ZIP - FreiDok plus

Werbung
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Theologische Fakultät
Lehrstuhl für Pastoraltheologie
Farbklang und Geblendetsein in der Begegnung mit dem
eucharistischen Herrn
Die Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement von Olivier Messiaen als
Beitrag zu einer Erneuerung und Vertiefung der eucharistischen
Gebetspraxis
Diplomarbeit
Verfasst von Dorothee Brunner
Eingereicht bei Herrn Prof. Dr. Hubert Windisch
Betreut von Frau Dr. Michaela Christine Hastetter
Freiburg im Breisgau, Juli 2009
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ................................................................................................................................ 3
2
Vorbemerkungen ..................................................................................................................... 4
2.1
Vorgehensweise in dieser Arbeit ...................................................................................... 4
2.1.1
Leitfragen und Aufbau .............................................................................................. 4
2.1.2
Literaturlage .............................................................................................................. 5
2.2
Die Bedeutung der Musik Messiaens für die Pastoral ...................................................... 7
2.2.1
Ein Brückenschlag von der Musik zur Pastoral ........................................................ 7
2.2.1.1
Pastorale Grunddimensionen der Musik Messiaens .......................................... 7
2.2.1.2. Die Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement als Impulsgeber für die
eucharistische Gebetspraxis .............................................................................................. 10
2.2.2
Ein Brückenschlag von der Pastoral zur Musik ...................................................... 12
2.2.2.1
Der Zusammenhang von Glaube und Sakrament als Herausforderung der
Sakramentepastoral ........................................................................................................... 12
2.2.2.2
Die Notwendigkeit einer weiterführenden Eucharistiekatechese angesichts der
Würde und Bedeutung des Sakramentes ........................................................................... 15
3
Messiaens eucharistische Spiritualität und deren Ausdruck in der Musik ............................ 19
3.1
Messiaens persönlicher Zugang zu den christlichen Glaubenswahrheiten und dem
Mysterium der Eucharistie ........................................................................................................ 19
3.1.1
Der Glaube Messiaens und seine außertheologischen Prägungen .......................... 19
3.1.2
Messiaens hohes theologisches Reflexionsniveau .................................................. 21
3.1.2.1
Messiaens theologischer Anspruch an seine Werke ........................................ 21
3.1.2.2
Theologische Quellen und Prägungen ............................................................. 23
3.1.3
3.2
Die Bedeutung der Eucharistie für Messiaen .......................................................... 27
Grundsätzliches zu Messiaens musikalischer Umsetzung seiner Begegnung mit dem
eucharistischen Herrn ................................................................................................................ 28
3.2.1
Überblick über Messiaens Werke zur Eucharistie .................................................. 28
3.2.2
Aspekte von Messiaens Musiksprache und deren Bedeutung ................................ 29
3.3
Das Livre du Saint Sacrement ........................................................................................ 37
3.3.1
Entstehung ............................................................................................................... 37
3.3.2
Aufbau und theologische Hauptaussagen ............................................................... 39
3.3.3
Einordnung der Gebetssätze .................................................................................... 43
1
3.4
Das Gebet vor der Kommunion ...................................................................................... 45
3.4.1
Die musikalische Gestalt ......................................................................................... 45
3.4.2
Der theologische und spirituelle Gehalt .................................................................. 52
3.4.2.1
Die gregorianischen Zitate als Bedeutungsträger ............................................ 52
3.4.2.2
Die Akkordbewegungen als Gesten der Verneigung, der kontemplativen
Versenkung und des Licht-Werdens ................................................................................. 57
3.4.2.3
3.5
4
Zusammenfassung des spirituellen und theologischen Gehalts ....................... 61
Das Gebet nach der Kommunion.................................................................................... 64
3.5.1
Die musikalische Gestalt ......................................................................................... 64
3.5.2
Der theologischer Gehalt ......................................................................................... 68
3.5.2.1
Mystischer Liebesdialog .................................................................................. 68
3.5.2.2
Blendung durch die göttliche Wahrheit und Liebe .......................................... 74
3.5.2.3
Zusammenfassung des spirituellen und theologischen Gehalts ....................... 82
Der Beitrag der Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement in Hinblick auf die
Sakramentenpastoral ..................................................................................................................... 83
4.1
Der sprachliche Gehalt der Gebete vor und nach der Kommunion ................................ 83
4.1.1
Historische und gegenwärtige Ausprägungen eucharistischer Spiritualität ............ 83
4.1.2
Das Gebet vor der Kommunion .............................................................................. 86
4.1.3
Das Gebet nach der Kommunion ............................................................................ 89
4.2
Die musikalische Gestalt der Gebete vor und nach der Kommunion............................. 91
4.2.1
Wesen und Wirkung der Musik in religiöser Hinsicht ............................................ 91
4.2.2
Die Musik der Gebetssätze als mystagogisches Medium ....................................... 94
4.3
Anregungen zur praktischen Umsetzung in der Sakramentenpastoral ........................... 99
4.3.1
Vorstellung eines in Wien durchgeführten Konzepts ............................................. 99
4.3.2
Konzept 1: Katechetische Reihe zum Thema „Eucharistische Spiritualität“ ........ 100
4.3.3
Konzept 2: Integration der Gebetssätze in eine liturgische Feiergestalt ............... 102
4.3.3.1
Integration der Gebetssätze in eine Eucharistiefeier ...................................... 102
4.3.3.2
Integration der Gebetssätze in eine Gebetszeit bei der Ewigen Anbetung .... 103
5
Schluss ................................................................................................................................. 106
6
Literaturliste ........................................................................................................................ 109
7
Anhang ................................................................................................................................ 122
8
Danksagung ......................................................................................................................... 129
2
1 Einleitung
Olivier Messiaen (1908-1992), Komponist, Organist und Pädagoge, zählt zweifelsohne zu den
prägenden Gestalten der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Durch die Entwicklung der
sieben Modi mit begrenzter Transponierbarkeit und der unumkehrbaren Rhythmen, durch die
Ausprägung seiner unverwechselbaren Klangsprache, die Vogelgesänge gleichermaßen integriert
wie gregorianische Gesänge, indische Rhythmen (Dêci-talas) und griechische Versmaße, nicht
zuletzt als Wegbereiter des Serialismus hat sich Messiaen einen Namen gemacht. Wodurch sich
die Musik Messiaens jedoch in besonderer Weise auszeichnet und sie nebenbei in das Interesse
der Pastoraltheologie treten lässt, ist ihr völliger Ein-klang mit der christlichen Glaubensbotschaft. Die „theologischen Wahrheiten des katholischen Glaubens ins Licht zu rücken“ – dies
bezeichnete Messiaen selbst als den „wichtigsten Aspekt“ seines Werkes, als den „vornehmsten,
ohne Zweifel den nützlichsten, den gültigsten, den einzigen vielleicht“, den er bei seinem Tod
„nicht bereuen werde“1. Inhaltlich kreisen seine Werke um die zentralen christlichen Glaubensgeheimnisse, um Inkarnation, Eucharistie, Verklärung und Auferstehung, ewiges Leben und
Trinität. In seinem Œuvre sind theologisches Gedankengut und musikalische Ausdrucksform
untrennbar miteinander verwoben und zu einer klanglichen Einheit verschmolzen. Ihre
Authentizität bekommt die Musik durch die Spiritualität und das lebendige Glaubensleben
Messiaens, das er durch umfangreiche theologische Lektüre vertiefte. Als ein „von der
Unendlichkeit Gottes geblendeter Glaubender“2 ging es ihm in seinem Musikschaffen darum,
seinem persönlichen Geblendetsein und Angerührtsein vom göttlichen Mysterium Ausdruck zu
verleihen, das Unaussprechliche durch Klänge und Klangfarben hörbar und erlebbar zu machen
und den Hörer ebenso zu blenden und in Beziehung mit dem Göttlichen zu bringen. Gerade das
Mysterium und Sakrament der Eucharistie, dem sich Messiaen angefangen von seinen ersten
veröffentlichten Kompositionen bis hin zu seinem letzten Orgelwerk, dem Livre du Saint
Sacrement widmete, nahm im Leben und Wirken Messiaens eine zentrale Stellung ein.
Angesichts des schleichenden Bedeutungsverlustes der Eucharistie und des christlichen
Glaubens in der heutigen Zeit stellt sich die Frage, ob die Musik Messiaens in ihrem Zeugniswert und ihrem völligen Durchdrungensein vom katholischen Glauben ein Medium sein könnte,
den Menschen neu an den Glauben und an das Sakrament der Eucharistie heranzuführen und ihm
Impulse für seine eigene Spiritualität zu geben.
1
Messiaen, Olivier, in: Samuel, Claude, Nouveaux Entretiens – Neue Gespräche, in: Schlee, Thomas Daniel /
Kämper, Dietrich (Hg.), Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des
französischen Komponisten, Köln 1998, 37-48, hier 37.
2
Samuel, Claude, Olivier Messiaen – Eine Würdigung, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich (Hg.), Olivier
Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten,
Köln 1998, 8-11, hier 11.
3
2 Vorbemerkungen
2.1 Vorgehensweise in dieser Arbeit
2.1.1 Leitfragen und Aufbau
Die vorliegende Arbeit möchte den Versuch eines Brückenschlags zwischen den Bereichen
Pastoraltheologie und Musik unternehmen. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie bei einer Problemanzeige der Pastoraltheologie, nämlich der offenbaren Schieflage zwischen der unermesslichen
Bedeutung der Eucharistie als der „Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“
(LG 11) einerseits und einem verkürzten Verständnis dieses Sakramentes und einer empirisch zu
beobachtenden routinierten, abgeflachten Kommunionpraxis andererseits. Die Sakramentenpastoral steht vor der Herausforderung, die Bedeutung und den Gehalt dieses Sakramentes den
Gläubigen wieder nahezubringen, ihnen einen eigenen (erfahrungsbezogenen) Zugang zum
Mysterium der Eucharistie zu eröffnen und die Entfaltung einer eucharistischen Spiritualität und
Gebetspraxis anzuregen. Als eine wegweisende Möglichkeit, dieses Anliegen der Sakramentenpastoral aufzugreifen und zu verwirklichen, soll in dieser Arbeit das Medium der Musik
vorgestellt werden. Aus aktuellem Anlass – dem vergangenen Jubiläumsjahr des französischen
Komponisten Olivier Messiaen (1908-1992) – wird das Hauptgewicht auf der Erschließung
seines Livre du Saint Sacrement3 (1985) liegen, das sich auf musikalische Weise dem Sakrament
der Eucharistie annähert und als sein letztes Orgelwerk gleichsam die „Synthese des musikalischen und theologischen Denkens Messiaens“4 darstellt. Im begrenzten Rahmen dieser Arbeit
sollen zwei Sätze aus dem Livre du Saint Sacrement, „Prière avant la communion“ (XIV.) und
„Prière après la communion“ (XVI.), die als Gebete vor und nach dem Kommunionempfang eng
an den liturgischen Vollzug angelehnt sind, auf die darin zum Ausdruck kommende Spiritualität
und das zugrunde liegende Eucharistieverständnis befragt werden. Querverweise inhaltlicher wie
musikalischer Art zur „Première communion de la Vierge“, dem XI. Satz aus Messiaens
früherem Klavierzyklus Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus (1944), sollen diesen Blick vertiefen.
Es gilt, die Gebetssätze des Livre, die vom tiefen Glauben und der Spiritualität Messiaens
durchdrungen sind, als verdichtete, konzentrierte, gleichsam zu Klängen geronnene Form des
persönlichen Gebets Messiaens zum eucharistischen Herrn zu fassen, das durch die Musik auf
eine andere, den Hörer zum Mitvollzug einladende Aussageebene gehoben wird. Nach einer
3
In Übereinstimmung mit der einschlägigen Sekundärliteratur wird im Folgenden für das Werk Livre du Saint
Sacrement trotz des maskulinen Genus von „livre“ in der französischen Sprache der sächliche deutsche Artikel
gebraucht.
4
Piqué i Collado, Jordi A., Livre du Saint Sacrement. Eucharistie als Manifestation von Erfahrung und Transzendenz, in: Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze, Musik des Unsichtbaren. Der
Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von Theologie und Musik, St. Ottilien 2008, 104-125,
hier 104.
4
Auseinandersetzung mit Messiaens persönlichem Zugang zum Glauben und dem Mysterium der
Eucharistie soll ausgehend von einer musikalischen Analyse der Versuch unternommen werden,
die Musik als in Töne gesetzte Erfahrung zu entschlüsseln und die in ihr zum Ausdruck
kommenden Aspekte und Qualitäten der eucharistischen Frömmigkeit und Gebetshaltung
Messiaens herauszuarbeiten. Diese Arbeit kann keinen Anspruch auf musiktheoretische
Vollständigkeit erheben, sie ist vielmehr darauf ausgerichtet, in der Musik Erfahrungsdimensionen der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn aufzuzeigen und für die Pastoral fruchtbar zu
machen. So soll in einem letzten Schritt die Brücke wieder zurück zur Sakramentenpastoral
geschlagen werden, indem der Frage nachgegangen wird, inwiefern die Gebetssätze des Livre –
ausgehend von Wesen und Wirkung der Musik als solcher – ein mystagogisches Mittel sein
können, das in der pastoralen Praxis einen Beitrag zu einem vertieften und erneuerten Zugang
zum Mysterium der Eucharistie, zu einer Stärkung des Glaubens und zu einer Verlebendigung
des Gebetslebens der Gläubigen leisten kann. Die Ergebnisse sollen in einem Ausblick
konkretisiert werden, der zwei konkrete Vorschläge für praktische Umsetzung und Indienstnahme der Musik als mystagogisches Medium in der Sakramentenpastoral und -katechese
unterbreitet.
Zusammengefasst können zwei aufeinander aufbauende Leitfragen formuliert werden, die den
Aufbau und die Zielsetzung dieser Arbeit prägen. Die erste hebt auf die religiöse Symbolik des
musikalischen Vokabulars in den Gebetssätzen des Livre ab: Wie hat Messiaen seine eigene
Erfahrung der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn in der Musik umgesetzt, welche
Aspekte eucharistischer Spiritualität kommen hier vordergründig zum Ausdruck? Die zweite
Frage zielt davon ausgehend auf die pastorale Praxis: Welchen Beitrag können die Gebetssätze
des Livre leisten zu einer Hinführung der Gläubigen an das Mysterium der Eucharistie und zur
Erneuerung und Vertiefung der eucharistischen Gebetspraxis?
2.1.2 Literaturlage
Hinsichtlich der Primärquellen, die im Zuge dieser Arbeit Verwendung fanden, ist an erster
Stelle die Partitur des Livre du Saint Sacrement zu nennen, die neben dem Notentext den französischen Einführungstext Messiaens enthält.5 Die Grundlagen seiner kompositorischen Arbeit hat
Messiaen selbst neben Analysen eines Großteils seiner Werke – das Livre du Saint Sacrement
leider ausgenommen – in seiner Technique de mon langage musical6 und in seinem siebenbändigen Lebenswerk, dem Traité de rythme, de couleur et d’ornithologie7 dargelegt. Ferner
5
Vgl. Messiaen, Olivier, Livre du Saint Sacrement pour Orgue, Paris 1989.
Vgl. Messiaen, Olivier, Technique de mon langage musicale, Paris 1944; deutsch: Messiaen, Olivier, Technik
meiner musikalischen Sprache. Übers. von Sieglinde Ahrens, Paris 1966.
7
Vgl. Messiaen, Olivier, Traité de rythme, de couleur et d’ornithologie, Paris 1949-2002.
6
5
liegen wertvolle Quellen mit Aussagen Messiaens aus Podiumsdiskussionen und Gesprächen
vor, die vor allem durch Antoine Goléa8, Claude Samuel9 und Almut Rößler10 zusammengestellt
worden sind.
In Bezug auf die Sekundärliteratur zu Leben und Werk des Komponisten fällt auf, dass die
Beiträge überwiegend im musikwissenschaftlichen Bereich angesiedelt sind und aus dem
französisch- oder englischsprachigen Raum kommen. Eine ausführliche und kaum zu überbietende musikalische und theologische Analyse der Werke Messiaens lieferte Aloyse Michaely mit
seiner Dissertation Die Musik Olivier Messiaens. Untersuchungen zu seinem Gesamtschaffen11.
Zu bedauern ist, dass dieses Studienwerk noch vor dem Tod Olivier Messiaens vollendet wurde,
sodass die letzten Werke, darunter auch das Livre du Saint Sacrement, keine Berücksichtigung
mehr finden konnten. Auch in der Sekundärliteratur zum Orgelschaffen Messiaens wurde das
Livre du Saint Sacrement bislang weitgehend ausgespart.12 Die Auseinandersetzung mit diesem
reichhaltigen Werk wurde mit wenigen Ausnahmen13 erst durch das Jubiläumsjahr 2008
angeregt, in dem zum gesamten Orgelwerk Messiaens Publikationen erschienen, die auch das
Livre du Saint Sacrement thematisieren; hervorgehoben seien die Beiträge von Michael
Heinemann und Harry Halbreich.14 Aus einem Symposion zu Messiaen, das im April 2008 auf
Kloster Banz stattfand, ging ferner ein Tagungsband hervor, in dem sich drei Autoren mit
einzelnen Sätzen und Aspekten des Livre befassen.15 Dennoch ist das Livre eines der am
8
Vgl. Goléa, Antoine, Rencontres avec Olivier Messiaen, Paris 1960.
Vgl. Samuel, Claude, Entretiens avec Messiaen, Paris 1967; ders., Musique et couleur. Nouveaux entretiens, Paris
1986. Letztgenanntes Werk ist teilweise übersetzt in: Samuel, Neue Gespräche.
10
Vgl. Rößler, Almut (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten,
Duisburg 21993.
11
Vgl. Michaely, Aloyse, Die Musik Olivier Messiaens. Untersuchungen zu seinem Gesamtschaffen (HBMW
Sonderband) Hamburg 1987.
12
Vgl. zum Orgelwerk der frühen und mittleren Schaffensperiode Messiaens z.B. Ahrens, Sieglinde / Möller, HansDieter / Rößler, Almut, Das Orgelwerk Messiaens, Duisburg 1976; Ernst, Karin, Der Beitrag Olivier Messiaens zur
Orgelmusik des 20. Jahrhunderts, Freiburg i.Br. 1980; Hohlfeld-Ufer, Ingrid, Die musikalische Sprache Olivier
Messiaens dargestellt an dem Orgelzyklus „Die Pfingstmesse“ – Rößler, Almut, Zur Interpretation der Orgelwerke
Messiaens, Duisburg 1978; Latry, Olivier / Mallié, Loïc, L’œuvre d’orgue d’Olivier Messiaen. Œuvres d’avantguerre, Stuttgart 2008; Milsom, John, Organ Music I, in: Hill, Peter (Hg.), The Messiaen Companion, London /
Boston 1995, 51-71; Waumsley, Stuart, The organ music of Olivier Messiaen, Paris 1975; Milsom, John, Organ
Music I, in: Hill, Peter (Hg.), The Messiaen Companion, London / Boston 1995, 51-71.
13
Vgl. z.B. Weir, Gillian, Organ Music II, in: Hill, Peter (Hg.), The Messiaen Companion, London / Boston 1995,
352-391, zum Livre du Saint Sacrement bes. 379-386.
14
Vgl. Busch, Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der Messe
de la Pentecôte bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008, zum Livre du Saint
Sacrement bes. 153-184; Halbreich, Harry, L’œvre d’Olivier Messiaen, Paris 2008, zum Livre du Saint Sacrement
bes. 298-314.
15
Die Beiträge dieses Symposions wurden in dem Sammelband zusammengefasst: Hastetter, Michaela Christine
(Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze, Musik des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992)
am Schnittpunkt von Theologie und Musik, St. Ottilien 2008. Das Livre du Saint Sacrement wurde in folgenden
Artikeln thematisiert: Piqué i Collado, Jordi A., Livre du Saint Sacrement. Eucharistie als Manifestation von
Erfahrung und Transzendenz, in: Hastetter, Musik des Unsichtbaren, 104-125; Michaely, Aloyse, Der Gang zum
Vater. Die Auferstehungssätze in Messiaens Livre du Saint Sacrement, in: Hastetter, Musik des Unsichtbaren, 156183; Ohly, Christoph, Musik und Recht – eine Verhältnisbestimmung mit Blick auf Person und Werk von Olivier
Messiaen, in: Hastetter, Musik des Unsichtbaren, 221-232, bes. 230-231.
9
6
wenigsten erforschten Werke Messiaens, das in der Sekundärliteratur noch keinen
eigenständigen Platz einnimmt. Die vorliegende Arbeit möchte dieses Versäumnis aufgreifen
und einen Beitrag dazu leisten, in den theologischen und musikalischen Gehalt zweier Sätze
dieses bedeutenden letzten Orgelwerkes Messiaens vorzudringen.
2.2 Die Bedeutung der Musik Messiaens für die Pastoral
Um die Möglichkeit des beabsichtigten Brückenschlages zu begründen, sollen zunächst Berührungspunkte und Schnittmengen zwischen der Musik Messiaens und der Sakramentenpastoral
aufgezeigt werden. In Hinblick auf die Musik Messiaens wird zu fragen sein, ob sie ihrem
Anspruch und ihrem Wesen nach eine solche Öffnung auf die Pastoral hin zulässt oder gar
nahelegt. Von Seiten der Sakramentenpastoral wird zu betrachten sein, ob angesichts der gegenwärtigen Situation die Musik Messiaens eine Möglichkeit darstellen könnte, als unkonventionelles Medium den aktuellen Problemanzeigen zu begegnen und auf „offene Ohren“ zu stoßen.
Um die Ergebnisse dieser Arbeit nicht vorwegzugreifen, sollen an dieser Stelle lediglich Grundlinien aufgezeigt werden, die im Laufe der Arbeit noch vertieft und veranschaulicht werden
sollen.
2.2.1 Ein Brückenschlag von der Musik zur Pastoral
2.2.1.1 Pastorale Grunddimensionen der Musik Messiaens
Es lassen sich vornehmlich drei Dimensionen der Musik Messiaens ausmachen, mit denen diese
in das Interesse der Pastoraltheologie tritt: ihr Wert als lebendiges Glaubenszeugnis, ihr Anliegen
der Verkündigung der christlichen Glaubensbotschaft und ihre sakramentale Wirkung, den
Menschen in Berührung mit dem göttlichen Mysterium zu bringen.
In der Radikalität, mit der Messiaen sein Wirken als Komponist und als Titularorganist der
Pariser Kirche Sainte-Trinité – ein Amt, das er seit seinem 22. Lebensjahr 61 Jahre lang bis zu
seinem Tod ausübte – ganz der „Existenz der katholischen Glaubenswahrheiten“16 verpflichtet
sah, kann man es als lebendiges Glaubenszeugnis lesen. Es spricht die Sprache dessen, der vom
christlichen Glauben völlig durchdrungen ist. So bekannte Messiaen anlässlich der Verleihung
des Erasmus-Preises am 25. Juni 1971 in Amsterdam ganz offen und unverhohlen den Glauben
an den christlichen Gott als Grundlage seines Selbst- und Musikverständnisses: „Was ich
glaube? Das ist schnell gesagt, und alles ist damit gesagt, mit einem Schlag: Ich glaube an
16
Sein Anliegen formulierte Messiaen folgendermaßen: „Der Gedanke, den ich zuallererst ausdrücken möchte und
der der wichtigste ist, weil er über allem anderen steht, ist die Existenz der katholischen Glaubenswahrheiten“
(Messiaen, in: Samuel, Neue Gespräche, 37).
7
Gott.“17 So lässt sich die Musik Messiaens als klingendes Bekenntnis und Ausdruck seines
christlichen Glaubens vernehmen, den er auf ganz individuelle Weise, doch stets in Rückbindung
an die kirchlich-theologische Tradition in Klänge umsetzte. Gleichzeitig wird die Musik
Messiaens belebt und befruchtet von seiner eigenen tiefen Spiritualität und seiner persönlichen
Glaubens- und Gebetserfahrung. Gerade in einer Zeit der abnehmenden kirchlichen Bindung, in
der der Glaube an einen christlichen Gott oftmals als Relikt der Tradition müde belächelt wird,
in der auch musikgeschichtlich andere Entwicklungen im Vordergrund stehen, scheint das
Lebenswerk Messiaens als lebendiges Glaubenszeugnis auf, das sich – trotz nicht ausbleibender
Kritik auch gerade an der Wahl und Darstellungsweise der religiösen Sujets in seinen Kommentaren und Werken – nicht vom Weg abbringen ließ.18
Offensichtlich und greifbar wird sein Anliegen, durch die Musik die christlichen Glaubenswahrheiten auszudrücken, in den Zitaten aus der Heiligen Schrift oder geistlichen Schriften der
Tradition, die er den meisten seiner Sätze und Werke zugrunde legte. Auf diese Zitate ist die
Musik so konstitutiv bezogen, sie ist so untrennbar mit ihnen verbunden, dass sie ohne diese für
Messiaen nicht denkbar wäre: „Diese Zitate sind von größter Bedeutung; ich würde sogar sagen,
wenn das nicht so wäre, dann könnte ich zusammenpacken, dann würde ich keine Musik mehr
machen. Diese Zitate gehören ganz ursprünglich zu den Orgelstücken“19. Die Zitate bilden
gleichsam das inhaltliche Gerüst, das Messiaen mit veranschaulichenden Farben und Klängen
ausschmückte und so für den Hörer greifbar und erfahrbar werden lässt. Wo musikalische
Ausdrucksform und textlicher Gehalt so fundamental aufeinander bezogen sind, gleichsam in
eins zu setzen sind, geschieht Verkündigung der christlichen Inhalte in und durch die Musik.
