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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
JÖRN LEONHARD
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
Europäische Liberalismen im Vergleich
Originalbeitrag erschienen in:
Detlef Georgia Schulze (Hrsg.): Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?:
transdisziplinäre Analysen zum deutschen und spanischen Weg in die Moderne.
Münster: Verl. Westfälisches Dampfboot, 2010, S. [313]-324
V. Der Liberalismus zwischen Monarchie und
parlamentarischer Republik
Erkunden einer Umgebung
Jörn Leonhard
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit:
Europäische Liberalismen im Vergleich
Einführung: Begriffsexporte als Phänomen der europäischen Geschichte
Auch für Begriffe gibt es Exportgrenzen. „Erlauben Sie ", so läßt Fjodor Dostojewskij in
seinem Roman Der Idiot von 1868/69 Jewgenij Pawlowitsch einwenden, „ich habe gegen
den Liberalismus nichts einzuwenden. Liberalismus ist keine Sünde; er ist ein notwendiger
Bestandteil des Ganzen, das ohne ihn zerfallen oder erstarren, das heißt absterben würde ".
Aber der kritische Zeitgenosse, der sich auf der sommerlichen Veranda der im luxoriösen
Schweizerstil errichteten Villa Jepantschin in die Debatte einschaltete, vermißte doch etwas entscheidendes: Der russische Liberale sei „kein russischer Liberaler, sondern eben ein
nichtrussischer". In den Köpfen der Intellektuellen und Seminaristen, die sich vom russischen Volk abzusondern schienen, stecke nicht mehr als ein gefährlicher Import aus dem
Westen. Auch für Dostojewski selbst blieb der Liberalismus als Ausdruck eines selbstherrlichen Rationalismus und Individualismus ein gefährliches Ensemble von Ideen aus Westeuropa, das dem Wesen Rußlands, seiner Volksgläubigkeit und der Einheit von Zarentum
und Orthodoxie, widersprach (Dostojewski 1954, 513).
Immerhin regte der Schweizerstil das Nachdenken über den Liberalismus immer neu an.
Auf dem Davoser Zauberberg ließ Thomas Mann 1924 zwei Protagonisten, wie sie gegensätzlicher kaum sein konnten, auch den Ideenhaushalt des europäischen Liberalismus verhandeln.
Aus dem skeptischen Rückblick der 1920er Jahre auf das lange 19. Jahrhundert inszenierte
Mann einen Streit darüber, aus welchen Traditionslinien jenes Europa hervorgegangen sei,
das sich in den Lungensanatorien des Romans abbildete und durch den Erfahrungsbruch
des Ersten Weltkrieges doch schon Vergangenheit geworden war. Unübersehbar waren hier
Krankheit und Auflösung zu Abbildern der umfassenden Krise am Ende eines Zeitalters
geworden, in dem man den Triumph von Liberalismus und Fortschrittsglauben gesehen zu
haben glaubte. Der endlose Streit zwischen Ludovico Settembrini, Renaissancehumanist,
Aufklärungsoptimist und unerschütterlicher Repräsentant des bürgerlichen Fortschritts,
und Leo Naphta, dem kommunistisch infizierten Jesuiten und gnadenlosen Apokalyptiker,
um die Seele von Hans Castorp, dieses naiven Nachkommen hanseatischer Patrizier, endete
nicht zufällig mit einem Selbstmord und der Auflösung der Zauberbergsgesellschaft in den
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Jörn Leonhard
Wirren des Ersten Weltkrieges. Während sich Settembrini zur Fortschrittsgeschichte Europas bekannte, die mit der Renaissance ihren Ausgang genommen habe, ohne die es weder
Humanismus noch Sittlichkeit, weder Aufklärung noch Freiheit, weder die bürgerlichen
Revolutionen noch den modernen Staat habe geben können, hielt Naphta den emphatischen
Hochherzigkeiten die unterkühlte Logik entgegen: Das „heroische Lebensalter" sei längst
vorüber. Die Revolution der Zukunft gehe nicht mehr um liberale Ideale, sondern ruhe auf
Diszplin, Opfer und Ich-Verleugnung. Für den wollenden Menschen könne bürgerliche
Freiheit und humanistische Gerechtigkeit nur Lähmung, Schwäche und Nivellierung aller
Gegensätze bedeuten. Man sei „gerecht gegen den einen Standpunkt oder gegen den anderen. Der Rest war Liberalismus, und kein Hund war heutzutage mehr damit vom Ofen zu
locken" (Mann 1924, 730 f.).
