Dok 5 – Das Feature Der Koran ist das Gesetz: Moschee-Gemeinden in Deutschland ATMO: Musik und Koranrezitation SPRECHER: Gleich nach meiner Geburt hat mir mein Vater in Afghanistan den Koran in die Ohren geflüstert. Mit fünf Jahren musste ich jeden Tag in die Moschee gehen, um den Koran auf Arabisch auswendig zu lernen. ATMO: Musik SPRECHER: Seit einem halben Jahrhundert pendle ich als Journalist zwischen dem Abendland und dem Morgenland hin und her ATMO: Musik und Straßenverkehr SPRECHER: Nun bin ich nach Köln gekommen, weil hier der Sitz der größten islamischen Gemeinde in Deutschland ist. O-Ton Hasan Özyörük Wir müssen leben, wie das Koran schreibt. So müssen wir auch leben. Die deutsche Kultur hat mich gar nicht interessiert. Ich komme gar nicht mit ihr in Kontakt. Diese Kultur hasse ich. Ich wollte gar nicht hier leben, wirklich. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Gül Keskinler: Dass man uns auch nach 50 Jahren sagt, ihr seid in der Diaspora! Nein, verdammt nochmal, ich bin nicht in der Diaspora! Ich bin eine türkischstämmige Deutsche, ich bin eine türkischstämmige Europäerin. Und ich liebe Deutschland und ich liebe auch mein Herkunftsland. ANSAGE: Der Koran ist das Gesetz Die Moschee-Gemeinden in Deutschland Ein Feature von Ghafoor Zamani ANSAGERIN: 1.Kapitel. Morgenland im Abendland ATMO: Straßenverkehr und Gespräche SPRECHER: Die Venloer Straße in Köln ist eine alte Industrie- und Handelsstraße. Am Horizont strahlt in der Nacht der Leuchtturm der Helios AG von 1882. Hier liegt das Morgenland im Abendland, Tür an Tür. Dönerbude neben Dönerbude, muslimische Supermärkte, Buchläden, Reisebüros und vieles mehr. Nebenan, im „Abendland“ sozusagen: Bierbrauereien, Bars und Bratwurstbuden. Und während am Freitag die Muslime zur Moschee-Gemeinde DITIB wandern, der Zentrale der türkischen Moschee-Gemeinden für ganz Europa, pilgern auf der anderen Straßenseite die Nichtmuslime zu den Diskotheken, Konzerthallen und Kneipen. ATMO: Musik und Gespräche SPRECHER: Auf der einen Straßenseite leuchtet über einem Lokal „Halal Produkte, Halal Essen“ – islamisch erlaubte Produkte, islamisches Essen. „Mosaik“ heißt das Restaurant mit Imbiss. Über dem Eingang an der Außenmauer steht passenderweise in einem Mosaikfries: „Alles aus eigener Herstellung!“ 2/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ATMO: Geräusche, Hasan und Teslime grüßen Gäste, Messer schärfen SPRECHER: Auch innen gibt es Mosaiken. Der Besitzer Hasan Özyörük und seine Familie fühlen sich hier wie in ihrer türkischen Heimat. Hasan hat zwar keine Zeit für mich, aber erklärt trotzdem völlig verschwitzt: O-Ton Hassan Özyörük: Hier ist Deutschland, hier muss du arbeiten. Türkei ein Tag arbeiten, ein Tag nicht. Hier ist Akkordarbeit. SPRECHER: Hasan steht an einem Holzkohlegrill. Das Fett vom Lamm tropft auf die glühende Kohle. Rauch vernebelt sein Gesicht. Seine Frau Aylin steht derweil an dem riesigen Dönerspieß. Aylin trägt ein weißes Kopftuch, einen langen Mantel und ist dabei, mit einem riesigen Messer das Fleisch in dünne Scheiben zu schneiden. Die Tochter, die 20-jährige Teslime, hat ein weißes T-Shirt an, enge Jeans aber kein Kopftuch. Sie bedient und lächelt freundlich. Zu den Gästen sind hier alle freundlich. Die meisten Kunden sind Nichtmuslime. Onkel Murat serviert das Essen im Restaurant. Der andere Onkel Tanyurt bereitet gerade Ayran zu, eine türkische Buttermilch. Nasrin, die kleine 5-jährige Tochter, spielt zwischen Küche und Restaurant mit ihrem Spielzeug. Auch die Großmutter ist da und hilft, wo sie kann. Die Familie - Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Onkel und Großmutter - leben und arbeiten bis spät in die Nacht im Restaurant. Nur zum Schlafen gehen sie nach Hause. SPRECHER: Hasan lebt seit fünfzig Jahren in Deutschland. Sein Vater brachte ihn als Baby mit. Er erinnert sich, dass er arbeiten musste, sobald er laufen konnte. O-Ton Hassan Özyörük.: Ich war sechs Jahre als ich angefangen habe zu arbeiten. Ich habe Wasser verkauft. Ich habe Schuhe geputzt. 3/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Er hatte viele Jobs, bis er eines Tages endlich vom Schuhputzer zum Millionär wurde. Allerdings nur zum türkischen „Lira-Millionär“. Immerhin konnte er über 300.000 Euro sparen, um sich eines Tages seinen Traum erfüllen zu können: Hasan will in die Türkei zurückkehren und dort eine neue Existenz aufbauen. ATMO: Gespräch, Messer schärfen, Musik SPRECHER: Hasan hat keine Zeit, selbst zu essen. Sobald er sitzt, kommt der nächste Gast und er muss wieder aufstehen. Schließlich findet er doch ein paar Minuten für ein Gespräch O-Ton Hassan Özyörük: Meine Kultur habe ich von Türkei gelernt. Aber hier, nachdem ich hier gekommen bin. Aber ich habe meine Kultur nicht vergessen. Ich habe weiter gemacht mit meine…, was ich in der Türkei gesehen habe, habe ich bin ich weiter gemacht. Die deutsche Kultur hat mich gar nicht interessiert. Ich komme gar nicht mit ihr in Kontakt. Das diese Kultur hasse ich manchmal. Ich wollte gar nicht hier leben, wirklich. SPRECHER: Mit seiner Kultur meint Hasan die islamische Kultur, die islamischen Sitten und Bräuche. Es ist einfach zu definieren: „Halal und Haram“ – „Erlaubt und verboten!“ Fast alles, was die Deutschen machen, ist Haram, also verboten. So wie Alkohol und Schweinefleisch. Aber es gibt Hunderte alltägliche Gepflogenheiten, die er beachten muss, obwohl sie für ihn nicht-islamisch sind. Zum Beispiel gibt man Nichtmuslimen eigentlich nicht die Hand. Aber in Deutschland geht das nicht immer, schon gar nicht als Gastwirt. Im Sommer kommen Nichtmuslime oft leicht bekleidet ins Restaurant, Pärchen küssen sich, Frauen und Männer gehen zusammen schwimmen – all das ist Haram, verboten. Die deutsche Kultur empfindet er generell als nicht-islamisch. Aber was heißt für ihn islamische Kultur? 