LIBERALISMUS NEU ERFINDEN 60 JAHRE FDP Am 10. und 11. Dezember 1948 wurde die FDP in Heppenheim an der Bergstraße gegründet. Selbstverständlich jedoch war das nicht, dass nach dem Nationalsozialismus wieder eine liberale Partei entstand. Aus der Weimarer Republik mit ihrer von großen Liberalen parlamentarisch geprägten Verfassung war ein diktatorischer und verbrecherischer „Führer“-Staat hervorgegangen. Noch in dieser Republik hatten die Liberalen sich nicht untereinander einigen können und gingen mit der DDP Walter Rathenaus und der DVP Gustav Stresemanns parteipolitisch verschiedene Wege. Wirtschaftspolitisch hatte die Marktwirtschaft die in weiten Teilen Europas aufkommende Massenarbeitslosigkeit nicht aufhalten können. Die zu Beginn der Republik so stolze Demokratische Partei DDP hatte sich am Ende anpasslerisch in „Staatspartei“ umbenannt. Am Ende 1933 saßen nur noch 5 Liberale – unter ihnen Theodor Heuss und Reinhold Maier – im Reichstag. Ganz im Gegensatz zum Sozialdemokraten Otto Wels und seiner Fraktion stimmten diese 5 am 24. März 1933 dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ zu, dem Ermächtigungsgesetz für die Diktatur also. Liberale ermöglichten unter anderem, dass Gesetze von der Regierung statt vom Parlament erlassen werden. Welch ein Verrat an der eigenen Weltsicht! „Geholfen“ hatte das nicht. Vom nationalsozialistischen Terror wurden auch diese Liberalen aus der Politik vertrieben. So schien vielen „Bürgerlichen“ der Liberalismus nach 1945 diskreditiert. Als parteipolitische Innovation entstand mit der Union der CDU/CSU eine Sammlungsbewegung jenseits der SPD, die alle „bürgerlichen“ Kräfte – auch die des Liberalismus – binden wollte. Und einstige Liberale wie Ernst Lemmer schlossen sich dieser Sammlung an. Wollte der Liberalismus nach 1945 überhaupt politische Mitwirkung beanspruchen, musste er sich neu erfinden. Im Ernst konnte niemand mehr für die reine Marktwirtschaft sein nach dem Prinzip „Laissez faire, laissez aller: Lassen Sie machen, lassen Sie laufen“. Da jedoch hatten sie schon in Freiburg im Breisgau den Ordoliberalismus erfunden, bei dem der Staat der Wirtschaft Rahmenbedingen setzen müsse: Schutz der individuellen Freiheit und vollständige Konkurrenz. Staatliche Wirtschaftspolitik habe die Aufgabe, allgemeinen Wettbewerb bei vollständiger Konkurrenz zu schaffen, Freiheit zu sichern, Markttransparenz herzustellen, Kartelle oder Oligopole zu vermeiden. Ludwig Erhard, der persönlich liberale „Vater des Wirtschaftswunders“ bediente sich dieser Lehre. Organisatorisch jedoch hielt er es mit der CDU- wegen der guten Karrierechancen. 1 Bei der neuen Partei jedoch sollte „liberal“ nicht einmal im Parteinamen auftauchen. „Liberal“ stünde für ewigen Streit und Schwäche und sei daher nicht zeitgemäß, befand die Mehrheit der Delegierten in Heppenheim. Sie entschied sich mit 64:25 für „Freie Demokratische Partei“ anstelle von „Liberal Demokratische Partei“, was die Hessen favorisiert hatten. Theodor Heuss, der erste Vorsitzende, hatte sich für das Wort „Freiheit“ im Parteinamen eingesetzt: „…es sind hier Menschen, Männer und Frauen zusammengekommen, die von dem und in dem Glauben an die Freiheit des Menschen leben“. Aber der „Glauben an die Freiheit“ war es nicht allein, was bewirkte, dass sich die FDP trotz der Diskreditierung des Liberalismus nach 1945 neben der Union konstituierte und bis heute durchhielt. Hinter den