Diese Verkündigung vollzieht sich nicht nur im Rahmen des Kirchenraumes – nur zwei Werke
Messiaens sind explizit für die Liturgie komponiert20. Vielmehr wendet sie sich dem breiten
Publikum des öffentlichen Konzertraums zu.21 Ähnlich einem gotischen Kirchenfenster, dessen
Figuren und Episoden durch das von außen einstrahlende Licht in ihrer Farbsymbolik sichtbar
17
Messiaen, Olivier, Rede anläßlich der Verleihung des Praemium Erasmianum am 25. Juni 1971 in Amsterdam, in:
Rößler, Almut (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten,
Duisburg 21993, 39-49, hier 40.
18
Gerade die einführenden Werkkommentare Messiaens sind aufgrund ihrer zum Teil kindlich frommen Sprache
und Vorstellungswelt bei vielen Zeitgenossen auf Unverständnis oder Belustigung gestoßen. Eine Zusammenfassung zur Rezeption bietet Choe-Thomas, Chong-Hui, Eine Kunst des modernen Europas? – Vom „Vogelhändler
von Paris“ zur „Jahrhundertfigur“, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich (Hg.), Olivier Messiaen. La Cité
céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten, Köln 1998, 49-61.
19
Messiaen, Praemium Erasmianum, 28.
20
Dies sind die Motette O sacrum convivium und die Pfingstmesse Messe de la Pentecôte.
21
Dazu äußerte sich Messiaen: „Meine vorzügliche Begabung ist es, das Wesentliche der katholischen Liturgie [...]
aus seinem steinernen Gebäude herausgeholt und in andere Gebäude übertragen zu haben, die ganz augenscheinlich
nicht für eine solche Musik vorgesehen sind, die es aber am Ende mit Begeisterung aufgenommen haben“
(Messiaen, in: Samuel, Neue Gespräche, 38).
8
und lebendig werden, bildet die Musik Messiaens gleich einem „Bilder-Katechismus“22 die
Inhalte der christlichen Glaubensbotschaft farbenreich ab. Seine Musik lässt sich als „klingende
Exegese“ vernehmen. Mehr noch: „Diese Musik predigt“23. Vorzeichen dieser Predigt ist die
Freude:24 Der Impetus der lebensbejahenden und hoffnungsfrohen, der christlichen Freude zieht
sich durch all seine Werke. Im Livre du Saint Sacrement gipfelt diese Freude über das
Mysterium der Eucharistie im finalen Höhepunkt, dem letzten Satz („Offrande et Alleluia
final“), wo mittels des von Messiaen entwickelten Tonalphabets, der langage communicable25 im
vierfachen Fortissimo das Wort „Freude“ („la joie“) buchstäblich erschallt. Ebenso eindrücklich
klingt durch das Werk Messiaens die Botschaft von den christlichen Tugenden Glaube,
Hoffnung und Liebe hindurch.26 So entwarf Messiaen auch aus der Erfahrung des eigenen Leids
heraus hoffnungsfrohe Visionen des Reiches Gottes, die vom Glauben durchdrungen sind und
von der unendlichen Liebe Gottes künden; genannt sei exemplarisch das eindrucksvolle Quatuor
pour la fin du temps27. Die seelsorgerlichen Chancen einer solchen Musik, die die christliche
Freude und den Glauben an die christlichen Geheimnisse ausstrahlt und diese missionarisch an
die Menschen von heute weitergeben möchte, die bewusst einen Kontrapunkt setzt zu einer heute
oft erlebten Zersplitterung und Desillusionierung, liegen auf der Hand.
Die Musik Messiaens erschöpft sich jedoch nicht in ihrem darstellerischen Gehalt, sie geht nicht
darin auf, zu verkündigen, sondern wird selbst zum Bindeglied zwischen Mensch und Gott.
„Tatsächlich beschränkt sich das Schaffen Messiaens nicht darauf zu belehren, zu illustrieren, die
Glaubenswahrheiten ,auszuschmücken‘; es ist nicht nur ornamentum. Es ist auch sacramentum, weil
die Klangwelt seiner Musik uns gewissermaßen in Berührung bringt mit der Substanz der erschauten
Mysterien.“28
Durch das Medium der Musik, das dort ansetzt, wo menschliche Sprache und begriffliches
Erfassen an ihre Grenzen kommen, durch die Wahl bestimmter kompositorischer Mittel, die im
22
Messiaen, Olivier, in: Rößler, Almut, Gespräch mit Olivier Messiaen am 23. April 1979 in Paris, in: dies. (Hg.),
Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg 21993, 71-125, hier
68.
23
Schlee, Thomas Daniel, Olivier Messiaen – Musiker der Verkündigung, in: StZ 220 (2002) 723-766, hier 732.
24
Vgl. hierzu auch Kars, Jean-Rodolphe, Olivier Messiaen – ein Musiker der Freude, in: IKaZ 33 (2004) 359-373.
25
Zur Verwendung der langage communicable im Werk Messiaens vgl. Kapitel 3.2 dieser Arbeit, bes. 35-36.
26
So bemerkte Jean-Rodolphe Kars: „Das Werk Olivier Messieans ist Ausdruck einer außergewöhnlichen Botschaft
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe“ (Kars, Jean-Rodolphe, Das Werk Olivier Messiaens und die katholische
Liturgie, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich [Hg.], Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische
Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten, Köln 1998, 12-20, hier 12).
27
Das Quatuor pour la fin du temps komponierte Messiaen während seiner Kriegsgefangenschaft in Görlitz. Die
Besetzung des Quatuor (Klavier, Klarinette, Cello und Geige) ergab sich aus den zur Verfügung stehenden
Instrumenten und Musikern, vgl. zur Entstehung, Aufführung und dem theologischen und musikalischen Gehalt des
Werkes Hill, Peter / Simeone, Nigel, Messiaen, Mainz 2007, 106-113. Hinsichtlich der Komposition der
Klavierzyklen Visions de l’Amen und Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus in den letzten Jahren des Zweiten
Weltkrieges betonte Thomas D. Schlee: „Ungeheuer erscheint die schöpferische Kraft, die er aus gläubiger
Zuversicht dem Grauen der Zeit entgegenstellt.“ Dabei ziehe er sich nicht in eine „heile Welt“ zurück, sondern „es
ist die laut verkündete ,andere‘ Welt, eine Realität, die sich über die andere Realität zu erheben vermag“ (Schlee,
Verkündigung, 733-734).
28
Kars, Liturgie, 14.
9
Hörer einen Zustand des Geblendetsein („l’éblouissement“) bewirken sollen, rührt Messiaen an
das christliche Mysterium. So lassen sich aus der Nähe betrachtet die einzelnen Episoden und
Figuren eines gotischen Kirchenfensters ablesen; aus der Ferne jedoch können die Einzelheiten
nicht mehr auseinanderdividiert werden, sie verschwimmen vielmehr zu einem einzigen farbigen
Gesamteindruck, der den Betrachter blendet, ihn überwältigt.29 Die Musik Messiaens
„kommentiert Glaubenwahrheiten, rührt vermittels des durch sie ausgelösten ,éblouissement‘
aber auch an das Nicht-Sagbare.“30 Auf diese Weise „entsteht Kontakt, Beziehung [...] zu einer
anderen Wirklichkeit, eine so mächtige Beziehung, daß sie unser geheimstes, tiefstes,
persönlichstes ,Ich‘ verwandeln und uns mit einer Wahrheit verschmelzen kann, die höher ist als
all unsere Vernunft.“31 Gerade das Livre als letztes Orgelwerk Messiaens zeugt davon, das
Mysterium der Eucharistie nicht nur zu verkündigen, sondern zu meditieren und die eigene
spirituelle Erfahrung, das Ergriffen- und Geblendetsein in ganz persönlicher Sprache zum
Ausdruck bringen zu wollen. So ist das Livre „am wenigsten als ein ,konzertantes‘ [Werk] zu
begreifen, als es sich insgesamt nicht so sehr dem Hörer zuwendet, sondern, als Akt der
Anbetung, in Wahrheit direkt an den Allerhöchsten gerichtet ist. Diese Musik betet.“32
2.2.1.2.
Die Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement als Impulsgeber für die
eucharistische Gebetspraxis
Es wurde deutlich, dass die Musik Messiaens in ihrer Grundausrichtung Anliegen mit der Pastoraltheologie teilt. Es soll nun aufgezeigt werden, inwiefern gerade die Gebetssätze des Livre du
Saint Sacrement in der Sakramentenpastoral wertvolle Impulse geben könnten.
Zunächst stellen die Gebetssätze des Livre ein persönliches Zeugnis dar. In individueller Musiksprache bringt Messiaen seinen Glauben, sein eigenes Gebet zum eucharistischen Herrn, seine
Haltung der Ehrfurcht, Liebe und mystischen Versenkung zu Gehör. Inwiefern ein solches
spirituelles Zeugnis auch in der gegenwärtigen Pastoral an Strahlkraft gewinnen könnte, soll in
dieser Arbeit noch herausgearbeitet werden. Sodann greift Messiaen in diesen beiden Sätzen die
liturgisch in der Eucharistiefeier verankerten Gebete vor und nach dem Kommunionempfang
auf. Um die pastoralen Chancen dieser klingenden Gebete im musikalischen Sprachgewande
Messiaens in dieser Arbeit aufzuzeigen, sei zunächst ein Blick auf die liturgische Verortung und
den Gehalt der Kommuniongebete in der heutigen Zeit geworfen. Der XIV. Satz des Livre greift
das vom Priester und den Gläubigen gemeinschaftlich gesprochene Gebet vor der Kommunion
29
Vgl. zur Metapher des gotischen Kirchenfensters für die Musik Messianes die Ausführungen in Messiaen, Olivier,
Conférence de Notre Dame vom 4. Dezember 1977, in: Rößler, Almut (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier
Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg 21993, 60-70, bes. 68. Vgl. auch Kapitel 3.2.2 dieser
Arbeit, bes. 30-31.
30
Schlee, Verkündigung, 731.
31
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 67.
32
Schlee, Verkündigung, 737.
10
„Herr, ich bin nicht würdig“ auf, dem die Worte des Hauptmannes aus Mt 8,8 zugrunde liegen.
Dieses liturgische Gebet dient der inneren Vorbereitung, der Bereitmachung der Seele für die
persönliche Begegnung mit dem unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtigen Herrn.
Inhaltlich wird darin Folgendes ausgesagt:33 Nicht nur das sakramentale Kommen des Herrn,
sondern schon ein Wort macht den Kranken – und damit ist jeder Gläubige gemeint – in seiner
Seele gesund. Der Glaube an die Wirkmacht des Wortes, der keines sinnlich wahrnehmbaren
Zeugnisses bedarf, spricht aus der Bitte des Hauptmannes wie aus dem Gebet des Kommunikanten. Die ursprüngliche Semantik des Schriftzitates aus Mt 8,8 wird dabei jedoch in eine
andere Richtung gelenkt: Im Gebet vor der Kommunion wird das Wort des Herrn nicht als
Ersatz für dessen Kommen – wie im Anliegen des Hauptmannes – gläubig erbeten, sondern als
Ereignis vor dem tatsächlich erwarteten sakramentalen Kommen des Herrn, das den Menschen
auf den Empfang vorbereitet und in ihm eine Reinheit der Seele erwirkt, die ihn würdig macht
zur Aufnahme des Herrn. Diesem gemeinsam gesprochenen Gebet geht dem Messbuch zufolge
ein stilles Gebet des Priesters und der Gläubigen voraus.34 Inwieweit diese Praxis des stillen,
individuellen Betens zur Vorbereitung auf den Kommunionempfang jedoch unter den Gottesdienstbesuchern bekannt und verbreitet ist, bleibt zu fragen. An dieser heutigen Leerstelle, an der
in den vergangenen Jahrhunderten ein großer Schatz an Kommuniongebeten lebendig war,
könnte die Sakramentenpastoral mit dem Anliegen der Belebung und Vertiefung der eucharistischen Spiritualität ansetzen. Das Gebet nach der Kommunion lässt als stilles Dankgebet der
Gläubigen Raum für eigene Gestaltung. Als inneres Zwiegespräch mit dem Herrn kann es als frei
oder in geprägter Form gesprochenes oder aber als schlicht mit dem Ohr des Herzens hörendes
Gebet zum Ort der stillen Anbetung und Versenkung in das unergründliche Mysterium der
Gegenwart des Herrn werden. Messiaen legt dem im Livre erklingenden Gebet nach der
Kommunion (XVI. Satz) Worte Bonaventuras zugrunde. Durch eine Analyse der Musiksprache
Messiaens und davon ausgehend der kompositorischen Gestaltung der Gebetssätze des Livre
wird in dieser Arbeit zu eruieren sein, inwiefern in den Sätzen XIV und XVI eine Gebetssprache
vorliegt, die über die verbale Sprache hinausgeht und den hörenden Menschen, der in dieses
klingende Gebet mit hinein genommen wird, anregen kann, sein eigenes Gebetsleben lebendiger
und tiefer zu gestalten. Sowohl das im Rahmen der Liturgie leider oftmals routiniert und eingeschliffen mitgesprochene Gebet vor der Kommunion als auch alte, unbekannte Gebetstexte wie
33
Zu dieser Deutung der Worte des Hauptmannes im Gebet vor der Kommunion vgl. Jungmann, Josef Anton,
Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe. 2. Opfermesse, Freiburg / Basel / Wien
5
1962, 443-444 (im Folgenden abgekürzt mit „Jungmann MS“).
34
„Um den Leib und das Blut Christi fruchtbringend zu empfangen, bereitet sich der Priester in stillem Gebet darauf
vor. Auch die Gläubigen sollen in Stille beten“ (Allgemeine Einführung ins römische Messbuch 56 f, in: Sekretariat
der Deutschen Bischofskonferenz [Hg.], Die Meßfeier. Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis
[Arbeitshilfen 77] Bonn 102004, 7-89, hier 30).
11
die Verse Bonaventuras könnten im Gewand der in Klänge und Farben gesetzten Erfahrung neu
an Strahl- und Aussagekraft gewinnen und damit vom Hörer wieder mit Gehalt und persönlicher
Bedeutung gefüllt werden.
Nicht nur die persönliche Gebetssprache Messiaens, sondern auch die musikalische Erscheinungsweise und Ausdrucksform der beiden Gebetssätze wird auf ihre Eignung als Beitrag zu
einer Erneuerung und Vertiefung der eucharistischen Gebetspraxis in der Sakramentenpastoral
hin zu untersuchen sein. Ihrer Wirkung und ihrem Anliegen nach, den Menschen zu
überwältigen und in Berührung mit dem göttlichen Mysterium zu bringen, erfüllt die Musik
Messiaens die Aufgabe der Mystagogie, die nach Rahner einen notwendigen Bestandteil der
Sakramentepastoral und -katechese35 darstellt. Denn durch die Mystagogie wird der Mensch
nach Rahner36 zu einer eigenen religiösen Erfahrung geführt, aus der heraus sein Glaube
wachsen kann. Der Mensch, der grundlegend auf das ihn transzendierende Geheimnis, auf die
unergründliche Wirklichkeit Gottes bezogen ist, gerät in solchen Grunderfahrungen seines
Lebens „vor das letzte Geheimnis seines Lebens, Gott genannt“37. Die Mystagogie als Ermöglichungsgrund, aber auch Erhellung dieser Erfahrung ist gleichzeitig getragen von der Selbstmitteilung Gottes, von der Gnade Gottes als dem eigentlichen Mystagogen, der sich dem ihn
suchenden Menschen offenbart. Inwiefern die Musiksprache der Gebetssätze als Zeugnis der
Gottesbegegnung Messiaens und als Anrühren an das Mysterium „eine reale Erfahrung dessen,
was man betrachtet“38 erwirkt und so den Menschen an eine persönliche Begegnung mit dem
eucharistischen Herrn heranführen und ihn zur Entfaltung einer eigenen eucharistischen
Spiritualität anzuregen vermag, soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden.
2.2.2 Ein Brückenschlag von der Pastoral zur Musik
2.2.2.1 Der Zusammenhang von Glaube und Sakrament als Herausforderung der
Sakramentepastoral
Ihrem Anspruch und ihrem spirituellen Erfahrungsgehalt nach trifft die Musik Messiaens als
Medium der Verkündigung, als lebendiges Glaubenszeugnis und nicht zuletzt als Mittel, an das
unaussprechliche Geheimnis anzurühren, auf Grundanliegen der Pastoraltheologie. Daher wäre
es nicht abwegig, wenn sich ihrerseits die Pastoraltheologie öffnen würde, im Rahmen ihrer
Möglichkeiten die Musik Messiaens in ihrer Bedeutungsfülle und spirituellen Strahlkraft, in ihrer
unaufdringlichen Art, den Menschen die christliche Botschaft erfahrungshaft nahezubringen,
35
Vgl. den grundlegenden Artikel von Rahner, Karl, Die Notwendigkeit einer neuen Mystagogie, in: HPTh 2/1,
269-271 [Rahner, Karl, Selbstvollzug der Kirche. Bearb. von Karl-Heinz Neufeld (Sämtliche Werke 19) Solothurn /
Düsseldorf 1995, 309-311].
36
Vgl. zum Folgenden den Artikel von Bleistein, Roman, Mystagogie und Religionspädagogik, in: Vorgrimler,
Herbert (Hg.), Wagnis Theologie. Erfahrungen mit der Theologie Karl Rahners, Freiburg 1979, 51-60.
37
Bleistein, Mystagogie, 51.
38
Piqué i Collado, Livre, 109.
12
wertzuschätzen und für das eigene Anliegen dienstbar zu machen. Denn die Sakramentenpastoral
wird zunehmend mit der drängenden Problematik eines schwindenden Glaubens39 der Kirchenmitglieder konfrontiert, welche nicht nur Auswirkungen auf die Besuchszahlen des Gottesdienstes, sondern auch auf die Praxis des Sakramentenempfangs und der Sakramentenspendung
hat. Angesichts des Bedeutungsverlustes des Glaubens sieht sich die Sakramentenpastoral heute
einem tiefgreifenden Wandel gegenüber, der sie vor neue Herausforderungen stellt und veränderte Denkansätze, Methoden und Wege fordert. Im Gegensatz zur jahrhundertelangen Tradition
der sogenannten „Volkskirche“, die sich durch eine flächendeckende Kirchenzugehörigkeit, eine
gesellschaftlich mitgetragene christliche Sozialisation, ein Hineinwachsen der getauften Kinder
in die Kirche und deren Vollzüge und die sakramentale Begleitung durch die Kirche in allen
Lebenssituationen auszeichnete, klafft heute die Spanne hinsichtlich der kirchlichen Verbundenheit und des Glaubenslebens vom aktiven bis hin zum „Taufscheinchristen“ weit auseinander.
Der Glaube, der für den würdigen und fruchtbringenden Sakramentenempfang wesentlich ist,
kann heute nicht mehr als eingeübt und eingelebt vorausgesetzt werden, wodurch ein neues Licht
auf die Gestaltung und die Zulässigkeit der Sakramentenspendung geworfen ist.40 Die heutige
Situation, die von einem Rückgang des Glaubens und einer entsprechenden Lebensform geprägt
ist, stellt die Sakramentenpastoral vor die Herausforderung, einen Mittelweg zu finden zwischen
einem Rigorismus, der die Identität der kirchlichen Handlungen verabsolutiert und den Sakramentenempfang auf einen kleinen Kreis überzeugter Christen einschränkt, und einem Laxismus,
der durch eine Öffnung des Empfängerkreises der Erhabenheit und Würde des Sakramentes nicht
gerecht werden kann.41 So betonen die Deutschen Bischöfe in der Schrift „Sakramentenpastoral
im Wandel“: „Der Zusammenhang von Glaube und Sakrament ist ein Knotenpunkt aller gegenwärtiger Bemühungen um eine Neuorientierung der Sakramentenpastoral.“42 Den untrennbaren
Zusammenhang und die wechselseitige Bezogenheit und Durchdringung von Glaube und
Sakrament hat schon das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution in den Vordergrund gestellt, wo es über die Sakramente heißt: „Den Glauben setzen sie nicht nur voraus,
39
„Zwar gilt noch, daß es in der Gesellschaft Kirche(n) gibt, wohl aber nehmen in der Kirche die Gläubigen und bei
den Gläubigen der christliche Glaube ab“ (Windisch, Hubert, Minima Pastoralia. Orientierungshilfen für die
Seelsorge, Würzburg 2001, 11).
40
So heißt es im Katholischen Erwachsenenkatechismus: „Das Verhältnis von Glaube und Sakrament ist heute eines
der Hauptprobleme der gesamten Pastoral. Denn in unseren Gemeinden haben wir es nicht selten mit Getauften zu
tun, die, soweit man das beurteilen kann, Nicht-Glaubende sind. Das ganze Gefüge der Sakramente, besonders das
Verhältnis von Glaube und Sakramenten gerät damit aus den Fugen“ (Deutsche Bischofskonferenz [Hg.],
Katholischer Erwachsenenkatechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, Kevelaer u.a. 41989, 317-318).
41
Vgl. zu den pastoraltheologischen Schlagwörtern „Rigorismus“ und „Laxismus“ z.B. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (Hg.), Sakramentenpastoral im Wandel. Überlegungen zur gegenwärtigen Praxis der Feier der
Sakramente – am Beispiel von Taufe, Erstkommunion und Firmung (Die deutschen Bischöfe. Pastoral-Kommission
12) Bonn 31996, 5. Hinsichtlich pastoraltheologischer Überlegungen zu dieser Spannung vgl. Windisch, Minima
Pastoralia, 74-75.
42
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sakramentenpastoral im Wandel, 16.
13
sondern durch Wort und Ding nähren sie ihn auch, stärken ihn und zeigen ihn an; deshalb heißen
sie Sakramente des Glaubens“ (SC 59). Es gilt, die Menschen neu an die Feier des Sakramentes
hinzuführen, den für den fruchtbringenden Sakramentenempfang unerlässlichen Glauben zu
beleben und auch die Sakramentenspendung so zu gestalten, dass die Sakramente in ihrem
Symbolgehalt als „Zeichen“ der göttlichen Gnade erkannt und verstanden werden können und
als „Werkzeug“ der göttlichen Gnade im Menschen wirken, seinen Glauben stärken und festigen
und nach außen hin fruchtbar werden lassen. In diesem Sinne führt die Pastoral-Kommission in
„Sakramentenpastoral im Wandel“ hinsichtlich der Neuorientierung der Sakramentenpastoral
aus: „Im Zentrum aller Bemühungen muß die Sorge um Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung stehen. Dazu gehören die persönlich verantwortete, in eigener Erfahrung verwurzelte
Glaubensentscheidung und die Hinführung dahin (Mystagogie, Katechumenat oder katechumenatähnliche Wege), [...] die Feier der Sakramente als Begegnung mit dem Herrn in der Gemeinschaft der Kirche.“43 Diese zentralen Forderungen nach der Ermöglichung, Hinführung und
Deutung einer eigenen Glaubenserfahrung können mit den Worten Karl Rahners bestärkt
werden. Fundament und Ausgangspunkt des Glaubens kann nach Rahner nur die „wirklich echte,
persönliche religiöse Erfahrung“44 sein. Eine „bloße Vermittlung satzhafter, kategorialer
Lehrsätze des christlichen Dogmas“45 sei dagegen kein zielführender Weg zu einer Glaubenserneuerung oder -vertiefung: Diese Lehrsätze müssen vielmehr von einer persönlichen religiösen
Erfahrung begleitet und getragen werden, wenn sie in der heutigen pluralistischen Welt nicht als
„blasse unwirkliche Ideologie, die man auch aufgeben kann, ohne daß sich dadurch im konkreten
Leben etwas ändert“46 wirken sollen. In Hinblick auf eine Erneuerung und Vertiefung des
Glaubens kommt somit mystagogischen Bemühungen eine tragende Rolle zu. Nur so kann der
Weg geebnet werden für eine neue Wertschätzung und Sehnsucht im Menschen nach der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn und für die persönliche Entfaltung eines eucharistischen
Gebetslebens. Inwiefern den Gebetssätzen des Livre unter Berücksichtigung ihrer musikalischen
Erfahrungs- und Erlebnisqualität und ihres spirituellen Zeugnisgehalts als Sprache des Glaubens
das Potenzial zu einer solchen mystagogischen Hinführung, zu einer Förderung des Glaubens, zu
einer persönlichen religiösen Erfahrung und zu einer Einübung einer eucharistischen Gebetspraxis haben und als solche in der Pastoral auch in Dienst genommen werden können, soll in
dieser Arbeit beleuchtet werden.
