Sokratisches Gespräch - Fachverband Philosophie Rheinland

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2. Philosophie- und
EthiklehrerInnentag
23. September 2013, 9:30 - 17:00 Uhr, Kloster Jakobsberg, Ockenheim bei
Bingen
Vom Wert philosophischer
Bildung
Reader zum Arbeitskreis:
Sokratisches Philosophieren –
Grundsätze und methodische Elemente
des Sokratischen Gesprächs
in der Tradition von
Leonard Nelson und Gustav Heckmann
im Philosophie- und Ethikunterricht
Dr. Klaus Draken (StD)
Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung
Solingen
2
Inhalt:
Der rheinland-pfälzische Lehrplan Ethik (Sekundarstufe I) und das
Sokratische Gespräch ……………………….………………………..
3
Platon: Menon (Auszug) ……………………………………………….
4
Bodenheimer: Frage und Antwort – Herrschaft und Sklaverei …….
5
Der historische Sokrates – kritische Anmerkungen ………………….
9
Nagel: Das letzte Wort
………………………………………………..
11
Der philosophiedidaktische Blick auf das methodische Paradigma ..
12
Was ist ein Sokratisches Gespräch? ………………………………… 16
Grundlegende Bedingungen für die Durchführung Sokratischer
Gespräche (Folien) …………………………………………………….. 17
Idealtypische Phasen des Gesprächsablaufs ……………………….
18
Sokratisch bearbeitbare Gesprächsthemen
...................................
19
Hinweise zur Formulierung sokratischer Gesprächsthemen ………
20
Kriterien für die Beispielauswahl .......................................................
21
Übung zur Erfassung von Beispielen ………………………………..
22
Verschriftlichung des Beispiels ……………………………………….
23
Kategorisierung von Teilnehmerfragen ............................................
24
Formulierungsangebote für sokratisch motivierte Frageimpulse ...... 25
Kriterien für das „öffentliche“ Anschreiben .......................................
26
Regelvorschlag für die Gruppendiskussion im Metagespräch …….
27
Gedanken zu einer Sokratischen Haltung
………………………….. 28
Das Sokratische Gespräch im Unterricht – Klaus Draken über
Möglichkeiten und Grenzen ………………..…………………………. 29
Das Unterrichtsgespräch – oder `Auf dem Weg zu einer
philosophisch geprägten Gesprächspraxis´ ..................................... 34
Hinweise zur Materialsuche (Literaturhinweise) ................................ 41
3
Der rheinland-pfälzische Lehrplan Ethik (Sekundarstufe I) und das
„Sokratische Gespräch“:
Auszüge aus dem aktuellen Lehrplan (gefunden unter: http://lehrplaene.bildung-rp.de/gehezu/startseite.html)
7.1 Methoden im Ethikunterricht (Seite 89-92)
„Ein Lernen durch Belehrung läuft im Ethikunterricht Gefahr, lediglich "Werthülsen"
zu liefern und Lebenswelt auszusparen. Der Erwerb von Kenntnissen, der beim
Lernen durch Belehrung angestrebt ist, reicht nicht aus, wenn Heranwachsende zu
ethischer Urteilskompetenz und sittlich-autonomer Handlung qualifiziert werden
sollen. Gespräch und freie Einsicht in das Gute sind für die Bildung von
Werthaltungen konstitutiv. Freies Unterrichtsgespräch oder die Diskussion über
Geltungsansprüche, bei der der Lehrer als Impulsgeber oder Moderator fungiert, sind
unterrichtliche Verfahren, die insofern selbst schon eine Form des Ethischen
darstellen, als sie sittlichen Grundforderungen wie vorbehaltlose Anerkennung des
Anderen
in
seiner
Freiheit,
Wille
zu
vertrauensvoller
Interaktion,
Kompromissbereitschaft etc. Rechnung tragen.“
„Ziel muss dabei immer sein, mittels dieser Methoden individuelle und gemeinsame
Wertklärung zu stimulieren und nicht beim bloßen Konstatieren und Kennenlernen
von Loyalitätskonflikten oder dem Eindruck eines schier unbegrenzten (und
beliebigen) Werte und Sinnpluralismus stehen zu bleiben.“
„Wünschenswert sind im Sinne der Sozial-Kompetenz die Fähigkeit und Bereitschaft,
eigene Einsichten und kritische Impulse, Lösungsansätze und Vorschläge zu ethisch
begründeten Handlungsalternativen nicht nur unterm Gesichtspunkt ihrer sachlichen
Richtigkeit und Angemessenheit sondern auch im Hinblick auf Verständlichkeit und
Nachvollziehbarkeit für alle Teilnehmer der Lerngruppe zu formulieren, ferner die
Fähigkeit und Bereitschaft zu kooperativer Problemlösung, zu Offenheit und Toleranz
gegenüber abweichenden Standpunkten der anderen Mitglieder der Lerngruppe und
zur Sensibilität und Rücksichtnahme gegenüber denen, die dem gemeinsamen
Klärungsprozess nicht ohne solidarische Hilfe folgen können.
„Ein veränderter Begriff von Leistung sollte aber im Sinne der
Persönlichkeitskompetenz auch die Fähigkeit und Bereitschaft mit einschließen, die
Unzulänglichkeit des eigenen Wissensstandes, eigener Methoden-Kompetenz,
eigener moralischer Geltungsansprüche, Werthaltungen und Lebensformen
selbstkritisch wahrzunehmen, sich in den im Ethikunterricht mit besonderer
Deutlichkeit hervortuenden Konflikten in Wertfragen friedlich, gerecht, konstruktiv und
human zu verhalten, sich für eigene Werthaltungen einsichtig und
verantwortungsbewusst zu entscheiden und konsequent im Sinne ethisch zu
verantwortenden Engagements zu handeln.“
Und genau das war die Sache des Sokrates: „Sokrates hat als Erster die Philosophie vom Himmel heruntergehot, in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser
eingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Bösen zu fragen.“
(Cicero, Tusculanen (5,10), zitiert nach
Steenblock, Sokrates & Co. Darmstadt: WBG, 2005. Seite 43)
4
Ein Beispiel des historischen Vorbilds aus: Platon, Menon
(Auszug aus: Platon: Menon, zitiert nach: Mathias Bertram (Redaktion): Philosophie von Platon bis Nietzsche. Ausgewählt
und eingeleitet von Frank-Peter Hansen (Digitale Bibliothek, Bd. 2), Berlin: DIRECTMEDIA 1998, S. 759-762.)
Platon (427 v.Chr. – 347 v.Chr.) lässt Sokrates in diesem Dialog ein Gespräch führen, das beweisen
soll, „dass das, was wir lernen nennen, Wiedererinnerung sei“. So kommt der mathematisch
ungebildete Sklave durch die Fragen des Sokrates zu mathematischen Aussagen, die er vor dem
Gespräch noch nicht hätte formulieren können. Wenn Sokrates sie ihm nicht verraten hat, müssen sie
also bereits vor dem Gespräch in ihm geschlummert haben.
Sokrates: Sag' mir doch. Junge, weißt du, was ein Viereck ist? Eine Figur wie diese?
Sklave: Ja. (...)
Sokrates: Gesetzt nun, diese Seite wäre zwei Fuß lang und jene auch zwei, wieviel Fuß
enthielte das Ganze? - Betrachte es einmal so: Wenn es hier zwei Fuß wären, dort aber nur ein
Fuß, enthielte dann nicht die Figur genau einmal zwei Fuß?
Sklave: Ja.
Sokrates: Da es nun aber auch hier zwei Fuß sind, macht es dann nicht notwendig zweimal
zwei Fuß?
Sklave: Doch.
Sokrates: Also ergibt sich eine Figur von zweimal zwei Fuß?
Sklave: Ja.
Sokrates: Wieviel sind nun diese zweimal zwei Fuß? Rechne einmal und sage es!
Sklave: Vier, Sokrates.
Sokrates: Ließe sich nun nicht eine andere Figur Zeichnen, welche doppelt so groß als jene
und doch jener insoweit gleich wäre, daß sie, wie jene, lauter gleiche Seiten hätte?
Sklave: Ja.
Sokrates: Und wieviel Fuß wird sie haben?
Sklave: Acht.
Sokrates: Wohlan, versuche es mir nun zu sagen: wie groß wird jede Seite dieser zweiten
Figur sein? Im ersten Viereck hat jede zwei Fuß; wieviel hat nun jede in diesem, das doppelt
so groß ist?
Sklave: Offenbar, Sokrates, das Doppelte.(...)
Sokrates: Wird nun nicht diese Seite noch einmal so groß wie zuvor, wenn wir ihr eine zweite
von eben solcher Länge anfügen?
Sklave: Gewiß.
Sokrates: Aus dieser also, behauptest du, werde die achtfußige Figur hervorgehen, wenn
nämlich die vier Seiten gleich lang gemacht werden?
Sklave: Ja.
Sokrates: Laß uns nun von ihr aus vier gleichlange Seiten zeichnen! – Dieses also wäre die
Figur, welche du genau für das acht Fuß haltende Viereck erklärst?
Sklave: Allerdings.
Sokrates: Sind nun nicht in dieser Figur vier Vierecke, von denen jedes dem vier Fuß
haltenden gleich ist?
Sklave: Ja.
Sokrates: Wie groß wird es also sein? Nicht wahr, viermal so groß?
Sklave: Wie anders?
Sokrates: Ist nun das viermal so große das doppelt so große?
Sklave: Nein, beim Zeus!
Sokrates: Sondern das wievielfache?
Sklave: Das vierfache.
Sokrates: Aus der doppelt so großen Seite also, mein Junge, ergibt sich nicht ein doppelt so
großes, sondern ein viermal so großes Viereck?
Sklave: Ganz richtig. (...)
5
Zur Kritik: Aron Ronald Bodenheimer,
Frage und Antwort – Herrschaft und Sklaverei: Menon oder über die Tugend
(aus: Aron Ronald Bodenheimer: WARUM? Von der Obzönität des Fragens. Stuttgart: Reclam 1984. S. 25–35)
Und das ist es, was Sokrates nun zeigen und beweisen will (82b-c):
Sokrates: […] rufe mir irgendeinen Beliebigen aus deinem zahlreichen Gefolge herbei, damit ich es
dir an ihm klarmache.
Menon: Gern. (Zum Sklaven.) He, Bursch, hierher! […]
Sokrates (zu Menon): Merk also genau auf, was von beidem auf ihn zutrifft: Ob er sich
wiedererinnert, oder ob er die Sache von mir lernt.
Der Befragte, ein Sklave, wird also zur Experimentiermaus gemacht und als solche benutzt,
um eine These zu belegen. Das hört sich dann wie folgt an:
Sokrates (zum Sklaven): Sage, mein Bursche, siehst du dieser viereckigen Fläche an, dass sie ein
Viereck ist?
Sklave: Ja.
Bitte genau hinhören: SIEHST DU DIESER VIERECKIGEN FLÄCHE AN, DASS SIE EIN
VIERECK IST? Nicht heißt es: WAS IST DAS DA (FÜR EINE FLÄCHE)? Nicht auch:
SIEHST DU DEM DA (DIESER FLÄCHE) AN, DASS ES (SIE) VIERECKIG IST?
Vielmehr wird Gegebenes mit zu Erschließendem in eine einzige Frage zusammengebacken.
Nach der Viereckigkeit des Vierecks fragt der Alte. Annahme und Behauptung werden
miteinander gleich gesetzt. Diese erste Frage ist bereits so geartet, dass auf sie nur noch mit ja
geantwortet werden kann. Und das Ja gehabt sich so, als stehe es hier für Zustimmung – es ist
aber, zu Beginn der Examination bereits, pure Resignation. Wer so fragt (ob einer viereckigen
Fläche anzusehen sei, dass sie ein Viereck ist), kann nicht freie Erkenntnis aufschließen
wollen; das ist nicht mehr möglich. Und wer so gefragt wird, vermag nicht mehr selbstständig
etwas zu einem Gedankengang beizutragen.
Und nicht genug, dass die Frage sich schon am Anfang redupliziert — es wird dann gleich
noch einmal nachgedoppelt:
Sokrates: Es ist doch eine viereckige Figur mit lauter gleichen Seiten — diesen da — vieren an der
Zahl.
Sklave: Jawohl.
Sokrates: Sind nicht auch. diese durch die Mitte gezogenen Linien gleich?
Sklave: Ja.
Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie schon vieles von dem, was uns an den obszönen
Eigenarten des Frageaktes noch beschäftigen wird, hier, in dieser frühen Ausführung zum
Wesen des Fragens, bereits angedeutet ist. Da wird nun eine ganz raffinierte Frage gestellt:
eine Negativfrage. SIND NICHT AUCH DIESE LINIEN GLEICH? Fehlt nur noch eine
zweite Negativfrage:
WIE SOLLTEN DIE LINIEN DENN SONST SEIN, WENN NICHT GLEICH?
Sokrates: Eine solche Figur könnte man sich doch auch größer und kleiner denken?
Sklave: Gewiss.
Gewiss, du wirst es doch wissen; du musst es ja wissen, sonst würdest du gar nicht fragen –
nicht so fragen –, mein Sokrates!
Das geht so weiter, ein ganzes, langes Stück hindurch. Der Meister fragt, der Sklave — nein,
man kann gewiss nicht sagen, dass der Sklave antwortet; sondern der Sklave konfirmiert das,
was ihm vorgesagt worden ist und bestätigt damit den Frager, unterwürfig und in sklavischem
Gehorsam. Von der Frage her findet sich jedesmal genau angelegt und vorausbestimmt, was
der Befragte zurückzugeben — nicht: zu antworten — hat, und dem solcherart
Vorausgesteuerten wird dann just genau kopfnickend nachgezogen. Überraschung in diesen
Zurückgaben des Sklaven, Quersagendes gar, oder auch nur die Äußerung eines eigenen,
nicht schon vorauszubestimmenden Gedankens, welcher — das walte Zeus! — die Natur der
Fragen umprägen oder umformen könnte: Das ist nicht denkbar, noch nicht einmal als
6
Möglichkeit angelegt. Die Umstände und ihre Bedingungen sorgen hinreichend dafür, dass es
nicht geschieht, auch gar nicht geschehen kann. Umstände: Was diese anbetrifft, so sind sie
gegeben dadurch, dass der Sklave nun eben Sklave ist. Und Bedingungen: Schon das Thema
ist ja so gewählt, dass eigene Interferenzen von Seiten des Sklaven nicht aufkommen können;
das Fach, in welchem der Beweis für das Erkennen als Prozess des Wiedererinnerns erbracht
werden soll, lässt dergleichen nicht zu. Im Bereich der Geometrie — genau darin — gibt es
ohne Bewältigung der Grundbedingungen und der von diesen gelieferten Voraussetzungen
keine eigenständigen Ideen, auch keine kreativen Gedanken, welche von der Deduktion
abweichen. Man müsste denn schon in der Deduktionstechnik selber anders vorgehen. Dafür
müsste man selber Meister sein, nicht nur des Wissens und Lehrens, sondern vor allem der
Position. Und folglich kann der Sklave, wie intelligent er auch sein und wie genau er auch den
Inhalt der Fragen begriffen haben mag, keinesfalls mit nein antworten. Da hätte man den
Sklaven zuerst mit der Geometrie vertraut zu machen, mit ihren unbezweifelten
Grundvoraussetzungen und ihren operativen Gesetzen. Sokrates rechnet damit, dass der
Sklave dergleichen — also die Kunst der Geometrie: eine Schöpfung der freien Herren von
Athen und deren nobles Divertissement — nicht zur Verfügung hat, ansonsten er ja ein
anderes Wissensgebiet mit seiner spezifischen Deduktionstechnik hätte wählen können; einer
solchen Technik, von welcher er hätte voraussetzen dürfen, dass sie bis heute — bis zum
Augenblick, da der »Dialog« abgehalten wird — beiden Partnern an diesem Interrogatorium
gleicherweise unzugänglich gewesen sei und daher beiden im nämlichen Maße zur
Erschließung herausfordernd entgegentreten werde. So aber, wie die Bedingungen jetzt sind,
bleibt der Sklave dem Frager in Abhängigkeit verbunden, folglich auch von dessen Fragen
festgenagelt, diesen hörig; genauso hörig, wie durch die Zeiten alle Leute gewesen sind, wenn
sie eine ganz neue Sache äußern wollten. Immer hat sich dann dieselbe Szene abgespielt: Die
Wissenden, die Fachleute, wie wohlwollend und gutmeinend sie auch sein mochten, wussten
jedes eigenständige Sagen zunächst mit Gegenstößen bewusstlos zu fragen:
Also bitte sehr, ich bin ja bereit, Ihnen zuzuhören. Aber wenn Sie so argumentieren, so lassen
Sie uns zunächst klarstellen:
BEHERRSCHEN SIE DIE TECHNIK? KENNEN SIE DIE METHODE X? UND HABEN
SIE DAS BUCH DES AUTORS Y., SOWIE DIE REPLIK VON Z. DARAUF GELESEN? –
WAS, DAS HABEN SIE NICHT GELESEN? UND SIE ERWARTEN VON MIR, DASS
ICH AUF IHRE ARGUMENTE UND THESEN ERNSTLICH EINGEHEN SOLL?
Dieser Risiken weiß man sich im Kreise um Sokrates und Menon ebenfalls zu entschlagen.
Man braucht ein eigenständiges Sagen nicht zu befürchten, daher nicht in Kauf zu nehmen, es
auch nicht vorher in Betracht zu ziehen. — Es ist ja die faszinierende Grundthese des
Sokrates, dass alles, was irgendwie wissbar und wissenswert ist, bereits in dem Befragten
angelegt und in diesem drin gegeben sei; dass es folglich nur noch darauf wartet, »heraussokratisiert« (Guardini) zu werden. Diese These darf hier ihrer trefflichsten Bestätigung
gewärtig sein. Das Grundwissen, allen Menschen eigen — auch diesem namenlosen
thessalischen Sklaven vor uns — das kann doch nichts sehnlicher erhoffen, als dass man es
befreit, herausholt aus der Dunkelheit des Nichtwissens!