4/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Hassan Özyörük: Familie ist die Wichtigste. Wenn Du Deine Familie nicht hast, dann hast Du keine Kultur mehr. Bis ich 40 Jahre war ich so mit meiner Familie, meine Mutter zusammen. Wir haben zusammengelebt bis ich 40 Jahre alt war. Wir müssen leben, wie der Koran es vorschreibt. So müssen wir leben. ANSAGERIN: 2. Kapitel. Im Teehaus der Moschee predigt Erdogan ATMO: Straßenverkehr und Gespräche SPRECHER: Hasan ist gläubiger Muslim. Es ist Freitag und das Freitagsgebet kann man nicht allein zu Hause praktizieren. Man muss in die Moschee gehen. Hasan hat gerade die islamischen Reinigungsrituale in der Restaurant-Toilette durchgeführt: Hände, Füße und Gesicht gewaschen. Das ist obligatorisch, vor dem Moschee-Besuch. Wer sexuellen Kontakt mit einer Frau hatte, muss duschen. Außerdem hat Hasan sich gerade umgezogen. Es könnte sein, dass bei der Arbeit mit dem frischen Lammfleisch Blut oder andere „unreine“ Flüssigkeiten auf seine Kleidung gekommen sind. Mit solchen Flecken dürfte er auch nicht in die Moschee. Während Hasan weg ist, übernehmen seine Frau Aylin und die Tochter Teslime das Geschäft. Sie gehen nicht zum Freitagsgebet. Es gibt viele Entschuldigungen dafür. Z.B. wenn Frauen ihre Tage haben, gelten sie als unrein. Unreinen ist der Moschee-Besuch verboten. ATMO: Straßenverkehr und Gespräche kurz stehen lassen SPRECHER: Wenn ich jetzt in die Moschee gehe muss ich darauf achten, was Halal und Haram erlaubt und verboten- ist. Ich muss immer wieder „Im Namen Allah“ sagen. Z.B. wenn ich gefragt werde, ob ich Moslem bin, darf ich nicht einfach antworten „Ja, ich bin Moslem!“ sondern: „Al-hamdulillah!“ – „Lob gebühre Allah!“ Daran merkt man, ob ich ein guter oder ein verwestlichter Moslem, gar ein Abtrünniger bin. Wer Abtrünnig ist erhält der Scharia zufolge die Todesstrafe. In vielen islamischen Ländern wird sie auch praktiziert - in Saudi Arabien zum Beispiel, im Iran und in meiner Heimat Afghanistan. 5/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Die modernen Minarette und Moscheekuppeln der muslimischen Gemeinde-Zentrale in Köln sind aus der Ferne nicht gut sichtbar. Sie müssen niedriger als der Kölner Dom sein, soweit haben sich die Stadt Köln und die Moschee-Gemeinde geeinigt. Alles andere bleibt bis heute ungeklärt: Wer finanziert den Bau? Die Gemeinden? Woher haben Sie das Geld? Wann wird die Moschee endlich fertig? Wer bezahlt ihren Betrieb? Die Imame – also die islamischen Geistlichen? In welchem Verhältnis steht die Moschee-Gemeinde zum deutschen Staat? SPRECHER: Die Straße und der Bürgersteig sind nicht ausgelegt für die Masse an Menschen, die vor allem freitags zum Gebet kommen. Ich dränge mich durch die vielen Gläubigen zu der Treppe, die zum Büro von Bruder Bakir führt. Bakir Alboga ist Generalsekretär der Moschee-Gemeinde namens DITIB. Untereinander sind alle Muslime Brüder. Ich habe also knapp zwei Milliarden Brüder. Die breite Treppe ist allerdings noch mit einem Gitter versperrt. Die Moschee ist noch nicht fertig. „Aber der Aufzug funktioniert“ sagt Hasan. ATMO: Handyklingeln SPRECHER: Bakir ruft mich an, er sei noch beschäftigt und ich solle warten. Hasan trennt sich hier von mir und geht direkt zum Gebet. O-Ton- Bakir Alboga: Muezzin ruft. SPRECHER: Das ist die Stimme von Bakir Alboga. Er ist auch Muezzin. Den Ruf der Muezzin darf man in Deutschland nicht auf der Straße hören, deshalb steht er unter der Kuppel der Moschee und ruft die Muslime zum Gebet. Alboga ist offiziell kein Imam, sondern für den Interreligiösen Dialog der Moschee-Gemeinde zuständig und gibt sich als Vermittler zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Die Bedeutung des Wortes „Imam“ ist in der islamischen Welt umstritten. Imam bedeutet auf Arabisch Vorsteher, Vorbeter, aber auch Anführer. Es reicht, wenn man die Suren des Korans für das Gebet auswendig rezitieren kann, um als Vorbeter zu arbeiten. Aber um als religiös6/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. politisches Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft zu gelten, braucht es mehr. Alboga hat islamische Theologie studiert und kann Vorbeter sein, wenn er möchte. Seit einem Jahr versuche ich ihn zu treffen, doch immer wieder wurde ich vertröstet, wurden Termine verschoben, weil Alboga immer wieder dringend nach Ankara reisen musste. Mal rief er mich von dort aus an, um mitzuteilen, dass ich es nächste Woche noch einmal versuchen sollte. Als ich das tat, richtete mir seine Sekretärin aus, er sei schon wieder in der Türkei. Was er dort mache, wollte ich wissen. „Das sind interne Angelegenheiten der Moschee-Gemeinde!“, mehr sagte sie nicht. ATMO: Aufzug-Geräusche SPRECHER: Ich fahre mit dem Aufzug der Moschee zum Teehaus, wo Alboga mich abholen will. ATMO: Teehaus, Pop-Musik zum Empfang von Erdogan vom Fernsehen SPRECHER: Außer den Postern der heiligen Städte Mekka und Medina und den türkischen Süßigkeiten neben dem Samowar erinnert hier nicht viel an den alten Orient. Einige junge Männer trinken Tee. Sie sehen offen aus, tragen Jeans und Sweatshirt dazu den langen, schwarzen Bart und eine schwarze Kopfbedeckung. SPRECHER: Ich bestelle mir auch einen Tee und schaue im Fernsehen einen türkischen Sender, der pausenlos im Hintergrund läuft. Staatspräsident Erdogan ist hier ständig präsent. Gerade läuft eine alte Rede von Mai 2015 in Karlsruhe. Sechs Monate vor den Wahlen in der Türkei. Erdogan besuchte damals Deutschland. ATMO: O-Ton Erdogan u. Empfang Geräusche in Karlsruhe SPRECHER: Mitveranstalter war die Union „Europäisch-Türkischer Demokraten UETD“ - eine Lobbyorganisation der Regierungspartei AKP in Europa, mit der die DITIB-Moschee7/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Gemeinde eine Allianz bildet. 1,5 Millionen türkischer Wähler haben großen Einfluss auf die Wahlen in der Türkei. Erdogan spricht, als würde er einen Krieg führen. ATMO: O-Ton: Musik mit Beifall, dann die Rede von Erdogan ÜBERSETZER: Ihr im Ausland lebenden Geschwister, Ihr seid keine Ausländer, sondern Ihr seid unsere Macht im Ausland. Ihr seid die Vorkämpfer, gar Soldaten der neuen Türkei. Dafür sollt ihr mit Eurer eigenen Religion und Kultur fest verbunden sein. Wenn ihr diesen Kampf nicht führt, verliert Ihr Eure Rechte. Ohne Religion sind wir Leichen ohne Seele. Unsere Religion und unser Glauben sind unser Ein und Alles. Eine Nation, eine Flagge und ein Staat. Fangen wir an, die neue Türkei in Deutschland aufzubauen. So Gott will, werden wir ewig stark bleiben. Der Halbmond auf der türkischen Fahne symbolisiert das Märtyrer-Blut und der Stern auf unserer Fahne ist der Märtyrer selbst. ATMO: Musik mit Beifall, dann die Rede von Erdogan SPRECHER: Die Zuschauer skandieren Recep Tayyip Erdogan und verehren ihn wie einen Popstar. Erdogan spricht über den Märtyrertod, spricht wie ein Imam. Dazu gehört auch, die Gläubigen immer wieder an die Geschichte des Islams zu erinnern. ATMO: R. T. Erdogan 2015 SPRECHER: Erdogan besuchte als Jugendlicher eine religiöse Schule, in der man lernt, ein islamischer Führer zu werden. Er galt als Musterschüler. Man nannte ihn „Die KoranNachtigall“. Außerdem war er Mitglied des „Vereins der Vorkämpfer“, einer militanten Jugendorganisation der Nationalen Heilspartei. 