43
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sakramentenpastoral im Wandel, 15.
Rahner, Mystagogie, 269-270 [Rahner, SW 19, 309].
45
Rahner, Mystagogie, 270 [Rahner, SW 19, 310].
46
Rahner, Mystagogie, 270 [Rahner, SW 19, 310].
44
14
2.2.2.2 Die Notwendigkeit einer weiterführenden Eucharistiekatechese angesichts der
Würde und Bedeutung des Sakramentes
Die Notwendigkeit einer neuen Hinführung der Kirchenmitglieder zum Sakrament und
Mysterium der Eucharistie ergibt sich aus der zentralen Bedeutung, die der Eucharistie unter
allen Sakramenten zukommt. Nach Thomas von Aquin ist die Eucharistie „gleichsam ,die
Vollendungʻ des geistigen Lebens und ,das Ziel aller Sakramenteʻ“47. Denn in der Eucharistie sei
„Christus selbst wesenhaft enthalten“, während in den anderen Sakramenten nur „eine werkzeugliche von Christus mitgeteilte Kraft enthalten“48 sei; ferner schienen „alle anderen
Sakramente […] auf diese hingeordnet zu sein wie auf ihr Ziel“49 und drittens würden „fast alle
Sakramente […] in der Eucharistie abgeschlossen“50. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte
diese herausgehobene Stellung der Eucharistie als „Quelle und [...] Höhepunkt des ganzen
christlichen Lebens“ (LG 11). Die Eucharistie ist die Quelle, aus der heraus die Kirche sich in all
ihren Vollzügen versteht und aus der heraus sie Kraft auf ihrem Weg durch die Zeit schöpft,
gleichzeitig ist die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn als Anteil nehmender Vorausblick
auf das endzeitliche Mahl, als Quelle der Gnaden und des Lebens Höhepunkt im Leben jedes
einzelnen Christen. Papst Johannes Paul II. unterstrich in neuerer Zeit51 die unermessliche
Bedeutung der Eucharistie für die Kirche und das Leben der Gläubigen. So schrieb er in der
Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“52: „Die Kirche lebt von der Eucharistie. Diese Wahrheit
drückt nicht nur eine alltägliche Glaubenswahrheit aus, sondern enthält zusammenfassend den
47
Thomas von Aquin, S. Th. III, q. 73, art. 3 (Thomas von Aquin, Das Geheimnis der Eucharistie [DThA 30]
Salzburg / Leipzig 1938, 11).
48
Thomas von Aquin, S. Th. III, q. 65 art. 3 (Thomas von Aquin, Die Sakramente. Taufe und Firmung [DThA 29]
Salzburg / Leipzig 1935, 141-142).
49
Thomas von Aquin, S. Th. III q. 65 art. 3 (DThA 29, 142).
50
Thomas von Aquin, S. Th. III q. 65 art. 3 (DThA 29, 142).
51
Zur Bedeutung der Eucharistie vgl. aus älterer Zeit die Konzilstexte von Trient (Dekret über die Realpräsenz, DH
1635-1661; Lehre über die Kommunion unter beiderlei Gestalten / Kinderkommunion, DH 1725-1734; Dekret über
das Messopfer, DH 1738-1759); vgl. ferner die folgenden Enzykliken: Leo XIII., Enzyklika Mirae caritatis, in:
Leonis XIII Acta 22 (1903) 115-136; Pius XII., Enzyklika Mediator Dei, in: Acta Apostolicae Sedis (im Folgenden
abgekürzt mit AAS) 39 (1947) 521-595; Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei, in: AAS 57 (1965) 753-774; vgl. auch
die Konzilstexte SC und LG.
52
Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche (VApS
159) Bonn 22003. Vgl. zum folgenden Gedankengang besonders die Einleitung Nr. 1-10. Das Ostergeheimnis –
Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi – wird als das Fundament der Kirche beschrieben. Diese Geschehnisse
des Triduum sacrum seien sakramental schon vorausbedeutet, eingefasst und enthalten in den Worten und
Handlungen des Letzten Abendmahls, mit dem Jesus Christus das Sakrament der Eucharistie eingesetzt habe. Mit
der Gabe der Eucharistie als der verdichteten und „konzentrierten“ Zusammenfassung des Ostergeheimnisses, die in
geheimnisvoller Gleichzeitigkeit die Geschehnisse des Triduum sacrum in jeder Eucharistiefeier gegenwärtig setze,
„übereignete Jesus Christus der Kirche die immerwährende Vergegenwärtigung des Ostermysteriums“ (ebd., Nr. 5).
In der Begegnung mit dem unter den Gestalten von Brot und Wein wirklich gegenwärtigen Herrn werde der
Gläubige selbst hineingenommen in die Geschehnisse von Ostern, er werde eingefasst in die Heilsgeschichte und
den endzeitlichen Erlösungsprozess (vgl. auch SC 2: „In der Liturgie, besonders im heiligen Opfer der Eucharistie,
,vollzieht sich‘ ,das Werk unserer Erlösung‘“). Aus dieser Begegnung, in der sich Gottes Verheißung der Gegenwart
bis ans Ende der Tage erfülle, schöpfe die Kirche ihre Kraft und hoffnungsvolle Zuversicht auf ihrem Weg durch die
Zeit.
15
Kern des Mysteriums der Kirche.“53 Denn die Eucharistie als „die heilbringende Gegenwart Jesu
in der Gemeinschaft der Gläubigen und ihre geistliche Nahrung“ sei „das wertvollste Gut, das
die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte haben kann“54. Als sein besonderes Anliegen
erklärte Johannes Paul II. die Erneuerung der eucharistischen Anbetung. Er legte den Gläubigen
diese Haltung, dem Sakrament der Eucharistie in Würde und Hochachtung zu begegnen, als
wertvolle „Praxis, die das Lehramt wiederholt gelobt und empfohlen hat“55, ans Herz.56 Im Sinne
des Zweiten Vatikanischen Konzils, das das Auseinanderdriften der eucharistischen Spiritualität
in eine Mess-, Kommunion- und Anbetungsfrömmigkeit seit dem Mittelalter zu überwinden
suchte57, stellte Johannes Paul II. die eucharistische Anbetung in den umfassenden Kontext
eucharistischer Spiritualität. Es gelte, das eucharistische Mysterium in seiner Fülle zu leben:
„während der Feier selbst, beim innigen Zwiegespräch mit Jesus nach dem Empfang der
Kommunion, in der Zeit der eucharistischen Anbetung außerhalb der Messe.“58 Die Enzyklika
möchte die Aufmerksamkeit schärfen, die der Eucharistie als dem wichtigsten und lebensspendenden Sakrament zukommen muss, und die Gläubigen ermutigen, die Bedeutung dieses
Sakramentes zu verinnerlichen und in das eigene Glaubens- und Gebetsleben fest zu integrieren.
Sie möchte eine tiefe Freude und ein „großes und dankbares Staunen“59 angesichts der Würde
und des Geheimnisses der Eucharistie wecken.60
Die Enzyklika spricht dabei bewusst in eine Zeit, die – wie bereits dargestellt – in zunehmendem
Maße von einer spirituellen Verarmung und abnehmender kirchlicher Bindung geprägt ist.
53
Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 1.
Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 9.
55
Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 25.
56
Johannes Paul II. beschrieb die Erfahrung der Gegenwart Christi in der eucharistischen Anbetung: „Es ist schön,
bei ihm zu verweilen und wie der Lieblingsjünger, der sich an seine Brust lehnte (vgl. Joh 13, 25), von der
unendlichen Liebe seines Herzens berührt zu werden. Wenn sich das Christentum in unserer Zeit vor allem durch
die ,Kunst des Gebetes‘ auszeichnen soll, wie könnte man dann nicht ein erneuertes Verlangen spüren, lange im
geistlichen Zwiegespräch, in stiller Anbetung, in einer Haltung der Liebe bei Christus zu verweilen, der im
Allerheiligsten gegenwärtig ist? Wie oft, meine lieben Brüder und Schwestern, habe ich diese Erfahrung gemacht,
und daraus Kraft, Trost und Stärkung geschöpft“ (Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 25).
57
„Im Mittelalter hat sich neben der Mitfeier der Messe und dem Kommunionempfang gewissermaßen als dritte
Dimension die Verehrung der aufbewahrten eucharistischen Gaben breit entfaltet. So kann man innerhalb der eucharistischen Frömmigkeit von einer eigenen Anbetungsfrömmigkeit sprechen, einer Kommunionfrömmigkeit und von
Frömmigkeitsübungen (z.B. Messandachten, Messlieder) während der Messe. Die vom Zweiten Vatikanischen
Konzil inspirierte Theologie hat sich bemüht, diese verschiedenen Aspekte [...] wieder zusammenzuführen“
(Weismayer, Josef, Eucharistische Frömmigkeit im Wandel der Zeit, in: Schlosser, Marianne (Hg.), Eucharistie –
Quelle und Höhepunkt des geistlichen Lebens [Edition Cardo 131] Köln 2005, 9-40, hier 10-11). Vgl. zur
Vereinigung eucharistischer Frömmigkeit in der Eucharistiefeier auch die Konzilsaussage: „Das eucharistische
Opfer ist Quelle und Gipfel des gesamten Gottesdienstes der Kirche und des christlichen Lebens“ (LG 11). Zur
Hinordnung aller Formen der Eucharistieverehrung auf den Empfang der eucharistischen Speise vgl. auch Meyer,
Hans Bernhard, Eucharistie. IX. Eucharistieverehrung, in: LThK3 3, 964-965, bes. 965.
58
Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 61.
59
Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 5.
60
Zur Bedeutung der Eucharistie und zu einer entsprechenden Haltung der Gläubigen vgl. auch die
kirchenrechtlichen Aussagen: „Die Gläubigen sind zu größter Wertschätzung der heiligsten Eucharistie gehalten,
indem sie tätigen Anteil an der Feier des erhabensten Opfers nehmen, in tiefer Andacht und häufig dieses Sakrament
empfangen und es mit höchster Anbetung verehren“ (CIC c. 898).
54
16
Zudem zeigen sich im Umgang mit dem heiligen Altarsakrament vielerorts Anzeichen eines
verkürzten Verständnisses von der Bedeutung dieses Sakramentes oder eines eingeschlafenen
geistlichen Lebens. Beobachtet werden kann ein oftmals abgestumpfter, routinierter
Kommunionempfang der Gottesdienstteilnehmer, denen das Bewusstsein von der Größe und
dem Geheimnis, das in der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn liegt, abhanden
gekommen zu sein scheint: „Der Empfang der Kommunion kann zu einer falschen
Selbstverständlichkeit werden, bei der die Ehrfurcht verlorengeht.“61 Der Kommuniongang wird
als im Rahmen des liturgischen Zeremoniells vorgegeben beschritten, ohne sich dessen Tragweite und Sinngehalt bewusst zu machen. Von der Eucharistie als erlebter „Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens“ kann vielerorts kaum mehr die Rede sein. Auch die Vorbereitung
und Besinnung sowie das persönliche Gebet nach der Kommunion müssen in einer solch routinierten oder bedeutungsleer gewordenen Praxis halbherzig ausfallen. Die Verehrungsform der
eucharistischen Anbetung scheint vielerorts außer Mode gekommen zu sein, da Sinn und
Bedeutung dieser Praxis verkannt und auch das persönliche Gebetsleben marginalisiert zu sein
scheint. Auch wenn im monastischen Bereich und der Neuen Geistlichen Bewegung wertvolle
Neuaufbrüche stattfinden, kommen doch in der Gemeindepastoral weitläufig Ansätze der
Erneuerung oder der geistlichen Anleitung zu einem verinnerlichten, intensivierten Gebetsleben
zu kurz. Betrachtet man die gängige Praxis der Sakramentenkatechese, so stellt man fest, dass es
jenseits der Erstkommunionvorbereitung kaum Angebote in Gemeinden gibt, die das eucharistische Geheimnis den Menschen nahebringen, dessen Bedeutung entfalten möchten oder eine
eucharistische Spiritualität im Umgang mit dem Allerheiligsten einüben. Die Erstkommunionvorbereitung62, die im Laufe der Geschichte mehrfache Wandlungen hinsichtlich Ausprägung,
Einbindung und Alter der Kinder durchgemacht hat, wird seit dem Zweiten Vatikanischen
Konzil wieder verbreitet in die Hände von Eltern gelegt und ist inhaltlich auf den Verstehenshorizont und die spirituelle Reife von Kindern im Grundschulalter abgestimmt. Vielfach bleibt
die Auseinandersetzung mit dem Sakrament der Eucharistie beschränkt auf diesen mehrmonatigen Kurs vor der Erstkommunion, weitere Stationen der Hinführung an das Sakrament sind von
Seiten der Gemeinde nicht vorgesehen. Eine elterliche Unterstützung bleibt zudem in vielen
kirchenferneren Familien aus, sodass ein Hineinwachsen in die eucharistische Gemeinschaft, die
61
Emeis, Dieter, Sakramentenkatechese, Freiburg i.Br. 1991, 109.
Exemplarisch genannt seien einige Stationen der Erstkommunionvorbereitung: Von Antike bis ins hohe Mittelalter mystagogische Katechesen und Predigten zur Vertiefung erst nach der Erstkommunion, die an die Taufe
gekoppelt war; seit dem Konzil von Trient Beicht- und Kommunionprüfung der Kinder im „Unterscheidungsalter“
(ca. sieben Jahre) durch den Pfarrer; Einführung der „feierlichen Erstkommunion“ im 18. Jahrhundert und Koppelung mit der Schulentlassfeier zur Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert; Reform der
Eucharistieerziehung unter Pius X.; Erstkommunionvorbereitung ausschließlich durch den Schulunterricht; heute
Integration von Elternarbeit, schulischem Unterricht und Katechese durch die Gemeinde; vgl. Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz, Sakramentenpastoral im Wandel, 42.
62
17
Ausprägung einer persönlichen Beziehung zu Christus und die Entfaltung eines eigenen Gebetslebens nicht stattfinden können. Auch kann eine Katechese, die dem Verstandesniveau von
Grundschulkindern angepasst ist, „immer nur ein erster Zugang zum Geheimnis des Glaubens in
der Eucharistie“63 sein, jedoch keine entfaltete und mit der jeweiligen Lebenssituation in Beziehung gebrachte Hinführung an Bedeutung und Geheimnis des Altarsakramentes darstellen.
Daher stellt sich „[i]mmer dringlicher [...] die Aufgabe der Weiterführung v[on] Kindern u[nd]
Jugendlichen sowie die lebensbegleitende E[ucharistie]-Katechese bei Erwachsenen“64. Eine
solche darf nicht nur darauf abzielen, inhaltliche Klarstellungen und theologische Aussagen über
das Wesen der Eucharistie darzulegen, sondern muss in erster Linie auf einen lebendigen
Mitvollzug der Eucharistiefeier ausgerichtet sein, auf die persönliche Gottesbegegnung und die
Einübung einer eigenen spirituellen Sprache und Haltung. Ihre Aufgabe wäre es, „das
unabschließbare Hineinwachsen von Christen in das Geheimnis der Eucharistie“65 zu begleiten.
Eine weiterführende mystagogische Katechese, die erfahrungshaft in das Wesen der Eucharistie
einleitet, könnte gerade auch bei jungen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen. Das große
Interesse und die Begeisterung zehntausender Jugendlicher an den vergangenen Weltjugendtagen
lassen auf eine zunehmende spirituelle Sehnsucht schließen. Gerade der Weltjungendtag 2005 in
Köln mit seinem Motto „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“ hat gezeigt, dass viele junge
Menschen offen sind für eine Begegnung mit Christus und auch die Form der Anbetung einer
zeitgemäßen Frömmigkeit entsprechen kann. Damit tönt das Livre du Saint Sacrement durchaus
in eine Zeit, die offen ist für Neuaufbrüche und Impulse zur Vertiefung der eucharistischen
Frömmigkeit sucht. Inwiefern die Gebetssätze des Livre dieser Tendenz begegnen und andererseits auch eine eingeschliffene und routinierte Kommunionpraxis neu beseelen könnten, soll
Gegenstand dieser Arbeit sein.
63
Emeis, Sakramentenkatechese, 112.
Emeis, Dieter, Eucharistie. VII. Praktisch-theologisch, in: LThK3 3, 957.
65
Emeis, Sakramentenkatechese, 113.
64
18
3 Messiaens eucharistische Spiritualität und deren Ausdruck in
der Musik
3.1 Messiaens persönlicher Zugang zu den christlichen Glaubenswahrheiten
und dem Mysterium der Eucharistie
3.1.1 Der Glaube Messiaens und seine außertheologischen Prägungen
Der Glaube Messiaens soll insofern eigens thematisiert werden, als er eine stark individuelle
Prägung hat und die Besonderheit seiner Zugangsweise zum Mysterium der Eucharistie
begründet. Gefördert wurde sein Glaube nicht so sehr durch eine religiöse Erziehung – seine
Eltern bezeichnete Messiaen häufig als nichtgläubig.66 Er betonte vielmehr die Gnade, gläubig
geboren zu sein67 und verwies damit auf seine Empfänglichkeit und Begeisterungsfähigkeit für
die Dimension des Geheimnisvollen und Wunderbaren, die ihm zeitlebens eigen war. Genährt
wurde diese Veranlagung des jungen Messiaen durch Eindrücke aus der Natur, insbesondere der
Gebirgslandschaft des Dauphiné.68 Sein kindliches Staunen und Berührtsein von den Wundern
und der Schönheit der Natur lässt sich fortan in den Notizen seiner Reisetagebücher ablesen und
kommt in besonderer Weise in seiner Musik zum Ausdruck.69 Neben der Natur war es in erster
Linie die Welt der Poesie und des Theaters, die seine Faszination für das Wunderbare und auch
seine Affinität zum christlichen Glauben weckten und die durch seine Eltern, die Dichterin
Cécile Sauvage (1883-1927)70 und seinen Vater Pierre Messiaen (1883-1957), einen bedeutenden Shakespeare-Übersetzter, genährt wurden. Neben der Naturpoesie seiner Mutter prägte die
Welt Shakespeares, „nicht nur die menschlichen Leidenschaften, sondern auch die Magie, die
66
Vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 22. Dennoch bestärkten die Eltern ihren Sohn in seinen religiösen Überzeugungen,
vgl. ebd.
67
Vgl. z.B. Samuel, Neue Gespräche, 37 oder Messiaen, Olivier, in: Goléa, Antoine, Messiaen und der Glaube, in:
Melos 25 (1958) 397-399, hier 397.
68
Zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder Alain lebte Messiaen während des ersten Weltkrieges in
Grenoble. In der Gebirgslandschaft des Dauphiné erwachte seine Liebe zur Natur und zur Musik: „Doch ich habe
Grenoble mit seiner wunderschönen Gebirgslandschaft nie vergessen. [...] In Grenoble erkannte ich, dass ich ein
Musiker war“ (Messiaen, zitiert nach: Hill / Simeone, Messiaen, 20). „Ich bin ein Franzose der Berge“ war ein
häufig wiederholter Ausspruch Messiaens, auch zog er Grenoble, wo er aufwuchs, seiner Geburtsstadt Avignon vor:
„Für mich ist meine Geburtsstadt Grenoble. Dort war meine wahre Geburt, so sehe ich die Dinge“ (Massin, Brigitte,
Eine Poetik des Wunderbaren, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich [Hg.], Olivier Messiaen. La Cité céleste –
Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten, Köln 1998, 34-36, hier 34).
69
Als Beispiele seien Messiaens Tagebucheinträge aus den Jahren 1970-1974 und sein Werk Des canyons aux
étoiles angeführt, vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 299-319.
70
Die Gedichte von Cécile Sauvage waren vom Symbolismus beeinflusst und enthielten meist Naturpoesie. Ihre
bekannteste Gedichtsammlung ist L’Âme en bourgeon, die sie während ihrer Schwangerschaft für Olivier schrieb
und die Messiaen sehr in Ehren hielt, vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 18-19. Über das „spirituelle Klima der Poesie“
während seiner Kindheit äußerte sich Messiaen 1931: „Meine Mutter war keine Musikerin und nicht mehr gläubig,
aber durch die Dichtung gelang es ihr, die Geheimnisse des Glaubens in derselben Weise zu erkunden wie durch
Musik. Oft scheint es mir, als sei es meine Mutter, die seit ihrem Tod meine Hand oder meinen Geist führt“
(Messiaen, Olivier, in: Bruyr, José, Olivier Messiaen, in: L’Écran des musiciens, Paris 21933, 124-131; zitiert nach:
Hill / Simeone, Messiaen, 46). Der Einfluss seiner Mutter „erklärt teilsweise die Form, die der Musiker später seinen
dichterischen Gedanken und seinem philosophischen und literarischen Schriften gab“ (Rostand, Claude, Messiaen
erneuert die französische Musik, in: Melos 25 [1958] 393-396, hier 393).
19
Hexen, die Kobolde, die Elfen, die Phantome und Erscheinungen aller Art“71 seine Vorstellungswelt.72 Diese Faszination für das Geheimnisvolle und Übernatürliche, das er in der Poesie fand,
speiste gleichzeitig in ihm die Empfindung für das Heilige und prägte seinen Zugang zu den
christlichen Glaubensmysterien.73 Den Zusammenhang zwischen seiner Begeisterung für
Shakespeare, der Welt des Theaters und seinem christlichen Glauben hob er selbst hervor:
„Es ist sicher, daß ich in den katholischen Glaubenswahrheiten diese Anziehungskraft durch das
Übernatürliche hundert-, ja tausendfach verstärkt wiedergefunden habe, und es handelte sich nicht
mehr um die Fiktion eines Theaterstückes, sondern um etwas Wahres. Ich habe die Wahrheit
gewählt.“74
So zeugt auch seine Musik von dem Anliegen, „das Übernatürliche, das Wunderbare des
Glaubens zum Ausdruck bringen“75 zu wollen. Es ist der Blick und der Sinn für das Wunderbare,
für das dem Alltag Enthobene, die Faszination am Mysterium, die Messiaen in der Welt
Shakespeares kennenlernte und die in seinen Glauben mit hineinspielten, einen Glauben, der
kindlich staunend sich von der Größe des Mysteriums berühren lässt.76 Auch sein Zugang zum
Sakrament der Eucharistie, der im Livre du Saint Sacrement zum Ausdruck kommt, ist – wie
noch zu zeigen sein wird – durch eine ganz persönliche Glaubenshaltung und ein Ergriffensein
vom Mysterium geprägt.
Doch darf nicht übersehen werden, dass dieser kindliche Glaube, von dem seine Kompositionen
nicht zu trennen sind und der in seinen Einführungstexten Niederschlag fand, vielfach auf Irritation, Unverständnis oder Ablehnung gestoßen ist. Gerade durch manche Satztitel und poetischspirituelle Beschreibungen in den Vingt Regards setzte sich Messiaen in seiner „naive[n]
Frömmigkeit“ und „franziskanischen Unschuld schutzlos dem Lächeln manch aufgeklärter Zeitgenossen aus“77, wenn er dort beispielsweise vom „Kuss des Jesuskindes“ (XV.) oder im
Kommentar zum XIX. Satz vom „schlafenden Jesus, der uns in seinem Sonntag liebt und uns das
Vergessen schenkt“78 spricht.79
71
Samuel, Neue Gespräche, 38.
Messiaens Begeisterung für Skakespeare ging so weit, dass er regelmäßig Privataufführungen für seinen kleinen
Bruder Alain spielte, bei denen er alle Rollen selbst deklamierte, vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 21.
73
So äußerte sich Messiaen: „Die Neigung zum Wunderbaren habe ich von jeher verspürt. Seit meiner ersten
Kindheit hat sie Nahrung gefunden in den Dichtungen meiner Mutter […], in den Dramen Shakespeares, die mein
Vater übersetzte. Ihre stärkste Kost fand sie dann ganz natürlich im wirklichen Märchen der Wahrheiten des
katholischen Glaubens“ (Messiaen, in: Goléa, Glaube, 396-397).
