Leydigzell-Hypoplasie und Testotoxikose

Werbung
M E D I Z I N
Annette Richter-Unruh
Leydigzell-Hypoplasie und
Testotoxikose — wenig
bekannte Krankheitsbilder
Klinische und molekulare Grundlagen bei Vorliegen von
Mutationen im LH-Rezeptor-Gen
Zusammenfassung
Ein intakter LH-Rezeptor (LH, luteinisierendes
Hormon) ist nicht nur die Voraussetzung für
eine Ovulation und eine Schwangerschaft, sondern auch für eine normale männliche Geschlechtsdifferenzierung. Mit Klonierung des
LH-Rezeptor-Gens konnten inaktivierende Mutationen bei Frauen als Ursache für eine primäre Amenorrhö und Infertilität und bei Männern für einen Mikropenis, Genitalfehlbildungen (intersexuelles Genitale, Hypospadien)
und Infertilität nachgewiesen werden. Aktivierende Mutationen im LH-Rezeptor-Gen hingegen führen infolge einer nicht zentral gesteuerten kontinuierliche Testosteronproduktion
zu einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung bei
Jungen, die unbehandelt in einem Kleinwuchs
endet. Auch wenn innerhalb der letzten Jahre
zunehmend Mutationen im LH-Rezeptor-Gen
D
ie Geschlechtsdeterminierung unddifferenzierung sind sehr komplexe
Vorgänge, die von vielen Entwicklungsgenen und -faktoren abhängig sind.
Die Fortschritte auf dem Gebiet der molekulargenetischen Diagnostik haben in
den letzten Jahren einen wesentlichen
Beitrag geleistet, um den Ablauf dieses
genetischen Programms besser zu verstehen. Angesichts der Komplexität verwundert es, dass Störungen der Geschlechtsentwicklung zu den seltenen Erkrankungen gehören. Noch fehlen epidemiologische Daten über die Häufigkeit
dieser Störungen. Jedoch ist durch das
zunehmende Interesse an somatosexuellen Störungen in den nächsten Jahren mit
konkreten Angaben zu rechnen.
Mit Einrichtung eines durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Netzwerkes mit der Bezeichnung „Intersexualität“
(www.netzwerk-is.de) wurde Ende 2003
eine Kommunikationsplattform für den
interdisziplinären Austausch unter Ärz-
identifiziert wurden, stellen die Leydigzell-Hypoplasie, durch inaktivierende Mutationen verursacht, und die Testotoxikose, durch aktivierende Mutationen verursacht, immer noch wenig bekannte Krankheitsbilder dar.
Schlüsselwörter: LH-Rezeptor, Pseudohermaphroditismus maskulinus, Testotoxikose, intersexuelles Genital
Summary
Leydigcell-Hypoplasia and Testotoxikosis
– Infrequent Diseases Clinical and
Molecular Basis in the Presence of Mutations of
the LH-Receptor-Gen
After cloning the luteinizing hormone (LH)
receptor many mutations in the LH receptor
gene have been described that throw light on
ten, Psychologen, Grundlagenforschern
und auch Betroffenen geschaffen. Unter
anderem untersucht die Arbeitsgruppe
der Autorin in einem Teilprojekt bei betroffenen Patienten den LH-Rezeptor
(LH, luteinisierendes Hormon). Seit der
Etablierung der Untersuchung des LHRezeptor-Gens im Zentrum für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Essen konnten neun neue Mutationen beschrieben werden. Die Zahl der zu untersuchenden Patienten steigt kontinuierlich. Es ist davon auszugehen, dass die sicher seltenen, aber bisher wenig diagnostizierten Mutationen im LH-RezeptorGen eine klinisch durchaus relevante
Krankheitsgruppe darstellen. Die sicher
seltenen, aber bisher wenig diagnostizierten Mutationen im LH-Rezeptor-Gen
stellen eine klinisch durchaus relevante
Krankheitsgruppe dar.
Zentrum für Kinderheilkunde, Klinik für Hämatologie/Onkologie und Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. med. Werner Havers) des Universitätsklinikums Essen
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
both the physiological function of the LH receptor and its molecular mechanism of action.
Loss-of-function mutations (Leydig cell hypoplasia) inactivate the receptor and give rise to
primary amenorrhea and infertility in women
and intersexual genitalia, hypospadias, micropenis and infertility in men. Gain-of-function
mutations (testotoxicosis, familial male precocious puberty) cause constitutive activation of
the LH receptor and result in precocious puberty in boys and, if untreated, in short stature.
