vehicles“ wie BMW X 5 oder Porsche Cayenne ist in 2008
stark zurückgegangen).
4.2 Strategische Analyse
133
3. Soziokulturelles Umfeld („Socio-cultural factors“): Analyse und Prognose von
Entwicklungen und Trends u. a. in den Bereichen Demografie und Wertewandel
(der anhaltende Trend zu kinderlosen Familien führt z. B. dazu, dass im Automobilsektor mehr Freizeitfahrzeuge (z. B. VW Eos) und weniger Familienfahrzeuge (z. B. VW Touran) nachgefragt werden).
4. Technologisches Umfeld („Technological factors“): Analyse und Prognose von
Entwicklungen und Trends im Technologiesektor (Automobilhersteller wie Mercedes investieren z. B. heute bereits sehr intensiv in innovative Antriebstechnologien wie Brennstoffzellen, da diese technologischen Kompetenzen für die
zukünftige Produktgestaltung sehr wichtig sein werden).
5. Rechtliches Umfeld („Legal factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends in der Gesetzgebung auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und
internationaler Ebene (falls z. B. immer mehr Kommunen an Tagen mit hoher
Feinstaubbelastung Fahrverbote für Diesel-Pkw ohne Partikelfilter verhängen,
werden entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge stark an Bedeutung gewinnen).
6. Ökologisches Umfeld („Environmental factors“): Analyse und Prognose von
Entwicklungen und Trends in der natürlichen Umwelt (mit dem Fortschreiten
des Klimawandels ist damit zu rechnen, dass vermehrt Personen auf öffentliche
Verkehrsmittel umsteigen und damit die Pkw-Nachfrage geschwächt wird).
4.2.2.2 Ausgewählte Analyseinstrumente und -methoden
So vielfältig wie die Fragen und Themen, die bei der Analyse von Gesellschaft
und Stakeholder-Umfeld von Interesse sind, gestalten sich auch die eingesetzten
Instrumente und Verfahren. Die im Folgenden skizzierten Verfahren gehören zu den
Instrumenten, die in diesem Zusammenhang häufig eingesetzt werden.
Strukturierte Checklisten
Der methodisch einfachste Weg, sich systematisch mit wichtigen Faktoren in der
weiteren Unternehmensumwelt zu befassen, sind strukturierte Checklisten, die für
jedes globale Analysefeld aufzählungsartig potenziell relevante Analysepunkte auflisten (gemäß dem Muster in Abb. 4.6).
Das Vorgehen lässt erkennen, dass nicht immer komplexe Methoden notwendig
sind, um eine sinnvolle Umfeldanalyse durchzuführen. Gerade bei der Analyse von
Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld kommt es oftmals darauf an, zunächst einmal
überhaupt ein Bewusstsein für die vielfältigen Vernetzungen des Unternehmens mit
seinem gesellschaftlichen Umfeld zu entwickeln. Viele Manager sind im unternehmerischen Alltag oft noch in einer engen Denkwelt „gefangen“, in der nur die klassischen Marktakteure (v. a. Kunden und Wettbewerber) eine bedeutende Rolle spielen.
Derartige Checklisten können hier hilfreiche Dienste leisten, um das „neue Bewusstsein“ für die strategisch relevanten Faktoren im weiteren Unternehmensumfeld zu
entwickeln, das für eine erfolgreiche Unternehmensführung sehr wichtig ist.
Neben der Herangehensweise über allgemeinen Checklisten gibt es eine Vielzahl
weiterer, meist speziellerer Verfahren, die für die Umfeldanalyse genutzt werden
134
4 Strategisches Marketing
Art des
Einflusses
Stärke des
Einflusses
Zeithorizont
Qualität
des
Einflusses
Dynamik
des
Einflusses
Relative
Bedeutung
Politisches Umfeld
Handelspolitik
Subventionen
Lobbyismus
NGOs
Beschreibung des
Einflusses
Kriege /
Konflikte
stark/
mittel/
mäßig//
nicht
absehbar
kurz-/
mittel-/
langfristig
positiv/
negativ//
nicht
absehbar
zu-/abnehmend/
konstant
kritisch/
wichtig/
unwichtig//
nicht
absehbar
Wahlergebnisse
usw.
Ökonomisches Umfeld
Konjunktur
Konsumklima
usw.
Abb. 4.6 Vorgehensweise bei einer PESTLE-Analyse mit strukturierten Checklisten
können. Die meisten Verfahren sind dabei recht generell und lassen sich auch für
speziellere Analyse von Märkten oder einzelnen Kunden verwenden. Einige wichtige werden folgend kurz beschrieben.
Stakeholder-Scanning
Neben Checklisten in verbaler Form können auch eher grafisch orientierte Ansätze
dazu dienen, relevante Entwicklungen und Stakeholder in der Unternehmensumwelt und ihren Einfluss auf das Unternehmen aufzuzeigen (Bleis 1996). So lassen
sich (u. U. recht komplexe) Netzwerkdiagramme erstellen, welche die vielfältigen
Vernetzungen des Unternehmens mit seinen Stakeholdern visualisieren. Auf diese
Weise lassen sich z. B. „Schlüssel-Stakeholder“ außerhalb des reinen Absatzmarktes erfassen und charakterisieren, die in der strategischen Marketingplanung berücksichtigt werden müssen.
Szenario-Analysen
Die Szenario-Analyse (Chermack et al. 2001) versucht, die zwangsläufige Unsicherheit von langfristigen Prognosen zu berücksichtigen, indem sie bewusst keine
eindeutige Aussage über die Zukunft trifft. Sie entwirft vielmehr unterschiedliche
4.2 Strategische Analyse
135
„mögliche Zukünfte“ und zeigt so den Entwicklungskorridor auf, indem sich die für
das Unternehmen wichtigen Variablen voraussichtlich bewegen werden (für einen
Hersteller von Bio-Lebensmitteln z. B. das Umweltbewusstsein der Konsumenten).
Oft werden dabei drei Szenarien entwickelt: Ein „Best Case-Szenario“ und ein
„Worst Case-Szenario“, welche die optimistischste und die pessimistischste Grenze
des Entwicklungskorridors abstecken, sowie ein dazwischen liegendes Szenario mit
der wahrscheinlichsten Entwicklung („Base Case-Szenario“).
Delphi-Prognosen
Delphi-Prognosen (Pepels 2007, S. 316 ff.) sind wie Szenario-Analysen zu den
„Klassikern“ der strategischen Analyse-Tools zu zählen. Sie wurden ursprünglich
entwickelt, um den Eintrittszeitpunkt erwarteter zukünftiger Ereignisse möglichst
gut abschätzen zu können (z. B. das Jahr, in dem der Brennstoffzellenantrieb für
Pkw Serienreife erreicht). Im Rahmen einer Delphi-Prognose werden Experten
eines Fachgebiets zu einem Thema in mehreren Runden befragt (sie sollen z. B.
das Jahr abschätzen, indem das erwartete Ereignis eintritt). Ihnen werden dabei in
jeder Befragungsrunde die Antworten ihrer Kollegen sowie deren Begründungen
dafür vorgelegt. Durch diese wiederholten Feedback-Schleifen unter den Teilnehmern versucht man eine Konsensmeinung zu finden, welche auf dem Wissen aller
einbezogenen Experten fußt.
Cross-Impact-Analyse
Die Cross-Impact-Analyse wurde in den 1960er Jahren entwickelt und wird häufig
auch als Bestandteil von Szenario-Prognosen eingesetzt. Sie geht von der Erkenntnis aus, dass Ereignisse und Entwicklungen in der Unternehmensumwelt nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen (Gordon 1968).
Die für einen Kfz-Hersteller interessanten Fragen, in welchem Jahr der Ölpreis den
Preis von $200/Barrel überschreitet und in welchem Jahr der Brennstoffzellenantrieb für Pkw Serienreife erreicht, sind z. B. zwei Ereignisse, die nicht unabhängig
voneinander sind, da ein steigender Ölpreis zu einer forcierten Forschung im Bereich alternativer Fahrzeugantriebe führt. Das Verfahren versucht dann die Auswirkungen verschiedener Umweltereignisse aufeinander mittels Eintrittswahrscheinlichkeiten zu quantifizieren.
Quantitative Prognoseansätze
Für bestimmte Variablen in der Unternehmensumwelt lassen sich auch streng quantitative Prognoseansätze einsetzen. So lässt sich z. B. aus der heutigen Altersstruktur
der deutschen Bevölkerung relativ präzise prognostizieren, wie hoch die Anzahl älterer Menschen in bestimmten Altersklassen in zehn oder zwanzig Jahren sein wird
(z. B. 75 Jahre und älter). Daraus lässt sich bspw. für einen privaten Betreiber von
Pflegeheimen das langfristige Marktpotenzial relativ zuverlässig prognostizieren.
Für quantitative Prognosen werden zum einen „kausale“ Verfahren eingesetzt, die
darauf basieren, die kausale Wirkung relevanter Faktoren auf die zu prognostizierende Variable mathematisch abzubilden (z. B. Einfluss des Wachstums der Weltwirtschaft auf den globalen Ölverbrauch). Zum anderen werden für quantitative
Prognosen auch statistische Verfahren der Trendextrapolation (Winkelmann 2006,
S. 177 ff.) herangezogen. Hier wird die zukünftige Entwicklung einer Größe rein
136
4 Strategisches Marketing
mathematisch aus den Werten der Vergangenheit abgeleitet, ohne die kausalen Einflussgrößen zu berücksichtigen (wenn etwa der globale Ölverbrauch in den letzten
10 Jahren jeweils um ca. 5% p.a. gewachsen ist, geht man bspw. davon aus, dass
dies auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird). Diese rein statistischen Verfahren stoßen v. a. dann an ihren Grenzen, wenn „Trendbrüche“ in der langfristigen
Entwicklung auftreten.
Soziologische Trendforschung
Ein wichtiger Faktor für das Marketing sind die soziokulturellen Rahmenbedingungen der Gesellschaft (Raffée u. Wiedmann 1989). Relevante Themen sind insbesondere der gesellschaftliche Wertewandel und die Entwicklung der sozialen Strukturen der Gesellschaft und hier insbesondere die Frage, welche Gruppierungen sich
in einer Gesellschaft herausbilden. So sind z. B. „Skater“ oder „Emos“ nicht nur
soziologisch interessante Jugendkulturen, sondern grundsätzlich auch potenzielle Marketing-Zielgruppen. In Deutschland sind es v. a. psychologisch orientierte
Marktforschungs-Institute wie GIM, Sinus Sociovision oder Rheingold, die sich
auf soziologisch und sozialpsychologisch fundierter Basis mit gesellschaftlichen
Entwicklungen auch aus Marketingsicht auseinandersetzen (s. Abb. 4.7).
Zukunftsforschung
Eine nicht klar abgegrenzte Disziplin ist die „Zukunftsforschung“ oder Futurologie, deren Analysen dem Marketing ebenfalls interessante Impulse geben können.
Die Zukunftsforschung weist Überschneidungen mit der soziologischen Trendforschung auf, ist aber stärker interdisziplinär ausgerichtet (Technologieprognosen
Soziologische Studie der Gesellschaft
für innovative Marktforschung (GIM)
Identifikation von fünf Grundorientierungen, die das zukünftige Konsumverhalten prägen werden:
1. Managing "Dutility":
Funktionieren im System
2. Living Substance:
Zurück zum Wesentlichen
3. Embedding Individuality:
Weniger Ich – mehr Wir
4. Creating "Lifeholder Value":
Gestalten und Partizipieren
5. Engaging in a SaneSociety:
Nachhaltigkeit & soziale Verantwortung
Abb. 4.7 Soziologische Trendforschung mit Marketingbezug (Quelle: Ullrich u. Wenger 2008)
4.2 Strategische Analyse
137
spielen hier z. B. auch eine große Rolle) und legt den Prognosehorizont teilweise
sehr weit in die Zukunft. Die anerkannten Institute dieses Bereichs arbeiten auf
wissenschaftlichem Fundament und können durch das „kreative Vorausdenken der
Zukunft“ wertvolle Hilfestellung zur langfristigen Ausrichtung des Marketing geben. In Deutschland sind es u. a. das vom Journalisten Matthias Horx gegründete
Zukunftsinstitut und das Trendbüro um Peter Wippermann, deren gesellschaftliche
Studien und Prognosen weithin Beachtung finden.
Frühaufklärungssysteme
Frühaufklärungssysteme (FAS) sind ein wichtiger Baustein der strategischen Umfeldanalyse (Wiedmann 1989; Nick 2008). Ein FAS ist kein konkretes Prognoseverfahren, sondern vielmehr ein grundlegender strategischer Analyseansatz, mit dem
das Unternehmen versucht, wichtige Veränderungen in Gesellschaft und Umfeld
rechtzeitig zu erkennen, da die strategische Ausrichtung des Unternehmens auf die
zukünftigen Rahmenbedingungen oft einen größeren zeitlichen Planungsvorlauf
benötigt (so müssen evtl. Forschungsaktivitäten in bestimmten Feldern angestoßen
werden, neue Produkte und Technologien entwickelt werden, Unternehmensteile
ver- oder gekauft werden usw.). FAS greifen typischerweise auf ein breites Spektrum an Methoden und Verfahren zurück. Dazu gehören insbesondere
• die systematische Beobachtung relevanter Indikatoren in der Unternehmensumwelt, die Veränderungen ankündigen (bspw. die Anzahl der Kundenanfragen zu
bestimmten Themen),
• die systematische Auswertung von bedeutenden Informationsquellen (bspw.
Jahresberichte und Pressemeldungen von Umweltschutzorganisationen) sowie
• die systematische Kombination der in den vorigen Abschnitten beschriebenen
Methoden, um daraus managementrelevante Informationen zu gewinnen.
Moderne FAS nutzen diese Ansätze nicht nur, um Bedrohungen des Unternehmens
rechtzeitig zu erfassen, sondern auch Chancen in der Unternehmensumwelt zu identifizieren (z. B. neu entstehende Märkte) und konkrete Strategien zur Abwehr von
Gefahren bzw. zum Nutzen von Chancen zu entwickeln.
4.2.3 Analyse von Kunden und Markt
Neben der Analyse des weiteren Umfelds spielt im Rahmen der strategischen Analyse eines Unternehmens natürlich auch die Analyse des eigenen Marktes eine bedeutende Rolle. Die Inhalte der Marktanalyse bauen dabei direkt auf der Definition
des relevanten Marktes auf (s. Kap. 4.1.2). In welchen Schritten eine strukturierte
Marktanalyse typischerweise abläuft, beschreiben die folgenden Abschnitte.
Quantitative Markt- und Kundenanalyse
Der erste Schritt der Markt- und Kundenanalyse besteht i. d. R. in einer zahlenmäßigen Erfassung relevanter Merkmale des Marktes. Dass zunächst meist quanti-
138
4 Strategisches Marketing
tative Größen den Ausgangspunkt der Analyse bilden, liegt daran, dass Markt- und
Kundenkennzahlen relativ einfache und leicht verständliche Informationen über
den Markt liefern, die – bei Auswahl der richtigen Kennzahlen – dennoch hoch
relevant für das Marketing sind (Farris et al. 2007). Sie sind zudem oft ohne großen
Aufwand zu erheben, da sie aus leicht zugänglichen externen Quellen verfügbar
sind. Dachverbände der Branchen, Kammern, das statistische Bundesamt bzw. statistische Landesämter, die Jahresabschlüsse der Wettbewerber, Hochschulen und
andere Institutionen sind in den meisten Branchen wichtige Quellen für quantitative
Marktinformationen (s. Kap. 3.3.2.1).
Unabhängig von der konkreten Branche lassen sich globale Marktkennzahlen
definieren, die als Ausgangspunkt der Marktanalyse dienen. Dazu gehören u. a. die
folgenden klassischen Kennzahlen:
• Marktvolumen (derzeitige Marktgröße, gemessen in Geld- oder Mengengrößen)
• Marktpotenzial (maximale Marktgröße incl. bisher unausgeschöpfter
Marktreserven)
• Marktwachstum (z. B. jährliche Wachstumsrate in%)
• Marktanteile der wichtigsten Anbieter (gemessen in Geld- oder Mengengrößen)
• Konzentrationsgrad der Wettbewerber (z. B. Anteil der zehn größten Anbieter
am Branchenumsatz)
• durchschnittliche Umsatz- und Kapitalrentabilität in der Branche (zu ersehen aus
den Bilanzen der Wettbewerber)
• Größe der wichtigsten Kundensegmente (z. B. Privatkunden/Firmenkunden)
• Strukturmerkmale der wichtigsten Kundensegmente (z. B. Alters-, Geschlechtsund Kaufkraftstruktur)
Neben diesen globalen Marktkennzahlen, die sich universell zur Marktanalyse eignen, sind je nach Markt auch verschiedene branchenspezifische Kennzahlen von
Interesse. Welche Größen dies im Einzelnen sind, hängt stark von den Eigenheiten
der jeweiligen Branche ab. Auch hier sind oftmals aussagefähige Daten ohne eigene Marktforschung aus externen Quellen verfügbar, insbesondere von statistischen
Ämtern sowie den Kammern und Dachverbänden der jeweiligen Branche. So liefert
bspw. der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA jährlich Marktkennzahlen aus Hotellerie und Gastronomie, die im Rahmen einer Marktanalyse hohen
Aussagewert besitzen, z. B. zur Rentabilität der Marktangebote von Hotels unterschiedlicher Preisklassen und Standorte (s. Abb. 4.8).
Interessant ist im Kontext quantitativer Marktkennzahlen das PIMS-Projekt,
das einen empirisch fundierten Ansatz für das strategische (Marketing-) Management darstellt. PIMS steht für „Profit Impact of Market Strategies“. Das Projekt
beruht auf der Auswertung empirischer Daten aus einigen Tausend Strategischen
Geschäftseinheiten unterschiedlichster Unternehmen und Branchen, die seit Beginn
des Projektes in den 1960er Jahren in einer Datenbank gesammelt und ausgewertet werden. Ziel des Projektes ist es, auf dieser breiten Basis an Daten aus „realen
Unternehmen“ zu bestimmen, welche Größen den ökonomischen Unternehmenserfolg bestimmen. Gemessen wird dieser am ROI (Return on Investment/Kapital-
4.2 Strategische Analyse
139
Entwicklung der durchschnittlichen Zimmererträge (RevPAR)
95
85
75
65
55
45
35
25
15
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
Alle Hotels
Mittlere Städte
Flughafenhotels
Größere Städte
Kleinere Städte
Ø Zimmerpreise > 100 Euro*
Ø Zimmerpreise 50-100 Euro*
2006
2007
Ø Zimmerpreise < 50 Euro*
Abb. 4.8 Beispiel für Branchenkennzahlen im Rahmen der strategischen Analyse (Quelle:
Dehoga 2007, S. 37)
rendite des Unternehmens) und anderen ökonomischen Erfolgsgrößen. Im Rahmen
des PIMS-Projektes ließ sich z. B. statistisch nachweisen, dass der relative Marktanteil (d. h. der Marktanteil eines Unternehmens im Vergleich zum größten Wettbewerber) und die relative Produktqualität (d. h. die Produktqualität eines Unternehmens im Vergleich zum stärksten Wettbewerber) einen entscheidenden Einfluss
auf den erwirtschafteten ROI ausüben.
Die durch das PIMS-Projekt gewonnenen Aussagen sind jedoch nicht vollkommen kritiklos zu sehen (Homburg 2000). So werden zentrale Variablen wie die
relative Produktqualität zwar in quantitativen Größen erfasst, beruhen jedoch auf
subjektiven Einschätzungen. Auch ist die Datenbasis nicht repräsentativ; weniger
erfolgreiche SGE sind z. B. unterrepräsentiert. Zudem ist ein statistisch nachgewiesener Zusammenhang zweier Größen keineswegs ein endgültiger Beweis für einen
realen kausalen Zusammenhang dieser Größen. Der statistische Zusammenhang der
Größen kann z. B. auch aus anderen, im Modell gar nicht berücksichtigten Größen
resultieren. Dennoch liefert die Logik des PIMS-Modells empirisch fundierte Hinweise darauf, nach welchen „Gesetzen“ Märkte funktionieren und welchen Stellenwert damit die zahlreichen im Rahmen einer Marktanalyse analysierbaren Kennzahlen jeweils haben.
140
4 Strategisches Marketing
Qualitative Markt- und Kundenanalyse
Der typische zweite Schritt der Markt- und Kundenanalyse besteht in einer qualitativen Analyse relevanter Faktoren (bzw. einer erweiterten Analyse, die neben quantitativen auch qualitative Größen einbezieht). In der Analyse werden dabei häufig
folgende methodische Ansätze verfolgt:
•
•
•
•
Chancen/Risiken-Kataloge
Zielgruppen-Studien
Produktlebenszyklus-Analyse
Branchenstruktur-Analyse
Chancen/Risiken-Kataloge stellen darauf ab, den relevanten Markt des Unternehmens systematisch auf relevante Entwicklungen „abzuklopfen“ und die Konsequenzen für das Unternehmen herauszuarbeiten. Sind die Konsequenzen positiv,
ergeben sich Chancen für das Unternehmen; sind sie negativ, ergeben sich Risiken. Welche Qualität eine bestimmte Entwicklung hat, hängt dabei vom jeweiligen
Unternehmen und seinem Geschäftsmodell ab. Der allgemeine Trend zu bewussterer und gesünderer Ernährung bedeutet für einen Hersteller von industriellem „Chemie-Food“ wie Maggi z. B. eher ein Risiko, für einen Hersteller von weit gehend
„unverfälschtem“ Essen wie Frosta eher eine Chance. Inhaltlich und methodisch
ergeben sich bei der Erstellung von Chancen/Risiken-Katalogen Berührungspunkte
mit den Verfahren, die im Rahmen der Analyse von Gesellschaft und StakeholderUmfeld dargestellt wurden. So können bspw. Frühaufklärungssysteme nicht nur zur
Analyse des weiteren Unternehmensumfelds eingesetzt werden, sondern auch zur
Analyse ganz konkreter Marktentwicklungen. Die Chancen/Risken-Analyse ist das
„Herzstück“ der Markt- und Kundenanalyse und geht in die SWOT-Analyse mit ein
(s. Kap. 4.2.5).
Zielgruppen-Studien, die sich mit relevanten Werten, Wahrnehmungsmustern
und Verhaltensweisen von aktuellen und potenziellen Kunden des Unternehmens
beschäftigen, spielen ebenfalls eine Rolle. Unternehmen haben hier die Option,
Zielgruppen-Untersuchungen selbst durchzuführen (Primärforschung) oder auf
fertig erstellte Studien zurückzugreifen, die für viele wichtige Branchen verfügbar sind und z. B. von Marktforschungsinstituten oder den großen Medienverlagen
Deutschlands angeboten werden (Sekundärforschung; s. Kap. 3). Wesentlich ist in
diesem Kontext die Frage nach der Existenz und Identifikation unterschiedlicher,
voneinander abgrenzbarer Kundensegmente innerhalb eines Gesamtmarktes, die
durch das Unternehmen ggf. unterschiedlich anzusprechen sind. Relevante Aspekte
dieser Strategie der Marktsegmentierung werden in Kap. 4.4.4.4 erläutert.
Die Produktlebenszyklus-Analyse geht von der These aus, dass Produkte – ähnlich wie lebende Objekte – einen Lebenszyklus mit typischen Phasen (Einführung,
Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration) durchlaufen. Wie das Marketing
für ein Produkt zu gestalten ist, hängt demnach von der Lebensphase des Produktes
ab. Die Lebenszyklus-Analyse liefert speziell im Konsumgüter-Marketing oftmals
nützliche Hinweise für das Marketing-Management. Eine genauere Darstellung und
kritische Diskussion des Lebenszyklus-Konzeptes findet sich in Kap. 6.2.3.
4.2 Strategische Analyse
141
Schließlich ist die Branchenstruktur-Analyse, die sich mit den Wettbewerbskräften in einem bestimmten Markt auseinandersetzt, Teil der Marktanalyse. Die
Branchenstruktur-Analyse in der heute gängigsten Form beruht auf Arbeiten von
Porter (2008). Gemäß seinem Modell gibt es in jeder Branche fünf wesentliche
„Competitive Forces“ (Triebkräfte des Wettbewerbs), welche die Wettbewerbsintensität in der Branche prägen und damit die Profitabilität der Branchenunternehmen stark beeinflussen („Five-Forces-Modell“; s. Abb. 4.9).
Die fünf zentralen Triebkräfte des Wettbewerbs nach Porter sind:
• die Rivalität unter den derzeitigen Anbietern und Produkten (bspw. der Verdrängungswettbewerb in der Automobilbranche)
• die Verhandlungsmacht der Abnehmer (bspw. die Verhandlungsmacht von Handelsunternehmen wie EDEKA gegenüber Herstellern von Lebensmitteln)
• die Verhandlungsmacht der Lieferanten (bspw. die Verhandlungsmacht von Microsoft gegenüber Herstellern von PCs bei der Ausstattung mit Betriebssystemen)
• die Bedrohung durch Anbieter von Substituten (bspw. bei Kaffee-Anbietern wie
Jacobs die Bedrohung durch Anbieter von Tee- oder Erfrischungsgetränken)
• die Bedrohung durch potenzielle neue Anbieter (im Markt für Mobiltelefone
bspw. durch den Markteintritt des neuen Wettbewerbers Google)
Porters zentrale These ist, dass die Profitabilität der Branchenunternehmen umso
geringer ausfällt, je höher die Wettbewerbsintensität ist, je stärker also die fünf
Wettbewerbskräfte wirken. Das Model beruht damit auf einer (zu) stark vereinfachten Marktsicht, indem es den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens ausschließlich aus fünf Faktoren der Branchenstruktur heraus erklärt. Als Analyserahmen zur
Erfassung der relevanten Wettbewerbsfaktoren im relevanten Markt des Unterneh-
Neue
Anbieter
Bedrohung
Derzeitige Anbieter
und Produkte
Lieferanten
Verhandlungsmacht
Abnehmer
Rivalität
Verhandlungsmacht
Bedrohung
Substitute
Abb. 4.9 Das Five-Forces-Modell zur Branchenstrukturanalyse (i. Anl. an Porter 2008, S. 36)
142
4 Strategisches Marketing
mens besitzt es im Rahmen der Markt- und Kundenanalyse jedoch durchaus einen
hohen Nutzwert.
4.2.4
Unternehmensanalyse
Die Unternehmensanalyse setzt sich mit den strategischen Stärken und Schwächen
eines Unternehmens auseinander. Ziel ist es festzustellen, welche Ziele und Strategien das Unternehmen mit den vorhandenen Ressourcen realisieren kann.
Kennzahlenanalyse
Die Unternehmensanalyse beginnt ebenso wie die Marktanalyse oft mit der Gewinnung ökonomisch relevanter Kennzahlen, welche den Status quo des Unternehmens
quantitativ verdichten. Abbildung 4.10 gibt einen Überblick über Kennzahlen, die
sich im Rahmen der strategischen Unternehmensanalyse einsetzen lassen. Im Regelfall stehen zunächst klassische formalökonomische Kennzahlen im Vordergrund, da
sich diese größtenteils einfach und aufwandsarm aus dem betrieblichen Rechnungswesen gewinnen lassen. Gewinn, Höhe und Entwicklung des Umsatzes, Umsatzrentabilität, Marktanteile und Cash Flow-Kennzahlen geben erste Aufschlüsse über
Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens. Neben diesen Basiskennziffern
lässt sich eine Vielzahl weiterer Kennzahlen bilden und analytisch nutzen, deren
jeweilige Relevanz im individuellen Fall von der konkreten strategischen Situation
des Unternehmens abhängt. Neben Kennzahlen, die über die strategische Stellung
des Unternehmens am Markt Auskunft geben und allgemeinen Marktkennzahlen
wie Marktvolumen und Marktpotenzial spielen auch ökonomische und „vorökonomische“ Prädiktoren eine Rolle. Letztere üben einen direkten Einfluss auf den
Unternehmenserfolg aus, wie bspw. die Reputation des Unternehmens (Walsh
2006). Darüber hinaus lassen sich für jedes Instrument des Marketing-Mixes spezifische Kennzahlen bilden, welche über die Stärken und Schwächen des Unternehmens Auskunft geben, bspw. produktpolitische Kennzahlen wie Deckungsbeiträge
oder kommunikationspolitische Kennzahlen wie Marken-Images. Insgesamt geht es
darum, ein unternehmensspezifisches System an „Management and Marketing
Metrics„ zu bilden, welches als Diagnosetool zur Bestimmung der strategischen
Gesamtsituation des jeweiligen Unternehmens einsetzbar ist.
Weiterführende Analysen
Kennzahlen wie die zuvor genannten liefern wichtige Informationen im Rahmen
einer Unternehmensanalyse. Sie stellen jedoch zum einen methodisch nur recht einfache Maßstäbe für die Beurteilung der Situation des Unternehmens dar, zum anderen bilden sie nur vergangene Entwicklungen ab. Sie sind daher durch komplexere
und stärker zukunftsgerichtete Methoden zu ergänzen. Unter anderem folgende Methoden finden hierbei Anwendung:
• Gap-Analysen
• Wertkettenanalysen
• Angebotserfolgsquote
• Neukundenanteil
• Stornoquote
• Besuchseffizienz
• Verkaufsgebietsdurchdringung
• Verkaufszeitanteil
• Auftragsbearbeitungszeit
• Kanalquoten (E-Business,
klassischer Vertrieb etc.)
• Preiselastizität
• Preisimage
• Wahrgenommene
Preisfairness
• Preisrelation
(teuerster/billigster Anbieter)
• Relative Preisposition
• Deckungsbeiträge
• Liefertreue / Erreichbarkeit
• Wahrgenommene Produkt/ Servicequalität
• Reklamationsquote
• Neuproduktanteil
Abb. 4.10 Kennzahlen zur strategischen Unternehmensanalyse (i. Anl. an Buxel 2008, S. 13)
Vertriebspolitische
Kennzahlen
Preispolitische
Kennzahlen
Produktpolitische
Kennzahlen
• Neukundenanteil
• Wiederkaufsrate
• Interessentenrate
• Wechselrate / ChurnRate
• Empfehlungskundenanteil
• Kundenwert
• Umsatzwachstumsrate
Vorökonomische
Prädiktoren
• Cashflow
• Eigenkapitalquote
• Bekanntheit
• Einstellung / Image
• Wissen / Informiertheit
• Recall
• Recognition
• Emotional Appeal
• Likes/ Dislikes
• Maßnahmenspezifische
Kennzahlen (bspw.