Erlösungshoffnung und Abgesang bildeten eine Grundmelodie, die den Liberalismus
immer schon, vor allem aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begleitete. Aber was machte
den Liberalismus in Europa überhaupt aus? Hinter der schier unendlichen Kakophonie von
emphatischen Definitionen, Skepsis und Kritik verschwimmt das historische Phänomen
nicht selten. Friedrich Nietzsches Diktum, nach dem definierbar nur sei, was keine Geschichte habe, gilt für den Liberalismus in ganz besonderer Weise. Mit dem Liberalismus
verhält es sich ein wenig so wie mit dem antiken Troja: So wie Heinrich Schliemanns Troja
ein Konstrukt ist, hinter dem sich eine komplexe Archäologie mit vielen Grabungsschichten
verbirgt, wird derjenige, der sich auf die Archäologie des Liberalismus in Europa einläßt,
auf unterschiedliche Sedimente in der Breite und Tiefe des historischen Raums gefaßt sein
müssen.
Höhenkämme und Legitimationsstrategien:
Der europäische Liberalismus als Projektion
Gleichsam die erste Grabungsschicht und Oberfläche des Phänomens, die Dostojwski und
Mann gleichermaßen thematisierten, bildet die klassisch-ideengeschichtlicher Sicht. Hier
markiert der Liberalismus einen der wichtigsten Traditionszusammenhänge, aus denen die
moderne westliche Demokratie entstanden ist, eine genuin europäische Traditionslinie,
ohne den die Entstehungsgeschichte der Gegenwart nur unvollkommen verstanden werden
kann. Dazu zählen sowohl der gewaltenteilige Verfassungs- und Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie westlichen Typs. Wer sich auf diese Perspektive einläßt, wandert
häufig auf den Höhenkämmen der Geistesgeschichte und politischen Theorie von Hobbes, Montesquieu und Locke bis zu Rousseau und Kant. Daraus ensteht in retrospektiver
Sicht eine zugleich epochale wie universell bestimmbare Ideengröße, der sich ein scheinbar
verbindlicher Kanon politischer, sozialer oder ökonomischer Wertvorstellungen, eben ein
europäischer Liberalismus, zuordnen läßt. Der Umstand, daß dessen Ursprünge in dieser
Sicht vor die Epochenwende des Jahres 1789 und jedenfalls vor die eigentliche Entstehung
des konkreten Begriffes Liberalismus fallen, erklärt die Vielzahl liberaler Urväter und
Geburtsstunden von Sokrates bis Max Weber. Vor dem Hintergrund einer solchen ideengeschichtlichen Kanonisierung geriet der Liberalismus schnell zum Geburtshelfer der
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
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Modernisierung unter bürgerlichen Vorzeichen: Menschen- und Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Parlamente, Verfassungen, Gewerbefreiheit und Freihandel sind seine Synonyme,
und die Geschichte des Liberalismus verwandelt sich in eine geradlinige Vorgeschichte der
jeweiligen Gegenwart (Ruggiero 1925; Laski 1936; Arblaster 1984; Bramsted/Melhuish
1978; Gall/Koch 1981; Manent 1986).
Zwischen dem analytischen Begriff „Liberalismus", den wir aus der Perspektive der Gegenwart benutzen, um politisch-soziale Ordnungsentwürfe vor dem letzten Drittel des 18.
Jahrhunderts und der Entstehung des Begriffes als zeitgenössischer politischer Vokabel muß
also genau unterschieden werden. Wer dies so nicht tut, verwischt die Grenzen und trägt
nicht wenig zur Unschärfe des Begriffes und zum hermeneutischen Mißverständnis bei.
Die scheinbare Erfolgsgeschichte des liberalen Ideenvorrats produzierte Pioniere und
Helden im Westen Europas sowie Nachzügler und Verlierer der Geschichte in Mittel- und
Osteuropa. Frankreichs erfolgreiche Revolution von 1789 erschien als Auftakt eines bürgerlichen Jahrhunderts. Großbritannien mutierte zum liberalen Modell ebenso erfolgreicher wie
gewaltloser Reformen, historiographisch flankiert von der Whig interpretation ofhistory als
eindimensionale Erfolgsgeschichte, Inder ökonomische und politisch -konstitutionelle Modernisierung stets parallel verliefen. Aus dieser Sicht konnte der mittel- und osteuropäische
Liberalismus nur als Defizitgeschichte begriffen werden. Der Sonderweg Deutschlands, seine
Anfälligkeit gegenüber der totalitären Herausforderung, schien die historisch notwendige
Folge eines schwachen Liberalismus zu sein, der seine Ideale dem Machtstaat Bismarcks
geopfert habe. Wer die Entwicklung des Liberalismus in Deutschland betrachtete, geriet
auf die abschüssige Bahn einer bloßen Defizitgeschichte des Bürgertums, der man mit systematischen Vergleichen zu begegnen sucht (Blackbourn/Eley 1984; Langewiesche 1988b,
Kocka 1988). Hinter der Annahme einer determinierten abschüssigen Entwicklungsrichtung
verbarg sich das Denken vom historischen Ergebnis her, die Geschichte reduzierte sich zur
bloßen Vorgeschichte der Gegenwart. Angesichts der Erfahrungen der totalitären Diktaturen
im 20. Jahrhundert und des Ost-West-Konflikts nach 1945 ließen sich solche Vorstellungen
zur Wertressource einer angloamerikanischen Liberal Tradition verdichten (Hartz 1955).