Buchstaben „FDP“ versammelten sich solche, die a) grundsätzlich nicht zur SPD wollten und b) sich aber auch nicht der neuen christdemokratischen Union anschließen wollten, weil diese ihnen zu konfessionell, zu wenig national und nicht marktwirtschaftlich genug erschien. Heute spielen solche Bezüge keine Rolle mehr. Der Einfluss der Konfessionen auf die Politik ist dahin geschmolzen, seit der Wiedervereinigung ist die nationale Frage geklärt, und trotz aller Krisen steht auch die Union zur Marktwirtschaft, wenn auch mit dem Beiwort „sozial“. Dass die FDP aber als einzige Kleinpartei aus der Gründerzeit der Bundesrepublik überleben konnte, hängt vor allem damit zusammen, dass es nach 1945 erstmals in der deutschen Geschichte gelungen war, die verschiedenen Strömungen des Liberalismus in einer Partei zu institutionalisieren. Dass Spaltungen dem gesamten liberalen Projekt schaden, hatte man in den 50er Jahren gelernt, als eine sich „Freie Volkspartei“ (FVP) nennende Abspaltung von den Wählern zur Splitterpartei degradiert wurde und die Mutterpartei zugleich schwächte. Mittlerweile ist das Wort „liberal“ wieder hoffähig geworden. Die Partei wirbt mit „FDP – Die Liberalen“. Das ist anmaßend, denn nicht alle FDP-Mitglieder sind „Liberale“, und zugleich gibt es auch außerhalb der FDP Menschen, die „Liberale“ sind. So bleibt die Frage, ob der Liberalismus noch die bindende politische Philosophie der FDP ist. Die Partei selber ist sich da nicht sicher. 2002 stellte sie mit dem „Projekt 18“ das reine Existenzinteresse der Parteiorganisation heraus – und scheiterte. 2005 versuchte sie sich wieder einmal wie schon in der „Ära Kohl“ als Funktionspartei und Mehrheitsbeschafferin für die CDU/CSU. Damit scheiterte sie ebenfalls. Seitdem bemüht sich die Partei um aktuelle eine Definition des politischen Liberalismus. Viel wird seitdem von Umweltschutz, Menschenrechten und sozialer Verantwortung gesprochen. Aber über nur intern relevante Parteitagsbeschlüsse kommt das nicht hinaus. In der 2 Öffentlichkeit wird die FDP überwiegend als Interessenpartei der Marktwirtschaft und der Etablierten gesehen. So lange wie sie eine Koalition mit der Union anpeilt und nichts anderes, wird das so bleiben. Mittlerweile von der FDP eigentlich wieder gewollte Ziele liberaler Politik wie soziale Gerechtigkeit oder Einhaltung von Bürger- und Menschenrechten aber werden im nationalen Rahmen nicht mehr erreicht. In der globalisierten Welt lassen diese Ziele sich nur international durchsetzen. 60 Jahre nach ihrer Gründung sollte die FDP, die sich schon lange nicht mehr scheut, das Wort „liberal“ in den Mund zu nehmen, ihre Programmatik global ausrichten. Politisch wäre eine solche Ausrichtung klüger als die an einer anderen Partei. Auch jenseits der Union könnte das Perspektiven öffnen. Ist die Globalisierung zugleich das Ende des Liberalismus? Eher scheint es, dass Probleme der globalisierten Welt wie zunehmende Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen mit auf menschlicher Vernunft fußenden fortschreitende liberalen Ideen international gelöst werden können. Die Liberalen von heute müssen dazu etwas leisten, was sie in Deutschland nach 1945 schon einmal geleistet haben: den Liberalismus neu erfinden nun überstaatlich orientiert. Der deutschen FDP könnte das helfen, aus ihrer Ecke als ausschließlich an der CDU/CSU orientiertes Mauerblümchen heraus zu kommen. JÜRGEN DITTBERNER 3