74
Samuel, Neue Gespräche, 38.
75
Samuel, Neue Gespräche, 38.
76
Die Grundkonstante des Lebens, Glaubens und des kompositorischen Schaffen Messiaens lässt sich mit Brigitte
Massin zusammenfassen: „Olivier Messiaen lebt im Wunderbaren und für das Wunderbare. Es handelt sich um eine
Anlage, die ihm seit der Kindheit gegeben ist und die erst vollständig zur Entfaltung kam, als er Komponist wurde“
(Massin, Poetik des Wunderbaren, 34).
77
Michaely, Aloyse, Verbum Caro. Die Darstellung des Mysteriums der Inkarnation in Olivier Messiaens Vingt
Regards sur l’Enfant-Jesus, in: Floros, Constantin / Marx, Hans Joachim / Petersen, Peter (Hg.): Programmusik.
Studien zu Begriff und Geschichte einer umstrittenen Gattung (Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 6)
Laaber 1983, 225-345, hier 229.
78
Messiaen, Olivier, Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus pour piano, Paris 1947, IV.
72
20
Eine weitere Konstante des Glaubens Messiaens, die sich in seiner gesamten Lebenshaltung
nachvollziehen lässt, ist die Haltung christlicher Demut. Bezeichnenderweise wählte Messiaen
mit der Orgel gerade das Instrument, das am wenigsten ein Medium zur musikalischen Selbstinszenierung ist, sondern hinter dem der Interpret auf der Empore gleichsam verschwindet. Auch
ließ er sich trotz seines zunehmenden Berühmtheitsgrades nicht davon abhalten, über 60 Jahre
lang in seinem Amt als Titularorganist an der Sainte-Trinité ohne Versäumnisse gleich mehrere
Sonntagsmessen zu spielen. Ein Zeugnis der integeren, bescheidenen und gläubigen Persönlichkeit des erst 22-jährigen Messiaen legte der Komponist, Historiker und früherer Lehrer
Messiaens, Maurice Emmanuel mit den Worten ab:
„Messiaen ist ein bescheidener Mann, der mit seinen Talenten vor anderen nicht prahlt. Wir aber
setzen unsere größten Hoffnungen in ihn. [...] Dieser junge Künstler ist sehr gläubig, und in einer
Umgebung, in der der Glaube kaum eine Rolle spielt, wurden ihm Bewunderung und Respekt
entgegengebracht aufgrund der Ehrenhaftigkeit seiner Lebensführung und der aufrichtigen,
christlichen Wärme seiner Persönlichkeit.“80
3.1.2 Messiaens hohes theologisches Reflexionsniveau
3.1.2.1 Messiaens theologischer Anspruch an seine Werke
Der Glaube Messiaens, der so sehr von der Faszination des Wunderbaren, von der märchenhaften Welt Shakespeares und der Naturpoesie seiner Mutter, aber auch dem Staunen angesichts
der Wunder der Natur geprägt ist, könnte man als kindlich-naives, staunend-überzeugtes
Berührtsein und Durchdrungensein von der Wahrheit des göttlichen Mysteriums beschreiben.
Messiaen bemühte sich darüber hinaus um die theologische Reflexion und Beschäftigung mit
den christlichen Glaubensgeheimnissen, die in der umfangreichen Lektüre geistlicher Schriften
gründete. So fasste er selbst die Koordinaten seines Glaubens zusammen:
„Der Glaube läßt sich nicht erklären: ich bin als gläubiger Mensch zur Welt gekommen. Das ist keine
Frage der Erziehung. Aber ich habe durch Lektüre meinen Glauben gefestigt. Von den 7000 Bänden
meiner Bibliothek handeln 1000 von Theologie. Ich habe sie alle von Grund auf gelesen und kann
das Gespräch mit einem Theologen in Gang halten.“81
Auch in Hinblick auf die Umsetzung seines Glaubens in der Musik legte Messiaen großen Wert
auf eine theologische Fundierung. Es war ihm wichtig, nicht nur ein Abbild seines individuellen
Glaubens zu replizieren, sondern die objektiven Glaubenswahrheiten abzubilden und seine
79
So bezeichneten Kritiker die Musik Messiaens als religiösen Kitsch, als „musikalischen Heiligen-Kitsch“
(Wolfgang Burde im Berliner Tagesspiegel von 1973) oder als „phantastischen Kitsch; [...] so viel Jesulein mit Sixte
Ajouté“ (Karheinz Stockhausen 1966), vgl. Choe-Thomas, Kunst Europas, 56. Messiaen selbst verteidigte das
Anliegen seiner Einführungstexte: „Die Legende, die diese Kommentare umgibt, ist völlig idiotisch. Man hat darin
ein surrealistisches Manifest sehen wollen [...] Diese Kommentare sollten eine Huldigung sein an das wunderbare
Thema, das ich gewählt hatte, und eine Entschuldigung dafür, daß ich es gewählt hatte“ (Goléa, Rencontres, 103).
80
Hill / Simeone, Messiaen, 43.
81
Messiaen, Olivier, En 12 questions, in: Diapason 234 (1978) 39; deutsch zitiert nach: Michaely, Gesamtschaffen,
31.
21
Werke in den Horizont der kirchlichen Tradition und der katholischen Lehrmeinungen zu
stellen.82 Es ging ihm stets um eine „reflektierende Musik [...], welche die Wahrheit des
Glaubens verwirklicht“83. So geht seine Musik weit darüber hinaus, nur eine meditative, religiös
gefärbte Besinnung oder Andacht zu sein: Sie gestaltet sich vielmehr als „eine Predigt, die dem
Anspruch rationalen Redens genügen muß“84. Er selbst konstatierte: „Was man sagen kann, ist,
daß ich glaube, und daß ich theologisch gearbeitet habe, und daß ich versucht habe, die
Gegebenheiten und die Geheimnisse des Glaubens in meine Musik einzubringen.“85 Die Herangehensweise an seine Werke bestand zunächst in der eingehenden Beschäftigung mit dem theologischen Gehalt der Glaubensthemen, die er zu vertonen gedachte:
„Im allgemeinen haben ich ein bestimmtes Thema gedanklich umkreist: ein christliches Mysterium
wie die Geburt des Herrn oder seine Auferstehung oder aber ein Mysterium des Heiligen Geistes, wie
das Pfingstfest, und ich habe versucht, in der Bibel, bei den Kirchenvätern oder in anderen
geistlichen Texten, vor allem jedoch in der Heiligen Schrift, all das zu finden, was mit dem von mir
gewählten Thema zu tun hat, was ich dann versucht habe, in Musik umzusetzen: nicht nur in Noten,
nicht nur in Klänge und Rhythmen, sondern auch in Klangfarben, in Farben.“86
Greifbar wird die theologische Fundierung seiner Werke in den Zitaten aus den genannten
Quellen, die er einzelnen Sätzen oder ganzen Werken als Motto zugrunde legte und die gleichzeitig Inspirationsquelle und auszudrückender Gehalt darstellten. Theologische Gedanken oder
Hinweise zur Grundkonzeptionen seiner Werke finden sich auch in den von ihm verfassten Einführungstexten, die neben Aussagen zur musikalisch-kompositionstechnischen Realisation und
poetischen Stimmungsbildern in begrenztem Umfang theologische Interpretationsansätze
enthalten.87
82
So wehrte sich Messiaen gegen die Eintragung des Mystischen in seine Werke: „Persönlich mißtraue ich diesem
Wort sehr. Es paßt mir überhaupt nicht, und ich möchte sagen, warum. Sobald man von Mystik spricht, denken die
Leute an einen krankhaften Zustand, an einen Neurotiker, der vage Empfindungen und Ekstasen hat. Ich mag das
nicht, ich bin gläubig, und ich liebe die reellen Gaben des Glaubens“ (Messiaen, Olivier, in: Rößler, Gespräch am
23. April 1979, 95. Messiaen wollte damit dem Missverständnis zuvorkommen, seine Werke spiegelten – im Sinne
des weitläufig verbreiteten, unpräzisen Begriffs von Mystik – lediglich seine persönliche Weltanschauung und
subjektive, diffuse religiöse Gefühle wider. Die Implikation des Mystischen kann jedoch besonders den
kontemplativen Sätzen Messiaens kaum abgesprochen werden, zumal auch er selbst beispielsweise im Vorwort zu
den Vingt Regards den Begriff „mystisch“ wiederholt verwendet, vgl. dazu auch Kapitel 3.5.2.1 dieser Arbeit.
83
Messiaen, Olivier, in: Pinzauti, Leonardo, Gespräch mit Olivier Messiaen, in: Melos 39/5 (1972), 270-273, hier
272.
84
Motte-Haber, Helga de la, Zur „theologischen“ Musik Olivier Messiaens, in: Wassermann Beirăo, Christine /
Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen
zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 63-69, hier 63. Vgl. auch den Aspekt der
Verkündigung im Werk Messiaens, der in Kapitel 2.2.1. dieser Arbeit, bes. 8-9, expliziert worden ist.
85
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 96.
86
Messiaen, Praemium Erasmianum, 28.
87
Messiaen selbst äußerte sich zum Anliegen und zur Sprache seiner Einführungstexte: „Die Texte sind dazu
bestimmt, Form, Technik und Inhalt meiner Werke zu erklären; darüber hinaus sind sie im allgemeinen in einer
französischen Sprache geschrieben, die meiner musikalischen Sprache entsprechen will. Es ist dies der Grund,
warum sie hin und wieder Verwunderung hervorgerufen haben“ (Samuel, Musique et couleur, 174; deutsch zitiert
nach: Michaely, Verbum Caro, 229).
22
3.1.2.2 Theologische Quellen und Prägungen
Eine Auflistung der Autoren und Schriften, die Messiaen wesentlich inspiriert haben und einen
inhaltlichen Einfluss auf die theologische Ausgestaltung seiner Werke hatten, soll Messiaens
breiten und fundierten Zugang zur Theologie aufweisen, der keineswegs an der Oberfläche bleibt
und seinen Schwerpunkt nicht so sehr auf kritisch-exegetische oder abstrakte, spekulative, sondern eher auf spirituelle, von der Mystik beeinflusste Texte setzt.88
Messiaens Hauptquelle, aus der er Zitate als Motto einzelnen Sätzen voranstellte oder in Einführungstexte einarbeitete, war die Heilige Schrift, von der er in der Einführung zur Technique de
mon langage musicale aussagte, dass sie „die alleinige Wahrheit“89 enthalte. In den Vordergrund
treten neben Zitaten aus dem Alten Testament die Theologie des Paulus und des Johannes –
gleichermaßen Johannes-Evangelium wie das Buch der Offenbarung, das er als das „schönste
und alles andere beherrschende Buch“90 bezeichnete. Als weitere Quelle diente Messiaen das
Messbuch. Eine starke Prägung übten spirituelle Autoren auf Messiaen aus, die der Mystik
zuzuordnen sind. Neben Caterina von Siena und Franz von Assisi, dem Lieblingsheiligen des
Komponisten, dem er seine monumentale Oper Saint François d’Assise widmete, sind besonders
Johannes vom Kreuz und Thérese von Lisieux zu nennen, deren Gedankengut nicht nur in den
Vingt Regards reflektierend aufgegriffen wird.91 Außerdem bezog sich Messiaen auf den
flämischen Mystiker Jan van Ruusbroec, den er unter anderem in seiner Conférence de Notre
Dame zitierte.92 Eine zentrale Stellung nehmen im Schaffen Messiaens die Texte der Imitatio
Christi des Thomas von Kempen ein, die er im Vorwort zu den Trois petites liturgies als das
„schönste mystische Buch nach der Bibel“ bezeichnete und dessen Viertes Buch93 im Zuge der
Interpretation der Gebetssätze des Livre nochmals zur Geltung kommen wird. Neben mystischen
Aussagen lässt Messiaen besonders Gedanken und Texte der Kirchenväter in seine Werke
einfließen. Eindrucksvoll ist seine Kenntnis des Gedankenguts von Thomas von Aquin94 und von
Bonaventura. Zwei eminent katholische Autoren ragen insofern heraus, als der Einfluss ihrer
88
Eine Übersicht bietet Ide, Pascal, Les sources théologiques d’Olivier Messiaen, in: Wassermann Beirăo, Christine
/ Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen
zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 85-106. Ausführlicher besprochen wird die
von Messiaen rezipierte religiöse Literatur in Michaely, Gesamtschaffen, 31-39.
89
Messiaen, Technik, 6.
90
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 84.
91
Vgl. Michaely, Verbum Caro, 225-345 und Hastetter, Michaela Christine, „Horch! Mein Geliebter!“ Die
Wiederentdeckung der geistlichen Schriftauslegung in den Hoheliedvertonungen des 20. Jahrhunderts (MThS.S 69)
St. Ottilien 2006, 264-293.
92
Vgl. Messiaen, Conférence de Notre Dame, 68; vgl. zum Einfluss Jan van Ruusbroecs auch Hastetter, Michaela
Christine, Klingende Relecture niederländischer Mystik. Jan van Ruusbroecs Einfluss auf den X. Satz der „Vingt
Regards sur l’Enfant-Jésus“ von Olivier Messiaen, in: ThPh 83 (2008) 93-106.
93
Vgl. Thomas von Kempen, Vom Sakrament des Altares. Viertes Buch, in: ders., Die Nachfolge Christi. Vier
Bücher. Übers. und hg. von Wendelin Meyer OFM, neu durchgesehen von Lothar Hardick OFM, Kevelaer 21990,
335-404.
94
„J’ai lu presque intégralement la Somme théolgique de saint Thomas d’Aquin“ (Messiaen, in: Samuel, Musique et
couleur, 17).
23
Schriften ganze Sätze oder auch Werke Messiaens bestimmt haben. Zum einen ist dies der Benediktinerabt Dom Columba Marmion, dessen Hauptwerke Le Christ, Vie de l’âme95 und Le Christ
dans ses Mystères96 sich entsprechend auch den Vorlieben Messiaens eng an biblische, vor allem
johanneische und paulinische Texte, an kirchliche Gebetstexte und Texte der Kirchenväter, allen
voran Thomas von Aquin, anlehnen. Besonders Messiaens frühe Zyklen über die Geburt Christi,
La Nativité und die Vingt Regards, sind in ihrem Aufbau und Gedankengang grundlegend von
Marmion geprägt.97 Daneben übte Ernest Hello, insbesondere dessen Paroles de Dieu98, großen
Einfluss auf das Schaffen Messiaens aus.99 Den moderneren Theologen zuzuordnen sind ferner
der von Messiaen sehr geschätzte Hans Urs von Balthasar und dessen Ästhetik der
Herrlichkeit100, Romano Guardini und der amerikanische Trappistenmönch Thomas Merton.
Weiterhin ist auch der katholische Dichter Paul Claudel anzuführen.
Das Livre bietet einen Querschnitt der eben genannten Quellen. Am häufigsten zitiert ist die
Heilige Schrift: Jesaja (V. Satz), das Buch der Weisheit (VI.) und das Buch Exodus (XIII.); das
Johannes-Evangelium (VI., zweimal im VII. und prominent im XI. Satz), die Evangelien nach
Matthäus (VIII., IX. und XIV. – dieses Matthäus-Zitat ist ebenso im Messbuch zu finden) und
Lukas (IX., IX. und X.). Der Einfluss des Thomas von Aquin kommt in der zentralen Stellung
des Gebetes „Adoro te“101 (I., III. und XII.) sowie der Sequenz „Lauda Sion“ (explizit in den
Sätzen XII, XIII und XVII, musikalisch zitiert im Satz XIV) zum Ausdruck, auch eucharistische
Gebetsverse im Sinne Bonaventuras102 fanden in den stilistisch verwandten Sätzen II und XVI
Eingang ins Livre. Die Imitatio Christi ist in den Sätzen III, zweimal in Satz XV und im Satz
XVIII angeführt.
95
Marmion, Dom Columba, Le Christ, Vie de l’âme, Paris / Lille / Lyon 131921.
Marmion, Dom Columba, Le Christ dans ses Mystères, Paris / Lille / Lyon 91922; deutsch: Marmion, Dom
Columba, Christus in seinen Geheimnissen. Übers. von M. Benedicta v. Spiegel, Paderborn 1931. Auf dieses Werk
wurde Messiaen anlässlich seines Amtsantritts der Organistenstelle an der Sainte-Trinité aufmerksam gemacht, um
sich das nötige Wissen um die Bedeutung der Stationen des Kirchenjahres und den Sinn der liturgischen Rituale und
Symbole anzueignen und sich somit gezielt auf seine Orgelimprovisationen vorbereiten zu können, vgl. Schlee,
Verkündigung, 732 unter Verweis auf Brigitte Massin.
97
Vgl. Michaely, Verbum Caro, bes. 230-239 und 246.
98
Hello, Ernest, Paroles de Dieu, Paris 1877.
99
Vgl. zum Einfluss Hellos auf Messiaen Heinemann, Michael, Der Komponist als Theologe. Zu Messiaens
Musikotheologie, in: ders. (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 1: Von Le Banquet céleste bis Les Corps
glorieux (Studien zur Orgelmusik 2) St. Augustin 2008, 23-32, bes. 25-28.
100
Vgl. dazu Voderholzer, Rudolf, „Herrlichkeit“. Ästhetische Parallelen zwischen dem theologischen Werk Hans
Urs von Balthasars und der Musik Olivier Messiaens, in: Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von
Christian Lenze, Musik des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von
Theologie und Musik, St. Ottilien 2008, 187-205.
101
Das „Adoro te“ kann mit überzeugenden Gründen Thomas von Aquin zugeschrieben werden, vgl. Wielockx,
Robert, Poetry and Theology in the Adoro te devote. Thomas Aquinas on the Euchrist and Christ’s Uniqueness, in:
Emery, Kent (Hg.), Christ among the medieval Dominicans, Notre Dame 1998, 157-174.
102
Die Sekundärliteratur geht bisher stillschweigend davon aus, dass die im XVI. Satz des Livre zitierten Verse aus
einem von Bonaventura verfassten Gebet stammen, ohne jedoch eine genaue Quellenangabe vorzulegen. Die
Autorschaft Bonaventuras konnte bislang nicht verifiziert werden; fest steht jedoch, dass die Gebetsworte im Geiste
Bonaventuras geschrieben sind.
96
24
Um den Einfluss spiritueller Autoren auf die theologische Konzeption der Werke Messiaens aufzuzeigen, soll der Blick exemplarisch nochmals auf die von Messiaen so geschätzte Schrift
Christus in seinen Geheimnissen von Dom Marmion gerichtet werden. Darin werden grundlegende Aussagen zum Fest Fronleichnam gemacht, die Messiaens Eucharistieverständnis geprägt
haben und in Folge auch im Livre nachvollzogen werden können.103 Explizit verweist Messiaen
in seinem Einführungstext zum Livre auf dieses Werk Marmions gleichsam als weiterführende
Literaturangabe, wenn er den ersten Binnenzyklus über Stationen aus dem Leben Jesu104
theologisch einleitet:
„Alle Gnaden, die Christus uns während verschiedener Momente seines irdischen Lebens erworben
hat, bewahren zu aller Zeit ihre Wirkungskraft, die uns bei jedem Fest der Eucharistie zugänglich
gemacht wird. Diese Idee wurde ausführlich entwickelt in dem sehr schönen Buch von Dom
Columba Marmion, Christus in seinen Geheimnissen.“105
Die Eucharistie ist demnach nicht nur Gedächtnis, sondern in ihr ist Christus mit allen Gnaden
gegenwärtig und wirksam, sie ist unerschöpfliche Quelle der Gnaden. Der Gedanke, dass die
heilige Kommunion „nach ihrem Wesen die verschiedenen Lebensstufen Jesu mit ihren Eigentümlichkeiten, ihrem Geist, ihrer Kraft und ihren Verdiensten“106 – so die Worte Marmions –
mitteile, wird in der Schrift Christus in seinen Geheimnissen vertieft: Jesus schenke sich mit
seinem ganzen Leben hin und gehe mit seinem ganzen Wesen107 in unsere Seele ein, „um
Vorbild und Form unseres Lebens zu sein, um in uns die verschiedenen Gesinnungen des
Herzens Jesu hervorzubringen, uns zur Nachahmung all jener Tugenden anzuregen“108 und
letztlich „nach und nach unsere Umgestaltung nach seinem Vorbild zu verwirklichen, worin ja
gerade die diesem hl. Sakramente eigentümliche Wirkung“109 bestehe. Diese „Umwandlung“
und Überformung des Menschen durch die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn, der von
Christus bleibend durchdrungen ist (vgl. Joh 6,57) und in dem nurmehr Christus lebt (vgl. Gal
103
Vgl. zum Folgenden Marmion, Christus, 351-370.
Zur Gliederung des Livre du Saint Sacrement vgl. Kapitel 3.3.2 dieser Arbeit, bes. 40 (Abbildung 1).
105
Messiaen, Olivier, Introduction, in: ders., Livre du Saint Sacrement pour Orgue, Paris 1989; deutsch zitiert nach:
Heinemann, Michael, Die Einführungstexte Messiaens. Livre du Saint Sacrement, in: Busch, Hermann J. /
Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der Messe de la Pentecôte bis zum Livre
du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008, 231-243, hier 231-232; hingewiesen sei auch auf die
Übersetzung durch Almut Rößler, abgedruckt im Beiheft zur CD: Messiaen, Olivier, Livre du Saint Sacrement.
Interpr. durch Almut Rößler an den Eisenbarth-Orgeln im Hohen Dom zu Passau, Düsseldorf 1987. Im Folgenden
wird unter dem Kurztitel „Messiaen, Einführungstext Livre“ die Übersetzung des Einführungstextes von Heinemann
zitiert.
106
Marmion, Christus, 362.
107
„Wenn Christus sich hier mit uns vereinig, schenkt er sich uns in seiner ganzen Wesenheit, all seine Werke und
Geheimnisse sowohl wie die Einheit seiner göttlichen Person“ (Marmion, Christus, 356).
108
Marmion, Christus, 361.
109
Marmion, Christus, 362. Diese innere Umwandlung durch Christus vollzieht sich prozesshaft und im Verborgenen: „Christus, der immerdar lebt, wirkt in der Stille, aber mit göttlicher Kraft im verborgenen Grund der Seele, um
diese allmählich nach seinem Bilde umzugestalten. Das ist die herrlichste Wirkung dieser Himmelsspeise“
(Marmion, Christus, 358).
104
25
2,20), hob Marmion als „die besondere Frucht dieses unaussprechlichen Sakramentes“110 hervor,
in dem „die innigste und tiefste Vereinigung mit Christus, die wir hiernieden erlangen
können“111, stattfinde. Den Gedanken der mystischen Liebesgemeinschaft und -vereinigung und
der Angleichung des Kommunizierenden an Christus setzte Messiaen in den Gebetssätzen des
Livre – wie noch zu erläutern sein wird – auf musikalische Weise um. Marmion betonte
weiterhin angesichts der Bedeutung und Erhabenheit des Mysteriums der Eucharistie als
„Inbegriff aller Liebeswunder des menschgewordenen Gottessohnes gegen uns“112 die
„Ehrfurcht“113 als gebotene Haltung, die durch eine entsprechende Vorbereitung114 auf den
Kommunionempfang gefördert und unterstützt werden soll. Verwiesen und grundlegend bezogen
sei die Ehrfurcht dabei auf den Glauben: „Die Ehrfurcht entspringt dem Glauben und nährt sich
von ihm.“115 In den Ausführungen Marmions – und so auch im Livre – nimmt die Bedeutung und
Notwendigkeit des Glaubens eine zentrale Rolle ein.116 Denn allein mit den Sinnen könne der
eucharistische Herr unter den Gestalten von Brot und Wein nicht erkannt werden, nur der Glaube
dringe vor „bis zur göttlichen Wirklichkeit, die unter dem eucharistischen Schleier verborgen“117
sei. Inwiefern die Kraft des Glaubens an die Gegenwart des verborgenen eucharistischen Herrn,
gebunden an die Haltung der Anbetung und Ehrfurcht,118 ein Kerngedanke des Livre ist, der sich
bis in die Gebetssätze fortsetzt, wird noch aufzuzeigen sein. Auch die „Wirkung der andächtigen
hl. Kommunion“, die Marmion durch ein Erfülltwerden der Seele mit „übernatürlicher
Süßigkeit“119 und durch ein Empfinden tiefer und stiller innerlicher Freude kennzeichnet, findet
seine musikalische Realisierung im Gebetssatz nach der Kommunion (XVI.), das im
Bonaventura-Zitat Christus mit den Worten „mein Duft und meine Süße, mein Friede und meine
Sanftheit“ anbetet.
110
Marmion, Christus, 360.
Marmion, Christus, 360.