ODER SOLLTE JEMAND, DER SKLAVE GAR, ETWA DIE METHODE IN ZWEIFEL
ZIEHEN WOLLEN? —ODER DIE FUNDAMENTALE GEWISSHEIT, WELCHE DIE
METHODE BEGRÜNDET? - ODER DEREN NOTWENDIGKEIT?
Dergleichen Fragen zählen nicht zum Fragenschatz des Maieutikers — und gewiss schon
nicht an diesem Ort und bei dieser Gelegenheit. So darf denn der Fragemeister weiterfahren in
seinem Vorgehen, von Zweifeln oder Widersprüchen nicht bedrängt. Wir dürfen ganz sicher
sein, dass Sokrates Zweifel darüber erspart geblieben sind, ob er herausgeholt oder
hineingelegt hat; vielmehr – konnte er einzig in der Erwartung leben, jede neue Zusicherung
und Beteuerung des Sklaven lasse sich als Antwort bewerten und damit als eine weitere
Etappe in der Stufenfolge zur Erkenntnis — und ineins auch zu der Bestätigung der These, zu
7
deren Beleg die Methode hier in Gebrauch genommen wird. So objektiv ist die Methode
selber, so in sich selber richtig, dass die Anerkennung dafür, dass ein Beweisstück mehr
geliefert sei auf dem Weg zur Bestätigung der Richtigkeit der Grundthese, nicht bei dem
Sklaven gesucht wird — der weiß ja nicht, was man mit ihm im Sinn hat —‚ sondern bei
dessen dem Dialogpartner Menon, der den Sokrates zuvor einen Hexenkerl und einen
schlagenden Rochen genannt hat; das Reden von den Absichten, die Bekundung von der
Zufriedenheit darüber, dass ein Beweis erbracht sei, wie recht doch der Fragekundige habe:
Das alles geschieht nicht gegenüber dem Sklaven — dies trägt sich nur zwischen den Freien
zu, über des Sklaven Kopf hinweg (82d—e):
Sokrates: Wieviel macht zwei mal zwei Fuß aus? – Rechne und sag es mir.
Sklave:
Vier, mein Sokrates.
Sokrates: Ließe sich nun nicht ein zweites, ein doppelt so langes Viereck herstellen, und zwar
von der gleichen Art, mit lauter gleichen Seiten wie dieses?
Sklave. Ja.
Vorgeformte Fragen, voraus-geformt im Hinblick darauf, was die Antwort sein und wie sie
lauten wird, damit weiter gefragt werden kann — selbst einberechnet die Fehler; so läuft das
dahin, um dies zu belegen:
Sokrates: Du siehst doch, Menon, dass ich ihn nichts lehre, sondern alles erfrage? Und jetzt
glaubt er zu wissen, wie groß die Seite sei, welche das achtfüßige Quadrat ergeben soll; oder
scheint es dir nicht so?
Menon: Gewiss.
Sokrates: Weiß er es denn wirklich?
Menon: Nein, bewahre.
Das geht so fort in diesem Dialogfragment, von dem die Kundigen sagen, es repräsentiere den
Geburtsakt des eigenständigen Erkennens als Voraussetzung abendländischen Denkens,
gewonnen und erschlossen aus den Mitteln des Befragtwerdens.
Sokrates: Überlege also: Wie groß ist dieses Quadrat?1
Sklave:
Ich kann darauf nicht kommen.
Sokrates: Sind dies nicht vier Quadrate, und hat nicht jede Linie von jedem die Hälfte innen
abgeschnitten? — Oder nicht?
So vieles »nicht« — und am Ende noch ein »oder nicht«: Diese Verwirrung des Befragten hat
Methode. SIND DIES NICHT QUADRATE? UND HAT NICHT JEDE LINIE […]? ODER
NICHT? Es kommt schon auf eins hinaus, ob man — ohnedies Sklave, und wenn nicht aus
vorausbestimmter sozialer Position, so durch die nun objektiv eine Situation belegenden und
rechtfertigenden Mittel der Frageart und des Ansprechens darauf — zu alledem noch mit ja
sich äußert, oder ob man nein sagt. Das macht keinen Unterschied: Ohnehin nimmt der Alte
die Antwort so wahr, wie er sie will und braucht — und immer ist richtig, wie er sie nimmt, es
gibt da nichts zu widersprechen. Dafür, dass es so bleibt, hat das Fragen gesorgt. Am Ende ist
dann das richtige Resultat da, aus vielfachen (automatisch gemurmelten) Zustimmungen des
Sklaven erschlossen. Wie es im Übrigen zugegangen ist, bis es nun vorliegt, fertig und
wunschgemäß, das wird wohl weder der Sklave noch Menon, sein Herr, genau belegen
können, ABER WAS TUT DAS AUCH ZUR SACHE?
Sklave: Ja.
Sokrates: Ist dies aber der Fall, so wird, deiner Behauptung zufolge, du Sklave des Menon, die
Diagonale die Seite des doppelten Quadrats bilden.
Sklave: Ohne Zweifel, Sokrates.
Ohne Zweifel! — Ohne Zweifel wird durch diesen Schritt – des Zustimmens auf Fragen der
1
Eindrücklich ist die Fähigkeit des Herrn, sich der Sklavensprache zu bedienen, in welcher er die Lösung anweist (gemäß
dem Satz des Pythagoras): Die Diagonale des gegebenen Quadrates ist die Seite des gesuchten. Damit der Sklave dennoch in
seine Grenzen zurückfinde, belehrt ihn Sokrates: „Der Name aber für diese Linie ist bei den Gelehrten ‚Diagonale’. Ist dies
aber der Fall, so wird, deiner Behauptung zufolge, du Sklave des Menon […]“ (Hervorhebung durch A.R.B.).
8
Sklave nicht freier sein. De facto ist er durch die ganze Szene noch sklavischer geworden.
Überzeugt nämlich davon, dass ihm Sklavenschaft zukommt — das hat doch das Schauspiel
hinreichend deutlich belegt in den meisterhaft herrlichen, den herrschaftlichen Fragen, die auf
ihn niedergeprasselt sind, mit System geprasselt und aus Gnade, die ihm, dem Sklaven, damit
geworden ist, dass er sich zu den Fragen hat äußern können. Und als Summe aller herrlichen,
gnadenvollen Gaben des Meisters ist ihm, dem Sklaven, am Ende noch zugestanden worden,
er sei es gewesen, der befragte Knecht, welcher die Lösung herbeigeführt hat (85c—d):
Sokrates (zu Menon): Was meinst du nun dazu, mein Menon? Hat dieser irgendeine Meinung
geäußert, die nicht seine eigene wäre?
Menon: Nein, nur seine eigene. […]
Sokrates: Diese Meinungen gehörten doch seinem Geiste an. Oder nicht? Und eben jetzt sind
ihm diese Meinungen aufgedämmert wie im Traum .Nicht also durch Belehrung, sondern durch
bloßes Fragen wird er zum Wissen gelangen, indem er aus sich selbst das Wissen gewinnt.
Menon: Ja.
Nun, der Sklave dürfte bei sich wissen, dass es ihm nicht gegeben ist, das Rechenexempel
jetzt, aus eigenem Wissen und Vermögen nochmals anzugehen und zu deduzieren — wie
folgsam und erwartungsgetreu er auch jedesmal »ja«, bisweilen »gewiss doch, mein Sokrates«
gebrummelt haben mag. Jetzt weiß er, was er zuvor nur gespürt, vielleicht dumpf geahnt hat:
Wie gut das alles bestellt ist so, wie es ist! Dass ihm die Sklavenschaft zukommt und dem
Frager der Rang eines freien Herrn; dass folglich die Ordnung, welche zu unterscheiden
fordert zwischen dem Herrn und dem Knecht, Rechtens besteht und von den Göttern gegeben
ist. Belegt ist, einmal mehr, die natürliche Grundlage von der »Ungleichheit der Menschen«.2
Und jetzt ist sie, darin liegt der Trick, bewiesen — offenbar und unbezweifelbar,
experimentell erforscht (durch Fragebogen sozusagen). Und nun könnte die Situation, welche
sich in der Frage einstellt, doch vielleicht auch anders gesehen werden, von der Gegenseite
her: dieses Gesetz von Herr und Knecht, von Frage und Affirmation — derart nämlich, dass
die Charaktere des Dramas nicht a priori dem Herrn die Rolle des Fragenden zugestehen, dem
Knecht die Aufgabe des Affirmierenden, sondern so, dass derjenige, welcher fragt, sich zum
Herrn macht, und dies auch dann, wenn er nicht von vornherein schon Herr sein sollte, der
Befragte folglich aus dem Effekt des Befragtwerdens (und des sich Zugestehens an diese
Passivrolle) in die Position des Knechtes gedrängt wird. Das Fragen bringt erst — aus dieser
Handlung, und vermöge und vermittels ihrer — den Fragenden in die Stellung des Herrn; das
Fragen als Akt und Situation. Das Befragt-werden macht aus dem Andern einen Knecht.
Es bedurfte der langen Entwicklung im Selbstbewusstsein einer Klasse, bis es Hegel, und
namentlich seiner Nachfolgeschaft, der Hegelschen Linken, gegeben war, das Motiv der
strikten, unvertauschbaren Rollenfixierung3 konsequent durch- und bis ans Ende
weiterzudenken. »Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft
und Knechtschaft« — und jetzt bleibt nur noch ein Schluss aus alledem abzuleiten, was
soeben exponiert worden ist: Fragen »hebt« das Selbstbewusstsein »auf« — es macht den
Befragten zum Knecht, tut es vermittels des Frageaktes, indem es jenes Phänomen erzeugt,
welches seit und mit Hegel Selbstentfremdung geheißen wird.
Wie sich das vollzieht und was sich zum Ende daraus ergibt, will ich nun zu beschreiben
versuchen.
2
Der Hinweis auf die Ungleichheit der Menschen ist eines der Grundthemen Rousseauscher Menschengläubigkeit. Er ist von
Hans Jürgen Eysenck übernommen und für dessen nivellierende Fragebogerei, schließlich für rassistische Bildungspolitik
missbraucht worden (Hans Jürgen Eysenck, The Inequality of Man, London 1973).
3
Der Rollenbegriff wird hier, in Anlehnung an die Hinweise Hegels, im Sinne Helmuth Plessners und Otto Friedrich
Bollnows weitergedacht. Ich möchte an dieser Stelle nicht eingehender darüber diskutieren, inwieweit Rolle nur „das
Künstliche“ ist, das Vorgestellte, hinter welchem etwas wie „das wahre Selbst“ sich verbirg. Rolle könnte ja auch „das
Gesetz“ anweisen, „wonach du angetreten“ auf einer Lebensbühne, die nicht minder wahrhaftig ist als das, was außerhalb,
auf der Agora etwa, gespielt und gelebt wird (aus diesem Grund ist der Begriff „Rolle“ wohl auch besser, weil wertneutraler,
als es der Jungsche Persona-Begriff ist).
9
Der historische Sokrates
– Deutungsspielräume und kritische Anmerkungen
[…] Bei seiner beeindruckenden Wirkungsgeschichte darf man nicht aus den Augen verlieren, dass
Sokrates bereits bei seinen Zeitgenossen eine umstrittene Persönlichkeit war – nicht zufällig endete er
durch den Schierlingsbecher – und dass kritische Anmerkungen zu seinem Wirken bis heute gemacht
wurden und werden. Der „erste vorbildliche Wahrheitskonsument, […] ein einfacher Mensch von der
Straße, der sich im globalen Supermarkt der Wahrheiten verirrt hat – und der jetzt versucht, sich dort
zurechtzufinden, um zumindest den Wegweiser zum Ausgang zu finden.“ So sieht Boris Groys den
Sokrates aus der Perspektive seiner Anti-Philosophie. „Und in der Tat bietet Sokrates das uns ohnehin
vertraute Bild eines missgünstigen, chronisch unzufriedenen, permanent schlechtgelaunten und
streitsüchtigen Konsumenten. Immer, wenn Sokrates den schönen Reden der Sophisten zuhört, zerstört
er die gute Stimmung, indem er in diesen Reden irgendwelche logische Defizite und Unzulänglichkeiten
findet, die sonst niemanden interessieren oder gar stören. Solche Figuren begegnen uns übrigens auch oft
im Alltag – in Geschäften, Hotels und Restaurants. Sie sind immer unzufrieden, beginnen gern Streit mit
dem Personal und gehen anderen Konsumenten mächtig auf die Nerven. Unwillkürlich sehnt man sich
angesichts solch ärgerlicher und nervender Gestalten nach den guten alten Zeiten zurück, in denen man
solche Gestalten mit Hilfe eines Schierlingsbechers schnell beruhigen konnte.“4 Wurde Sokrates also – wie
diese Sichtweise nahe legt – zu Recht hingerichtet? Sicherlich bildet diese Sokrateswahrnehmung eine
ungünstige Ausgangslage, um modernen Unterricht mit seiner Art des Philosophierens zu legitimieren.
Doch auch ohne den speziellen Blickwinkel einer Anti-Philosophie kann man sein Tun kritisch
beschreiben: „Ein Gespräch mit Sokrates ist also eine – bis heute – viel diskutierte und schwierige
Angelegenheit. Man hat den Eindruck karikiert, den viele platonische Dialoge auf uns machen: Unter
starker Führung eines Lehrenden wird ein ‚Opfer’ dazu gebracht, falsche Lösungen zu produzieren, die
dann von Sokrates Stück für Stück destruiert werden. Der Lernende muss erkennen, dass er die
Denkaufgaben mit den Bildungsmitteln, die er zunächst nur mobilisieren kann, nicht zu bewältigen
vermag. Die Regie des Lehrenden ist übermächtig, der Lernende verbleibt in der Rolle dessen, der den
jeweils erreichten Stand mit ‚Ja’ und ‚Amen’ bestätigen muss.“5 So beginnt Volker Steenblock seine
insgesamt sicher positiv würdigende populäre Beschreibung der sokratischen Methodik 2005. Und einen
Schritt weiter ging bereits 1988 Gernot Böhme. Er nannte Sokrates Vorgehen sogar „eine gefährliche
Pädagogik. Ihre Techniken sind Ironie, Frage, Rollentausch, Elenktik. Wenn es gut geht, wird der
Betroffene ‚in sich gehen’. Er wird sich seiner selbst bewusst, wird anfangen zu reflektieren. Er wird den
Unterschied zwischen Wissen und Meinen verstehen und erst jetzt anfangen, wirklich wissen zu wollen
und Fragen zu stellen. Er wird sich in Zukunft nicht mehr ‚frei’ ausleben, sondern einen Hiat setzen
zwischen seine Einfälle und seine Äußerungen, zwischen seine Emotionen und ihren Ausdruck, zwischen
seine Antriebe und seine Handlungen und wird erst dadurch wirklich frei werden. Wenn es nicht gut geht,
wird er zum Zyniker werden oder wird sich rächen wollen an Sokrates oder wird in gekränkter Raserei den
Rest seines Lebens hinbringen. Es gehörte schon viel Tapferkeit im klassischen Sinne dazu, den Schlag
des Sokrates auszuhalten und dazubleiben. Und es war schon viel Liebe zur Weisheit bei Sokrates’
Zöglingen vorauszusetzen, damit, was Sokrates ihnen antat, sie darin förderte.“6 Auch für Käte MeyerDrawe hat Sokrates’ Vorgehen „sehr wenig mit dem einfühlsamen Dialog zu tun, nach dem sich
Pädagogen sehnen“. Mit Walter Benjamin beschreibt sie die Sokratische Frage als „gewaltsam, ja frech, ein
bloßes Mittel zur Erzwingung der Rede verstellt sie sich, ironisiert sie […]. Die sokratische Frage ist nicht
zart und so sehr schöpferisch als empfangend, nicht geniushaft. Sie ist gleich der sokratischen Ironie, die
in ihr steckt – man gestatte ein furchtbares Bild für eine furchtbare Sache – eine Erektion des Wissens.“7
So sieht sie Sokrates keinesfalls als einen „Partner im non-direktiven Dialog“, sondern sie unterstellt, ihm
4 Boris Groys: Einführung in die Anti-Philosophie. München: Hanser, 2009, S. 9.
5 Volker Steenblock: Sokrates & Co. Ein Treffen mit den Denkern der Antike. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
2005, S. 47.
6 Gernot Böhme: Der Typ Sokrates. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, S. 141.
7 Käte Meyer-Drawe: Höhlenqualen. Bildungstheoretische Provokationen durch Sokrates und Platon. In: Rudolf Rehn/Christina
Schües (Hg.): Bildungsphilosophie. Grundlagen, Methoden, Perspektiven. München: Verlag Karl Alber Freiburg, 2007, S. 47.
(Das darin enthaltene Zitat stammt aus: Walter Benjamin: Sokrates. in: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften II. I.
Werkausgabe Bd. 4. R. Tiedemann/H. Schweppenhäuser (Hg.), Frankfurt a. M., 1980, S. 131.)
10
sei „jedes Mittel recht“ für das Ziel, sein Gegenüber zu wahrer Erkenntnis zu führen. „Der Schmerz ist
nach Sokrates jedoch wichtig als Bedingung der Entstehung von Neuem. […] Im Grunde ist es ein
Abschiedsschmerz, den jede wahre Erkenntnis voraussetzt.“8 Selbst wenn man auch diese Analyse, die
sich mit Nietzsches Worten das Ziel setzt, „dass man das Alte, Altbekannte, von Jedermann Gesehene
und Übersehene wie neu sieht“9, nicht als generell negative Kritik verstehen darf, so bleiben doch
problematische Aspekte im Hinblick auf eine Übertragung der betrachteten Methodik auf den heutigen
Schulunterricht deutlich erkennbar.