Reichweiten)
Kommunikationspolitische
Kennzahlen
• Kundenzufriedenheit
• Kundenbindung
• Wechselbereitschaft
• Markenstärke
• Reputationsstärke
• Weiterempfehlungsbereitschaft
• Beschwerdequote
• Beschwerdezufriedenheit
• Bekanntheitsgrad
• Marktanteil
• Umschlagskoeffizient
Ökonomische
Prädiktoren
• Return on Investment
• Umsatz(wachstum)
• Marktanteile
• Marktposition
• Marktwachstumsrate
• Marktvolumen
Marktkennzahlen
• Gewinn
• Umsatzrentabilität
• Marktanteile
• Preisstellung
• Marktdurchdringung
• Bekanntheit
• Imageposition
• Kundenzufriedenheit
StrategieKennzahlen
Formalökonomische
Kennzahlen
4.2 Strategische Analyse
143
144
4 Strategisches Marketing
• Benchmarking-Analysen
• Stärken/Schwächen-Profile
Gap-Analysen (von engl. Gap = Lücke) prognostizieren die zukünftige Entwicklung strategisch relevanter Kennzahlen des Unternehmens (z. B. Umsatz, Ertrag,
Marktanteil) und vergleichen diese mit gesetzten Zielwerten. Man prognostiziert
bspw., wie sich der Umsatz des Unternehmens ohne weitere Maßnahmen in den
kommenden fünf Jahren entwickeln wird und vergleicht diese erwartete Umsatzgröße mit den Umsatzzielen des Unternehmens. Ohne die Einleitung von Maßnahmen wird sich typischerweise eine Lücke („Gap“) zwischen Zielwert und erwarteter
Entwicklung ergeben. Lässt sich diese Lücke durch intensivierte Bearbeitung vorhandener Märkte schließen, spricht man von einer operativen Ziellücke. Lässt sich
die Lücke nur durch die Erschließung neuer Märkte und/oder Zielgruppen schließen, spricht man von einer strategischen Ziellücke. Die Gap-Analyse liefert damit einen zentralen Analyseansatz, um die Marktfeldstrategie (s. Kap. 4.4.2) eines
Unternehmens bzw. einer strategischen Geschäftseinheit zu bestimmen.
Die Wertkettenanalyse geht auf Arbeiten Porter (2000) zurück und zielt darauf ab, das Unternehmen aus Marktperspektive systematisch zu durchleuchten. Das
Unternehmen wird in verschiedene Bereiche mit jeweils unterschiedlichen Aktivitäten „zerlegt“. Für jeden dieser Bereiche wird untersucht, welchen Beitrag er zur
Wertschöpfung aus Kundensicht leistet. Bei einem Computer-Hersteller wie Apple
verantwortet z. B. der Bereich „Produktion“ die technische Produktqualität, der
Bereich „Logistik“ die Schnelligkeit der Lieferung und der Bereich „Marketing/
Kommunikation“ die mit der Marke verknüpfte emotionale Erlebniswelt. Die Summe aller in den verschiedenen Unternehmensbereichen geschaffenen Teil-Kundennutzen bestimmt den erzielbaren Marktpreis und damit den Umsatz. Der Aufwand
der jeweiligen Aktivitäten hingegen bestimmt die Kosten des Unternehmens. Die
Gewinnspanne des Unternehmens resultiert damit direkt aus Wertschöpfung sowie
Kosten der jeweiligen Aktivitätsbereiche im Unternehmen. Die Wertkette bietet damit ein anschauliches Verfahren der Unternehmensanalyse, das Effektivitätsziele
(„Was schafft Wert aus Kundensicht?“) und Effizienzziele („Wo im Unternehmen
können nicht Wert schaffende und damit Ressourcen verschwendende Aktivitäten
abgebaut werden?“) auf recht elegante Weise verknüpft.
Die Benchmarking-Analyse bildet eine Schnittstelle von Markt- und Unternehmensanalyse. Sie zielt ab auf die Einstufung des eigenen Unternehmens im direkten
Vergleich zu anderen, um darauf aufbauend Optimierungspotenziale aufzuzeigen.
Die Benchmarking-Analyse unterscheidet sich spürbar von traditionellen Wettbewerbsvergleichen. Sie ist stark auf quantitative Messwerte ausgerichtet, anhand
derer sich die Qualität der Unternehmensprozesse bemisst (z. B. Ausschuss- oder
Beschwerdequoten, Durchlaufzeiten). Man versucht hier gezielt, „Best Practices“ in anderen Unternehmen zu identifizieren, die das erzielbare Optimum in der
Prozessgestaltung bereits erreicht haben (= Benchmarks). Der zentrale innovative
Grundgedanke der Benchmarking-Analyse ist es, bei der Suche nach diesen „Best
Practices“ den Blick über die eigene Branche hinaus zu richten und generell Unternehmen als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen, die aufgrund der Ähnlichkeit
4.2 Strategische Analyse
145
der relevanten Prozesse als Maßstab für das eigene dienen können. So haben z. B.
industrielle Hersteller von Pralinen, die mit hohen Ausschussquoten zu kämpfen
hatten, in der Produktion Prozessstandards von Elektronik-Unternehmen übernommen, die in der Herstellung von Leiterplatten tätig waren, da sich die Produktionsbedingungen ähneln (Herstellung kleiner, hoch sensibler Produkteinheiten unter
Reinraum-Bedingungen).
Die Erstellung von Stärken/Schwächen-Profilen ist das logische Gegenstück
zur Erstellung von Chancen/Risiken-Profilen im Rahmen der Marktanalyse und
geht ebenfalls in die unten dargestellte SWOT-Analyse mit ein (s. Kap. 4.2.5). Zur
Erstellung von Stärken/Schwächen-Profilen sind die vorhandenen marktbezogenen, finanziellen, physischen, organisatorischen und technologischen Ressourcen
des Unternehmens systematisch zu erfassen und einzuschätzen. Auf diesem Weg
können die strategischen Stärken und Schwächen eines Unternehmens identifiziert
werden. Grundsätzlich gilt dabei, dass das Unternehmen die aufgezeigten Stärken
zum Aufbau strategischer Wettbewerbsvorteile nutzen sollte und auf die Beseitigung der Schwächen hinarbeiten sollte, um Wettbewerbsnachteile im Zielmarkt zu
vermeiden. Eine allgemeine Einstufung der strategischen Ressourcen des Unternehmens ist i. d. R. jedoch wenig aussagefähig. Die Erstellung des Stärken/Schwächen-Profilen sollte daher typischerweise anhand zweier wichtiger Maßstäbe erfolgen (s. Abb. 4.11). Zum einen sollte die Analyse und Einstufung des eigenen
Unternehmens im direkten Vergleich zum Wettbewerb erfolgen, da sich eine Stärke
bzw. Schwäche erst in Relation zur Konkurrenz manifestiert (ein gutes Niveau an
Kundenzufriedenheit kann z. B. eine Schwäche darstellen, wenn das Zufriedenheitsniveau beim Wettbewerb noch deutlich höher ist). Zum anderen sollte die Einstufung der eigenen Ressourcen soweit möglich mit Blick auf konkrete strategische
Pläne und Herausforderungen vorgenommen werden. Eine gute Kapitalausstattung
des Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz muss z. B. keine strategische Stärke darstellen, wenn der bearbeitete Markt gar keine hohen Investitionen erfordert
(bspw. bei persönlichen Beratungs-Dienstleistungen).
Im Zusammenhang mit der Analyse der eigenen Stärken und Schwächen im
Vergleich zum Wettbewerb verdient ein Konzept besondere Beachtung, das unter
dem Namen „Erfahrungskurvenkonzept“ in der Betriebswirtschaftslehre große
Resonanz gefunden hat. Das Konzept der Erfahrungskurve setzt sich mit den Produktionskosten eines Unternehmens auseinander. Es beruht auf der Kernthese, dass
es in vielen Branchen möglich ist, mit zunehmender kumulierter Produktionsmenge
die Produktionskosten pro Stück (!) zu senken. Wie hoch die Kostensenkungspotenziale konkret sind, hängt von der jeweiligen Branche ab. Als Orientierungsgröße gilt
jedoch ein Korridor von 20% bis 30% Kostensenkungspotenzial pro Verdoppelung
der kumulierten Produktionsmenge (Homburg u. Krohmer 2006, S. 445). Liegen
also bspw. die Stückkosten für die Produktion eines Mobiltelefons bei €100 und
wurden bislang 1 Mio. Geräte hergestellt, so geht das Konzept davon aus, dass die
Stückkosten für dasselbe Gerät nur noch bei ca. €70 bis €80 liegen, wenn der Hersteller 2 Mio. Geräte dieses Typs hergestellt hat. Der Kostensenkungseffekt wurde
vielfach empirisch nachgewiesen und beruht im Wesentlichen auf Lernprozessen
im Unternehmen: Mit zunehmender Produktionsmenge lernen Unternehmen, ihre
146
Strategische Herausforderung:
Markteinführung von FondsSparplänen für türkischstämmige
Kunden einer deutschen Bank
4 Strategisches Marketing
Bewertung
sehr
schlecht
eher
schlecht
mittel
eher
gut
sehr
gut
1
2
3
4
5
Markt
- Zielgruppenkompetenz
„Deutschtürken“
- Marktanteil unter Deutschtürken
- Image im Segment „Deutschtürken“
-...
Produkt- und Servicekompetenz
- Produktkompetenz Fonds
- Bisherige Performance
eigener Fonds
- Beratungskompetenz Fonds
-...
Personal
- Türkisches Personal in
türkischen Ballungsgebieten
- Kulturelle Offenheit
- Interkulturelle Kompetenz
(Auslandsgeschäft etc.)
-...
Interne Rahmenbedingungen
- Effektives Schulungswesen
- Leistungsfähige CRMSoftware
- Finanzielle Ressourcen
-...
Eigenes
Institut
Stärkster
Wettbewerber
Abb. 4.11 Beispiel eines Stärken/Schwächen-Profils in der Unternehmensanalyse (i. Anl. an
Klee et al. 2003, S. 70)
Prozesse in Beschaffung, Produktion, Logistik und Vermarktung immer effizienter zu gestalten, so dass die Kosten pro Stück im Zeitverlauf sinken (bspw. ein
reduzierter Rohstoffverbrauch durch eine optimierte Einstellung der Produktionsmaschinen). Das Erfahrungskurvenkonzept verdeutlicht, dass Unternehmen in der
gleichen Branche mit vergleichbaren Produkten sehr unterschiedliche Kostenstrukturen und damit sehr unterschiedliche Wettbewerbsstärken bzw. -schwächen haben
können. Es verdeutlicht zudem die hohe strategische Bedeutung des (relativen)
Marktanteils: Je höher der Marktanteil eines Unternehmens ist, desto schneller kann
sich das Unternehmen „entlang der Erfahrungskurve“ entwickeln und so strategisch
bedeutende Kostenvorteile im Wettbewerb erzielen. Im Rahmen der Unternehmensanalyse spielt also die Position des eigenen Unternehmens auf der Erfahrungskurve
im Vergleich zum Wettbewerb eine wichtige Rolle.
4.2 Strategische Analyse
4.2.5
147
Integrative Planungstechniken
Die vorigen Abschnitte zeigten auf, welche Themen und Verfahren bei der Analyse von Gesellschaft/Umfeld, Markt/Kunden und eigenem Unternehmen eine Rolle
spielen. Das Unternehmen steht vor der komplexen Aufgabe, die im Rahmen dieser Analysetätigkeiten gewonnenen, sehr vielfältigen Informationen zusammenzuführen, um konkrete Handlungsstrategien für das Unternehmen daraus abzuleiten.
An diesem Punkt setzen die sog. integrativen Planungstechniken an. „Integrativ“
sind diese Techniken in zweierlei Hinsicht: Zum ersten führen sie Informationen
aus Umweltanalyse (Umfeld und Markt) und Unternehmensanalyse zusammen.
Zum zweiten versuchen sie, aus den in der Analyse gewonnenen Informationen
erste Empfehlungen für konkrete Strategien abzuleiten. Sie integrieren also strategische Analyse und strategische Maßnahmenplanung. Es existieren verschiedene
Planungsansätze, die der Bezeichnung „integrativ“ gerecht werden. Am gebräuchlichsten sind Portfolio- und SWOT-Analysen.
4.2.5.1
Portfolio-Analysen
Portfolios sind Planungstechniken, die Empfehlungen dafür aussprechen, wie die
knappen Ressourcen eines Unternehmens (Finanzmittel, Personalressourcen usw.)
auf verschiedene „Planungseinheiten“ zu verteilen sind. Diese „Planungseinheiten“
sind meist die Produkte bzw. Geschäftsfelder des Unternehmens; es gibt jedoch
auch Kunden-, Technologie- und weitere Portfolios. Ziel der Portfolio-Analyse ist
es, die für das Gesamtunternehmen optimale Kombination von Produkten bzw. Geschäftsfeldern zu erreichen, die einen Risikoausgleich durch Diversifizierung des
Portfolios und langfristige Ertragssicherung bzw. -steigerung verspricht.
Portfolios verdichten die Ergebnisse der Umwelt- und der Unternehmensanalyse
auf zwei Bewertungsdimensionen, um daraus eine Aussage über die Erfolgsträchtigkeit der beurteilten Geschäftsfelder abzuleiten. Sie geben so Auskunft darüber,
welche Geschäftsfelder für das Unternehmen besonders „wertvoll“ sind und in die
entsprechend investiert werden sollte. Portfolios liefern damit grundlegende Stoßrichtungen für das Unternehmensverhalten und können als Vorstufe einer detaillierteren Strategieplanung gesehen werden. Begriff und Konzept der Portfolio-Analyse
wurden ursprünglich der Finanzwirtschaft entlehnt und von anglo-amerikanischen
Beratungsunternehmen (s. u.) in den Kontext des strategischen Management übertragen. Das Grundkonzept der Portfolio-Analyse hat in Theorie wie Praxis eine
hohe Akzeptanz gefunden, auch weil sich Portfolios grafisch sehr gut veranschaulichen lassen.
Das BCG-Portfolio
Ein konzeptionell recht einfacher „Klassiker“ der Portfolio-Technik wurde von der
Boston Consulting Group (BCG) entwickelt. In diesem Portfolio dienen der relative
Marktanteil (Æ Unternehmensanalyse) und das Marktwachstum (Æ Umfeldana-
148
4 Strategisches Marketing
niedrig
hoch
Marktwachstum
Stars
Question Marks
Ausbauen/
Ausbauen/
Halten
Liquidieren
Cash Cows
Poor Dogs
Abschöpfen/
Abschöpfen/
Halten
Liquidieren
hoch
Verwendung des Cash Flow
niedrig
Relativer
Marktanteil
Produktlebenszyklus
Abb. 4.12 Marktwachstums-/Marktanteils-Portfolio (BCG-Portfolio)
lyse) als Dimensionen zur Beurteilung der Geschäftsfelder eines Unternehmens (s.
Abb. 4.12).
Der relative Marktanteil als (interner) Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wird definiert als Verhältnis des eigenen Marktanteils zum
Marktanteil des größten Wettbewerbers. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein
Unternehmen mit hohem relativen Marktanteil stark von Erfahrungskurveneffekten
(s. Kap. 4.2.4) profitiert und daher seine Produkte im Verhältnis zum Wettbewerb
sehr kostengünstig erstellen kann. Das Marktwachstum als (externer) Indikator
für die Attraktivität des Marktes ist der Logik der Lebenszyklusmodelle entliehen.
Demnach gibt es hoch attraktive und wachsende Märkte und weniger attraktive,
d. h. Märkte, die sich erst noch entwickeln müssen oder die bereits degenerieren.
Das BCG-Portfolio postuliert als Idealzustand die Ausgewogenheit des Produktprogramms unter Cash Flow-Aspekten. Diese Ausgewogenheit kann erreicht werden, indem manche Produkte Cash Flow erwirtschaften (v. a. die Cash
Cows), während andere Produkte Cash Flow verzehren (i. d. R. die Stars und Question Marks). Für ein Unternehmen ist eine mangelnde Ausgewogenheit problematisch: Ein Portfolio, das nur aus Cash Cows besteht, die einen hohen Cash Flow
4.2 Strategische Analyse
149
erzielen, ist die langfristig falsche Strategie, denn Cash Cows stoßen in absehbarer
Zeit an das Ende ihres Lebenszyklus und ohne „nachwachsende“ Question Marks
und Stars in der „Pipeline“ sind zukünftige Erträge ungewiss. Ein Portfolio bspw.
nur aus Stars wiederum ist für ein Unternehmen nicht finanzierbar, da diese Produkte hohe Investitionen (und damit Cash Flow) benötigen, um sie mittelfristig zu
Cash Cows zu entwickeln.
Die Positionen der Produkte im Portfolio bilden idealtypisch den Lebenszyklus
eines erfolgreichen Produktes ab: Es tritt als Question Mark auf den noch unterentwickelten Markt, wird durch Investitionen zu einem Star entwickelt, durchläuft
als Cash Cow die Reifephase des Marktes und endet in der Degenrationsphase des
Marktes als Poor Dog, bevor es vom Markt genommen wird. Gemäß dieser Logik
wurden für die Produkte in den unterschiedlichen Felder der Matrix Normstrategien
entwickelt:
Question Marks („Fragezeichen“) sind neue Produkte mit hohem Marktwachstum, aber (noch) niedrigem Marktanteil. Normstrategie ist die Investition in das
Produkt, um eine bedeutende Marktposition zu erreichen oder, falls keine überlegenen Fähigkeiten vorhanden sind, den Rückzug vom Markt einzuleiten.
Stars („Sterne“) sind neue Produkte mit hohem Marktwachstum, die sich einen
hohen Marktanteil erarbeitet haben. Das Produkt erzielt relativ hohe Gewinne. Diese müssen in das Produkt reinvestiert werden, um sich die starke Stellung auf diesem Zukunftsmarkt zu sichern. Normstrategie bei Stars ist Erweiterungsinvestitionen vornehmen, um nicht gegenüber dem Wettbewerb zurückzufallen.
Cash Cows („Melkkühe“) sind relativ alte Produkte mit hohem Marktanteil,
aber niedrigem Marktwachstum. Sie sind die wichtigste Kapitalquelle des Unternehmens (z. B. zur Unterstützung von Stars; s. linken schwarzen Pfeil in Abb. 4.12).
Normstrategie bei Cash Cows ist, die starke Wettbewerbsposition zu halten.
Poor Dogs („Arme Hunde“) können alte oder neue Produkte sein, die niedrigen
Marktanteil und niedriges Wachstum vereinen. Sie setzen wenig Kapital frei, verbrauchen allerdings auch kaum Kapital. Normstrategie ist das Abschöpfen, solange
der erwartete Netto-Cash-Flow noch positiv ist. Ansonsten ist das Geschäftsfeld
aufzulösen (s. grauen Pfeil rechts unten in Abb. 4.12).
Bei einer Gesamtbeurteilung des BCG-Portfolios ist dem Ansatz zugute zu
halten, dass er eine konzeptionelle Gesamtsicht auf das Produktspektrum von
Unternehmen ermöglicht und die Zusammenführung der Planung für unterschiedliche Produktfelder erleichtert. Dabei werden komplexe Zusammenhänge in einem
schnellen Gesamtüberblick plausibel und einfach nachvollziehbar dargestellt.
Kritisch ist anzumerken, dass bei der Verengung der Betrachtung auf die Dimensionen „relativer Marktanteil“ und „Marktwachstum“ relevante Faktoren unberücksichtigt bleiben, was zu fehlerhaften Bewertungen der betrachteten Geschäftsfelder
führen kann. Zu kritisieren ist weiterhin die Vernachlässigung von Interdependenzen zwischen Geschäftsfeldern (z. B. Verbundeffekte oder Cross-Selling-Potenziale), die Vergangenheitsorientierung und damit mangelnde Aussagekraft bzgl. neuer
Produkte sowie die grob vereinfachende Natur der Normstrategien. Zu beachten
ist auch, dass die Anwendbarkeit des BCG-Portfolios mit der Gültigkeit der beiden
zentralen Modellprämissen steht und fällt. Zum ersten ist dies die lebenszyklus-
150
4 Strategisches Marketing
ähnliche Entwicklung der Märkte, die in vielen Produktbereichen nicht festzustellen ist (Grundnahrungsmittel, Kleidung, Bank- und Versicherungsdienstleistungen
u. v. a.). Zum zweiten ist dies die Realisierbarkeit von Erfahrungskurveneffekten.
Auch dies ist in der Realität nicht immer der Fall, wenn ein Unternehmen bspw. nur
Kleinserien fertigt oder sich aufgrund der Wettbewerbssituation veranlasst sieht,
ständig neuere Produktvariationen in den Markt einzuführen. Unter solchen Bedingungen sind Erfahrungskurveneffekte und damit verbundene Kosteneinsparungen
nur schwer zu erzielen. Zudem fallen in vielen Branchen Erfahrungskurveneffekte
aufgrund der spezifischen Wertschöpfungsprozesse überhaupt nicht in nennenswertem Umfang an (dazu gehören u. a. große Teile des Dienstleistungssektors).
Das McKinsey-Portfolio
Eine allgemeinere Fassung des BCG-Portfolios ist die vom Beratungsunternehmen
McKinsey in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Mischkonzern General
Electric entwickelte Portfolio-Technik (McKinsey-Portfolio; auch Marktattraktivitäts-Wettbewerbsstärken-Portfolio). Es trägt den konzeptionellen Schwächen des
BCG-Portfolios zumindest teilweise Rechnung. Hierbei geht es um die elementare
Frage, in welche strategischen Geschäftseinheiten innerhalb eines Unternehmens investiert werden sollte und welche Geschäftseinheiten abgebaut werden sollten. Die
Umweltanalyse bezieht sich hier jedoch nicht wie im BCG-Portfolio allein auf das
Marktwachstum, sondern sehr viel allgemeiner auf den Faktor Marktattraktivität.
Neben dem Marktwachstum spielen also auch z. B. Volumen und Profitabilität des
Marktes oder die Wettbewerbsintensität eine Rolle. Die Perspektive in der Unternehmensanalyse ist ebenfalls deutlich weiter: Statt nur des relativen Marktanteils
wird hier allgemein die relative Wettbewerbsstärke des Unternehmens betrachtet.
Neben dem relativen Marktanteil werden damit bspw. auch die (relative) Produktqualität, die Imagestärke oder die Kapitalausstattung des Unternehmens relevant für
die Analyse. Zudem ist die Matrix, in welche die strategischen Geschäftseinheiten
(SGE) eingestuft werden, mit 3 × 3 = 9 Feldern stärker differenziert als die 4 Felder-Matrix im BCG-Portfolio (s. Abb. 4.13).
Abhängig von dem Analyseergebnis für Marktattraktivität und relativer Wettbewerbsstärke werden nun die SGE des Unternehmens in eines der neun Felder der
Matrix eingeordnet. Die daraus abgeleitete Strategieempfehlung folgt der Maxime: Je attraktiver der Markt und je stärker die eigene Position gegenüber den Wettbewerbern, desto eher sollte das Unternehmen in die betreffende SGE investieren.
Bei geringer Marktattraktivität und geringer Wettbewerbsstärke sollte das Unternehmen demnach die SGE abbauen und die frei werdenden Finanzmittel in die
besser positionierten SGE investieren. Bei „mittleren“ Einstufungen sind detailliere
Analysen für die betreffenden SGE durchzuführen und auf dieser Grundlage zu
entscheiden, ob die Geschäftseinheit abgebaut, zunächst ohne größere Investitionen
weitergeführt oder durch Investitionen in die eigene Wettbewerbsstärke zu einer
attraktiveren SGE ausgebaut wird.
Der Hauptvorteil des Portfolios liegt darin, dass es große Mengen komplexer
Informationen, die in der strategischen Analyse gewonnen werden, auf anschauliche und auch für Nicht-Fachleute plausible Weise verdichtet. Zudem bleibt es nicht
4.2 Strategische Analyse
hoch
151
A
B
A
Marktattraktivität
Zone der
A
Investieren
B
Selektive Strategie
Mittelbindung
mittel
C
B
A
Zone der
C
Mittelfreisetzung
niedrig
C
schwach
Desinvestieren/
Abschöpfen
C
mittel
Wettbewerbsstärke
B
stark
Abb. 4.13 Aufbau des Wettbewerbsstärke-Marktattraktivitäts-Portfolios
auf der Stufe der Analyse stehen, sondern leitet konkrete, wenn auch recht allgemeine Handlungsempfehlungen für das Unternehmen ab. Aufgrund seiner hohen Anschaulichkeit lässt es sich auch didaktisch sehr gut einsetzen. Es sind jedoch auch
Nachteile der Methodik nicht von der Hand zu weisen. Die Verdichtung zahlreicher verschiedener Faktoren in den beiden Hauptdimensionen „Marktattraktivität“
und „Wettbewerbsstärke“ führt dazu, dass insgesamt oft „mittlere“ Einstufungen
der SGE entstehen, die keine eindeutige Strategieempfehlung ermöglichen. Die Verdichtung zahlreicher Informationen ist zwangsläufig mit einem Verlust an Informationen über das spezifische Eigenschaftsprofil der SGE verbunden. Zukünftige Entwicklungen werden auch nur unzureichend berücksichtigt (z. B. Veränderungen der
Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke durch technologische Entwicklungen).
Zentral ist auch der Nachteil, dass interne und externe Verbundeffekte zwischen
den einzelnen SGE im Portfolio nicht berücksichtigt werden. So kann es bspw. sein,
dass die Produkte zweier unterschiedlicher SGE auf der gleichen Fertigungsstraße
produziert werden (so wird z. B. das unter der Marke Seramis vermarktete Pflanzgranulat für Zimmerpflanzen vom gleichen Hersteller und auf der gleichen Anlage
hergestellt wie der Katzenstreu, der unter dem Namen Catsan vermarktet wird).
Wird nun eine SGE aufgrund einer negativen Einstufung im Portfolio abgebaut
(z. B. Seramis), so muss die Produktionsanlage dennoch aufrecht erhalten werden,
weil die andere SGE (z. B. Catsan) besser eingestuft und daher weitergeführt wird.
In diesem Fall ist die Logik des Portfolios nur bedingt gültig, da die gewünschte Kapitalfreisetzung durch den Abbau einer SGE nicht (in vollem Maße) erreicht wird.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Portfolio-Technik ein sehr anschauliches
Mittel zur strategieorientierten Verdichtung von Informationen und damit ein aus-
152
4 Strategisches Marketing
gesprochen nützliches Instrument zur strategischen Planung darstellt. Sie ist jedoch
keinesfalls als „Strategieautomat“ zu verstehen, mithilfe dessen sich Strategien
zwingend ableiten lassen. Das Zustandekommen der Ergebnisse einer PortfolioAnalyse sollten in jedem Fall kritisch hinterfragt werden. Die Portfolio-Technik
nimmt dem Management die Entscheidung über das strategische Verhalten des
Unternehmens nicht „aus der Hand“, sondern gibt fundierte Anregungen hierfür. So
verstanden kann die Portfolio-Analyse einen wertvollen Beitrag zu einer systematischen Strategiedefinition leisten, die nicht nur auf intuitiven Überlegungen beruht.
4.2.5.2
SWOT-Analysen
SWOT-Analysen sind weniger eine spezifische Planungstechnik als vielmehr ein
allgemeines Vorgehensraster, im Rahmen dessen man sich verschiedene Planungstechniken zunutze macht, wie sie in den vorigen Abschnitten dargestellt wurden.
Kerngedanke der SWOT-Analyse ist es, die Ergebnisse der Chancen/Risiken-Analyse (Æ Umweltanalyse) und die Ergebnisse der Stärken/Schwächen-Analyse (Æ
Unternehmensanalyse) zusammenzuführen, um daraus erste Stoßrichtungen für die
Unternehmensstrategie abzuleiten (Meffert et al. 2008, S. 236). Das Kürzel SWOT
resultiert aus den Initialen der im Englischen üblichen Begriffe für Stärken/Schwächen (= Strengths/Weaknesses) und Chancen/Risiken (= Opportunities/Threats).
Die Grundzüge der Chancen/Risiken-Analyse und der Stärken/Schwächen-Analyse wurden in den vorigen Abschnitten dargestellt. Im Rahmen der Umweltanalyse
(Analyse von Markt/Kunden sowie Gesellschaft/Umfeld) wird versucht, unternehmensexterne Umwelteinflüsse mit Bedeutung für das Unternehmen zu identifizieren, also Chancen und Risiken. Die Unternehmensanalyse zielt darauf, die strategisch relevanten Ressourcen des Unternehmens mit Blick auf die Anforderungen
des Marktes zu bewerten, also Stärken und Schwächen zu identifizieren. Die SWOTAnalyse führt diese beiden Teilanalysen zusammen, indem sie Stärken/Schwächen
einerseits und Chancen/Risiken andererseits gegenüberstellt und besonders kritische
bzw. Erfolg versprechende Kombinationen identifiziert (Abb. 4.14).
Die im Rahmen der Analyse erstellte SWOT-Matrix zeigt auf, welche Normstrategien bei welcher Konstellation abgeleitet werden können. Am Beispiel der
Automobilmarke Lexus, die der Toyota-Konzern in Europa als Premium-Marke zu
etablieren versucht, wird die Vorgehensweise verdeutlicht (s. Abb. 4.15).
In der ST-Situation (Stärke trifft auf Risiko) versucht ein Unternehmen die eigenen Stärken so einzusetzen, dass sich die Gefahren des Umfelds reduzieren oder
umgehen lassen. Die langjährigen Erfahrungen des Toyota-Konzerns in der Produktion und Vermarktung von Oberklasse-Fahrzeugen (v. a. in USA und Japan) sollten
demgemäß genutzt werden, um den Bedrohungen dieses Marktsegments entgegenzuwirken, etwa durch kostenorientierte Optimierung der Produktionsprozesse.
In der SO-Situation (Stärke trifft auf Chance) gilt es die vorhandenen Stärken
des Unternehmens zu nutzen, um sich ergebende Chancen zu nutzen. Eine Chance
ergibt sich im Kfz-Bereich aus der zunehmenden Nachfrage nach Fahrzeuge mit
Alternativantrieben; hier besteht ein stark wachsendes Marktsegment. Der Toyota-
4.2 Strategische Analyse
153
Risiken
Umwelt
(Threats)
Chancen
(Opportunities)
ST-Situation
SO-Situation
Einsatz von Stärken
Einsatz von Stärken
zur Abwehr von
zur Nutzung von
Risiken
Chancen
WT-Situation
WO-Situation
Schwächen
Abbau der Schwächen
Abbau der Schwächen
(Weaknesses)
zur Vermeidung von
zur Nutzung von
Risiken
Chancen
Stärken
(Strengths)
Unternehmen
Abb. 4.14 Grundmuster der SWOT-Analyse (i. Anl. an Nieschlag et al. 2002, S. 117)
Risiken
Umwelt
Risiko: Markt für Luxusfahrzeuge zunehmend bedrängt
(steigender Ölpreis / Markteintritt neuer Wettbewerber)
Stärken
Unternehmen
Schwächen
Stärke: Langjährige
Kompetenz in der Fertigung
von Premium-Fahrzeugen
(USA, Asien)
Risiko: Sensibilität der Kunden
für Service-Qualität wächst
Schwäche: Werkstättenqualität
merklich unter dem Niveau zentraler Wettbewerber (BMW,
Audi, Mercedes)
Chancen
Chance: Markt für Fahrzeuge
mit Alternativantrieben wächst
Stärke: Hohe technologische
Kompetenz im Bereich alternative Antriebe (v.a. Hybridantrieb)
! Strategisches Zeitfenster !
