30 Inhalt Globalisierung - internationale Gerechtigkeit für die Jugend weltweit!? Globalisierung: Eine Bestandsaufnahme Der Begriff Globalisierung ist zu Beginn des dritten Jahrtausends in aller Munde. Er beschreibt die komplexen und von unterschiedlichen Interessen bestimmten Vorgänge weltweiter Vernetzung in den Bereichen der Kultur und des Zusammenlebens, der Wirtschaft und der Politik. Die Welt wächst zusammen, Beziehungen und Transaktionen verdichten sich und Probleme verquicken sich miteinander. Der Ressourcenverbrauch nimmt exponentiell zu. Weltweit steigt die Arbeitslosigkeit und das Bevölkerungswachstum stetig an. Durch die zunehmenden Aktivitäten des Welthandels und die ständig wachsende Bedeutung der Informationstechnologie wird eine gerechte Globalisierung immer schwieriger. Zu den Gewinnern der Globalisierung gehören weltweit die Industrienationen, die transnationalen Konzerne und wenige Kapitaleigentümer. 4/5 der Ressourcen werden von 1/6 der Weltbevölkerung in den Industrienationen beansprucht. Das Kapital der 15 reichsten Personen der Welt übersteigt das gesamte Bruttoinlandsprodukt Afrikas südlich der Sahara. 1,3 Milliarden Menschen müssen mit weniger als 1 US$ pro Tag auskommen. Die Staatsverschuldung beträgt 250 Milliarden US$ weltweit. 840 Millionen Menschen gelten als unterernährt. Verlierer sind damit unter anderem die Entwicklungsländer, Umwelt und Natur, die Ureinwohner, die Arbeitnehmer und die Frauen. Obwohl Frauen weltweit über die Hälfte aller Arbeitsstunden leisten und gerade in den Ländern des Südens den größten Teil der Nahrungsmittel produzieren, liegt der Anteil der Frauen an der armen Bevölkerung in der Welt bei 70 %. Impressum Herausgeber Deutscher Bundesjugendring e.V. Mühlendamm 3 10178 Berlin Telefon: 030 / 400 404 - 00 Telefax: 030 / 400 404 - 22 E-Mail: [email protected] Internet: www.dbjr.de Gunda Voigts (V.i.S.d.P.) Dezember 2004 "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts" (Willy Brandt). Auch wenn ein friedliches Zusammenleben der Menschen nicht in erster Linie von der weltweiten Globalisierung abhängt, so wirken natürlich die Folgen dieser gesellschaftlichen Entwicklungen aufeinander ein. Gerade Unrecht und Unterdrückung in Krisenregionen sind immer wieder Nährboden für Krieg, Terrorismus und ähnliche Bedrohungen. Spätestens seit dem 11. September 2001 und dessen Folgen wird immer deutlicher, dass sich die Form eines geordneten, auf kollektive Willensbildung innerhalb der Staatengemeinschaft insistierenden Verfahrens nicht durchsetzt, sondern viel zu oft situationsbedingte Entscheidungen einzelner UN-Mitglieder zu folgenschweren Handlungen führen. Damit einher geht viel zu oft eine sehr einseitige Berichterstattung der Medien, die zu pauschalen Vorverurteilungen führen. Waren es im Mittelalter noch eindeutiger die Ressourcen, um die die Menschen miteinander kämpften, spielen jetzt Kultur, Weltanschauung oder Religion eine zunehmend größere Rolle - zumindest in der öffentlichen Argumentation. Position Folgen der rasanten Entwicklungen sind weltweite Ungerechtigkeiten, die Armut, Krieg, Terror, Gewalt und Perspektivlosigkeit vieler Menschen zur Folge haben. In den letzten Jahren hinzugekommen sind die existentiellen Bedrohungen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas durch Krankheiten und unzureichende Gesundheitssysteme, wie beispielsweise im Falle der Pandemie HIV/AIDS. Folgen der Globalisierung für Kinder und Jugendliche In einer Welt, die sich zunehmend vernetzt und zusammenwächst, sind Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung von den Auswirkungen der Globalisierung vielfach betroffen. Dabei werden die Heranwachsenden in den armen Ländern dieser Welt in weit größerem Maße als ihre Altersgenossen in den Industrienationen von den negativen Folgen der Globalisierung beeinflusst. Kinderarbeit, Kinderarmut, Kinderprostitution, Kindersoldaten und Kindermigration kennzeichnen ihre Situation. Die Hälfte der 1,2 Milliarden Menschen, die in Armut leben, sind Kinder und Jugendliche. Kinder und Jugendliche in Deutschland und anderen Wohlstandsgesellschaften nutzen einerseits die Chancen der Globalisierung. So profitieren sie vom Zusammenwachsen der Welt etwa in den Bereichen Kommunikation, Kultur, Tourismus, Information und Konsum. Zugleich ist ihre Zukunft in besonderem Maße durch die Versuche der Politik, sich vermeint- 2 lichen Globalisierungszwängen anzupassen, gefährdet. Fehlende Ausbildungs- und Arbeitsplätze und die Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme, die Kürzung der Ausgaben für Bildung sind Beispiele dafür. Junge Menschen stehen heute in der Phase des Heranwachsens vor einer