Although the phenotypes associated with LH
receptor mutations clearly illustrate the importance of the receptor in female and male sex
differentiation, puberty and gonadal function,
its clinical implications merit a widespread appreciation.
Key words: LH receptor, male pseudohermaphroditism, testotoxicosis, intersexuality
Klinische Grundlagen
Unter den Hormonen, die vom Hypophysenvorderlappen produziert werden,
stellen LH, follikelstimulierendes Hormon (FSH) und thyreoidstimulierendes
Hormon (TSH) eine eigene Familie
dar, die Glykoprotein-Hormone. Diese
üben ihre intrazellulären Wirkungen
über spezifische Rezeptoren, die LH-,
FSH- und TSH-Rezeptoren, aus. Die Gonadotropine LH und FSH besitzen eine
Schlüsselrolle in der Regulation der Hoden- und Ovarfunktion.LH stimuliert sowohl die testikulären Leydigzellen als
auch die Thekazellen des Ovars über den
LH-Rezeptor zur Androgenproduktion.
Bei der Frau werden die Androgene in
den Granulosazellen des Ovars durch
die FSH-abhängige Aromatase zu Östrogenen aromatisiert (Grafik 1). Eine Inaktivierung des LH-Rezeptors führt zur
Leydigzell-Hypoplasie, und aufgrund des
fehlenden Feedbacks der Sexualsteroide
entwickelt sich ein hypergonadotroper
A 673
M E D I Z I N
Hypogonadismus. Der LH-Rezeptor interagiert nicht nur mit LH, sondern auch
mit dem plazentaren LH-Homologon
hCG. Die Bindung von LH/hCG aktiviert über den Second-Messager cAMP
die Enzyme der Steroidbiosynthese und
sorgt für die Bildung von Testosteron aus
Cholesterin.
Eine entscheidende Bedeutung hat
der LH-Rezeptor in der Geschlechtsdifferenzierung (Grafik 2 a). hCG bindet
an den LH-Rezeptor und setzt die fetale
Testosteronbildung in Gang. Das innere
und äußere Genitale entwickelt sich
männlich. Die Produktion von AMH
(Anti-Müllersches Hormon) durch die
fetalen Sertolizellen verläuft unabhängig vom hCG/LH-Rezeptor und
sorgt für die Regression der Vorstufen
der weiblichen inneren Genitalanlagen
(Müllersche Gänge). Bei fehlender LHBindung oder defekter Signaltransduktion bleibt die Testosteronbiosynthese
aus, und es entwickelt sich ein weiblicher Phänotyp, die so genannte schwere
Form der Leydigzell-Hypoplasie (LCH
Typ 1). Sind Hormonbindung und/oder
Signaltransduktion nur partiell gestört
(Grafik 2 b), so kommt es in der Fetalzeit zur Produktion eines verringerten
Testosteronspiegels. Der Grad der Inaktivierung des LH-Rezeptors korreliert
mit dem sich entwickelnden Phänotyp.
Dieser kann von einem phänotypisch
fast unauffälligen Jungen mit Mikropenis und/oder Hypospadie bis hin zu einem Kind mit intersexuellem Genitale
variieren, leichte Form der LeydigzellHypoplasie (LCH Typ 2).
Schwere Form der LeydigzellHypoplasie bei Männern
Die LCH gilt als seltenes autosomal rezessiv vererbtes Krankheitsbild. Bei der
schweren Form führt eine vollständige
Inaktivierung des LH-Rezeptors zu einem weiblichen Phänotyp bei einem
männlichen Karyotyp (46,XY). Die 46,
XY-Frauen fallen meist durch eine ausbleibende Brustentwicklung und Menarche auf. Klinisch findet sich eine blind
endende, kurze Vagina. In der Sonographie des kleinen Beckens lassen sich
weder Uterus noch Ovarien nachweisen, hingegen stellen sich inguinal Go-
naden dar. Laborchemisch entwickelt
sich nach Eintritt in die Pubertät ein hypergonadotroper Hypogonadismus. Die
Testosteron- und Estradiolspiegel liegen im präpubertären Bereich. Eine
wichtige diagnostische Untersuchung
stellt der hCG-Test dar. Nach einer Stimulation mit 5000 IE hCG intramuskulär bleibt ein Testosteronanstieg aus
(Tabelle). Differenzialdiagnostisch ist
bei diesen Patientinnen eine Störung in
der Testosteronbiosynthese zu erwägen. Auch heute noch werden diese Patienten sehr spät oder auch gar nicht
diagnostiziert. So gibt es Fallberichte
über Frauen, bei denen sich letztlich als
Ursache für eine ungewollte Kinderlo-
Grafik 1
Das LH-Rezeptor-Gen
Das LH-Rezeptor Gen ist auf dem Chromosom 2p21 lokalisiert und mehr als 80
kb groß. Es besteht aus 11 Exons (Grafik
3): Exon 1 kodiert die unübersetzte 5´Ende-Region und den Start zur Translation. Die Exons 2 bis 10 kodieren die hormonbindende extrazelluläre Domäne.