Chance: Preisspielräume für
Premium-Automobilmarken
hoch
Schwäche: Schlecht etablierte
Marke; Imagenachteile auf dem
europäischen Kfz-Markt
! Strategisches Risiko !
Abb. 4.15 Beispiel einer SWOT-Analyse für die Kfz-Marke Lexus (Auszüge)
154
4 Strategisches Marketing
Konzern besitzt in diesem Segment (speziell im Bereich Hybridantriebe) im Vergleich zu Wettbewerbern besondere technologische Kompetenzen. Eine Strategie
für Lexus sollte nun darin bestehen, diesen Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die
Vermarktung von Oberklasse-Wagen mit Hybridantrieb für den europäischen Markt
zu forcieren. Da derartige Stärken-Chancen-Kombinationen aufgrund der allgemeinen Marktdynamik oft nur für einen begrenzten Zeitraum gelten, spricht man hier
oft auch von „strategischen Zeitfenstern“, die es zu nutzen gilt.
Das Unternehmen sollte in einer WO-Situation (Schwäche trifft auf Chance)
versuchen seine Schwächen zu beseitigen bzw. zu reduzieren, um die Chancen
des Umfelds wahrnehmen zu können. So lassen sich im Markt für Premium-Automobile Ertragsmargen realisieren, die im Massenmarkt nur schwer erreichbar sind
(Chance). Lexus hat hier den Nachteil, dass die Marke in Europa bislang wenig
bekannt und als Premium-Marke nicht etabliert ist (Schwäche). Ziel sollte es hier
nach der SWOT-Logik sein, durch eine gezielte Markenstrategie das Unternehmen
in eine SO-Situation zu überführen.
Eine WT-Situation (Schwäche trifft auf Risiko) stellt sich für das Unternehmen
am negativsten dar (z. B. eine unterdurchschnittliche Servicequalität der Werkstätten, wenn diese für Kunden einen Kauf entscheidenden Faktor darstellt). Bei dieser
Konstellation liegt ein strategisches Risiko vor, das es zu beseitigen gilt. Als Extremstrategie für den Fall, dass das Risiko existenzbedrohend und die Schwäche
nicht mit vertretbarem Aufwand beseitigbar ist, bietet sich der Marktaustritt an.
Alternativ können strategische Schwächen abgemildert bzw. neutralisiert werden
(z. B. durch hohe technische Zuverlässigkeit der Pkw, wodurch Servicefälle wie
Reparaturen seltener notwendig werden). Je nach Sachlage können Schwächen ggf.
sogar in Stärken umgewandelt werden (z. B. Preisführerschaft durch deutliche Senkung der Servicepreise).
4.3
Definition strategischer Marketingziele
Die Formulierung und Umsetzung von Strategien erfolgt, um übergeordnete Ziele
des Unternehmens zu erreichen. Ziele sind Aussagen über erwünschte Zustände, die
als Ergebnis wirtschaftlichen Handelns eintreten sollen (z. B. eine Erhöhung des
Marktanteils von 14% auf 16% im laufenden Geschäftsjahr, der aus verbesserten
Produktvarianten und intensivierter Werbung resultiert). Bevor also Strategien definiert werden, müssen erst (strategische) Ziele festgelegt werden.
4.3.1
Zielebenen im Marketing
Unternehmen verfolgen typischerweise eine Vielzahl von Zielen, die in hierarchischen Zielsystemen gegliedert sind. Diese Zielsysteme umfassen sowohl grundlegende, strategische Ziele (z. B. die Erreichung eines bestimmten Marktanteils) als
4.3 Definition strategischer Marketingziele
155
auch sehr konkrete, kurzfristig orientierte „Alltagsziele“ (z. B. das Ziel, in einem
bestimmten Kunden-Mailing eine Antwortquote von mindestens 3% zu erreichen).
Die Oberziele des Unternehmens (z. B. Marktanteilsziele) müssen in der unternehmerischen Praxis also schrittweise in „kleinere“ Zwischenziele heruntergebrochen
werden (z. B. Antwortquote auf Mailings), damit diese in konkrete Maßnahmen
münden können (z. B. zur konkreten Ausgestaltung einer Mailing-Aktion).
Inhalt und Komplexität eines Zielsystems hängen vom konkreten Unternehmen
und seiner Tätigkeit ab. In Großkonzernen finden sich bspw. komplexere Zielsysteme als in kleineren Unternehmen. Grundsätzlich lässt sich eine Zielhierarchie aber
in vier Grundstufen unterteilen (s. Abb. 4.16).
Der Unternehmenszweck (die sog. „Business Mission“) ist das grundlegendste
Ziel des Unternehmens. Er definiert die Marktaufgabe des Unternehmens und damit das, womit sich ein Unternehmen beschäftigen soll, was also gewissermaßen
die „Daseinsberechtigung“ des Unternehmens ausmacht. Der Unternehmenszweck
gibt einen groben Handlungsrahmen für sämtliche Aktivitäten im Unternehmen vor
(Nieschlag et al. 2002, S. 74). In den Unternehmensgrundsätzen von Aldi findet
sich z. B. folgende Definition des Unternehmenszwecks: „Wir wollen, dass die Verbraucher die wichtigsten Lebensmittel ganz in der Nähe, immer frisch, immer von
hoher Qualität und immer zum günstigen Preis kaufen können.“
Aus dem Unternehmenszweck lassen sich konkretere Unternehmensziele ableiten, die für das Unternehmen als Ganzes definiert werden. Bei den globalen Unternehmenszielen ist zwischen ökonomischen Zielen und „vorökonomischen“ Zielen zu
unterscheiden. Ökonomische Ziele lassen sich in klassische betriebswirtschaftliche,
v. a. monetäre Kennzahlen fassen (z. B. Umsatz- oder Renditeziele). Vorökonomische
Ziele dagegen beziehen sich auf Sachverhalte, die sich nicht in klassischen betriebs-
Anzahl & Konkretisierungsgrad der Ziele
Unternehmenszweck
Unternehmensziele
Bereichsziele
Funktionalziele
SGEZiele
Instrumentalziele
Produktpol. Ziele
Preispol. Ziele
Komm.pol. Ziele
Vertriebspol. Ziele
Abb. 4.16 Zielhierarchien im Marketing (i. Anl. an Homburg u. Krohmer 2006, S. 433)
156
4 Strategisches Marketing
Marketingziele
Ökonomische
Marketing-Ziele
Vorökonomische
Marketing-Ziele
Umsatz
Bekanntheit
Absatz
Image
Gewinn
Kundenzufriedenheit
Deckungsbeitrag
Kaufpräferenzen
Rentabilität
Kundenbindung
usw.
usw.
Abb. 4.17 Beispiele für mögliche Marketingziele
wirtschaftlichen Kennzahlen ausdrücken lassen. Oft handelt es sich hier um psychologische Ziele wie Kundenzufriedenheit, Unternehmensimage oder in unternehmensinterner Sicht auch die Mitarbeiterzufriedenheit. Eine Aufstellung wichtiger ökonomischer und vorökonomischer Marketingziele, die auf Unternehmensebene oft eine
Rolle spielen, findet sich in Abb. 4.17.
Ökonomische Ziele stellen zwar die finalen Ziele des Unternehmens dar, auf die
alle Unternehmensaktivitäten letztlich ausgerichtet sind. Die hohe Bedeutung vorökonomischer Ziele liegt jedoch darin begründet, dass ihre Erreichung die Voraussetzung für die Erreichung der ökonomischen Ziele darstellt. Die Kundenzufriedenheit ist z. B. ein vorökonomisches Ziel, das zu Wiederkäufen durch Kunden führt
und damit das Umsatzziel als ökonomisches Ziel fördert.
Aus den globalen Unternehmenszielen lassen sich in der nächsten Stufe konkretere Bereichsziele ableiten, die nur für „Ausschnitte“ des Unternehmens gelten.
Diese Bereichsziele beziehen sich v. a. auf einzelne strategische Geschäftseinheiten
(SGE) des Unternehmens. Häufig sind Unternehmen in SGE mit eigener Gewinnund Verlustverantwortung unterteilt, für die individuelle Ziele festgelegt werden
müssen (s. Kap. 4.1.2). Daneben können sich die Bereichsziele auf einzelne Unternehmensfunktionen (Personal, Finanzen, Produktion usw.) beziehen. Ein Funktionalziel im Bereich der Finanzen könnte die Senkung der Fremdkapitalkosten (z. B.
Darlehenskosten) darstellen (Grant u. Nippa 2006, S. 84 f.). Ein Bereichsziel in der
Funktion Personal könnte dagegen in der Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit
bestehen.
Unterhalb der Bereichsziele sind schließlich auf noch konkreterer Ebene Unterziele für einzelne Maßnahmen und Maßnahmenbereiche des Unternehmens zu
definieren. Speziell im Marketing sind diese Unterziele als Instrumentalziele zu
verstehen, die sich auf bestimmte Marketing-Maßnahmen innerhalb der einzelnen Instrumente im Marketing-Mix beziehen (d. h. Maßnahmen im Bereich der
Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik). Diese Instrumentalziele
haben kurzfristigen Charakter und sind in großer Zahl zu definieren (im Kontrast
zu den wenigen langfristigen Unternehmenszielen). Sie stellen die Leitpunkte dar,
4.4 Definition von Marketingstrategien
157
an denen sich die Ergebnisse der zahlreichen verschiedenen Einzelmaßnahmen im
„Unternehmensalltag“ messen lassen. Die prozentuale Antwortquote auf ein bestimmtes Kunden-Mailing, die erzielte Absatzmenge im Rahmen einer konkreten
Sonderpreisaktion oder der Bekanntheitsgrad einer einzelnen Werbekampagne in
der anvisierten Zielgruppe sind typische Instrumentalziele im Marketing.
4.3.2
Praktische Anforderungen an die Formulierung von
Marketingzielen
Ziele haben eine zentrale Funktion im Planungsprozess jedes Unternehmens. Ohne
Ziele kann nach Realisierung der beschlossenen Strategien und Maßnahmen keine
Erfolgskontrolle durchgeführt werden, da dann kein Maßstab für die Erfolgsbeurteilung vorhanden ist. Ziele haben zudem unternehmensintern eine wichtige Steuerungsfunktion, weil sie das Handeln aller Organisationsmitglieder „gleichrichten“
und in eine gemeinsame (und dabei die erwünschte) Richtung lenken. Sie können
dabei auch eine erhebliche Motivationswirkung für die Mitarbeiter entfalten. Damit
Ziele als Grundlage der Erfolgskontrolle dienen und ihre interne Steuerungs- und
Motivationsfunktion entfalten können, müssen sie jedoch in geeigneter Weise formuliert werden. Die Aussage „Wir möchten unseren Marktanteil steigern“ hat zwar
bspw. für das Tiefkühlpizza-Sortiment eines Konsumgüterherstellers auf den ersten
Blick den Charakter eines Ziels. Dieses ist jedoch nicht „operational“ formuliert, d. h.
seine Erreichung kann nicht eindeutig kontrolliert und passende Maßnahmen nur bedingt daraus abgeleitet werden. Eine operationale Zielformulierung muss drei Zielaspekte konkret und unzweideutig benennen (Raffée 1974, S. 121):
1. Zielinhalt: Was soll konkret erreicht werden? („Steigerung des wertmäßigen Marktanteils im deutschen Endverbrauchermarkt für TK-Pizzas incl.
Bio-Produkte“)
2. Zielausmaß: Zu welchem Ausmaß soll dies erreicht werden? („Steigerung von
7 auf 9 Prozentpunkte“)
3. Zeitlicher Bezug: Bis wann soll dies erreicht werden? („Bis zum Ende des
Geschäftsjahres 2011“)
4.4
Definition von Marketingstrategien
4.4.1
Grundlagen der Strategieplanung
4.4.1.1
Charakter und Herausforderungen der Strategieplanung
Nach der Definition strategischer Ziele, also der Aussage darüber, was erreicht werden soll, sind Strategien zu definieren und damit grundlegende Aussagen darüber,
158
4 Strategisches Marketing
wie dies erreicht werden soll. Die Festlegung von strategischen Zielen und von
strategischen Handlungsprogrammen ist somit immer als „logisches Doppel“ zu
sehen, das untrennbar zusammengehört – eine Zieldefinition ohne nachfolgende
Strategiedefinition ist unternehmerisch ebenso nutzlos wie eine Strategiedefinition,
die nicht auf einer systematischen Zielplanung aufbaut.
Eine Strategie lässt sich allgemein definieren als eine längerfristige Grundsatzentscheidung über zielorientiertes Unternehmenshandeln. Strategien legen also im
Grundsätzlichen fest, wie sich das Unternehmen verhalten möchte, um seine gesteckten Ziele zu erreichen. Eine klassische Strategieentscheidung im Marketing ist
etwa die Frage, ob ein Unternehmen den gesamten Markt in seinem Produktbereich
bearbeitet (wie im Markt für Colas z. B. Coca-Cola) oder ob es sich auf bestimmte
Kundensegmente konzentriert (wie z. B. die Marken Afri Cola oder Fritz Cola, die
nur ausgewählte, junge Trend-Zielgruppen im Cola-Markt ansprechen). Strategien
geben damit einen Orientierungspunkt und einen Handlungskorridor für die zahlreichen Einzelmaßnahmen im unternehmerischen Alltag vor. Wenn bspw. die Entscheidung zu treffen ist, in welchen Medien eine konkrete Werbeanzeige geschaltet
wird, trifft Coca-Cola andere Entscheidung (Nutzung von Massenmedien) als Afri
Cola oder Fritz Cola (Nutzung spezieller Medien, in welchen die angestrebte Zielgruppe gut erreicht wird, z. B. Szenemagazine).
Die Festlegung von Strategien findet auf unterschiedlichen Ebenen statt, wie in
Kap. 4.1.3 erläutert wurde. Die verschiedenen logischen Ebenen, auf denen Strategien geplant werden, entsprechen dabei direkt den Ebenen der Zielplanung. Auf der
Ebene des Gesamtunternehmens werden also Unternehmensstrategien festgelegt,
die darauf ausgerichtet sind, die globalen Unternehmensziele zu erreichen. Analog
dazu gibt es Bereichsstrategien (v. a. für einzelne strategische Geschäftseinheiten
des Unternehmens) zur Erreichung der Bereichsziele und Instrumentalstrategien
zur Erreichung der Instrumentalziele.
4.4.1.2
Relevante Strategiefelder
Die Strategieplanung ist eine sehr anspruchsvolle unternehmerische Aufgabe, welche im Wesentlichen über Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens (bzw. Geschäftsbereichs) am Markt entscheidet. Der Prozess der Strategiefindung für
Unternehmen, Geschäftsbereiche und Instrumente ist ein komplexer Ablauf, der
nicht standardisierbar ist (Mintzberg u. Waters 1985). Er hat einerseits ein stark rational-analytisches Element, insbesondere mit Blick auf die systematische Analyse
und Verarbeitung eines umfassenden Informationskatalogs v. a. über Kunden, Wettbewerber, Umfeld und das eigene Unternehmen. Andererseits haftet ihm auch ein
ausgeprägtes intuitiv-kreatives Element an. Die Ressourcenausstattung und strategische Gesamtlage jedes Unternehmens ist derart individuell, dass sich keine „automatischen“ Regeln zur Strategiedefinition festlegen lassen. Bei der Festlegung der
Strategie kann das Management daher nicht z. B. auf ein bestimmtes Planungsverfahren zurückgreifen, das die „beste“ Strategie „automatisch“ ermittelt. Die Histo-
4.4 Definition von Marketingstrategien
159
rie des Unternehmens, die „unternehmerische Handschrift“ des Management und
die vorherrschende Kultur im jeweiligen Unternehmen (welche z. B. mehr oder weniger risikofreudig ist) üben dabei einen großen Einfluss auf die Strategiefindung
aus.
Um die Aufgabe der Strategiedefinition dennoch systematisch anzugehen, ist es
daher hilfreich, sich zunächst die einzelnen Aufgabenfelder der Strategieplanung
zu vergegenwärtigen. Es lassen sich vier wichtige Bereiche identifizieren, in denen
eine Strategieplanung des Unternehmens vonnöten ist.
Kundengerichtete Strategien
Der i. d. R. wichtigste Bereich der Marketing-Strategieplanung ist die Festlegung
der kundengerichteten Strategien, also die Antwort auf die Frage, wie sich das
Unternehmen gegenüber seinen Kunden verhalten soll. Die Frage bspw., ob der
Absatzmarkt als Ganzes bearbeitet werden soll (wie z. B. bei Coca-Cola) oder ob
nur bestimmte Kundensegmente angesprochen werden sollen (wie z. B. bei Afri
Cola), gehört zu den zentralen Fragen der Kundenstrategie. Welche strategischen
Entscheidungen sich hier konkret ergeben, wird im folgenden Abschnitt erläutert.
Wettbewerbsgerichtete Strategien
Neben den Kunden spielen auch die Wettbewerber eine wichtige Rolle in der Strategieplanung. Die zentrale Frage ist hier, wie sich das Unternehmen gegenüber den
Unternehmen verhalten soll, mit denen es um Kunden konkurriert. Eine mögliche
Strategie ist hier eine (u. U. recht aggressive) „Angriffsstrategie“, welche direkt
auf den Kundenstamm des Wettbewerbers abzielt und auch vergleichende Werbung
nicht scheut. Historisches Beispiel ist hier der heftige „Cola War“, der in den 1980er
und 1990er Jahre v. a. in den USA zwischen Coke und Pepsi ausgetragen wurde. Als
Gegenpol kann eine weit gehende Kooperationsstrategie verfolgt werden, welche
versucht einen ruinösen Wettbewerb zu verhindern, um allen Unternehmen eine
„auskömmliche Existenz“ zu sichern. Als Beispiel kann auf dem deutschen Markt
die Abstimmung zwischen den großen Mineralölkonzernen hinsichtlich der Kraftstoffpreise in einer Region gelten, welche einen intensiveren Preiswettbewerb verhindert. Zwischen diesen beiden Endpolen der Wettbewerbsstrategie sind weitere
Abstufungen möglich, die jeweils unterschiedliche Grade an Angriff bzw. Kooperation bedeuten. Ein „dritter Weg“ besteht im Versuch, einem Wettbewerbsverhältnis
auszuweichen, indem sich das Unternehmen auf Marktnischen spezialisiert, die von
den übrigen Wettbewerbern nicht (intensiv) bearbeitet werden. So hat das Unternehmen Fuji große Erfolge mit Kopiergeräten bei Kleinunternehmen verbuchen
können, die vom Branchenführer Xerox keine intensive Betreuung erfuhren.
Absatzmittlergerichtete Strategien
Je nach Branche können auch Absatzmittler und hier v. a. Handelsunternehmen eine
sehr gewichtige Rolle in der Strategieplanung spielen. Typisch ist dies in Deutschland u. a. im Konsumgütermarketing. Der Lebensmittel-Einzelhandel wird von großen Handelskonzernen mit hoher Nachfragemacht (z. B. Edeka-Konzern, MetroKonzern) dominiert, die starken Einfluss auf die Konsumgüterhersteller ausüben
und deren Handlungsfreiheit im Marketing z. T. erheblich einschränken. Auch mit
160
4 Strategisches Marketing
Blick auf den Handel gibt es verschiedene Strategien zwischen den Polen „Konfliktstrategie“ und „Kooperationsstrategie“, die in der Marketingpraxis beide recht
verbreitet sind. Der Weg der „Ausweichstrategie“ entspricht hier dem Direktvertrieb (z. B. über das Internet oder Factory Outlets), welcher die Abhängigkeit vom
Handel gänzlich vermeidet. Das Efficient Consumer Response-Konzept, eine heute
oft praktizierte Kooperationsform zwischen Hersteller und Handel, wird in Kap. 8
„Vertriebspolitik“ genauer vorgestellt.
Stakeholdergerichtete Strategien
In Kap. 1 wurde verdeutlicht, welche hohe Macht Stakeholder in Gesellschaft und
Umfeld auf ein Unternehmen ausüben können (Medien, Politiker, Institutionen des
Verbraucherschutzes, Umweltorganisationen usw.). Auch bezüglich dieser Stakeholder stellt sich somit die Frage der geeigneten Unternehmensstrategie. Die Verhaltensoptionen liegen hier ebenfalls zwischen den Polen „Angriff“ und „Kooperation“. Eine reine Angriffsstrategie ist dabei in den meisten Fällen risikoreich, da bei
einer offenen Konfrontation bspw. mit Naturschutzorganisationen wie Greenpeace
das Risiko vom Imageschäden ausgesprochen hoch ist. Auf Seiten der Kooperationsstrategien gibt es verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit kritischen Stakeholdern. Am weitesten geht dabei die „Kooptationsstrategie“, welche
Vertreter dieser kritischen Stakeholder zu „Mitgliedern“ der eigenen Organisation
macht (Sydow 1995). So hat bspw. die SCHUFA Holding AG, ein Unternehmen,
das von vielen Stakeholdern sehr kritisch beobachtet wird, im Jahr 2008 einen Verbraucherbeirat gegründet, in dem u. a. Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Verbraucherschutz vertreten sind. Auch eine Ausweichstrategie ist umsetzbar, indem
sich das Unternehmen ein Betätigungsfeld sucht, in dem der Einfluss kritischer
Stakeholder möglichst gering ist. Die Konsequenz könnte hier etwa die Konzentration auf das Business-to-Business-Geschäft und der Verzicht auf eine Vermarktung
an private Endkunden sein, da im Business-to-Business-Bereich das Risiko bspw.
einer öffentlichen Negativdiskussion mit Boykottaktionen seitens der Kunden in
vielen Branchen deutlich geringer ist.
Da die kundengerichtete Strategie i. d. R. den bedeutendsten und auch inhaltlich vielschichtigsten Aspekt der Strategieplanung darstellt, konzentrieren sich die
folgenden Ausführungen auf dieses zentrale Strategiefeld.
4.4.1.3
Systematisierung kundengerichteter Marketingstrategien
Die Kunden sind i. d. R. die wichtigste Personengruppe, die über Erfolg und Existenz eines Unternehmens entscheidet. Das erfolgreiche Überleben des Unternehmens hängt davon ab, ob es dem Unternehmen langfristig gelingt, genügend Kunden zum Kaufakt zu bewegen. Das Verhalten des Unternehmens gegenüber seinen
Kunden, d. h. die Definition der kundengerichteten Strategie ist daher für die meisten Unternehmen das wichtigste Feld der Strategieplanung.
Allgemein gilt, dass Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Strategieoptionen offen steht, mit denen sie am Markt gegenüber ihren Abnehmern auftreten
können. Es gab daher in der betriebswirtschaftlichen Literatur relativ frühzeitig Be-
4.4 Definition von Marketingstrategien
161
strebungen, diese Vielfalt an Alternativen modellmäßig zu kategorisieren. Partielle
Ansätze hierzu lieferten etwa Ansoff (1966) oder Porter (1980), mehrdimensionale
Ansätze im deutschsprachigen Raum entwickelten u. a. Becker (2006) und Meffert
et al. (2008). Allerdings herrscht bis heute weder in der unternehmerischen Praxis
noch in der wissenschaftlichen Fachliteratur Einigkeit in der Frage, welche konkreten Dimensionen bzw. Inhalte die Planung der Kundenstrategie abdecken sollte.
Es gibt keinen in Marketingwissenschaft oder -praxis allgemein etablierten Ansatz,
um die einzelnen in diesem Zusammenhang relevanten Planungsfragen zu erfassen
und zu systematisieren. Inhaltlich spielen jedoch regelmäßig fünf Teildimensionen
bei der Definition der Kundenstrategie eine Rolle (s. Abb. 4.18). In den folgenden
Abschnitten werden diese fünf zentralen Dimensionen der kundengerichteten Marketingstrategie näher erläutert.
1. Definition des Marktfelds
Die Marktfelddefinition setzt sich mit der fundamentalen Frage auseinander, aus
welchen Quellen der Umsatz des Unternehmens gesichert bzw. ausgebaut werden
soll. Ist dies im Rahmen der bestehenden Geschäftstätigkeit möglich oder sollen
neue Produkte und/oder neue Zielgruppen entwickelt werden? Strategieoptionen
sind hier Marktdurchdringung (bestehende Produkte für bestehende Zielgruppen), Produktentwicklung (neue Produkte für bestehende Zielgruppen), Marktentwicklung (neue Zielgruppen für bestehende Produkte) und Diversifikation
(neue Produkte für neue Zielgruppen).
1. Definition Marktfeld
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
5. Definition
Markt-Timing
Produktentwicklung
international
Diversifikation
national
Pionier
regional
Früher
Folger
2. Geografische
Marktdefinition
Später
Folger
Nischenstrategie
PreisführerStrategie
QualitätsführerStrategie
Marktsegmentierungsstrategie
Massenmarktstrategie
4. Definition
Wettbewerbsvorteil
Abb. 4.18 Dimensionen der kundengerichteten Marketingstrategie
3. Definition
Marktabdeckung
162
4 Strategisches Marketing
2. Geografische Marktdefinition
Eine weitere Grundsatzfrage ist die Entscheidung über das geografische Betätigungsfeld des Unternehmens. Das Unternehmen steht hier vor den Grundoptionen,
seinen Kundenkreis regional, national oder international zu definieren.
3. Definition der Marktabdeckung
Ein zentrales Element der Kundenstrategie ist weiterhin die Festlegung, ob der gesamte relevante Markt bearbeitet werden soll oder ob nur Ausschnitte des Marktes,
d. h. bestimmte Kundensegmente bearbeitet werden sollen. Eng damit verknüpft
ist die Frage, ob – bei einer Bearbeitung des Gesamtmarktes oder größerer Teile
davon – ein „Einheitsmarketing“ für alle Zielgruppen betrieben wird oder ob unterschiedliche Zielgruppen auch auf unterschiedliche Weise angesprochen werden
sollen. Daraus resultieren die drei Strategieoptionen der Massenmarktstrategie
(Bearbeitung des Gesamtmarktes bzw. großer Teile davon mit einem standardisierten „Einheitsmarketing“), der Marktsegmentierungsstrategie (Bearbeitung
des Gesamtmarktes oder größerer Teile davon mit unterschiedlichen Marketingprogrammen für unterschiedliche Zielgruppen) und der Nischenstrategie (Konzentration auf eine Teilzielgruppe des Gesamtmarktes mit einem bestimmten Marketingprogramm).
4. Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils
Ein sehr zentraler Aspekt der Strategiedefinition ist die Frage, worin inhaltlich der
zentrale Wettbewerbsvorteil des eigenen Marktangebots aus Kundensicht liegen
soll. Als strategische Grundoptionen ergeben sich hier zum einen die PreisführerStrategie (d. h. der zentrale Kundennutzen liegt in der Preiskomponente des eigenen Marktangebots; „Billiger“-Strategie) und zum anderen die QualitätsführerStrategie (d. h. der zentrale Kundennutzen liegt in der Leistungskomponente des
eigenen Marktangebots; „Besser“-Strategie).
5. Definition des Markt-Timings
Nachdem der zentrale Wettbewerbsvorteil definiert wurde, ist zu entscheiden, in
welcher Marktphase das Unternehmen auf den Markt treten möchte. Viele Märkte
sind heute geprägt von einer starken Dynamik mit hohen Innovationsraten hinsichtlich neuer Produkte. Auf diesen Märkten ist es eine zentrale Strategieentscheidung, wie sich das Unternehmen mit seinen Leistungen in zeitlicher Sicht
gegenüber seinen Kunden positioniert (wobei diese Strategiedimension auch enge
Bezüge zur wettbewerbsgerichteten Strategie hat; s. o.). Grundlegende Strategieoptionen sind hier die Pionierstrategie (Unternehmen ist Innovator in einer Branche), die Früher-Folger-Strategie (Unternehmen kopiert Innovationen des Pioniers ohne großen Zeitabstand) und die Später-Folger-Strategie (Unternehmen
kopiert Brancheninnovationen, nachdem diese sich im Markt etabliert haben.)
Diese fünf Dimensionen der kundengerichteten Strategie bauen tendenziell
aufeinander auf. Die ersten drei Strategiedimensionen (Definition von Marktfeld,
Marktgeografie und Marktabdeckung) legen fest, welche Bereiche Gegenstand der
Unternehmenstätigkeit sein sollen. Sie definieren Aspekte der Marktwahl und haben daher den Charakter von Marktwahlstrategien (s. a. Meffert et al. 2008). Die
4.4 Definition von Marketingstrategien
163
Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils sowie die Timing-Strategie bauen darauf auf und legen fest, wie die ausgewählten Märkte und Marktsegmente bearbeitet
werden. Sie haben somit den Charakter von Marktbearbeitungsstrategien.
4.4.2
Marktfeldstrategien
4.4.2.1
Inhalt und Zweck der Definition von Marktfeldstrategien
Ein zentraler strategischer Entscheidungsbereich für Unternehmen besteht in der
Festlegung bzw. Weiterentwicklung des eigenen Leistungsprogramms. Auf der
Grundlage der Unternehmens- und Marketingziele ist dabei zunächst zu prüfen, ob
mit dem aktuellen Marktangebot die Erreichung der gesteckten Ziele gewährleistet
ist. Ist dies nicht der Fall, kann also bspw. der angestrebte Umsatz oder Gewinn
nicht erzielt werden, besteht eine „Ziellücke“ zwischen Soll- und Ist-Entwicklung
eines Unternehmens. Wenn in dieser Situation die Ziele nicht aufgegeben oder nach
unten korrigiert werden sollen, müssen neue strategische Alternativen gesucht werden. Zur Strukturierung dieser Suche kann die Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff
(1966) herangezogen werden, welche die vier Grundoptionen der Marktfeldstrategie verdeutlicht (s. Abb. 4.19).
1. Marktdurchdringung: Das Unternehmen beschränkt sich darauf, mit dem
gegenwärtigen Produkt den gegenwärtigen Markt zu bedienen.
2. Marktentwicklung: Das Unternehmen setzt darauf, das gegenwärtige Produkt
auf neuen Märkten zu vermarkten.
3. Produktentwicklung: Das Unternehmen entwickelt neue Produkte, um damit
die Nachfrager im gegenwärtigen Markt zusätzlich anzusprechen.
4. Diversifikation: Das Unternehmen entwickelt neue Produkte, um damit bisher
nicht bearbeitete Märkte zu erschließen.