112
Marmion, Christus, 356.
113
Vgl. Marmion, Christus, 365-368.
114
Die heilige Kommunion wirke zwar „von selbst in jeder Seele“, je „inniger aber ihre Liebe, je eifriger ihre
Sehnsucht ist, um so reicher auch die Frucht.“ Die Vorbereitung solle „vor allem in Glaube, Vertrauen und völliger
Hingabe an Christus und an seinen mystischen Leib bestehen“ (Marmion, Christus, 365).
115
Marmion, Christus, 368. Weiterhin heißt es dort: „Wenn wir wahrhaft lebendigen Glauben hätten, mit welch
tiefer Ehrfurcht würden wir dann diesem hochheiligen Opfer beiwohnen!“ (ebd, 364).
116
Vgl. Marmion, Christus, 350-353 und 368-370. Das Kapitel zum Fronleichnamsfest beginnt und schließt mit der
Hervorhebung, dass die Eucharistie ein „Geheimnis des Glaubens, mysterium fidei“ (Marmion, Christus, 353 und
379) sei und nur der Glaube „solche Wunder fassen, in solche Abgründe sich versenken“ (ebd., 370) könne. Vgl.
dazu den im Livre zitierten Text des Gebetes „Adoro te“, das Thomas von Aquin zugeschrieben wird.
117
Marmion, Christus, 369.
118
So heißt es bei Marmion emphatisch: „Wie sollten wir nicht dieses hl. Geheimnis mit tiefster Ehrfurcht und
innigster Anbetung verehren!“ (Marmion, Christus, 359).
119
„Die hl. Kommunion ist das Festmahl der Seele, somit eine Quelle tiefster Freude.“ Weiter heißt es: „Es ist eine
Wirkung der andächtigen hl. Kommunion, daß sie die Seele mit übernatürlicher Süßigkeit erfüllt und sie dadurch
bereit macht zum willigen und treuen Dienste Gottes“ (Marmion, Christus, 358).
111
26
3.1.3 Die Bedeutung der Eucharistie für Messiaen
„Ich bin als Organist dazu verpflichtet, am Gottesdienst teilzunehmen. In diesem Moment bin ich eng
mit dem verbunden, was sich am Altar ereignet, beinahe wie ein Priester. […] Während der Messe
nehme ich teil an dem Mysterium, das sich in der Segnung von Brot und Wein entfaltet, also an der
Transsubstantiation. Das Heiligste Sakrament ist hier gegenwärtig, während ich improvisiere, und ich
weiß, daß das, was ich unter diesen Umständen zuwege bringe, besser ist als im Konzert.“120
Auch wenn Messiaen sparsam mit Aussagen zu seiner eigenen Spiritualität umgeht, so lässt sich
doch anhand dieses Zitats die große Bedeutung der Eucharistie für das Glaubensleben und das
musikalische Wirken Messiaens erahnen. Nicht nur die Priorität, die er dem Besuch des
Sonntagsgottesdienstes auch außerhalb seiner Organistentätigkeit einräumte,121 auch die
mehrfache Hervorhebung, dass die Gegenwart des eucharistischen Herrn seine Orgelimprovisationen inspiriert und befruchtet habe, sowie die zentrale Stellung, die das eucharistische Geschehen in seinem Gesamtschaffen einnimmt, zeugen von der Schlüsselstellung der Eucharistie im
Denken, Empfinden und Wirken Messiaens. Im Gespräch mit Almut Rößler hob Messiaen in
ganz persönlichen und bekenntnishaften Worten die Bedeutung des Mysteriums der Eucharistie
als das Zentrum seines Glaubens und seines Christseins hervor:
„Wieviel schöner ist es, anstelle eines wunderbaren, aber fernen Gottes an einen zu glauben, der
versucht hat, sich unseren Sinnen mit unseren Mitteln verständlich zu machen. Und das vielleicht
Wunderbarste ist die Eucharistie, wo er uns seinen Leib zugänglich macht. Und dieser Leib bleibt bei
uns, und er war nicht nur unter uns, er hat ihn uns gelassen. Und doch ist seit der Himmelfahrt dieser
Leib Teil der Gottheit, der doch nur ein nichtiger Menschenleib war. Das ist eine absolut wunderbare
Sache, und deshalb bin ich katholischer Christ.“122
Die Einzigartigkeit der Vereinigung Christi mit dem Menschen im Sakrament der Eucharistie
unterstrich Messiaen durch das Bild der Liebe zwischen Mutter und Kind, deren innige Beziehung im Empfang der Kommunion unaussprechlich gesteigert werde:
„Für mich stellt die menschliche Liebe eine Art von Gemeinschaft (communio) dar. Aber in ihrer
fleischlichen Umsetzung wird diese Gemeinschaft übertroffen von der Mutterschaft. Die Verbindung
zwischen Mutter und Kind, die in unseren Tagen so umstritten ist, stellt auf unserem Planeten den
Gipfel an Vornehmheit und Schönheit dar. Dennoch wird diese Verbindung ihrerseits überboten von
der Kommunion des Katholiken, der in der Kirche die Hostie empfängt. Weil in dieser Kommunion –
wie jede höhere Wahrheit sich die niedere einverleibt – Christus es ist, den man empfängt, ist
Christus in uns, und wir sind in ihm. Wir werden von Christus, der uns überlegen ist, verzehrt, etwas,
das weder in der menschlichen Liebe noch in der Beziehung zwischen Mutter und Kind existiert.“123
120
Messiaen, zitiert nach: Kars, Liturgie, 14.
So berichtete der mit Messiaen befreundete Organist Olivier Latry während eines Meisterkurses in Wien im
November 2008 von einer Begegnung mit dem alten Messiaen, den er am Flughafen von Wien überrascht hatte. Als
Messiaen von Latry erfuhr, dass dieser am folgenden Tag, einem Sonntag, eine Matinée spielen werde, habe er
geantwortet, dass er leider diese Morgenstunde bereits für seinen Messgang reserviert habe. Der Messgang ließ sich
schließlich auf eine andere Tageszeit verschieben, doch zeigt diese Episode die eminente Bedeutung, die der
sonntägliche Gottesdienstbesuch für Messiaen auch auf Reisen hatte.
122
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 104.
123
Messiaen, in: Samuel, Neue Gespräche, 40.
121
27
3.2 Grundsätzliches zu Messiaens musikalischer
Begegnung mit dem eucharistischen Herrn
Umsetzung
seiner
3.2.1 Überblick über Messiaens Werke zur Eucharistie
Messiaens große Verbundenheit zu Jesus Christus als dem Zentrum seines Glaubens spiegelt
sich in seinem Musikschaffen wider, das seine inhaltliche Mitte in der zweiten Person der Trinität findet.124 Die christologischen Inhalte seines Œuvres kreisen um die drei zentralen christlichen Glaubensgeheimnisse, um Inkarnation125, Tod126 und Auferstehung Jesu Christi und die
Eucharistie, unter denen der musikalischen Annäherung an das Mysterium der Eucharistie ein
besonderer Stellenwert127 zukommt. Bereits sein erstes veröffentlichtes Werk ist der Eucharistie
gewidmet. Es ist dies Le Banquet céleste (1928), in dem Messiaen einen Teil seines noch in der
Kompositionsklasse von Paul Dukas entstandenen, jedoch verworfenen Orchesterwerkes Le
Banquet eucharistique für Orgel ausarbeitete. Inhaltlich wird in diesem Werk, dem das Bibelzitat
„Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,56)
zugrunde liegt, der Zusammenhang zwischen Eucharistie und Leiden und Sterben Christi betont.128 Auch seine zweite Orgelkomposition, Offrande au Saint Sacrement (1930), hat das
Sakrament der Eucharistie zum Inhalt. Im selben Jahr entstand sein erstes veröffentlichtes
Orchesterwerk, Les Offrandes oubliées, das ebenso wie das Banquet einen Bogen vom Leiden
Jesu Christi (Teile I und II) zur Eucharistie (Teil III) spannt und ebenso den Gedanken der
mystischen Liebe musikalisch umsetzt.129 An das Thema der Offrandes knüpft auch sein zweites
Orchesterwerk, der Hymne mit dem ursprünglichen Titelzusatz au Saint Sacrement von 1932
124
Vgl. zum Folgenden Michaely, Gesamtschaffen, 477-566, zur Eucharistie bes. 497-512.
Die Inkarnation thematisierte Messiaen z.B. in seinem Orgelwerk La Nativité du Seigneur, den Vingt Regards
sur l’Enfant-Jésus, dem Quatuor pour la fin du temps (Sätze V und VIII) und nicht zuletzt im V. Satz „Puer natus
est nobis“ des Livre du Saint Sacrement, vgl. zur detailierten Analyse Michaely, Gesamtschaffen, 477-489.
126
Dass die Thematisierung des Leids bei Messiaen zugunsten einer theologia gloriae in den Hintergrund zu treten
scheint, wurde mehrfach hervorgehoben und soll an dieser Stelle nicht weitergeführt werden, vgl. dazu z.B. Latry /
Mallié, L’œuvre d’orgue, 14. Messiaen selbst begründete die Wahl seiner Themen folgendermaßen: „Da ich theologisch gearbeitet habe, weiß ich, daß es heißt: Gott ist Geist, und: Gott ist auch Herrlichkeit. [...] Die Herrlichkeit, die
Gnade, das Licht, all das ist miteinander verbunden. Darum ist meine Musik heiter, sie enthält Herrlichkeit und
Licht. Natürlich existiert das Leiden auch für mich, aber ich habe sehr wenige schmerzliche Stücke geschrieben. Ich
bin dafür nicht geschaffen. Ich liebe das Licht, die Freude und die Herrlichkeit im himmlischen Sinne“ (Messiaen,
in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 98-99). Dennoch sind Kreuz und Leiden in einzelnen Sätzen Messiaens
sehr wohl präsent, angefangen vom VII. Satz der Nativité, „Jésus accepte la Souffrance“, über den VII. Satz der
Vingt Regards, dem „Regard de la Croix“, dem III. Satz der Visions de l’Amen, „Amen de l’agonie de Jésus“ als
dem umfangreichsten seiner Passionsstücke, dem I. und II. Teil von Les Offrandes oubliées bis hin zum IX. Satz des
Livre du Saint Sacrement mit dem Titel „Les Tenèbres“, der die Finsternis der Kreuzigung thematisiert.
127
Messiaen begründete die Bedeutung der Eucharistie: „Das, was zählt, und ich muß es auch für mich als Musiker
wiederholen, sind die Dogmen, die reale Gegenwart Christi, die Realität der Sakramente [...]. In der Kirche zählen
die Dogmen und die spürbare Gegenwart Christi in der Eucharistie“ (Messiaen, in: Pinzauti, Gespräch, 271).
128
Vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 499-500.
129
Zusammen mit Le Banquet céleste gehört der III. Teil von Les Offrandes oubliées zu den frühesten Beispielen für
mystische Liebessätze bei Messiaen, vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 498. Zum Geist dieser Werke äußerte
Messiaen sich folgendermaßen: „Dieses ,Banquet‘ war vollständig inspiriert durch das Geheimnis der Eucharistie,
wie Les Offrandes oubliées auch“ (Messiaen, in: Bruyr, Messiaen, zitiert nach: Hill / Simeone, Messiaen, 47).
125
28
an.130 Dass Messiaens erste Orgel- und Orchesterkompositionen fast ausschließlich inhaltlich der
Eucharistie gewidmet sind, als deren wesentliche Aspekte er die Nähe zum Kreuzesgeschehen
und das mystische Liebesgeschehen betonte, legt die weitreichende Bedeutung der Eucharistie
für das Leben und Wirken des jungen Messiaen nahe. Auch in seinem weiteren Schaffen schlug
sich das Anliegen, in der Musik dem Mysterium der Eucharistie nahezukommen, nieder; genannt
seien seine Motette O sacrum convivium (1937) für Chor a capella, ein Stück, das sich liturgisch
als Kommuniongesang eignet, und das erste und letzte Lied der Poèmes pour Mi (1936
beziehungsweise 1937 im Satz für Sopran und Orchester).131 Während Le Banquet céleste, O
sacrum convivium und Les Offrandes oubliées das Thema der Kommunion mit dem des Leidens
und Sterbens Christi verbinden, heben die Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus für Klavier (1944),
den Zusammenhang zwischen Kommunion und Inkarnation hervor. In einem weiteren Sinn kann
auch der IV. Satz der Visions de l’Amen, „Amen du desir“, zu den eucharistischen Sätzen
Messiaens gezählt werden.132
In seinem letzten Orgelwerk nun, dem Livre du Saint Sacrement, brachte Messiaen seine Gedanken zum Sakrament der Eucharistie zu einem kaum zu überbietenden musikalischen und theologischen Höhepunkt und spannte damit gleichzeitig den Bogen zu seinem ersten veröffentlichten
Werk, dem Orgelwerk Le Banquet céleste. Er selbst äußerte sich im Bewusstsein, dass dieses
Werk sein letztes für die Orgel sein würde, zur Bedeutung der Wahl dieses Sujets: „J’ai
commencé par là, je termine par là“133. Es scheint ein Herzensanliegen Messiaens gewesen zu
sein, an seinem Lebensabend noch einmal in einem so umfangreichen und reichhaltigen Werk
auf das Mysterium der Eucharistie zurückzukommen. So ist dieses zentrale Mysterium des
christlichen Glaubens gleichsam Alpha und Omega des Œuvre Messiaens.
3.2.2 Aspekte von Messiaens Musiksprache und deren Bedeutung
Ein kurzer Blick auf die zentralen kompositorischen Ausdrucksmittel und deren Bedeutungsgehalt mit Fokus auf die orgelspezifischen Gestaltungselemente soll der Einzelanalyse der
Gebetssätze des Livre vorausgehen. Denn erst aus der Kenntnis der zugrunde gelegten musikalischen Grammatik, aus dem Verständnis der Bedeutung der sprachlichen Symbole aus dem
Gesamtzusammenhang der Musiksprache Messiaens heraus kann sich der Aussagegehalt der
Musik in seiner Sinnfülle erschließen.
In seiner Conférence de Notre Dame machte Messiaen grundlegende Aussagen zur theologischen Konzeption seiner Musiksprache. Darin unterschied Messiaen zwischen drei Weisen von
130
Vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 502-503. Zum inhaltlichen und musikalischen Vergleich von Les Offrandes
oubliées und des Hyme vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 72.
131
Vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 503-505.
132
Vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 508-512.
133
Messiaen, zitiert nach: Halbreich, L’œvre, 298.
29
Musik im religiösen Kontext: Die „liturgische Musik“ bewege sich im Rahmen der vorgegebenen Struktur des Gottesdienstes, die „religiöse Musik“ bezeichne jede Kunst (nicht nur musikalischer Art, sondern auch Werke der Bildenden Kunst oder Architektur), die versuche, „das
göttliche Mysterium auszudrücken“134. Am weitesten gefasst sei die dritte Dimension der Musik,
die Messiaen mit „Klang-Farbe und Überwältigtsein“135 umschrieb und die er für seine eigene
Musiksprache in Anspruch nahm. Von grundlegender Bedeutung für diese dritte Musikkonzeption ist die enge Verbindung von Klang und Farbe und die Erfahrung des Geblendetseins
(„l’éblouissement“136). Als Vergleich für diese Effekt, durch die Musik eine Ergriffenheit
auszulösen, die das analytische Begreifen weit übersteigt, nennt Messiaen die Wirkung von gotischen Kirchenfenstern, durch die Licht in den Innenraum der Kirche fällt. Messiaen selbst
beschrieb diese Erfahrung, die er im Alter von zehn Jahren beim Betrachten der lichtdurchfluteten, farbigen Kirchenfenster der Kathedrale Sainte Chapelle machte als „Schlüsselerlebnis für mein späteres musikalisches Denken“ und als „eine strahlende Offenbarung, die ich
nie vergessen habe“137 Im Hörer ebenso durch einen Farbeindruck einen Zustand des Geblendetseins hervorzurufen wie dies bunte Kirchenfenster vermögen, deren Farben aus der Ferne zu
einem einzigen strahlenden Farbkomplex verschmelzen und den Menschen innerlich ergreifen
und überwältigen, ihn in Berührung bringen können mit dem göttlichen Mysterium, war zentrales Anliegen in der Ausprägung seiner musikalischen Gestaltungsmittel. So schuf Messiaen ein
eigenes harmonischen Systems, das auf sieben „Modi mit begrenzter Transponierbarkeit“ (modes
à transpositions limitées) beruht und ausgehend vom reinen Dur-Akkord vielschichtige
Akkordmodelle138 entwirft. Jedem Modus in jeder Transposition und jedem Akkordklang in
jeder Lage ordnete Messiaen einen eigenen fixen Farbkomplex zu, den er selbst beim Erklingen
vor Augen hatte.139 So ging es Messiaen in erster Linie darum, farbenfrohe Musik zu
134
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 62.
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 60.
136
Vgl. z.B. Messiaen, Conférence de Notre Dame, 60. Der Begriff „l’éblouissement“ ist sowohl in der kunstgeschichtlichen wie auch in der religiösen französischsprachigen Literatur durchaus gebräuchlich, vgl. dazu die weiterführenden Belege bei Keim, Stefan, „La musique de l’invisible“ – Zur musikalischen und szenischen Evokation des
Übernatürlichen in Olivier Messiaens Saint François d’Assise, in: Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas
Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis.
Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 121-138, hier 124 FN 15.
137
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 83.
138
Angeführt seien als typische Akkordmodelle Resonanzakkorde (accords de la résonance), Akkorde mit
zusammengezogener Resonanz (accords à résonance contractée), Akkorde auf der Dominante mit doppeltem
Vorhalt (accord sur dominante appoggiaturé), die Messiaen später umbenannte und als Umkehrungsakkorde, die
auf denselben Basston transponiert werden (accords à renversements transposés sur la même note de basse)
bezeichnete (vgl. Michaely, Aloyse, Messiaens Saint François d’Assise. Die musikalisch-theologische Summe eines
Lebenswerks [Querstand 1/2] Frankfurt a.M. / Basel 2006, 125), kreisende Akkorde (accords tournants) und der
Akkord des chromatischen Totals (accord du total chromatique). Jeder individuellen Akkordgestalt ordnete
Messiaen einen eigenen Farbkomplex zu.
139
Vgl. den siebten Band des Traité, in dem alle Modi und Akkorde in ihrer jeweiligen Farbgebung aufgeführt sind
(Messiaen, Traité de rythme, de couleur et d’ornithologie 7, Paris 2002, 110-172).
135
30
komponieren, „eine Art Regenbogen von Klängen und Farben“140 zu schaffen, die ans Jenseits
rühren.
„Und wie die Musik Tausende, ja Millionen von Ton-Komplexen benutzt, und wie diese TonKomplexe ständig in Bewegung sind, unaufhörlich entstehend und vergehend, so ergeben die ihnen
entsprechenden Farben vermischte Regenbögen [...]. Und je mehr Töne an unser inneres Ohr klopfen
und stoßen, je mehr kunterbunte Dinge unser inneres Ohr in Bewegung versetzen und erregen, um so
mehr entsteht Kontakt, Beziehung, wie Rainer Maria Rilke sagt, zu einer anderen Wirklichkeit“141.
Er selbst besaß die außerordentliche Fähigkeit, gleichzeitig zu einem gehörten Klang einen sinnlichen Farbeindruck zu empfinden.142 Auch wenn er es als eine der „Tragödien“143 seines Lebens
bezeichnete, dass nur wenige Menschen ebenso wie er spezifische Klänge „sehen“ können,144
glaubte er doch daran, dass seine Musik unterschwellig im Hörer Farbeindrücke bewirken
könne145, dass – anders formuliert – die Akkorde aufgrund ihrer klanglichen Schönheit und
Homogenität im Hörer ein ästhetisches Gefühl auslösen können, das an die Erfahrung des Überwältigtseins durch eine sinnliche Farbenpracht heranreicht. So gleicht Messiaen einem Glasermeister, der in farbenfrohen musikalischen Visionen das für das bloße menschliche Auge nicht
wahrnehmbare göttliche Licht transparent werden lässt und den vom Farb- und Klangeindruck
geblendeten Hörer an die Erfahrung des Göttlichen heranführt. Hinsichtlich der Ausgestaltung
seiner kompositorischen Sprache verwies Messiaen auf zwei grundlegende Phänomene, die sich
in seiner Musik wiederfinden und die Messiaen zufolge „verbunden [sind] mit dem Gefühl für
das Heilige, mit dem Überwältigtsein, woraus Ehrfurcht, Anbetung und Lobpreis entstehen“146.
Diese beiden Phänomene sind „wahre, wissenschaftliche und physische Dinge“147, die eine
140
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 67.
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 67.
142
Das Farbensehen Messiaens lässt sich als eine Art intellektueller Synästhesie deuten: „Wenn ich Musik höre,
sehe ich entsprechende Farben. [...] Es handelt sich nicht um eine Wahrnehmung der Augen, in der Art jener
gefährlichen und monströsen Phantasmagorien, die etwa durch Meskalin hervorgerufen wurden. Es handelt sich
auch nicht um diese eigenartige Krankheit, die Blanc-Gatti (der Maler der Töne) ,Synopsie‘ nannte [...]. Es handelt
sich um ein inneres Sehen, um ein Auge des Geistes. Es sind wunderbare, unaussprechliche, außerordentlich
verschiedene Farben“ (Messiaen, Praemium Erasmianum, 44).
143
Messiaen benannte die vier „Tragödien“ seines Lebens: „Die erste besteht darin, daß ich als gläubiger Musiker
über den Glauben zu Atheisten spreche. Wie sollen sie mich verstehen?“ Die zweite sei, dass Messiaen als
Ornithologe zu Stadtmenschen spreche, die die Vielfalt des Vogelgesanges nicht kennen. „Und hier nun meine dritte
Tragödie: Wenn ich Klänge höre, sehe ich geistig Farben. Ich habe das öffentlich gesagt, ich habe es meinen
Schülern erklärt, aber niemand schenkt mir Glauben.“ Die vierte beziehe sich auf das gemeinhin verbreitete (Miss-)
Verständnis dessen, was Rhythmus sei (vgl. Messiaen, zitiert nach: Samuel, Würdigung, 10).
144
„Ich habe immer nur stückweise davon [sc. von der Leidenschaft für die Beziehung Klang – Farbe] gesprochen,
weil jedesmal, wenn ich davon redete, die Leute dachten, ich sei verrückt. Die einzige Person, die mich verstand,
war der Schweizer Maler Blanc-Gatti, denn er sah beim Hören Farben“ (Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23.
April 1979, 81). Weiter bemerkte Messiaen: „In dieser Hinsicht gehöre ich nicht meinem Zeitalter an. [...] In unserer
Zeit ist die Musik, sogar sehr schöne Musik, entweder schwarz, weiß oder grau, aber nicht farbig“ (ebd., 82).
145
„Ohne daß man dieselben Farben sehen muß wie ich, glaube ich, daß man, wenn man meine Musik hört, eine
Farbempfindung haben muß. Beim Lesen natürlich nicht, beim Hören ja. Aber die Hörer legen sich vielleicht nicht
Rechenschaft darüber ab, sie erleben es instinktiv, es spielt sich im Unterbewußtsein ab“ (Messiaen, in: Rößler,
Gespräch am 23. April 1979, 84).
146
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 66.
147
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 124.
141
31
gemeinsame Herkunft in der physikalischen Schwingung haben und allen Menschen zugänglich
sind, nämlich das der Obertonreihe148 und der Komplementärfarben.149 Beiden Erfahrungen –
dem akustischen Erleben der Obertöne wie dem visuellen Wahrnehmen der Komplementärfarben – ist gemeinsam, dass der Mensch hier an die Grenzen des sinnlich Wahrnehmbaren geführt wird, dass sie eine Dimension berühren, die die Sinne des Menschen übersteigt.