8/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ANSAGERIN: 3. Kapitel. Eine Moschee wie in Medina ATMO: Vor dem Eingang Gespräche, Gäste SPRECHER: Endlich hat Alboga Zeit für mich. ATMO: Büro Gespräche SPRECHER: Alboga sitzt in seinem Büro in der 4. Etage. Es ist etwa 16 Quadratmeter groß und voll mit Büchern und Zeitschriften, die sich bis vor die Tür stapeln. Auch auf dem Schreibtisch türmen sie sich, so dass ich gerade noch sein Gesicht sehen kann, als ich mich setze. Alboga stammt aus einer türkischen Gastarbeiterfamilie, sein Vater kam bereits in den frühen 60-er Jahren nach Deutschland. Seit drei Jahren hat er die deutsche Staatangehörigkeit. Alboga tut so, als hätte die DITIB-Moschee-Gemeinde mit dem türkischen Staat nichts zu tun. „Wir werden abgehört, ich muss aufpassen!“ flüstert er mir zu, als ich den Akku meines Aufnahmegeräts wechsele und das Gerät ausmachen muss. Von wem? sagt er nicht. Alboga ist freundlich und erwähnt oft das Wort „Frieden und Barmherzigkeit im Islam“, als würde ihm jemand ständig vorwerfen, Muslime seien gewalttätig. Er macht die Medien verantwortlich für das schlechte Ansehen der Muslime hierzulande. O-Ton Bakir Alboga: Unsere Vorahnen haben in Deutschland gearbeitet, bei der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands mitgewirkt und jetzt werden wir auch als Fremde betrachtet, obwohl wir deutsche Staatsbürger sind und In Deutschland arbeiten, in Deutschland leben; wir unsere Kinder in Deutschland zur Welt bringen, unsere Leistungen, geistliche Leistungen wie materiale Leistungen für Deutschland einbringen, das wird dann leider jetzt auf Islamdebatte reduziert: Islamfeindlichkeit, Türkeifeindlichkeit, Erdogan - Feindlichkeit. So zusagen. 9/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Ich verstehe ihn gut. Aber ich will wissen, wie die Moscheen eigentlich in Deutschland geführt werden, die unter dem Dachverband namens DITIB stehen? O-Ton Bakir Alboga: Ich muss sagen, dass unsere Moscheen in Deutschland ähnlich funktionieren wie die erste Moschee in Medina. So wie unser Prophet Mohammed in Medina in der Moschee einmal an der Gebetnische als Imam fungierte und vorbetete und als Lehrer der Gemeinde gearbeitete und funktionierte in jeder Hinsicht. Das ist eine ähnliche Situation jetzt in Deutschland. SPRECHER: Eine Moschee wie in Medina? Wie das geht, möchte ich gerne wissen. Aber Alboga sagt nichts Konkretes. Er weiß wohl, dass es sehr, sehr schwer ist, im 21. Jahrhundert tausende Moscheen in Deutschland wie im 7. Jahrhundert zu betreiben. O-Ton Bakir Alboga: Es ist nicht einfach, aber auch unser Prophet hatte kein einfaches Leben. Auch er hatte sehr viele Schwierigkeiten. Er musste sie verteidigen gegenüber den Angriffen von außen und wir verteidigen uns auch gegenüber mündlichen Anfeindungen und Angriffen. Wir sagen: Wir sind keine Terroristen. SPRECHER: Die Geschichten des Islam in Medina und der Kriege, die Prophet Mohammed dort führte, waren die besten, die ich als Kind und Jugendlicher in der Moschee in Afghanistan gehört habe. Viele weinten, wenn der Imam über den Märtyrertod predigte, und erzählte, dass Mohammed im Krieg Verletzungen erlitt und seine ersten vier Kalifen zu Märtyrern wurden. Zu Hause wurden die Erzählungen fortgesetzt. Meine Eltern machten Gute-Nachtgeschichten daraus. Und wenn ich etwas nicht verstand, fantasierten sie etwas dazu, um es verständlich zu machen. Das ist in vielen MoscheeGemeinden in Deutschland bis heute so geblieben. Später treffe ich Alboga mit vielen anderen Brüdern aus islamischen Ländern im Innenhof der Moschee wieder. Wir sitzen an einem Biertisch, schlürfen Tee und jeder erzählt seine Version vom Islam. 10/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Bakir Alboga: Ich kann meinen Geschwister empfehlen: lesen Sie den Koran richtig. Studieren Sie das Leben unseres Propheten, wie hat unser Prophet, nachdem er von Mekka nach Medina ausgewandert hat, in Mekka sich seine jüdischen, christlichen oder polytheistischen Nachbarinnen und Nachbar verhalten hat. SPRECHER: Mohammed war damals noch kein Moslem. Die Menschen glaubten nicht an einen Gott, sondern an mehrere Götter. Die Lehren Mohammeds waren den Führern seines Stammes in Mekka unheimlich. Die Situation wurde für ihn immer bedrohlicher und so flüchtete er mit seiner noch kleinen Gefolgschaft nach Medina. Dort gründete er die erste Moschee, von der aus er den ersten islamischen Staat religiös, politisch, wirtschaftlich und militärisch nach den neuen Gesetzen der Scharia führte. ATMO: Musik: Sami Yusuf- „La Ilaha Illallah“ SPRECHER: Nach kurzer Friedenszeit kämpfte Mohammed selbst mit dem Schwert in der Hand. Fast die Hälfte der Kriege, die er auf der arabischen Halbinsel führte, richteten sich gegen jüdische Stämme, Ungläubige, die sich ihm nicht unterwerfen wollten. ATMO: Musik, Gespräch in Mosaik SPRECHER: Ich möchte mit Hasan über den Islam in Deutschland sprechen. Darüber wie wichtig ihm die Scharia ist. In einer Studie im Auftrag der Universität Münster vom Juni 2016 habe ich gelesen: 11/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ZITATOR: Jeder zweite Muslim findet die islamischen Gebote wichtiger als das deutsche Grundgesetz. Und knapp ein Drittel rechtfertigt Gewalt als Mittel für die Verbreitung und Durchsetzung des Islam. ANSAGERIN: 4. Kapitel. Deutschland aus türkischer Sicht ATMO: Straßenverkehr und Gespräche SPRECHER: Unterwegs zu Hasan will ich heute mal kein Lamm oder Döner essen, deswegen gehe ich lieber auf die andere Straßenseite zum Bier-und Bratwurstgeschäft „Mayer Metzgerei“. An der Theke lerne ich eine um die 55 jährige Frau kennen, die gerade ein Sandwich kauft. Auf meine Frage, wie sie sich unter so vielen Muslimen fühle, sagt sie, dass sie für ein längeres Gespräch jetzt keine Zeit habe, aber heute Abend in der „Braustelle“ könnten wir uns nach der Arbeit treffen, sagt sie und geht. Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt. Aber die „Braustelle“ ist die Nachbarkneipe von Hasans Imbiss. ATMO: Gespräch im Restaurant im Hintergrund TV SPRECHER: Heute sind wenige Gäste bei Hasan. Es ist noch früh und er hat Zeit, ausführlicher mit mir zu sprechen. O-Ton Hassan Özyörük: Deutschland ist kein Land. Deutschland ist ein GMBH. Deutschland arbeitet für Amerika. Vor 50 Jahren haben die unterschrieben: Wir tun, was Amerika sagen. Seitdem Amerika sagt und Deutschland tut, (lachen). 12/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Hasan ist fest davon überzeugt, dass die christlich geprägten Staaten die muslimische Kultur zerstören. O-Ton Hassan Özyörük: Deutschland, Amerika oder so irgendwer, die wollen unsere Kultur kaputt machen und unseren Glauben wollen sie kaputt machen. SPRECHER: Dann stellt er merkwürdige historische Vergleiche an O-Ton Hassan Özyörük: Wir haben den 2. Weltkrieg wegen Deutschland verloren, weil wir denen geholfen haben. Kannst Du Dir das vorstellen. Wir haben so viel geholfen den Deutschen. So viel gemacht. Osmanischen Reich so viel gemacht. Trotzdem behandeln sie uns wie Dreck hier. Wir haben doch dieses Deutschland gemacht. Wir Türken haben das gemacht. So ganze Dreckarbeiten haben Türken gemacht. Zur Belohnung sind wir Scheiß Ausländer. SPRECHER: Die deutsche Kultur ist für praktizierende Muslime eine verdorbene, verrohte Kultur. Das Grundgesetz erlaubt vieles, was die Scharia verbietet. In islamischen Gesellschaften bestimmt der Vater über das Leben der Familienmitglieder, ihre persönliche Freiheit. Er regelt es so, wie er es von seinem Vater gelernt hat. Und bei neuen Situationen befragt er den Imam als letzte Instanz. Er entscheidet was Halal oder Haram ist - erlaubt oder verboten -. Also so jemand wie Bakir Alboga in den DITIB-Moschee-Gemeinden. Die islamische Religion regelt das Leben eines Muslims von der Geburt bis zum Tod. Deswegen wollte Hasan nie Deutscher werden und auch nicht versuchen, die deutsche Kultur zu verstehen. Das stand für ihn nie zur Debatte. Die Frage war für ihn vielmehr, wie lange es dauert, bis alle Deutschen Muslime werden. 13/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Hassan Özyörük: Es sind so viele Christen, die Muslim werden. Ich habe hier so viele deutsche Frauen, deutsche Männer, die Muslime geworden sind. Ich kenne auch. Die wollen das nicht hier. Die machen das extra so. Die machen extra so. Die wollen, dass keine Christen, keine Juden nicht Muslime werden. SPRECHER: Wer „DIE“ sind, sagt er nicht. Dass aus Deutschland bald ein islamischer Staat wird, hat Hasan irgendwann in einer türkischen Zeitung gelesen. Auch an den Kriegen in islamischen Ländern seien wir im Westen, im Abendland alleine schuld. Ob Deutschland oder Amerika Krieg führe, sei egal. Es seien immer die Christen. So einfach ist die Philosophie von Hasan. O-Ton Hassan Özyörük: Warum nicht Europa, warum nicht Amerika gibt Krieg? Nur in unserem Ländern, muslimische Länder, islamische Länder. Stellt sich mal vor. Warum? Muslime bauen keine Waffen. Die Amerikaner bauen Waffen. Die Deutschen bauen Waffen. Die Russen bauen Waffen und verkaufen nach Muslime. Guck mal niemand hat Waffen, kein Waffen. Keine Muslime. Die bauen keine Waffen. Wir haben kein Bomben, haben gar nix. Und wer gibt diese Leute Waffen. Diejenigen, die das bauen: Juden geben, Deutsche geben, Russen geben, Amerikaner geben, Engländer geben. Die geben extra, damit sie selbst kaputt machen. Und unsere Leute sind so doof. Die machen sich selbst kaputt. Unsere Muslims na, die können gar nicht denken. Verstehst du. SPRECHER: Seine Frau Aylin hört uns die ganze Zeit über zu. Sie ärgert sich, wenn Hasan so schlecht über die Deutschen redet. O-Ton Hassan Özyörük: (Lacht) Jetzt will meine Frau nicht, dass wir so reden. (Lacht) 14/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Aylin möchte eigentlich nicht ins Mikrophon sprechen. Aber beim Thema Kopftuch sagt sie dann doch etwas. ATMO: O-Ton Aylin Özyörük ÜBERSETZERIN: Ein guter Mensch zu sein hat mit dem Kopftuch nichts zu tun. Wenn man den Islam praktiziert, sollte man damit keine Werbung machen. Religion sollte man in seinen eigenen vier Wänden praktizieren. Wenn man betet und fastet, macht man das für sich selbst. Aber ein guter Mensch mit guten Eigenschaften ist meiner Meinung nach immer ein guter Mensch, egal ob Muslim oder nicht. SPRECHER: Hasan lacht darüber nur. Es sind wenige Gäste da, nicht viel zu tun. Teslime kommt und setzt sich im Hinterzimmer des Restaurants neben mich. Das ist für ihre Familie ungewöhnlich, denn ich bin ein fremder Mann. Für mich ist das kein Problem, obwohl ich als Muslim aufgewachsen bin. In Afghanistan der 60-er und 70-er Jahre hatte der damalige König den Schleier abgeschafft und ich war in einer gemischten Schule, in der es normal war, dass Mädchen unverschleiert im kurzen Rock neben Jungen saßen. Kein Imam, kein islamischer Geistlicher hat dagegen protestiert. ATMO: Gespräche und Musik SPRECHER: Teslime ist in Köln geboren und aufgewachsen und gerade 20 Jahre alt geworden. Sie trägt kein Kopftuch. Teslime stellt sich ihre Zukunft anders vor als ihre Eltern. Auf jeden Fall möchte sie nicht in der Gastronomie arbeiten. 15/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Teslime Özyörük: Ich wollte studieren, ich wollte einen richtigen Beruf lernen, also einen Beruf, der richtig Geld bringt. Ich bin die jüngste und die einzige aus der Familie, die studiert. Mein Opa war sehr stolz auf mich. Er ist vor einem Jahr gestorben. SPRECHER: Teslime studiert Maschinenbau. Ein Onkel von ihr hat in der Türkei eine Firma, in der sie nach dem Studium arbeiten kann. So bleibt sie in der Familie. O-Ton Teslime Özyörük: Weil wir sind sehr gebunden als Familie. Wir tun alles zusammen, wenn wir irgendwohin gehen. Oder, sagen wir, Urlaub machen, meistens sind wir zusammen. Also keine von uns geht alleine in die Türkei, macht Urlaub oder so – wir sind immer gebunden als Familie. Manchmal ohne Vater, aber weil das wegen dem Geschäft zeitlich nicht passt. Dann gehen wir mit meiner Mutter und die Kinder halt. Ein Elternteil muss immer dabei sein. SPRECHER: Teslime ist muslimisch erzogen worden im Sinne des Koran. O-Ton Teslime Özyörük: Ich war auch in der Moschee. Wir haben unsere Religion in der Moschee gelernt. Wir haben Koran lernt, wir haben die arabische Schrift. Ich kann auch arabisch lesen. Die Übersetzung lernen wir erst danach. Erst