Während bei den ersten drei Produkt/Markt-Kombinationen (Marktdurchdringung,
Marktentwicklung und Produktentwicklung) die strategischen Gemeinsamkeiten
zwischen altem und zukünftigem Marktangebot klar erkennbar sind (etwa im Sinne
gemeinsamer Vertriebsmethoden, Herstellprozessen oder Zielgruppen), ist bei der
Märkte
Produkte
gegenwärtig
neu
gegenwärtig
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
neu
Produktentwicklung
Diversifikation
Abb. 4.19 Grundlegende Optionen der Marktfeldstrategie (i. Anl. an Ansoff 1966, S. 132)
164
4 Strategisches Marketing
Diversifikation die „gemeinsame Linie“ weniger deutlich und „in der Regel schwächer als bei den ersten drei Alternativen“ (Ansoff 1966, S. 132). Das Unternehmen
betritt bei der Diversifikation also völliges Neuland, da weder mit dem Markt noch
mit dem Produkt Erfahrungen vorliegen.
Ansoff und die Autoren, die sich auf ihn beziehen, haben die Bestimmung der
Produkt/Markt-Kombinationen durchweg unter dem Aspekt der Erzeugung von
Wachstum für Unternehmen betrachtet. Die Matrix hat jedoch auch bei schrumpfendem Absatz Relevanz: Gerade für Unternehmen in stagnierenden Märkten sind
die Strategien der Markt- oder Produktentwicklung von höchster Bedeutung (Kotler
et al. 2007, S. 109).
4.4.2.2
Marktdurchdringungsstrategie
Die Strategie der Marktdurchdringung ist dadurch gekennzeichnet, dass mit
gegenwärtigen Produkten ein höherer Absatz auf gegenwärtigen Märkten angestrebt wird. Die Marktdurchdringung ist die erste logische Strategierichtung eines
Unternehmens, denn sie knüpft an vorhandenen Marktreserven an, d. h. bisher
nicht ausgeschöpften Potenzialen des bisherigen Produktes auf dem bisherigen
Markt. Die Ausschöpfung gegenwärtiger Märkte mit gegenwärtigen Produkten
kann auf unterschiedliche Art und Weise erreicht werden (s. a. Kotler et al. 2007,
S. 106f.):
Erhöhung der Verwendungsrate: Eine Erhöhung bzw. Intensivierung der
Produktverwendung bei bestehenden Kunden kann auf vielfältige Weise erfolgen.
Möglichkeiten sind bspw. die Konsumsteigerung durch Beschleunigung des Ersatzbedarfs (wie bei Modeartikeln), Vergrößerung der Verkaufseinheit (z. B. Familienpackungen), Erhöhung der Distribution (bspw. durch Nutzung von Tankstellen oder
Online-Handel als neue Absatzwege) oder durch Verstärkung der Marketingkommunikation.
Gewinnung von Kunden der Wettbewerber: Hier können Produktverbesserungen, geänderte Kommunikationsstrategien (welche die Vorteile des Angebots
gegenüber Wettbewerbsprodukten herausstellen), preispolitische Maßnahmen oder
das zusätzliche Angebot der eigenen Produkte in den Vertriebskanälen der Wettbewerber genutzt werden (so kann ein PC-Hersteller einen Direktvertrieb einrichten,
um dem Wettbewerber Dell Kunden streitig zu machen, der ausschließlich diesen
Vertriebskanal nutzt).
Erschließung von Nicht-Nutzern: Hier geht es insbesondere darum, Handlungsblockaden abzubauen, welche bisherige Nicht-Verwender der Produktgattung
von Kauf bzw. Nutzung des Produkts abhalten. Neben Testangeboten für Produkte
(z. B. ein kostenloses Kurz-Abonnement für bisherige Nichtleser einer Tageszeitung) spielen auch hier oft veränderte Kommunikationsstrategien eine Rolle (um
z. B. zu verdeutlichen, dass Bio-Nahrungsmittel nicht „langweilig“ schmecken
müssen und so neue Kundenkreise zu erschließen). Daneben lassen sich ggf. auch
durch die Nutzung bislang vernachlässigter Absatzkanäle bisherige Nicht-Verwender besser erreichen (z. B. Online-Vertrieb).
4.4 Definition von Marketingstrategien
4.4.2.3
165
Marktentwicklungsstrategie
Die Strategie der Marktentwicklung fußt auf dem Prinzip, bereits existierende Produkte auf einem oder mehreren neuen Märkte einzuführen. Mit dieser Strategie
wird versucht die bisherigen Marktgrenzen für Produkte aufzubrechen, also ein bestehendes Produkt auch in anderen bisher nicht genutzten Märkten zu etablieren.
Die Marktentwicklung kommt v. a. für Unternehmen in Frage, deren Position sich
auf bestehenden Märkten nicht mehr verbessern lässt und/oder mit Nachfragerückgängen aufgrund eines fortgeschrittenen Produktlebenszyklus oder neuer Technologien rechnen müssen. Die Marktentwicklungsstrategie bedeutet ein „Market Stretching“, das sich in zwei Stoßrichtungen aufgliedern lässt:
Erschließung funktionaler Zusatzmärkte („New Uses“): Hierbei geht es darum, neue Verwendungszwecke für bestehende Produkte zu identifizieren. Dies kann
durch eine Erweiterung der Produkteignung geschehen, welche in den Markt kommuniziert wird. So wird der Schokoladenriegel duplo, der zunächst v. a. zum Selbstverzehr gedacht ist, als „längste Praline der Welt“ vermarktet, die auch Gästen angeboten werden kann. Außerdem kann der Marketer neue Anwendungsbereiche für
das Produkt kommunizieren (z. B. Nutzung von Buko-Frischkäse für Backrezepte
statt nur als Brotaufstrich).
Schaffung neuer Teilmärkte („New Users“): Hierbei zielen die Maßnahmen
darauf, direkt neue Personenkreise anzusprechen, insbesondere durch Kommunikationsmaßnahmen in zielgruppenspezifischen Medien (z. B. Vermarktung von Kosmetikprodukten in Männer-Zeitschriften) oder durch die Schaffung differenzierter,
zielgruppenspezifischer Produktvarianten (z. B. die Entwicklung von Gesichtscremes speziell für Männer, wie sie Nivea praktiziert hat; S. Abb. 4.20).
Markenkommunikation 1997
Markenkommunikation 2007
Abb. 4.20 Marktentwicklung – Erschließung neuer Zielgruppen durch veränderte Kommunikation (Quelle: www.jaegermeister.de)
166
4 Strategisches Marketing
Eine der erfolgreichsten Marktentwicklungen der letzten Jahre hat die Spirituosenmarke Jägermeister verbuchen können. Bei unverändertem Produkt ist es allein
durch eine veränderte Kommunikation gelungen, das Getränk nicht mehr (nur) als
„Altherrengetränk“ zu positionieren, sondern auch für deutlich jüngere Zielgruppen
als „Party-Getränk“ attraktiv zu machen.
4.4.2.4
Produktentwicklungsstrategie
Die Strategie der Produktentwicklung besteht darin, für Märkte, auf denen das
Unternehmen bereits tätig ist, neue Produkte zu entwickeln. Hier wird also der bestehende Kundenstamm genutzt, um mit neuen Marktangeboten Umsatzpotenziale
in diesem Kundenstamm zu sichern und auszuschöpfen. Die Produktentwicklungsstrategie kennt zwei Grundformen: Die Entwicklung neuer Produktgenerationen
im Rahmen einer Innovationsstrategie sowie die Entwicklung vollkommen neuer
Produktarten im Rahmen einer Cross Selling-Strategie.
Die Innovationsstrategie beruht darauf, technologische Weiterentwicklungen
für bisher angebotene Produkte zu schaffen und am Markt anzubieten. Die Produktinnovationen können unterschiedliche Innovationsgrade aufweisen; von der fundamentalen Neugestaltung eines Produktes (bspw. Smartphones, welche Mobiltelefon
und Organizer in einem Produkt zusammenfassen) über die Verbesserung wesentlicher Produktkomponenten (wie z. B. BMW mit seinen Treibstoff sparenden „Efficient Dynamics“-Motoren) bis hin zu eher „kosmetischen“ Produktänderungen
(z. B. die Weiterentwicklung der iPod-Modelle durch Apple). Grundgedanke ist
jedoch immer die Sicherung der eigenen Marktposition durch die verbesserte Erfüllung der Kundenbedürfnisse. Angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingungen wird die Entwicklung von Produktinnovationen heute in vielen Branchen zum
zentralen Wettbewerbsfaktor, um den eigenen Kundenstamm zu halten oder auszubauen (Kotler et al. 2007, S. 106).
Die Cross Selling-Strategie zielt ebenfalls darauf ab, den vorhandenen Kundenstamm zu „nutzen“. Der Grundgedanke ist hier jedoch nicht die Schaffung eines
Kundennutzens durch technologische Innovationen, sondern die ökonomische Ausschöpfung einer bestehenden Kundenbeziehung (Homburg u. Schäfer 2001). Der
harte Wettbewerb um Kunden in stagnierenden Märkten sensibilisiert Unternehmen
zunehmend für den Wert einer etablierten Kundenbeziehung, die für „Zusatzgeschäft“ durch Cross Selling-Aktivitäten genutzt werden kann. Cross Selling-Aktivitäten finden sich in nahezu allen Branchen. Ein erfolgreiches Beispiel im Handelsbereich liefert der Discounter Aldi, der seinen Kunden mittlerweile auch u. a.
Mobiltelefon-Tarife, Fotografie-Dienstleistungen (Bildentwicklung) und Reisen
anbietet. Cross Selling ist ein wichtiges Tätigkeitsfeld des CRM und wird in Kap.
5 vertieft.
Marktfeldstrategien, die auf der Entwicklung neuer Produkte beruhen (d. h. Produktentwicklungs- und Diversifikationsstrategie) haben einen engen Bezug zur Timing-Strategie als weitere wichtige Strategieentscheidung im Marketing: Ist die
Entscheidung für ein neues Produkt gefallen, muss auch entschieden werden, in
4.4 Definition von Marketingstrategien
167
welcher Marktphase die Innovation auf dem Markt eingeführt wird (als „Pionier“,
„Früher Folger“ oder „Später Folger“; s. Kap. 4.4.5). Die konkrete Vorgehensweise
bei der Entwicklung neuer Produkte wird in Kap. 6.3.1 erläutert.
4.4.2.5
Diversifikationsstrategie
Die Diversifikationsstrategie bringt für Unternehmen den höchsten Grad neuer
Aktivitäten, da hier für das Unternehmen neue Produkte auf für das Unternehmen
neuen Märkten angeboten werden. Es geht damit um die Ausweitung des unternehmerischen Handelns in Bereiche hinein, die mit der bisherigen Tätigkeit nicht
(direkt) verknüpft sind. Es sind drei zentrale Formen der Diversifikation zu unterscheiden, die sich nach dem Grad unterscheiden, in dem die Aktivitäten „neu“ für
das Unternehmen sind:
• horizontale Diversifikation
• vertikale Diversifikation
• laterale Diversifikation
Im Rahmen der horizontalen Diversifikation erweitern Unternehmen ihr Produktprogramm in Märkte, die „neben“ ihren angestammten Märkten liegen und den
bisherigen Märkten zumindest verwandt sind. Der Übergang zur Strategie der Produktentwicklung ist damit fließend. Die horizontale Diversifikation zielt auf Märkte, die auf der gleichen Wertschöpfungsstufe wie das Stammgeschäft liegen und
dieses ergänzen. Die neuen Produkte stehen mit dem bisherigen Produktprogramm
noch in sachlichem Zusammenhang, da z. B. gleiche Werkstoffe oder verwandte
Technologien verwendet oder vorhandene Vertriebssysteme genutzt werden. Ein
illustratives Beispiel liefert der iPod: Apple entwickelte damit ein für das Unternehmen neuartiges Produkt, das mit dem bisherigen Produktportfolio nichts zu tun
hatte. Auch der avisierte Zielmarkt, in weiterem Sinne der Markt für Unterhaltungselektronik, war für Apple als klassischem Computerunternehmen mit Angeboten im
Hard- und Softwarebereich gänzlich neu.
Im Rahmen der vertikalen Diversifikation erweitern Unternehmen ihr bisheriges Tätigkeitsfeld, indem sie Produkte bzw. Leistungen anbieten, die dem bisherigen Leistungsangebot vor- oder nachgelagert ist. Die Programmtiefe kann zum
einen „nach hinten“ erweitert werden, indem vorgelagerte Produktionsstufen mit
aufgenommen werden („Rückwärtsintegration“). So hat der Hersteller hochwertiger Schokoladen Domori eigene Schokoladenplantagen erworben und produziert
eigene Schokoladenbohnen als Rohstoff anstatt diese auf dem Weltmarkt einzukaufen. Das Unternehmen kann damit auch als Händler von Schokoladenbohnen auftreten und den Rohstoff an andere Hersteller vertreiben. Zum anderen kann die Programmtiefe „nach vorne“ erweitert werden, indem nachgelagerte Produktionsstufen
mit aufgenommen werden („Vorwärtsintegration“). Viele Hersteller von Kleidung
(z. B. Trigema) haben z. B. über das Internet oder Factory Outlets eine eigene Handels-Infrastruktur aufgebaut und damit eine nachgelagerte Wertschöpfungsstufe für
sich selbst erschlossen.
168
4 Strategisches Marketing
Die laterale Diversifikation erweitert die Unternehmensaktivitäten in völlig
neue Produkt- und Marktbereiche hinein. Die neuen Produkte und Märkte haben
hier keinerlei sachlichen Zusammenhang mehr mit dem Stammgeschäft. Ein erfolgreiches Beispiel bietet der Oetker-Konzern, der nicht nur in der Nahrungsmittelindustrie tätig ist, sondern u. a. auch im Bereich alkoholische Getränke (z. B.
mit der Biermarke Jever), Bankdienstleistungen (Bankhaus Lampe) und Schifffahrt
(u. a. Reedereigruppe Hamburg Süd). Die laterale Diversifikation bietet die größten
Chancen zur Absatzausweitung und Risikostreuung, um das Gesamtunternehmen
von den Entwicklungen einzelner Märkte unabhängiger zu machen. Sie ist aufgrund
des Fehlens jeder Erfahrungen des Unternehmens in den neuen Feldern jedoch auch
mit den größten Risiken behaftet.
4.4.3
Geografische Marktdefinition
4.4.3.1
Inhalt und Zweck der geografischen Marktdefinition
Die geografische Marktdefinition betrifft die grundlegende Entscheidung darüber,
welcher örtliche Raum als Zielmarkt bearbeitet werden soll. Diese Entscheidung
ist ebenso fundamentaler Natur wie die Marktfeldstrategie des Unternehmens und
erweitert deren Überlegungen um die geografische Dimension. Die Marktfeldstrategie (s. o.) legt fest, in welchen grundlegenden Bereichen das Unternehmen tätig
sein soll, um den Umsatz zu sichern oder auszubauen, und zwar zum einen aus
personeller Sicht (alte/neue Kundengruppen) und zum anderen aus sachlicher Sicht
(alte/neue Produkte). Die geografische Marktdefinition folgt derselben Überlegung
aus räumlicher Sicht: Hier ist die Entscheidung zu fällen, ob sich das Unternehmen
auf die angestammten Markträume beschränkt oder neue Markträume erschließen
soll. Sie zeigt damit ebenso wie die Marktfeldstrategie grundlegende Stoßrichtungen zur Unternehmensexpansion auf.
4.4.3.2
Regionale, nationale und internationale Strategien
Zur geografischen Definition des Marktes für ein Unternehmen oder Geschäftsfeld
können verschiedene Kategorisierungen vorgenommen werden. Im Kern stehen
dem Unternehmen drei grundlegende Optionen offen (eine stärkere Differenzierung
der Strategieoptionen findet sich bei Becker 2006, S. 301):
• Regionale Marktbearbeitung
• Nationale Marktbearbeitung
• Internationale Marktbearbeitung
Wie der Markt eines Unternehmens geografisch zu definieren ist, hängt zunächst
stark von der Produktart ab: Es existieren Produkte, deren Märkte typischerweise
entweder ausschließlich international sind (wenn z. B. aufgrund sehr kapitalintensi-
4.4 Definition von Marketingstrategien
169
ver Produktion nur eine internationale Vermarktung ökonomisch sinnvoll ist, etwa
im Bereich Großraumflugzeuge). Ebenso existieren Produkte, deren Märkte typischerweise rein national sind (z. B. aufgrund kultureller Faktoren, etwa bei Lebensmitteln, die nur in einem bestimmten Kulturkreis verzehrt werden). Schließlich gibt
es auch rein regionale Märkte (z. B. aufgrund der Art der Produktionsprozesse, etwa
bei Dienstleistern wie (einzelne) Friseure, Handwerker oder Restaurants).
In vielen Produktbereichen findet sich jedoch eine mehrschichtige Marktstruktur, in der die Wettbewerber sowohl regionale als auch nationale und internationale Strategien der Marktbearbeitung verfolgen. Ein anschauliches Beispiel
liefert der Biermarkt: In Europa existieren zahlreiche regional tätige Brauereien, die in ihrem Heimatgebiet oftmals eine starke Marktstellung haben. Parallel
dazu finden sich in allen europäischen Ländern auch starke nationale Marken (in
Deutschland z. B. Krombacher oder Jever). Gleichzeitig sind auch internationale bzw. globale Biermarken wie Beck’s, Heineken oder Pilsner Urquell auf dem
Markt vertreten.
In solchen geografisch mehrschichtigen Märkten stehen Unternehmen zwei
grundsätzliche Stoßrichtungen zur Expansion offen:
• Horizontale Expansion (Geschäftserweiterung innerhalb einer geografischen
Schicht)
• Vertikale Expansion (Geschäftserweiterung durch Aufstieg in eine höhere geografische Schicht)
Im Rahmen der horizontalen Expansion verbleibt das Unternehmen innerhalb seiner geografischen Schicht und erweitert das Geschäftsfeld, indem es weitere Marktgebiete der gleichen Kategorie erschließt (ein regionaler Anbieter erschließt bspw.
eine weitere Marktregion). So hat die deutsche Radeberger Gruppe mit ihrer (nationalen) Stammmarke Radeberger Pilsner im benachbarten Tschechien die dort gut
etablierte (ebenfalls nationale) Marke Krušovice übernommen. Man hat auf diesem
Weg das Geschäftsgebiet ausgeweitet, ohne den grundsätzlichen Status als nationaler Anbieter aufzugeben. Sofern die neuen Absatzgebiete an das Stammgebiet
angrenzen, kann die zu schaffende logistische und vertriebliche Infrastruktur auf
Bestehendem aufsetzen und durch reine Ausdehnung geschaffen werden. Auch ist
bei der Erschließung von Nachbarmärkten oftmals schon ein Informationsfundus
über den neuen Markt vorhanden.
Die Strategie der vertikalen Expansion beruht dagegen darauf, die Geschäftstätigkeit durch „Aufstieg“ in eine höhere Marktschicht zu erweitern. Auch für diese
Strategie bietet der Biermarkt illustrative Beispiele: So hat sich bspw. die Flensburger Brauerei in den vergangenen Jahren mit der Marke Flensburger Pilsener sehr
erfolgreich von einer regionalen Marke Schleswig-Holsteins zu einer starken und
sehr bekannten nationalen Marke „heraufgearbeitet“ und damit die Marktschicht
gewechselt. Die Wachstumspotenziale dieser Strategie sind potenziell deutlich höher als bei der horizontalen Expansion. Diese Chancen werden allerdings durch
ein höheres Risiko erkauft, da die Geschäftsausweitung in eine „höhere Liga“ mit
erheblichen Investitionen und einer grundsätzlichen Neuorientierung der gesamten
Unternehmensprozesse und Marketingaktivitäten verbunden ist (so wird für eine
170
4 Strategisches Marketing
nationale Marke das Instrument der TV-Werbung evtl. zum zentralen Element der
Marketingkommunikation, die vorher überhaupt keine Option darstellte).
Die internationale Geschäftstätigkeit, sei es im Rahmen einer horizontalen wie
auch vertikalen Expansion, spielt für viele Unternehmen eine immer größere Rolle (Segler 1986). Da sich die Markt- und Marketingbedingungen für international
tätige Unternehmen von den Bedingungen regionaler und nationaler Unternehmen
stark unterscheiden, hat sich für das internationale Marketing eine eigene Marketingdisziplin herausgebildet (s. Kap. 13). Nationale Strategien der Marktexpansion
werden in der Marketingliteratur bisher dagegen kaum diskutiert oder nur unter
sehr speziellen Aspekten (z. B. mathematische Modelle zur Standortoptimierung
für Handelsunternehmen; z. B. Zimmermann 2002). Allerdings spielen Strategien
der regionalen und nationalen Markterweiterung in der Unternehmenspraxis
ebenfalls eine große Rolle. Hier stehen wachsenden Unternehmen nach Becker
(2006) drei strategischen Stoßrichtungen offen: die konzentrische, die selektive und
die inselförmige Expansion (s. Abb. 4.21).
Bei der konzentrischen Expansion erschließt das Unternehmen neue Gebiete in
der Nachbarschaft des Stammgebietes. Möglich ist dies bspw. durch Einschaltung
von Großhandelsunternehmen mit entsprechend breiterem Kundenkreis. Ebenso
kann es durch eine nicht vermeidbare Überstreuung von Werbung zu einer verstärkten Nachfrage von außerhalb des ursprünglichen Absatzgebietes und damit zu einer
Ausdehnung kommen. Die konzentrische Expansion ergibt sich oft „automatisch“
ohne bewusste Strategieentscheidung und führt i. d. R. zu einem eher langsamen
Gebietswachstum. So hat sich die deutsche Weizenbiermarke Erdinger ausgehend
von einer starken lokalen Marktposition in Bayern sukzessive nach Norden (und in
internationale Märkte) vorgearbeitet.
Bei der selektiven Expansion wird von einem Kerngebiet aus differenziert vorgegangen. Es werden dabei schrittweise neue Gebiete geschaffen, wobei man be-
Konzentrische
Expansion
(z.B. Erdinger)
Selektive
Expansion
(z. B. alnatura)
Inselförmige
Expansion
(z. B. Gosch)
Stadt 3
Stadt 2
Stammgebiet
Stadt 4
Stammgebiet
Abb. 4.21 Formen der Markterweiterung
Stadt 1
4.4 Definition von Marketingstrategien
171
wusst in Kauf nimmt, dass die Gebiete zunächst unverbunden bleiben. Die Lückenlassung ergibt sich in der Praxis meist daraus, dass es bestimmte Gebiete gibt, in
denen die Konkurrenz sehr stark oder die Zielgruppendichte zu gering ist und in der
ein Markteintritt daher nur zu unangemessen hohen Kosten möglich wäre. Der BioSupermarkt alnatura verfolgt diese Strategie, indem er nur in bestimmten Regionen
Deutschlands mit ausreichender Käuferdichte Filialen eröffnet (u. a. Rhein-NeckarRegion, Rhein-Main-Region).
Ähnlich erfolgt die Gebietsausdehnung bei der inselförmigen Expansion. Jedoch werden hierbei zunächst primär Großstädte angepeilt, in denen eine hohe Profitabilität gegeben ist und durch Pendler aus dem Umland von einer hohen Ausstrahlung in benachbarte Gebiete ausgegangen wird („Speckgürtel“ der Großstädte). Ausgehend von diesem Punkt können dann in späteren Expansionsstufen ggf.
Gebiete zwischen den ursprünglichen Inseln erschlossen werden. Die Fischrestaurant-Kette Gosch, auf Sylt beheimatet, hat im Rahmen ihrer nationalen Expansion
bspw. zunächst Filialen in Hamburg, Bremen, Berlin und Frankfurt eröffnet, um so
das urbane Zielpublikum zu erreichen und die Basis für die weitere geografische
Expansion in weitere Großstädte zu schaffen.
4.4.4
Definition der Marktabdeckung
4.4.4.1
Definition der Marktabdeckung: Inhalt und Zweck
Die Definition der Marktabdeckung baut auf den bisher diskutierten Strategiedimensionen auf: Die Definition des Marktfelds und die geografische Marktdefinition zielen darauf ab, den vom Unternehmen bzw. Geschäftsfeld anvisierten Markt
festzulegen. Die Definition der Marktsegmente beinhaltet dann die Entscheidung
darüber, welche Ausschnitte dieses Marktes wie differenziert angesprochen werden
sollen. Diese strategische Entscheidung umfasst zwei eng miteinander verwobene
Entscheidungsfelder (Freter 1983):
1. Entscheidung über den Grad der Markterfassung (Soll der ganze Markt erfasst
werden oder nur Teile davon?)
2. Entscheidung über den Differenzierungsgrad der Marktbearbeitung (Sollen
die erfassten Marktausschnitte mit einem standardisierten Marketing angesprochen werden oder sollen unterschiedliche Marktsegmente unterschiedlich angesprochen werden?)
Aus diesen beiden Fragen mit jeweils zwei Entscheidungsalternativen lassen sich
zunächst vier unterschiedliche Handlungsoptionen bilden. In der unternehmerischen
Praxis resultieren daraus drei klassische Strategietypen: die Massenmarktstrategie,
die Nischenstrategie und die Marktsegmentierungsstrategie (Abb. 4.22).
Massenmarktstrategie: Hier hat sich das Unternehmen entschieden, den ganzen relevanten Markt zu bearbeiten (oder zumindest sehr große Teile davon), und
dies mit einem einheitlichen Marketing. Der strategische Grundgedanke besteht
172
4 Strategisches Marketing
Differenzierung
undifferenziert
teilweise
Markt
2. Nischenstrategie
3. Marktsegmentierung
(3.a. Gesamtmarkt)
Markt
vollständig
Markt
1. Massenmarktstrategie
differenziert
3. Marktsegmentierung
(3.b. Teilmarkt)
Markt
Markterfassung
Abb. 4.22 Strategieoptionen im Rahmen der Marktabdeckung (i. Anl. an Freter 2008, S. 245)
hier meist darin, ein Massenprodukt anzubieten, das auf standardisierte Weise in
großen Stückzahlen und daher mit entsprechenden Kostenvorteilen produziert werden kann. Typische Unternehmen bzw. Marken mit einer Massenmarktstrategie
sind Coca-Cola, McDonald’s oder Nivea.
Nischenstrategie: Diese Strategie beruht ebenfalls auf einem „Einheitsmarketing“, fokussiert aber nur auf einen bestimmten, meist kleinen Ausschnitt des Gesamtmarktes. Sie verfolgt damit einen vollkommen anderen Grundgedanken als die
Massenmarktstrategie. Ziel ist hier typischerweise, durch die Fokussierung auf ein
bestimmtes Kundensegment ein hohes Maß an Kundenorientierung in diesem Segment zu erreichen, um in dieser Nische gegenüber Konkurrenten hohe Wettbewerbsvorteile aufzubauen (Porter 1980). Bang & Olufsen (s. Case Study „B&O“; Kap.
8.5) oder Porsche sind klassische Beispiele für Marken mit einer Nischenstrategie.
Marktsegmentierungsstrategie: Die Strategie der differenzierten Marktbearbeitung kombiniert Elemente der Massenmarkt- und der Nischenstrategie: Sie
zielt einerseits auf den Gesamtmarkt oder größere Teile davon, versucht dabei aber
durch unterschiedliche Marketingprogramme für unterschiedliche Kundengruppen
eine möglichst hohe Kundennähe zu erreichen. Volkswagen bietet ein anschauliches Beispiel für diese Strategie: Mit insgesamt sieben verschiedenen Marken im
Pkw-Bereich spricht der Automobilkonzern unterschiedlichste Kundengruppen an
und versucht so, eine breite Marktabdeckung mit Kundennähe zu verbinden.
4.4 Definition von Marketingstrategien
4.4.4.2
173
Massenmarktstrategie
Die Kernphilosophie der Massenmarktstrategie kommt bereits in ihrem Namen
zum Ausdruck: Die Strategie ist darauf ausgelegt in Produktion und Absatz möglichst hohe Stückzahlen zu erreichen. Das Kalkül hinter der Strategie ist meist durch
betriebswirtschaftliche Effizienzüberlegungen geprägt. Zum einen versuchen
Unternehmen mit einer Massenmarktstrategie, die Prozesse in Produktion, Vertrieb
und Kommunikation möglichst stark zu standardisieren und damit sehr effizient
zu gestalten. Zum anderen streben sie möglichst hohe Produktionszahlen an, um
von Erfahrungskurveneffekten zu profitieren, die ihnen – bedingt v. a. durch Lerneffekte in der Produktion – eine Senkung der Produkt-Stückkosten ermöglichen (s.
Kap. 4.2.4).
Da die Massenmarktstrategie auf eine Kostenreduktion zielt, ist sie die passende
Grundlage, um gegenüber den Kunden auf den Absatzmärkten eine preisorientierte Discount-Strategie zu verfolgen. Aldi und Ryanair etwa verfolgen in ihren jeweiligen Märkten (Lebensmittel-Einzelhandel bzw. Flugreisen) klar eine Strategie
der Preisführerschaft, die direkt auf einer Massenmarktstrategie aufbaut.
Die Massenmarktstrategie lässt Unternehmen jedoch sehr wohl auch die Option,
am Absatzmarkt nicht mit einer preisorientierten Strategie aufzutreten, sondern
Produkte im oberen Preissegment zu positionieren. Die Massenmarktstrategie stellt
vielmehr im Konsumgütermarketing gar die häufigste Strategie der großen Markenartikelhersteller dar, welche sich gerade auch durch ihren höheren Preis von preiswerten No-Name-Produkten differenzieren (präferenzorientierte Markenstrategie). Dies gilt v. a. für sehr viele Marken im Bereich der sog. Güter des täglichen
Bedarfs, auch „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG) genannt. Produkte, die
sich in diese Kategorie einordnen lassen sind bspw. Nahrungsmittel (Dr. Oetker),
aber auch Körperpflegeprodukte (Dove) oder Reinigungsmittel (Domestos). Der
Aufbau „großer Marken“ wie Nivea oder Pampers ist i. d. R. nicht ohne erhebliche
Aufwendungen für die Markenkommunikation möglich. Die Nutzung von Kommunikationsinstrumenten in der Breitenwerbung (v. a. TV- und Printwerbung in
Massenmedien) ist jedoch ökonomisch nur sinnvoll, wenn die Marke an den breiten
Markt vertrieben wird. Zudem müssen die Aufwendungen für den kommunikativen Markenaufbau und die Markenpflege auch durch die Marke selbst finanziert
werden. Dies ist nur möglich, wenn eine Produktion zu geringen Stückkosten entsprechende Spielräume schafft.
Die zentrale Chance der Massenmarktstrategie liegt also in der Realisierung erheblicher Kostenvorteile. Es sind jedoch auch Risiken der Strategie zu beachten.