doppelten Herausforderung. Die subjektiv zu bewältigende Aufgabe der Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung geschieht im Kontext der Gesellschaft, die angesichts der globalen Herausforderungen von wachsender Komplexität gekennzeichnet ist. Der Verlust traditioneller Bindungen, die Verschärfung der sozialen Gegensätze, die Überflutung mit schier unzähligen Informationen und das rapide Tempo des sozialen Wandels markieren diese Herausforderungen. Von Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wird immer wieder der Eindruck erweckt, die fortschreitende Globalisierung folge einem Naturgesetz. Deshalb sei man gezwungen, dem Globalisierungsdruck nachzugeben und sich auf die Dauer dessen vermeintlichen Regeln zu unterwerfen. Diese Verschleierung der Realität führt dazu, dass die eigentlichen Akteure der Globalisierung nur schwer zu identifizieren und damit zu beeinflussen sind. Kinder und Jugendliche wollen die Welt aktiv mitgestalten und sich mit ihrer Kreativität und Fantasie, ihren Ideen und Vorschlägen in die Entscheidungen für das Heute und Morgen wirkungsvoll einmischen. In den vorhandenen Vernetzungen wird das immer schwieriger. Globalisierung Das Ergebnis dieser globalen Entwicklung sind leider viel zu oft Kinder und Jugendliche, die ohne Bildungs- und Zukunftschancen aufwachsen. Bewertung Es wird deutlich, dass ökonomische Interessen zunehmend die Triebfeder der Globalisierung sind. Internationale Finanzmärkte gewinnen in hohem Maße an Bedeutung gegenüber dem klassischen Handel. Hinter all diesen Bestrebungen verschwinden die begrüßenswerten Aspekte der Globalisierung, wie eine Globalisierung des Umweltschutzes, der praktischen Aner-kennung und Verwirklichung der Menschenrechte oder globale Anstrengungen zur Bekämpfung von Armut, Hunger und sozialer Ungerechtigkeit. Die Chancen, die eine gerechte Globalisierung und ein friedvolles Zusammenleben der Menschen gerade für Kinder und Jugendliche weltweit bieten, werden dann genutzt, wenn es gelingt, diesen Prozess transparent und demokratisch zu gestalten und vermehrt entlang der Kriterien der Nachhaltigkeit für Mensch und Umwelt, denn an denen der Gewinnorientierung auszurichten. Wir müssen Kinder und Jugendliche befähigen, mit diesen Herausforderungen umgehen zu können. Die Ausarbeitung und Verbreitung eines Ansatzes von "Globalem Lernen", welcher Subjekte dazu befähigen kann, unpersönlichere, abstraktere Beziehungsformen aufzubauen und dabei zugleich die eigene unverwechselbare Identität zu bewahren. Es ist notwendig, Fähigkeiten zu erwerben, die eine abstraktere Anschlussfähigkeit an viele Lebenssituationen ermöglicht. Der Komplexitätssteigerung infolge der Globalisierung muss mit Lernkonzepten begegnet werden, die dazu befähigen, sachliche Widersprüche auszuhalten, mit Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu kommunizieren, den eigenen Handlungsspielraum realistisch einzuschätzen und damit umzugehen, nur wenige Entscheidungen wirklich selber treffen zu können. Gestaltung der Globalisierung: Forderungen 1. Global Governance - Internationale Rahmenbedingungen schaffen Durch die Globalisierungsprozesse stehen heute fast alle Gesellschaften, Staaten, Organisationen, Akteursgruppen und Individuen auf irgendeine Weise miteinander in einem komplexen System wechselseitiger Abhängigkeiten zueinander. Das wirft die Frage auf, wie man Regeln schaffen kann für dieses komplexe System einschließlich der dominierenden Akteure der Weltwirtschaft. Globale Geld- und Warenströme müssen transparent sein, damit politische Steuerung möglich ist. 3 Wir fordern daher von der Bundesregierung den Einsatz für: eine internationale Handelsordnung, die den Menschen und der Umwelt dient. soziale und ökologische Mindeststandards weltweit. eine Stärkung und Demokratisierung internationaler Rechtssysteme und Organisationen (Internationale Gerichtshöfe, UNO). Entscheidungskriterien und -prozesse müssen transparenter werden. Die Verbindlichkeit für deren Umsetzung in den Nationalstaaten muss erhöht werden. eine demokratische Reform der Welthandelsorganisation. Verhandlungen müssen öffentlich stattfinden und Nichtregierungsorganisationen beteiligt werden. Allen Ländern muss eine faire Teilhabe am Welthandel ermöglicht werden. Handelsabkommen müssen zukünftig wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen berücksichtigen. eine demokratische Reform der Finanzorganisationen Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). 