lernen wir die Suren auswendig. Danach lernen wir die Übersetzung. Man sollte die Bedeutung wissen, wenn man übt. SPRECHER: In der Moschee-Gemeinde gilt die Scharia, das Islam-Gesetz. Demzufolge ist auch für Teslime vieles Haram, verboten, Sünde, was laut Grundgesetz erlaubt ist. Der Untersuchung der Universität Münster von Juni 2016 zufolge sagen 47 Prozent der türkisch-stämmigen Muslime in Deutschland: 16/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ZITATOR: "Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe." ATMO: Restaurant, Musik und Gespräche SPRECHER: Frauen wie Teslima leben in einem dauernden Loyalitätskonflikt zwischen Grundgesetz und Scharia. ANSAGERIN: 5.Kapitel. Die blonde Muslimin ATMO: Atmo: Straßenverkehr SPRECHER: Es ist Abend und ich gehe zu meiner Verabredung in die „Braustelle“. ATMO: Atmo: Kneipe, Braustelle Die Dame ist bereits da: Sie heißt Gül Keskinler und kam wie Hasan als Kind nach Köln. Sie trägt eine orangefarbige Jeans, ein schwarzes Hemd und eine orientalische Goldkette. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Gül Keskinler hat sich nach dem Studium der Betriebswirtschaft selbständig gemacht und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihre Integration in Deutschland ist für sie zum Lebensthema geworden. Sie ist politisch aktiv, CDU-Mitglied und war lange Integrationsbeauftrage des Deutschen Fußballbundes. Der Konflikt zwischen islamischem Gesetz und deutschem Recht war auch für sie schwer auszuhalten. Aber Gül Redkinler begann sich zu emanzipieren. 17/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Gül Keskinler: Also...Wenn wir so hitzefrei hatten in der Schule und früher Schulschluss hatten, dann habe ich mir 2-3 Stunden gestohlen, in Anführungsstrichen - bis die Mutter kam, war ich mit meinen Freundinnen im Freibad oder mal im Hallenbad. Aber es ging dann schnell nach Hause, bevor die Mutter kam, muss dann auch alles erledigt werden, was sie mir aufgetragen hat. SPRECHER: Gül Keskinler hat sich in Deutschland integriert und sieht nun Vieles in ihrer alten Heimat kritischer. Nach dem Putsch war sie in Istanbul. O-Ton Gül Keskinler: Ich war vor einigen Wochen in der Türkei. Und... Durch die Medien, durch deutsche Medien geprägt hat man ein so mulmiges Gefühl: Kann ich da überhaupt hin fahren, ja, darf ich das sagen, darf ich jenes Sagen. Und als ich in Istanbul war. Wir sind, zwei Frauen, nachts zwei Uhr - oder morgens- sind wir noch Essen gewesen. Ja. Es ist nicht so, dass wir jetzt um 12 Uhr nicht mehr auf die Straße dürfen. Mein Mann rief mich dann an, total aufgeregt. Wo bist du. Dann habe ich gesagt. Wir sind noch Essen. Ja es schon zwei Uhr. Wo bist du. So. Weil wir hier auch über die deutsche Medien aufgestaucht werden, dass es ganz schlimm dort ist. Natürlich ist dort schlimm. Wir haben mehr oder weniger Bürgerkrieg. Aber, dass die Türkei heutzutage im bestimmten Bereichen Defizite hat: Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit usw. Das hat alles einen Grund, aber die europäische Gemeinschaft sollte auch sehr intensiv darüber nachdenken, was sie in den letzten 30 Jahren auch falsch gemacht haben. SPRECHER: Also das verstehe ich nicht, was die europäische Gemeinschaft mit den DemokratieDefiziten in der Türkei zu tun hat. Wir reden noch eine Weile darüber, aber sie wird nicht konkreter. Es wird spät und wir verabreden uns für ein anderes Mal. Morgen bin ich allerdings noch einmal mit Bakir Alboga in der Moschee-Gemeinde DITIB verabredet. Ich will genauer wissen, wie seine islamische Gemeinde funktioniert. Gül Keskinler treffe ich dann nach dem Mittagsgebet. 18/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ATMO: Musik ANSAGERIN: 6.Kapitel. Wenn aus einer Moschee ein islamischer Staat wird ATMO: Handy und Muezzin SPRECHER: Die Moschee-Gemeinde funktioniert zumindest offiziell wie jeder Verein. Wenn in einem Ort sieben Muslime leben, dann können sie bereits einen Verein gründen. Eigentlich kann sogar jeder für sich eine kleine Moschee zu Hause einrichten. Das Handbuch dafür gibt es im Internet. Imame kann man sich selbst aussuchen, die jedes Gebet rezitieren. Manche haben alles auf ihrem Handy, einschließlich Koran. Der Muezzin klingelt dann fünfmal am Tag. In Deutschland heißen die meisten der türkischen islamischen Vereine DITIB. Auf der Webseite von DITIB steht: ZITATOR: „Die Moschee ist eine Zweigstelle des Gotteshauses in Mekka“ SPRECHER: Dieser Grundsatz gilt für alle DITIB Moschee-Vereine gleich. ZITATOR: „DITIB und die angeschlossenen Vereine handeln nach folgenden Kriterien: Die DITIB verfolgt Ziele, die ausschließlich mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Einklang stehen. Wir bekennen uns zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung. DITIB verfolgt gemeinnützige religiöse, wohltätige, kulturelle und sportliche Zwecke.“ 19/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Soweit die offizielle Vision. Die kann sich aber eigentlich nicht mit dem decken, was Alboga sagte: O-Ton Bakir Alboga: Ich muss sagen, dass unsere Moscheen in Deutschland, Alhamdulellah (Gott sei Dank) ähnlich funktionieren wie die erste Moschee in Medina. SPRECHER: Also, kein Verein in Deutschland könnte funktionieren wie die erste Moschee im 7. Jahrhundert. Und wenn doch, dann widerspräche er dem Grundgesetz. 75. ZITATOR: Die Sprache des Koran (...) ist für die Muslime die Richtschnur, nach der sie sich bei ihren Handlungen richten. (...) Nach islamischer Überzeugung ist der Koran so erhalten, wie er vor etwa 1400 Jahren offenbart wurde. Trotz zahlreicher Übersetzungen ist für die gläubigen Muslime nur der arabische Text verbindlich. (...) Die heiligen Worte des Koran enthalten religiöse wie weltliche Gebote, Verbote und Weisungen für das tägliche Leben der gläubigen Muslime. SPRECHER: … heißt es auf der DITIB-Seite im Internet. Mit anderen Worten: Der Koran ist das Gesetz. Das sagt Alboga natürlich nicht. Bei unserem Gespräch im Innenhof der Moschee erklärte er vielmehr: O-Ton Bakir Alboga: Ich sage, der Islam ist nicht eine Religion von gestern. Seit dem 6., 7. Jahrhundert gibt es den Islam. Und wir wissen, wie sich unser Prophet seinen Freunden und Feinden gegenüber verhalten hat. Wir sollen das Leben unsere Propheten zum Vorbild nehmen. Ich kann meinen Geschwistern empfehlen, lesen sie den Koran richtig, studieren sie das Leben unsere Propheten. 