Exon 11 ist das größte Exon und kodiert
neben dem intrazellulären Anteil die sieben transmembranen Domänen. Bisher
wurden 22 verschiedene inaktivierende
und 15 aktivierende Mutationen beschrieben (12). Einen Überblick über die
verschiedenen Mutationen im LH-Rezeptor-Gen gibt Grafik 3.
A 674
a) die Hypothalamus-Hypophysen-Testis-Achse, b) die Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse. GnRH, Gonadotropinfreisetzungshormon; LHRH, Freisetzungshormon des Luteinisierungshormons; LH, luteinisierendes Hormon; FSH, follikelstimulierendes Hormon; HVL, Hypophysenvorderlappen
Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
M E D I Z I N
sigkeit oder einen schmerzhaften Geschlechtsverkehr eine Leydigzell-Hypoplasie herausstellte.
Bei Mädchen, bei denen nach der
Geburt eine Leistenhernie mit palpabler Gonade diagnostiziert wird, sollte
eine weiterführende Diagnostik analog
wie bei einem Säugling mit intersexuellen Genitale erfolgen (9). Andererseits
sollte immer bei Kindern mit Genitalfehlbildungen ein pädiatrischer Endokrinologe hinzugezogen werden. Nur
das frühe Erkennen zum Beispiel eines
46,XY-Mädchens mit LCH Typ 1 erlaubt eine zeitgerechte Hormonersatztherapie im pubertätsreifen Alter, die
Identifizierung weiterer betroffener Familienmitglieder und eine adäquate humangenetische Beratung.
Bei 46,XY-Mädchen und -Frauen mit
nachgewiesenem LH-Rezeptordefekt
wird die Entfernung der Gonaden aufgrund eines möglichen Entartungsrisikos analog den Patientinnen mit gemischter Gonadendysgenesie empfohlen. Im pubertätsreifen Alter wird eine
Hormonersatztherapie mit Östrogenen
und Gestagenen begonnen und lebenslang fortgesetzt.
Grafik 2
Schwere Form der LeydigzellHypoplasie bei Frauen
a) die normale Entwicklung beim männlichen Feten, b) die ausbleibende Testosteronbildung bei einer
Störung im Bereich des LH-Rezeptors oder der Enzyme der Testosteronbiosynthese. TDF, Testis determinierender Faktor; SRY, sexdeterminierende Region des Y-Chromosoms; SOX9, SF-1, Transkriptionsfaktoren, die in die Geschlechtsentwicklung involviert sind; AMH, Anti-Müllersches Hormon; DHT, Dihydrotestosteron
Geschlechtsdifferenzierung
´
Tabelle
C
C
´
Normwerte für den Testosteronspiegel nach hCG-Gabe*
Präpubertäre Jungen
Testosteronspiegel im Serum
Basalwerte
0,1–0,6 nmol/L (4–18 ng/dL)
Maximalwerte nach Gabe
von 5 000 IE hCG/m2 Körperoberfläche
3,1–13,8 nmoL/L (90–400 ng/dL)
Adulte Männer
Testosteronspiegel im Serum
Basalwerte
13,8–41,6 nmoL/L (400–1200 ng/dL)
Maximalwerte nach Gabe
von 5 000 IE hCG/m2 Körperoberfläche
31,2–65,9 nmoL/L (900–1900/dL)
*modifiziert nach 10,11,14
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
Weibliche Patientinnen mit einem weiblichen genetischen Geschlecht, 46,XX
wurden bisher nur aus Familien beschrieben, in denen bereits eine 46,XY
Frau diagnostiziert worden war. Dies
liegt daran, dass sich 46,XX-Frauen mit
einer vollständig inaktivierenden Mutation im LHR-Gen körperlich normal
entwickeln.