Das Hauptrisiko liegt darin, dass das Unternehmen durch einseitige Konzentration
auf Kostenaspekte die Kundenorientierung aus den Augen verliert. Prominentes
Beispiel ist das Möbelhaus Ikea, wo der Kosten- und Preissenkungsdruck so weit
getrieben wurde, dass heute viele Produkte des Unternehmens eine minderwertige Verarbeitung und eine hohe Fehlerquote aufweisen, ebenso wie bspw. dünne
Papp-Verpackungen, welche einen sicheren Transport schwerer Möbelkomponenten kaum ermöglichen. Nachahmer des Massenmarktmodells können zudem evtl.
zwischenzeitlich auf modernere Produktionstechnologien als der Branchenführer
174
4 Strategisches Marketing
zurückgreifen, die eine kostengünstigere Produktion ermöglichen. Schließlich werden evtl. die wichtigen Erfahrungskurveneffekte durch Innovationen, welche das
Kernprodukt des Massenproduzenten durch ein anderes ablösen, zunichte gemacht,
und damit der zentrale Wettbewerbsvorteil des Unternehmens.
4.4.4.3
Nischenstrategie
Die Nischenstrategie zielt nicht auf den breiten Massenmarkt, sondern nur einen
(kleinen) Ausschnitt des Gesamtmarktes. Damit wird eine bestimmte, oft sehr klar
definierte Zielgruppe angesprochen, die nur eine Teilmenge des Gesamtmarktes
ausmacht. Porsche verfolgt z. B. eine klare Nischenstrategie, indem das Unternehmen nur einen sehr kleinen Teilmarkt des Automobilmarktes anspricht, dies aber
sehr konsequent. Analoges gilt etwa für Bang & Olufsen im Bereich der Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik.
Mit der Nischenstrategie verfolgen Unternehmen i. d. R. kunden- sowie wettbewerbsbezogene Ziele. Relevant sind zunächst kundenbezogene Ziele. Das Unternehmen versucht, durch die enge Fokussierung der Geschäftstätigkeit einen besonderen Vorteil zu erreichen, indem es sich mit seinen Marktleistungen sehr konsequent an einer ganz bestimmten Zielgruppe ausrichtet. Dieser Nutzen besteht meist
in einer aus Kundensicht besonders hohen Qualität der Marktleistungen, die sich
ohne Kompromisse an den Wünschen und Bedürfnissen dieser Zielgruppe orientiert. Damit verbunden ist dann typischerweise das Ziel, eine hohe Preisbereitschaft
bei der Klientel aufzubauen, die auf sehr ausgeprägten Markenpräferenzen beruht.
So kann es sich der Nischenanbieter Porsche aufgrund der sehr starken Markenpräferenzen der Zielgruppe erlauben, beim Pkw-Verkauf trotz sehr hoher Preise selbst
markentreuen Stammkäufern keinerlei Rabatte einzuräumen, obwohl die Rabattgewährung für Neuwagenkäufer auf dem Pkw-Markt derzeit faktischer Standard
ist. Es ist aber auch möglich, dass der zentrale Geschäftsvorteil, der aus der Fokussierung der Geschäftstätigkeit beruht, auf der Kostenseite zu finden ist, v. a. im
Investitionsgüterbereich (z. B. bei einem Softwareanbieter, der hoch spezialisierte
Unternehmenssoftware ausschließlich für kleine Handwerksbetriebe anbietet und
diese dadurch besonders preiswert erstellen kann, da er die Anforderungen anderer
Branchen ignorieren kann).
In der bekannten Systematik der Wettbewerbsstrategien von Porter (1996) spielt
die Frage, ob ein Unternehmen den gesamten Markt oder nur eine Marktnische bearbeitet, eine zentrale Rolle (s. Abb. 4.23). Gemäß der aufgezeigten Überlegungen
(Qualitäts- oder Kostenvorteil durch Fokussierung?) trennt er im Fall der Nischenstrategie zwischen den beiden Grundoptionen einer Kosten-Nische und einer Qualitäts-Nische, die ein Unternehmen im Zielmarkt besetzen kann.
Im Rahmen der Nischenstrategie spielen oft auch wettbewerbsbezogene Ziele eine große Rolle. Das Unternehmen versucht, eine Abschottung gegenüber dem
Wettbewerb zu erreichen, indem es für die Kunden einen relativen Qualitäts- oder
Kostenvorteil bietet, den die Konkurrenz nicht offerieren kann – diese richtet sich an
einem breiteren Markt aus und muss daher mit ihren Marktangeboten einen Kom-
4.4 Definition von Marketingstrategien
Wettbewerbsvorteil
Marktabdeckung
vollständig
(Gesamtmarkt)
teilweise
(Nischenmarkt)
175
Kostenvorteil
Einzigartigkeit aus
Kundensicht
Strategie der
Kostenführerschaft
Differenzierungsstrategie
Nischen-Strategie
Kosten-Nische
Qualitäts-Nische
Abb. 4.23 Grundoptionen der Wettbewerbsstrategie nach Porter
promiss zwischen den Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen finden. Auf diese
Weise können Unternehmen sog. Markteintrittsbarrieren schaffen, die Wettbewerbern das Eindringen in das Geschäftsfeld des Nischenanbieters erschweren.
Zentral bei der Nischenstrategie ist die Identifikation lohnender Teilmärkte, d. h.
die Entwicklung von Marktnischen oder Marktlücken. Eine Marktnische ist ein
Marktsegment, in dem zwar bisher bereits Produkte angeboten werden, ein Teil der
Kunden bisher aber nur auf Lösungen zurückgreifen kann, die aus ihrer Sicht unbefriedigend sind. Ein sehr erfolgreiches Beispiel für die Erschließung einer Marktnische liefern die Aida-Kreuzfahrten. Das Touristik-Produkt „Kreuzfahrt“ war lange
Zeit ein „konservatives Senioren-Produkt“, das von „steifen Regeln“ geprägt war.
Aida hat mit zunächst einem Schiff ein jüngeres Kundensegment angesprochen,
das ein zwangloseres Miteinander und andere Freizeitaktivitäten an Bord bevorzugt. Dieser Schritt war so erfolgreich, dass sich diese Marktnische mittlerweile
zu einem eigenen großen Teilmarkt entwickelt hat, der von Aida sehr erfolgreich
bedient wird. Eine Marktlücke dagegen ist ein Marktsegment, das bisher gar nicht
bedient wird, in dem aber latent Nachfrage besteht. Nokia hat bspw. mit der Marke
Vertu einen kleinen, aber sehr profitablen Markt für extrem hochwertig verarbeitete
Mobiltelefone geschaffen, die eher als Schmuckstück positioniert sind (die VertuModelle kosten teilweise sechsstellige €-Beträge).
Die Chancen der Nischenstrategie liegen wie verdeutlicht v. a. in der Schaffung von Preisbereitschaft bei den Kunden und der Abschottung vom Wettbewerb.
Die Strategie ist jedoch auch mit Risiken verknüpft. So können Wettbewerber, die
eine Massenmarktstrategie verfolgen, im Laufe der Zeit durch Erfahrungskurveneffekte u. U. so hohe Kosten- bzw. Preisvorteile aufbauen, dass der Qualitätsvorteil
des Nischenanbieters für Kunden an Bedeutung verliert. Zudem können sich die
Produkte der konkurrierenden Massenmarktanbieter zunehmend an die Produkte des Nischenanbieters angleichen, wodurch dessen relativer Vorteil ausgehöhlt
wird (wenn z. B. traditionelle Kreuzfahrt-Anbieter ihre Produkte dem erfolgreichen Aida-Modell annähern; s. o.). Weiterhin kann es v. a. bei sehr hohem Erfolg
des Nischenanbieters passieren, dass sich die Marktnische zu einem Breitenmarkt
entwickelt, der Raum für eine größere Zahl an Wettbewerbern lässt. So hat der
ursprüngliche Nischen-Monopolist Bionade mittlerweile mit einer hohen Zahl an
176
4 Strategisches Marketing
Wettbewerbs-Imitaten zu kämpfen (s. Case Study „Bionade“; Kap. 6.5). Außerdem
können Wettbewerber auftreten, die mit noch spezielleren Nischenkonzepten noch
höhere Kundenvorteile erzielen als der ursprüngliche Nischenanbieter. Dies ist etwa
zu beobachten im stark wachsenden Bio-Markt, wo sich bspw. mit Produkten aus
demeter-Landwirtschaft oder „friedfertigem Landbau“ mittlerweile „Sub-Nischen“
innerhalb der Bio-Nische entwickelt haben.
4.4.4.4
Marktsegmentierungsstrategie
Die Strategie der Marktsegmentierung kann als „multiplizierte Nischenstrategie“
verstanden werden. Hier wird zwar der gesamte relevante Markt oder ein großer
Ausschnitt davon durch das Unternehmen bzw. die Geschäftseinheit bearbeitet.
Man versucht jedoch im Gegensatz zur Massenmarktstrategie, alle wichtigen Kundengruppen mit ihren jeweiligen spezifischen Bedürfnissen auf diesem Markt
zu identifizieren und diese verschiedenen Kundengruppen auch mit jeweils verschiedenen Marketingprogrammen möglichst gut anzusprechen (Rennhak u. Kesting 2008). Man versucht so die Vorteile der Massenmarktstrategie (breite Marktabdeckung, Kostenvorteile) mit den Vorteilen der Nischenstrategie (Kundennähe)
zu verbinden. Ein illustratives Beispiel im Lebensmittelbereich liefert der UnileverKonzern, der in Deutschland mit insgesamt sieben Margarinemarken vertreten ist,
die jeweils unterschiedliche Kundensegmente ansprechen sollen (Rama, Flora Soft,
Lätta, Becel, Homa Gold, Bertolli und Sanella).
Die Strategie der Marktsegmentierung spielt auf vielen Märkten eine wichtige
Rolle und gewinnt stetig weiter an Bedeutung. Die Hauptursache liegt darin, dass
sich die Nachfrage auf den modernen, dynamischen Märkten zunehmend ausdifferenziert und sich immer kleinteiligere Marktstrukturen ausbilden. Teilweise ist
sogar von einer „Zersplitterung“ der Märkte die Rede. Um auf derart fragmentierten Märkten Wettbewerbsvorteile zu schaffen, verfolgen viele Unternehmen die
Strategie der Marktsegmentierung. So machte bspw. das führende US-amerikanische Wirtschaftsmagazin BusinessWeek das „Verschwinden des Massenmarktes“
zum Titelthema (s. Abb. 4.24).
Im Rahmen einer Marktsegmentierungsstrategie stellen sich zwei zentrale Aufgaben (Freter 1983, S. 20 ff.):
1. Die Aufteilung des Marktes in verschiedene Kundensegmente (Informationsaspekt der Marktsegmentierung)
2. Die Entwicklung verschiedener Marketingprogramme für die identifizierten
Segmente, z. B. die Entwicklung unterschiedlicher Produktvarianten (Aktionsaspekt der Marktsegmentierung)
Der kritische erste Schritt im Rahmen der Marktsegmentierung ist also die Marktaufteilung. Die Segmente sollen dabei so gebildet werden, dass sie in sich jeweils
möglichst homogen sind. Untereinander sollen sie jedoch jeweils klar unterscheidbar sein. Die Kernfrage dabei ist, nach welchen Kriterien die unterschiedlichen
Kundensegmente sinnvoll gebildet werden. Unternehmen stehen eine Vielzahl von
4.4 Definition von Marketingstrategien
177
"For marketers, the evolution from mass to
micro-marketing is a fundamental change
driven as much by necessity as opportunity.
(…) The country has atomized into countless
market segments defined not only by demography, but by increasingly nuanced and
insistent product preferences. 'All the research
we're doing tells us that the driver of demand
going forward is all about products that are
'right for me' says David Martin, president of
Interbrand Corp. 'And that's ultimately about
offering a degree of customization for all.' "
BusinessWeek, 28/2004
Abb. 4.24 Trend zur differenzierten Marktbearbeitung (Quelle: Bianco 2004)
Segmentierungskriterien zur Verfügung, die sich wie in Abb. 4.25 dargestellt in
drei Kategorien fassen lassen.
Eine demografische Segmentierung ist meist vergleichsweise einfach vorzunehmen, da Unternehmen i. d. R. Grunddaten ihres Kundenstamms (Alter, Geschlecht, Wohnort etc.) zur Verfügung haben. Haushaltsendkunden werden bspw.
Segmentierungskriterien
Demografische
Kriterien
Alter
Lebensphase
Einkommen
Geschlecht
Schulbildung
Beruf
Familienstand
Soziale Schicht
Haushaltsgröße
Wohnort
usw.
Psychografische
Kriterien
Lebensstil
Persönlichkeit
Einstellungen /
Überzeugungen
Individuelle
Wertesysteme
Nutzenerwartungen
an Produkte
Bedürfnisse
Produktinteressen
Involvement
usw.
Verhaltenskriterien
Markentreue
Einkaufsstättenwahl
Impulsives vs. extensives Kaufverhalten
Mediennutzung
(Art / Häufigkeit)
Meinungsführerschaft
Beschwerdeverhalten
Produktnutzung
(Art / Intensität)
Preissensibilität
usw.
Bildung und Ansprache von Marketing-Zielgruppen
Abb. 4.25 Kriterien zur Bildung von Marktsegmenten
178
4 Strategisches Marketing
Abb. 4.26 Beispiel für demografische Marktsegmentierung nach Geschlecht (LadyCarOnline)
nach Haushaltsgröße, Einkommen, Geschlecht, Alter oder Bildung segmentiert
(z. B. Abb. 4.26). Die Rolle der demografischen Segmentierung in der Marketingpraxis ist zwiespältig. Zum einen ist sie einfach und schnell durchzuführen, die
notwendigen Daten sind meist leicht verfügbar. In bestimmten Themenfeldern kann
sie auch interessante Informationen über Zielgruppen liefern. So gibt es etwa auch
eine relativ starke positive Korrelation zwischen dem Bildungsniveau von Endverbrauchern und deren Interesse an umweltpolitischen Fragen (Kotler et al. 2007, S.
366 f.). Für zahlreiche Marketingfragestellungen ist sie jedoch zu einfach, da sich
viele Konsumenten anhand einfacher Variablen wie Alter oder Geschlecht nicht in
klar trennbare „Schubladen“ einordnen lassen, insbesondere hinsichtlich ihrer Präferenzunterschiede.
Die psychografische Segmentierung ist meist weitaus schwieriger und aufwändiger, lässt jedoch sehr verlässliche Rückschlüsse auf Produktpräferenzen zu.
Eine vergleichsweise effektive Form der psychografischen Segmentierung ist die
sog. Nutzensegmentierung („benefit segmentation“), die auf der Identifizierung
und Schließung sog. Nutzenlücken basiert (Becker 2006, S. 277 ff.). Die Benefit-Segmentierung zielt darauf ab, unterschiedliche Kundensegmente anhand ihrer
spezifischen Produktbedürfnisse zu bilden. So bevorzugen bspw. manche Konsumenten Entspannungsurlaub, andere eher einen aktivitätsreichen „Action-Urlaub“
– für jedes Segment können Reisanbieter eigene Angebote entwickeln. Die BenefitSegmentierung liefert so auch unmittelbare Ansatzpunkte zur Identifizierung von
Marktlücken und Marktnischen (s. Kap. 4.4.4.3).
Bei der verhaltensbezogenen Segmentierung beruht die Aufteilung von Konsumenten in Gruppen auf beobachtbarem Verhalten, wie z. B. der Lieferanten- oder
Produktwahl. So werden z. B. Großpackungen für Intensivnutzer eines Produktes
angeboten, für Wenignutzer kleinere Gebinde. Eine große praktische Rolle spielt
auch die Kundensegmentierung nach dem Mediennutzungsverhalten. Da verschie-
4.4 Definition von Marketingstrategien
179
dene Marktsegmente auch jeweils über die Marketingkommunikation erreichbar
sein müssen, lassen sich so Hinweise gewinnen, welche Zielgruppen sich über welche Medien (TV, Internet, Lokalzeitung etc.) am besten erreichen lassen.
Damit eine Segmentierung sinnvoll durchgeführt werden kann, sind vier zentrale
Anforderungen der Segmentierung zu beachten:
• Verhaltensrelevanz: Die Marktsegmente müssen einen direkten oder indirekten Bezug zum Kaufverhalten haben (wenn z. B. ältere und jüngere Generationen die gleiche Marke bevorzugen, ist die Segmentierung nach Alter wenig
zweckdienlich).
• Messbarkeit: Die Marktsegmente müssen erfassbar sein, d. h. auch über Marktforschungsaktivitäten identifizierbar sein.
• Zeitliche Stabilität: Die Segmentspezifika sollen sich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht wesentlich ändern, damit sich eine differenzierte Marktbearbeitung auch ökonomisch lohnt.
• Erreichbarkeit: Die Segmente müssen auch auf differenzierte Weise bearbeitet werden können (da sie z. B. unterschiedliche Medien oder Vertriebskanäle
nutzen).
Neben den genannten Chancen sind auch die Risiken einer differenzierten Marktbearbeitung zu beachten. Als wichtigster Punkt sind hier die Kosten der differenzierten Marktbearbeitung zu nennen, die den Nutzen der gesteigerten Kundennähe überwiegen können. Eine unterschiedliche Ansprache verschiedener Kundensegmente verursacht Kosten, z. B. durch eine komplexere Produktion (Erstellung
unterschiedlicher Produktvarianten) und erhöhten Planungsaufwand. Hier ist für
jeden Markt bzw. jedes Unternehmen individuell der optimale bzw. maximale
Segmentierungsgrad zu bestimmen, ab dem eine weitere Differenzierung der Zielgruppen ökonomisch nicht mehr vertretbar ist. Unternehmen versuchen in diesem
Zusammenhang oft, trotz einer differenzierten Marktbearbeitung in der Produktion möglichst große Kostenvorteile zu erzielen. In der Automobilbranche wird
dies bspw. über eine „Plattformstrategie“ realisiert, nach der Marken v. a. psychologisch, weniger aber technisch differenziert werden. So gibt es bspw. unter den
Konzernmarken Volkswagen, Seat, Skoda und Audi jeweils Parallelmodelle, die
technisch in zentralen Komponenten identisch sind. Verallgemeinernd spricht man
von einer Mass Customization-Strategie (individualisierte Massenfertigung), die
danach strebt, eine möglichst weit gehende technische Standardisierung der Produkte und dabei dennoch eine Individualisierung der Leistungen aus Kundensicht
zu erreichen. Die Swatch-Uhr etwa wird in sehr vielfältigen Modellen angeboten,
beruht technisch jedoch auf stark standardisierten Bauteilen.
Weitere Risiken der differenzierten Marktbearbeitung liegen darin, dass (wie
bei der Nischenstrategie) der Kostenvorteil der Wettbewerber mit Massenmarktstrategie so groß werden kann, dass der Kundennutzen aus der segmentspezifischen
Kundenansprache als Wettbewerbsvorteil nicht mehr tragfähig genug ist. Zudem
ändern sich Kundenwünsche, -bedürfnisse und -segmente in Konsumgüter- wie
auch auf Investitionsgütermärkten immer schneller, so dass eine realisierte Markt-
180
4 Strategisches Marketing
segmentierung obsolet werden kann, bevor sich die Investitionen in eine differenzierte Marktbearbeitung amortisiert haben.
4.4.5
Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils
4.4.5.1
Inhalt und Zweck der Definition von Wettbewerbsvorteilen
Die bisher diskutierten Strategiedimensionen (Definition von Marktfeld, Marktgeografie und Marktsegmenten) sind den Marktwahlstrategien zuzuordnen, da sie den
grundsätzlichen Gegenstand der Unternehmenstätigkeit näher bestimmen. Die beiden im Folgenden diskutierten Strategiedimensionen (Definition von Wettbewerbsvorteilen und Definition des Markt-Timings) sind den Marktbearbeitungsstrategien
zuzurechnen, da sie näher festlegen, auf welche Weise die zuvor definierten Tätigkeitsfelder bearbeitet werden.
Die Kernfrage der Marktbearbeitungsstrategien ist die Definition des zentralen
Wettbewerbsvorteils, mit dem sich das Unternehmen am Markt positionieren möchte. Auch diese strategische Entscheidung hat zwei Perspektiven. Aus Kundenperspektive geht es um die Kernfrage, wo der Kernnutzen des Marktangebots liegt, der
den Kunden letztendlich im Wesentlichen zum Kauf motiviert. Aus Wettbewerbsperspektive geht es um die Frage, wie sich das Unternehmen mit einem Kundennutzen gegenüber den Konkurrenten abgrenzt, da der Kunde i. d. R. zwischen den
Angeboten unterschiedlicher Anbieter auswählen kann.
Damit ein etwaiger Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens als strategischer
Wettbewerbsvorteil gilt und damit zur Grundlage der Marktstrategie gemacht werden kann, muss er drei Kriterien erfüllen (Meffert et al. 2008, S. 57):
• Relevanz: Er muss einen aus Kundensicht nennenswerten Nutzen schaffen. Wettbewerbsvorteile in Bereichen, die für den Kunden nicht kaufentscheidend sind,
sind demnach nicht strategisch relevant.
• Wahrnehmung: Er muss vom Kunden als solcher wahrgenommen werden. Dieser Aspekte verweist u. a. darauf, dass Wettbewerbsvorteile nicht nur technisch
geschaffen werden müssen, sondern auch am Markt glaubwürdig kommuniziert
werden müssen.
• Nachhaltigkeit: Er darf nicht vom Wettbewerb schnell kopierbar sein. Andernfalls wäre er nicht tragfähig als Abgrenzungsmerkmal von den Konkurrenten im
gleichen Markt.
Für den Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ist die Frage zentral, welche
Potenziale und Ressourcen – im weitesten Sinne – dem Unternehmen zur Verfügung stehen, aus denen heraus Wettbewerbsvorteile entwickelt werden können. Jedes Unternehmen ist in seiner Ausstattung an strategisch relevanten Ressourcen
einzigartig: Imagepotenziale, Finanzmittel, technisches Know-how, Standortvorteile, eine bestimmte Unternehmenskultur, der Bestand an qualifizierten Mitarbeitern
usw. spielen hier eine Rolle. Es ist Kernaufgabe des strategischen Management,
4.4 Definition von Marketingstrategien
181
die verfügbaren Ressourcen derart zu nutzen und auszuschöpfen, dass das Unternehmen am Markt erfolgreich besteht (Barney 1991). Diese Herangehensweise an
die Strategieplanung richtet den Blick also nicht nur auf die Anforderungen des
Marktes, sondern auch auf die unternehmensseitigen Potenziale zu deren Erfüllung.
Diese Perspektive hat als Resource-Based View in der Managementtheorie ca. seit
Ende der 1970er Jahre (Pfeffer u. Salancik 1978; Wernerfelt 1984) einen bedeutenden Stellenwert erlangt und stellt heute einen wichtigen Grundansatz der strategischen Unternehmensführung dar.
Unternehmen schaffen es bisweilen, auf Grundlage ihrer strategischen Ressourcen Kompetenzen zu entwickeln, die über einen langen Zeitraum und über unterschiedliche Geschäftsfelder und Produktgeneration hinweg als Grundlage zur Erzielung strategischer Wettbewerbsvorteile dienen können. Derartige Kompetenzen
bezeichnet man als strategische Kernkompetenzen (Prahalad u. Hamel 1990).
Sony hat bspw. seit den 1980er Jahren eine hohe technische Kompetenz in der
Miniaturisierung von Geräten der Unterhaltungselektronik (Mobile Musikplayer,
Kameras, Notebooks etc.) entwickelt, die über rund zwei Jahrzehnte immer wieder zu bedeutenden Wettbewerbsvorteilen führte. Das Beispiel zeigt jedoch auch
die „Vergänglichkeit“ selbst strategischer Kernkompetenzen: In den vergangenen
Jahren hat Apple vergleichbare Miniaturisierungs-Kompetenzen entwickelt, so dass
Sony damit in den von Apple abgedeckten Produktfeldern seine Alleinstellung am
Markt verloren hat.
Letzten Endes geht es mit der Definition von Wettbewerbsvorteilen darum, die
Grundlage für das Zustandekommen von Kaufakten mit Kunden zu legen. Daraus
lässt sich direkt ableiten, welche Ansatzpunkte Unternehmen zur Schaffung von
Wettbewerbsvorteilen offen stehen. Da der Kaufakt einen Tausch „Ware gegen
Geld“ darstellt, kann die Vorteilhaftigkeit des Kaufaktes für den Kunden entweder aus der „Ware“-Komponente oder aus der „Geld“-Komponente resultieren. Das
Unternehmen kann den Wettbewerbsvorteil also entweder in der Leistung schaffen,
die es am Markt anbietet („Ware“) oder im Preis, den es für diese Marktleistung
verlangt („Geld“) (s. Abb. 4.27).
Aus diesen beiden Grundoptionen lassen sich die Basisstrategien zur Schaffung
von Wettbewerbsvorteilen ableiten. Die Qualitätsführer-Strategie zielt darauf,
einen Leistungsvorsprung am Absatzmarkt durch die Einzigartigkeit der Marktleistungen aus Kundensicht (Porter 1980) zu schaffen. Basis ist die besonders effektive
Erfüllung von Kundenbedürfnissen. Die Preisführer-Strategie setzt darauf, einen
Leistungsvorsprung zu schaffen, indem das Unternehmen (typischerweise durch
große Absatzmengen) einen Kostenvorteil erarbeitet, den es in eine preisorientierte
Marktstrategie umsetzt (s. a. Abb. 4.23 in Kap. 4.4.4.3).
4.4.5.2
Qualitätsführer-Strategie
Die Qualitätsführer-Strategie beruht darauf, einen Wettbewerbsvorteil in Gestalt
eines Leistungsvorteils für Kunden zu schaffen. Diese Strategie dreht sich damit
um das fundamentale ökonomische Konzept des Kundennutzens. Ansatzpunkt für
182
4 Strategisches Marketing
Kunde
Kaufakte auf
Absatzmärkten
(Wettbewerbssituation)
€
Ware
Geld
Unternehmen
Leistung
Ansatzpunkt für
strategischen
Wettbewerbsvorteil
AbsatzmarktStrategie
Preis
Funktionsqualität
Service
Schnelligkeit
Image
Herstellungsweise
Ästhetik / Erlebnis
Vertrieb
QualitätsführerStrategie
Kaufpreis
Nebenkosten
des Kaufs
Unterhaltskosten
PreisführerStrategie
Abb. 4.27 Ansatzpunkte zur Definition strategischer Wettbewerbsvorteile
die Erzielung eines Wettbewerbsvorteils können alle aus Kundensicht relevanten
Nutzendimensionen eines Produktes sein. Welche Nutzendimensionen für Kunden
kaufverhaltensrelevant sind, hängt stark von der jeweiligen Produktart ab. Zu beachten ist, dass gerade höherwertige Produkte oftmals eine mehrdimensionale Nutzenstruktur für den Kunden haben. So kann bei Pkw der Imagenutzen eine große
Rolle spielen (z. B. bei prestigeträchtigen Marken wie Mercedes), gleichzeitig aber
auch die technische Funktionsqualität des Fahrzeugs (Zuverlässigkeit, Sicherheit,
Fahrwerk etc.) oder die Qualität der Werkstatt-Dienstleistungen. Grundsätzlich lassen sich sieben Ansatzpunkte für die Schaffung strategischer Wettbewerbsvorteile
identifizieren (s. Abb. 4.27; auch Porter 1980; Mintzberg et al. 1995).
• Funktionsqualität: Dieser Aspekt zielt ab auf die Frage, wie gut das Produkt
seine Kernfunktion erfüllt. Bei materiellen Gütern wird die Funktionsqualität
v. a. bestimmt durch die Funktionsweise der technischen Komponenten, die
Qualität der verwendeten Materialien und die Verarbeitungsqualität. So hat
4.4 Definition von Marketingstrategien
•
•
•
•
•
•
183
BMW im Pkw-Markt gegenüber anderen Anbietern (auch aus dem PremiumSegment) Wettbewerbsvorteile im Bereich der Fahrwerksqualität geschaffen, die
vielen Kunden bei ihrer Kaufentscheidung sehr wichtig sind.
Service: Der Faktor „Service“ zielt auf die Dienstleistungen, welche das Hauptprodukt ergänzen und zusammen mit diesem angeboten werden. Im Bereich
Airlines hat sich z. B. Singapore Airlines eine hohe Reputation für exzellenten
Bord-Service erworben, der die Kernleistung „Transport“ ergänzt, für serviceorientierte Kundensegmente aber oft ausschlaggebend ist.
Schnelligkeit: In bestimmten Produktfeldern spielt der Aspekt der Geschwindigkeit eine große Rolle für Kunden. Dies gilt nicht nur für den Investitionsgüterbereich, wo die Schnelligkeit von Geschäftsprozessen oft zentral ist. So hat
z. B. McDonald’s in Deutschland im Bereich der Außer Haus-Gastronomie den
Markt für Fast Food überhaupt erst in der Breite erschlossen und lange Jahre als
einzige große Marke in diesem Bereich dominiert.
Image: Vor allem bei Produkten mit hoher „sozialer Visibilität“, die es einem
Konsumenten ermöglichen, „sich anderen darzustellen“, spielt der Imagenutzen
eines Produktes oft eine große Rolle. Im Bereich Uhren kann die Marke Rolex
als Beispiel dienen, im Bereich Kleidung schaffen es Marken wie Ralph Lauren
trotz oft minderwertiger Materialqualität hohe Marktpreise zu erzielen, da sie in
bestimmten Zielgruppen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Marken aufweisen, die durch das Unternehmensimage bedingt sind.
Herstellungsweise: Die Herstellungsweise eines Produktes, die dem Endprodukt oft gar nicht „anzusehen ist“, spielt als Kundennutzen heute eine immer
größere Rolle und kann ebenfalls zur Grundlage eines Wettbewerbsvorteils werden. Oft sind es ethische Aspekte, die kaufverhaltensrelevant sind, z. B. eine
ökologisch oder sozial verträgliche Produktion (etwa durch Verzicht auf Kinderarbeit). Die Biermarke Krombacher nutzt den Ökologieaspekt systematisch, um
Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es können jedoch auch anders geartete Aspekte
der Herstellungsweise sein, die zum Wettbewerbsvorteil ausgebaut werden können (z. B. beim Vollmond-Bier der Zötler-Brauerei, das ausschließlich in Vollmond-Nächten produziert wird).
Ästhetik/Erlebnis: Das sensorische Erlebnis einer Marke, u. a. geschaffen
durch einen ästhetischen Design-Ansatz, ist ebenfalls ein Aspekt, der als Wettbewerbsvorteil von Marken stark an Bedeutung gewinnt (Klee 2008). Apple ist
ein klassisches Beispiel für eine Marke, deren Wettbewerbsvorteile stark auch
von einem ausgesprochen designorientierten Gestaltungsansatz der Produkte
getragen werden.