2. Um die Chancen und Risiken der Globalisierung für die je eigene Entwicklung nutzen und bewältigen zu können, müssen gerade Kinder und Jugendliche lernen, die Welt zu verstehen und sich in ihr zurecht zu finden. Darum verpflichten wir uns als Jugendverbände und fordern gleichzeitig von allen, die in dieser Gesellschaft auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene für schulische und außerschulische Bildung von Kindern und Jugendlichen Verantwortung tragen: "Globales Lernen" ist als pädagogische Antwort auf globale Herausforderungen in schulischen und außerschulischen Zusammenhängen umzusetzen. Das Vermitteln von Medienkompetenz und Umgang mit Informationen ist zu ermöglichen. Friedenserziehung und das Vermitteln interkultureller Kompetenzen sind zu ermöglichen. Globales Lernen hat zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche letztlich nur das lernen, was sie als subjektiv relevant wahrnehmen und das an vorhandene Motivations-, Interessens- und Wissensstrukturen anknüpft. Einen hohen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang die internationale Jugendarbeit mit entsprechender Bildungsarbeit und internationalen Begegnungen. Einige Jugendverbände können auf langjährige Partnerschaften im europäischen Kontext und darüber hinaus zurückblicken, die auch dadurch eine langfristige Wirkung in der Erarbeitung und Umsetzung einer gemeinsamen Idee von einer gerechten Welt haben. Position In diesem Zusammenhang fordern wir von der Bundesregierung: die Förderung globalen Lernens auch in Politikfeldern auszubauen, die nicht durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes abgedeckt sind und insbesondere im Bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) explizit Mittel für die entwicklungsbezogene Bildungsarbeit bzw. Globales Lernen im Kontext der verbandlichen Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. eine gezielte und verstärkte Förderung des Austauschs zwischen Jugendlichen aus Deutschland und Entwicklungs-/Schwellenländern. Die "Jugendpolitischen Maßnahmen mit Entwicklungsländern" aus dem Kinder- und Jugendplan müssen als wichtiges Lernfeld anerkannt und mit einer höheren staatlichen Förderung ausgestattet werden. auch weiterhin die Einbeziehung, Stärkung und Förderung der selbstorganisierten Kinder- und Jugendarbeit in internationalen, insbesondere bilateralen Zusammenhängen. 3. Kinder und Jugendliche wollen sich aktiv in die erforderliche demokratische Gestaltung der Welt einbringen. Wichtige Entscheidungen werden zunehmend auf internationaler Ebene geführt, die demokratische Kontrolle dieser Prozesse durch die Gesellschaft verringert sich. 4 fairer weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zum Ziel haben, die eine Teilhabe an den Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung sichert und größere Handlungsspielräume für eine nachhaltige Entwicklung im eigenen Land ermöglicht. Wir fordern daher weiterhin von der Bundesregierung und allen Verantwortlichen weltweit: die Schulden der dreißig ärmsten Ländern zu erlassen, das Instrument der Schuldenumwandlung weiter auszubauen und mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, entwicklungspolitische und ökologische Kriterien bei der Vergabe von "Hermes"-Bürgschaften zu Grunde zu legen, den Abbau des weltweiten Rüstungsmarktes und Transfer ökologisch verträglicher EnergieTechnologien. Außerdem setzen wir uns als Jugendverbände: für fairen Handeln ein und unterstützen die bestehenden Initiativen und Projekte in diesem Bereich. für Mädchen- und Frauenförderung in den Entwicklungs-/Schwellenländern ein. Wir fordern daher unter Berücksichtigung der sonstigen Positionen des Deutschen Bundesjugendring zu Mitwirkung mit Wirkung politische Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche bzw. für Jugendverbände als ihre Interessenvertretung weltweit, auch in internationalen Bezügen. 4. Eine gerechte Globalisierung muss bei den politischen, ökonomischen und geschlechtergerechten Rahmenbedingungen ansetzen. Solidarische Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Bekämpfung der Armut und Unterernährung müssen auf die Errichtung effizienter sozialer Sicherungssysteme, auf die Zurückdrängung von Korruption, die Herstellung von Rechtssicherheit und Frieden, Verbesserung im Bereich von Bildung und Ausbildung, auf Ermöglichung von Wachstum auch in Entwicklungsökonomien sowie auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zielen. Armutsbekämpfung bedeutet mehr als die soziale Grundversorgung - sie muss die strukturellen Faktoren angehen. Solange eine übermäßige Schuldenlast jede Investition in "menschliche Ressourcen" verhindert, wird jede Hilfe zur Selbsthilfe ins Leere laufen. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit muss also die Herstellung Einstimmig von der 77. Vollversammlung am 3./4. Dezember 2004 in Bremen beschlossen.