Nicht zufällig griffen solche Deutungen auf eine historisch -philosophische Phänomenologie
zurück, um dem freiheitlichen Wertgerüst des Westens historische Legitimationskraft zu
verleihen. So trug das Konstrukt eines europäischen Liberalismus nicht nur wesentlich
zum Selbstverständnis der modernen westlichen Demokratien bei, von ihm erwartete man
nach den Umwälzungen von 1989/90 auch eine Anziehungskraft als scheinbar universell
übertragbares Modell. Der Liberalismus schien mit dem Zusammenbruch der Staaten des
realexistierenden Sozialismus realpolitisch die Richtigkeit seiner Prämissen erwiesen zu
haben, sich dabei aber zugleich totgesiegt zu haben (Vorländer 1995).
Politisches Sprechen: Die Semantik der europäischen Liberalismen
Auf einer zweiten, tieferliegenden Grabungsschicht erkennt man die Geschichte des historischen Begriffs in seiner konkreten Verwendung. Spätestens hier wird die Vorstellung
eines europäischen Liberalismus jenseits überzeitlicher Ideenvorräte schwierig (Leonhard
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Jörn Leonhard
2001; Leonhard 2003): Was Zeitgenossen in Frankreich um 1815 unter den idées libérales
verstanden, unterschied sich erheblich von liberalen Ideen in Deutschland und idee liberali
in Italien. Wenn libéral und libéraux in Frankreich nach 1815 und spätestens nach der
Julirevolution von 1830 zu Parteibezeichnungen geworden waren, weil es seit 1814 eine
Verfassung, ein nationales Parlament und das Erbe der Revolution gab, blieb liberal für
deutsche Zeitgenossen noch lange Ausdruck einer individuellen, der Aufklärung verpflichteten Gesinnung, die nichts mit Parteien und vor allem nichts mit der radikalen Französischen Revolution zu tun haben sollte. Ausgerechnet die zu Urvätern des europäischen
Liberalismus stilisierten britischen Reformer, welche die Katholikenemanzipation und die
Wahlrechtsreform von 1832 umsetzten, verzichteten ausdrücklich auf die Selbstbezeichnung liberal, die ihrer Meinung nach die Nähe zu den revolutionären Umwälzungen Kontinentaleuropas ausdrückte. Im vermeintlichen Mutterland des bürgerlichen Liberalismus
dominierten nicht nur die Namen der aus dem 17. Jahrhundert stammenden aristokratischen Parlamentsparteien der Whigs und Tories, sondern auch noch lange ihr exklusiver
Politikstil.
Auf was genau sich der Begriffbezog, blieb abhängig von den besonderen historischen
Erfahrungen und Erwartungen in den verschiedenen europäischen Gesellscha ften: Die erstmals während des Staatsstreichs des jungen Revolutionsgenerals Bonaparte am 18. Brumaire
1799 in Paris an prominenter Stelle verkündeten „idées libérales" wurden zu einem Ausdruck
des revolutionären Erbes von 1789, indem sie für den Schutz von bürgerlicher Freiheit und
privatem Eigentum gegen die radikalen Revolutionsanhänger standen (Proclamation, 257).
Das machte den Begrifffür die bürgerlichen Gewinner der Revolution in Frankreich attraktiv,
und zwar über den Untergang Napoleons hinaus. Für eine solche Konstellation gab es in
Spanien kein Äquivalent, weil es keine Revolutionsprofiteure wie in Frankreich gab und
weil der Vergleich der Gegenwart mit der idealisierten Republik oder dem napoleonischen
Kaiserreich fehlte. Die spanischen Gegner einer radikalen Revolution haßten vor allem den
Besatzer. Als die in Câdiz zusammengetretenen Stände, die Cortes, eine nationale Verfassung
verabschiedeten, die eine konstitutionelle Monarchie mit königlichem Vetorecht ohne Inquisition und Kirchenbesitz vorsah, bezeichneten sich die Anhänger als „liberales" (Fuentes/
Sebastiân 2002, Sebastiân 2006). In Deutschland schrieb man um 1815 von den „liberalen
Grundsätze" und blickte auf Frankreich, von dessen fortschrittlichen Institutionen, dem
napoleonischen Code Civil oder den Geschworenengerichte, man fasziniert, von dessen
radikaler Revolution man aber abgestoßen war. Die „liberalen Grundsätze" könnten nur
vernünftig und gewaltlos sein (Aretin 1816, 174). Deutsche Zeitgenossen verbanden um 1815
damit bereits die doppelte Hoffnung auf konstitutionelle Freiheit und Nationalstaat. Eine
gewisse Gemeinsamkeit der europäischen Liberalen lag damit im Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie, sei es wie in Frankreich als Reaktion auf die revolutionären Umbrüche
seit 1789, oder in Deutschland und Spanieninder Konzentration auf die Verfassungsgebung
ohne vorhergehende Revolution.