Vertrieb: Auch Aspekte der Distribution einer Marke können zum Wettbewerbsvorteil werden (Mintzberg et al. 1995). Die Nutzung bestimmter Vertriebskanäle,
welche von den Wettbewerbern nicht genutzt werden, stellt hier den wichtigsten
Ansatz dar. So ist bspw. Avon als einzige große Kosmetikmarke ausschließlich
im Direktvertrieb erhältlich.
Sehr eng verknüpft mit der Qualitätsführer-Strategie ist die Markenpolitik des betreffenden Unternehmens. Die Markenstrategie setzt logisch auf der Strategie der
184
4 Strategisches Marketing
Qualitätsführerschaft auf: Im Rahmen der Qualitätsführer-Strategie werden zunächst die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens bzw. seiner Marktleistungen
definiert. Die Markenstrategie zielt dann darauf ab, diese Wettbewerbsvorteile als
zentrale Eigenschaften eines Unternehmens oder eines Produktes systematisch, widerspruchsfrei und nachhaltig in den Köpfen der anvisierten Zielgruppe zu verankern. Die konkrete Vorgehensweise im Rahmen des Markenmanagement wird
ausführlich im Kap. 6 „Produktpolitik“ erläutert.
4.4.5.3
Preisführer-Strategie
Die Preisführer-Strategie ist das logische Gegenstück zur Qualitätsführer-Strategie.
Der zentrale Wettbewerbsvorteil liegt hier nicht unmittelbar in der Leistung, die das
Unternehmen auf dem Markt anbietet, sondern im Preis, den der Kunde dafür entrichten muss. Grundsätzlich stehen Unternehmen drei Ansatzpunkte offen, um sich
als Kosten- bzw. Preisführer am Markt zu etablieren (wobei für das Konsumentenverhalten der erstgenannte Aspekt des Kaufpreises meist die wichtigste Rolle spielt)
(s. Abb. 4.27):
• Kaufpreis: Der Kaufpreis macht i. d. R. die Hauptkomponente des Preises aus.
Er resultiert aus dem regulären Listenpreis des Produktes abzüglich gewährter
Rabatte und Skonti. Die Automarke Dacia stellt z. B. den extrem niedrigen Listenpreis seiner Pkw (ab €7.200) in den Mittelpunkt der gesamten Markenwerbung.
• Kaufnebenkosten: Die Kaufnebenkosten umfassen alle Kosten der Kauftransaktion, die aus Anlass des Kaufs anfallen, aber nicht über den Kaufpreis abgedeckt sind. Bei einem Pkw-Kauf können u. a. erhebliche Finanzierungs- und
Überführungskosten anfallen. So hat Ford 2008 und in den Jahren davor wiederholt zinslose Pkw-Finanzierungen angeboten, um hier die Angebote der Wettbewerber zu unterbieten.
• Kosten für Unterhalt und Entsorgung: Die Unterhalts- und Entsorgungskosten
umfassen je nach Produkt unterschiedliche Posten. Bei Pkw etwa fallen während
der Produktnutzung erhebliche Versicherungs-, Wartungs- und Reparaturkosten
an. Volkswagen bietet bspw. ein „Sauber + Sorglos“-Paket für Leasing-Neuwagen an, in dem Inspektionen und Versicherungen in der Rate bereits enthalten
sind. Das Kostenrisiko für Kunden wird so minimiert.
Voraussetzung für die Erreichung der Preisführerschaft in einem Markt oder Marktsegment ist im Regelfall die Kostenführerschaft. Das unternehmerische Kostenmanagement spielt daher für diese Strategie eine zentrale Rolle. Hier zeigen sich
Verknüpfungen zu einer anderen wichtigen Strategieentscheidung, der Definition
der Marktabdeckung (Kap. 4.4.4). Sowohl im Rahmen der Massenmarktstrategie
als auch im Rahmen der Nischenstrategie spielen Kostenüberlegungen eine bedeutende Rolle. Beide Strategieformen zeigen Wege auf, den für eine Preisführerschaft
nötigen Kostenvorteil zu erreichen.
Der Weg, durch hohe Produktionszahlen Erfahrungskurveneffekte zu nutzen und
so die Stückkosten der Herstellung sukzessive zu senken, ist der „klassische“ Weg,
4.4 Definition von Marketingstrategien
185
eine Preisführer-Strategie umzusetzen (s. a. Box 4.1). In diesem Fall spricht man
von einer Preis-Mengen-Strategie (Becker 2006). Der angestrebte Kostenvorteil
muss jedoch nicht aus großen Ausbringungsmengen entstehen, sondern kann auch
im Rahmen einer Nischenstrategie erreicht werden. Es gibt durchaus die Möglichkeit, durch Spezialisierungsvorteile auch bei Bedienung nur einer kleinen Marktnische Kostenvorteile zu erlangen und so Wettbewerbsvorteile den Konkurrenten
gegenüber zu schaffen (Porter 1980). Diese Kostenvorteile beruhen dann nicht auf
Erfahrungskurveneffekten, sondern u. a. auf einer vereinfachten und damit kostengünstigeren Produktgestaltung sowie der Vermeidung von Streuverlusten in der
(Massen-) Kommunikation, welche durch die Konzentration auf ein bestimmtes
Segment erst möglich wird (s. Kap. 4.4.4).
Die Marketingpraxis zeigt, dass sich in vielen Branchen die Wettbewerber nach
der Art ihres Wettbewerbsvorteils (kosten- oder preisorientiert) klar unterscheiden
lassen. Im Automobilbereich sind dies etwa Dacia (Preis) vs. Mercedes (Qualität),
bei Fluggesellschaften bspw. Ryanair (Preis) vs. Lufthansa (Qualität), im Bereich
Biermarken z. B. Oettinger (Preis) vs. Bitburger (Qualität) oder im Handelsbereich
Unternehmen wie Aldi (Preis) vs. Edeka (Qualität).
Box 4.1
Preisführer-Strategie der Oettinger-Brauerei
(Quelle: Irle 2008; brand eins 6/2007)
Oettinger ist die absatzstärkste deutsche Brauerei. Mit rund sieben Millionen
Hektolitern im Jahr 2006 liegt sie laut der Zeitschrift „Brauwelt“, dem Zentralorgan der Branche, seit Jahren deutlich vor Konkurrenten wie Krombacher, Bitburger, Warsteiner oder Beck & Co. Der Umsatz mit dem Billigbier
- der Kasten kostet zwischen fünf und sechs Euro - wird auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt. (…) Erst große Absatzmengen machten einen solchen
Preis möglich. (…) Der Mauerfall 1989 verhalf Oettinger zum Durchbruch.
Plötzlich gab es Millionen neuer Kunden mit wenig Geld und viel Lust auf
westdeutsches Bier. (…) Jetzt erst konnte Oettinger die Biermengen produzieren, die nötig waren, um die Kosten spürbar zu senken, und es konnten
Investitionen gemacht werden, die weitere Einsparungen ermöglichten. Eine
der wichtigsten: der Kauf einer eigenen, heute 200 Fahrzeuge umfassenden
Lkw-Flotte. (…) Der eigene Fuhrpark, der Verzicht auf Werbung, die Abgabe in großen Mengen und die Konzentration auf einen einzigen Vertriebskanal sind die vier entscheidenden Elemente der Oettinger-Strategie. 46,4%
der Kosten einer durchschnittlichen Bierflasche liegen laut einer Studie der
Hopfenverwertungsgesellschaft im Vertrieb, in der Logistik und im Marketing. (…) Es fängt bei Kleinigkeiten an. So kann allein der Preis für das Etikett einer Bierflasche zwischen 0,2 Cent (für ein einfaches Papieretikett wie
bei Oettinger) und 1,4 Cent für Hochglanzetiketten mit viel Alu schwanken.
Eine individuellere Bierglasflasche kostet schnell 20 Cent, die klassische
186
4 Strategisches Marketing
0,5-Liter-Flasche, wie Oettinger sie noch benutzt, vier Cent, wenn man sie
auf dem Flaschengebrauchtmarkt kauft. Als zu hundert Prozent inhabergeführtes Familienunternehmen hat Oettinger eine flache Hierarchie, die mit
wenig Personal auskommt. Zudem ist die Brauerei durch Investitionen, etwa
in eine eigene hochmoderne Kläranlage, führend bei Energie- und Wasserverbrauchswerten. Laut „Brauwelt“ verbraucht Oettinger nicht einmal halb
so viel Wärme und Strom wie andere Großbrauereien und deutlich weniger
Wasser. Dank moderner Anlagen, verbunden mit der Beschränkung auf nahezu eine Flaschengröße und der Arbeit im Dreischichtbetrieb, arbeitet die
Brauerei extrem effizient.
© brand eins Verlags GmbH & Co. KG
Ein eher seltener, aber sehr interessanter Sonderfall sind Unternehmen, welche
es zumindest für begrenzte Zeiträume geschafft haben, eine Preis- und Qualitätsführerschaft in ihrer Branche zu verbinden. Im Automobilmarkt hatte Toyota etwa
über einen längeren Zeitraum in den 1990er und 2000er Jahren in mehreren Fahrzeugklassen sowohl aus preislicher wie aus technischer Qualitätssicht die am Markt
führenden Modelle. In diesem Fall spricht man Outpacing-Strategien (Gilbert u.
Strebel 1987).
4.4.6
Definition des Markt-Timings
4.4.6.1
Inhalt und Zweck der Timing-Strategie
Nachdem der zentrale Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens oder Geschäftsfelds
bestimmt ist, stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt das definierte Marktangebot auf den Markt gebracht werden soll. Die Frage, ob ein Unternehmen bspw. als
Innovator auftritt, der neue technologische Entwicklungen in einer Branche vorantreibt, oder eher als „Nachzügler“, der neue Produkte bzw. Technologien erst auf
den Markt bringt, wenn sie sich bewährt und etabliert haben, ist sowohl wichtig
zur Darstellung gegenüber den Kunden als auch zur Abgrenzung gegenüber den
Wettbewerbern.
Die strategische Fragestellung des Markt-Timings ist eng mit dem Konzept des
Produkt- bzw. Technologielebenszyklus verknüpft. Dieses Konzept geht davon
aus, dass Produkte bzw. Technologien ebenso wie Lebewesen einem natürlichen
Kreislauf aus Werden und Vergehen unterliegen. Das „Leben“ eines Produktes etwa
durchläuft demnach die Phasen aus Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung, Degeneration (s. Kap. 6.2.3). Das „Verscheiden“ eines Produktes in der Degenerationsphase liegt im Regelfall darin begründet, dass ein neues, weiterentwickeltes
Produkt auf den Markt tritt, welches das alte Produkt ablöst. Im Computerbereich
4.4 Definition von Marketingstrategien
187
wurde etwa das Speichermedium „Diskette“ durch das Produkt „CD“ abgelöst.
Dieses wiederum wird absehbar durch das Speichermedium „DVD“ abgelöst. Die
Timing-Strategie legt fest, in welcher Phase des Produkt- bzw. Technologielebenszyklus ein Unternehmen mit seinem Angebot auf den Markt tritt.
4.4.6.2
Pionier-, Früher-Folger- und Später-Folger-Strategie
Grundsätzlich bieten sich einem Unternehmen im Rahmen des Markteintritts drei
grundlegende Strategieoptionen (Grant u. Nippa 2006, S. 430 f.):
• Pionier-Strategie
• Früher-Folger-Strategie
• Später-Folger-Strategie
Bei der Pionier-Strategie tritt das Pionier-Unternehmen als erstes mit einem neuen
Produkt am Markt auf. Toyota hatte bspw. mit dem Modell Prius den ersten massenmarkttauglichen Pkw mit Hybridantrieb. Mit dem Auftreten des neuen Produkts am
Markt beginnt im Rahmen des Produktlebenszyklus (PLZ) die Einführungsphase
für dieses Produkt. Die Einführung einer Marktneuheit schafft temporär eine vorteilhafte Wettbewerbsposition als Monopolist, da noch kein anderer Wettbewerber
über ein entsprechendes Angebot verfügt. Dem Pionier bieten sich durch sein frühes
Auftreten am Markt Zeitvorteile, die ihm bei der Gestaltung seines Marketing freie
Wahl ermöglichen.
Beispielsweise kann das Unternehmen frei entscheiden, ob es im Rahmen der
Preispolitik eine Marktdurchdringungsstrategie oder eine Marktabschöpfungsstrategie verfolgt (s. Kap. 7). Bei der Marktdurchdringungsstrategie geht das Unternehmen mit einem niedrigen Preis in den Markt und versucht über hohe Absatzmengen, schnell eine marktbeherrschende Position aufzubauen. Im Rahmen der Marktabschöpfungsstrategie setzt das Unternehmen zunächst einen hohen Preis, um die
Zahlungsbereitschaft der innovativen, experimentierfreudigen Konsumenten abzuschöpfen um anschließend durch Preissenkungen den breiten Markt zu erschließen
(so wie bspw. Apple mit dem iPod).
Des Weiteren hat ein Pionier durch sein frühes Handeln am Markt die Möglichkeit, ein Image zu etablieren und damit eine weitere Markteintrittsbarriere für
Wettbewerber zu schaffen. Zeitvorteil und Markteintrittsbarrieren bieten ihm die
Gelegenheit vor dem Eintritt von Wettbewerbsunternehmen feste Beziehungen zu
Kunden und Lieferanten aufzubauen und damit die eigene Position im Markt zu
stärken (Nieschlag et al. 2002, S. 251 f.).
Allerdings ist die Verfolgung einer Pionier-Strategie nicht nur mit Vorteilen behaftet. In vielen Märkten sind intensive Grundlagenforschung und hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie bei der Markteinführung erforderlich.
Außerdem muss es dem Unternehmen gelingen, die neuartigen Bedürfnisse, die
mit dem Produkt befriedigt werden sollen, beim Verbraucher auch tatsächlich zu
aktivieren und ein eventuelles Misstrauen gegenüber neuen Produkten abzubauen
(hoher ökonomischer Erfolgsdruck). Diese Markterschließungsanstrengungen
188
4 Strategisches Marketing
kommen aber auch den Vertretern der Folger-Strategien zu Gute. Da der Pionier das
neue Produkt bereits am Markt bekannt gemacht hat, spart sich der Frühe Folger Investitionen für die Markterschließung und kann außerdem aus eventuellen Fehlern
des Pioniers lernen und daraus Konsequenzen ziehen. Für den Pionier hingegen
besteht außerdem die Gefahr, dass sich sein neues Produkt als Flop erweist, womit
alle finanziellen und personellen Anstrengungen der Produktentwicklung und -einführung zunichte gemacht werden.
Unternehmen, welche die Früher-Folger-Strategie verfolgen, treten relativ
kurz nach dem Pionier auf den Markt. Üblicherweise liegt dieser Zeitpunkt im PLZ
noch vor dem Übergang der Einführungs- zur Wachstumsphase. Zentraler Vorteil
dieser Strategie ist, dass sich das Unternehmen dank des bereits am Markt agierenden Pionierunternehmens die Investitionen der Markterschließung sparen und
darüber hinaus noch aus den Fehlern des Pionierunternehmens lernen kann (z. B.
durch Ausmerzung von „Kinderkrankheiten“ des Pionierproduktes). Im Markt für
MP3-Player war z. B. das von dem südkoreanischen Unternehmen SaeHan Information Systems entwickelte Modell „MPMan F 10“ der erste für den Massenmarkt
entwickelte Player (für den US-Markt von Eiger Labs lizenziert). Die großen Elektronikkonzerne verfolgten in diesem Markt eine Früher-Folger-Strategie und folgten
mit eigenen Modellen erst, als das Pioniermodell bereits Erfolge am Markt zu verzeichnen hatte.
Eine große Herausforderung dieser Strategie liegt in der Überwindung der vom
Pionierunternehmen geschaffenen Markteintrittsbarrieren. Außerdem hat der Frühe Folger nicht wie das Pionierunternehmen die Möglichkeit, sein Marketing frei
zu gestalten, sondern er muss sich meist an der Vorgehensweise des Pionierunternehmens orientieren. Verfolgt das Pionierunternehmen bspw. schon die Marktabschöpfungsstrategie (s. o.), ist es für den Frühen Folger möglicherweise von Vorteil die Marktdurchdringungsstrategie zu verfolgen. Der niedrige Preis und damit
meist verbundenen hohen Absatzmengen ermöglicht es dem Unternehmen, trotz
Markteintrittsbarrieren des Pioniers, einen großen Marktanteil zu gewinnen. Verfolgt umgekehrt das Pionierunternehmen die Marktdurchdringungsstrategie, hat der
Frühe Folger die Möglichkeit, durch Verbesserungen des Produktes (z. B. durch Erhöhung seiner Funktionalität) oder durch Angebot verschiedener Produktvarianten
für unterschiedliche Teilzielgruppen die Marktabschöpfungsstrategie umzusetzen.
Jedoch bleibt dem Frühen Folger im Vergleich zum Pionierunternehmen weniger
Zeit, um eine Erfolg versprechende Marktposition aufzubauen, da mit dem baldigem Markteintritt weiterer Wettbewerber zu rechnen ist.
Unternehmen mit der Später-Folger-Strategie treten erst in der Wachstumsphase des PLZ in den Markt ein. Zu diesem Zeitpunkt sind die Marktbeziehungen
bereits entwickelt, Standards definiert und das Konsumentenverhalten bekannt. Daher fokussiert sich ein Später Folger auf die Imitation bereits etablierter Produkte
und Technologien, um die Wachstumschancen des Marktes zu nutzen. Daher wird
dieses Vorgehen auch Me-too-Strategie genannt (Grant u. Nippa 2006, S. 426). Ein
Beispiel für die Verfolgung einer solchen Me-too-Strategie sind Generika auf dem
Pharmamarkt. Hierbei handelt es sich um Medikamente, welche die Wirkstoffinhalte von Medikamenten mit Markennamen kopieren, wie bspw. ASS Ratiopharm
4.4 Definition von Marketingstrategien
189
als Kopie des ursprünglich von Bayer entwickelten Aspirin. Beide Medikamente
enthalten als Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Auf Grund der Imitation von Markenprodukten verfolgen Späte Folger meist die Preis-Mengen-Strategie, die effiziente
Produktionsprozesse erfordert, um mit günstigen Preisen auf den Markt treten zu
können.
Vorteil der Strategie des Späten Folgers sind die geringen Forschungs- und Entwicklungskosten sowie die niedrigen erforderlichen Investitionen zur Markteinführung. Ebenso ist das Floprisiko im Vergleich zum Pionier relativ gering. Zur
Generierung von Wettbewerbsvorteilen bedienen sich Späte Folger typischerweise
der Marktdurchdringungsstrategie. Um sich dauerhaft eine Position im Markt zu
sichern, muss der Späte Folger daher in der Lage sein, komparative Kostenvorteile
aufzubauen. Damit wird noch einmal die enge Verknüpfung von Timing-Strategien
mit der Definition des Wettbewerbsvorteils des Unternehmens deutlich.
Die notwendige Überwindung der vom Pionierunternehmen oder Frühen Folgern aufgebauten Markteintrittsbarrieren stellt den zentralen Nachteil dieser Strategie dar. Außerdem ist das Unternehmen als Später Folger bei seinen strategischen
und operativen Handlungen abhängig von den Aktionen der bereits etablierten Pionierunternehmen und Frühen Folger. Dies engt den Handlungsspielraum der Späten
Folger stark ein (Nieschlag et al. 2002, S. 254 f.).
4.4.7
Definition von Strategieprofilen
Die vorigen Abschnitte haben aufgezeigt, welche verschiedenen Entscheidungsfelder bei der Definition von Strategien für Unternehmen oder Geschäftsfelder eine
Rolle spielen. An einigen Stellen ist dabei bereits verdeutlicht worden, wie einzelne
Strategiedimensionen zusammenhängen und sich teilweise gegenseitig bedingen.
Generell gilt, dass alle besprochenen Strategiedimensionen nicht isoliert voneinander betrachtet werden können, sondern in vielfältiger Weise zusammenhängen. Die
große strategische Herausforderung liegt für jedes Unternehmen darin, unter den jeweiligen Marktbedingungen Erfolg versprechende „Strategieprofile“ zu definieren.
Mit diesem Strategieprofil muss das Unternehmen eine spezifische Kombination
einzelner Strategieentscheidungen festlegen, welche in ihrer Gesamtheit die Ressourcen und Erfolgspotenziale des Unternehmens bestmöglich ausschöpfen.
Bei der Definition des unternehmensspezifischen Strategieprofils spielen regelmäßig zwei Überlegungen eine Rolle: Zum ersten die Analyse und Definition des
individuellen Strategieprofils im Vergleich zu den zentralen Wettbewerbern, zum
zweiten die Entwicklung des eigenen Strategieprofils im Zeitverlauf. Zur Entscheidungsfindung lassen sich diese beiden Überlegungen grafisch gut in Strategiediagrammen veranschaulichen.
Strategieprofile im Wettbewerbsvergleich
Eine bedeutende Aufgabe bei der Definition eines Strategieprofils ist die Abgrenzung zu Wettbewerbern, welche auf dem gleichen Markt tätig sind. Im Grundsatz
kann davon ausgegangen werden, dass sich die betreffende Marke in mindestens
190
4 Strategisches Marketing
einer Strategiedimension wesentlich von allen relevanten Wettbewerbern abheben
sollte. So kann ein u. U. ruinöser Preiswettbewerb vermieden werden, da andernfalls beide Marken deckungsgleiche Strategien verfolgen und von den relevanten
Zielgruppen als austauschbar wahrgenommen werden, so dass der Preis als einziger
Wettbewerbsparameter verbleibt.
Die Aufgabe der strategischen Wettbewerbsabgrenzung stellt sich in zwei zentralen Bereichen: Zum ersten ist sie nötig für die Abgrenzung zu Wettbewerbsmarken anderer Unternehmen, um die Austauschbarkeit von Anbietern auf dem
gleichen Markt zu vermeiden und eine ausreichend große Marktarena für das eigene
Unternehmen sicherzustellen. Zum zweiten wird sie erforderlich für (Markenartikel-) Konzerne im Rahmen von Mehrmarkenstrategien. Ist ein Unternehmen mit
mehreren Marken im Markt vertreten (bspw. der Unilever-Konzern mit den Margarinemarken Rama, Lätta und Becel), so sollen die unterschiedlichen Strategieprofile
der Konzernmarken sicherstellen, dass sich diese durch unterschiedliche Ansätze
der Marktbearbeitung nicht gegenseitig „kannibalisieren“.
Abbildung 4.28 verdeutlicht die Definition unterschiedlicher Strategieprofile
anhand der beiden Automobilmarken Audi und Skoda innerhalb des VolkswagenKonzerns. Beide Marken verfolgen die Strategie der Marktdurchdringung innerhalb ihres angestammten Teilmarktes, sind international tätig und besetzen jeweils
für sich eine relativ klar umrissene Nische des gesamten Automobilmarktes. Audi
versucht jedoch in erster Linie Wettbewerbsvorteile über die Produktqualität aufzu1. Definition Marktfeld
Marktdurchdringung
Strategieprofil Audi
Marktentwicklung
5. Definition
Markt-Timing
Pionier
Strategieprofil Skoda
Produktentwicklung
Diversifikation
regional
Früher
Folger
national
international
2. Geografische
Marktdefinition
Später
Folger
Nischenstrategie
PreisführerStrategie
QualitätsführerStrategie
4. Definition
Wettbewerbsvorteil
Marktsegmentierungsstrategie
Massenmarktstrategie
3. Definition
Marktabdeckung
Abb. 4.28 Strategieprofile im Wettbewerbsvergleich (Bsp.: Audi vs. Skoda)
4.4 Definition von Marketingstrategien
191
bauen („Vorsprung durch Technik“) und verfolgt bei technologischen Innovationen
regelmäßig die Pionierstrategie (z. B. als erster Massenanbieter von Pkw mit Vierradantrieb unter der Submarke Audi quattro). Skoda hingegen baut Wettbewerbsvorteile v. a. auf der Preisseite auf und zeigt sich technologisch als Später Folger,
der innovative Fahrzeugtechnologien i. d. R. dann anbietet, wenn sie sich bereits
am breiten Markt etabliert haben.
Strategieprofile im Zeitverlauf
Die hohe Dynamik auf vielen Märkten führt dazu, dass sich im Zeitverlauf auch die
von Unternehmen verfolgten Strategien ändern. Diese Strategiedynamiken können
sich aus einem radikalen Strategiewechsel des Unternehmens ergeben (z. B. die
viel beachtete Neupositionierung der Kleidungsmarke Puma). Sie können jedoch
auch eher auf inkrementalen (also „kleinschrittigen“) Strategieänderungen beruhen,
welche über einen längeren Zeitraum hinweg stattfinden (z. B. die allmähliche Entwicklung der Automarke Audi von einem Massen- zu einem Premium-Hersteller).
Veränderungen von Strategien im Zeitverlauf können zudem einerseits auf bewusst geplanten Entscheidungen des Management über einen Strategiewechsel
beruhen (Beispiel Puma). Sie können andererseits aber auch das Ergebnis einer
vom Management gar nicht geplanten Entwicklung sein, bspw. als Ergebnis von
marktgetriebenen Veränderungen. Dass sich z. B. der finnische Mischkonzern
Nokia, der sich früher im Kerngeschäft u. a. mit Forstwirtschaft und Gummiherstellung beschäftigte, im Laufe der Zeit zum größten Mobilfunkhersteller der
Welt entwickeln würde, war für das Management des Unternehmens nicht planund absehbar. Der bekannte Managementtheoretiker Mintzberg unterscheidet
vor diesem Hintergrund zwischen „deliberate strategies“ („beabsichtigten Strategien“) und „emergent strategies“ („emergenten Strategien“) (Mintzberg u. Waters
1985).
Veränderungen der verfolgten Strategie finden sich in der unternehmerischen
Realität in allen relevanten Strategiedimensionen, wie folgende Beispiele verdeutlichen:
• Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils: Im Markt für Fertiggerichte hat
sich die Tiefkühlmarke Frosta von einem Billighersteller (Strategie der Preisführerschaft) zu einer Premium-Marke (Strategie der Qualitätsführerschaft; „Frosta
Reinheitsgebot“) entwickelt.
• Geografische Marktdefinition: Im Biermarkt hat sich die Flensburger Brauerei
mit dem Flensburger Pilsener von einer norddeutschen Marke (regionale Marktbearbeitung) zu einer gesamtdeutschen Marke (nationale Marktbearbeitung)
entwickelt.
• Definition des Markt-Timings: Im Bereich der Unterhaltungselektronik hat
sich Samsung von einem Billighersteller, der am Markt fest etablierte Produkte
herstellt (Strategie des Späten Folgers) zu einer Premium-Marke mit technisch
innovativen Produkten (Pionier-Strategie) entwickelt.
Auch zur Verdeutlichung strategischer Dynamiken kann die grafische Veranschaulichung in Strategiediagrammen wertvolle Dienste leisten, insbesondere zur
192
4 Strategisches Marketing
1. Definition Marktfeld
Marktdurchdringung
Strategieprofil Samsung 1990
Marktentwicklung
Strategieprofil Samsung 2009
Produktentwicklung
5. Definition
Markt-Timing
Pionier
Diversifikation
national
regional
Früher
Folger
international
2. Geografische
Marktdefinition
Später
Folger
Nischenstrategie
PreisführerStrategie
Marktsegmentierungsstrategie
Massenmarktstrategie
QualitätsführerStrategie
4. Definition
Wettbewerbsvorteil
3. Definition
Marktabdeckung
Abb. 4.29 Strategieprofile im Zeitverlauf (Bsp.: Samsung Electronics)
Planung möglicher zukünftiger Stoßrichtungen für das eigene Unternehmen. Exemplarisch findet sich der Strategiewechsel von Samsung in Abb. 4.29 dargestellt.
4.5
4.5.1
Strategierealisierung und -kontrolle
Bedeutung der Strategierealisierung und -kontrolle in der
Unternehmenspraxis
Ist die Strategie des Unternehmens bzw. Geschäftsfelds definiert, müssen die durch
die Strategie vorgegebenen groben Handlungsstoßrichtungen konkretisiert, in die
Tat umgesetzt und die erzielten Ergebnisse überwacht werden. Damit sind die drei
der Strategiedefinition folgenden Schritte umrissen:
• Definition von Marketing-Maßnahmen: Bestimmung von Maßnahmen, welche die festgelegte Strategie konkretisieren. Im Kern besteht die Aufgabe darin,
den Marketing-Mix inhaltlich auszugestalten, also Produkt-, Preis, Kommunikations- und Vertriebspolitik zu bestimmen. Hat man sich in der Strategiedefinition
z. B. für eine differenzierte Marktbearbeitung entschlossen, müssen anschlie-
4.5 Strategierealisierung und -kontrolle
193
ßend für unterschiedliche Zielgruppen auch unterschiedliche Produktvarianten
und Werbekampagnen entwickelt werden.
• Realisierung von Marketing-Maßnahmen: Die festgelegten Maßnahmen in
den Bereichen Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik sind
umzusetzen (z. B. die konkrete Durchführung einer geplanten Werbekampagne
für eine bestimmte Zielgruppe).
• Kontrolle der Marketing-Ergebnisse: Die Ergebnisse der festgelegten Strategien und Maßnahmen sind zu überprüfen. Sofern sich die Kontrolle auf langfristige strategische Ziele bezieht, spricht man von strategischer Kontrolle (z. B. die
Erreichung von Marktanteilszielen). Dreht sie sich um die Erreichung kurzfristiger operativer Ziele, spricht man von operativer Kontrolle (z. B. die Antwortquote auf ein bestimmtes Kundenmailing).
Die letzte Phase des Marketingprozesses, die Kontrolle, ist rein „technisch“ relativ unproblematisch; sie findet typischerweise in Form eines klassischen Soll-IstVergleichs statt. Wichtig für eine effektive Kontrolle der Marketingergebnisse ist
v. a. eine „operationale“ Formulierung der strategischen und operativen Marketingziele, damit deren Erreichung klar und eindeutig überprüft werden kann (s.
Kap. 4.3.2).
Ergeben sich positive oder negative Abweichungen zwischen Zielsetzung und
Ergebnis (wurde also z. B. das gesetzte Ziel für das Marktanteilswachstum oder
die Antwortquote in einem Mailing nicht erreicht oder spürbar übertroffen), so ist
eine Abweichungsanalyse vorzunehmen (Wöhe 2008, S. 165). Hauptziel der Abweichungsanalyse ist es, die Gründe für die Abweichung der Ergebnisse von der
ursprünglichen Zielsetzung zu gewinnen. Die so gewonnenen Erkenntnisse helfen, bei zukünftigen Planungsprozessen gemachte Fehler zu vermeiden (falls die
Gründe für die Zielabweichung im eigenen Unternehmen begründet lagen) und ein
besseres Verständnis für die „Gesetze“ zu entwickeln, nach denen sich der eigene
Markt verhält (falls die Gründe für die Zielabweichung in externen Faktoren begründet lagen).