Ganz schlecht weg schließlich kam Sokrates bereits 1984 bei den Untersuchungen des PsychiatrieProfessors Aron Ronald Bodenheimer. In seiner Betrachtung jener berühmten Passage aus dem „Menon“,
in der Sokrates den Sklaven zur Demonstration der Wiedererinnerung von mathematischem Wissen
befragt, konstatiert er: „Der Befragte, ein Sklave, wird also zur Experimentiermaus gemacht und als solche
benutzt, um eine These zu belegen.“ Als Fazit des Gesprächs kommt er aber nicht zu Sokrates’ Ergebnis,
der Sklave habe „aus sich selbst das Wissen“ gewonnen, sondern schließt seine Analyse: „der Sklave dürfte
bei sich wissen, dass es ihm nicht gegeben ist, das Rechenexempel jetzt aus eigenem Wissen und
Vermögen nochmals anzugehen und zu deduzieren – wie folgsam und erwartungsgetreu er auch jedesmal
‚ja’, bisweilen ‚gewiss doch, mein Sokrates’ gebrummelt haben mag. Jetzt weiß er, was er zuvor nur
gespürt, vielleicht dumpf geahnt hat: Wie gut das alles bestellt ist so, wie es ist! Das ihm die Sklavenschaft
zukommt und dem Frager der Rang eines freien Herrn; […] dieses Gesetz von Herr und Knecht, von
Frage und Affirmation – derart nämlich, dass die Charaktere des Dramas nicht a priori dem Herrn die
Rolle des Fragenden zugestehen, dem Knecht die Aufgabe des Affirmierenden, sondern so, dass derjenige,
welcher fragt, sich zum Herrn macht, und dies auch dann, wenn er nicht von vornherein schon Herr sein
sollte, der Befragte folglich aus dem Effekt des Befragtwerdens (und des sich Zugestehens an diese
Passivrolle) in die Position des Knechtes gedrängt wird. Das Fragen bringt erst – aus dieser Handlung und
vermöge und vermittels ihrer – den Fragenden in die Stellung des Herrn; das Fragen als Akt und Situation.
Das Befragtwerden macht aus dem Andern einen Knecht.“10
Thomas Nagel nimmt Sokrates gegen solcherlei Vorwürfe zwar in Schutz, indem er in seinem Buch
„Das letzte Wort“11 die Sachebene der Kommunikation als Kerngeschäft des Philosophen – auch in der
mündlichen Kommunikation – wieder in den Vordergrund rückt. Sogar den von Bodenheimer so sehr
kritisierten Sokratesdialog würdigt er explizit: „Dadurch wirkt Platons Beispiel von dem Knaben im Menon
so unwiderstehlich. Wenn Sokrates ihn zu der Einsicht bringt, dass ein Quadrat mit der doppelten Fläche
wie ein gegebenes Quadrat gleich dem Quadrat auf der Diagonalen sein muss, so gelingt ihm das durch
eine restlos überzeugende Argumentation, und wir anerkennen die Zustimmung des Knaben als Ergebnis
der Gültigkeit der Argumentation, die er ebenso versteht wie wir selbst. Es gibt nicht einmal den
Schimmer einer Erklärung, die in die umgekehrte Richtung führte.“12 Dennoch bleibt für den modernen
Pädagogen als Fazit dieser Beispiele – so willkürlich gewählt und so sehr sie aus dem Zusammenhang
genommen und verknappend dargestellt sein mögen –, dass man diese Praxis als Schulpädagogik aus
verschiedenen Gründen kritisch hinterfragen muss. Ob man nun die Negativität des Sokrates oder einen
passiven Opferstatus seiner Gesprächspartner wahrnimmt, die zentrale Bedeutung des Schmerzes in
seiner Pädagogik, das Risiko eines Umschlagens des von Sokrates initiierten Erkenntnisprozesses in
Zynismus, Rachedenken oder selbstverzweifelte „Raserei“, oder gesprächspsychologisch gesehen die von
Sokrates gestiftete Beziehungsebene der Kommunikation als wenig symmetrisch oder gar „knechtend“
analysiert – man kann das Wirken des Sokrates durchaus als eine Provokation begreifen. Dies soll im
Rahmen meiner Untersuchungen nicht verschwiegen werden, sondern gerade zum Anlass des
Ernstnehmens der bei Sokrates selbst erkennbaren besseren Intentionen dienen und diese zu einer – nach
fast zweieinhalb Jahrtausenden – lerntheoretisch und psychologisch auf heutigem Wissensstand
reflektierten pädagogischen Praxis führen helfen.
[…]
(aus: Draken, Sokrates als moderner Lehrer, S. 16-20)
8 Ebenda, S. 43.
9 Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Kritische Studienausgabe von G. Colli und M. Montinari. Bd. 2.
München: de Gruyter, 1988, S. 465.
10 Aron Ronald Bodenheimer: Warum? Von der Obszönität des Fragens. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1984. S. 27 u. 34-35.
11 Thomas Nagel: Das letzte Wort. Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Schulte; Stuttgart: Philip Reclam jun. GmbH &
Co., 1999. Das nachfolgende Zitat stammt aus Kapitel 4, Logik, S. 85.
12 Ebenda.
11
Thomas Nagel – oder „Eine Rehabilitation des Sokrates“
Thomas Nagel: Das letzte Wort
(aus dem Englischen übersetzt von Joachim Schulte; Stuttgart: Phillip Reclam jun. GmbH & Co. 1999 - Einleitung,
S. 10 / Kap. 4 Logik, Seite 83, 85)
Einleitung
Wer sich auf die Ratio oder Vernunft beruft, erhebt den Anspruch, im eigenen Inneren eine
Quelle der Autorität ausfindig zu machen, die nicht bloß personen- oder
gesellschaftsgebunden, sondern universell ist und die auch auf andere, die zum Zuhören
bereit sind, überzeugend wirken sollte. […]
Das wesentliche Merkmal des rationalen Denkens ist seine Allgemeinheit. Wenn ich Gründe
habe, etwas zu folgern, zu glauben, zu wollen oder zu tun, können das keine Gründe sein,
die nur für mich gelten, sondern sie müssten jedem, der an meiner Stelle das gleiche tut, als
Rechtfertigung dienen können. […]
Logik
Sagt mir jemand zum Beispiel: „Dass 2 + 2 = 4, glaubst du doch nur, weil du in der
Volksschule in deine Rechenlehrerin verliebt warst“, so ist das als Einwand unzulänglich.
Mag sein, dass es gelingt, mir das seit langem verschüttete Bild von Fräulein Gardbaum mit
ihrem weichen Haar, ihrem großen Busen und ihrem kreidebestäubten dunkelblauen Rock in
Erinnerung zu rufen, und vielleicht gebe ich zu, tatsächlich in sie verliebt gewesen zu sein
und gewünscht zu haben, alles zu glauben, was sie mir sagte, aber alle diese Reflexionen
werden nichts dazu beitragen, dass ich es mir noch einmal überlege, ob 2 + 2 = 4, denn das
liegt außerhalb ihrer Reichweite und ist von nichts abhängig, was durch sie in Frage gestellt
wird. Diese Aussage kann ich nicht einmal kurzfristig als bloßen Schein ansehen. […]
Überdeutlich wird das, wenn wir irgendeinem wirklichen Verlauf zwingenden deduktiven
Denkens folgen. Dadurch wirkt Platons Beispiel von dem Knaben im Menon so
unwiderstehlich. Wenn Sokrates ihn zu der Einsicht bringt, dass ein Quadrat mit der
doppelten Fläche wie ein gegebenes Quadrat gleich dem Quadrat auf der Diagonalen sein
muss, so gelingt ihm das durch eine restlos überzeugende Argumentation, und wir
anerkennen die Zustimmung des Knaben als Ergebnis der Gültigkeit der Argumentation, die
er ebenso versteht wie wir selbst. Es gibt nicht einmal den Schimmer einer Erklärung, die in
die umgekehrte Richtung führte.
Zusammengefasst fokussiert der Blick des Philosophen:
-
Nagel: Der Sklave stimmt Sokrates wegen „der Gültigkeit der Argumentation“ zu.
(Nach Schulz von Thun: Der Sachinhalt der Nachricht „stimmt“!)
Der „Fall“ Fräulein Gardbaum nach Nagel: Dass die Beziehung dies zusätzlich
gefördert hat (nach Schulz von Thun die Beziehungsebene der Nachricht), ändert
nichts an der alleinigen Bedeutsamkeit der Gültigkeit auf der Ebene des Sachinhalts
für den Mathematiker oder Philosophen!
12
Der philosophiedidaktische Blick auf das methodische
Paradigma des Sokrates
1. „Die Verankerung in der Erfahrung“ bzw. „die differenzierte Beschreibung“ der
„eigenen Wahrnehmung“ als phänomenologische Methode
[…] Die platonischen Dialoge [beginnen] oft mit konkreten Vorfällen oder Problemstellungen, die erst
durch Sokrates´ Gesprächsführung zu einem allgemeinen Problem gewendet werden. […] Für das
sokratische Gespräch in der Prägung von Leonard Nelson und Gustav Heckmann wird aus der
vorangestellten Analyse des antiken platonischen Sokrates vor allem der Aspekt aufgegriffen, dass „der
Ausgang Sokratischen Philosophierens […] bei der Alltagserfahrung zu nehmen“13 ist. […] Nach Martens’
Systematik befinden wir uns hier im Bereich der phänomenologischen Methode des philosophischen
Denkens. […] Als „phänomenologische Reduktion“ betont er, dass in einem ersten Schritt „möglichst
vorurteilsfrei oder vor allen theoretischen Deutungen und Erklärungen die reinen Gegebenheiten“ zu
„betrachten und beschreiben“14 seien. […] Der […] Aspekt, dass das betrachtete Phänomen „immer für
jemanden ein Problem“15 werden muss, in dem Sinne, „dass ein Phänomen unerklärlich oder
erklärungsbedürftig sei […], dass es in die Schemata der Erfahrung als fraglos gegebene
Gegenständlichkeit nicht eingeordnet werden kann, dass also eben diese Schemata in Frage zu stellen sind
und damit selbst problematisch werden“,16 ist grundlegender Motor und grundlegendes Element des
geführten Diskurses […].
2. „Der Marktplatz als Ort des Philosophierens“ bzw. „das eigene Vorverständnis
bewusst machen“ als hermeneutische Methode
[…] „Das Sokratische Paradigma […] richtet sich nach außen, an alle Menschen ohne Vorbedingung
oder Vorleistung.“17 […] Dieser Aspekt beinhaltet noch eine andere Seite der Öffentlichkeit: „Indem
Sokrates die Öffentlichkeit sucht, setzt er sich ihr auch aus und schirmt sich nicht gegen unangenehme
Fragen ab, die vielleicht gestellt werden könnten. Öffentlichkeit wird zum Prüfstein für Wert und
Allgemeinheit von Erkenntnissen, für Allgemeinverbindlichkeit.“18 […] Im Sinne von Martens’ Systematik
der Methoden des Philosophierens finden wir hier durch die Marktplatzsituation einen Rahmen vor, der
eine Berücksichtigung und Prüfung aller repräsentierten Vorverständnisse notwendig macht. Diese
Anforderung kann man vor allem mit der „hermeneutischen Methode“ in einen Bezug setzen. […]
Martens spricht bei dieser Denkmethode davon, dass „die eigenen alltäglichen Ansichten und
Deutungsmuster“19 heranzuziehen seien. Dabei geht es im tradierten sokratischen Gespräch – beim
platonischen Sokrates wie in der Praxis nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann – nicht um eine
direkte textbezogene Bezugnahme auf ideengeschichtliche Positionen. Andererseits können aber nach
Martens auch Texte (bzw. Autoren) Gesprächspartner werden […]. In diesem Sinne bedarf das Gespräch
auf dem Marktplatz […] der Überschreitung der subjektiven Verstehenshorizonte auf den Anderen hin,
dem damit verbundenen Anstreben einer Horizontverschmelzung oder zumindest einer
Horizonterweiterung und kann in dieser Weise als paradigmatisch zu bewertendes Merkmal sokratischen
Philosophierens aufgefasst werden.
3. „Der Anti-Dogmatismus“ bzw. „ein Dialogangebot wahrnehmen“ als Grundlage
der dialektischen Methode
[…] Die Grundlage dieser Charakterisierung sieht der bereits mehrfach angesprochene Philosoph Dieter
Birnbacher in der bis heute gültigen Tatsache, dass „Philosophie […] kein geschlossenes Lehrgebäude,
sondern eine Praxis des gemeinsamen Fragens und Suchens“20 sei. […]. Und Nelson ist in seinen
Konsequenzen für diese Zielsetzung sehr rigoros: Für die „Ausschaltung des Dogmatismus im
13 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 45.
14 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 69.
15 Ebenda, S. 71.
16 Alfred Schütz: Das Problem der Relevanz. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1971, S. 113. (zit. nach Martens, S. 71.)
17 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 44.
18 Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 42.
19 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 54.
20 Dieter Birnbacher: Praktische Philosophie – Profil eines neuen Fachs. In: EU 3/01: Praktische Philosophie, S. 3.
13
Unterricht“ fordert er „den Verzicht auf jedes belehrende Urteil überhaupt. […] Hier muß man sich
ehrlich entscheiden: Entweder Dogmatiker oder Sokratiker.“21 […] Die vorgenannten Forderungen
können als extreme Anforderung an den Lehrer in der Schule empfunden werden, da dieser – durch sein
langes akademisches Fachstudium vorbereitet – gerade jene Form von „Wissen“ auch im
Philosophieunterricht an die Schüler herantragen müsste. Andererseits ist es eine große Gefahr des auf
Bewertung durch den Lehrer aufbauenden Schulunterrichts, dass in der Folge strategisch nicht nach der
Wahrheit, sondern nach dem, „was der Lehrer hören will“, gesucht wird. […] „Das Hin-und-herÜberlegen, egal ob ‚im Kopf’ als ‚Dialog in der Seele’ oder ob in einem realen Dialog, geht in der Regel
von widersprüchlichen Erfahrungen oder Behauptungen aus, die im Laufe der Überlegungen zugespitzt
oder deutlicher herausgearbeitet und schließlich gelöst oder als (vorläufig) unlösbar festgestellt werden.“22
Auch in der so konkretisierten Methode der Dialektik ist also das entscheidende Moment die Offenheit
bzw. der Anti-Dogmatismus, die einen Dialog erst ermöglichen bzw. sinnvoll machen. […]
4. „Das Selbstvertrauen der Vernunft“ und „die verwendeten zentralen Begriffe
und Argumente hervorheben und prüfen“ als Grundlage der analytischen Methode
[…] So führt Gisela Raupach-Strey aus: „[…] Gerade das Zutrauen zur Urteilsfähigkeit, in welchem
Maße auch immer es im gegebenen Moment kontrafaktisch sein mag, ermöglicht die Entwicklung der je
eigenen Urteilskompetenz und stärkt das Bewußtsein, zum eigenen, begründeten Urteil in der Lage zu
sein.“23 Dass dies kein unkritisches oder überhebliches Unterfangen sein soll, macht sie dabei
unmissverständlich klar: So „hat Vernunft (der ‚Logos’) die Pflicht der kritischen Prüfung, um
Gutgläubigkeit oder Schnellgläubigkeit, fehlerhaftes Denken oder Irrtum zu vermeiden. […] Ein
Sokratisches Gespräch würde aber zu Unrecht seinen Namen tragen, wenn es die Anstrengung des
Begriffs sowie die Zumutung kritischer Urteilsprüfung nicht zuließe und nicht ggf. auch Aporien aushielte.
Da der von Nelson gebrauchte Begriff ‚Kampf’ antagonistische Assoziationen weckt, bevorzuge ich die
Beschreibung ‚ein gemeinsames Ringen um die Wahrheit, das mit Anstrengung verbunden sein kann, aber
gleichwohl lohnt’.“24
In diesem Sinne sehe ich auch im sokratischen Gespräch eine Notwendigkeit für das, was Martens mit
der analytischen Methode des philosophischen Denkens umschreibt. Er spricht z.B. davon, dass „häufig
begriffliche oder argumentative Unklarheiten“ auftreten. „Was ist mit ‚x’ genauer gemeint? Wie ist eine
bestimmte Aussage begründet, und ist die Begründung haltbar? Für die Klärung derartiger Unklarheiten
gibt es konkrete Arbeitsmethoden oder Techniken.“25 Und so führt er unter der Überschrift „Argumente
und Begriffe klären können“26 vielfältige Techniken der Begriffs- und Argumentationsanalyse an, die in
einem sokratischen Gespräch zum Tragen kommen können. […]
5. „Die Maieutik“ oder „Einfälle zulassen und betrachten“ als Element der
spekulativen Methode
[…] Wir finden bei Gisela Raupach-Strey die Grundidee der Maieutik methodisch dergestalt
ausdifferenziert, dass nach ihrer Beschreibung in der sokratischen Gesprächspraxis nach Leonard Nelson
und Gustav Heckmann qualitativ unterschiedliche Schritte vollzogen werden.27 Sie unterscheidet dabei
21 Ebenda.
22 Ebenda, S. 88.
23 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 51.
24 Ebenda, S. 51f.
25 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 83.