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
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Von der politischen Sprache der Revolution zur
Revolution der ideologischen Sprache
Dem französischen Politikdiskurs kommt im Blick auf die semantische Genese und Transformation von liberal im europäischen Vergleich, aber auch hinsichtlich der Vorreiterfunktion für die Politisierung und Ideologisierung des politischen Vokabulars überhaupt
zentrale Bedeutung zu. Die Revolution von 1789 markierte weit über die politisch-konstitutionelle und gesellschaftliche Kategorie von Krise und Umbruch hinaus eine neue Entwicklungsstufe des politischen Diskurses, in dem die semantischen Grundlagen für die
Politisierung und ideologische Polarisierung mit Hilfe neuer Etiketten gelegt wurde. Von
Frankreich aus wurde der Politikdiskurs der meisten kontinentaleuropäischen Länder, vor
allem Deutschlands und Italiens, auf dem Wege des direkten Begriffsexports oder des indireten Bedeutungstransports erheblich dynamisiert und erhielt dadurch neue Impulse.
Dieser Aspekt, der für die Frühphase der semantischen Genese des Deutungsmusters bis
etwa 1820 fundamentale Bedeutung hatte, verleiht der komparativen historischen Semantik eine transfer- und verflechtungsgeschichtliche Dimension.
Der konkrete Rückgriff auf die idées libérales reflektierte zunächst die Unmöglichkeit
einer umfassenden Restauration im Sinne einer Rückkehr zum Ancien régime. Vor dem Hintergrund der konstitutionellen und nationalpolitischen Erwartungen in Deutschland und
Italien fokussierten Übersetzung und Adaption der idées libérales in liberale Ideen und idee
liberali nunmehr einerseits die Befreiung von französischer Fremdherrschaft und andererseits
die Übernahme der fortschrittlichen politisch -konstitutionellen und gesellschaftlichen
Prinzipien vom französischen Vorbild. Man feierte die Befreiung von der napeoleonischen
der faktischen Militärdiktatur der Jahre vor 1815, aber Code Civil, Geschwo- Besatzungd
renengerichte und fortschrittliche Verwaltungspraxis blieben Fixpunkte einer positiven
Orientierung an Frankreich auch über den Fall des Kaisers hinaus. Diese Rezeption ging
mit der Loslösung vom Ursprungkontext der idées libérales einher und schuf ein semantisch
formatives Medium für die Konturierung eigener Erwartungen und Projektionen. Zu diesen
zählten in Deutschland die Gewährung landständischer Verfassungen, die Überwindung der
territorialen Fragmentierung sowie die Beseitigung der feudalen Relikte des Ständestaates.
Die zeitgenössische Auseinandersetzung um den Bedeutungsgehalt von „landständisch" zwischen altständisch -korporativer und progressiv-repräsentativer Bedeutung in Deutschland
verwies zugleich auf die Entwicklungsunterschiede zwischen den Staaten des Deutschen
Bundes auf der einen, sowie Frankreich und Großbritannien auf der anderen Seite: Das
Spektrum von Landtagskompetenzen im Deutschen Bund kam jedenfalls bis zur Revolution
von 1848/49 nicht an die faktische Entwicklung zur parlamentarischen Monarchie heran,
welche in Frankreich und Großbritannien seit den 1830er Jahren die Rolle der Monarchie
bei der Auswahl der Premierminister veränderte (Mager 1974, Wunder 1978). Die einseitige
monarchische Durchsetzung eines von der Mehrheit der assemblée nationale oder des House
of Commons nicht unterstützten Premiers erwies sich hier als unmöglich, während die deutschen Landtage zunächst noch im Dualismus zwischen Regierung und bloß kontrollierender
Volksvertretungverharrten, auch wenn Zeitgenossen wie Robert von Mohl die strukturellen
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Jörn Leonhard
Probleme dieser Konstellation bereits in den 1840er Jahren klar ansprachen (Mohl 1966,
276-310). Festzuhalten bleibt aber im europäischen Vergleich, daß es über die Kritik hinaus
keine langfristigerfolgreichen Versuche in den deutschen Staaten und seit 1867/71 im Reich
gab, die konstitutionelle in eine parlamentarische Monarchie zu überführen. Unter dieser
Hypothek stand auch noch der Parlamentarismus des späten Kaiserreichs (vgl. Scheuner
1979, 6, 27; Boldt 1975, 260).