Der Übergang vom strategischen Management (Strategiedefinition) zum operativen Management (Definition und Realisierung von Marketing-Maßnahmen) ist
hingegen in der unternehmerischen Praxis ein häufiges Problem. Generell stellt es
eine der großen Herausforderungen der Unternehmensführung dar, zwischen den
langfristigen strategischen Plänen des Unternehmens und dem operativen Alltag
keinen „Bruch“ entstehen zu lassen. Diese Thematik wird daher im folgenden Abschnitt vertieft.
4.5.2
Techniken zur Strategierealisierung und -kontrolle
In vielen Unternehmen finden sich „Bruchstellen“ zwischen den langfristigen Strategieplänen, die i. d. R. von der Unternehmensführung und ihnen zugeordneten Planungsstäben erarbeitet werden, einerseits, und dem operativen „Unternehmensalltag“ in den verschiedenen Unternehmensbereichen und -abteilungen andererseits.
194
4 Strategisches Marketing
Diese „Brüche“ in der unternehmerischen Planungskaskade „von oben nach
unten“ liegen teilweise in organisatorischen Defiziten begründet (z. B. fehlende
interne Informationsflüsse), teilweise in unternehmenskulturellen Faktoren (z. B.
Misstrauen an der „Basis“ gegenüber Plänen von „denen da oben“).
Eine große Rolle spielt aber auch das Fehlen geeigneter Planungssysteme und
-modelle, um den Transfer „vom Strategischen ins Operative“ herzustellen. Klassische Instrumente zur Strategierealisierung sind v. a. folgende drei Ansätze:
• Planung im Gegenstromverfahren (die Top Down-Planung „von oben nach
unten“ wird durch eine Bottom up-Planung „von unten nach oben“ ergänzt;
Wöhe 2008)
• Budgetierungstechniken (die einzelnen Unternehmensbereiche und Abteilungen erhalten entsprechend der strategischen Pläne Finanz-, Personal- und Sachmittel zugewiesen)
• Projekt- und Zeitplanungstechniken (Strategieumsetzung durch eine abgestimmte Projekt- und Zeitplanung für untere Hierarchieebenen und einzelne
Unternehmensbereiche)
Diese klassischen Tools zur Strategierealisierung reichen jedoch bei weitem nicht
aus, um eine schlüssige Umsetzung der festgelegten Strategien „in alle Unternehmensbereiche hinein“ zu gewährleisten. Zudem sind sie – v. a. im Falle der Budgetierung – unter heutigen Marktbedingungen zu starr und unflexibel, um eine zielorientierte Führung von Unternehmen in oft sehr dynamischen Märkten sicherzustellen (Pfläging 2006).
In den vergangenen Jahren hat sich in der Unternehmenspraxis ein Instrument
sehr stark verbreitet, das den Prozess der unternehmensinternen Strategierealisierung und -kontrolle effektiv unterstützt, die Balanced Scorecard (BSC) (Kaplan
u. Norton 1997). In der BSC spielen Kennzahlen eine zentrale Rolle. Das Grundmuster der BSC-Logik zeigt Abb. 4.30 auf.
Kennzahlen dienen in der BSC einerseits dazu, messbare Größen für die Erreichung strategischer Ziele des Unternehmens zu formulieren und damit die Grundlage für die strategische Kontrolle zu legen. Gleichzeitig dienen sie als Ausgangspunkt zur Ableitung konkreter Maßnahmen der Strategierealisierung. Operative
Strategisches
Ziel
Maßgröße
(Kennzahl)
Zielwert
Maßnahme
Was
möchten
wir
erreichen?
Wie
können wir
das
messen?
Welchen
Zielwert
streben wir
an?
Was ist
hierfür zu
tun?
Abb. 4.30 Grundlogik der Balanced Scorecard
4.5 Strategierealisierung und -kontrolle
195
Finanzen
StrateKenngische
zahlen
Ziele
ZielMaßwerte nahmen
Kunden
StrateKenngische
zahlen
Ziele
Prozesse
ZielMaßwerte nahmen
Vision &
Strategie
StrateKenngische
zahlen
Ziele
ZielMaßwerte nahmen
Lernen & Entwicklung
StrateKenngische
zahlen
Ziele
ZielMaßwerte nahmen
Abb. 4.31 Aufbau einer Balanced Scorecard (i. Anl. an Kaplan u. Norton 1997, S. 9, © 1997
Schäffer-Poeschel Verlag GmbH & Co. KG)
Maßnahmen sind demnach immer dann geeignet zur Strategierealisierung, wenn sie
einen direkten oder indirekten Einfluss auf die jeweils definierte Strategie-Kennzahl haben.
In der klassischen BSC werden vier zentrale, miteinander verzahnte Strategiebereiche betrachtet, welche insgesamt als hauptverantwortlich für den Erfolg eines
Unternehmens angesehen werden (s. Abb. 4.31):
• Finanzen: Definition monetärer Ziele und Kennzahlen (z. B. Kapitalrendite)
• Kunden: Definition kundenbezogener Ziele und Kennzahlen (z. B. Imageziele)
• Interne Prozesse: Definition prozessbezogener Ziele und Kennzahlen (z. B.
Maximalwerte für Lieferzeiten)
• Lernen und Entwicklung: Definition potenzialbezogener Ziele und Kennzahlen (z. B. Ausbildungsziele für Mitarbeiter mit Kundenkontakt)
Diese vier zentralen Perspektiven beeinflussen sich gegenseitig bzw. bauen aufeinander auf. So wird die Erreichung kundenbezogener Ziele (z. B. Kundenzufriedenheitsziele) als Voraussetzung für die Erreichung finanzieller Ziele (z. B.
Umsatzziele) gesehen (Kaplan u. Norton 1997). Prägend für alle vier strategischen Zielbereiche ist dabei die Vision und Gesamtstrategie des Unternehmens.
Im BMW-Konzern lautet diese strategische Vision etwa, „der weltweit führende
Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle
Mobilität“ zu werden (BMW Group 2007). Aus dieser Vision leiten sich strategische Ziele, Kennzahlen und Maßnahmenprogramme ab, welche in der BSC abgebildet werden (s. Abb. 4.32). Die inhaltliche Herausforderung der BSC liegt darin,
ein in sich schlüssiges System aus strategischen Zielen, Kennzahlen und Maßnahmen zu entwerfen, das die angestrebte langfristige Ausrichtung des Unternehmens
adäquat widerspiegelt.
196
4 Strategisches Marketing
Strateg. Ziel
Maßgröße
Zielwert
Maßnahme
Finanzielle Perspektive
Kapitalrendite über
Branchendurchschnitt
ROCE (Return on
Capital Employed)
ROCE > 24%
Kapitalbindung im
Lager reduzieren
Cash Flow steigern
Discounted
Free Cash Flow
15% Steigerung
Randprodukte
desinvestieren
Image als Innovator
Umsatzanteil neuer
Produkte & Services
Anteil von
Leistungen jünger
als 2 J. > 40%
Freistellung
Mitarbeiter für
Neuproduktentwicklung
Führend in PreisLeistungs-Verhältnis
Einstufung PLV durch
Kunden (Befragung)
Nr. 1 bei > 50%
der Kunden
Preisargument in
Kommunikation
fokussieren
usw.
Kundenperspektive
usw.
Abb. 4.32 Ausschnitt einer Balanced Scorecard
Die BSC hat sich in den vergangenen Jahren in der Praxis schnell als Instrument
zur Unterstützung der Strategierealisierung und -kontrolle etabliert. Vorteilhaft ist
insbesondere der Zwang, sich systematisch mit den relevanten „Wirkgesetzen“ für
den Unternehmenserfolg auseinanderzusetzen (Welche Maßnahme fördert welches
strategische Ziel und wie lässt sich deren Zielbeitrag in Zahlen fassen?).
Der Einsatz der BSC ist jedoch keine Garantie für eine effektive Strategieumsetzung. Sie bietet lediglich ein Planungsraster und stellt den Planenden vor die
Herausforderung, diese auch mit sinnvollen Inhalten zu füllen. Insbesondere der
zentrale Schritt der konkreten Formulierung geeigneter Maßnahmen zur Strategierealisierung wird durch das Instrument nicht unmittelbar unterstützt. Dennoch gilt:
„Im Feld der Unternehmenssteuerung ist kein grundlegend neuer Ansatz am Horizont zu sehen, der in ähnlicher Weise die Probleme ‚Umsetzung von Strategien‘ und
‚Ausbalancieren monetärer und nicht-monetärer Ziele‘ so elegant und praxisorientiert lösen kann“ (Weber et al. 2006, S. 7). Die BSC kann daher aktuell und auf absehbare Zeit als Planungsstandard im Bereich Strategierealisierung und -kontrolle
gesehen werden.
4.6 Strategieimplementierung
4.6
197
Strategieimplementierung
4.6.1
Bedeutung der Strategieimplementierung
Die in den vorigen Abschnitten dieses Kapitels diskutierten Aufgaben der strategischen Analyse, der Definition von Zielen und Strategien sowie der Realisierung
dieser Strategien und die Kontrolle der erzielten Ergebnisse lassen sich unter das
Dach „Marketingplanung und -kontrolle“ fassen. Marketingplanung und -kontrolle
dienen als das „Herz des Marketing“ dazu, die Inhalte des Marketing zu definieren.
Planung und Kontrolle sind jedoch nur gedankliche Arbeit. Wenn die Marketingplanung „Durchschlagskraft“ im Unternehmen erhalten und dieses prägen soll, müssen
auch die Strukturen und Prozesse des Unternehmens in die Marketingkonzeption
einbezogen und gestaltet werden. Die marketinggerechte Gestaltung der unternehmensinternen Strukturen und Prozesse ist Aufgabe der Marketingimplementierung.
Obwohl Marketingtheoretiker i. d. R. den Anspruch erheben, mit dem Marketing eine Führungskonzeption für Unternehmen bereitzustellen, ist die Auseinandersetzung mit Themen der Marketingimplementierung bisher insgesamt noch gering ausgeprägt (Oelsnitz 1999, Klee 2000), obwohl Implementierungsfragen einen
Kernbereich der Unternehmensführung darstellen (Steinmann u. Schreyögg 2005).
Bei der Implementierung des Marketing spielen insbesondere vier Handlungsbereiche eine Rolle:
• Organisation: Gestaltung der Organisationsstrukturen und -prozesse gemäß der
Anforderungen des Marketing.
• Personalmanagement: Auswahl, Entwicklung und Selektion geeigneter Mitarbeiter sowie die Schaffung der nötigen Anreizsysteme.
• Controlling-Systeme: Schaffung von Controlling-Methoden und -Architekturen, welche das Marketing in seinen Führungsaufgaben unterstützen.
• Unternehmenskultur: Gestaltung der „harten“ und „weichen“ Infrastruktur des
Unternehmens, um so das Denken und Fühlen der Mitarbeiter an den Zielen des
Marketing auszurichten.
Die folgenden Ausführungen zeigen in Grundzügen auf, welche Ansatzpunkte sich
für die Implementierung des Marketing in Unternehmen ergeben.
4.6.2 Ansatzpunkte für die Strategieimplementierung
4.6.2.1
Organisation
Eine zentrale Aufgabe der Marketingimplementierung besteht darin, die Organisation des Unternehmens „marketinggerecht“ zu gestalten. Die Marketing-Organisation umfasst zwei grundlegende Aufgabenbereiche:
198
4 Strategisches Marketing
• Aufbau-Organisation: Marketinggerechte Gestaltung der Unternehmensstrukturen (z. B. Festlegung von Zuständigkeiten und Bildung von Abteilungen)
• Ablauf-Organisation: Marketinggerechte Gestaltung der relevanten Prozesse
im Unternehmen (bspw. die Behandlung von Kundenbeschwerden)
Die fundamentalere der beiden Aufgaben, die Aufbau-Organisation, ist die Definition der organisatorischen Stellung des Marketing im Gesamtaufbau des Unternehmens. Wenn Marketing als inhaltliche Leitlinie der gesamten Unternehmensführung
verstanden wird (s. Kap. 1), dann lässt sich Marketing in dieser Perspektive zwar
nicht in einer bestimmten Abteilung verorten, sondern hat das gesamte Unternehmen in allen Bereichen zu prägen. Gleichzeitig hat das Marketing jedoch auch die
Aufgabe einer Unternehmensfunktion, die „neben“ anderen Funktionen wie Produktion, Personalmanagement oder Einkauf steht und die für eine marktorientierte
Ausrichtung des Unternehmens Sorge zu tragen hat. Für diese funktionale Sicht des
Marketing ist die Frage zu stellen, wo konkret im Unternehmen das Marketing zu
verorten ist.
Für diese organisatorische Verortung des Marketing im Unternehmen eröffnen
sich zwei Grundoptionen. Bei einer funktionalen Unternehmensorganisation ist
das Marketing eine zentrale Funktion, welche in der Rolle eines internen Dienstleisters für sämtliche Sparten und Bereiche des Unternehmens Planungs- und Kontrollaufgaben im Marketing wahrnimmt. Bei einer divisionalen Unternehmensorganisation (auch: „Sparten-Organisation“) ist das Unternehmen typischerweise nach
Produktsparten in verschiedene, eigenständig operierende Geschäftsbereiche als
„Unternehmen im Unternehmen“ gegliedert, die jeweils eigene Marketingabteilungen aufweisen. In der Praxis finden sich beide Organisationsformen des Marketing,
wobei mit steigender Unternehmensgröße und Vielfalt des Produktangebots die
Bedeutung der divisionalen Organisation zunimmt. Klassischerweise finden sich
ebenfalls Mischformen in Gestalt einer zweidimensionalen Matrix-Organisation,
welche funktionale und divisionale Strukturen kombiniert. Im komplexen, international agierenden Unternehmen finden sich teilweise auch dreidimensionale Organisationsformen, in der neben einer Organisation nach Funktionen (incl. Marketing)
und Produktsparten zusätzlich eine dritte Organisationsdimension nach Ländern
eingerichtet wird („Tensor-Organisation“).
In der Praxis häufig zu findende Formen der Marketing-Organisation sind die
beiden folgenden:
• Produkt-Management: Im Produkt-Management werden eigene Organisationseinheiten geschaffen, welche (im Rahmen einer divisionalen Organisation)
für bestimmte Produkte und Produktbereiche zuständig sind. Das Produktmanagement spielt in großen Markenartikel-Konzernen eine bedeutende Rolle und
ist als marketingorientiertes Organisationskonzept dort entwickelt worden. So
gibt es bspw. im Unilever-Konzern im Bereich der gewerblichen Kunden einen
„Produktmanager Saucen und Bindemittel“. Die Organisationsform des Produktmanagement hat sich heute jedoch in nahezu allen Branchen durchgesetzt, auch
im Investitionsgütermarketing.
4.6 Strategieimplementierung
199
• Key Account Management: Das Key Account Management (KAM) beruht
auf der Schaffung eigener organisatorischer Einheiten als zentrale Ansprechpartner für bestimmte, besonders wichtige Kunden(gruppen). Das KAM spielt
eine große Rolle im Bereich von Business-to-Business-Geschäftsbeziehungen.
Häufig findet man das KAM in großen Konsumgüterkonzernen, welche über das
KAM stabile, kooperative Geschäftsbeziehungen zu den großen Handelsunternehmen wie EDEKA schaffen möchten. Einen bedeutenden Stellenwert hat das
KAM zudem im Investitionsgütermarketing, wo ebenfalls einzelne Abnehmer
für ein Unternehmen oft große Bedeutung haben (z. B. bei Zulieferern in der
Kfz-Branche, die nur wenige Automobilkonzerne als Kunden haben).
Eine große und weiter zunehmende Bedeutung haben heute Organisationskonzepte,
welche darauf ausgerichtet sind, in den oft sehr dynamischen Märkten die Flexibilität von Unternehmen sicherzustellen, so dass Unternehmen sehr schnell auf
Marktveränderungen reagieren können (z. B. Pfläging 2006). Die Delegation, also
die Übertragung von Entscheidungskompetenzen „von oben nach unten“, d. h. von
Führungskräften an Mitarbeiter spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Prominentes Beispiel ist das Internet-Unternehmen Google, wo die Entwickler
20% ihrer Arbeitszeit auf Projekte verwenden dürfen, die sie selbst ausgewählt haben. Das Unternehmen versucht so, „eng am Markt“ zu bleiben, indem langwierige
interne Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse über die Ausrichtung der Entwicklungsschwerpunkte des Unternehmens vermieden werden.
4.6.2.2
Personalmanagement
Eine weitere wichtige Aufgabe der Marketingimplementierung liegt im Bereich
Personalmanagement. Die Effektivität des Marketing hängt an vielen Stellen von
den Mitarbeitern des Unternehmens ab; diese müssen daher in das Marketing einbezogen werden. Grundsätzlich ergeben sich Bezüge zwischen Marketing und Personalmanagement im gesamten Unternehmen. Besonders wichtig ist ein marketingorientiertes Personalmanagement jedoch v. a. in Bereichen, in denen es zu direktem
Kontakt zwischen Mitarbeiter und Kunden kommt (Vertrieb, Beratung, Hotlines
etc.). Ganz außerordentliche Bedeutung hat der Faktor Personal in Dienstleistungsbranchen, wo die Interaktion zwischen Mitarbeiter und Kunde Teil der unternehmerischen Leistung, also des Produktes ist (z. B. bei Banken, Versicherungen oder
im Tourismus). Das Personalmanagement ist hier einer der wichtigsten Faktoren,
der die Qualität der Unternehmens(dienst)leistungen beeinflusst (s. Kap. 11). Die
Verknüpfung zwischen den Bereichen Marketing und Personal wird auch durch empirische Studien belegt, welche einen positiven Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit nachweisen konnten (z. B. Homburg u.
Stock 2004).
Aus der Erkenntnis über die hohe Bedeutung des Personals für das Marketing
heraus ist das Konzept des internen Marketing entstanden (Stauss 2000). Das
200
4 Strategisches Marketing
interne Marketing überträgt Grundgedanken des externen, kundengerichteten Marketing auf die interne Zielgruppe der Mitarbeiter. Es umfasst ebenso wie das externe
Marketing eine strategische Ebene und eine operative Ebene.
Im Rahmen des strategischen internen Marketing spielt in erster Linie die
„interne Marktsegmentierung“ eine große Rolle, das interne Pendant zur Strategie
der differenzierten Marktbearbeitung auf den Absatzmärkten des Unternehmens
(s. Kap. 4.4.4). Demgemäß sind unternehmensintern verschiedene Zielgruppen zu
identifizieren und mit jeweils unterschiedlichen internen Marketingprogrammen
anzusprechen. So gibt es in größeren Konzernen oft unterschiedliche Mitarbeiterzeitungen für leitendes und für ausführendes Personal, in denen dieses jeweils u. a.
über marketingrelevante Aspekte informiert wird.
Das operative interne Marketing verfügt über einen „Instrumentenkasten“, der
sich in drei Handlungsfelder aufgliedern lässt (Stauss 2000):
• Absatzmarktorientierter Einsatz personalpolitischer Instrumente
• Absatzmarktorientierter Einsatz interner Kommunikation
• Personalorientierter Einsatz externer Marketing-Instrumente
Beim absatzmarktorientierten Einsatz personalpolitischer Instrumente geht
es darum, die klassischen Instrumente des Personalmanagement so auszugestalten,
dass sie den Anforderungen des Marketing gerecht werden. Die folgenden Ansatzpunkte spielen dabei meist die wichtigste Rolle:
• Personalselektion: Auswahl von geeignetem Personal mit den nötigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Motivationsstrukturen (bei einem Hotline-Mitarbeiter z. B.
eine kundenorientierte „Service-Mentalität“).
• Personalentwicklung: Aufbau marketingrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten
durch Maßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung (bei einem Hotline-Mitarbeiter z. B. die Schulung kommunikativer Kompetenzen zum Umgang mit
Anrufern).
• Mitarbeiterführung: Marketing(ziel)orientierte Verhaltenssteuerung von Mitarbeitern durch Vorgesetzte (etwa durch ein „Management by Objectives“, das
bspw. einem Hotline-Mitarbeiter lediglich zu erreichende Kundenzufriedenheitsziele vorgibt und ihm weit gehende Freiräume in seinem Verhalten gewährt)
• Gestaltung der Anreizsysteme: Schaffung marketingorientierter materieller und
immaterieller Anreize für Mitarbeiter (z. B. die Gewährung von Gehalts-Boni
und Auszeichnungen als „Mitarbeiter des Monats“ für Hotline-Mitarbeiter mit
besonders hohen Kundenzufriedenheitsquoten).
Der absatzmarktorientierte Einsatz interner Kommunikationsinstrumente ist
analog zur externen Marketingkommunikation (Werbung usw.) darauf ausgerichtet,
eine Beeinflussung der angesprochenen Zielgruppen zu erreichen. Im Gegensatz
zur externen Marketingkommunikation geht es jedoch nicht darum, Kunden zu erreichen, sondern das Denken, Fühlen und Verhalten der eigenen Mitarbeiter so zu
beeinflussen, dass es sich an den Marketingzielen des Unternehmens ausrichtet.
Eingesetzt werden hierfür zum einen Instrumente der Individualkommunikation
(z. B. interne Mailings, Gehaltsbeileger oder Mitarbeitergespräche, welche die
4.6 Strategieimplementierung
201
Kundenorientierung der Mitarbeiter fördern sollen). Daneben lassen sich zum anderen auch Instrumente der internen Massenkommunikation effektiv einsetzen, etwa
Betriebsversammlungen, schwarze Bretter, Intranet oder Mitarbeiterzeitschriften,
bspw. um besonders kundenorientierte Mitarbeiter auszuzeichnen und so das Marketing-Bewusstsein der Mitarbeiter zu fördern.
Beim personalorientierten Einsatz externer Marketing-Instrumente schließlich geht es darum, im Rahmen der eigentlich absatzmarktgerichteten MarketingMaßnahmen „Nebeneffekte“ auf die Mitarbeiter zu berücksichtigen und systematisch zu nutzen. Hier spielen v. a. Maßnahmen der Marketingkommunikation eine
Rolle. So werden bspw. Werbeanzeigen nicht nur von Kunden, sondern auch von
den eigenen Mitarbeitern gelesen. Die Airline Cathay Pacific etwa bildete in Werbeanzeigen eine namentlich genannte Stewardess (Grace Hetherington) ab, die sich
mit ihren Worten an den Leser wandte: „Service straight from the heart heißt für
mich: das Beste geben. Weil es mir genauso viel Freude macht wie unseren Kunden.“ Eine derartige Gestaltung der Kommunikation wirkt nicht nur auf Kunden,
sondern kann auch erheblichen Einfluss darauf entfalten, wie Mitarbeiter des Unternehmens ihre eigene Rolle definieren und deren Verhalten gegenüber Kunden wesentlich prägen.
4.6.2.3
Controlling-Systeme
Die Installierung geeigneter Controlling-Systeme zählt ebenfalls zu den Kernaufgaben der Marketing-Implementierung. Die Aufgaben des Controlling generell
werden oft mit Kontrolltätigkeiten assoziiert, die auf der Bereitstellung und Auswertung von Kostenrechnungsdaten für konkrete, kurzfristige Entscheidungen beruhen, bspw. die Berechnung der Rentabilität bestimmter Produkte im aktuellen
Geschäftsjahr. Derartige Aufgaben spielen in der Tat eine wichtige Rolle im Controlling. Der Aufgabenbereich des Controlling hat sich jedoch in der Vergangenheit
aufgrund der sehr viel komplexeren Management-Herausforderungen stark erweitert. Controlling wird heute im Allgemeinen als umfassendes System der Führungsunterstützung verstanden, dessen Aufgabenbereich sehr umfassend und sehr vielfältig ist (Weber 2005; Horváth 2008). Wird Controlling allgemein verstanden als
zielorientierte Unterstützung der Unternehmensführung (Reichmann 2006, S. 13),
so kann Marketing-Controlling interpretiert werden als die zielorientierte Unterstützung der Unternehmensführung im Hinblick auf die zentrale Management-Aufgabe, das Unternehmen an den Anforderungen von Markt und Stakeholdern auszurichten. Dieses Verständnis des (Marketing-) Controlling lässt sich in drei Leitlinien
fassen:
• Marketing-Controlling betrifft nicht nur Kontroll-Aktvitäten, sondern den
gesamten Management-Prozess und damit grundsätzlich alle Bereiche der
Planung, des Informationsmanagement und der Implementierung. Angesichts
der hohen Flopraten bei Neuprodukteinführungen im Konsumgüterbereich liegt
bspw. eine zentrale Aufgabe des Marketing-Controlling darin, den gesamten Pro-
202
4 Strategisches Marketing
zess der Neuproduktentwicklung so zu unterstützen, dass die Wahrscheinlichkeit
des Scheiterns von (kostenintensiven) Neuprodukteinführungen am Markt minimiert wird, z. B. durch geeignete Testmarkt-Instrumente.
• Marketing-Controlling umfasst nicht nur den Umgang mit Zahlen, sondern das
gesamte Spektrum managementrelevanter Informationen. Dies umschließt
zum einen „harte“ Fakten u. a. aus dem Rechnungswesen, etwa in Gestalt von
Produkt- oder Kunden-Deckungsbeitragsrechnungen, welche den wirtschaftlichen Erfolgsbeitrag einzelner Produkte oder Kunden aufzeigen. Daneben spielen
zum anderen auch „weiche“ Fakten eine bedeutende Rolle. Für ein LifestyleUnternehmen wie Puma gehört es zu den bedeutendsten Controlling-Aufgaben,
die Wahrnehmung der Marke durch Kunden oder die Entwicklung von persönlichen Werten und psychologischen Charakteristika der wichtigsten Trend-Zielgruppen zu überwachen.
• Marketing-Controlling beschäftigt sich nicht nur mit operativen „Alltagsfragen“
der Unternehmensführung, sondern umfasst alle Hierarchieebenen der Planung bzw. des Management. Neben operativen Controlling-Aufgaben wie der
Berechnung von Deckungsbeiträgen für einzelne Produkte, Kunden oder Vertriebskanäle spielt auch das strategische Controlling eine immer größere Rolle,
das die strategische Unternehmensplanung unterstützt. Die Balanced Scorecard
als Instrument der Strategieumsetzung im Unternehmen ist ein Beispiel für ein in
der Praxis heute sehr häufig genutztes Instrument im Bereich des strategischen
Controlling (s. Kap. 4.5.2).
Die konkrete Ausgestaltung von Marketing-Controlling-Systemen für bestimmte
Unternehmen hängt von verschiedenen situativen Faktoren ab, u. a. von Branche,
Unternehmensgröße, Strategie und Kultur des Unternehmens. Für eine FashionMarke wie adidas gehört die Beobachtung von Kleidungs- und Lifestyle-Trends
bei Trendsettern zu den zentralen Aufgaben des Marketing-Controlling. In einem
Discount-Unternehmen wie Aldi, dessen zentraler Wettbewerbsvorteil auf niedrigen Preisen beruht, gehört die laufende Kostenüberwachung zu den dominanten
Kernaufgaben eines Marketing-Controlling. Bei einem Energieversorger wie E.ON
wiederum, der Elektrizität u. a. aus der kontrovers diskutierten Kernkraft gewinnt,
stellt die Überwachung gesellschaftlicher und politischer Trends im Bereich Ökologie/Umwelt eine sehr wichtige Aufgabe des Marketing-Controlling dar. Die Beispiele verdeutlichen, dass die Schwerpunkte und konkreten Ausgestaltungsformen
eines Marketing-Controlling-Systems nur vor dem Hintergrund der Ausgangslage
des jeweiligen Unternehmens bestimmt werden können. Unabhängig von der konkreten Unternehmenssituation und -strategie gilt jedoch, dass das Marketing-Controlling aufgrund der komplexeren und verschärften Markt- und Wettbewerbsbedingungen als Unterstützungsfunktion des Management stark an Bedeutung gewonnen
hat und weiter gewinnt.
4.6.2.4
Unternehmenskultur und Corporate Identity
Ein vierter und sehr zentraler Punkt der Marketingimplementierung ist die marketinggerechte Gestaltung der Unternehmenskultur (Klee u. Stahl 2001). Die Unter-
4.6 Strategieimplementierung
203
nehmenskultur kann charakterisiert werden als das System gemeinsamer Denk-,
Fühl- und Verhaltensweisen der Mitglieder einer Organisation, das aus der Mitgliedschaft in der betreffenden Organisation heraus entstanden ist (Schein 2004).
So gibt es bspw. Unternehmen mit konservativen Kulturen, in denen traditionelle
Werte wie Disziplin, Zuverlässigkeit, Gehorsam usw. eine große Rolle spielen (relativ häufig z. B. bei Banken und Versicherern). Daneben existieren aber auch Unternehmen mit „jungen“ Kulturen, in denen viele Mitarbeiter ganz anderen Werten
eine hohe Bedeutung beimessen (z. B. Kreativität und konstruktive Kritik) und sich
entsprechend verhalten (häufig z. B. bei Werbeagenturen oder IT-Unternehmen).
Die Entwicklung der Kultur eines Unternehmens verläuft meist in einem
„schleichenden“, evolutorischen Prozess über einen längeren Zeitraum und ist den
Mitarbeitern zu großen Teilen unbewusst. Die Kultur hat zudem ein relativ hohes
Beharrungsvermögen und ist i. d. R. nicht innerhalb kurzer Zeit radikal veränderbar.
Die Kultur eines Unternehmens hat jedoch meist eine außerordentlich hohe Wirkung
auf jegliches Verhalten der Mitarbeiter. Der Versuch, die Entwicklung der Unternehmenskultur so zu steuern, dass diese die Erreichung der Marketingziele des Unternehmens fördert, muss daher im Regelfall einen zentralen Ansatzpunkt der Marketingimplementierung darstellen. Ein Marketingprogramm, das der Unternehmenskultur
zuwiderläuft, läuft ein sehr hohes Risiko zu scheitern (z. B. eine kundenorientierte
Positionierung der Deutschen Telekom in der Werbung, wenn ein Großteil der Mitarbeiter an der Kunden-Hotline des Unternehmen weder die Fachkompetenz noch die
Motivation hat, ernsthaft auf Kundenanliegen einzugehen).
Zur Gestaltung der Unternehmenskultur ergeben sich zwei zentrale Stoßrichtungen: Zum einen kann durch ein „symbolisches Management“ explizit versucht
werden, den Mitarbeitern zu vermitteln, welche Werte dem Unternehmen wichtig
sind (s. a. Box 4.2). Der Vorstandsvorsitzende der Porsche AG Wiedeking hat sich
bspw. persönlich mit Privatkunden des Unternehmens getroffen, die im Rahmen
eines Autokaufs bei dem Unternehmen negative Erfahrungen gemacht hatten. Derartige Handlungen verdeutlichen auf symbolische Weise allen Mitarbeitern des
Unternehmens, welchen Stellenwert der Kundenorientierung beigemessen wird.