Diese Frauen fallen durch eine
primäre Amenorrhö, Zyklusunregelmäßigkeiten oder Infertilität auf. Meist
bleibt eine Blutung nach Progesterongabe aus. Die LH-Spiegel und insbesondere das LH/FSH-Verhältnis sind erhöht. Die Estradiolspiegel sind normal
für eine frühe Follikelphase. Die Progesteronkonzentrationen im Blut erreichen keine postovulatorischen Werte.
Sonographisch findet sich ein kleiner
Uterus, die Ovarien können vergrößert
sein und Zysten enthalten. Präovulatorische Follikel oder Corpora Lutea (1,
13) lassen sich nicht nachweisen. Zu-
A 675
M E D I Z I N
sätzlich weisen die Frauen als Zeichen
eines Östrogenmangels auf eine dünnwandige Vagina mit eingeschränkter sekretorischer Funktion und eine reduzierte Knochendichte.
In der Behandlung müssen Östrogene und Gestagene substituiert werden.
Grafik 3
Milde Form der LeydigzellHypoplasie (LCH Typ 2)
Ist die Signalweiterleitung über den
LH-Rezeptor nur partiell gestört,
kommt es in der Fetalzeit zu einer eingeschränkten Testosteronproduktion.
Dies führt zu Beeinträchtigungen in
der Ausbildung des männlichen Genitals. Beschrieben wurden Jungen und
Männer mit Hypospadie und Mikropenis (4, 5, 8). Da normalerweise postpartal bei den männlichen Säuglingen die
Testosteronspiegel erhöht sind, stellt
die Messung von erniedrigten Testosteronwerten eine wichtige differenzialdiagnostische Untersuchung dar.
Unter einer Stimulation mit hCG
(5 000 IE/m2 Körperoberfläche intramuskulär) kommt es in jedem Lebensalter zu einem geringeren Anstieg der
Testosteronspiegel (Bestimmung der
Testosteronserumspiegel an den Tagen
2, 4 und 6). Die Normwerte sind in
der Tabelle aufgeführt (12, 13, 16).
Zu berücksichtigen ist, dass die
Werte methoden- und laborabhängig
sind. Nach Eintritt in die Pubertät
entwickeln die Jungen einen hypergonadotropen Hypogonadismus. Die
Therapie besteht in einer lebenslangen Testosteronsubstitution. Bei postpartal sehr kleinem Penis kann ein
gutes Peniswachstum mit einer dihydrotestosteronhaltigen Salbe erreicht
werden. Je nach Ausmaß der Hypospadie muss diese operativ korrigiert werden.
Aktivierende Mutationen
Aktivierende Mutationen im LH-Rezeptor-Gen bewirken eine kontinuierlich erhöhte Testosteronproduktion.
Die LH/hCG-unabhängige Testosteronproduktion führt zu einer vorzeitigen
Pubertätsentwicklung, die vor dem vierten Lebensjahr einsetzt („Testotoxiko-
A 676
Jeder Kreis stellt eine Aminosäure dar. Eingezeichnet sind in grün alle bekannten inaktivierenden Mutationen,
in rot die aktivierenden. In blau sind die von der Arbeitsgruppe in Essen identifizierten Mutationen markiert;
modifiziert nach (14)
LH-Rezeptor-Gen
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
M E D I Z I N
Kasten
Phänotyp-/Genotyp-Korrelationen bei LH-Rezeptor-Defekt
> Aktivierende Mutationen (autosomal dominant)
Karyotyp
46,XY
Phänotyp/Klinik
Jungen mit vorzeitiger Pubertätsentwicklung vor dem 9. Geburtstag: hohe Wachstumsgeschwindigkeit,
Schambehaarung, Peniswachstum. Cave: Bei Jungen mit gonadotropinunabhängiger vorzeitiger Pubertätsentwicklung muss an das Vorhandensein kleiner Ledigzelltumoren gedacht werden.
Labor
LH/FSH niedrig, Testosteron erhöht (auszuschließen sind Enzymdefekte der Nebennierenrinde, exogene
Androgenzufuhr, hCG oder androgenproduzierende Tumoren, McCune-Albright-Syndrom.