Vor dem Hintergrund der Stagnation des innenpolitischen Kurses wandelte sich das
Schlagwort der liberalen Ideen in Deutschland zum Oppositionsetikett, in dessen Zielhorizont sich die Idee einer Staatsbürgergesellschaft mit der aufgeklärt-bildungsbürgerlichen
Konnotation liberaler Gesinnung und individueller Liberalität verbanden. Demgegenüber
schwächte sich nach den Karlsbader Beschlüssen und dem Übergang zur innenpolitischen
Verfolgung angeblicher Demagogen etwa an Universitäten zu Beginn der 1820er Jahre das
Vertrauen in die Liberalitdt der Regierung immer mehr ab; der Vertrauensvorsprung des
Reformstaates bei den zumal bildungsbürgerlichen Eliten, wie er in Preußen nach 1806
und in den Rheinbundstaaten erkannbar geworden war, schmolz. Auch diese Erfahrungen
verdichteten sich innerhalb des politischen Vokabulars der 1820er Jahre im ideologischen
RichtungsbegriffLiberalismus (Leonhard 1998).
In Italien, vor allem in Piemont und im Königreich Neapel, ging die Berufung auf die
idee liberali mit dem publizistischen Kampf gegen die habsburgische und bourbonische
Fremdherrschaft und für konstitutionelle Fortschritte einher. Allerdings dominierten hier
länger als in Deutschland die direkten Übersetzungen französischer Begriffsbestimmungen.
Entsprechend phasenverschoben setzte sich der Bewegungsbegriffliberalismo breitenwirksam
erst nach 1830 durch. Für die katholische Kirche stellten die idee liberali eine fundamentale
Gefährdung der überkommenen politisch-sozialen Ordnung dar. Der das ganze 19. Jahrhundert dominierende Gegensatz zwischen cattolicismo und liberalismo wurde bereits in der
katholischen Frontstellung gegen die idee liberali antizipiert (Leonhard 2000).
Im Gegensatz zur unmittelbaren Rezeption der idées libérales in Deutschland und Italien,
die aus dem direkten Export des Schlagworts in der napoleonisch -imperialen Herrschaftspropaganda und ihrer phasenverschobenen Übersetzung und Adaption resultierte, stand die
indirekte Rezeption in England. Hier dominierte bis in die 1820er Jahre der spanische und
französische Bezug des Adjektivs liberal, das nicht allein für die Tories einen kontinentalunenglischen Ton behielt und, in polemischer Zuspitzung, als revolutionär-jakobinisches
Verdikt zur Denunziation der reformorientierten Kräfte des politischen Gegners eingesetzt
werden konnte. Für englische Beobachter blieben insofern auch die libéraux in erster Linie
Profiteure aller revolutionären Veränderungen seit 1789, ohne daß man hier zwischen Gegnern und Anhängern der radikalen Revolution unterschied. Die Verwendung des Wortfeldes
in der ausländischen Schreibweise unterstrich noch den unenglischen Charakter von liberal.
Erst mit der allmählichen Übernahme von liberal durch die reformbereiten Whigs der
Edinburgh Review löste sich das Revolutionsattribut von seinem negativen kontinentalen
Ursprungszusammenhang und konnte nunmehr auch für die Kennzeichnung innerenglischer Reformansätze und -strategien herangezogen werden. Die für England spezifisch
verschobene Sattelzeit von liberal, in der das Etikett deutlich später und zurückhaltender
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
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als in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften Eingang in die politischen Diskurse fand,
reflektierte zugleich die Persistenz eines von den tradierten politischen Etiketten whig, tory,
und radicalgeprägten Vokabulars. Deren semantische Persistenz schirmte den politischen
Diskurs länger als in Deutschland und Italien vom Transferimpuls der französischen Begriffsbildung ab (Leonhard 2002).
Die europäischen Ursprünge und Wege von liberal dokumentieren schließlich auch, wie
die Erfahrungsdeutung und Erfahrungsaneignung durch neue Begriffe als Kennzeichen
einer Krisenphase zu neuartigen Funktionen von Deutungsmustern und ihren diskursiven
Verwendungen führte: Die politische Sprache der Revolution war seit dem Ausgang des
letzten Drittels des 18. Jahrhunderts nicht mehr zu trennen von der Revolution der ideologischen Sprache (Leonhard 1999).