Zum anderen kann die gesamte Infrastruktur des Unternehmens genutzt werden, um
dessen Kultur zu steuern. Die Gestaltung von Organisation, Personalmanagement
und Controlling-Systemen dient dann nicht nur dazu, z. B. organisatorische Sachprobleme zu lösen, sondern auch das Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeiter
zu prägen. Wenn z. B. im Unternehmen ein Key Account Management (s. o.) eingerichtet wird, das die Strukturen des Unternehmens um dessen Kunden zentriert,
wird damit nicht nur ein Organisationsproblem gelöst, sondern (unbewusst) auch
das Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeiter kundenorientiert beeinflusst. In
den Hotels des Ritz-Carlton-Konzerns in den USA hat jeder Mitarbeiter die Vollmacht, ohne Rücksprache mit Vorgesetzten zur Lösung von Kundenproblemen bis
zu $2.000 aufzuwenden, um einen Gast zufrieden zu stellen. Derartige personalpolitische Regelungen schaffen nicht nur rein sachliche Lösungen für Kundenprobleme, sondern tragen ganz erheblich dazu bei, eine kundenorientierte Dienstleistungs-Kultur im gesamten Unternehmen zu verankern.
Ein wichtiger strategischer Ansatz zur Gestaltung der Unternehmenskultur ist
die Corporate Identity-Strategie (CI-Strategie). Die CI-Strategie ist ein systema-
204
Box 4.2
4 Strategisches Marketing
Gestaltung der Unternehmenskultur bei der SBK (Quelle:
Leendertse 2008)
Um der Belegschaft zu zeigen, wie wichtig guter Service ist, gehen bei der
Siemens-Betriebskrankenkasse [SBK] Führungskräfte in Sachen Kundenorientierung mit gutem Beispiel voran. Wenn es gilt, die Gründe einer Kündigung zu erfahren, rufen SBK-Vorstandschef Hans Unterhuber und sein Führungskader Abtrünnige selbst an. In elf Prozent der Fälle schaffen sie es gar,
die Kündigung rückgängig zu machen. Auch auf Beschwerdemails (…) antworten die SBK-Chefs stets selbst und diskutieren alle zwei Monate mit den
Mitarbeitern des Beschwerdemanagements Lerneffekte aus dem Monierten.
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tisches Handlungsprogramm zur Gestaltung und Kommunikation der „Persönlichkeit“ einer Unternehmung. Analog zur Persönlichkeit eines Menschens beantwortet
die CI-Strategie für ein Unternehmen die Frage „Wer bin ich und wofür stehe ich?“.
Die CI-Strategie lässt sich in drei aufeinander aufbauende Aufgabenfelder untergliedern: Identitätsfindung, Identitätsgestaltung und Identitätsvermittlung (Wiedmann 1996).
Im Rahmen der Identitätsfindung besteht die Aufgabe darin, die aktuelle Identität des Unternehmens zu bestimmen. Da Selbst- und Fremdwahrnehmung hier
erheblich auseinanderklaffen können, liegt eine große Herausforderung darin, ein
„wahres“ Bild der Unternehmensidentität zu gewinnen. Wesentlich ist hier die Bestimmung der Unternehmensphilosophie. Die Philosophie eines Unternehmens
kennzeichnet das im Unternehmen vorherrschende Wertesystem, d. h. wie ein
Unternehmen zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung steht, wie es mit
seinen Kunden und Geschäftspartnern umzugehen gedenkt, welches Menschenbild
den Umgang mit Mitarbeitern prägt usw. Die Unternehmensphilosophie stellt damit
quasi das „Herz“ der Unternehmenskultur dar.
Im Anschluss an die Identitätsfindung stellt sich die Aufgabe der Identitätsgestaltung, da die Ist-Identität in den seltensten Fällen den erwünschten Soll-Zustand
darstellt. Welche Ansatzpunkte sich zur Gestaltung der Unternehmenskultur und
damit der Unternehmensidentität ergeben, skizzierte der vorige Abschnitt. Der direkteste Weg zur Gestaltung der Unternehmensphilosophie ist die schriftliche Formulierung der zentralen Werte, die das Unternehmen prägen sollen, in Gestalt von
sog. Unternehmensgrundsätzen (s. Abb. 4.33).
Der dritte logische Schritt der CI-Strategie liegt in der Identitätsvermittlung.
Deren Aufgabe ist es, die zuvor definierte Soll-Identität nach außen (an Kunden,
Öffentlichkeit usw.) und nach innen (an Mitarbeiter, Betriebsrat usw.) zu kommunizieren. Hierfür gibt es drei klassische Ansatzpunkte, den sog. CI-Mix:
• Corporate Behavior: Identitätsvermittlung durch in sich schlüssige und widerspruchsfreie Ausrichtung aller Verhaltensweisen der Unternehmensmitglieder (z. B. durch „Vorbildverhalten“ des Vorstands).
4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
205
Abb. 4.33 Unternehmensgrundsätze des Unilever-Konzerns (Auszüge) (Quelle: www.unilever.
de)
• Corporate Communications: Identitätsvermittlung durch systematisch aufeinander abgestimmten Einsatz aller Kommunikationsinstrumente (z. B. direkt durch
Image-Kampagnen).
• Corporate Design: Symbolische Identitätsvermittlung durch systematisch aufeinander abgestimmten Einsatz aller visuellen Elemente der Unternehmenserscheinung (Architektur, Logo, Schriftarten, Kleidung usw.).
4.7
Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
1. Unternehmen und Markt
Unternehmen und Historie Im Jahr 1886 gründete Robert Bosch (1861–1942) das
Unternehmen „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ in Stuttgart. Dort
wurden von zunächst zwei Mitarbeitern elektronische Geräte wie Telefonanlagen
206
4 Strategisches Marketing
hergestellt und installiert. Im Jahr 1887 stellte Bosch einen Magnetzündapparat
her und konnte durch dessen technische Verbesserung erste wirtschaftliche Erfolge
verzeichnen. Als Bosch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg in die Kraftfahrzeugtechnik einschlug, erlebte das Unternehmen durch den Erfolg des Automobils
einen starken Aufschwung. Das Wachstum des Unternehmens hat sich seit Gründung – mit Schwächephasen in der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre sowie
während des Zweiten Weltkriegs – recht kontinuierlich fortgesetzt. Im Jahr 1959
wurde begonnen, das Unternehmen in strategische Geschäftsfelder zu gliedern (s.
Kap. 4.1.2). Die Sparte Elektrowerkzeuge wurde 1960 gegründet und firmiert heute
als Bosch Power Tools (BPT) (Bosch 2007).
Nach 1990 verstärkte Bosch seine internationalen Aktivitäten. Die Öffnung der
osteuropäischen Märkte, das starke Wachstum asiatischer Wirtschaftsräume und
die weltweite Vernetzung von Entwicklung, Produktion und Vertrieb prägten und
prägen das Unternehmen. Heute ist Bosch ein internationales und in vielen Bereichen führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen. Die Bosch-Gruppe
umfasst die Robert Bosch GmbH und ihre rund 300 Tochter- und Regionalgesellschaften in mehr als 50 Ländern. Mit Kraftfahrzeug- und Industrietechnik sowie
Gebrauchsgütern und Gebäudetechnik erwirtschafteten rund 271.000 Mitarbeiter
im Geschäftsjahr 2007 einen Umsatz von €46,3 Mrd. Im Stammland Deutschland werden noch ca. 25% des Umsatzes erwirtschaftet. Der Gesamtumsatz von
€46,3 Mrd. verteilte sich im Jahr 2007 zu 66% auf Europa, 18% auf Amerika und
16% auf Asien und sonstige Länder.
Zahlen und Fakten Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über relevante Kennzahlen
des Bosch-Konzerns. Die positive Unternehmensentwicklung in den vergangenen
Jahren schlägt sich sichtbar in zentralen Erfolgskennziffern nieder.
Der Geschäftsbereich Bosch Power Tools Von den €11,7 Mrd. Umsatz im Jahr
2007 in der Gebrauchsgüter- und Gebäudetechniksparte des Bosch-Konzerns entfallen €3,1 Mrd. auf das Geschäftsfeld Elektrowerkzeug und Zubehör. Der Bereich
ist in fünf Produktfeldern tätig: handgehaltene Elektrowerkzeuge, Stationärgeräte,
Zubehör, Elektrogartengeräte sowie Messwerkzeuge. Mit diesen Werkzeugen
bediente BPT zunächst nur professionelle Verwender, seit den 1970er Jahren auch
Privatkunden („Do it yourself-Markt“). Die Unternehmensmarke Bosch ist die
Hauptmarke des Geschäftsfelds, daneben gibt es die Zweitmarken Skil und Dremel.
In dem Geschäftsbereich BPT arbeiten rund 16.000 Mitarbeiter des Konzerns.
BPT gehört zu den weltweit führenden Unternehmen in der Branche. Bei handgehaltenen Elektrowerkzeugen sowie Elektrowerkzeuge-Zubehör ist BPT Weltmarktführer, in den übrigen Produktsegmenten hat man jeweils zumindest starke
Marktpositionen inne. Dem Umsatz nach liegt BPT in diesem Geschäftsbereich
etwa gleichauf mit dem Hauptwettbewerber Black & Decker, der mit Elektrowerkzeugen und Zubehör etwa $5 Mrd. umsetzt (2007). In einigen Segmenten des Handwerker-Marktes (Bohren/Meißeln; Messwerkzeuge) stellt auch Hilti einen zentralen Wettbewerber dar. Weitere Mitbewerber wie Metabo, AEG oder Fein befinden
größenmäßig sich weit hinter Bosch.
207
4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
Tab. 4.1 Zentrale Kennzahlen der Bosch Unternehmensgruppe (Quelle: Bosch 2008)
2003a
2005b
2007
Umsatz [€ Mio.]
36.357
41.461
46.320
Anteil außerhalb Deutschlands [%]
71
73
75
Mitarbeiter im Jahresmittel [Tsd.]
229
249
271
- davon in Deutschland
105
110
112
- davon außerhalb Deutschlands
124
139
159
Forschungs- und Entwicklungsaufwandc [€ Mio.]
2.650
3.073
3.583
Ergebnis nach Steuern [€ Mio.]
1.100
2.450
2.850
Zahlen gemäß HGB-Rechnungslegung
b
Bis auf Ergebnis nach Steuern nur fortgeführte Bereiche
c
Einschließlich an Kunden direkt weiterverrechnete Entwicklungsleistungen
a
2. Strategische Herausforderungen für Bosch Power Tools
Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre geriet der Markt für Elektrowerkzeuge und damit auch BPT in eine schwierige Marktsituation. Gründe dafür waren
zum einen die schwache Weltkonjunktur, die Anschläge des 11. Septembers 2001
sowie rückläufige Entwicklungen in der Baubranche. Vor allem aber hatten die Markenhersteller wie BPT mit Anbietern aus Fernost zu kämpfen, die den europäischen
Markt mit sehr preisgünstigen Elektrowerkzeugen überschwemmten. Zwar sind
diese Produkte meist von minderer Qualität und haben keine lange Lebensdauer.
Dennoch übten sie einen enormen Preisdruck aus und führten zu einem Preisverfall in der Branche. In dieser Zeit bildete sich aufgrund der gesamtwirtschaftlichen
Lage bei vielen Konsumenten die sprichwörtliche „Geiz-ist-Geil“ Mentalität. Dies
hatte auch Konsequenzen für die Vertriebswege. Werkzeuge wurden von Heimwerkern nicht mehr nur in Baummärkten gekauft, sondern auch bei Discountern und
in anderen Geschäften. Diese gehörten nicht zu den traditionellen Vertriebskanälen
für BPT. Ähnliches galt für die gewerblichen Handwerker, die ihr Arbeitswerkzeug
nicht mehr ausschließlich im Fachhandel, sondern zunehmend auch im Direktvertrieb der Hersteller bezogen.
Das hatte zur Folge, dass zwar vom Jahr 2002 auf das Jahr 2003 im deutschen
Elektrowerkzeugmarkt die Anzahl an verkauften Werkzeugen um 1% auf 12 Mio.
Stück zunahm, dabei aber gleichzeitige das wertmäßige Marktvolumen um 11%
auf €513 Mio. zurückging (o.V. 2004a; s. Abb. 4.34). Auf dem Weltmarkt zeigte
sich das gleiche Phänomen: Einem leichten Anstieg der Absatzzahlen auf 131 Mio.
verkaufte Werkzeuge stand (vor Währungseffekten) ein deutlicher Umsatzrückgang
von 11% auf €7,1 Mrd. gegenüber (o.V. 2004b). Auch BPT hatte Umsatzverluste
zu verzeichnen. Der BPT-Umsatz lag 2003 bei €2,4 Mrd., währungsbereinigt ein
Minus von 2% gegenüber dem Vorjahr.
208
4 Strategisches Marketing
Menge (Stück)
Umsatz (€)
+ 1%
–11%
12 Mio.
2002
2003
513 Mio.
2002
2003
Abb. 4.34 Entwicklung des Marktes für Elektrowerkzeuge
3. Festlegung der Marketingstrategie für Bosch Power Tools
BPT reagierte auf die schwierige Marktsituation mit Veränderungen in drei Feldern
der Kundenstrategie.
Strategie der Marktentwicklung: Erschließung neuer Nutzergruppen Eine der
Stoßrichtungen der BPT-Strategie war es, neue Zielgruppen für das Produktangebot zu erschließen und so Umsatzverluste abzufedern (Strategie der Marktentwicklung; s. Kap 4.4.2.3). Man hatte beobachtet, dass sich im Heimwerkersegment
das typische Bild des Heimwerkers verändert. Das Streben nach Individualität im
Lebensstil schlägt sich auch in der Wohnraumgestaltung nieder. Es gibt immer
mehr Menschen, die beim Einrichten und Renovieren selbst zum Werkzeug greifen. Vor allem waren diese Heimwerker nicht mehr überwiegend Männer, die Zahl
der heimwerkenden Frauen nahm stark zu. Ebenso entdeckte die junge Generation
das Heimwerken für sich. Die BPT Elektrowerkzeuge galten zu diesem Zeitpunkt
zwar als ausgreift und solide, hatten aber eher ein konservatives Image, passend zu
der Zielgruppe der heimwerkenden Männer. Nicht nur die Marketing-Kommunikation war auf diese Klientel ausgerichtet, sondern auch das Design und die (geringe)
Handlichkeit der Werkzeuge.
Mit einer neuen Gestaltungslinie für Produkte, Verpackung und Kommunikation richtet sich BPT an diese „neuen Heimwerker“, ohne die traditionelle Zielgruppe aus den Augen zu verlieren. Zu den Maßnahmen zählen ein innovatives
Verpackungskonzept und die außergewöhnliche Gestaltung der Produkte. Bisher
wurden in der Kategorie Elektrowerkzeuge die Produkte in Kunststoff-Koffern oder
Kartonschachteln verkauft. Die Verpackung diente nur dem Transport und der Aufbewahrung. Für den Akkuschrauber Ixo bspw. entwickelte BPT hingegen ein neues
4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
209
Abb. 4.35 Bosch-Akkuschrauber Ixo mit Verpackung (Quelle: www.bosch.com.au)
Verpackungskonzept. Das Gerät ist in einer Art Keksdose verpackt, was wesentlich
interessanter und frischer wirkt, als alle andere Verpackungsarten der Konkurrenz
(s. Abb. 4.35).
Zudem gibt es den Ixo in unterschiedlicher Aufmachung zu verschiedenen Anlässen: von Ostern über den Valentinstag bis hin zu einer Weihnachtsedition.
Auch wird speziell in Frauenzeitschriften für den IXO geworben und es gab
spezielle PR Kampagnen, die sich auf die neue Zielgruppe der Frauen bezogen. Das
Produkt vermittelt mit seinem Design, seiner Ergonomie, seinem leichten Gewicht
und seiner Verpackung für jedermann geeignet zu sein. Ein optisch leichteres und
moderneres Design spricht insbesondere jüngere Heimwerker-Zielgruppen an.
Ausbau und Kommunikation der zentralen Wettbewerbsvorteile Ein zentraler
Ankerpunkt der BPT-Strategie lag zudem darin, die traditionellen Wettbewerbsvorteile der Marke v. a. gegenüber den Discount-Wettbewerbsmarken noch weiter
auszubauen und auch klarer als bisher zu kommunizieren. Im Gegensatz zur BilligKonkurrenz aus asiatischer Produktion verfolgte BPT mit hoher Konsequenz eine
Strategie der Qualitätsführerschaft (s. Kap. 4.4.5). Für Kunden relevante Wettbewerbsvorteile baute Bosch in den beiden Kernbereichen „Funktionsqualität“ und
„Service“ (s. Kap. 4.4.5.2) auf.
Mit Blick auf die Funktionsqualität der Produkte richtete BPT Produktentwicklung und Kommunikation noch konsequenter als zuvor auf die überlegene technische
Qualität aus. Qualität bedeutet nach der Interpretation von BPT mehr als Leistung,
Lebensdauer oder gute Arbeitsergebnisse. BPT vermittelt seinen Kunden, dass für
sie auch die mechanische und elektrische Sicherheit sowie funktionale Eigenschaften wie Vielseitigkeit, einfache Bedienung und Leistungsreserve wichtig sind. Dies
wird mit Bestwerten in den Bereichen Verarbeitung, Haltbarkeit, Umweltbelastung
und Übereinstimmung mit Vorschriften und Normen belegt. Bosch-Geräte unterscheiden sich auch in den hohen Sicherheitsstandards von den Produkten anderer
Unternehmen der Branche. So hat BPT als erstes Unternehmen Kühlflächen in die
Akkus seiner Elektrowerkzeuge eingebaut, um eine Überhitzung zu vermeiden. Die
Qualitätsstrategie schafft dem Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile, die
210
4 Strategisches Marketing
sich auch in (fehlenden) Rückrufaktionen der Produkte widerspiegeln. Während
Metabo und Black & Decker im Jahr 2006 bzw. 2002 aufgrund mangelhafter Produkte Rückrufaktionen durchführen und aufgrund dessen Gewinneinbußen verbuchen mussten, waren bei BPT keine derartigen Aktionen nötig.
BPT kommuniziert, dass eine Kaufentscheidung neben dem Preis v. a. die Lebensdauer, das Arbeitsergebnis und das Leistungsvermögen eines Elektrowerkzeugs berücksichtigen muss. Die BPT-Geräte übertreffen Billigprodukte in diesen
Kriterien und damit im Gesamtnutzen erheblich und rechtfertigen glaubhaft die
Preissetzung der Power Tools.
Im Bereich Service hat es BPT geschafft, ein Dienstleistungsniveau für Heimwerker, professionelle Anwender und den Fachhandel aufzubauen, das sich vom
dem der Wettbewerber deutlich abhebt.
Private Heimwerker können sich per Telefon-Hotline beraten lassen oder seit
dem Jahr 2007 über das Internetportal bosch-do-it.de Tipps und Informationen zum
Heimwerken und zu den BPT-Produkten abrufen. Im Jahr 2008 eröffnete BPT unter
dem Titel „Power Tools Learning Campus“ eine Informationsdatenbank für Handwerker, Heimwerker und den Handel (s. Abb. 4.36). Diese soll zum größten Internetwissensportal für Elektrowerkzeuge ausgebaut werden.
Professionellen Anwendern bietet BPT Zusatzleistungen in Form von maßgeschneiderten Servicepaketen. Das „ServicePlus“-Paket etwa bietet dem Handwerker auf Wunsch sehr weitreichende Leistungen in Gestalt von Austauschgeräten im
Schadenfall, zugesicherten Reparaturfristen, Ersatzteilgarantien, Reparaturkostenübernahme und weiteren Services bis hin zu Leasing-Dienstleistungen.
Abb. 4.36 Der „Bosch Power Tools Learning Campus“ (Quelle: www.powertool-portal.com)
4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
211
Händlern stellt BPT individualisierte Instrumente zur Verfügung, mit denen sie
sich vom Wettbewerb differenzieren können. So bietet BPT Vertriebspartnern eine
Zertifizierung als „Bosch System Spezialist“ (BSS) an. Qualifiziert sich ein Händler als BSS, erhält er einen professionellen Marktauftritt, den BPT finanziert. Die
Produkte werden übersichtlich und kundenfreundlich präsentiert und der Verkaufsraum optimal gestaltet. Über 1.600 derartiger BSS konnte BPT bereits in Europa
einrichten. Dazu erhält der Fachhändler Unterstützung durch ausgebildete Experten,
die direkt auf den Verwender zugehen und die Produkte vorstellen. Zusammen mit
dem BSS-Fachhändler besuchen die Experten auch BPT-Verwender auf der Baustelle und nutzen dafür speziell mit BPT-Werkzeugen und -Zubehör ausgestattete
Fahrzeuge. Größere BSS-Händler erhalten von BPT Unterstützung durch ein Shopin-Shop-Konzept, das als Markenauftritt für die direkte Kommunikation mit den
Verwendern dient. BPT stattet diese Shops mit einer großen Auswahl an Elektrowerkzeugen und Zubehör aus. Der Kunde hat die Möglichkeit, zusammen mit einem
Fachberater das Werkzeug vor Ort zu testen. BPT hat seinen Vertriebspartnern in
Europa inzwischen 700 derartiger Shops zur Verfügung gestellt. Parallel bietet BPT
dem Fachhandel Kommunikationshilfen, Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen
für das Personal, viele Internetseiten, Printmedien wie das „Taschenbuch für Handwerk und Industrie“ und Fachberater vor Ort.
Ausbau der Pionierstrategie Ein dritter strategischer Ansatz für BPT bestand im
Ausbau der verfolgten Timing-Strategie (s. Kap. 4.4.6). Durch intensivierte Aktivitäten im Bereich F&E, die sich in einem kontinuierlich steigenden F&E-Budget
niederschlagen, gelang es BPT, die Rolle als Innovator im Markt für Elektrowerkzeuge auszubauen und hier in vielen Bereichen eine klare Führungsposition gegenüber den Wettbewerbern einzunehmen („Pionierstrategie“; s. Kap. 4.4.6.2). Diese
hohe Innovationskraft dient dazu, die Qualitätsführerschaft in den relevanten Märkten (s. o.) abzusichern. Bosch investierte daher 2007 rund €3,6 Mrd. in Innovation
und Forschung und meldete 3.280 Patente an. Die Umsatzstruktur spiegelt diese
Innovationsorientierung wider: 36% des Umsatzes in 2007 erzielte BPT mit Produkten, die weniger als zwei Jahre im Markt sind.
Bosch hat durch seine großen Investitionen in F&E einen Wettbewerbsvorsprung an Fach- und Methodenwissen erarbeitet. Zwar treten Mitbewerber
mit ähnlichen Produkten auf und unterbieten teilweise den Preis. BPT schafft
es jedoch regelmäßig die Rolle als Innovationsführer und Pionier im Markt zu
besetzen. Im Falle der sehr erfolgreichen Ixo-Akkuschrauber, die seit 2003 mit
der Lithium-Ionen-Akkutechnologie vertrieben werden, folgten bspw. die Hauptkonkurrenten Metabo und Black & Decker erst deutlich später mit vergleichbaren
Produkten.
Neben den Ausgaben für die technische Forschung wurden in den letzten Jahren
auch die für Marktforschung um 70% erhöht, um noch kundennähere Produkte zu
entwickeln. Ziel sind Produkte, die „wie in die Hand des Benutzers geschneidert“
sind. Ein neues frisches Design, leichtere und handlichere Geräte, leichte Bedienbarkeit, originelle Verpackungen spielen hierbei eine große Rolle, ergänzt durch
innovative Techniken wie die Lithium-Ionen-Technologie für Akkus, durch die die
212
4 Strategisches Marketing
1. Definition Marktfeld
Marktdurchdringung
Innovationsoffensive;
Ausbau F&E
Erschließung neuer Zielgruppen
(Frauen, junge Heimwerker)
Marktentwicklung
Produktentwicklung
international
Diversifikation
national
Pionier
5. Definition
Markt-Timing
Ausbau von
Funktionsqualität
und Services
regional
Früher
Folger
2. Geografische
Marktdefinition
Später
Folger
Nischenstrategie
PreisführerStrategie
Marktsegmentierungsstrategie
Massenmarktstrategie
QualitätsführerStrategie
4. Definition
Wettbewerbsvorteil
3. Definition
Marktabdeckung
Abb. 4.37 Strategieprofil von Bosch Power Tools
Geräte leichter, kleiner und haltbarer werden. Gerade bei Geräten mit dieser Technologie erzielt BPT daher die höchsten Marktanteile.
Abbildung 4.37 zeigt im Überblick die umgesetzten Neuorientierungen in der
BPT-Strategie.
4. Resultate der neu fokussierten Strategie von Bosch Power Tools
Die neu fokussierte Marketingstrategie von BPT schlägt sich sichtbar in den Geschäftsergebnissen des Unternehmensbereichs nieder. Hatte BPT im Jahr 2003 noch
einen leichten Umsatzrückgang auf €2,4 Mrd. zu verzeichnen, stieg dieser bis 2007
in einem schwierigen Marktumfeld um insgesamt 29% auf €3,1 Mrd. Der Bereich
Gebäudetechnik und Gebrauchsgüter, dem auch BPT angehört, arbeitet dabei überproportional profitabel. Er trägt 25% zum Konzernumsatz bei, erwirtschaftete mit
€879 Mio. jedoch 29% des operativen Konzernergebnisses (Bosch 2008). Auch in
anderen Fakten zeigt sich der Erfolg der veränderten BPT-Strategie (Berdi 2007):
• Trotz des hohen Wettbewerbsdrucks erzielte Bosch seit 2000 merkliche Marktanteilsgewinne in den Baumärkten (in Deutschland plus 4% auf 37%).
• Das Preisniveau konnte Bosch trotz starkem Preisdruck dank der gestärkten
Marke und innovativer Services aufrecht erhalten.
• Im Vertriebskanal „Baumärkte“ stammen in Deutschland 16 der 20 bestverkauften Elektrowerkzeuge von Bosch.
4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools“
213
• Besonders erfolgreich ist der Akku-Bohrschrauber Ixo, der seit 2003 jährlich
das meistverkaufte Elektrowerkzeug der Welt ist und auf eine Absatzmenge von
8 Mio. Stück seit Produktionsbeginn verweisen kann.
BPT erhielt 2007 den Deutschen Marketing-Preis. Mit dieser Auszeichnung prämiert der Deutsche Marketing-Verband herausragende Leistungen im Marketing.
Ausschlaggebend für die Jury war der nachhaltige Erfolg in einem schwierigen
Marktumfeld, den Bosch mit seiner Neuausrichtung der Innovations- und Marketingstrategie erzielte.
5. Key Learnings
Das strategische Kernproblem, vor dem BPT Anfang der 2000er Jahre stand, war
das direkte Resultat gesättigter Märkte in Verbindung mit zunehmender Internationalisierung der Wirtschaft. Dies ist keine Besonderheit der Werkzeugbranche,
sondern eher die Norm in vielen Branchen. Das Beispiel BPT zeigt, dass eine solche
Marktsituation keineswegs zwingend mit Marktanteilsverlusten und Margenverfall
einhergehen muss. Voraussetzung ist jedoch eine stringent geplante und umgesetzte
Marketingstrategie. Dabei gilt u. a.:
• Es gibt keine erfolgreiche Standardstrategie für bestimmte Marktsituationen.
Jedes Unternehmen muss ein individuelles Strategieprofil bestimmen, das der
Unternehmens- und Marktsituation gerecht wird (s. Kap. 4.4.7). Oft führt der
verschärfte Wettbewerb dazu, dass Unternehmen dem vermeintlich unvermeidbaren Preisdruck nachgeben. BPT hat sich sehr konsequent gegen den Markttrend der „Discounterisierung“ gestemmt und so den ökonomischen Erfolg sogar
noch stark steigern können. Ein bewusstes Abweichen von der Strategie der
Wettbewerber ist oft erfolgreicher als das Folgen vermeintlich unvermeidbarer
„Branchentrends“.
• Eine erfolgreiche Strategie beruht auf der Zusammenführung von zwei zentralen Perspektiven. Zum einen ist dies die Marktorientierung („Market-Based
View“), die sich bei BPT u. a. in dem um 70% erhöhten Marktforschungsbudget
zur Analyse von Kunden und Wettbewerbern zeigt. Zum anderen sind dies die
eigenen Ressourcen („Resource-Based View“; s. Kap. 4.4.5.1). Im Fall BPT
war dies eine sehr konsequente Rückbesinnung auf die traditionellen Stärken
der Marke: eine hohe Funktionsqualität der Produkte, ein gut in den Köpfen
der Zielgruppen verankerte Qualitätsmarke (auch wenn diese modernisiert werden musste) und eine hohe technische Kompetenz, beruhend auf intensiven
F&E-Aktivitäten.
• Eine klare Fokussierung auf Qualitäts- oder Preisführerschaft (s. Kap. 4.4.5)
ist Grundlage für eine profitable Stellung am Markt. Die asiatische DiscountKonkurrenz weist mit der Strategie der Preisführerschaft ein sehr klares Profil
auf (s. Kap. 7.1); deren Preisniveau wäre für Bosch kaum erreichbar gewesen.
BPT hat daher die Entwicklung des gesamten Unternehmens stringent auf das
Ziel der Qualitätsführerschaft ausgerichtet, die wiederum unerreichbar für die
Preisführer-Konkurrenz ist und BPT in vielen Bereichen die Alleinstellung am
Markt sichert. Wettbewerber wie Metabo oder AEG weisen kein so klares Stra-
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4 Strategisches Marketing
tegieprofil wie BPT oder die asiatischen Discount-Anbieter auf; dies schlägt sich
in einer verringerten Unternehmensprofitabilität nieder.
• Die Pionierstrategie (s. Kap. 4.4.6) ergänzt sich effektiv mit der Strategie der
Qualitätsführerschaft im Bereich der Funktionsqualität. Die hohen Investitionen von BPT im F&E-Bereich stellen eine qualitative Weiterentwicklung der
angebotenen Produkte sicher. Darüber hinaus kann BPT als Pionier auf globalen
Absatzmärkten erhebliche Erfahrungskurveneffekte (s. Kap. 4.2.4) erzielen. Der
weltweit sehr erfolgreiche Akku-Bohrschrauber Ixo bspw. hatte bereits ein millionenstarkes Absatzvolumen erzielt, als Wettbewerber wie Black & Decker mit
Konkurrenzprodukten auf den Markt traten. Selbst bei vergleichbaren Marktpreisen kann sich BPT hier hohe Ertragsvorteile gegenüber den Wettbewerbern
sichern.
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