26 Ebenda, S. 109-124.
27 Raupach-Strey beschreibt die Entwicklung der Maieutik vom platonischen Sokrates hin zur Nelson/Heckmannschen
Gesprächspraxis folgendermaßen: „In der platonischen Selbstdeutung der Sokratischen Methode greifen an dieser Stelle die
Anamnesislehre und die Maieutik ineinander: Wenn Erkenntnis als Erinnerung an die vorgeburtlich geschauten Ideen
verstanden wird, dann ergibt sich von selbst, daß die Hilfe der ‚Hebamme’ Hilfeleistung bei der Erinnerungsarbeit ist. Nach
Nelson hat die kritische Philosophie die Wiedererinnerungslehre von der ‚Umschlingung durch die platonische Mystik’
(Nelson: Die sokratische Methode, S. 290.) befreit; was bleibt, ist aber der Ermöglichungsgrund für die Sokratische Methode:
der Mensch hat gleichsam ein nicht bewußtes Wissen in sich, das es zu erheben und bewußt zu machen gilt: ‚den NichtWissenden dadurch zu belehren, daß man ihn zur Einsicht zwingt, das wirklich zu wissen, von dem er nicht wußte, daß er es
weiß’“ (Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 53f.) In gewisser Weise benötigen wir hier den Rückgriff auf das von Nelson
so genannte „Selbstvertrauen der Vernunft“, welches für jeden Gesprächsteilnehmer unterstellt wird. Zur konkreten
Übernahme des sokratisch gedachten Hebammendienstes führt sie weiter aus: „Die gedanklichen Produkte, worauf immer sie
sich inhaltlich beziehen, sollen möglichst frei von Fremdbestimmung inhaltlicher oder kommunikativer Art ans Tageslicht
14
zwischen Maieutik erster, zweiter und dritter Stufe. Zur ersten, als „Verständigungsprüfung“ bezeichneten
Stufe erläutert sie: […] „Das Aussprechen-Können von Erfahrungen, aber auch von Unsicherheiten,
Zweifeln oder diversen anderen Bewußtseinsinhalten ist ein erster Schritt der Selbstverständigung,
zunächst der einen ‚Seele mit sich selbst’, wie wir in Anlehnung an die alte Sprechweise sagen könnten. Ob
das Ausgesprochene ‚stimmt’, kann auf dieser ersten Stufe nur der Sprechende selbst beurteilen.“28 Die
zweite als „Zustimmungsprüfung“ bezeichnete Stufe beinhaltet dann, „Urteile gedanklich wie sprachlich
weiter zu ‚klären’: auf ihre Voraussetzungen zu befragen, kritisch zu prüfen und zu begründen, evtl. auch
zu widerlegen […], daß über jede Aussage (möglichst restlose) Verständigung in der Gruppe hergestellt
wird, bevor man fortschreitet. […]“.29 Als dritte mit „Konsensprüfung“ benannte Stufe bezeichnet sie die
„gemeinsame Prüfung der Gesprächsgruppe, ob eine Aussage, die die ersten beiden Stufen durchlaufen
hat, hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und hinsichtlich ihrer Gültigkeit untersucht wurde, nun auch die
Zustimmung aller Gesprächsteilnehmer/innen findet“.30 […] Bei alledem aber geht es im Sinne der
Maieutik immer auch darum, dass die „produktiven Einfälle der Gesprächsteilnehmer“31 fruchtbar
gemacht werden. […] So scheint mir der Grundgedanke der spekulativen Methode im Sinne Martens,
nämlich „Phantasien und Einfälle zulassen und betrachten“,32 auch den Ausgangspunkt und damit einen
Bestandteil der Basis für die sokratische Maieutik zu bilden. […]
6. „Das Begründungskonzept“ bzw. „die verwendeten zentralen Begriffe und
Argumente hervorheben und prüfen“ als Grundlage der analytischen Methode
[…] Bereits in seiner weitesten Definition stellt Gustav Heckmann das „Erwägen von Gründen“ ins
Zentrum sokratischer Arbeit. […] Dabei ist als Begründungsverfahren die von Nelson
erkenntnistheoretisch begründete „regressive Methode der Abstraktion“ zu benennen. Hier geht es
letztlich um einen Aufweis der „unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft“ […]. Wir gehen also mit
Raupach-Strey davon aus, „Urteile zu beweisen, das heißt zu begründen durch Rückführung auf
allgemeinere Sätze, aus denen sie abgeleitet werden.“ […] Dabei können Grenzen der Begründbarkeit
durchaus bewusst gemacht und thematisiert werden. […]. Wenn Martens zunächst von „allgemeiner
Begriffsanalyse“ schreibt und dabei die Bedeutung des Grundsatzes betont, „sich über seine
Begriffsverwendung möglichst im klaren zu sein“,33 befinden wir uns zunächst im Zentrum auch des
Anliegens der Gesprächstradition nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann. […] Prinzipiell aber
können die meisten Techniken wie „Das soziale Umfeld verstehen“, „Unterschwellige Ängste
berücksichtigen“, „Praktische Konsequenzen einschätzen“, „Folgen für die Sprache abwägen“, „Den
Glauben an abstrakte Gegenstände aufgeben“, „Tatsachen und Werte unterscheiden“, „Unbemerkte
Implikationen aufdecken“, „Tautologien vermeiden“, „Trennschafe Begriffe verwenden“, „Sprachwunder
vermeiden“ oder „absolute und relative Begriffe unterscheiden“ […], „Widerspruchsfreiheit prüfen“,
„Tautologien vermeiden“, „Syllogismen verwenden“, „Praktische Syllogismen prüfen“, „Naturalistischen
Fehlschluss erkennen“ und „Argumente inhaltlich prüfen“ […], „Einen pragmatischen Widerspruch
aufdecken“, „Den unendlichen Regress vermeiden“, „Begriffliche Zusammenhänge verstehen“ und
„Begriffe integrativ analysieren“ […] immer wieder gefunden, erprobt und geübt [werden] und gehören in
diesem Sinne auf die Ebene der paradigmatischen Merkmale sokratischen Philosophierens.
kommen, also möglichst frei von Dogmatismus und Herrschaft sich entfalten können. Zur ‚Geburt’ der je eigenen Gedanken,
verhilft der- oder diejenige, der/die die Rolle der ‚Hebamme’ übernimmt. Im Allgemeinen und zunächst ist dies der/die
Gesprächsleiter/in, es können aber auch die Gesprächsteilnehmer/innen einander gegenseitig ‚Denkhilfe’ leisten. Dies
geschieht umso eher, als die Teilnehmer/innen Übung in der Sokratischen Methode besitzen und mit geeigneten,
ermutigenden Sprechhandlungen vertraut sind.“ (Ebenda, S. 54.). Deutlich wird hier, dass die heutige sokratische Praxis
durchaus gesprächspsychologisch reflektiert sein sollte und dass an die Stelle des Zweier-Dialogs mit einem dominanten
Sokrates eine Gruppe tritt, die neben dem zu inhaltlicher Zurückhaltung genötigten Gesprächsleiter vor allem auch in
wechselseitiger Gleichberechtigung diesen Dienst versehen kann.
28 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 54.
29 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 55. Vergl.: Jürgen Habermas: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der
kommunikativen Kompetenz. In: Jürgen Habermas / Niklas Luhmann (Hg.): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie
– Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991, S. 137.
30 Ebenda, S. 56.
31 Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts, S. 133.
32 Ebenda, S. 56.
33 Ebenda. Dieses und die folgenden Zitate stammen von S. 110-116.
15
7. „Das Gesprächsziel des Wahrheitskonsenses“ oder worauf die philosophischen
Denkmethoden abzielen
Schüler ruhen sich nicht selten auf der Behauptung aus, dass zu philosophischen Fragen jeder seine
eigene Meinung habe und wegen der Unmöglichkeit einer objektiven Klärung auch behalten dürfen
müsse. Deswegen sei eine weitere gedankliche und diskursive Anstrengung zu solchen Fragen von
vornherein überflüssig und – darin kann diese Einstellung gipfeln – als generelle Zumutung zu verstehen.
[…] Wie Heckmann diese Auffassung relativierte, möchte ich ihn in einem etwas längeren Zitat selber
ausführen lassen: „[…] Das sokratische Gespräch […] setzt voraus, daß wir eine Aussage als falsch oder
als nicht hinreichend begründet erkennen können. Dann geben wir sie entweder preis oder suchen sie so
zu modifizieren, daß wir Einwände gegen die modifizierte Aussage nicht mehr sehen. So gewinnen wir
Aussagen von der Qualität: bis auf weiteres als begründet anerkannt. Soviel können wir erreichen. […] Mit
dem kritischen Gebrauch, ja mit der Vermeidung des Wortes Wahrheit wird jedoch die Idee der Wahrheit,
die das abendländische Denken beflügelt und Wissenschaft und kritisches Denken erst hervorgebracht
hat, nicht preisgegeben. Im Gegenteil: eben diese Idee veranlaßt die von ihr Motivierten zu kritischem
Selbstverständnis. Im sokratischen Gespräch sind wir von ihr motiviert. Sie veranlaßt uns, die Erfahrung,
die wir im sokratischen Gespräch machen, mit Begriffen zu beschreiben, die kritischer Prüfung
standhalten.“34
8. „Die Gesprächsgemeinschaft“ und das darin realisierte „Menschenbild“ oder
warum für die schulische Erziehung ein sokratisches Philosophieren in
Nelson/Heckmannscher Tradition so wichtig sein könnte: ein Zwischenfazit
[…] Wenn Gisela Raupach-Strey in Zusammenhang mit sokratischer Gesprächspraxis von einem
entstehenden „Solidaritätsbewusstsein in Wahrheitssuche“ spricht, dann […] bezieht [sie] sich auf etwas, was ich
nach meinen ersten persönlichen praktischen Erfahrungen mit sokratischen Gesprächen in der Tradition
nach Leonard Nelson und Gustav Heckmann als ein in der sokratischen Methode erfahrbares „Erlebnis“
bezeichnet habe, das hohen erzieherischen Wert besitzt. […] Was in einem gelingenden sokratischen
Gespräch „durch das Selbstbewußtsein seiner eigenen Denkfähigkeit […] in einem mit großer Toleranz
und Verständnisbereitschaft geführten Gespräch“ als Eindruck zurückbleibt, „könnte zu einer im
Selbstwertgefühl der eigenen Denkfähigkeit gegründeten Offenheit und Toleranz führen, die die
entspannte Fähigkeit und Bereitschaft, die Denkweisen anderer wahrzunehmen, zu verstehen und zu
hinterfragen, fördern würde“.35 Raupach-Strey formuliert: „[…] Die Postulate der Aufrichtigkeit und
Offenheit enthalten das grundsätzliche Ernst-Meinen und das Ernst-Nehmen jeder Äußerung sowie der
äußernden Personen; die angestrebte Symmetrie in der Wahl der Sprechakte enthält die
Gleichberechtigung und die wechselseitige Anerkennung der Gesprächspartner/innen; der LogosGrundsatz, daß nur der ‚eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments’ gelten soll, läßt keine
anderen Zwänge irgendwelcher Art gelten; von der Utopie der Herrschaftsfreiheit geleitet ist die
praktizierte Zurücknahme von Herrschaft in der Dialogsituation und das Bemühen um die Behebung von
Kommunikationsverzerrungen, so weit dies jeweils in der Realität nur irgend möglich ist.“36 Diese
Sichtweise gipfelt in einem „Menschenbild“, das den Menschen zugleich als soziales Wesen mit
individueller Denkfähigkeit und Würde betrachtet und ihn mit der gemeinschaftlich geübten
Hebammenkunst aus der Gefahr eines Solipsismus heraushebt. Im Bewusstsein der Gemeinschaft wird
auch klar, dass das sokratische Gespräch in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann
weit mehr als nur eine technizistische Methode darstellt, dass sie, wie Raupach-Strey mit Habermas
formuliert, „zugleich ‚Vorschein einer Lebensform’ ist“37 und somit die Utopie der idealen Sprechsituation als
regulative Idee in erzieherischer Absicht einsetzt. […] Diesem humanen Grundansatz ordnet sich in der
Gesprächstradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann ein darüber hinausgehendes
erzieherisches Element zu, das sich im Gesprächshandeln selbst vollzieht und somit nicht nur im
Gegenstand des Methodeneinsatzes, sondern im methodengemäßen Handeln, im aktiven Tun selbst schon das
erzieherische Anliegen und den erzieherischen Effekt immer mit transportiert.
(aus: Draken, Sokrates als moderner Lehrer, S. 53-97)
34 Gustav Heckmann: Das sokratische Gespräch, S. 68f.
35 Klaus Draken: Das Sokratische Gespräch – mögliche Grundlage einer Didaktik der politischen Bildung? – in: PhilosophischPolitische Akademie e.V. (Hg.): Rundbrief der Sokratiker Nr. 2, Bonn, 1989. S. 10f.
36 Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik, S. 63.
37 Ebenda.
16
Was ist ein Sokratisches Gespräch?
Begriffsexplikationen:
Leonard Nelson (1922, S .271):
„Die Sokratische Methode ist nämlich nicht die Kunst, Philosophie, sondern
Philosophieren zu lehren, nicht die Kunst, über Philosophen zu unterrichten, sondern
Schüler zu Philosophen zu machen.“
Gustav Heckmann (1981, S.7):
“Sokratische Methode im weitesten Sinne wird praktiziert, wo und wann immer
Menschen durch gemeinsames Erwägen von Gründen der Wahrheit in einer Frage
näher zu kommen suchen.“
Gisela Raupach-Strey (2002, S. 41):
Ein Sokratisches Gespräch ist eine von der Erfahrung ausgehende, personenbezogene
und argumentierende Suche einer Gesprächsgemeinschaft nach der Erkenntnis der
Wahrheit über ein philosophisches (d.h. etwas Grundlegendes betreffendes) Problem
mit dem Ziel, die nach gemeinsamer, vernünftiger Prüfung gefundene Einsicht
schließlich in einem konsensfähigen Urteil zu fassen.
Das Paradigma der Sokratischen Methode:
Die konstitutiven Elemente (Raupach-Strey in Birnbacher/Krohn, 2002, S.106-139)
1. Der Marktplatz als Ort des Philosophierens
2. Die Verankerung in der Erfahrung
3. Der Anti-Dogmatismus
4. Das Selbstvertrauen der Vernunft
5. Die Maieutik
6. Das Begründungskonzept
7. Das Gesprächsziel des Wahrheitskonsenses
8. Die Gesprächsgemeinschaft
9. Das Menschenbild
Literatur:
Nelson, Leonard: Die sokratische Methode. (Vortrag 1922) Gesammelte Schriften Bd. 1,
Hamburg 1970, 5. 269-316
Heckmann, Gustav: Das sokratische Gespräch. Erfahrungen in philosophischen
Hochschulseminaren. Hannover 1981; Neuausgabe Frankfurt a.M. 1993
Raupach-Strey, Gisela: Sokratische Didaktik. Die didaktische Bedeutung der
Sokratischen Methode in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann.
Münster 2002
Das sokratische Gespräch. Hrsg. von D. Birnbacher/ D. Krohn, Reclam Stuttgart 2002
17
Grundlegende Bedingungen für die Durchführung Sokratischer Gespräche:
(als Einführungsfolien einsetzbar)
Konstitutive Regeln
des Sokratischen Gesprächs
in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann:
1.
Jeder vernunftbegabte Mensch (ohne besondere philosophische Vorbildung) kann
teilnehmen
2.
Alle Teilnehmer/innen sind gleichberechtigt in ihrem Bemühen um Erkenntnis.
3.
Alle Teilnehmer/innen sind zur Begründung ihrer Aussagen verpflichtet.
4.
Ausgangspunkt des Gesprächs ist die konkrete eigene Erfahrung (Arbeit am Beispiel).
5.
Aus Alltagsurteilen werden die dahinter liegenden Grundsätze gewonnen („regressive
Abstraktion“)
6.
Alle Teilnehmer/innen streben nach Wahrheit.
7.
Der angestrebte Konsens gilt als Indiz für eine „wahre“ Aussage.
Anforderungen an die Teilnehmer/innen
am Sokratischen Gespräch in der Tradition von
Leonard Nelson und Gustav Heckmann:
1.
nur eigene Überzeugungen äußern („Autoritäten“ gelten nicht als Begründung)
2.
aktives Zuhören gegenüber jedem/r Teilnehmer/in (Zustimmungsfähigkeit überprüfen)
3.
Wahrhaftigkeit (bei Nicht-Verstehen Rückfragepflicht)
4.
Das „bessere Argument“ soll Standpunktveränderungen ermöglichen
5.
Keiner soll um des schnellen Konsenses Willen Zweifel oder Gegenargumente
zurückhalten
6.
knappe Beiträge zur Sache (nur einen Aspekt, keine „Vorträge“)
7.
Klare und verständliche Formulierung aller Aussagen
8.
Ernstnehmen aller Personen und Standpunkte im Gespräch
Sechs pädagogische Maßnahmen:
(für den Leiter nach Gustav Heckmann38)
1.
Inhaltliche Zurückhaltung des Gesprächsleiters (Gebot der Zurückhaltung)
2.
Ausgehen vom Konkreten einfordern (im Konkreten Fuß zu fassen)
3.
Volles Ausschöpfen des Gesprächs (Das Gespräch als Hilfsmittel des Denkens)
4.
Den „roten Fachen“ sichtbar machen (Festhalten der gerade erörterten Frage)
5.
Hinstreben auf Konsens
6.
Formale Hilfestellungen im Gesprächsverlauf (Lenkung)
© Klaus Draken
38
Die Überschrift, die Formulierungen in Klammern sowie die Formulierung zu 5. sind wörtliche Übernahmen aus: Gustav
Heckmann: Das sokratische Gespräch. Erfahrungen in philosophischen Hochschulseminaren. Hannover: Schroedel, 1981.
Seite 66-71, [1. Neuauflage (mit veränderte Seitenzahlen): Frankfurt am Main: dipa, 1993. Seite 84-90. Teilabdruck aus dem
Buch in: Dieter Birnbacher / Dieter Krohn (Hrsg.): Das Sokratische Gespräch. Stuttgart: Reclam, 2002. Seite 73-83.]
Auf diesen sechs pädagogischen Maßnahmen basiert auch der Artikel: Klaus Draken, Das Unterrichtsgespräch – oder ‚auf
dem Weg zu einer philosophisch geprägten Gesprächspraxis’. In: EU, Ethik und Unterricht: Zeitschrift für die Fächergruppe
Ethik / Werte und Normen / LER / Praktische Philosophie; Themenheft „Methoden“. Frankfurt am Main: Diesterweg, 11. Jg.,
3/2000. Seite 17 - 23
18
Idealtypische Phasen des Gesprächsablaufs
1) Themenstellung:
• Bekanntgabe des Gesprächsthemas (i.d.R. in Frageform)
• Klärung der Rahmenbedingungen (Vorgehen, methodische Anforderungen, ggf.
Aufgabenverteilung (z.B. Protokoll), zeitlicher Ablauf, Metagespräche etc.)
2) Beispielsuche:
• Beispielrunde: Teilnehmer berichten selbst erlebte Beispiele zur Themenfrage
• Beispielauswahl: Der Leiter wählt (in Absprache mit der Gruppe) ein geeignetes Beispiel
für den Gesprächsbeginn aus.
• Beispielerfassung: Der Beispielgeber erzählt nun genauer. (Gelegenheit zu Rückfragen,
schriftliche Fixierung an Tafel, Flipchart oder auf OHP-Folie – Achtung: Noch keine
Diskussion oder Interpretation, lediglich möglichst genauer Nachvollzug des Beispiels!)
3) Beispielanalyse:
• Teilfragenformulierung: Konkrete Fragen an das Beispiel, bzw. in Bezug auf Beispiel
und Themenfrage werden formuliert (schriftliche Fixierung an Tafel o.ä.).