Diese religiöse Gesamtausrichtung seiner Musik, die auf der engen Verbindung von Klang und
Farbe und dem harmonischen System als „Farbphänomen“ beruht, bildet die Grundlage und den
Rahmen, innerhalb dessen Messiaen weitere Gestaltungsmittel ausprägte, die für seine
individuelle Klangsprache konstitutiv sind. Das vermutlich augenfälligste Charakteristikum ist
das Auskomponieren von Vogelgesängen. Im Jahr 1952 begann Messiaen, in speziell dafür vorgesehenen Notizbüchern systematisch Vogelstimmen zu sammeln, die er auf ausgedehnten Reisen durch die ganze Welt zusammentrug.150 Gerade die Vögel dienten ihm neben anderen Natureindrücken als natürliche Inspirationsquelle151, deren Improvisationsreichtum, klangliche Vielfalt
und rhythmische Flexibilität und Agogik er bewunderte. Auf detailreiche und feinsinnige Weise
setzte Messiaen die notierten Vogelgesänge in seinen Werken instrumental um,152 exemplarisch
genannt seien die Werke der 50er Jahre, der Réveil des oiseaux (1953) für Klavier und Orchester,
in dem er erstmals den Vogelgesang zum Materialvorrat machte, weiterhin Oiseaux exotiques
(1956) für Klavier, Glockenspiel, Xylophon, fünf Schlagwerke und kleines Holzbläserorchester
und der Catalogue d’oiseaux (1956-1958) für Klavier.153 Die Vogelstimmen, die Messiaen im
148
Die Obertonreihe beschreibt eine Anzahl von Tönen, die ganzzahlige Vielfache der Schwingung des Grundtones
sind, also in einem natürlichen Intervallverhältnis zum Grundton stehen und den Klang des Tones ausmachen. Nach
oben hin nehmen die Obertöne an Intensität ab und sind daher mit dem menschlichen Gehör kaum einzeln
wahrnehmbar; vgl. auch die Ausführungen Messiaens in: Samuel, Neue Gespräche, 46-47. Messiaen hatte eigenen
Aussagen zufolge ein so feines Gehör, dass er die übermäßige Quarte und die kleine Sexte als einzelne Obertöne
über dem Grundton hören konnte, vgl. Messiaen, Conférence de Notre Dame, 65.
149
Das Phänomen der Komplementärfarben kann man wahrnehmen, indem man die Konturen eines farbigen
Elements auf weißem Grund so lange fixiert, bis eine andere, im Farbkreis dem farbigen Element gegenüberliegende
Farbe, auf dem weißen Grund aufscheint; vgl. auch die Ausführungen Messiaens in: Samuel, Neue Gespräche, 46.
150
Diese Notizbücher, cahiers, in denen Messiaen bis zu seinem Lebensende Vogelgesänge sammelte und Ideen für
Werke notierte – es gibt 200 solcher Hefte – lassen sich als wertvolle ornithologische und musikalische Tagebücher
lesen; vgl. zu Messiaens ornithologischen Studien und deren Umsetzung in Werken der 50er Jahre Hill / Simeone,
Messiaen, 216-243.
151
Vgl. beispielsweise Messiaens Würdigung der Natur als Inspirationsquelle für seine Werke in: Samuel, Neue
Gespräche, 41-43.
152
Zu Messiaens Vorgehensweise beim Notieren und der instrumentalen Umsetzung der Vogelstimmen und den
daraus sich ergebenen Problemen vgl. die Aussagen Messiaens in: Rößler, Almut, Öffentliche Diskussion mit
Olivier Messiaen am 7. Dezember 1968 im Bach Saal der Johanneskirche während des ersten Düsseldorfer
Messiaen-Festes zu seinem 60. Geburtstag, in: dies. (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit
Original-Texten des Komponisten, Duisburg 21993, 27-38, bes. 31-35. Es finden sich zwei verschiedene
Behandlungsweisen des ornithologischen Materials: Während Messiaen im Catalogue d’oiseaux ein möglichst
naturalistisches Abbild anstrebte und eine Stimmigkeit der angeführten Vogelgesänge hinsichtlich Tageszeit und
Geographie intendierte, brachte er im ersten Satz der Oiseaux exotiques Vögel unterschiedlichster Herkunft und
ordnete sie entsprechend der Farbe ihres Gefieders in ihrem Auftreten, welche sich gleichzeitig in der Farbigkeit des
jeweiligen Modus wiederfindet, vgl. Motte-Haber, Theologische Musik, 67-68.
153
Die Spielanweisung „comme un oiseau“ findet sich bereits in den Préludes von 1928; im Zusammenhang mit
dem Quatuor pour la fin du temps (1941) nannte Messiaens erstmals namentlich einen Vogelgesang. Vogelstimmen
32
Livre du Saint Sacrement in den Sätzen III, V, VI, VIII, XI, XII, XIII und XV verwendet, hatte
er während einer Israel-Reise im April 1984 gesammelt. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem
Heiligen Land, der Lebenswelt Jesu – den Ort, an dem er die Vogelstimmen notiert hatte,
vermerkte Messiaen in der Partitur eigens – bieten die Vogelstimmen eine naturalistische Veranschaulichung.154 Darüber hinaus werden die Vögel, die Messiaen als „unsere kleinen Diener
der immateriellen Freude“155 bezeichnete, zum Symbol156: Als Künder der Freude kommen sie
besonders im XV. Satz „La joie de la grâce“ zum Einsatz, der ausschließlich den originalgetreu
wiedergegebenen Gesängen des Graubülbüls, Felsenglanzstars und Weißkehlsängers vorbehalten
ist. In diesem Satz, der den Kommunionempfang, also den Kernsatz der Feier des eucharistischen Geheimnisses beschreibt und damit einen Vorgang umgreift, der schwerlich mit musikalischen Mitteln darstellbar oder abbildbar ist, vielmehr auf ein inneres Geschehen im Kommunikanten verweist, tritt der Komponist Messiaen demütig hinter den Gesang der Vögel zurück, die
ihm in ihrer reinen und unbescholtenen Freude am klarsten und innigsten das ausdrücken, was
das Wesen der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn ausmacht. Die Vögel werden hier zu
„,Liturgen‘ des Unaussprechlichen, vor welchem alles andere Sprechen verstummt.“157
Gerade im Livre setzte Messiaen den Gesang der Vögel häufig gemeinsam mit einem weiteren
Element seiner Musiksprache ein,158 das ebenso Zitatcharakter hat, nämlich mit gregorianischen
Melodien. Den gregorianischen Gesang ließ Messiaen als einzige Form liturgischer Musik
gelten.159 Denn er allein habe musikalisch „gleichzeitig die Reinheit, die Freude und die
Leichtigkeit, die nötig sind für den Flug der Seele zur Wahrheit hin“160. In seiner „freudigen
Bewegtheit“161 und seinem musikalischen Reichtum, in der rhythmischen und melodischen
Geschmeidigkeit der Neumen gleicht der Greogrianische Gesang dem unbeschwerten, flexiblen
und reinen Gesang der Vögel. An der Behandlung des gregorianischen Materials in den Werken
setzte Messiaen auch in den beiden dem Livre unmittelbar folgenden Werken, Petites esquisses d’oiseaux (1986) für
Klavier und Un vitrail et des oiseaux (1986) für Klavier und Orchester, ein.
154
So äußerte sich Messiaen zur Verwendung der Vogelstimmen im Livre: „J’ai voulu le faire de façon tellement
précise et sérieuse que j’ai décidé d’aller en Israël, en ornithologue, pour y écouter les oiseaux que le Christ avait pu
entendre liu-même sur cette terre“ (Messiaen, Olivier, in: Massin, Brigitte, Olivier Messiaen: une poétique du
merveilleux, Aix-en-Provence 1989, 74).
155
Messiaen, zitiert nach: Kars, Liturgie, 17.
156
Die symbolische Bedeutung der Vögel auf religiöser Ebene besonders im Spätwerk Messiaens ist bei Michaely,
Gesamtschaffen, 341-345 ausgeführt. Wenn Messiaen Vögel als religiöse Symbolträger einsetzte, beschränkte er
sich auf ein Minimum an Vogelstimmen, wie dies auch im XV. Satz des Livre zu beobachten ist. Ein weiteres
Beispiel für Vogelgesänge zur Kommunion ist der IV. Satz der Messe de la Pentecôte, „Les Oiseaux et les Sources“
(„Die Vögel und die Quellen“).
157
Kars, Freude, 367.
158
Vgl. die Sätze III, V und XII des Livre, wo gregorianische Melodien und Vogelgesänge erklingen.
159
Vgl. Messiaen, Conférence de Notre Dame, 60-62.
160
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 60.
161
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 62.
33
Messiaens lässt sich eine interessante Entwicklung ablesen:162 Während Messiaen zunächst
gregorianische Zitate nur diskret und durch reiche Kolorierung beinahe unkenntlich verzerrt
einsetzte, bezog er sie besonders ab 1960 (Verset pour la fête de la Dédicace) verstärkt in seine
Orgelmusik ein, wobei der Modifizierung, der Veränderung und Ausschmückung der Zitate
kaum Grenzen gesetzt sind.163 Erst in seinem Spätwerk, den Méditations sur le mystère de la
Sainte Trinité von 1969 und im Livre du Saint Sacrement kehrte Messiaen zur Originalgestalt der
gregorianischen Zitate zurück, die er solistisch beziehungsweise mit modaler Harmonisierung
einsetzte. Was als mutiger Ablösungsprozess von avantgardistischen musikgeschichtlichen
Strömungen und Vorgaben seiner Zeit und als emanzipatorischer Schritt vom dominanten
Einfluss Tournemires zu deuten ist, gleicht einem offenen Bekenntnis und Zeugnis für die unverfälschliche Schönheit und Reinheit der gregorianischen Gesänge, für die Würde der katholischen
Liturgie und die durch die gregorianischen Zitate zum Ausdruck kommenden Textaussagen.
Messiaen selbst bezeichnete sich als „Rhythmiker“164. In Abgrenzung zum weitläufigen Begriff
von Rhythmus definierte Messiaen – ausgehend von seinen Studien zum Wesen der Zeit165 – die
rhythmische Musik als eine Musik, „die die Wiederholung, das Ebenmaß und die gleichen
Unterteilungen meidet, die im ganzen genommen inspiriert ist von den Bewegungen in der
Natur, Bewegungen von freier und ungleicher zeitlicher Dauer.“166 So zeichnet sich die
kompositorische Gestaltung der Musik Messiaens durch eine jegliche fixe, herkömmliche
Betonungs- und Taktstrukturen übersteigende Freiheit und Natürlichkeit aus, die sich in unkonventionellen langen Tondauern, die eine Ahnung von der Ewigkeit geben, oder in seiner
Vorliebe für den Gregorianischen Choral und Vogelgesänge wiederfindet. Darüber hinaus bezog
Messiaen griechische Versmaße und indische Rhythmen (Dêci-talas) ein, die er erstmals systematisierte und im siebten Band seines Traité de rhytme, de couleur et d’ornithologie zusammenfasste.167 Im Livre du Saint Sacrement, das in einer ganz persönlichen musikalischen Gebets162
Vgl. zu den folgenden Ausführungen Latry / Mallié, L’œuvre d’orgue, 14-15 und Schlee, Verkündigung, 726729.
163
Eine solche Behandlung der gregorianischen Melodien durch Messiaen ist auf den dominanten Einfluss Charles
Tournemires und seines Werkes L’orgue mystique (1927-1932) zurückzuführen, vgl. Bretschneider, Wolfgang, „Le
Plaint-Chant – source de toute notre musique occidentale“. Der Cantus Gregorianus bei Olivier Messiaen, in:
Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La
Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 139-154, hier
152.
164
„Sie wissen, daß ich die Manie habe, mich als Rhythmiker ansprechen zu lassen. Über meinem Lebenslauf steht:
Messiaen, compositeur de musique ET rythmicien“ (Messian, zitiert nach: Michaely, Gesamtschaffen, 403). Auch
bemerkte Claude Samuel im Gespräch mit Messiaen: „Eines Tages, als ich sagte, Sie seien Komponist, haben Sie
hinzugefügt: ,Ich bin Ornithologe und Rhythmiker‘“ (Samuel, Neue Gespräche, 43).
165
Zur „philosophie de la durée“ Messiaens, zu seinen entscheidenden Aussagen und Beispielen in seinen Werken
vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 403-408.
166
Samuel, Neue Gespräche, 43.
167
Vgl. darüber hinaus Messiaens Ausführungen zur Struktur und Bedeutung der Rhythmen in: Samuel, Neue
Gespräche, 44-46 und Messiaen, Praemium Erasmianum, 42-44. Eine systematische Auflistung und Übersicht über
die Rhythmen findet sich bei Michaely, Gesamtschaffen, 41-59.
34
sprache gehalten ist, dem es nicht so sehr um das Aufzeigen von kompositorischen Gestaltungsmitteln, sondern um die klangliche Umsetzung einer spirituellen Erfahrung geht, verwendet
Messiaen schematische Rhythmen nur an drei Stellen.168 Allein aus inhaltlichen Gesichtspunkten
setzte Messiaen im XII. Satz des Livre, „La Transsubstantiation“, eine serielle169 Reihenstruktur
ein, die Tonhöhenverläufe, rhythmische Werte und Klangfarben in einem komplexen Schema
organisiert.170 Durch die Wahl dieses scheinbar im Widerspruch zur erfahrungsbezogenen,
schlichten und nicht festgeprägten Klangsprache des Werkes stehenden Mittels versuchte
Messiaen, dem theologisch auf begrifflicher Ebene schwer erklärbaren Phänomen der Transsubstantiation gerecht zu werden. Hier tritt er als Komponist demütig hinter eine Form der
anonymen, objektiven Organisation des Klangmaterials zurück, da eine emotionale, subjektiv
anrührende Musiksprache dem unbegreiflichen, unnennbaren Geschehen der Transsubstantiation
nicht entsprechen würde.
Ebenso hinter dem Deckmantel der Anonymität und Objektivität verbirgt sich Messiaen durch
den Einsatz der langage communicable. In diesem System, das Messiaens in den Méditations sur
le mystère de la Sainte Trinité entwarf, wird jeder Buchstabe einem bestimmten Ton zugeordnet,
darüber hinaus finden syntaktische Gestalten und einzelne Wörter in musikalischen Konstellationen ihre Entsprechung, sodass Sprache und Musik eine völlige Symbiose eingehen.171 Auch
wenn dieses Gestaltungsprinzip vielfach auf Unverständnis und Ablehnung172 gestoßen ist, so ist
168
Es finden sich folgende griechische Rhythmen: épitrite 4 (VII.), Bacchius (VIII.) und épitrite 3 (XVII.), es
kommen keine Dêci-talas zum Einsatz, vgl. Halbreich, L’œvre, 299.
169
Messiaen gilt als der Begründer des Serialismus. Mit seinem kurzen Klavierstück „Mode de valeurs et
d’intensités“ in dem Klavierzyklus Quatre études de rythme von 1949 unternahm Messiaen den ersten Versuch in
der Musikgeschichte, den Begriff der Modalität auf alle Parameter, also Tonhöhe, Dauer, Lautstärke und
Anschlagsart auszuweiten, vgl. dazu die Übersicht von Michaely, Gesamtschaffen, 60-66. Messiaens Ziel war es,
eine objektive, in sich völlig festgelegte Musiksprache zu entwerfen. In der Folgezeit verwendete Messiaen dieses
Verfahren z.B. im Klavierzyklus Catalogue d’oiseaux und vor allem im siebten Bild der Oper Saint François
d’Assise, in dem Franziskus seine Nacht der Seele durchleidet. In seiner Bedeutung schätzte er das serielle Prinzip
jedoch nicht sehr hoch: „Man misst ihm [sc. dem ,Mode de valeursʻ] wahrhaft übertriebene Bedeutung zu, aber es
ist ja nur eine kurze Seite von ,historischer‘ Bedeutung, wenn Sie so wollen“ (Messiaen, in: Rößler, Gespräch am
23. April 1979, 79).
170
Zur Erklärung der seriellen Reihe in diesem Satz vgl. Heinemann, Michael, Livre du Saint Sacrement, in: Busch,
Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der Messe de la Pentecôte
bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008, 153-184, hier 174-175.
171
Zu Messiaens langage communicable vgl. Weissgerber, Lydia, Messiaens Langage communicable und die
musikalische Grammatik der Identität. Beobachtungen zum 1. Satz der Méditations sur le Mystère de la Sainte
Trinité, in: Busch, Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der
Messe de la Pentecôte bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008, 20-53; vgl. ferner
Grotjahn, Rebecca, Meditationen, Geheimnisse, Zufälle: Messiaens Konzept der Langage communicable, in:
Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La
Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 107-120.
172
Ein Hauptvorwurf gegen die langage communicable war, dass Messiaen damit einem zufälligen Prinzip folge, in
dem die Verbindung von Ton und Buchstabe und damit auch das musikalische Ergebnis willkürlich und
unreflektiert sei. Darauf antwortete Messiaen: „Der Anfang ist vielleicht vom Zufall bestimmt, aber die Folge ist
überhaupt nicht zufällig, sondern überlegt und beabsichtigt. Der Kritiker hat nur die einfache Seite, nämlich die
Umwandlung von Buchstaben in Töne, gesehen und nicht die Umwandlung der Buchstaben in Zeitdauern und
Oktavlagen, und er hat auch nicht daran gedacht, daß es Themen, Leitmotive gibt, und auch Verben – haben, sein –,
das ist doch ein bißchen mehr als nur Buchstaben“ (Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 75). Ein
35
es Messiaen doch gelungen, die theologische Aussage der Sätze – im Livre sind dies die Worte
„résurrection“ am Anfang und Ende des VII. Satzes „Les ressuscités et la lumière de Vie“, ferner
„votre père“, „votre Dieu“ und „apocalypse“ im bedeutenden XII. Satz der Erscheinung Jesu vor
Maria Magdalena und „la joie“ im Schlusssatz (XVIII) – auf eindrucksvolle Weise herauszuheben und vollständig mit der Musik verschmelzen zu lassen. Dabei ging es Messiaen nicht so
sehr darum, dem Hörer ein sofortiges Verständnis dieser Worte zu vermitteln, sondern vielmehr
für die Nachwelt den schlagwortartigen theologischen Hauptgedanken, dessen Buchstaben er in
der Partitur explizit über den dazugehörenden Tönen notierte, eindeutig zu bewahren.173
Es gilt festzuhalten: Die Eigenart der kompositorischen und theologisch-spirituellen Sprache des
Livre du Saint Sacrement erhellt sich erst aus dem Gesamtkonzept der Messiaen’schen Klangsprache. Dieses Alterswerk Messiaens zielt nicht in erster Linie auf ein Ausschöpfen der kompositorischen Techniken und Möglichkeiten, vielmehr ist es durch eine aufs Wesentliche ausgerichtete Schlichtheit der musikalischen Sprache geprägt, die greifbar wird an der Einstimmigkeit
der gregorianischen Zitate oder der Reduzierung komplizierter rhythmischer Verfahren und
komplexer Akkordstrukturen zugunsten eindeutig Dur-tonaler Anklänge. Demütig führte
Messiaen geprägte, objektivierende Aussagen an, die durch die Stimme der Vögel, die Melodie
der gregorianischen Gesänge oder das System der langage communicable vorgetragen werden,
um dem Unaussprechlichen zu begegnen, es hörbar und erfahrbar werden zu lassen. Vor diesem
Hintergrund wird herauszuarbeiten sein, welche Mittel Messiaen gerade in den Gebetssätzen
einsetzte, um darin seine persönliche spirituelle Erfahrung in der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn zu Wort beziehungsweise Klang kommen zu lassen.
weiterer Vorwurf war, dass diese Sprache dem Hörer nicht evident sei, sie mithin ihr Ziel verfehle, „communicable“
zu sein. Dieser Einwand verkennt jedoch das Interesse, das Messiaen mit der langage communicable verband: Es
ging ihm nicht um ein unmittelbares Verständnis der Buchstaben und Wörter, sondern darum, für die Nachwelt
bestimmte Hauptaussagen der Werke transparent zu machen und zu konservieren.
173
Für diesen Hinweis dankt die Verfasserin Prof. Thomas Daniel Schlee, der das Interesse, das Messiaen mit der
langage communicable verfolgte, mit dem Wortlaut Messiaens wiedergab: „Wenn alle meine Werke verlorengehen
und nur eine Seite mit einem mittels des langage communicable umgesetzten Inhaltes gefunden werden sollte, wird
man begreifen, was ich sagen wollte, weshalb ich diese Musik geschrieben habe“.
36
3.3 Das Livre du Saint Sacrement
3.3.1 Entstehung
Aus der Entstehungsgeschichte des Livre du Saint Sacrement sollen im Folgenden zwei Aspekte
herausgehoben werden, welche die Gesamtaussage des Werkes erhellen. Dies ist zum einen die
Frage nach der Motivation Messiaens, an seinem Lebensabend ein solch umfangreiches Werk
über das Sakrament der Eucharistie zu komponieren, zum anderen die Frage nach dem theologischen Programm, das sich hinter der Anordnung und Gesamtkonzeption der Sätze verbirgt.
Nach Vollendung seiner bedeutenden Oper Saint François d’Assise, die acht Jahre lang alle
seine Kräfte in Anspruch genommen hatte, fiel Messiaen in eine Phase der geistigen wie körperlichen Erschöpfung.174 Mit seiner Oper meinte Messiaen alles gesagt zu haben, er schien für
weitere Werke weder Motivation noch Inspiration mehr zu verspüren. So urteilte er selbst am
Tag der Uraufführung seiner Oper: „Die Dämmerung hat begonnen. Ich bin fertig. Ich werde nie
wieder etwas komponieren.“175 Umso erstaunlicher ist es, dass er nur ein gutes Jahr später das
Livre du Saint Sacrement vorlegte, ein Werk, das keinerlei Einbruch erahnen lässt, sondern
vielmehr seine vorigen Werke an musikalischer und theologischer Reife noch übertrifft, mit
einer Aufführungsdauer von zwei Stunden gar sein umfangreichstes Orgelwerk ist. Die Inspiration zum Livre gewann Messiaen eigenen Aussagen zufolge im Jahr 1984 aus einer Improvisation während der Gründonnerstagsliturgie, in der „die Kirche der Einsetzung der Eucharistie
durch Christus gedenkt“: „Berührt von der großen Schönheit des Gottesdienstes widerfuhr mir
[…] eine Eingebung des Augenblicks“176. Die Improvisation fand in überarbeiteter Weise in dem
Satz „Institution de l’Eucharistie“ Eingang in das Livre. Bemerkenswert an dieser Aussage ist,
dass Messiaen die Gegenwart des eucharistischen Herrn selbst als seine Inspirationsquelle und
den unmittelbaren Ausgangspunkt für die Komposition des Livre nennt. Dies gilt als Schlüssel
für das Werk festzuhalten, auch wenn erwiesen ist, dass Messiaen schon einige Jahre zuvor
Gedanken zu einem Werk über das Altarsakrament und zu Orgelstudien gesammelt hatte und ein
Entwurf von „Institution de l’Eucharistie“ bereits auf den Gründonnerstag 1981 zu datieren
ist.177 Seine ursprünglichen Pläne, ein Livre d’orgue mit Etüden und Sätzen zur Eucharistie zu
komponieren, konkretisierte Messiaen Anfang 1984 mit der Niederschrift des Satzes „La
174
Angaben seiner Frau Yvonne Loriod zufolge verfiel Messiaen Ende Januar 1984 in eine tiefe Depression,
einhergehend mit einem völligen Zusammenbruch, vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 360.
175
Messiaen, Olivier, in: Libération (28.11.1983); zitiert nach Hill / Simeone, Messiaen, 360.
176
Messiaen, Olivier, in: Marti, Jean-Christophe, Es ist ein Liebesgeheimnis. Ein Gespräch mit Olivier Messiaen.
Übers. von Yvonne Lang, in: Beiheft zur CD (Messiaen, Olivier, Saint François d’Assise. Scène franciscaines en
trois actes et huit tableaux. Interpr. durch José van Dam / Dawn Upshaw / Arnold Schoenberg Chor / Hallé
Orchestra unter Leitung von Kent Nagano, Hamburg 1999) 42-56, hier 55.
177
Dieser Satz sollte in einer Prière au Saint Sacrement Platz finden, vgl. zu Messiaens kompositorischen Plänen
während dieser Zeit Hill / Simeone, Messiaen, 361-363.
37
Visitation et la joie de Jean Baptiste“. Dass er seine Ideen schließlich in einem Livre zusammenfasste, welches ausschließlich dem Sakrament der Eucharistie gewidmet ist, wurde durch
Messiaens Israel-Reise im April 1984 begünstigt, die ihn wesentlich inspirierte.178 Ein Auftrag
der Stadt Detroit und der American Guild of Organists unter dem Namen Ray Fergusons über ein
Orgelwerk, das am 1. Juli 1986 in der Metropolitan Methodist Church in Detroit (USA) durch
Almut Rößler uraufgeführt werden sollte, kam hinzu.179
Eine erste Reinschrift des Livre du Saint Sacrement begann Messiaen im Juni 1984. Zu dieser
Zeit enthielt die Komposition nur fünfzehn Sätze, die in einer losen Stücksammlung mit
inhaltlich nicht stringenter Abfolge entsprechend dem Charakter eines Livre angeordnet waren.