Therapie
Androgenrezeptorblockade (Spironolacton), Aromatasehemmer (Testolacton), Inhibierung der
Testosteronbiosynthese ( Ketokonazol) (2)
Karyotyp
46,XX
Bei Mädchen und Frauen mit aktivierender Mutation im LHR ist kein Phänotyp beschrieben.
Labor (nicht bekannt)
Therapie (nicht bekannt)
> Vollständig inaktivierende Mutationen (autosomal rezessiv)
Karyotyp
46,XY
Phänotyp/Klinik
Pseudohermaphroditismus masculinus; unauffälliges weibliches Genitale, gegebenenfalls Gonaden in
den Leisten zu tasten (bei Leistenhernien im Säuglingsalter daran denken). Im pubertätsreifen Alter ausbleibende Brustentwicklung, primäre Amenorrhö
Labor
Säugling: für ein Mädchen normaler Testosteronspiegel, für einen Jungen pathologisch niedrig; in der Pubertät Entwicklung eines hypergonadotropen Hypogonadismus, präpubertäre Werte für Östradiol und
Testosteron
Therapie
Entfernung der Gonaden aufgrund des Entartungsrisikos, Substitution mit Sexualsteroiden ab dem pubertätsreifen Alter
Karyotyp
46,XX
Phänotyp/Klinik
primäre Amenorrhö, Zyklusunregelmäßigkeiten oder Infertilität; sonographisch findet sich ein kleiner
Uterus, die Ovarien können vergrößert sein und Zysten enthalten. Präovulatorische Follikel oder Corpora
Lutea (15) lassen sich nicht nachweisen. Zusätzlich besteht bei den Frauen ein Östrogenmangel (Vagina
mit dünnen Wänden und eingeschränkte sekretorische Funktion, reduzierte Knochendichte).
Labor
Postpubertär sind die Estradiolspiegel normal für eine frühe Follikelphase, Progesteronkonzentrationen
im Blut erreichen keine postovulatorischen Spiegel. Meist bleibt eine Blutung nach Progesterongabe
aus. Die LH-Spiegel sind erhöht, insbesondere das LH/FSH-Verhältnis ist hoch.
Therapie
Substitution mit Sexualsteroiden
> Partiell inaktivierende Mutationen (autosomal rezessiv)
Karyotyp
46,XY
Phänotyp/Klinik
intersexuelles Genitale, Mikropenis mit/ohne Hodenhochstand, Hypospadie
Labor
postpartal erniedrigte Testosteronspiegel, unzureichender Anstieg von Testosteron nach hCG-Gabe, Entwicklung eines hypergonadotropen Hypogonadismus im Pubertätsalter
Therapie
Substitution mit Testosteron-Depotpräparaten ab dem pubertätsreifen Alter
Karyotyp
46,XX
Bei K46,XX sind keine LH-Rezeptor-Defekte bekannt.
LHR, „luteinizing hormone releasing“; LH, luteinisierendes Hormon; FSH, follikelstimulierendes Hormon
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
se“, FMPP, familial male limited precocious puberty). Zur Fixierung des
Rezeptors in seiner aktiven Form ist
nur ein betroffenes Allel notwendig,
sodass diese Erkrankung autosomal
dominant vererbt wird. Bis heute sind
15 verschiedene aktivierende Mutationen bekannt. Diese aktivierenden
Mutationen liegen alle im Exon 11 (4)
(Grafik 3).
Bei den neun bisher von der Arbeitsgruppe der Autorin identifizierten Jungen konnte immer die gleiche aktivierende Mutation im Blut
(es erfolgte eine DNA-Isolierung aus
weißen Blutzellen) nachgewiesen werden, die zu einem Austausch der Aminosäure Isoleukin zu Leukin im Codon 572 führt.
Eine somatische aktivierende Mutation im LH-Rezeptor-Gen bei drei
Jungen wurde erstmals 1999 mit einem
Leydigzelladenom entdeckt (3). Bei
diesen Patienten mit somatischen Mutationen (es erfolgte eine DNA-Isolierung aus dem Tumor, kein Nachweis
einer Mutation im Blut) treten die
Zeichen einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung später auf als bei Jungen
mit Testotoxikose. Die Essener Arbeitsgruppe konnte bei einem Patienten mit einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung bereits im Alter von 3,5
Jahren die gleiche somatische Mutation nachweisen (6). Damit konnte die
Autorin mit ihrer Arbeitsgruppe die
bisher gültige These widerlegen, dass
diese Tumoren erst im Alter von fünf
bis neun Jahren klinisch auffällig werden.