• Durchführung der Beispielanalyse: Eine Teilfrage wird ausgewählt, mit der die
inhaltliche Arbeit an der Themenfrage, zunächst eng orientiert am Beispiel,
aufgenommen wird.
4) Diskursive Suche wahrer Aussagen („regressive Abstraktion“):
• Versuch konsensualer Antworten oder Teilantworten auf anstehende Fragen (s.o.).
• Konsense werden schriftlich fixiert und nach Rückvergewisserung in der Gruppe als
solche gekennzeichnet.
• Hierbei wird immer wieder das gewählte Beispiel in den Blick genommen, um am
„Konkreten“ die allgemeiner formulierten Sätze zu überprüfen. Allmählich werden in
diesem Wechselspiel von Abstraktion und Konkretion allgemeinere Sätze angestrebt.
• Weitere Beispielbezüge: Wenn das zunächst gewählte Beispiel nicht mehr fruchtbar
erscheint, können weitere Beispiele zur Verallgemeinerung der Fragenbeantwortung
herangezogen werden.
5) Gesprächsabschluss (i.d.R. aus zeitlichen Gründen):
• abschließende Würdigung des/der gefundenen Konsens(e)
• ggf. offen gebliebene Teilfragen möglichst konkret festhalten.
• ggf. können als Abschluss auch Spekulationen über die nun denkbare Antwort der
Gruppe oder die neu, bzw. differenzierter entstandenen Antworten der einzelnen
Teilnehmer auf die Themenfrage in den Blick genommen werden. (z.B. Schreibauftrag als
Hausaufgabe o.ä.)
6) Metagespräch(e): Während des Verlaufs dieses Gesprächsprozesses können – zu dessen
Entlastung – klar markierte Gesprächsphasen eingefügt werden, in denen „über das
Gespräch“ gesprochen wird. Hier können – je nach Bedarf der Gruppe – Fragen zum
Vorgehen, zur Methode, zu Befindlichkeiten oder zur Gruppendynamik ihren Platz und
ihre Klärung finden.
© Klaus Draken
19
Sokratisch bearbeitbare Gesprächsthemen
Gustav Heckmann formuliert als Rahmenbedingung für die Formulierung eines Sokratischen
Gesprächsthemas:
„Im Sokratischen Gespräch arbeiten wir nur mit dem Instrument des Reflektierens über
Erfahrungen, die allen Gesprächsteilnehmern zur Verfügung stehen. Fragen, deren Beantwortung
anderer Instrumente bedarf, scheiden also aus.
Solche Instrumente sind: 1. Experiment bzw. Beobachtung oder Messung in der Natur oder im
Laboratorium. 2. empirische Erhebungen, wie sie in den Sozialwissenschaften üblich sind. 3.
historische Studien. 4. die psychoanalytische Methode zur Aufdeckung der individuellen seelischen
Problematik eines Menschen.
Soviel ich sehe, können alle Fragen, zu deren Beantwortung keines dieser vier Instrumente
erforderlich ist, im sokratischen Gespräch fruchtbar angegriffen werden. Das sind die Bereiche
Mathematik und Philosophie – Philosophie im weitesten Sinne, einschließlich Wissenschaftstheorie,
einschließlich der Grundfragen von Politik und Erziehung, einschließlich Fragen zur Struktur unserer
39
inneren Erfahrung.“
In Praktische Philosophie haben wir es mit Fragen der „Philosophie im weitesten Sinne“ zu tun, die
40
uns in Form der Fragenkreise vorgegeben sind. Doch wie formuliert man nun Themen , die
Sokratisch bearbeitbar wären. Hierzu einige Beispiele aus der Sokratischen Arbeit im Rahmen der
41
Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren :
39
Dürfen wir streiten?
Unter welchen Voraussetzungen entsteht gegenseitiges Vertrauen?
»Man muss sich einig sein, sich zu streiten.« Wie ist das möglich?
Denken wir zu viel?
Wann hat der Mensch einen freien Willen?
Was heißt es, etwas zu messen?
Gibt es berechtigte Ungleichheiten?
Was bedeutet es, verantwortlich zu handeln?
Ist alles Private politisch?
Sind wir verantwortlich für die Zukunft?
Brauchen wir Ideale?
Soll man die Frage der Abtreibung allein den Frauen überlassen?
Wie erkenne ich, dass ich mich irre?
Was bedeutet »sinnvoll«?
Was ist Unrecht?
Ist die Welt logisch, oder denken wir nur so?
Welche Kriterien sollen bei der Interessenabwägung in einer multikulturellen Gesellschaft
maßgebend sein?
Sind Freiheit und Staat vereinbar?
Was heißt es, eine Behauptung zu begründen?
Wo liegen die Grenzen der Toleranz?
Was ist Zeit?
Welches ist der Unterschied zwischen »wahr« und »wahrhaftig«?
Wodurch verletzen wir die Würde anderer Menschen?
Gibt es Umstände, unter denen ich einen anderen besser verstehe als er sich selbst?
Gustav Heckmann, (1981): Seite 8; (1993): Seite 15
Natürlich müssen Themen für ein Sokratisches Gespräch nicht zwangsläufig als Frage formuliert werden. Andererseits ist
dies die wahrscheinlich klarste Form, das Thema als Auftrag an die Teilnehmer/innen heranzutragen. Siehe hierzu auch:
Raupach-Strey, Sokratische Didaktik. (Krohn/Neißer/Walter (Hrsg.): Sokratisches Philosophieren, Bd. X) Münster,
Hamburg, London: LIT, 2002. Seite 533 - 536
41
eine etwas ausführlichere Liste findet sich in: Klaus Draken, Das Sokratische Gespräch im Unterricht. Bericht aus dem
Arbeitskreis von Mechthild Goldstein und Klaus Draken – in: Fachverband Philosophie NRW (Hrsg.): Philosophieunterricht
in Nordrhein-Westfalen – Neue Arbeitsformen im Philosophieunterricht (Beiträge und Informationen Nr. 36. Kevelaer:
Selbstverlag, August 2001) Seite 15f.
Noch mehr Themenformulierungen finden sich in: Eine Auswahl von Themen Sokratischer Wochen der GSP von 1987-1994.
aus: Krohn/Walter: Sokratische Gespräche der Philosophisch-Politischen Akademie seit 1966 – eine Dokumentation. In:
Knappe/Krohn/Walter (Hrsg.): Vernunftbegriff und Menschenbild bei Leonard Nelson. Frankfurt/M: dipa-Verlag, 1996.
Seite 135 - 148
40
20
Hinweise zur Formulierung Sokratischer Gesprächsthemen (i.d.R. als Fragen):
Funktion
Fragen zur Überprüfung der Formulierung
Gefahren ungeschickter
Formulierungen
Information
Ist das Thema für alle klar verständlich
formuliert?
Ist das Thema eindeutig formuliert, oder lässt es
unterschiedliche Verständnismöglichkeiten zu?
Wird eine Perspektive möglicher Gesprächsentwicklungen erkennbar?
…
Wirkt die Formulierung Interesse weckend?
Keiner weiß, worum es gehen soll.
Es entstehen Erwartungen an das
Gespräch, die später enttäuscht
werden.
Motivationsverlust durch mangelnde Orientierung
…
Mangelndes Interesse für die
Methode, besonders im Einstieg.
Keine
Motivation,
ernsthafte
Bezüge zu eigenen Erlebnissen
herzustellen.
Blockaden z.B. durch zu abstrakte
Sprache.
…
Nur eine Teilgruppe fühlt sich
angesprochen und motiviert.
Spezielle Schülertypen dominieren
das folgende Gespräch.
Motivation
Enthält sie ggf. eine leichte Provokation?
Enthält sie Überraschende, Irritierendes, …?
Ist die Formulierung sprachlich einladend?
Interessensteuerung*
Vorbereitungs
-grundlage
Arbeitsgrundlage für
den Einstieg
Arbeitsgrundlage für den
Gesprächsverlauf
…
Spricht die Formulierung Mädchen wie Jungen
gleichermaßen an?
Provoziert die Formulierung nicht zu stark
Interessen, die im Sokratischen Gespräch später
stören könnten?
Wird durch eine sehr nüchterne (assoziative,
empörende, …) Formulierung zu stark ein
spezieller Schülertyp (rein analytisch denkend,
eher assoziativ und wenig logisch denkend,
Querdenker, …) angesprochen?
…
Entspricht die Formulierung inhaltlich dem Sachoder Problembereich, in dem ich mich fachlich
sicher fühle?
Schränkt die Formulierung das mögliche
Arbeitsfeld genügend ein, um eine fundierte
fachliche Vorbereitung zu ermöglichen?
Definiert die Formulierung einen ausreichenden
Bereich, in dem antizipierbare Spezifizierung
gemäß den Schülerinteressen möglich ist?
…
Ermöglicht die Themenformulierung genügend
Anknüpfungen an konkretes Alltagserleben der
Schüler/innen, um Beispiele zu finden?
Ist die Formulierung „polarisierend“ genug, um
unterschiedliche
Sichtweisen
und
damit
Begründungs- und Klärungsbedarf zu evozieren?
…
Ermöglicht, provoziert, sichert die Formulierung
die
Erreichung
einer
„philosophischen
Dimension“ im weiteren Gespräch?
…
Andere Schülertypen fühlen sich
ausgeschlossen, abgestoßen bzw.
gelangweit.
…
Es rücken Aspekte ins Zentrum der
Arbeit, von denen ich keine Ahnung
habe.
Es rücken Aspekte ins Zentrum der
Arbeit, auf die ich nicht vorbereitet
bin.
Der Bereich ist so eng gefasst, dass
keine Selbststeuerung der Gruppe
mehr möglich ist.
…
Zur Formulierung fällt keinem
Schüler ein eigenes konkretes
Erlebnisbeispiel ein.
Alle sind sich in der Einschätzung
einig
–
es
entsteht
kein
Begründungsbedarf.
…
Es
wird
nur
berichtet,
psychologisiert, o.ä.
…
© Klaus Draken
* Dieses Kriterium spielt bei frei ausgeschriebenen Gesprächswochen bzw. bei der Anwahl einer Gruppe aus
mehreren Angeboten eine große Rolle, zumal manche Themenformulierungen spezielle Interessenlagen
ansprechen können, die wiederum zu einer speziellen Teilnehmerschaft in der dann entstehenden Gruppe
führen, die ggf. ein besonderes Problempotential provoziert. In der Schule ginge es darum, alle Schüler/innen
anzusprechen bzw. bei ggf. alternativ angebotenen Themen keine bestimmte Auswahl vorzusteuern.
K
21
Kriterien für die Beispielauswahl:
1)
2)
-
-
3)
-
-
4)
-
-
5)
6)
-
7)
-
Klarer Themenbezug:
Das Beispiel, das wir suchen, soll ein Beispiel zu unserer Ausgangsfrage sein, soll für die Ausgangsfrage
relevant sein.
Es muss der Zusammenhang des Beispiels zum Gesprächsthema für die Teilnehmer klar erkennbar sein.
Es sollte für den inhaltlich vorbereiteten Gesprächsleiter erkennbar sein, dass das Beispiel auf einen
grundlegenden Problemaspekt des Gesprächsthemas abzielt.
Günstig wäre es, wenn ggf. mehrere sinnvolle und zentrale Aspekte des Themenbereichs anhand des Beispiels
bearbeitet werden können.
Eigenes Erleben:
Das Beispiel soll aus unserer eigenen Erfahrung stammen, soll selbst erlebt sein, da sonst die notwendigen
Nachfrage bei der Beispielanalyse nicht beantwortbar wären.
Man soll in der Beispielsituation selbst gehandelt oder zumindest einen Standpunkt bezogen/ein Urteil gefällt
(meist wird es sich dabei um ein intuitives Urteil handeln) haben. Es reicht nicht, in der Beispielsituation nur
zugegen gewesen zu sein, etwa ausschließlich als Beobachter.
Als Beispiel gilt eine eingrenzbare Situation, nicht ein immer wiederkehrendes Gefühl oder ein lange
anhaltender Zustand, sonst treten bei Rückfragen Irritationen in Bezug auf unterschiedliche Situationen mit
abweichenden Ausführungen auf.
So wird die Intensität des Gesprächs im Sinne der Betroffenheit durch ein authentisches Beispiel erhöht.
Persönlichkeit des Beispielgebers:
In der Schule kennt die/der Lehrer/in ihre Schüler/innen. Von daher sollte darauf geachtet werden, dass
unglaubwürdige oder aus Profilierungsbedürfnis heraus „fabulierende“ Schüler/innen die Arbeit nicht
erschweren.
Es gilt die Gefahr einer Umdeutung des Beispiels im Verlaufe des Gesprächs im Interesse gedanklicher
Kontinuität möglichst zu vermeiden.
Auch könnten Schüler/innen mit einer schwachen Stellung in der Gruppe zu ihrem eigenen Schutz von der
Beispielgeberrolle verschont werden, wenn die Gefahr gesehen wird, sie könnten als Persönlichkeit bei der
Beispielanalyse von der Klasse „demontiert“ werden.
Abgeschlossenheit, aber nicht zu ferne Vergangenheit:
Beispiele müssen abgeschlossen sein, sonst beginnt die Gruppe, aktuelle Probleme zu lösen oder über den
Fortgang der Geschichte zu spekulieren. Das ist nicht ihre Aufgabe und nicht Gegenstand einer
philosophischen Untersuchung.
Ein nicht abgeschlossenes Beispiel, d.h. ein für den Beispielgeber noch schwelender Konflikt oder ein
emotional noch akutes Problem könnten das Gespräch überfordern. (SG ist kein Beratungsgespräch oder
Therapieersatz.)
Ein zu weit in der Vergangenheit liegendes Beispiel könnte durch „Vergessen“ oder „Verklärung“ bei
Rückfragen an authentischem Wert verlieren.
Erzählbarkeit, d.h. nicht zu große Intimität:
Es muss vollständig zu erzählen sein. Es darf kein Punkt kommen, wo es dem Beispielgeber peinlich wird oder
andere Gründe zum Abbrechen des Berichtes führen.
Wegen der gründlichen Beispielanalyse sollten Beispiele, die stark in intime Persönlichkeitsbereiche
hineinspielen, vermieden werden.
Erzählbarkeit – auch von Details, die erst auf den zweiten Blick an Bedeutung gewinnen – sollte in Bezug auf
die konkrete Gruppe geprüft werden.
Allgemeine Nachvollziehbarkeit:
Man sollte mehrere Beispiele zusammentragen und gemeinsam dasjenige auswählen, das für die anderen
motivierend in Bezug auf Analyse und Vertiefung der Themenfrage ist, das eventuell sogar auf die
Lebenssituation der anderen übertragen werden kann.
Wenn das Beispiel aus einem Spezialbereich kommt, über den nur der Beispielgeber genauer Bescheid weiß,
können allgemeine Nachfragen zum Verständnis der Situation die Beispielerfassung erschweren.
Auch wird die Rolle des Beispielgebers noch stärker in den Vordergrund gehoben.
Einfache Struktur:
Das Beispiel soll möglichst einfach sein. Wir brauchen keine großen wichtigen, oder existenziellen Beispiele.
Es kann ganz alltäglich, ganz klein, ganz banal sein.
In der Regel gilt, „Je einfacher das Beispiel, desto besser“, weil im Gesprächsverlauf Differenzierungen
sowieso zu einer „Verkomplizierung“ des Beispiels führen.
Von vornherein differenziert angelegte Beispiele bergen die Gefahr, dass sie bei genauer Betrachtung zu viele
Aspekte beinhalten, die allein schon die Beispielaufnahme enorm ausdehnen können.
Auch kann eine zu hohe Vielfalt von Aspekten eine konzentrierte Bearbeitung erschweren.
© Klaus Draken
22
Übung zur Erfassung von Beispielen
Wenn man im Unterricht von persönlichen Erfahrungen einzelner Schüler/innen ausgeht –
so wie es im Sinne der personalen Perspektive im Fach Praktische Philosophie sicher
sinnvoll sein kann – dann stellt sich die Frage nach der Intensität oder Ausführlichkeit, in der
diese Erfahrung im Klassenraum wahrgenommen werden sollte. Im Sokratischen Gespräch
wird dieses Element phänomenologischer Gründlichkeit oft stärker betont, als Lehrer/innen
es ansonsten gewohnt sind. So habe ich bei Sokratischen Gesprächen in der
Lehrer/innenfortbildung häufig die Rückmeldung erhalten, dass Kolleg/innen von der
gründlichen und zeitintensiven Betrachtung einer Individualerfahrung regelrecht irritiert
waren und diese Gründlichkeit in der Wahrnehmung und Beschreibung des Konkreten als
unphilosophisch empfanden. Dennoch könnte auch Unterricht, der nicht in der Form des
Sokratischen Gesprächs verläuft, auf dieser Ebene gewinnen, da der gründlichen
Phänomenwahrnehmung als Voraussetzung für Analyse, Verallgemeinerung und
Abstraktion eine hohe Bedeutung zukommt. Martens formuliert hierzu: „Wir können etwas als
etwas nur dann wirklich erkennen, wenn wir zunächst alle theoretischen Erklärungsmuster
ausklammern und stattdessen das Phänomen in seiner vielfältigen Erscheinungsweise
möglichst umfassend beschreiben sowie auf unsere lebensweltlichen, leibgebundenen und
problemorientierten Zugangsweisen achten.“42
Insofern ist es m.E. eine lehrreiche Übung für sokratisch unerfahrene Kolleginnen und
Kollegen, einmal ein konkretes Erfahrungsbeispiel vertiefend zu erfassen:
•
Hierzu sollte es zunächst von dem- oder derjenigen, von dem/der die Erfahrung
stammt, in als angemessen empfundener Ausführlichkeit geschildert werden.
•
Anschließend sollten Verständnis-, Informations- und Sachfragen an den/die
Beispielgeber/in gestellt werden, wobei sensibel darauf zu achten ist, dass es beim
„Fragen“ bleibt und dass „Unterstellen“, „Deuten“ und „Hinein-Interpretieren“ nicht um
sich greift. Dies ist später eine wichtige Aufgabe des Lehrers im Umgang mit seinen
Schüler/innen.