Nur auf einer höheren Ebene zeichnet sich hinter diesen Begriffsgeschichten eine strukturelle Ähnlichkeit ab. Als zeitgenössisches Deutungsmuster bildete der Liberalismus in ganz
unterschiedlichen Zusammenhängen jene Strukturwandlungen, Umbrüche und Krisenerfahrungen ab, die den Prozeß industriell -gewerblichen Wachstums, sozialen und kulturellen
Wandels und politischer Teilhabehoffnungen kennzeichneten. Damit war der Liberalismus
Teil des Spannungsfeldes zwischen Beharrung und Wandel, das die „Doppelrevolution"
seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, die politischen Umbrüche seit 1776 in den
Vereinigten Staaten und ab 1789 in Frankreich, sowie die Umwälzung der traditionellen
Arbeitswelt und Sozialstruktur, prägte. Der neue Begriff machte diese Konfliktpotentiale
in vieler Hinsicht zum ersten Mal kommunizierbar, aber er lieferte keine ideengeschichtlich
sanktionierte und verbindliche Interpretation der Ereignisse von 1789. Vielmehr stellte er
zunächst eine offene Reflexionsfläche dar, auf der sich Zeiterfahrungen und Zukunftserwartungen in ihren Ambivalenzen, Überlagerungen und Ungleichzeitigkeiten abbilden
konnten. Das erklärt die Unterschiede der europäischen Liberalismen, sei es in den historischen Begriffen oder in den konkreten Handlungsbedingungen. Erst aus dem Blick auf
die Ergebnisse der Moderne ließ sich retrospektiv eine ideengeschichtliche Kontinuität
des historischen Phänomens Liberalismus im Sinne einer Leitidee Europas formulieren.
Das vermittelte dem Begriff stets viel mehr Klarheit und Verbindlichkeit, als ihm in seiner
Inkubationszeit zukam. Aber der Pluralismus der zeitgenössischen Liberalismen im frühen
19. Jahrhundert läßt sich mit einem solchen Universalbegriffnicht auf den Punkt bringen.
In den Liberalismen bildete sich gerade die Vielfalt Europas und seiner zahlreichen und
ungleichzeitigen Übergänge von der altständischen Lebenswelt zur Moderne ab.
Etwas aber verband diese Übergänge und die sie begleitende Entstehung neuer Ismen.
Es ging um ein grundlegend neues Verhältnis zur Geschichte: Die Auflösung der universell
gedachten Einheit von Staats- und Gesellschaftsverfassung durch die Aufklärung auf theoretischer, durch die Revolutionen auf konkreter Ebene sowie durch den wirtschaftlichen
und sozialen Übergang zum bürgerlichen System der Bedürfnisse nach Hegel erzwang eine
neue Diskussion um die gewünschte Ordnung der Zukunft. Das ließ die Zeitgenossen die
erlebte Geschichte jenseits von Vernunftsoptimismus und Entwicklungskontinuum als
Abfolge tiefgreifender Umbrüche erfahren. Die neuen Ismen standen für eine Verzeitlichung,
mit der man der Geschichte Herr zu werden glaubte: durch Begründung einer organischen
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Jörn Leonhard
Kontinuität im Konservatismus, in der Zuordnung einer innerweltlichen Zukunftsprojektion
für die eigene Gegenwart im Liberalismus, einer Gesellschafts- und Geschichtsutopie im
Kommunismus oder im Versuch, in der Erlösungsbotschaft des Nationalismus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzufügen (Koselleck 1988).
Politisches Handeln in Zeiten und Räumen:
Die Entzauberung der liberalen Modelle
Auch wer das 19. Jahrhundert als das Zeitalter des Liberalismus ansieht, kann nicht übersehen, daß die Präsenz des Liberalismus in Politik, Wirtschaft und Kultur als Zeiterscheinung
keinesfalls bedeutete, daß Liberale auch politisch die Machtzentren dominiert hätten. Gerade auf dieser dritten Grabungsebene wird deutlich, daß Liberale in den unterschiedlichen
europäischen Gesellschaften immer wieder auf ganz unterschiedliche Voraussetzungen
stießen. Während die Epoche der Revolutionen zwischen 1789 und 1848/49 die Unterschiede liberaler Erfahrungen und Erwartungen in Europa dokumentierte, näherten sich
in der Phase der 1860er und 1870er Jahre, nach dem Abschluß der Nationalstaatsbildung
in Italien und Deutschland, die Bedingungen der europäischen Gesellschaften tendenziell
an. Wo Liberale in Paris 1848 wie selbstverständlich die konstitutionelle Monarchie gegen
die Republik mit starker Stellung des Parlaments eintauschten, blieb für deutsche Liberale
die Republik das Synonym für soziale Anarchie und die Revolution der Straße. Ihnen ging
es um Verfassung und Nationsbildung in Kooperation mit reformbereiten Regierungen
(Langewiesche 1983). Aber seit den 1860er Jahren traten nun überall Parlamente, Wahlen
und parteipolitisch organisierte Interessen in den Vordergrund. Mit der Entwicklung eines politischen Massenmarktes ging die energische Organisation politischer, sozialer und
ökonomischer Interessen einher. Auch die neuen Herausforderungen der Politik in Europa
wurden tendenziell ähnlicher: Nach den Konflikten um politische Partizipation und Repräsentation, Verfassungsgebung und Nationalstaat traten nun neue Phänomene wie die
soziale Frage der Industriearbeiter und die Folgen der Urbanisierung in den Vordergrund.