Bei Jungen mit einer gonadotropinunabhängigen Pubertätsentwicklung
und fehlendem Nachweis einer aktivierenden Mutation im Blut muss gezielt nach kleinen Hodentumoren gesucht werden. Dies kann sehr schwierig und langwierig sein. In solchen Fällen kann ein venöses Sampling in der
Vena spermatica die Quelle der Testosteronproduktion im Hoden lokalisieren (7).
Das Ziel in der Behandlung der
Testotoxikose ist eine vorübergehende Inhibierung der Testosteronbiosynthese oder Blockade der Androgenrezeptoren, sodass nach Absetzen
der Therapie eine normale Pubertätsentwicklung stattfinden kann und die
A 677
M E D I Z I N
Fertilität nicht beeinträchtigt wird. Es
gibt zwei Therapieoptionen: Die Behandlung mit Ketokonazol oder eine
Kombination von Spironolacton und
Testolacton. Ketokonazol inhibiert
mehrere Schritte in der Biosynthese
adrenaler und gonadaler Steroide,
Spironolacton hingegen blockiert die
Androgenwirkung und Testolacton als
Aromatosehemmer die Östrogenbiosynthese.
Liegt ein isoliertes Leydigzelladenom vor, reicht eine operative Entfernung des Tumors aus. Der Resthoden kann belassen werden, eine medikamentöse Behandlung ist nicht erforderlich. Dagegen muss bei einer
nodulären Leydigzell-Hyperplasie, die
immer den gesamten Hoden betrifft, eine Orchidektomie durchgeführt werden.
Der Textkasten fasst noch einmal
die verschiedenen Phänotyp-Genotyp-Korrelationen von Patienten mit
Mutationen im LH-Rezeptor-Gen zusammen. Der Nachweis von neun
neuen inaktivierenden Mutationen, einer molekulargenetisch gesicherten
Testotoxikose bei neun Jungen und
einer somatischen aktivierenden LHRezeptor-Mutation bei drei Jungen
in den letzten zwei Jahren lässt vermuten, dass LH-Rezeptormutationen
häufiger vorkommen als bisher angenommen. Aufgrund der zur Verfügung
stehenden Therapieoptionen nach Diagnosestellung und der wichtigen Implikationen für die Familien in Hinsicht
auf eine humangenetische Beratung,
ist die Analyse des LH-Rezeptor-Gens
in gezielten Fällen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch medizinisch erforderlich.
Dr. med. Annette Richter-Unruh ist seit Februar 2003
Stipendiatin des Lise-Meitner-Habilitationsprogramms
des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen. Ein Teil der Arbeiten wird
über das Teilprojekt „Störungen in der Androgenbiosynthese“ des BMBF-geförderten Netzwerkes „Intersexualität“ unterstützt.
Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne
der Richtlinien des International Committee of Medical
Journal Editors besteht
Manuskripteingang: 29. 3. 2004 revidierte Fassung angenommen: 20. 8. 2004
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 673–678 [Heft 10]
A 678
Literatur
1. Arnhold IJ, Latronico AC, Batista MC, Mendonca BB:
Menstrual disorders and infertility caused by inactivating mutations of the luteinizing hormone receptor gene.
Fertil Steril 1999; 71: 597–601.
2. Bardin CW: Current therapy in Endocinology and metabolism. In: Leschek EW, Cutler GB: Familial male
precocious puberty. St. Louis, Missouri: Mosby 1997;
343–345.
3. Liu G, Duranteau L, Carel JC, Monroe J, Doyle DA,
Shenker A: Leydig-cell tumors caused by an activating
mutation of the gene encoding the luteinizing hormone receptor. N Engl J Med 1999; 341: 1731–17316.
4. Martens JWM, Verhoef-Post M, Abelin N et al.: A homozygous mutation in the luteinizing hormone receptor causes partial Leydig cell hypoplasia: correlation
between receptor activity and phenotype. Mol Endocrinol 1998; 12: 775–784.
5. Misrahi M, Meduri G, Pissard S et al.: Comparison of
immunocytochemical and molecular features with
the phenotype in a case of incomplete male pseudohermaphroditism associated with a mutation of the
luteinizing hormone receptor. J Clin Endocrinol Metab
1997; 82: 2159–2165.