Inhaltlich wurden hier Meditationen über die Geheimnisse der Kommunion mit nicht chronologisch geordneten Szenen aus den Evangelien verbunden.180 Beim Vergleich dieser Version mit
der Endfassung181 des Livre, die 18 Sätze enthält, sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden,
die Aufschluss über Messiaens theologische Schwerpunktsetzung geben. Sie betreffen den
Anfang und das Ende des heute vorliegenden Livre. Zunächst zum Schlusssatz: Der erste konkret
für das Livre komponierte Satz war „La Visitation et la joie de Jean Baptiste“, der inhaltlich die
Freude Elisabeths bei der Erkenntnis, dass sie schwanger ist (vgl. Lk 1,42-44), aufgreift. Diesen
rückte Messiaen von Stelle elf der ersten Fassung an das Ende des Werkes, da dieser Satz eine
größere musikalische Schlusswirkung entfaltet als der ursprüngliche Schlusssatz „La
Résurrection du Christ“. Die theologische Unschlüssigkeit, die sich damit ergab, den in
biblischer Chronologie frühen Satz an die letzte Position des Werkes zu stellen, löste Messiaen,
indem er die Freude Elisabeths auf alle Heiligen umdeutete und dem Satz den Titel „Offrande et
Alléluia final“ gab. Dieser Satz, der somit als eine Keimzelle für die Entstehung des Livre und
als finaler Höhepunkt zentrale Bedeutung einnimmt, drückt eine Grundaussage aus, die Messiaen
durch die kompositorische Ausbuchstabierung mittels langage communicable nochmals hervorgehoben und be-tont wissen will: die Freude, die sich von der Dankbarkeit Elisabeths über die
Freude beim Kommunionempfang („La joie de la grâce“) bis hin zur ewigen Freude aller
Himmlischen beim endzeitlichen Festmahl erstreckt. Die Bedeutung der Freude im Werk
Messiaens sei durch einen Verweis auf einen anderen Satz aus den Vingt Regards, die „Première
178
Vgl. hierzu die Notizen aus seinem Tagebuch, abgedruckt in: Hill / Simeone, Messiaen, 363-364.
Zur Ankündigung des Auftrags vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 362-363. Die Uraufführung fand vor einem
Publikum von 2000 professionellen Organisten statt, vgl. ebd., 373-374. Es folgten weitere Aufführungen durch
Almut Rößler in den USA, Deutschland (Bonn, 12. September 1986 und Düsseldorf, 1. November 1986) und
Holland, durch Jennifer Bate in London (7. Oktober 1986), Thomas Daniel Schlee in Wien (25. Februar 1987) und
Jon Gillock in New York (10. März 1987); vgl. die Auflistung der 48 ersten Aufführungen in Messiaen, Livre, 5.
180
Zur Abfolge der Sätze in der Version vom Juni 1984 vgl. Hill / Simeone, Messiaen, 366-367.
181
Messiaen vollendete das Werk Anfang 1985. Eine Tagebuchnotiz vom 1. März 1985 lautet: „Mme. Rößler eine
gebundene Fotokopie des neuen Orgelwerks gegeben“ (Messiaen, zitiert nach: Hill / Simeone, Messiaen, 368). Am
20. März ließ Messiaen das Livre du Saint Sacrement bei der SACEM registrieren, am 22. April lieferte er seinem
Verlag Leduc die Reinschrift, vgl. ebd., 369-370.
179
38
communion de la Vierge“, nochmals herausgestellt. Hier wird – in Analogie zur Freude
Elisabeths – das atemlos jubilierende, ekstatische Magnificat Mariens in Töne gesetzt. Gerahmt
wird dieses von einem mystischen Klanggemälde, das die Anbetung Mariens an Jesus in ihrem
Leib zum Ausdruck bringt. Mit den beiden Hauptanliegen dieses marianischen Satzes, nämlich
der Freude und der Anbetung, lässt sich wieder ein Bogen schlagen zum Livre du Saint
Sacrement, das die Anbetung als zentrale Haltung und Ausrichtung gleich zu Beginn des Werkes
hervorhebt. Bereits in der ersten Version des Livre vom Juni 1984 ist das „Adoro te“ der
Eröffnungssatz des Werkes. Messiaen scheint von Anfang an großen Wert darauf gelegt zu
haben, die Anbetung als programmatischen Eingang des Werkes zu betrachten, gleichsam als
Vorzeichen, unter dem das Werk als Ganzes zu verstehen und aufzunehmen sei.
3.3.2 Aufbau und theologische Hauptaussagen
Die Endfassung des Livre enthält 18 Sätze von unterschiedlicher Länge und musikalischer
Ausformung. Kontemplative Sätze, die eher auf strophische Modelle rekurrieren, wechseln mit
solchen, die narrativ die zugrunde gelegten Bibelzitate musikalisch ausgestalten. Messiaen selbst
legte in seinem Einführungstext, in dem er die einzelnen Sätze unter musikanalytischen sowie
theologischen Gesichtspunkten kurz charakterisierte, eine Gliederung nahe, die drei Teile
unterscheidet und die die Grundlage der weiteren Ausführungen in dieser Arbeit bildet.182
182
Die im Folgenden vorgenommene Gliederung rekurriert auf den Einführungstext Messiaens und lehnt sich an die
interpretierende Gliederung an, die Jordi A. Piqué i Collado erstmals schematisch dargelegt hat (Piqué i Collado,
Livre, 124-125). Bei Piqué i Collado tritt eine leichte Konfusion auf, da er einerseits von „drei Teilen“, meistens
jedoch von „zwei Teilen“ mit einer vorausgehenden „Einleitung“ (I.-V.) spricht bzw. die Hauptsätze am Ende der
beiden Großteile (XI. und XVIII.) abspaltet und die übrigen Sätze als „Blöcke“ bezeichnet und überdies auch die
einzelnen Sätze „Teile“ nennt. Die Konfusion soll auch im Sinne dieser Arbeit dahingehend aufgelöst werden, dass
die drei Teile einen eigenständigen „Einführungsteil“ (I.-IV.) umfassen, auf den zwei Teile folgen, die in sich
geschlossen sind und eine thematische Einheit bilden („Binnenzyklen“). Alle drei Teile kumulieren jeweils in einem
Schlusssatz, der eine theologische Hauptaussage enthält.
39
Satztitel
Zitate
I
„Adoro te“
Adoro te (Thomas von Aquin)
II
„La Source de Vie“
Gebet des heiligen Bonaventura
III
„Le Dieu caché“
Imitatio Christi IV,
(Thomas von Aquin)
IV
„Acte de Foi“
Glaubensbekenntnis
V
„Puer natus est nobis“
Jes 9,5
VI
„La manne et le Pain de Vie“
Weish 16,20-21; Christus in seinen
Geheimnissen, 18 (Dom Columba
Marmion); Joh 6,51
VII
„Les ressuscités et la lumière de Vie“
Joh 8,12; Joh 6,54
VIII
„Institution de l’Eucharistie“
Mt 26,26.28
IX
„Les ténèbres“
Lk 22,53; Lk 23,33; Mt 27,45
X
„La Résurrection du Christ“
Lk 24,5
XI
„L’Apparition du Christ ressuscité à Joh 20,11-17
Marie-Madeleine“
XII
„La Transsubstantiation“
Adoro te (Thomas von Aquin); Sequenz
„Lauda Sion“
XIII
„Les deux murailles d’eau“
Ex 14,21-22; Sequenz „Lauda Sion“
XIV
„Prière avant la communion“
Worte des Hauptmanns, Mt 8,8
XV
„La joie de la grâce“
Imitatio Christi IV, 3 und 5
XVI
„Prière après la communion“
Bonaventura
XVII
„La Présence multipliée“
Sequenz „Lauda Sion“
XVIII
„Offrande et Alleluia final“
Imitatio Christi IV, 17
11;
Adoro
te
Abbildung 1: Aufbau des Livre du Saint Sacrement.
Der erste Teil umfasst danach die Sätze I-IV, die als „Akte der Anbetung vor Christus, der
unsichtbar, aber im Heiligen Sakrament realiter präsent ist“183 zu verstehen sind. Diese
Einleitungssätze zeigen die Grundausrichtung des Werkes an: Die eigentlichste Intention des
183
Messiaen, Einführungstext Livre, 231.
40
Livre ist die Anbetung, die programmatisch in den Worten des Thomas von Aquin im „Adoro te“
erklingt, das als Motto den Sätzen I und III zugrunde gelegt ist. Die Anbetung richtet sich an den
eucharistischen Herrn, der in Brot und Wein lebendig gegenwärtig und die „Quelle des Lebens“
(II.), jedoch unter den Gestalten von Brot und Wein verborgen ist und mit den leiblichen Sinnen
nicht erkannt werden kann.184 Allein der Glaube vermag diese Täuschung185 der Sinne zu
überwinden, er ist die grundlegende Koordinate in der Annäherung an das Mysterium der
Eucharistie. Und so wird dieser Glaube im IV. Satz („Acte de Foi“) als Höhepunkt des
einleitenden Teils in kraftvoller und deutlicher Sprache, in beinahe schwindelerregender Weise
kundgetan. Anbetung und Glaube sind damit die beiden zentralen Zugangsweisen zum Altarsakrament, die Messiaen gleich zu Beginn des Livre in den Vordergrund stellt und unter denen
auch die folgenden beiden Binnenzyklen mit ihren jeweils sieben186 Sätzen zu betrachten sind.
Der erste der beiden Binnenzyklen (V.-XI.) wirft den Blick auf das Leben Jesu und beschreibt
die „Mysterien Christi in chronologischer Reihung“187. In jeder Feier der Liturgie, besonders
aber im eucharistischen Mahl, seien die Gnaden der Mysterien Christi wirksam und jedem
zugänglich.188 So kommen in diesem Teil die Geburt Jesu (V.), das Letzte Abendmahl mit den
Einsetzungsworten (VIII.), die Kreuzigung (IX.), Auferstehung (X.) und in einem finalen Höhepunkt die Erscheinung Jesu vor Maria Magdalena zu Gehör. Darüber hinaus stellt Messiaen
allegorische Bezüge zu Worten des Alten Testaments her wie beispielsweise im VI. Satz, der die
Rede Jesu in Kapharnaum über das Himmelsbrot mit dem Manna in der Wüste verbindet und der
auf den nächsten Satz verweist, auf die Hoffnung auf das ewige Leben durch Teilhabe an Leib
und Blut Christi („Les ressuscités et la lumière de Vie“). Eine musikalische wie theologische
Schlüsselstellung nimmt der letzte Satz dieses Zyklus über das Leben Jesu, „L’Apparition du
184
Diese Schwierigkeit nannte Messiaen beim Namen: „Die Schwierigkeit für die Ungläubigen ist, anzuerkennen,
daß Christus Gott ist, und die Schwierigkeiten häufen sich noch in dem Sinne wie es der Hl. Thomas in dem
berühmten Gebet ausdrückt: die Zeitgenossen Christi sahen einen Menschen am Kreuz, einen leidenden Menschen,
das war alles, und für uns ist es noch schlimmer: man sieht überhaupt nichts. Also ist die größte Seligpreisung: Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben. Die Auferstehung ist der Grund und die Wurzel unserer Hoffnung“
(Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 104).
185
Vgl. die entsprechenden Verse aus dem „Adoro te devote“: „Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir, doch
des Wortes Botschaft offenbart dich mir“, zitiert nach: Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Ausgabe
für das Erzbistum Freiburg mit dem gemeinsamen Eigenteil für die Diözesen Freiburg und Rottenburg. Hg. von den
Bischöfen Deutschlands, Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg i. Br. 1975 (im
Folgenden abgekürzt mit „GL“) Nr. 546. Den deutschen Kirchenliedtext schuf Petronia Steiner, vgl. Heinz,
Andreas, Adoro te devote, in: LThK3 1, 169; wortgetreuer übersetzt lautet der lateinische Vers: „Schauen, Berühren,
Schmecken täuschen sich in dir, allein was das Ohr hört, schenkt sicheren Glauben“.
186
Die Zahl 7 bezeichnete Messiaen als „die vollkommene Zahl“, vgl. Messiaen, Olivier, Vorwort zum Quatuor
pour la fin du temps. Übers. von Reinhard Lüthje, in: Beiheft zur CD (Messiaen, Olivier, Quatuor pour la fin du
temps. Interpr. durch Gil Shaham / Paul Meyer / Jian Wang / Myung-Whun Chung, Hamburg 2000) 8-13, hier 8. Zu
weiteren Konnotationen der Zahl 7 bei Messiaen vgl. Michaely, Verbum Caro, 265.
187
Messiaen, Einführungstext Livre, 232.
188
In diesem Teil rekurriert Messiaen explizit auf die Gedanken Marmions und dessen Werk Christus in seinen
Geheimnissen. Auch die allegorische Verbindung zwischen dem Manna der Wüste und dem Leib Christi im VI. Satz
findet sich bei Marmion, vgl. Marmion, Christus, 356-361. Zum impliziten Einfluss der Gedanken Marmions auf die
Ausgestaltung des Livre vgl. auch Kapitel 3.1.2.2 dieser Arbeit, bes. 25-26.
41
Christ ressuscité à Marie-Madeleine“ (XI.) ein, der die Textpassage Joh 20,11-17 musikalisch
verarbeitet.189 Das Verhältnis von Wort und Klang ist in diesem Satz am plakativsten umgesetzt.
Die innere Dynamik dieses Satzes wird durch die Spannung zwischen bloßem Sehen und
schließlich dem Erkennen Jesu durch Maria Magdalena hergestellt, die von unbändiger Freude
erfüllt wird und anbetend auf die Knie fällt. Es folgt die Sendung: „Geh zu meinen Brüdern und
wiederhole ihnen meine Worte: Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Vater, zu meinem und zu
eurem Gott.“190 Es ist die Offenbarung des Herrn, die mittels langage communicable nochmals
hervorgehobene „apocalypse“, die lebendige Begegnung mit dem Auferstandenen, die im
Zentrum des Werkes steht und sowohl die Anbetung der verborgenen, aber präsenten Gottheit im
Einleitungsteil als auch die im Sakrament der Eucharistie fortdauernde Gegenwart des Herrn im
zweiten Binnenzyklus überstrahlt.
Dieser zweite Zyklus knüpft an den Einleitungsteil an und betrachtet den eucharistischen Herrn
in der gegenwärtigen Kirche, „um ihn im heiligen Sakrament anzubeten“191. Dabei werden die
liturgischen Handlungen der Eucharistiefeier aufgegriffen, nämlich Wandlung (XII.),
Brotbrechen und Elevation (XIII.), bei der Messiaen eine allegorische Beziehung zwischen den
Hälften der gebrochenen Hostie und den Wassermauern des Roten Meeres beim Auszug aus
Ägypten aufzeigt, weiterhin das Gebet vor der Kommunion (XIV.), der Kommunionempfang
selbst, in dem die Freude der Gnade ausschließlich durch Vogelgesänge dargestellt wird (XV.)
und das Gebet nach der Kommunion (XVI.). Abgerundet werden diese Sätze durch die Betonung
der ort- und zeitübergreifenden Gegenwart des Herrn (XVII.) und das abschließende „Offrande
et Alléluia final“ (XVIII.), das die Freude und Gebete aller Heiligen zum Ausdruck bringt und
damit eine eschatologische Öffnung und vorwegnehmende Einstimmung auf das himmlische
Mahl vornimmt.
Die Struktur des Livre du Saint Sacrement stellt insgesamt einen „wahrhaft theologischen
Diskurs über das Mysterium des Heiligen Sakramentes der Eucharistie“ dar, der durch Messiaen
„ausgearbeitet und sozusagen musikalisch – in musica – meditiert“192 wird. Theologische Grunddimension des Werkes ist die Anbetung, die in dem programmatischen „Adoro te“ des Thomas
von Aquin zum Ausdruck kommt und den Zugang des Komponisten und in Fortsetzung auch des
Hörers zum Sakrament der Eucharistie begründet. Die Haltung der Anbetung durchzieht das
Werk vom Beginn über den Kniefall Maria Magdalenas bis zur Praxis der heutigen Kirche.
Dabei ist die Anbetung nicht nur abstraktes theologisches Programm, sie wird vielmehr durch
189
Vgl. zu diesem Satz die ausführliche musikalische und theologische Analyse bei Michaely, Auferstehungssätze,
170-183.
190
Messiaen, Einführungstext Livre, 234-235.
191
Messiaen, Einführungstext Livre, 235.
192
Piqué i Collado, Livre, 106.
42
die Musik konkret verwirklicht, die selbst zum Medium der Anbetung wird. Hier durchdringen
sich auszudrückender Gehalt und Medium gegenseitig, sie verschmelzen zu einer
Aussageeinheit. Die zweite Koordinate des Werkes, die Wurzel und der tragende
Ermöglichungsgrund der Anbetung, ist der Glaube an die mit den Augen nicht sichtbare
Gegenwart der „verborgenen Gottheit“, der insbesondere im Einleitungsteil mit dem „Acte de
Foi“ als Höhepunkt und im Zyklus zur Anbetung in der gegenwärtigen Kirche im Zentrum steht.
Inwiefern die Musik den für den würdigen Sakramentenempfang unerlässlichen Glauben
„anzuzeigen“, ihn zu „nähren und zu stärken“ (SC 59) und daraus auch eine Haltung der
Anbetung einzuüben vermag, soll im Brückenschlag zur heutigen Sakramentenpastoral noch
aufgezeigt werden.193 Ferner sind die Schlusssätze der beiden Binnenzyklen als Schlüssel zu
Messiaens Verständnis und Zugang zum Altarsakrament zu begreifen: Die Offenbarung Christi,
die Erfahrung, dass der Auferstandene wirklich lebt, wird im XI. Satz eindrücklich aufgezeigt
und im folgenden Teil, der die Gegenwart des eucharistischen Herrn im Sakrament der
Eucharistie thematisiert, entfaltet. Die Freude Maria Magdalenas, die Jesus Christus als den
leibhaftig Gegenwärtigen erkennt, schlägt einen Bogen zum Schlusssatz, der schon jetzt den
einzelnen Kommunikanten in die eschatologische Freude aller Heiligen beim himmlischen Mahl
einstimmen lässt.
Folgende theologische Grundlinien lassen sich also zusammenfassen: Im Sakrament der
Eucharistie ist Jesus Christus, der wahrhaft Fleisch geworden („Puer natus est nobis“) ist und
unter uns gelebt hat, unter den Gestalten von Brot und Wein verborgen, doch bleibend gegenwärtig und mit allen Gnaden wirksam. Diese Wahrheit kann nur im Glauben erkannt werden.
Der Glaube an die Gegenwart Christi unter den Gestalten von Brot und Wein ist Fundament und
Quelle der Anbetung und der Freude. Am Beispiel der Begegnung zwischen Maria Magdalena
und dem auferstandenen Christus wird die Haltung der Freude und der Anbetung der Gottheit
Christi aufgezeigt. Der Kommunizierende in der gegenwärtigen Kirche wird in der Freude über
die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn hingenommen in die ewige Freude beim
himmlischen Festmahl.
3.3.3 Einordnung der Gebetssätze
Die beiden Gebetssätze finden sich im zweiten Binnenzyklus, der sich mit der ekklesiologischen
Entfaltung des Sakramentes der Eucharistie befasst und Bezug nimmt auf die gegenwärtige
Praxis des Sakramentenempfangs. Diese Sätze stellen den intimsten Moment des Werkes, dessen
spirituelles Zentrum dar. Denn hier geht es um die ganz persönliche Begegnung des Gläubigen
mit dem unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtigen Herrn, der im Einleitungsteil als
193
Vgl. dazu Kapitel 4 dieser Arbeit.
43
„verborgene Gottheit“, im ersten Binnenzyklus als wirklich Mensch Gewordener und
Auferstandener beschrieben wurde. In diesen Sätzen kommt es zur unaussprechlichen
Verwirklichung der aufgezeigten Gnaden und der Erfahrung der Gegenwart Jesu Christi. Diese
Begegnung, die mit musikalischen Mitteln kaum adäquat darstellbar oder kommunizierbar ist,
findet im Kommunionempfang selbst ihren Höhepunkt, den Messiaen allein durch die
entpersönlichte Form des Vogelgesanges zum Ausdruck bringt. Dieser Höhepunkt wird gerahmt
durch die beiden musikalisch schlichten Gebetssätze, die theologisch als innigster Ausdruck der
Gottesbegegnung und der Anbetung zu deuten sind.
Die Gebetssätze sollen im Folgenden hinsichtlich ihrer musikalischen Gestalt und ihres
theologischen und spirituellen Gehalts analysiert werden. Es sollen dabei die Grundanliegen und
Hauptgedanken Messiaens entschlüsselt und darüber hinaus mögliche weiterführende Ansätze
vorgeschlagen werden, die sich – von Messiaen bewusst oder unbewusst gestaltet – aus der
Betrachtung des Notentextes nahelegen.
44
3.4 Das Gebet vor der Kommunion
Der XIV. Satz des Livre du Saint Sacrement ist als musikalische Ausdrucksform des Gebetes
vor dem Kommunionempfang zu begreifen. Das zugrunde gelegte Zitat rekurriert auf das Wort
des Hauptmanns im Matthäusevangelium, das als Vorbereitungsgebet des Priesters und der
Gläubigen Eingang in das Messbuch gefunden hat: „Herr, ich bin nicht würdig..., aber sprich nur
ein Wort...“194 (vgl. Mt 8,8). Die Grundhaltung des Satzes ist die Demut. Messiaen selbst
charakterisierte die „Prière avant la communion“ in seinem Einführungstext mit den knappen,
aber prägnanten Worten: „Es ist ein Akt der Demut: ,Herr, ich bin nicht würdig, dich zu
empfangen.ʻ“195
3.4.1 Die musikalische Gestalt
Kennzeichnend für die musikalische Gestalt und den Aufbau des Satzes „Prière avant la
communion“ ist der Wechsel von einstimmigen greogorianischen Melodien und homophonen
akkordischen Abschnitten. Da diese beiden Strukturebenen den Satz prägen, sollen sie zunächst
anhand ihrer charakteristischen Eigenschaften skizziert werden. Auffällig sind erstens die
unterschiedlichen Tempobezeichnungen, die das Verhältnis von Zeit und Klang auf verschiedene
Weise ausloten. Die gregorianischen Melodien entfalten unter der Tempobezeichnung „Modéré,
un peu vif“ einen natürlichen Fluss, der jedoch im Dienste der Nachdrücklichkeit und Würde
hinter der „freudigen Bewegtheit und der Schnelligkeit“196 zurückzubleiben scheint, die
Messiaen den Neumen in der Conférence de Notre Dame zusprach. Demgegenüber sind die
breitflächigeren akkordischen Passagen mit der Bezeichnung „Très lent“ durch eine eigene
Langsamkeit und Zeitentrücktheit geprägt. Nur in den Takten 16-21, dem letzten Formteil,
modifiziert Messiaen die Tempobezeichnung: aus „Modéré, un peu vif“ wird „Très modéré“, aus
„Très lent“ wird „Extrêmement lent“, die Aussageabsicht wird durch die zeitliche Dehnung
nochmals gesteigert und intensiviert. Ein zweiter Unterschied zwischen den beiden sich
abwechselnden
Strukturteilen
liegt
in
der
klanglichen
Ausgestaltung:
Während
die
gregorianischen Themen in deutlich vernehmbarer Lautstärke (mezzoforte beziehungsweise
forte) vorgestellt werden, erklingen die Akkorde jeweils zart im pianissimo, dem die
Registrierung mit gambe und voix céleste im Schwellwerk eine eigene Ruhe, Sanftheit und
beinahe sphärischen Charakter verleiht. Dabei muss festgehalten werden, dass Messiaen die
Registrierung mit gambe und voix céleste in seiner 61 Jahre umfassenden Tätigkeit als Organist
an der Sainte-Trinité bei den meisten seiner liturgischen Orgelimprovisationen zur Kommunion
194
„Seigneur, je ne suis pas digne... mais dis seulement une parole...“ (Messiaen, Livre, 112).
Messiaen, Einführungstext Livre, 236.
196
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 62.
195
45
einsetzte, ebenso den Dialog von zwei kornettähnlichen Mischungen mit quintaton 16 und
nazard im Positiv, die im XIV. Satz des Livre den gregorianischen Zitaten Stimme verleihen.197
Die Gliederung das Satzes „Prière avant la communion“ lässt sich anhand der drei verschiedenen
zum Einsatz kommenden gregorianischen Zitate, nämlich dem zweimal erklingenden „Alleluia
de la Dédicace“, der Sequenz „Lauda Sion“ und dem „Graduel de l’Epiphanie“ leicht
nachvollziehen. Entsprechend der Abfolge von gregorianischem Zitat und akkordischer Passage
gliedert sich somit dieser Satz in vier Abschnitte, unter denen dem letzten eine besondere
Bedeutung zukommt.