Liberale in Deutschland taten sich mit allen diesen Veränderungen schwerer als Liberale
in anderen europäischen Gesellschaften. Dazu trug das gleichzeitige Nebeneinander von
allgemeinem Wahlrecht auf Reichsebene nach 1871 bei ausbleibender Parlamentarisierung
des neuen Nationalstaates bei (vgl. dazu die Beiträge von Berghahn, S. 377f., 384 und Bauerkämper, S. 490f., 506). Das aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende liberale Leitbild des
Staatsbürgers, das auf aufgeklärter Gesinnung, Bildung und wirtscha ftlicher Unabhängigkeit
beruhte, blieb dabei sozial exklusiv. Nur auf kommunaler Ebene, wo das Wahlrecht eingeschränkt blieb, vermochten sich die Liberalen als politische Kraft so erfolgreich zu halten, daß
sie politikgestaltend wirken konnten. Die Monopolstellung, die den deutschen Liberalismus
in seiner Funktion als Kern der Nationalbewegung ausgezeichnet hatte und ihm die über
den Parteien stehende Rolle einer politischen Garantiemacht der Nationalstaatsgründung
eingebracht hatte, konnten Liberale in Deutschland spätestens nach 1880 nicht bewahren.
Denn im Gegensatz zu Italien, wo der Katholizismus in Opposition zum Nationalstaat
verharrte und im Kontrast zu Spanien, wo die katholische Reaktion im 19. Jahrhundert
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
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das Etikett „national"' scheute (vgl. zum Kontext den Beitrag von Carolyn Boyd in diesem
Band), erkannten die von Bismarck zunächst so verfemten „Reichsfeinde" der Katholiken und
Sozialisten das Reich als Handlungsrahmen an — und etablierten sich als politische Parteien
weit erfolgreicher als die Liberalen, die über kein stabiles soziokulturelles Milieu verfügten
und unter der Tendenz zur organisatorischen Spaltung litten (Langewiesche 1988a).
Gerade die konfessionelle Trennlinie bestimmte die Wirkungsmöglichkeiten und Mobilisierungspotentiale von Liberalen in Europa: Während in Deutschland Konservative und
Liberale um die Stimmen der protestantischen Bevölkerungsteile konkurrierten, blieben die
Nonconformisten außerhalb der Anglikanischen Kirche eine der stabilsten Wählerreservoire der Liberalen in Großbritannien. Während in Frankreich bereits die Verfassung von
1814 die konstitutionelle Monarchie eingeführt hatte, markierte die Verfassungsgebung für
viele Liberale in Deutschland, zumal in Preußen, bis 1848/49 einen Erwartungshorizont.
Dennoch stellte sich der Liberalismus in Deutschland nicht allein als Verfassungsbewegung
dar. Es gab auch ein klar artikuliertes Gesellschaftsideal, das in den von traditionalen Gewerbe- und Produktionsstrukturen Teilen Deutschlands von der Idee einer klassenlosen
Bürgergesellschaft geprägt wurde. Der Sozialliberalismus reichte hier von diesen vorindustriellen Vorstellungen bis zum kommunalen Sozialliberalismus vor 1914, auch wenn er auf
einem undemokratischen Wahlrecht gründete (Holl 1986).
Auch die klassische Gleichsetzung von Liberalismus und Bürgertum bedarfim Blick auf
die konkrete Politikgestaltung der Einschränkung. Das Gesellschaftsideal des Liberalismus
war nicht der bourgeois im marxistischen Klassensinne, sondern der citoyen, citizen und
Staatsbürger. Aber mindestens in Deutschland lief dieses Staatsbürgerideal mit der fortschreitenden Industrialisierung Gefahr, zum bloßen Anachronismus zu werden, der nicht länger
schichtenübergreifend integrativ, sondern durchaus klassenbestimmt konfliktverschärfend
wirken konnte. Unter besonderen Bedingungen und bei vorhandener Reformbereitschaft
stand der Liberalismus auch dem Adel offen. Das galt nicht nur für Teile des italienischen
Adelsinder Phase des Risorgimento, für ungarische Magyaren oder den Adel in Polen. Vor
dem Hintergrund ganz anderer Traditionsbindungen, die bis zu den Konflikten zwischen
Krone und Parlament im 17. Jahrhundert reichten, erwuchs in Großbritannien erst in den
1850er und 1860er Jahren aus einem dezidiert aristokratischen Politikverständnis, dem Ideal
der Treuhänderschaft der Whigs für die Freiheitsrechte des englischen Volkes, eine moderne
Parteiorganisation und eine Personalisierungder Politik (Muhs 1988; Kroll 1999). Charismatische Führung wie unter Gladstone, die Integrationskraft eines historisch begründeten
Zweiparteiensystems und die programmatische Öffnung gegenüber der sozialen Frage der
Industriearbeiter sicherten die Präsenz des parteipolitischen Liberalismus in Großbritannien
zumindest bis 1914.