6. Richter-Unruh A, Wessels HT, Menken U et al.: Male
LH-independent sexual precocity in a 3.5 year-old boy
caused by a somatic activating mutation of the luteinizing hormone receptor in a Leydig cell tumor. J Clin
Endocrinol Metab 2002; 87: 1052–1056.
7. Richter-Unruh A, Jorch N, Wessels HT, Weber EA,
Hauffa BP:Venous sampling can be crucial in identifying the testicular origin of idiopathic male luteinising
hormone-independent sexual precocity. Eur J Pediatr
2002; 161: 668–671.
8. Richter-Unruh A, Martens JW, Verhoef-Post M et al.:
Leydig cell hypoplasia: cases with new mutations,
new polymorphisms and cases without mutations in
the Luteinizing Hormone receptor gene. Clin Endocrinol 2002; 56: 103–112.
9. Richter-Unruh A, Verhoef-Post M, Malak S, Homoki J,
Hauffa BP, Themmen APN: Leydig cell hypoplasia: absent LH receptor cell surface expression caused by a
novel homozygous mutation in the extracellular domain. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 5161–5167.
10. Stolecke H: Endokrinologie des Kindes und Jugendalters. In: Hauffa BP: Endokrinologische Testverfahren.
Heidelberg: Springer-Verlag 1997; 590
11. Tapanainen J, Martikainen H, Dunkel L, Perheentupa J,
Vihko R: Steroidogenic response to a single injection
of hCG in pre- and early pubertal cryptorchid boys.
Clin Endocrinol 1983; 18: 355–362.
12. Themmen APN, Huhtaniemi IT: Mutations of Gonadotropins and Gonadotropin Receptors: Elucidating
the Physiology and Pathophysiology of Pituitary-Gonadal Function. Endocr Rev 2000; 21: 551–583.
13. Toledo SP, Brunner HG, Kraaij R, Post M, Dahia PL,
Hayashida CY, Kremer H Themmen AP:An inactivating
mutation of the luteinizing hormone receptor causes
amenorrhea in a 46,XX female. J Clin Endocrinol Metab 1996; 81: 3850–3854.
14. Winter JS,Taraska S, Faiman C:The hormonal response
to HCG stimulation in male children and adolescents.
J Clin Endocrinol Metab1972; 34: 348–353.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. Annette Richter-Unruh
Klinik für Pädiatrische Hämatologie/Onkologie
und Endokrinologie
Hufelandstraße 55, 45122 Essen
E-Mail: [email protected]
DISKUSSION
zu dem Beitrag
FrühsommerMeningoenzephalitis
Prognose für Kinder und
Jugendliche günstiger als für
Erwachsene
von
Prof. Dr. med. Reinhard Kaiser
in Heft 33/2004
FSME von Neuroborreliose
unterscheiden
Vor dem Hintergrund einer möglichen
Berufskrankheit durch Borrelien sind
des Öftern als „Neuroborreliose“ bewertete Folgeerkrankungen aktendokumentiert, die möglicherweise zum FSMEKomplex gehören. Häufiger liest man
in einer Epikrise Formulierungen wie
zum Beispiel „gut zu einer Borreliose
passend“. Das hilft zwar dem auf eine
schnelle kausale Klärung seiner Symptome drängenden Patienten gelegentlich. Die aktendokumentierte Falschzuordnung erschwert dann aber nicht nur
eine gegebenenfalls erforderliche medizinisch-versicherungsrechtliche Zusammenhangsbeurteilung, sondern führt bei
Patienten, Hausärzten und Versicherungsträgern zu einer teils erheblichen
Verunsicherung. Begünstigend ist hierfür auch, dass bei der FSME und der
Neuroborreliose in Deutschland nicht
nur die Risikogruppen mit beruflicher
Zeckenexposition (zum Beispiel Forstund Landwirtschaft) sowie die jeweiligen Hochrisikogebiete überlappen.
Auch treten bei beiden Krankheitsbildern ähnliche uncharakteristische Symptome wie zum Beispiel Kopfschmerzen
und Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens auf. Dies erschwert möglicherweise vor dem Hintergrund einer nicht
immer eindeutigen Serodiagnostik die
korrekte fachneurologische Zuordnung
der Befunde in die jeweils zutreffende
Zoonose. Für eine überlappende Symptomatik nach Zeckenexposition könnte auch eine (mitunter zeitlich versetzte)
 Jg. 102
 Heft 10
 11. März 2005
Deutsches Ärzteblatt
Herunterladen