20/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ANSAGERIN: 7.Kapitel. Gewalt im Koran SPRECHER: Ich habe den Koran als Kind auswendig lernen müssen wie Teslime und Gül. Darunter auch Suren wie diese: Sure 9, Vers 29: O-Ton Koran: Sure 9, Vers 29 ÜBERSETZERIN: „Tötet diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben und nicht der wahren Religion angehören.“ SPRECHER: oder Sure 9, Vers 5 O-Ton Koran: Sure 9, Vers 5 ÜBERSETZERIN: „Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie an, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf. Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann lasst sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und barmherzig.“ 21/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Also, im Heiligen Krieg darf man Nichtmuslime am Leben lassen, wenn sie beten und Steuern zahlen. Mit anderen Worten, wenn sie zum Islam konvertieren. Die Koranverse, die zu Gewalt gegen Nichtmuslime aufrufen, könnte man im historischen Zusammenhang sehen, wenn die Terrorgruppen nicht genau diese Verse heute als Rechtfertigung für Gewalttaten missbraucht hätten. Und eine alte Rede von Recep Tayyip Erdogan von 1998 trägt auch nicht zur Beruhigung bei ATMO: TV-Rede R. T. Erdogan als Atmo ZITATOR: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ SPRECHER: Für diese Aussage saß Erdogan 1999 vier Monate im Gefängnis. Heute ist er ständig präsent in den muslimischen Gemeinden in Deutschland: Die digitalen Medien machen es möglich! Er drängt darauf, dass das islamische Gesetz, die Scharia verbreitet und praktiziert wird. Alboga weiß, dass das in Deutschland nicht so einfach geht. Deswegen haben Muslime Schwierigkeiten sich zu integrieren. O-Ton Bakir Alboga: Z. B. wir haben die Freiheit uns zum Islam zu bekennen und zu sagen: wir sind Muslime. Aber wenn wir in vollen Umfang den Islam praktizieren wollen dann gibt es Probleme. Z. B. eine muslimische Frau mit Kopftuch, wenn sie Arbeit sucht, sie muss sich zehnfach mehr für eine Arbeitsstelle bewerben als eine nichtmuslimische Frau mit gleicher Qualifikation. Deswegen ist es so: wenn wir uns in Deutschland so organisieren würden, dann würden wir als Parallelgesellschaft verurteilt. Wenn sie Parallelgesellschaft bilden, dann hindern sie die Integration. Man möchte keine Parallelstrukturen, keine Parallelgesellschaften. Weder Paralleljustiz noch Parallelgesellschaft, noch Parallelschule. Man möchte das in Deutschland – Politik und Medien - wollen das in Deutschland nicht. 22/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Was macht man dann? Dieses Mal bleibt er die Antwort schuldig, aber später wird er deutlicher. Auf meine Frage, ob es Wege gebe, um Deutsche Gesetze zu umgehen, sagt er: O-Ton Bakir Alboga: Aber dafür haben wir unsere Vereine, die sind rechtlich legitim. Wir haben unsere eingetragenen Vereine, Sportvereine, Kulturvereine und Moschee-Gemeinden. SPRECHER: Vereine begründen noch keine Parallelgesellschaft. Jeder Moschee-Verein gründet weitere Vereine. Vereine für Schule und Bildung, Vereine für Frauen, für Wirtschaft und Finanzen, für Beziehungen zu Nichtmuslimen, für internationale Beziehungen, für Medien, für strategische Planungen, für Rechtsstreitigkeiten und für die Forschung. Dann gibt es die DITIB Akademie und vieles mehr. Dies ist alles auf der Webseite der DITIB-Zentrale in Köln nachzulesen. O-Ton Bakir Alboga: Dann gibt es aber auch noch Jugendbeauftragte, Frauenbeauftragte und Beauftragte für Senioren ... z.B. Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, Möglichkeiten von Seminare. Die Jugendlichen rufen sozusagen dafür Seminaristen ein. SPRECHER: Sogar für die Datenverarbeitung und hygienische und technische Dienste gibt es ein Büro. Die DITIB-Moschee-Gemeinden sind in Deutschland ein riesiger Apparat, der alle gesellschaftlichen Bereiche abdeckt. Auf die Frage, wie dieser gewaltige Apparat finanziert wird, gibt Alboga keine klare Antwort. 23/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Bakir Alboga: Es ist alles ehrenamtlich. Diejenigen, die in die Moschee kommen, leisten einen freiwilligen Beitrag. Manche sind „Eingetragenes Mitglied“. Und die leisten einen monatlichen regelmäßigen Mitgliedsbeitrag. Manche spenden nur, sind keine eingetragenen Mitglieder. Und das genügt aber nicht, um die gesamten Kosten zu tragen. SPRECHER: Vor allem würden die Spenden und Beiträge nicht ausreichen, um alle Imame zu finanzieren. Die stehen auf der Gehaltliste des Religionsministeriums in Ankara. So die „Welt am Sonntag“ vom April 2016. Ihr hatte DITIB mitgeteilt, dass das Religionsministerium derzeit rund 970 Imame nach Deutschland entsandt habe, die regulär je fünf Jahre hier blieben. Die Zeitung schrieb weiter: ZITATOR: Das Religionsministerium der Türkei, das auch DITIB anleitet, verfügt 2016 über rund 6,4 Milliarden Türkische Lira - rund 1,8 Milliarden Euro. SPRECHER: Etwa 20 Imame von DITIB habe ich in den letzten zwei Jahren kennengelernt. Sie lebten oft mit der Familie in Deutschland, meistens in Drei- oder VierzimmerWohnungen. Sie sind Beamte des türkischen Staates und werden ähnlich wie Diplomaten bezahlt. Muss sich DITIB an diesen Kosten beteiligen? Bei 970 Imamen kommt sicher schnell eine Gehaltssumme von mehreren Millionen Euro pro Jahr zusammen. Alboga möchte dazu immer noch nichts sagen. O-Ton Bakir Alboga: Die in den DITIB-Moschee-Gemeinden religiöse und soziale Dienste leisten kommen seit 1984 aus der Türkei. Es gab kein Problem bis heute. Das wurde nicht problematisiert. Aber in der letzten Zeit wurde problematisiert, dass die DITIB-Imame aus der Türkei kommen. D.h. es wird eine ganz normale Sache wird politisiert. Und das das tut mir sehr leid. Das macht uns sehr, sehr traurig. 