Wer weniger von vermeintlichen westeuropäischen Pionieren des Liberalismus ausgeht,
wird auch auf vorschnelle Urteile über liberale Niedergangs- und Defizitgeschichten in
und Osteuropa verzichten. Das bedeutet keinesfalls den Verzicht auf die ErkenntnisMitelvon Unterschieden: Die besondere Bedeutung von Adel und Bürokratien für die mittelund osteuropäischen Liberalismen und im Falle Spaniens die Rolle von Offizieren für den
Liberalismus bildeten den Entwicklungsunterschied bürgerlicher Gesellschaften in Europa
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Jörn Leonhard
ab. Aber über das, was Liberale konkret bewirken konnten, sagt das allein wenig aus. Vom
Bild eines machtvollen Liberalismus, eines selbstbewußten Bürgertums in Westeuropa sowie
einem schwachen Bürgertum und einem niedergehenden Liberalismus in Deutschland
wird man Abschied nehmen müssen. Wo die Grenzen des parteipolitischen Liberalismus
in Deutschland auf Reichsebene deutlich wurden, blieb der kommunale Liberalismus ein
geschützter Handlungsraum mit enormen Modernisierungspotentialen (Palmowski 1999).
Die erfolgreiche Revolution des liberalen Bürgertums mußte kein politischer Umsturz sein,
sondern konzentrierte sich auf die wirtschaftliche und kulturelle Fortentwicklung Deutschlands zu einem Laboratorium der Moderne. Selbst innerhalb einer Gesellschaft überwog der
Plural der Handlungsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten, und ohne weiteres
lassen sich diese Liberalismen nicht gegeneinander aufrechnen.
Historische Strahlungskraft und politischer Funktionsverlust:
Die perspektivische Einheit des europäischen Liberalismus
Mit Recht 1äßt sich argumentieren, daß die historischen Forderungen der Liberalen des
19. Jahrhunderts im parlamentarischen Verfassungs- und Rechtsstaat am Beginn des 21.
Jahrhunderts weitgehend erfüllt worden sind. Nichts dokumentiert die dialektische Aufhebung des Begriffes besser als die paradox anmutende Parallelität vom Triumph liberaler
Prinzipien bei gleichzeitigem Bedeutungs- und Funktionsverlust liberaler Par-teien in Europa, die den Ausweis ihrer Identität nicht länger im Etikett liberal suchen. Den Begriff
Liberalismus gegen seine vielfach gebrochene und heute weitgehend aufgehobene Bedeutungsgeschichte zu kehren, heißt, ihm eine semantische Integrationskraft zuzuweisen, die
er längst nicht mehr besitzt. Wenigstens ein Teil des verbreiteten Unbehagens gegenüber
dem Begrifferklärt sich aus der vorhandenen Strahlungskraft historischer Bedeutungsebenen. Archäologische Begriffe besitzen ein reiches Reservoir semantischer Historizität, aber
ihre Tiefendimension begrenzt auch die Erschließung neuer Bedeutungshorizonte. Die
Karriere neuer Begriffe wie Kommunitarismus oder Zivilgesellschaft mag in diese Richtung
deuten, obgleich in ihnen ältere Erfahrungsgehalte und Positionsbestimmungen weiterwirken (Hildermeier 2000; Bauerkämper 2003).
Die Einheit des europäischen Liberalismus hängt immer von der jeweiligen Perspektive
und der historischen Grabungstiefe ab: In der Abgrenzung gegenüber dem europäischen
Westen, in der Sicht auf überzeitliche Ideen oder im Versuch der Legitimation des demokratischen Westens als historischer Gegenpol zu Faschismus und Kommunismus bot der
Liberalismus immer wieder willkommene Projektionsflächen. Sie verrieten viel über die
Erwartungen derjenigen, die sich der positiven und kritischen Definition sicher waren, aber
wenig über den Gehalt des Liberalismus als historisches Phänomen. Jenseits davon wird
man in den europäischen Liberalismen eher ein Abbild der ungleichzeitigen Geschichten
Europas sehen.
Zur Semantik gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit
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Quellen
[Aretin, Johann Christoph Freiherr von] Was hegt Liberal? Zum Theil mit Benützung eines französischen Aufsatzes in dem Nouvellistefrancais, in: Neue Allemannia 1, 1816, 163-175.
Dostojewski Fjodor M.: Der Idiot, München, 1954.
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