•
Als dritten Schritt sollte dann jede/r für sich die wesentlichen und für eine
weitergehende philosophische Reflexion notwendigen Aspekte des Beispiels
schriftlich zusammenfassen. Im Vergleich dieser Niederschriften könnte es zu
interessanten Diskussionen darüber kommen, welche vielfältigen und
unterschiedlichen Überlegungen bzw. Alltagstheorien der Schreibenden zu den
wahrscheinlich unterschiedlichen Gewichtungen in der Beispielerfassung führen.
Das, was einige als unwichtigen Nebenaspekt abtun, kann anderen als zentrales
Element späterer philosophischer Verallgemeinerungen erscheinen. In dieser
Diskussion sollte deutlich werden, dass unsere individuellen Theorien die
Wahrnehmung in ihrer Gewichtung stark steuern und dass uns unwichtig
erscheinende Aspekte einem Schüler z.B. mit gutem Grund als entscheidend wichtig
erscheinen können. Wenn wir uns wirklich auf den induktiven Weg vom
Einzelphänomen zur Verallgemeinerung einlassen wollen, müssen wir daher
zunächst möglichst viel unvoreingenommen erfassen, um dadurch die Vielfalt sinnvoll
möglicher Verallgemeinerungen bzw. Abstraktionen (im Sinne einer philosophischen
Arbeit hin zum Allgemeinen) nicht von vornherein zu beschneiden.
© Klaus Draken
42
Ekkehard Martens, Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare
Kulturtechnik. Hannover: Siebert, 2003. Seite 72
23
Verschriftlichung des Beispiels
Zur Verschriftlichung gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen:
a. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin schreibt in einer Gesprächspause
alleine an Tafel / Flipchart auf. (Problem: Dieses Vorgehen bietet sich an, wenn
sowieso eine Pause bzw. Vertagung zur nächsten Unterrichtsstunde ansteht.
Vorteil: hohe Authentizität! Nachteil: fehlender Gruppenprozess / Aneignung
des Beispiels durch die Gruppe!)
b. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin schreibt in der Gruppe und nach
Klärung der Verständnisfragen selbst an Tafel / Flipchart an. (Problem: Der
Beispielgeber / die Beispielgeberin ist in seiner / ihrer Funktion immer schon
stark hervorgehoben und z.T. belastet. Hier kommt mit dem Anschreiben eine
weitere Aufgabe auf ihn / sie zu. Vorteil: hohe Authentizität / keine Gefahr der
Verfälschung durch die Gruppe.)
c. Ein Gruppenmitglied schreibt an, wobei der Beispielgeber / die Beispielgeberin
„diktiert“. (Vorteile: hohe Authentizität / Entlastung der Beispielgeberfunktion /
ggf. Chance, jemanden mit gut leserlicher Handschrift anschreiben zu lassen)
d. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin lässt sich von der Gruppe
Formulierungshilfen geben, aus denen sie geeignet erscheinende für die
Formulierung an Tafel / Flipchart auswählt. (Vorteil: Entlastung der
Beispielgeberfunktion, Hilfestellung, Chance auf gut nachvollziehbare
Formulierungen. Ggf. Risiko durch attraktive aber sinnverfälschende
Formulierungen bei unsicherem Beispielgeber / unsicherer Beispielgeberin)
e. Die Gruppe diskutiert sinnvolle Formulierungen des Beispiels, wobei der
Beispielgeber / die Beispielgeberin eine Kontrollfunktion ausübt, damit es nicht
zu Verfälschungen kommt. (Vorteil: Es kommt zu einer gewissen Aneignung
des Beispiels durch die Gruppe. Risiko: Wenn der Beispielgeber / die
Beispielgeberin nicht sebstbewusst und energisch genug sind, können sich
Verfälschungen einschleichen.)
f.
Die Gruppe formuliert nach Schilderung des Beispiels und Verständnisfragen
an den Beispielgeber / die Beispielgeberin das, was sie für relevant für den
weiteren Gesprächsverlauf erachtet. Der Beispielgeber / die Beispielgeberin
hält sich in dieser Phase völlig heraus und beaufsichtigt den Prozess nur in
Bezug auf sachlich richtige Darstellung. Ggf. darf er / sie am Schluss ihm / ihr
unverzichtbar wichtig Erscheinendes ergänzen. (Vorteil: Entlastung des
Beispielgebers / der Beispielgeberin / Vergemeinschaftung des Beispiels, d.h.
es geschieht bereits eine Vorvereinbarung über als wichtig erachtete Aspekte /
Zeitökonomie: Dieses Verfahren schafft in relativ kurzer Zeit eine recht gute
Basis für die Weiterarbeit.)
Für die Schule, d.h. in der Regel unter begrenzenden zeitlichen Bedingungen,
erscheint Variante F recht vorteilhaft. Dennoch muss man je nach konkreten
Umständen entscheiden, was für die individuelle Gruppe am günstigsten erscheint.
Ich-Form / Du-Form: Während es selbstverständlich ist, dass der Beispielgeber / die
Beispielgeberin von dem selbsterlebten Vorfall in der „Ich-Form“ berichtet, kann es für
die Tafel/Flipchart u.U. sinnvoll sein, Dinge in der dritten Person festzuhalten (aber
nur, wenn nicht der Beispielgeber / die Beispielgeberin selbst anschreibt!) Alle
Aussagen sollten dann aber den Namen der Person (XY hat erlebt “) und ggf. sogar in
wörtlicher Rede (In diesem Moment empfand XY: „ …“) festgehalten werden.
© Klaus Draken
24
Kategorisierung von Teilnehmerfragen zur Abschätzung von
Leitungsentscheidungen:
Sachfragen:
(können i.d.R. schnell durch Antworten des Beispielgebers geklärt werden, aber nur
wenn sie sich auf verfügbare Sachverhalte beziehen – wenn nicht: Vorsicht!)
- Informationsfragen an den Beispielgeber
- Empirische Fragen (nur bei verfügbaren Beobachtungen beantwortbar)
- Psychologische Fragen (auf innere Vorgänge des Beispielgebers bezogen –
Vorsicht: wenn diese unbewusst sind, suggestive Unterstellungen vermeiden!)
Philosophische Fragen:
(stellen sinnvolle Ausgangspunkte für die philosophische Erörterung dar)
-
auf Prinzipien abzielend
Wert- und Normfragen
Begründungsfragen (Warum meinst Du, dass ...?)
rein durch Reflexion (Nachdenken) entscheidbar
Fragwürdige Fragen:
(ggf. zu vermeiden oder in ihrer versteckten Aussagekraft aufzudecken)
Scheinfragen / Fragen mit Aussagecharakter
Scheinfragen / versteckte Behauptungen
Fragen mit impliziten Unterstellungen
Fragen mit Voraussetzungen (die nicht geteilt werden müssen)
Entscheidungsfragen (Ja/Nein-Fragen – sollten in Bezug auf eine
Entscheidungsnotwendigkeit, bzw. –möglichkeit hin hinterfragt werden.)
- rhetorische Fragen (beeinflussend)
- sehr intime Fragen
- die Person/Persönlickeit des Beispielgebers grundsätzlich in Frage stellende Fragen
-
Fragen in Bezug auf den Gesprächsprozess:
(müssen entschieden, aber nicht „sokratisch“ geklärt werden)
- Verständigungsfragen (Was hast Du gemeint, als Du ... gesagt hast?)
- Definitionsfragen (Was verstehst Du unter ...? / Auf welche Begriffsverwendung können
wir uns für unser Gespräch einigen, um Missverständnisse zu vermeiden? / ...)
- Fragen, die das eigene Verständnis der Aussage eines anderen sicherstellen sollen
(Hast Du das so gemeint, dass ...?)
- Strategiefragen, die das weitere Vorgehen der Gruppe klären sollen
- Metafragen, die den gemeinsamen Standort oder Probleme im Gesprächsverlauf
transparent machen
Weitere Systematisierungsmöglichkeit von Fragen:
Fragehierarchien:
(können Hinweise auf eine sinnvolle Reihenfolge der Bearbeitung geben)
- Übergeordnete / untergeordnete Fragen
- Allgemeine / spezielle Fragen
- Teilfragen zur Themenfrage
© Klaus Draken
25
aus: Klaus Draken, Wie frag’ ich
bloß? In: EU 4/11: Gespräche. S. 52.
26
Gisela Raupach-Strey: Kriterien für das »öffentliche« Anschreiben43
a. Es gibt kein >Richtig< oder >Falsch<, sondern eben weil das Aufschreiben nur
Hilfsfunktion hat, gibt es lediglich ein >Sinnvoll< bzw. >Nützlich< für den weiteren
Gesprächsgang. Über den möglichen Gesprächsgang hat – bewusst oder
unbewusst – jeder Leitende Vor-Annahmen, die […] auch den Gesprächsverlauf
mitbestimmen. Dennoch lassen sich drei Blickrichtungen für die Auswahl des
Aufzuschreibenden als Maßstab benennen: der Blick auf das sprechende Subjekt,
auf die Gruppe oder auf die Sache.
b. Subjekt-bezogen kann es nützlich sein, wenn die einzelnen
Gesprächsteilnehmer ihren Gedanken in eine klare und verständliche sprachliche
Form bringen, die sich auch aufschreiben lässt. Dies hat rückwirkend für das
Subjekt selbst die Funktion der Klärung des eigenen Gedankens bzw. dessen, was
man eigentlich sagen wollte; es betrifft also die erste Stufe der Maieutik. […]
c. Darüber hinaus betrifft dieser Vorgang die zweite Stufe der Maieutik: Durch das
Aufschreiben wird der Gedanke auch den anderen Gesprächsteilnehmenden in
verbindlicherer Form kundgetan, kann daher nachvollzogen und durch
Verständnis-Rückfragen nachgeklärt werden; das Aufschreiben dient daher dem
Verstehen untereinander. [… / Der] Einzelne […] erfährt zudem eine Bestätigung,
dass sein Gedanke für die Gruppe von Bedeutung ist. [… / E]s geht anfangs um
die Rückwirkung auf das Subjekt (vgl. b), aber zugleich auch um einen
gruppendynamischen Aspekt: die Einübung toleranten Zuhörens und interessierten
Nachfragens sowie die Etablierung eines Gesprächsklimas wechselseitiger
Anerkennung ohne Hierarchie.
d. Neben der subjektiven und intersubjektiven Bedeutung wird der Leitende vor
allem nach der Wichtigkeit eines geäußerten Gedankens für die Sache, das zu
untersuchende Problem fragen und Äußerungen unter dieser Perspektive
aufschreiben lassen, und zwar auch dann, wenn ihre sachliche Bedeutung für die
Gruppe noch nicht ersichtlich ist. Es gibt Gedanken, die, zunächst beiläufig
geäußert, im weiteren Gesprächsverlauf ein erhebliches philosophisches Potenzial
entfalten können […], sodass es für einen möglichen späteren Rückverweis gut ist,
sie aufgeschrieben zu haben.
e. Die potenzielle Bedeutung für das Subjekt, für die Gesprächsgemeinschaft und
für den Fortgang in der Sache kommen nicht immer zur Deckung. Der Leitende
muss im Einzelfall eine Prioritätenentscheidung fällen, für den gesamten Verlauf
des Gesprächs aber darauf achten, dass alle drei Gesichtspunkte ausbalanciert
sind. Letztlich liegt die Entscheidung darüber, was angeschrieben wird, genau an
der Nahtstelle, an der die Leitungskompetenz in Leitungskunst übergeht.
43
Gisela Raupach-Strey, Die Rolle des Schreibens im Sokratischen Gespräch. In: Ethik und Unterricht. Heft
3/04: Philosophisches Schreiben. Seelze: Erhard Friedrich Verlag, 2004. Seite 11-17. Der folgende Auszug
stammt von Seite 17.
27
Regelvorschlag für die Gruppendiskussion im Metagespräch44
1. Sei dein eigener Chairman
Bestimme selbst, was du sagen willst. Sprich oder schweig, wann du es willst. Versuche, in dieser Stunde
das zu geben und zu empfangen, was du selbst geben und erhalten willst. Sei dein eigener Chairman
(Vorsitzender) — und richte dich nach deinen Bedürfnissen, im Hinblick auf das Thema und was immer für
dich sonst wichtig sein mag. Ich als Gruppenleiter werde es genauso halten. […]
2. Störungen haben Vorrang
Unterbrich das Gespräch, wenn du nicht wirklich teilnehmen kannst, zum Beispiel wenn du gelangweilt,
ärgerlich oder aus einem anderen Grund unkonzentriert bist. Ein `Abwesender´ verliert nicht nur die
Möglichkeit der Selbsterfüllung in der Gruppe, sondern er bedeutet auch einen Verlust für die ganze Gruppe. Wenn eine solche Störung behoben ist, wird das unterbrochene Gespräch entweder wieder
aufgenommen werden oder einem momentan wichtigeren Platz machen.
3. Wenn du willst, bitte um ein Blitzlicht
Wenn dir die Situation in der Gruppe nicht mehr transparent ist, dann äußere zunächst deine Störung und
bitte dann die anderen Gruppenmitglieder, in Form eines Blitzlichts auch kurz ihre Gefühle im Moment zu
schildern.
4. Es kann immer nur einer sprechen
Es darf nie mehr als einer sprechen. Wenn mehrere Personen auf einmal sprechen wollen, muss eine Lösung
für diese Situation gefunden werden. `Seitengespräche´ sind also zu unterlassen, oder der Inhalt ist als
Störung in die Gruppendiskussion einzubringen.
5. Experimentiere mit dir
Frage dich, ob du dich auf deine Art verhältst, weil du es wirklich willst. Oder möchtest du dich eigentlich
anders verhalten — tust es aber nicht, weil dir das Angst macht. Prüfe dich, ob dein Verhalten
Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten ist. Versuche, öfter neues Verhalten auszuprobieren, und riskiere
das kleine aufgeregte körperliche Kribbeln dabei. Dieses Kribbeln ist ein guter Anzeiger dafür, dass du für
dich ungewohntes und neues Verhalten ausprobierst.
6. Beachte deine Körpersignale
Um besser herauszubekommen, was du im Augenblick fühlst und willst, horche in deinen Körper hinein. Er
kann dir oft mehr über deine Gefühle und Bedürfnisse erzählen als dein Kopf.
7. ‚Ich’ statt ‚Man’ oder ‚Wir’
Sprich nicht per `Man´ oder `Wir´, weil du dich hinter diesen Sätzen zu gut verstecken kannst und die
Verantwortung nicht für das zu tragen brauchst, was du sagst. Zeige dich als Person und sprich per `Ich´.
Außerdem sprichst du im `Man´- oder `Wir´-Sätzen für andere mit, von denen du gar nicht weißt, ob sie das
wünschen.
8. Eigene Meinungen statt Fragen
Wenn du eine Frage stellst — sage, warum du sie stellst. Auch Fragen sind oft eine Methode, sich und seine
eigene Meinung nicht zu zeigen. Außerdem können Fragen oft inquisitorisch wirken und den anderen in die
Enge treiben. Äußerst du aber deine Meinung, hat der andere es viel leichter, dir zu widersprechen oder sich
deiner Meinung anzuschließen.
9. Sprich direkt
Wenn du jemandem aus der Gruppe etwas mitteilen willst, sprich ihn direkt an und zeige ihm durch
Blickkontakt, dass du ihn meinst. Sprich nicht über einen Dritten zu einem anderen und sprich nicht zur
Gruppe, wenn du eigentlich einen bestimmten Menschen meinst.
10. Gib Feed-back, wenn du das Bedürfnis hast
Löst das Verhalten eines Gruppenmitgliedes angenehme oder unangenehme Gefühle bei dir aus, teile es ihm
sofort mit, und nicht später einem Dritten. […]
Sprich zunächst einfach von den Gefühlen, die durch das Verhalten des anderen bei dir ausgelöst werden.
Danach kannst du versuchen, das Verhalten des anderen so genau und konkret wie möglich zu beschreiben,
damit er begreifen kann, welches Verhalten deine Gefühle ausgelöst hat. […]
11. Wenn du Feed-back erhältst, hör ruhig zu
Wenn du Feed-back erhältst, versuche nicht gleich, dich zu verteidigen oder die Sache `klarzustellen´. Denk
daran, dass dir hier keine objektiven Tatsachen mitgeteilt werden können, sondern subjektive Gefühle und
Wahrnehmungen deines Gegenübers. Freu dich zunächst, dass dein Gesprächspartner dir sein Problem
erzählt, das er mit dir hat. Diese Haltung wird dir helfen, ruhig zuzuhören und zu prüfen, ob du auch richtig
verstanden hast, was er meint. Versuche zunächst nur zu schweigen und zuzuhören, dann von deinen
Gefühlen zu sprechen, die durch das Feed-back ausgelöst worden sind, und erst dann gehe auf den Inhalt
ein.“
44
Lutz Schwäbisch, Martin Siems, Anleitung zum sozialen Lernen für Paare, Gruppen und Erzieher. Reinbek
bei Hamburg: Rowohlt, 1974. Seite 180-182
28
Klaus Draken: Gedanken zu einer Sokratischen Haltung
Aus: Gisela Raupach-Strey / Klaus Draken: Sokratische Didaktik und Elemente Sokratischen
Philosophierens im Unterricht. Erschienen in: Bernd Rolf, Klaus Draken, Gabriele Münnix (Hg.):
Orientierung durch Philosophieren. Berlin/Münster: LIT, 2007. Seite 78-84)
[…] Neben „Handwerklichem“ – was bei jeder Form von Unterrichten unverzichtbar ist –
steht im Zentrum von Überlegungen zu Sokratischer Didaktik immer auch eine Haltung.
Heckmanns „Allgemeinste Definition der sokratischen Methode“45 beinhaltet m.E. die
wesentlichen Elemente, welche auf diese – von Lehrer/in wie Schüler/innen – bei der
Methode notwendig einzunehmende Haltung verweisen:
- Das Ziel, „der Wahrheit in einer Frage näher“ kommen zu wollen, widerspricht einer
völlig relativistischen Einstellung. Bei aller Fragwürdigkeit und Vieldeutigkeit dessen,
was der Einzelne heute unter dem Begriff „Wahrheit“ versteht, bleibt doch das
gemeinsame Streben nach einem Ziel, welches nicht der reinen Beliebigkeit unterliegt.