24/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Es stimmt, dass es jahrelang kein Problem war. Der Einfluss aus Ankara auf die Moschee-Gemeinden in Deutschland war von Anfang an sehr groß, ohne dass daran öffentlich Anstoß genommen worden wäre. Ridvan Çakir z.B., ein Mann, der seinen Militärdienst in der Türkei als Ersatzoffizier geleistet hatte, wurde zunächst stellvertretender Präsident des Religionsministeriums, ehe er 2003 bis 2007 als türkischer Botschaftsrat nach Berlin kam und gleichzeitig als Präsident der MoscheeGemeinde DITIB in Köln fungierte. Die Türkei verstand sich damals noch als ein demokratisches, laizistisches Land, das sich an westlichen Werten orientieren wollte. Doch unter Recep Tayyip Erdogans Regierung begann eine Re-Islamisierung, die bis heute immer stärker voranschreitet. Der gescheiterte Putsch vom 15. Juli 2016 stellte dabei eine wichtige Zäsur dar. ATMO: Atmo Putsch SPRECHER: Erdogan bezeichnete den Putschversuch in seiner ersten Erklärung bei CNN am 17.Juni 2016 als „Gunst Gottes“. Er reagierte entsprechend und mobilisierte die Masse gegen den Putsch mit Hilfe der Lautsprecheranlagen auf den Minaretten der Moscheen. Damit wurde offensichtlich, dass die Trennung von Religion und Politik in der Türkei nur noch auf dem Papier steht. ATMO: Muezzin/ Bakir Alboga SPRECHER: Es ist Abend. Alboga ruft heute zum fünften Mal die Muslime zum Gebet. Hasan ärgert sich derweil, dass Deutschland nach dem Putschversuch Türken Asyl gewährt, die in der Türkei verfolgt werden. Er glaubt, hinter dem Putsch in der Türkei stünden Deutschland und Amerika. 25/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Hassan Özyörük: Deutschland soll einmal einen Putsch erleben. Oder Amerika soll einmal einen Putsch erleben. Da wissen sie Bescheid, was Putsch heißt, die lassen immer woanders machen, Putsch. Die haben eigene Leute da, kaufen unsere Leute. Diese Bastarde. Es gibt solche Leute, die sich verkaufen um Geld. Dann irgendwann, wenn erwischt werden, dann hauen die ab. Die sind jetzt nicht mehr in der Türkei. Die leben nicht mehr in der Türkei. Und was macht Deutschland? Hat ganz die Arme aufgemacht. Damit die Leute kommen, die den Putsch gemacht haben. Die leben hier jetzt alle in Deutschland. SPRECHER: Ich stoße auf ein Interview mit Ercan Karakoyun, dem Leiter der Gülen-nahen Stiftung "Bildung und Dialog" im Focus vom Dezember 2016. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. ZITATOR: „Etliche Imame aus DITIB-Moscheen hätten inzwischen ihren Dienst aufgegeben und in Deutschland Asyl beantragt, berichtet Karakoyun. Sie wollen die Hasskampagne Erdogans nicht mitmachen." SPRECHER: Die regierungskritische, türkische Zeitung "Cumhuriyet" berichtet, DITIB-Imame hätten angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland bespitzelt. ZITATOR: Die Spionagevorwürfe gegen den türkischen Religionsverband DITIB erhärten sich. Der Grüne Volker Beck fordert nach SPIEGEL-Informationen den Generalbundesanwalt zu Ermittlungen auf. 26/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Ich versuche Alboga zu erreichen, spreche immer wieder auf seinen Anrufbeantworter und bitte um eine Stellungnahme. Am Freitag, 20.Januar 2017 um 12:30 Uhr ruft mich Alboga von Ankara aus an, dass wir am kommenden Dienstag einen Termin vereinbaren können. Aber er ist den ganzen Tag nicht erreichbar. Am Mittwoch ruft mich Alboga vom Zug nach Berlin aus an und sagt: „Sie wissen was los ist … die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ich kann bei einem laufenden Verfahren nichts sagen.“ Bei der Ermittlung der Staatsanwaltschaft geht es um das Interview, das Alboga der „Rheinischen Post“ gegeben hatte. Die Zeitung hatte am 12.Janaur geschrieben: ZITATOR: „Deutschlands größter Islamverband DITIB hat bestätigt, dass Imame des Verbands in Deutschland Informationen über Anhänger des Predigers Fethullah Gülen nach Ankara geschickt haben.“ SPRECHER: Am selben Tag hatte Alboga die Meldung dementiert: ZITATOR: „Entgegen der Meldung einiger Online-Printausgaben hat unser Verband die schwerwiegenden Vorwürfe der „Bespitzelung“ nicht bestätigt. Meine Aussagen als Generalsekretär beabsichtigten lediglich, dass die Vorwürfe ernst genommen und von DITIB weiterhin untersucht werden.“ SPRECHER: Trotzdem: "Wir ermitteln gegen Unbekannt", bestätigte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde. Am 31. Januar versuche ich es noch einmal telefonisch. Alboga ist in Karlsruhe und nicht erreichbar. Für DITIB steht viel auf dem Spiel. Die türkische Moschee-Gemeinde hat jahrelang in vielen Bundesländern Vertrauensarbeit geleistet, mit den jeweiligen Regierungen eng zusammengearbeitet, um z.B. den Islamunterricht an Schulen zu fördern. Alboga hatte das mir gegenüber so begründet 27/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Bakir Alboga: Aber wir können hier nur einen Teil unserer Jugendlichen in der Moschee erreichen. 80% der Jugendlichen können am besten in der Schule erreicht werden. Deswegen führen wir Gespräche, arbeiten daran, dass auch in der deutschen Schule, in unseren Schulen hier in Deutschland, wo wir unseren Kindern beibringen können, was ihre Tradition und was ihre Religion ist. SPRECHER: Nordrhein-Westfalen führte 2012 islamischen Religionsunterricht zunächst an Grundschulen, später auch an weiterführenden Schulen ein. Die Grün-Rote Regierung in Baden-Württemberg möchte 2018 regulären, islamischen Religionsunterricht an den Schulen anbieten. Dafür machen sich Ministerpräsident Kretschmann und Kultusminister Stoch stark. Aber die Imame aus der Türkei sind heute ein Problem! Der DITIB-Generalsekretär Alboga hatte das im Gespräch mit mir bedauert O-Ton Bakir Alboga: Das, was der deutsche Staat nicht offen sagt, sagt dann die Presse. Aber es gibt auch durchaus Politiker, die sagen die Imame sollen nicht aus der Türkei kommen. Das sagt man leider heute so. Obwohl es im Grundgesetz garantiert ist, die Gemeinde kann ihren Fahrer oder ihren Imam selbst bestimmen. Das gehört zu dem Selbstbestimmungsrecht der Gemeinde. Aber dieses Selbstbestimmungsrecht ist leider eingeschränkt. SPRECHER: Ja, das stimmt, weil in den DITIB-Vereinen die Imame als Beamte eines fremden Staats – der Türkei - arbeiten. ATMO: Musik u. Erdogan-Rede SPRECHER: Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat im Juni 2016 die Kooperation mit dem Verband DITIB beendet. – Allerdings nicht, was den Schulunterricht angeht. Ähnlich ist es inzwischen in Rheinland-Pfalz. 28/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Bakir Alboga: Es ist keine einfache Situation momentan. Es ist momentan leider eine sehr, sehr schwierige Situation, in der wir uns in Deutschland finden. SPRECHER: DITIB und damit Alboga und die türkischen Muslime sind nach dem Putschversuch an einem Scheideweg angekommen. Der deutsche Staat erwarte mehr Loyalität von den Muslimen, sagte Kanzlerin Merkel im Sommer 2016. Andererseits erwartet auch der türkische Staatspräsident Erdogan von den türkischen Muslimen in Deutschland Loyalität - heute mehr denn je. ANSAGERIN: 8.Kapitel. Traumziel Türkei ATMO: Gespräch und Musik SPRECHER: Am nächsten Morgen gehe ich noch einmal ins Mosaik. Hasan sitzt mit seinem Bruder Tanyurt und seiner Tochter Teslime beim Frühstück im Restaurant. Ich frage mich die ganze Zeit: Wenn alles hier so schlecht ist, warum lebt Hasan mit seiner Familie überhaupt noch in Deutschland? O-Ton Hasan Özyörük: Wir wollten ganze Familie, alle Familie Türkei gehen, für immer. Für immer wollten wir weg von hier, aber es hat nicht geklappt. Wegen dieses Bürgermeisters. Musa Fartaschgel heißt er. Ja. Dieser Bastard. ATMO: Gespräch und Musik 29/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Hasans Bruder Tanyurt traute sich bisher nicht, viel zu sagen. Nun kann er es nicht mehr aushalten. O-Ton Tanyurt Özyörük (Brüder von Hasan) Leute, die von hier aus in die Türkei zurückkehren und danach was anfangen wollen, werden nur noch verarscht. O-Ton Hassan Özyörük: Ich bin ja verarscht worden. Zweihunderttausend Euro weg. O-Ton Tanyurt Özyörük (Brüder von Hasan) Und Jahre, die ganze Jahre die Kinder ohne Vater geblieben. O-Ton Hasan Özyörük: Meine ganzen 15 Jahre ist futsch. Weg. Ich habe 15 Jahre verdient, Geld verdient und ich wollte in Türkei Geschäft aufmachen: Tankstelle, Hotel, ein Viersternehotel, 80 Zimmer. Für 500 Leute einen Konferenzsaal, 150 Leute für Restaurant, Sauna, Fitnesscenter, da wäre alles drin. Sechs Millionen sollte mir kosten, sechs Milliontürkische Lira- zwei Million Euro. SPRECHER: Auf einem Tisch liegen die Baupläne, die Genehmigung des Staates und die genauen Summen. Hasan gestikuliert und zeigt mir die einzelnen Dokumente, um zu beweisen, dass er mir keine Märchen erzählt. O-Ton Hassan Özyörük: Alles, alles hier, guck mal. Das ist von unserer Regierung, die hat das mir erlaubt. Ich darf das machen. Sechs Millionen, türkischer Staat wollte mir das Geld geben. Sechs Millionen türkische Lira. Damit ich mein Hotel bauen kann. Der Bürgermeister hat Scheiße gebaut. Musaf Fartaschgeldi, heißt er. 30/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Der türkische Staat unterstützt Geschäftsleute mit Fördermitteln und Zuschüssen, wenn sie in ihrer Heimat investieren. Hasan hat die Genehmigung bekommen, um eine Ferienanlage in der Türkei zu bauen. Er hat den Architektenplan und sämtliche Genehmigungen erhalten. Als es aber um die Auszahlung der Zuschüsse des Staates ging, verweigerte der Bürgermeister seine Zustimmung, weil Hasan ihm keine 50.000 Euro Bakschisch bezahlt hatte. O-Ton Hassan Özyörük: Der hat mir erzählt, der hat mir gesagt, von den 50.000 Euro, na, gibt er 70% nach Oben. Der Bürgermeister nimmt von mir 50.000 und 30.000 Euro gibt er nach oben. 20.000 Euro für Bürgermeister. SPRECHER: Inwieweit die Geschichte stimmt, kann ich nicht überprüfen. Aber die Korruptionsskandale in der Regierung hatten die Türkei schon drei Jahre vor dem Putsch 2016 in eine tiefe Krise gestürzt. Der Putsch war nicht nur eine Folge der Islamisierung, sondern auch von Korruption und Misswirtschaft. Hasan hatte einen Gerichtstermin vor dem Putsch, um zu beweisen, dass die Zuschüsse des Staates tatsächlich genehmigt wurden. Doch jetzt, nach dem Putsch, ist es schwer, aus dem Ausland einen türkischen Beamten anzuklagen, sagt Tanyurt, der Bruder von Hasan. Wer heute noch in der Türkei im Amt ist, wird vom Staat unterstützt. Hasan könnte also seinerseits wegen Verleumdung oder gar als Terrorist ins Gefängnis kommen, wenn er zurückkehren würde. Zumal Hasans Kinder in Köln eine Gülen-Schule besucht haben. Hasans Bruder vertraut inzwischen weder der Regierung in der Türkei noch seinen eigenen Verwandten dort. O-Ton Tanyurt Özyörük: Da sind unsere Verwandte auch unsere Feinde. Die wollen uns als erste ausnehmen. Das schon seit Beginn der Geschichte, es ist dasselbe. Hat sich kein bisschen verändert. Leute, die von hier aus in die Türkei zurückkehren und danach was anfangen wollen, werden nur noch verarscht. 31/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. ATMO: Musik SPRECHER: Die Familie Hasan Özyörüks, der Imam und Generalsekretär der Moschee-Gemeinde Bakir Alboga sind auf ihre Weise nun doch gezwungen in der deutschen Kultur anzukommen. Alboga hat noch eine Chance, die Mehrheit der türkischen Muslime zu überzeugen, DITIB vom türkischen Staat und dessen Politik zu trennen, um die Unabhängigkeit der Gemeinde als Verein zu bewahren. Das hieße, islamische Aufklärung zu betreiben. Also den Islam nicht wie in Medina, sondern wie im 21. Jahrhundert zu praktizieren. Dann kann DITIB auch sämtliche Rechte der Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland in Anspruch nehmen. Hasan und seine Familie werden hier bleiben müssen, sie sind in der Türkei nicht mehr willkommen. O-Ton Hassan Özyörük: Und die Türken, die in der Türkei wohnen, die denken, dass wir Ausländer sind...wir sind Ausländer, wenn wir in die Türkei fahren. Die Türkei sagt, ihr seid Deutsche. Die nennen uns Deutsche. Verstehst du. Und hier sind wir Ausländer. Überall bist Du Ausländer. O-Ton Gül Keskinler: Wir haben unsere eigenen Gotteshäuser, wir haben unsere Gotteshäuser mit Minaretten. Und wir können fünfmal am Tag dort beten. Das ist doch eine wunderbare Freiheit, was wir hier genießen. Und diese Freiheit dürfen wir nicht in Gefahr bringen. ATMO: Musik, ANW-1180_07_Valley of The Kings 32/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. SPRECHER: Wie Gül Keskinler habe ich die Werte der abendländischen Gesellschaft zu lernen versucht, weil diese Werte mir Freiheit garantieren und Lebens-Freude bringen. Hasan dagegen sucht Sicherheit in einer islamischen Gesellschaft, in der die Religion, die Imame und die Moschee-Gemeinde das Leben bestimmen. Das kann nur eine Parallelgesellschaft sein. Die aber schafft Konflikte sowohl für Muslime als auch für Nichtmuslime. Am Ende muss man eine Entscheidung treffen. Absage: Der Koran ist das Gesetz Die Moschee-Gemeinden in Deutschland Ein Feature von Ghafoor Zamani Die Sprecher waren: Jule Hölzgen, Marc Oliver Schulze und Andreas Klaue Ton und Technik: Claudia Peycke Regie: Günter Maurer Redaktion: Wolfram Wessels Eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Westdeutschenrundfunk 2017. 33/33 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 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