Wo reine Beliebigkeit nicht akzeptiert wird, kann auch im Umgang mit seinem sozialen
Umfeld kein apathisches „Laissez faire“ vertreten werden, denn „Wahrheit“ fordert
Verbindlichkeit, und Verbindlichkeit fordert Handlungskonsequenzen.
- Da das „Erwägen von Gründen“ in der Sokratischen Methode zum Ziel verhelfen soll, ist
vorurteilhaftes Bestehen auf allgemein Akzeptiertem, Verweisen auf hier oder da
vertretene Dogmen oder die religiös esoterische Berufung auf nicht kommunizierbare
Intuitionen ausgeschlossen. Die eingeforderte Vernunftorientierung muss akzeptiert sein,
um Sokratisch arbeiten zu können.
- Weil die Gemeinsamkeit der Wahrheitssuche und die Gemeinsamkeit des Abwägens von
Gründen in der Methode konstitutiv sind, verbietet sich ein elitäres Bestehen auf der
besseren individuellen Erkenntnis eines Einzelnen. Ein sich Einlassen auf die Sicht des
Anderen, eine grundlegende Akzeptanz der Vernunft des Anderen, eine Offenheit in
Wahrnehmung und Kommunikation mit dem Gegenüber muss praktiziert werden.
Allerdings bleibt es nicht bei interesseloser Pseudotoleranz, sondern die notwendige
Offenheit mündet in eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, in der
die Möglichkeiten der individuellen Einsichtsfähigkeiten aller Beteiligten genutzt werden
muss, um konsensual der „Wahrheit“ näher zu kommen.
Zusammenfassend würden wir daher als Sokratisch philosophische Haltung eine Einstellung
verbinden, in der mit der Methode verbundene
- Offenheit anderen Menschen gegenüber,
- Vernunftorientierung bei seinen Urteilen und
- eine gewisse Konsequenz im Handeln bezogen auf vernunftgemäß gewonnene Einsichten
zusammen kommen.
Diese drei Einstellungsaspekte sind notwendig mit dem ernsthaften Einbringen Sokratischer
Methodenelemente verbunden. Insofern sind Elemente Sokratischen Philosophierens nie eine
Methode neben anderen Methoden, nicht bloße einübbare Technik, sondern immer auch der
Versuch, eine Haltung im Umgang mit anderen Menschen sichtbar und wirksam werden zu
lassen, die über inhaltliche Ziele oder Ziele des Methodenlernens hinaus in Schule im besten
Sinne erzieherisch wirken sollte. Besonders gute Chancen hat dies, wenn Menschen
authentisch in gemeinsamer Wahrheitssuche aufeinander treffen und dabei Bezug zu
tatsächlich Erlebtem lebendig wird.
45
„Sokratische Methode im weitesten Sinne wird praktiziert, wo und wann immer Menschen durch
gemeinsames Erwägen von Gründen der Wahrheit in einer Frage näher zu kommen suchen.“ aus: Gustav
Heckmann: Das sokratische Gespräch - Erfahrungen in Hochschulseminaren. Hannover: Hermann Schroedel
Verlag KG 1981, Auszüge aus Seite 7 – 11 (Herausgegeben von der Philosophisch-Politischen Akademie. Mit
einem Vorwort zur Neuausgabe von Dieter Krohn. Frankfurt am Main: dipa-Verlag GmbH 1993. Seite 13 - 17)
29
Das Sokratische Gespräch im
Unterricht
Klaus Draken über Möglichkeiten und Grenzen
[erschienen in: Information Philosophie, Heft 2 / Juni 2003. Hg. von Peter Moser. Lörrach:
Verlag & Buchhandel Claudia Moser, Juni 2003. Seite 62 – 66]
In Nordrhein-Westfalen wird das „Sokratische Gespräch“ als Unterrichtsmethode im
Philosophieunterricht explizit gefordert. Der in Sachen Methodik stark erneuerte Lehrplan für
die Sekundarstufe II nennt - neben dem „textgebundenen Philosophieunterricht“ – das
„sokratische Gespräch“ an erster Stelle. Und im ersten Punkt zu den Arbeitsformen im
Kerncurriculum „Praktische Philosophie“ (Sekundarstufe I), heißt es, „das philosophische
Gespräch hat sein Urbild im sokratischen Dialog.“
Aber was soll das sein, dieses „Sokratische Gespräch“, das nun in der Schule Einzug hält?
Wohl kaum eine genaue Kopie dessen, was der platonische Sokrates mit seinen
Gesprächspartnern machte. „Eine gefährliche Pädagogik“, urteilt z.B. Gernot Böhme in
seinem Buch Der Typ Sokrates (Frankfurt/M 1988): „Wenn es nicht gut geht, wird er zum
Zyniker werden oder wird sich rächen wollen an Sokrates oder wird in gekränkter Raserei
den Rest seines Lebens hinbringen“ (S. 141). Also gilt es eine humanere Umsetzung zu
finden, die sich auf Sokrates berufen kann. Viele pädagogischen Ansätze tun dies bereits,
von Montaigne bis hin zum fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch. Im folgenden geht
es speziell um die „sokratische Methode“, die von Leonard Nelson begründet und im
praktischen Tun seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Nelsons Schüler
Gustav Heckmann pädagogisch erprobt und weiterentwickelt wurde. Heute wird sie in der
„Gesellschaft für sokratisches Philosophieren, e.V.“ gepflegt und aktualisiert.
Was ist die Sokratische Methode?
„Sokratische Methode im weitesten Sinne wird praktiziert, wo und wann immer Menschen
durch gemeinsames Erwägen von Gründen der Wahrheit in einer Frage näher zu kommen
suchen. Sokratisch würde ich ein Gespräch nennen, in dem es nicht nur sporadisch auftritt,
sondern durchgängig das Gespräch bestimmt; ein Gespräch, in dem durchgängig ein
gemeinsames Erwägen von Gründen stattfindet“. Diese banal klingende Definition ist das
knappe aber treffende Fazit Gustav Heckmanns nach etlichen Jahrzehnten Erfahrung mit
dem Sokratischen Gespräch - als Student bei Nelson, als Lehrer in Nelsons Schule, im
Widerstand gegen Hitler, im Exil und als Hochschullehrer in der jungen Bundesrepublik.
Idealtypisch läuft ein solches Gespräch heutzutage in folgenden Schritten ab:
Themenstellung: Vor Beginn des Gesprächs muss die Frage zu einem philosophischen
(nicht empirischen) Thema feststehen.
Beispielsuche: Als Einstieg suchen alle Teilnehmer/innen nach persönlichen
Erfahrungsbeispielen zur Themenfrage. Die Beispiele sollten selbst erlebt, in sich
abgeschlossen, nicht zu intim, für alle Gesprächsteilnehmer nachvollziehbar und von
möglichst einfacher Struktur sein. Natürlich müssen sie auch einen klar nachvollziehbaren
Bezug zur Themenfrage aufweisen. Der Leiter wählt dann in Absprache mit der Gruppe,
nachdem einige Beispiele vorgestellt wurden, ein geeignetes für den Gesprächsbeginn aus.
Beispielerfassung: Der Beispielgeber erzählt nun sein Erlebnis zur Themenfrage genauer.
Die anderen Teilnehmer haben Gelegenheit zu Rückfragen. Das Beispiel wird in seiner
30
Struktur schriftlich (an Tafel, Flipchart oder auf OHP-Folie) festgehalten. (Achtung: Es soll
keine Diskussion oder Interpretation des Beispiels bzw. der Motive des Beispielgebers
stattfinden, lediglich möglichst genauer Nachvollzug!)
Teilfragenformulierung: Konkrete Fragen an das Beispiel, bzw. in Bezug auf Beispiel und
Themenfrage werden formuliert und festgehalten. Hierbei können Teilaspekte des Themas
differenzierter anvisiert werden oder die Klärung der Beziehung des Beispiels zur
Themenfrage, bzw. seiner Bedeutung für die Beantwortung der Themenfrage in den Blick
genommen werden.
Erarbeitungsbeginn: Nun wird eine Teilfrage ausgewählt, mit der die inhaltliche Arbeit an
der Themenfrage aufgenommen wird. Der Gesprächsleiter enthält sich dabei eines
inhaltlichen Eingreifens, er kann aber steuernd in den Prozess des Vorgehens (Hinweise auf
unbeachtete Teilnehmerbeiträge, Fragenauswahl, Erhalt eines „roten Fadens“ im Gespräch,
etc.) eingreifen.
Erarbeitungsverlauf: Die Gruppe versucht nun konsensuale Antworten oder Teilantworten
auf die anstehenden Fragen zu finden, welche für alle sichtbar schriftlich festgehalten
werden. Dabei wird auf genaues wechselseitiges Verstehen größter Wert gelegt (z.B. durch
die Wiederholung eines Gedankens durch einen anderen Gesprächsteilnehmer), denn ein
Konsens hat nur bei richtigem wechselseitigem Verstehen Wert. Im Konsens für richtig
befundene Sätze werden besonders gekennzeichnet. Bei diesem Prozess wird zunächst
immer wieder das gewählte Beispiel in den Blick genommen, um am „Konkreten“ die
allmählich allgemeiner formulierten Sätze zu überprüfen. In diesem Wechselspiel von
Konkretion und Abstraktion findet eine Aufdeckung allgemeinerer Überzeugungen statt,
welche den im Beispiel sichtbar werdenden Urteilen zugrunde liegen. Erst wenn das
zunächst gewählte Beispiel nicht mehr fruchtbar erscheint, können weitere Beispiele zur
Verallgemeinerung der Fragenbeantwortung herangezogen werden.
Gesprächsdauer / Gesprächsabschluss: In der Regel wird das Gespräch nicht dadurch
beendet, dass die Gruppe das Gefühl hat, die Themenfrage erschöpfend beantwortet zu
haben, sondern weil zeitliche Gründe für eine Beendigung sprechen. In diesem Fall sollte
noch einmal eine abschließende Würdigung der/des gefundenen Konsense/s, d.h.
Teilergebnisse und der noch offenen Fragen vorgenommen werden.
Die Regeln bei der Umsetzung dieses Gesprächsverlaufs wurden von Gisela Raupach-Strey
- Philosophiedidaktikerin und Schülerin von Heckmann - konkreter gefasst. Ein kurzer
Auszug aus dieser Zusammenstellung von „konstitutiven Regeln“ sei hier vorgestellt:
„5. Jede/r Gesprächsteilnehmer/in bemüht sich um klare und verständliche Sprache und um
Klärung der eigenen Gedanken.
6. Jede/r Gesprächsteilnehmer/in bemüht sich um genaues Zuhören, Auffassen und
Verstehen der Äußerungen der anderen Gesprächsteilnehmer/innen, und jede/r versucht
den anderen ggf. zur inhaltlichen Klärung und (besseren) Formulierung ihrer Gedanken zu
verhelfen: die Sokratische `Maieutik´ (= Hebammenkunst).
7. Jede/r sollte so viel sagen, wie notwendig ist, und so wenig (und unumständlich) wie
möglich ist, um gemeinsam der Wahrheit bzgl. des behandelten Problems näher zu
kommen. (...)
8. Aufrichtigkeit: Jede/r stellt nur solche Behauptungen (incl. Bezweiflungen) auf, hinter
denen er/sie steht, d.h. von denen er/sie zum Zeitpunkt der Äußerung ernsthaft überzeugt ist
und die er/sie argumentativ zu verteidigen bereit ist.
9. Jeder einzelne, der eine Behauptung aufstellt, übernimmt die Verpflichtung, sie auf
Nachfrage zu begründen. (...)
10. (...) Die Gruppe übernimmt die Verpflichtung, allen Widersprüchen in der Sache sowie
ernsthaft geäußerten Einwänden von Teilnehmer/innen in gemeinsamer Prüfung
31
nachzugehen, wenn möglich solange, bis sie behoben sind. Über innere Zustimmung hat
jeder allein, aber aufrichtig zu entscheiden.
11. Autorität für die Gültigkeit von Argumenten ist nicht:
- eine Person oder eine Gruppe;
- was man gelesen oder gehört hat;
- eine Lehre; sondern:
- das `Selbstvertrauen der Vernunft´ und
- der Logos-Grundsatz: der `eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments´; aus
letzterem folgt:
12. Revisionsbereitschaft: Wer eine neue Einsicht gewonnen, ggf. einen alten Irrtum erkannt
hat (...) sollte die Bereitschaft aufbringen, dies um der Wahrheit willen mitzuteilen und dem
Gespräch zugute kommen lassen.
13. Abgesehen von der Nötigung der Vernunft ist keinerlei Zwang erlaubt, weder direkter,
noch struktureller. Alle Gesprächsteilnehmer/innen bemühen sich um eine möglichst gute
Annäherung der realen Gesprächsbedingungen an die `ideale Sprechsituation´. (zitiert nach:
Gisela Raupach-Strey, Grundregeln des Sokratischen Gesprächs, in: 3)
So beschriebene Sokratische Gespräche finden regelmäßig als Wochen- und
Wochenendseminar in der Erwachsenenbildung, als Hochschulseminar (oft als
Blockseminar) an verschiedenen Universitäten und pädagogischen Hochschulen im In- und
Ausland, in der Lehrerfortbildung und manchmal eben auch in der Schule statt. Die „ideale
Sprechsituation“, wie Gisela Raupach-Strey die Diskurstheorie zitiert, stellt dabei die
regulative Idee dar.
Das Sokratische Gespräch in der Schule
Die Argumente für den Methodeneinsatz in der Schule sind für alle, die bereits an einem
gelungenen Sokratischen Gespräch Nelson/Heckmannscher Prägung teilgenommen haben,
offensichtlich: Eine vom akademischen Vorwissen her voraussetzungslose Methode, die auf
persönliche Schülererfahrungen zurückgreift, um undogmatisch, d.h. mit der geforderten
weltanschaulichen Offenheit des Faches die Schüler/innen selbsttätig im Selbstvertrauen der
Vernunft mit der Erfahrung einer Denkgemeinschaft vertraut zu machen, in der „dialogische
Offenheit“ nicht mit „Beliebigkeit“ verwechselt wird, in der – mit einem Wort – die Schüler im
besten Sinne „philosophieren“ können, erscheint als methodischer Idealfall für das Fach. Die
genannten Anforderungen sind jedoch zeitlich wie gruppendynamisch für heutige
Unterrichtssituationen nicht so einfach umsetzbar. Von der „idealen Sprechsituation“ ist der
Schulalltag noch weit entfernt. Auch Kollegen, die die Methode praktisch in der
Lehrerfortbildung kennen gelernt haben, sehen selten eine sofortige Übertragbarkeit auf
ihren Unterrichtsalltag. Dennoch: es gibt Berichte über positive Erfahrungen. Einige der dort
beschriebenen Arrangements seien hier genannt:
- In einer Grundschule als freiwillige Arbeitsgemeinschaft unter der Fragestellung „Was ist
Freundschaft?;
- in einer Hauptschule zum Unterrichtsthema Geometrie in Grundkursen der 8. und 9.
Klasse;
- in einer englischen Secondary School mit 14-16jährigen gewählten Mitgliedern der
Schulkonferenz über Grundsatzfragen der Notwendigkeit von Schulregeln;
- in der gymnasialen Oberstufe in Kursabschnitten zu anthropologischen Fragestellungen
(Jahrgang 11) und zu ethischen Themen (Jahrgang 12) und während einer 3-tägigen
Veranstaltung „Tage der persönlichen Orientierung. Dabei waren die Lehrer – bis auf eine
Ausnahme - alle erfahrene Gesprächsleiter. Aber sie zeigen in ihren Berichten zum Teil auch
Grenzen der Einsatzmöglichkeit auf (diese finden sich in den Literaturhinweisen 3 und 4).
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Offensichtlich gibt es begründete Vorbehalte gegen die naive Übernahme der Methode in
„normale“ Unterrichtssituationen.
Dass die Schule mit ihrer Bewertungs- und Selektionsfunktion einer idealen Kommunikation
strukturelle Probleme in den Weg stellt, ist bekannt. Für das Sokratische Gespräch können
sich hierbei unter anderem folgende Aspekte störend bemerkbar machen: Zwang statt
Interesse, große Gruppen statt individueller gestaltbarer Dialoge, entwicklungsbedingte
Umbrüche der Schülerpersönlichkeiten, mangelnde Offenheit als Folge ungeklärter
Gruppendynamik, der Gesprächsleiter als Bewerter und Vorgesetzter, tauschwertorientiertes
Verhalten, Konkurrenzdruck und Profilierungszwänge, der „heimliche Lehrplan“, zeitliche
Zerstückelung von Kommunikation im 45-Minuten-Rhythmus, Unterrichtsausfälle, individuelle
Fehlzeiten und die Einforderung vorgegebener Lehrpläne und schulinterner
Stoffverteilungspläne. Diese Problemfelder sind für ein ideales Sokratisches Gespräche nur
schwer überwindbar.
Der Zwangscharakter der Situation kann durch Schülermitbestimmung bei Themen- und
Methodenwahl teilweise kompensiert werden. Gruppenstärken bleiben problematisch, wenn
nicht der Glücksfall kleiner Kurse eintritt oder methodische (z.B. durch Innen-/Außenkreis)
oder organisatorische (z.B. durch zeitweise Kursteilung) Kunstgriffe greifen. Bei der
Gruppendynamik kann es sich zeigen, wie die Methode positive Entwicklungen befördert.
Allerdings ist es denkbar, dass einzelne Lerngruppen nicht die notwendigen
Voraussetzungen zum Gelingen mitbringen. Auch vom Lehrer wird als Gesprächsleiter viel
verlangt, was er nicht automatisch durch seine Ausbildung mitbringt. Offenheit und
Lernbereitschaft wären notwendig um einen begrenzt „herrschaftsarmen“ Diskurs zu
gestalten. Mit dem methodisch eingeforderten authentischen Gesprächsverhalten muss
sensibel umgegangen werden und gegebenenfalls eine zeitweise Aussetzung üblicher
Bewertungskriterien vereinbart werden. Zeitliche Zerstückelung kann zwar methodisch durch
Mitschriften, Protokolle und Hausaufgaben aufgefangen werden, bleibt aber als Problemfeld
spürbar. Im Extremfall, z.B. dem Fehlen des Beispielgebers in einer frühen Gesprächsphase,
kann die Fortsetzung eines Gesprächs unmöglich werden.
Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten werden vier Positionen zum Einsatz des
Sokratischen Gesprächs in der Schule vertreten:
1.Ein reflektierter Einsatzes des SG in geeigneten Unterrichtssituationen ist gewinnbringend
möglich und sollte angestrebt werden.
2.Wegen der vielen Hinderungsgründe, die in der „normalen“ Unterrichtssituation strukturell
enthalten sind, sollte das Sokratische Gespräch in außerunterrichtlichen Schulsituationen
eingesetzt werden.
3. Möglich und sinnvoll ist die Übernahme von Methodenelementen in den alltäglichen
Schulunterricht.
4. Daneben wird der Einsatz der Methode in der Lehrerausbildung gefordert, da „die eigene
Einübung der Lehrerinnen und Lehrer nicht nur in das Organisieren oder Moderieren von
Dialogen, sondern vor allem in eigenes dialogisches Denken und Verhalten ... zentrale
Aufgabe der Lehrerbildung“ ist (so Klaus Blesenkemper).
Zu 1) Nach meiner Ansicht ist der Einsatz des Sokratischen Gesprächs im Unterricht
wünschenswert. Er darf aber nur einzelne Phasen des Unterrichts betreffen und die
behandelten Fragen müssen sich dazu eignen – so muss z.B. ein angemessener
persönlicher Bezug auf der Beispielebene herstellbar sein. Auch sind nur bestimmte Zeiten
dafür geeignet – z.B. keinesfalls vor Klausuren. Man muss sehen, dass ein Sokratisches
Gespräch im Unterricht immer Annäherung an ein Ideal bleibt, bei dem umstritten ist, ob es
diese Bezeichnung verdient. Andererseits kann gerade durch die klare Kenntlichmachung
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der Methode und ihre Absetzung von anderem Unterrichtsgeschehen eine Zäsur geschaffen
werden, welche ihr gelingen befördert.
Zu 2) Wegen der genannten Probleme plädieren viele Kenner des Sokratischen Gesprächs
für einen Einsatz in der Schule außerhalb des „normalen“ Stundenrasters. Projekttage oder –
wochen, Arbeitsgemeinschaften, Blockveranstaltungen oder Seminare für bestimmte
Gremien werden hierbei aufgezählt. Solchen Veranstaltungen fehlt der Zeit- und
Bewertungsdruck, womit eine erfolgreiche Gesprächsdurchführung leichter erreichbar
erscheint. Allerdings birgt dieser Ansatz den expliziten Verzicht auf regulär unterrichtlichen
Einsatz und somit den Verzicht auf die Chance, alle Schüler/innen im Fach Philosophie oder
Praktischer Philosophie zu erreichen.
Die sokratischen Gesprächsleiter der Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren, die
hauptberuflich in Schule oder Lehrerausbildung arbeiten, wie auch viele teilnehmende Lehrer
berichten voll Überzeugung, dass sich ihr Verhalten im Unterricht, ihr Unterrichtsstil und zum
Teil ihre Unterrichtsmethodik durch die Erfahrung mit dem Sokratischen Gespräch verändert
habe. Das bedeutet, dass
Elemente der Sokratik – bewusst oder unbewusst – in
Lehrerrolle und Unterrichtstätigkeit eingeflossen sind. Meines Erachtens spielen hier das
wachsende Vertrauen in die Vernunftfähigkeit von Gesprächsgruppen, die Einsicht in die
enorme Vielfalt der Möglichkeiten, zu vernünftigen Aussagen zu gelangen, die Erfahrung des
positiven Einflusses einer sich inhaltlich zurücknehmenden Gesprächsleitung auf
Gesprächsverläufe und deren Ergebnisse – kurz gesagt, die Erfahrung einer nahezu idealen
Sprechsituation - die entscheidende Rolle. So entsteht ein schülerorientierterer, von mehr
Geduld, Zutrauen und philosophisch begründeter Offenheit geprägter und dabei streng
vernunftorientierter Unterrichtsstil.
Zu 4) Vieles spricht schließlich auch für den Einsatz des Sokratischen Gesprächs in der
Lehrerausbildung. Die Teilnehmer eines solches Gesprächs erfahren das eigene
Gesprächsverhalten und die eigene Denkfähigkeit intensiv, sie nehmen aber auch das
Denken Anderer und die Grenzen der eigenen Verständnisprozesse genauer wahr. Dies
trägt enorm zur Kommunikationsfähigkeit aller Teilnehmer bei. Gerade als Moderatoren der
Denk- und Verstehensprozesse von Schülern, als Schlichter gruppendynamischer
Verwerfungen und nicht zuletzt als Anleiter zum Philosophieren werden Chancen vertan,
wenn eine solche Gesprächserfahrung fehlt. Natürlich kann hier das Sokratische Gespräch
Nelson/Heckmannscher Prägung nicht den alleinigen Anspruch stellen, dies zu vermitteln,
aber es ist nach meiner Erfahrung ein idealer Weg, dies spezifisch philosophisch begründet
und wesentlich vernunftgeprägt zu tun.
Literatur zum Thema:
(1) Birnbacher/Krohn (Hrsg.): Das sokratische Gespräch. € 5.60, 2002, Philipp Reclam jun. ,
Stuttgart.
(2) Heckmann, Gustav: Das Sokratische Gespräch – Erfahrungen in Hochschulseminaren.
Mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Dieter Krohn. 1993, dipa-Verlag, Frankfurt am Main.
(3) Krohn/Neißer/Walter (Hrsg.): Neuere Aspekte des Sokratischen Gesprächs. 1997, dipaVerlag, Frankfurt
(4) Krohn/Neißer/Walter (Hrsg.): Das Sokratische Gespräch im Unterricht. 2000, dipa-Verlag,
Frankfurt.
(5) Raupach-Strey, Gisela: Sokratische Didaktik. 2002, LITVERLAG, Münster – Hamburg –
London.
Organisationen:
Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren e.V., Dr. Dieter Krohn, An den Papenstücken
21, 30455 Hannover, Tel. 0511/49 69 14, Fax 0511 47 17 00, [email protected] ,
homepage: www.philosophisch-politische-akademie.de/gsp.html
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38
39
40
Der Aufsatz ist erschienen in:
EU, Ethik und Unterricht:
Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik / Werte und
Normen / LER / Praktische Philosophie;
Themenheft „Methoden“
Frankfurt am Main: Diesterweg,
11. Jg., 3/2000.
Seite 17 - 23
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Hinweise zur Materialsuche:
Kontakt:
-
http://www.philosophisch-politische-akademie.de
Grundlagenliteratur zum Sokratischen Gespräch:
-
Dieter Birnbacher, Dieter Krohn (Hg.): Das Sokratische Gespräch. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2002. 5,60 €
-
Heckmann, Gustav: Das Sokratische Gespräch. Erfahrungen in philosophischen Hochschulseminaren. Hrsg. v. d.
Philosophisch-Politischen Akademie mit einem Vorwort von Dieter Krohn zur Neuausgabe. dipa-Verlag Frankfurt a.M.
1993, 153 S., 12,00 €
Nelson, Leonard: Die Sokratische Methode. Vorwort von Gisela Raupach-Strey. Verlag Weber, Zucht & Co, 2.
Auflage, Kassel 1996 (zuerst 1992), 48 S., 3,00 €
-
Weiterführende Literatur zum Sokratischen Gespräch:
-
Krohn, Dieter u.a. (Hrsg): Das Sokratische Gespräch. Ein Symposion. Junius, Hamburg 1989
-
Loska, Rainer: Lehren ohne Belehrung. Leonard Nelsons Neosokratische Methode der Gesprächsführung.
Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1995, 283 S.
-
Siebert, Ute: Das Sokratische Gespräch. Darstellung seiner Geschichte und Entwicklung. Verlag Weber, Zucht &
Co, Kassel 1996, 96 S.
-
Raupach-Strey, Gisela: Sokratische Didaktik. Die didaktische Bedeutung der Sokratischen Methode in der
Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann. LIT, Münster, Hamburg, London 2002, 652 S., 35,90 €
(siehe auch Schriftenreihe Bd. X)
-
Draken, Klaus: Sokrates als moderner Lehrer – Eine sokratisch reflektierte Methodik und ein methodisch
reflektierter Sokrates für den Philosophie- und Ethikunterricht. LIT, Münster, 2011, 287 S., 29,90 € (siehe auch
Schriftenreihe Bd. XIII)
Schriftenreihe „Sokratisches Philosophieren“:
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"Sokratisches Philosophieren" Bd. I – Leonard Nelson in der Diskussion. Hrsg. v. Reinhard Kleinknecht,
Barbara Neißer. 184 S., dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1994, 28,00 DM (In diesem Band wird die aktuelle Bedeutung eines
großen Philosophen unseres Jahrhunderts diskutiert: seine Theorie der Begründung & Erkenntnistheorie, die unmittelbare
Erkenntnis, die regressive Methode der Abstraktion, ethische Aspekte von Technikbewertung u.a.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. II – Vernunftbegriff und Menschenbild bei Leonard Nelson. Hrsg. v. Silvia
Knappe, Dieter Krohn, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1996, 28,00 DM (Kritische Auseinandersetzung mit
Nelsons Vernunftbegriff durch phänomenologische Überlegungen einer erweiterten Vernunft; die Spannung zwischen
theoretischer Vernunft in der Philosophie als Wissenschaft & dem Praktischwerden der Vernunft in Pädagogik & Politik bei
Nelson, die Bedeutung praktischer Vernunft in ihrer Beziehung zu Gefühlen, Bedürfnissen, Neigungen; die Spannung zwischen
Einsicht & Handeln in der ethischen Motivationsproblematik, Verantwortung bei Nelson & Viktor E. Frankl u.a.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. III – Diskurstheorie und Sokratisches Gespräch. Hrsg. v. Dieter Krohn,
Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1996, 175 S. (In dem Band wird das Verhältnis zwischen
Diskurstheorie und Sokratischem Gespräch kontrovers diskutiert. Gronke sieht das Sokratische Gespräch als Anwendung der
Grundlagen der Diskurstheorie – Raupach-Strey begründet ein eigenständiges Sokratisches Paradigma. Der Afrikaner Marcel
Tshiamalenga Ntumba stellt ein Wir-Apriori vor, das dem Sokratischen Gespräch nähersteht als der Diskurstheorie. Zudem
enthält der Band eine umfangreiche Bibliographie über die bisher erschienene Sekundärliteratur zu Leonard Nelson, die über 800
Titel umfaßt.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. IV – Neuere Aspekte des Sokratischen Gesprächs. Hrsg. v. Dieter Krohn,
Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1997, 128 S. (Der vierte Band der Schriftenreihe "sokratisches
Philosophieren" befaßt sich mit neueren Entwicklungen in der Praxis des Sokratischen Gesprächs: Varianten des Sokratischen
Gesprächs in der Organsisations- und Unternehmensberatung, exemplarische Einsatzmöglichkeiten des Sokratischen Gesprächs
in der Lehrerausbildung und im Philosophieunterricht, Folgen und ethische Probleme der Informations- und Kommunikationstechnologie, Vorbereitung von Sokratischen Gesprächen sowie Grundregeln des Sokratischen Gesprächs)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. V – Zwischen Kant und Hare – Eine Evalutation der Ethik Leonard
Nelsons. Hrsg. v. Dieter Krohn, Garbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1998 (Der Band ist der Ethik
Leonard Nelsons gewidmet. Alle Autoren des Bandes gehen der Frage nach, warum Nelsons Ethik in der gegenwärtigen
philosophischen Diskussion kaum eine Rolle spielt, obwohl sie unübersehbare aktuelle Ansätze enthält. Sie machen dabei die
philosophiegeschichtliche Stellung der Ethik Nelsons deutlich und zeigen, welche aktuellen Bezüge diese zur gegenwärtigen
Diskussion, zur Hares Metaethik, zur Frage der Tierethik, zur Diskursethik, zur Frage der Vergleichbarkeit von ethische
Diskursen in unterschiedlichen Kulturen und zur Auseinandersetzung um die universelle Geltung der Menscherechte hat.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. VI Das Sokratische Gespräch – Möglichkeiten in philosophischer und
pädagogischer Praxis. Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 1999, 202 S.
(Der vorliegende Band der Schriftenreihe dokumentiert, daß die Arbeit an Theorie und Praxis des Sokratischen Gesprächs in
offener und zum Teil kontroverser Form weitergeführt wird. Er enthält alle Vorträge der Loccumer Tagung 1998, die vor dem
Plenum gehalten wurden, und zusätzlich einige Beiträge aus der Arbeit in den insgesamt sechs Sektionen.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. VII Das Sokratische Gespräch im Unterricht. Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara
Neißer, Nora Walter. dipa-Verlag, Frankfurt a.M 2000, 160 S. (In den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes wird die
Bedeutung der Sokratischen Methode für Lehr- und Lernprozesse dargestellt. Jos Kessels setzt einen erfahrungsbezogenen
Wissensbegriff in Beziehung zum sokratischen Lernen, und Ulf Mühlhausen zeigt dessen Stellenwert für überraschungsoffene
Unterrichtskonzepte auf. Die besondere methodische Funktion des Sokratischen Gesprächs für den Erkenntnisgewinn im Ethikund Philosophieunterricht beleuchten Gisela Raupach-Strey und Klaus Draken. Lebendige Erfahrungsberichte, die sokratische
Unterrichtsphasen in einer englischen Schule, in der Grundschule, im Mathematikunterricht der Hauptschule und im
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Philosophieunterricht der Gesamtschule beschreiben, konkretisieren die Anwendungsmöglichkeiten des Sokratischen Gespräches
in der Schule. Außerdem enthält der Band einen Beitrag von Kay Hermann zum Verhältnis von Transzendentalphilosophie und
moderner Physik und einen Bericht von Jörg Schroth über das Fries Symposion in Jena 1997.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. VIII Verständigung über Verständigung. Metagespräche über Sokratische
Gespräche. Hrsg. v. Dieter Krohn, Barbara Neißer, Nora Walter†. Münster – Hamburg – London: Lit 2004, 231 S. ISBN 38258-6300-x. (In den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes wird die Bedeutung des Metagesprächs in der Sokratischen
Methode reflektiert. So werden Analysegespräch und Strategiegespräch, teilnehmerorientiertes Metagspräch und TZI sowie
Gesprächshaltung als Untersuchungsaspekte unterschieden. Zusätzlich gibt es Berichte über Erfahrungen mit der Methode im
Ausland (Osteuropa) und in ungewöhnlichen Kontexten (Justizvollzugsanstalt Tegel), sowie zur Satzung der GSP und der
Gesprächsleiterausbildung.)
"Sokratisches Philosophieren" Bd. X Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik – Die didaktische Bedeutung
der Sokratischen Methode in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann. Hrsg. v. Dieter Krohen, Barbara Neißer,
Nora Walter †. Münster – Hamburg – London: Lit 2002, 652 S. ISBN 3-8258-6322-0
„Sokratisches Philosophieren“ Bd. XI Patricia Shipley, Heidi Mason (Eds.): Ethics and Socratic Dialogue in
Civil Society. Hrsg. v. Dieter Krohen, Barbara Neißer, Nora Walter †. Münster – Berlin - Münster: LIT 2004, 234 S.
„Sokratisches Philosophieren“ Bd. XII Jens Peter Brune, Horst Gronke, Dieter Krohn (Eds.): The Challenge of
Dialogue. Socratic Dialogue and Other Forms of Dialogue in Different Political Systems and Cultures. Hrsg. v. Dieter Krohn,
Barbara Neißer, Nora Walter †. Münster – Berlin - Münster: LIT 2010, 349 S.
"Sokratisches Philosophieren" Bd. XIII Klaus Draken: Sokrates als moderner Lehrer – Eine sokratisch reflektierte
Methodik und ein methodisch reflektierter Sokrates für den Philosophie- und Ethikunterricht. Hrsg. v. Dieter Krohen, Barbara
Neißer, Nora Walter †. Münster – Berlin: Lit 2011, 287 S. ISBN 978-3-643-11308-5
ausgewählte Aufsätze aus Fachzeitschriften und Internetseiten (nach Erscheinungsdaten):
Klaus Draken Wie frag’ ich bloß? Von Sokratischer Gesprächsmotivation und Kompetenzorientierung im Unterrichtsgespräch. In:
EU, Ethik und Unterricht: Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik / Werte und Normen / LER / Praktische Philosophie; 3/11.
Velber: Erhard Friedrich Verlag in Zusammenarbeit mit Klett, November 2011.
Klaus Draken Warum (noch) mit Schülerinnen und Schülern philosophieren? In: Theo Kobusch / Jörn Müller / Marcel van Ackeren
(Hg.): Warum Philosophie? Historische, systematische und gesellschaftliche Positionen. Berlin / New York:Walter de Gruyter,
2011, Seite 269-286.
Dieter Birnbacher, Schule des Selbstdenkens – das Sokratische Gespräch. In: Kirsten Meyer (Hg.): Texte zur Didaktik der Philosophie.
Stuttgart: Reclam 2010, Seite 215 – 236.
Klaus Draken, Gisela Raupach-Strey, Sokratische Didaktik und Elemente Sokratischen Philosophierens im Unterricht. – in: Klaus
Draken, Bernd Rolf, Gabriele Münnix (Hrsg.), Orientierung durch Philosophieren. Festschrift zum 50jährigen Bestehen
des Fachverbands Philosophie e.V. [Ekkehard Martens, Christian Gefert, Volker Steenblock (Hrsg.): Philosophie und
Bildung, Band 6 / Mitteilungen des Fachverband Philosophie e.V. Nr. 47 / Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen Nr.
42]. Münster, Berlin: LIT Verlag, 2007. Seite 78-84
Gisela Raupach-Strey, Sokratisch zentrierte Ethik-Didaktik. – in: edition ethik kontrovers 12. Jahrespublikation der Zeitschrift Ethik und
Unterricht 2004 – Thema: Ethik macht Schule II. Velber: Erhard Friedrich Verlag, 2004. Seite 45 -50.
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