Takte
Gregorianische Themen
1
Alleluia de la Dédicace (Pos)198
Modéré, un peu vif
2-4
5
Alleluia de la Dédicace (G)
Modéré, un peu vif
6-9
10-11
Séquence Lauda Sion (G)
Modéré, un peu vif
12-15
16-18
19-21
Graduel de l’Epiphanie (Pos – G)
Modéré, un peu vif
(...) Alleluia de la Dédicace (Pos)
Très modéré
Akkordische Gesten
(Akkordanzahl und Bewegungsrichtung
der Akkordgesten mit Schlussharmonie)
3 (↑) – 3 (↑) – 4 (↓) C5-6
Très lent (R)
2 (↓) – 3 (↓) – 2 (↓) G7
Très lent (R)
2(↓) – 4 (2+2 ↓) – 7 (3+4 ↓) C5-6
Très lent (R)
9 (5+4 ↓) C5-6
Extrêmement lent (R)
Abbildung 2: Aufbau des Satzes „Prière avant la communion“.
Zunächst sollen die gregorianischen Zitate in den Blick genommen werden. Der erste Abschnitt
(Takte 1-4) setzt mit dem von Messiaen in seinen Werken vielfach zitierten „Alleluia de la
197
Für diesen Hinweis dankt die Verfasserin dem Zeitzeugen Prof. Thomas Daniel Schlee. Auch in weiteren
Gebetssätzen aus dem Œuvre Messiaens findet sich eine solche klangliche Mischung, so beispielsweise im IV. Satz
aus L’Ascension, „Prière du Christ montant vers son Père“, basierend auf Joh 17,6.11. Innerhalb des Livre kommt
diese Registerwahl im II. Satz, „La source de Vie“, zur Realisation, der damit in Bezug tritt zu den Gebetssätzen vor
und nach der Kommunion. Ebenso wie der XVI. Satz, das Gebet nach der Kommunion, meditiert der II. Satz über
einen Vers aus einem eucharistischen Gebet Bonaventuras: „Dass mein Herz immer nach dir dürste, o Brunnen des
Lebens, Quelle des ewigen Lichts“ (Messiaen, Livre, 10). Die Registrierung mit gambe und voix céleste scheint bei
Messiaen gerade solchen Sätzen vorbehalten zu sein, welche die Haltung des Gebetes zum Ausdruck bringen.
198
Abkürzungen der Register: P = (Rück-)Positiv; G = Grand Orgue (Hauptwerk); R = Récit (Schwellwerk).
46
Dédicace“ ein, das als melismatische Ausgestaltung des Wortes „Alleluia“ aus einer flüssigen
Aufwärts- und einer schließenden Abwärtsbewegung besteht, die um die Hauptnoten g1 und c2
kreisen.
Abbildung 3: „Alleluia de la Dédicace“, Takt 1.
Auch in diesem Satz kommt dem „Alleluia de la Dédicace“ besondere Aufmerksamkeit zu: In
gesteigerter Lautstärke und markanterer Registrierung leitet es den zweiten Formteil (Takte 5-9)
ein. Auf demselben klanglichen Niveau hinsichtlich Dynamik und Registrierung bewegt sich
auch die Sequenz „Lauda Sion“, die den dritten Abschnitt (Takte 10-15) eröffnet. Hinsichtlich
ihres Tonumfangs stellt diese Sequenz eine musikalische Steigerung dar: Mit dem d2 beginnend
schwingt sich die melodische Bewegung in ihrer ersten Geste bis zum akzentuierten hohen g2 auf
und füllt in einer zweiten schließenden Geste den Rahmen einer Oktave bis hin zum g1.
Abbildung 4: Sequenz „Lauda Sion“, Takte 10-11.
Neben dem nach oben hin erweiterten Tonraum und dem Ambitus, der nun eine ganze Oktave
umfasst, ist auch das prägende Intervall, das markant in den jeweiligen Schlusswendungen
aufgegriffen wird, größer: Während das „Alleluia de la Dédicace“ mit einer Quarte schließt (c2g1), wird nun die Quinte (d2-g1) exponiert. Die gregorianischen Zitate dieser drei ersten
Abschnitte bewegen sich in einem einheitlichen kirchentonalen Bezugsrahmen und sind auf allen
Ebenen (Länge, Tonumfang und Klang) durch das Prinzip der Steigerung miteinander
verbunden. Diese Trias wird von einem vierten Abschnitt (Takte 16-21) nochmals übertroffen,
der einerseits das Prinzip der Steigerung auf den genannten Ebenen fortsetzt, andererseits den
Beginn des Satzes in Erinnerung bringt. So folgt im höhepunktartigen vierten Abschnitt auf das
„Graduel de l’Epiphanie“, das im Vergleich zu den vorigen Zitaten hinsichtlich der Tonanzahl
am umfangreichsten ist, ein Teilstück des „Alleluia de la Dédicace“ in seiner anfänglichen
47
Schlichtheit. Das „Graduel de l’Epiphanie“ übersteigt das erreichte Tonhöhenniveau nochmals,
indem es mit dem g2 – dem höchsten Ton der Sequenz Lauda Sion – ansetzend in zwei Anläufen,
die abgesehen vom ersten Intervall identisch sind, wellenartig das g2 umspielt; auch wird nun
eine weitere Kirchentonart ins Spiel gebracht, das aufhellende fis2 deutet auf die Tonart
mixolydisch hin.
Abbildung 5: „Graduel de l’Epiphanie“, Takte 16-17.
Nach einer kurzen Pause schließt sich das „Alleluia de la Dédicace“ an, von dem jedoch nur die
letzten fünf Töne mit dem markanten Quartfall im piano und derselben Registrierung wie bei
dessen ersten Erklingen reminiszenzhaft in verlangsamtem Tempo zitiert werden. Anhand der
Abfolge und der Gestalt der gregorianischen Themen lässt sich in „Prière avant la communion“
zusammenfassend ein inneres Formprinzip erkennen, das durch die folgenden akkordischen
Passagen bestätigt werden wird: Die klare und leicht nachvollziehbare Gliederung, in der die
symbolträchtigen Zahlen drei, vier und fünf (hinsichtlich Anzahl und Intervallstruktur der
gregorianischen Themen) präsent sind, wird durch das Prinzip der Steigerung zusammengehalten, die jedoch den schlichten Anfang nicht aus den Augen verliert.
Der Blick sei nun auf die akkordischen Passagen gerichtet. Strukturell besteht jeder der ersten
drei akkordischen Teile (Takte 2-4; Takte 6-9; Takte 12-15) in sich aus drei meist abwärts
gerichteten, Gebetsfloskeln gleichenden Akkordbewegungen, die jeweils einen Takt füllen und
durch Pausen voneinander getrennt sind. Die Zahl drei – die göttliche Zahl und Zahl der
Vollkommenheit – findet sich somit sowohl in der Anzahl der gregorianischen Melodien und der
Gesamtanlage des Satzes wie auch in der Gestaltung der Einzelelemente wieder. Um noch eine
Ebene tiefer zu gehen: Gleich die beiden ersten Akkordbewegungen setzen sich ihrerseits
wiederum aus drei einzelnen Akkorden zusammen.
48
Abbildung 6: „Prière avant la communion“, Takte 2-3.
In den folgenden Zwischenteilen wird die Anzahl der Akkorde in den einzelnen Akkordbewegungen variiert, jedoch kreisen sie mit zwei beziehungsweise vier Akkorden stets um die
Zahl drei als deren Mitte. Eine weitere Konstante ist die Verwendung des Intervalls der fallenden
übermäßigen
Quarte,
des
Lieblingsintervalls
Messiaens.199
Bereits
die
erste
Akkordfortschreitung stellt dieses Intervall, den Tritonus, vor. Im ersten akkordischen Teil
befinden sich in den sieben Akkordverbindungen (die Neuansätze nach den Pausen in den
Takten 3 und 4 nicht mitgerechnet) vier übermäßige fallende Quarten in der Oberstimme. Das
Prinzip der Steigerung, das sich an der Abfolge und Gestalt der gregorianischen Zitate
beobachten ließ, findet sich auch in den akkordischen Passagen wieder: Die letzte Akkordbewegung eines Teils ist jeweils die umfangreichste hinsichtlich der Anzahl und Dauer der
Akkorde.
199
Die übermäßige Quarte hat bei Messiaen eine besondere Stellung, da er aufgrund seines feinen Gehörs den
Oberton der Undezime bzw. übermäßige Quarte wahrnehmen konnte: „Das Vernehmen des Fis [sc. beim Erklingen
des Grundtones C] erklärt meine Liebe zur übermäßigen Quarte“ (Messiaen, Traité VII, 102).
49
Abbildung 7: „Prière avant la communion“, Takte 4-5.
Der dritte akkordische Teil des Satzes (Takte 12-15) entspricht der Reichhaltigkeit der Sequenz
„Lauda Sion“, indem der Tonumfang ausgeweitet wird, die Akkorde voller und die Abwärtsbewegungen weiter ausgeschmückt werden: Die Phrasen in den Takten 13 und 14 laufen in
schnellerer Akkordfolge in zwei Anläufen zum Zielklang hin.
Höhepunkt des Satzes ist der letzte akkordische Formteil in den Takten 19-21, der die „Prière
avant la communion“ beschließt. Eine weit gefasste Linie schlägt in der Oberstimme vom g3,
dem höchsten Ton des Satzes, den Bogen bis hin zum e1 des Zielklanges. Sie schreitet dabei
kontinuierlich und gleichmäßig in getragenen Akkorden in enger Lage nach unten, wobei die
Basslinie
in
Sekund-
beziehungsweise
Terzschritten
hinabführt.
Umrahmt
und
zusammengehalten wird sie von einem prägenden Klang, dem C-Dur-Akkord mit sixte ajouté
(C5-6) im ersten, fünften und letzten Akkord.
C5-6
50
C5-6
C5-6
Abbildung 8: „Prière avant la communion“, Takte 19-21 [Eintragung D.B.].
Auch hier ist das Prinzip der Steigerung und Intensivierung verbunden mit der demütigen Rückbesinnung und Verwandlung des Anfangs: Die vier Akkorde, die auf den ersten Sixte-ajoutéKlang folgen (zweiter Akkord von Takt 19 bis erster Akkord von Takt 20), sind identisch mit der
letzten Phrase des ersten akkordischen Teils in den Takten 4 und 5 (vgl. Abbildung 7). Sie
werden nun in eine große Abwärtslinie und den weiten Rahmen des C-Dur-Klanges mit sixte
ajouté eingebunden. Die Akkorde des vorletzten Taktes ahmen die gregorianische Einstimmigkeit und Klarheit nach, indem sie in enger und tiefer Lage mit parallelen Außenstimmen und mit
nur sechs Tönen in ausgedünnter Stimmanzahl in die Harmonie des letzten Sixte-ajouté-Klanges
führen.
Hier nun sei eine Brücke zum zugrunde gelegten Schriftwort geschlagen, zu dem sich der
Aufbau des Satzes „Prière avant la communion“ strukturanalog verhält: Der Vers „Herr, ich bin
nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele
gesund“ ist zweigliedrig: Das „aber“ markiert auch inhaltlich eine Zäsur, die den Blick von der
eigenen Unwürdigkeit auf das erbetene Heil-Werden im Glauben an die Wirkmächtigkeit des
Wortes richtet. In sich sind die beiden Vershälften nochmals zweigeteilt, sodass sich insgesamt
eine Viererstruktur ergibt, die von den Worten „nicht würdig“ – „mein Dach“ -/- „ein Wort“ –
„Seele gesund“ bestimmt wird. Es liegt ein Chiasmus vor, der die Subjekte „ich“
beziehungsweise „mein“ und „du“ miteinander verschränkt. Gleichzeitig bilden die ersten beiden
51
Unterglieder durch das gemeinsame Thema der Unwürdigkeit eine inhaltliche Einheit, an die
sich wiederum eine inhaltliche Einheit, die Bitte an den Herrn, anschließt. Diese Struktur lässt
sich auch in der Gliederung das Satzes „Prière avant la communion“ nachempfinden: Die ersten
beiden Formteile sind strukturell durch das zweimalige Zitieren des „Alleluia de la Dédicace“
miteinander verknüpft und von der Schlichtheit des greogrianischen Zitates geprägt. Im
Folgenden findet eine musikalische Steigerung statt, die im Sinne des Zitates den Glauben und
die Bedeutung nur eines einzigen Wortes des heil- und lebendigmachenden Herrn betont. So
findet im vierten Gliederungsteil der „Prière“, der dem Nachsatz „so wird meine Seele gesund“
entspricht, der musikalische Höhepunkt des Satzes statt, der in Strukturanalogie zum Zitat die
Wirkung dieses einen Wortes andeutet: das Heil- und Gesundwerden der Seele. Dieser
Höhepunkt vollzieht sich jedoch nicht grenzenlos gesteigert, sondern bleibt im Rahmen der
Demut, angedeutet durch die Zitierung von vier Akkorden aus dem ersten Formteil und das
Wiederaufgreifen des „Alleluia de la Dédicace“, welches das „Herr, ich bin nicht würdig, dass
Du eingehst unter mein Dach“ repräsentiert. Die Sehnsucht nach – noch nicht die Begegnung mit
dem eucharistischen Herrn selbst – wird hier in Musik umgesetzt. Vielleicht um den Höhepunkt
der inneren Verwandlung, der sich erst in der bevorstehenden konkreten Begegnung mit dem
eucharistischen Herrn im Kommunionempfang vollzieht, noch nicht auszubuchstabieren,
sondern im Bewusstsein der eigenen Unwürdigkeit lediglich anzudeuten, spricht Messiaen
diesen bedeutenden Nachsatz „so wird meine Seele gesund“ im dem XIV. Satz zugrunde
gelegten Zitat nicht aus: „Seigneur, je ne suis pas digne ... mais dis seulement une parole... “.
3.4.2 Der theologische und spirituelle Gehalt
3.4.2.1 Die gregorianischen Zitate als Bedeutungsträger
Musikalisch bringt Messiaen die gregorianischen Zitate in ihrer Originalgestalt, also weder in
ihren Intervallstrukturen modifiziert noch durch ein harmonisches Gerüst untermalt oder durch
weitere Stimmen überlagert. Pausen markieren zusätzlich deren Anfang und Ende. Durch diese
getreue Wiedergabe des gregorianischen Materials stellt Messiaen die Würde und musikalische
Schönheit dieser Melodien, aber auch deren inhaltliche Textaussage und den liturgischen
Kontext heraus. Die gregorianischen Gesänge bedürfen keiner erklärenden Hinzufügung oder
Untermalung, sie sprechen vielmehr für sich und aus sich heraus. Als Komponist tritt Messiaen
demütig in den Hintergrund, er bedient sich eines vorgegebenen Materials, in das er in keiner
Weise ausschmückend oder verändert eingreift. Damit gleicht Messiaen der Haltung des
Glaubenden, der wie der Hauptmann von Kafarnaum – und in Fortsetzung als Kommunikant –
52
nicht das eigene Wirken herausstellt, sondern demutsvoll auf den Herrn blickt.200 Des Weiteren
wird durch die originale Wiedergabe der gregorianischen Melodien ein unmittelbarer Bezug zur
Liturgie hergestellt, als deren einzige Musikform Messiaen bekanntlich den gregorianischen
Choral gelten ließ.201 Gleich zu Beginn des Satzes, beim Erklingen des „Alleluia de la Dédicace“
wird evident: Hier geht es um eine Begegnung mit dem eucharistischen Herrn, die im Rahmen
der Liturgie in der gegenwärtigen Kirche stattfindet und die auch in jeder Feier der Liturgie von
jedem Gläubigen neu erfahren und ihm zugänglich gemacht werden kann.
Es ist davon auszugehen, dass Messiaen die gregorianischen Zitate in „Prière avant la
communion“ nicht nur unter musikalischen Gesichtspunkten, sondern im Wissen um deren Textaussage ausgewählt hat.202 Die Melodie des „Alleluia de la Dédicace“ ist eine melismatische
Umspielung des Wortes „Alleluia“.
Abbildung 9: Alleluia Dedicationis Ecclesiae.
Die erste Aussage des Satzes „Prière avant la communion“ ist damit die Aufforderung, Gott zu
loben. Im „Halleluja“-Ruf schwingt zudem im Hintergrund die liturgisch geprägte Anweisung
mit, sich zu erheben, die im Kontext des „Graduel de l’Epiphanie“ nochmals eine Rolle spielen
wird. Inhaltlich folgt diesem ersten Halleluja-Ruf folgender Text: „Adorabo ad templum
sanctum tuum: et confitebor nomini tuo.“203 Bereits das erste Wort des Zitates – „adorabo“ – ist
programmatisch für den Gebetssatz vor der Kommunion wie auch für das Livre als Ganzes, stellt
es doch einen unmittelbaren Bezug zum „Adoro te“ des Thomas von Aquin her, das dem
Eröffnungssatz und zwei weiteren Sätzen (III. und XII.) des Livre zugrunde liegt. So bestimmt
die Anbetung auch den Grundtenor dieses Gebetssatzes. Entsprechend dem Anlass des
Kirchweihfestes ist das Objekt der Anbetung „dein heiliger Tempel“. Die Anbetung des Tempels
200
Kurz bevor Messiaen das Livre komponierte, bekundete er, dass die Demut bereits in der Erscheinungsweise des
Gregorianischen Chorals als solcher liege: „Die sakrale Musik gründet in der Tatsache, daß Gott keinen ,Anfang‘
hat [...]. Der gregorianische Choral [...] ist ein Werk der Demut, anonym, dessen Einfachheit dieses Fehlen eines
Anfangs wieder ausgleicht“ (Messiaen, Olivier, Musiques, in: Corps écrit [1981]; zitiert nach: Kars, Liturgie, 15).
201
Vgl. auch die Konzilsaussage zur Kirchenmusik: „Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der
römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die
gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen“ (SC 116).
202
Zeitzeugenberichten zufolge bereitete Messiaen seine Orgelimprovisationen in der Sainte-Trinité jeweils am
Vorabend gründlich vor. Die gregorianischen Zitate wie auch die Vogelstimmen, die er verwendete, waren bewusst
ausgewählt und reflektiert. Messiaen benannte diese Aufgabe: „Als Organist habe ich die Pflicht, die der Messe
eines jeden Tages eigenen Texte musikalisch auszulegen“ (Messiaen, in: Goléa, Glaube, 397).
203
Graduale Sacrosanctae Romanae Ecclesiae de tempore et de sanctis. Pii X. pontificis maximi iussu restitutm et
editum ad exemplar editionis typicae concinnatum et rhythmicis signis a solesmensibus monachis diligenter
ornatum, Paris u.a. 1956, [73] („Ich werde deinen heiligen Tempel anbeten und deinen Namen bekennen“).
53
geht einher mit dem Bekenntnis des Namens Gottes als Ausdruck des Glaubens. Anbetung und
Glaube(nsbekenntnis) sind somit eng miteinander verbunden. Sie sind die zentralen Akte, die im
ersten gregorianischen Zitat enthalten sind, durch die Wiederholung in Takt 5 vertieft werden
und somit die Grundlage der Vorbereitung auf die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn
darstellen.
Die Sequenz204 „Lauda Sion“ wurde anknüpfend an den Aufbau und die Melodie der Sequenz
„Laudis crucis attollamus“ von Thomas von Aquin als Teil des Messformulars für das 1264
gesamtkirchlich eingeführte Fronleichnamsfest geschaffen.205 Im Livre kommt dieses Gebet, in
dem die Eucharistielehre der Hochscholastik gültigen Ausdruck gefunden hat, im zweiten
Hauptteil, der die gegenwärtige Kirche zum Gegenstand hat, zum Einsatz: In drei Sätzen (XII.,
XIII., und XVII.) dienen einzelne Verse der Sequenz als Leitzitate, die „Prière avant la
communion“ verweist durch die rein musikalische Wiedergabe auf den Inhalt des Textes206.
Formal besteht die Sequenz aus einer Reihe dreizeiliger Strophen, von denen jeweils zwei über
den gemeinsamen Endreim der letzten Zeile zu einer sechszeiligen Einheit zusammengebunden
sind. Messiaen zitiert in „Prière avant la communion“ die Melodie des ersten und zweiten
respektive des vierten und fünften Verses der fünften Strophe, die im Ganzen folgendermaßen
lautet: „Quod in cena Christus gessit, / faciendum hoc expressit / in sui memoriam. // Docti
sacris institutis, / panem vinum in salutis / consecramus hostiam.“207 Indem Messiaen gerade
diese Verse im Gebetssatz vor der Kommunion zitiert, führt er gleichsam die Grundlage der
Eucharistiefeier vor Augen, die sich begründet in der Einsetzung durch Jesus Christus und
seinem Gedächtnisauftrag. Durch die Erfüllung dieses Auftrags und die Vergegenwärtigung des
Pascha-Geschehens in der konkreten Eucharistiefeier werden wir den Versen der Sequenz
zufolge selbst hineingenommen in das Heilshandeln Gottes: Brot und Wein werden uns zum
Heil.
204
Die Sequenz ist eine musikalische Form, die im Mittelalter bei der Weiterentwicklung einstimmiger Melodien
durch die Textierung des langen Melismas auf der letzten Silbe des Allelujas (Jubilus) entstand und die in der
Folgezeit ihre Blüte hatte. Der große Bestand von ungefähr 5000 Sequenzen wurde auf dem Konzil von Trient
eingeschränkt, sodass heute nurmehr fünf Sequenzen liturgisch gesungen werden: Das „Victimae paschali laudes“
zu Ostern, das „Veni sancte spiritus“ zu Pfingsten, das „Lauda Sion“ zu Fronleichnam, das „Dies irae“ im
Totenrequiem und das „Stabat Mater“ zum Fest der Sieben Schmerzen Mariens. Vgl. zur Sequenz Michels, Ulrich,
Dtv-Atlas Musik. Systematischer Teil. Musikgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2008, 190191.
205
Vgl. Heinz, Andreas, Lauda Sion, in: LThK3 6, 680-681.
206
Inhaltlich bringt dieses Gebet das Lob zum Ausdruck, das Christus entgegengebracht wird als dem „Brot, das
lebendig ist und Leben spendet“ („Laudis thema specialis, panis vivus et vitalis“, Graduale Romanum, 315). Die
Sequenz skizziert unter dem Grundtenor des Lobes die Einsetzung des Abendmahles durch Jesus Christus und den
Auftrag an uns, zu seinem Gedächtnis dieses Mahl zu feiern. Weiterhin wird der Unterschied zwischen äußerer
Gestalt der eucharistischen Gaben und deren verborgenem Wesen betont, das nicht mit den Augen, sondern nur
durch den Glauben zu fassen ist – ein zentraler Gedanke des Livre; auch die ungeteilte Gegenwart des Herrn in der
gebrochenen Hostie wird hervorgehoben, die Messiaen – ausgehend von einem Zitat aus der Sequenz – zum Thema
des XVII. Satzes macht.
207
Graduale Romanum, 316-317 („Was Christus beim Mahl vollzog, das trug er uns auf, zu seinem Gedächtnis zu
tun. Durch heilige Worte unterwiesen, weihen wir zu unserem Heil als Opfer Brot und Wein“).
54
Das „Graduel de l’Epiphanie“ steht im Kontext des Festes Epiphanie, das die Anbetung und
Verehrung Jesu durch die drei Weisen aus dem Morgenland unter dem Aspekt des Offenbarwerdens der Herrlichkeit Christi für die Heidenvölker feiert. Anhand dieses Festes können zwei
Kerngedanken des Livre nochmals exemplifiziert werden: Zum einen ist dies die Anbetung, die
im Livre zum Programm wird, zum anderen ist dies das Offenbarwerden Jesu Christi, das im
Livre von der Menschwerdung (V. Satz „Puer natus est“) hin zur Erscheinung des
Auferstandenen vor Maria Magdalena (XI. Satz) aufgezeigt wird. Erscheinung und leibhaftige
Erkenntnis des Herrn stehen in befruchtender Spannung zur Verborgenheit des eucharistischen
Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein, dessen reale Gegenwart nur im Glauben erkannt
werden kann, wie dies exemplarisch im Livre anhand des „Adoro te“ und der Sequenz „Lauda
Sion“ zum Ausdruck kommt. Der Kontext des Festes Epiphanie lässt den Hörer einstimmen in
die Haltung der drei Weisen und die lebendige Begegnung mit dem Herrn. Musikalisch nimmt
das „Graduel de l’Epiphanie“ den größten Raum ein und eröffnet den vierten Teil des Satzes, der
bereits als Höhepunkt208 ausgewiesen worden ist. Dennoch liegt diesem Zitat nur ein einziges
Wort zugrunde, das melismatisch ausgeschmückt wird: Es ist das Wort „surge“ – „steh auf“,
„erhebe dich“.
Abbildung 10: Graduale in Epiphania Domini.
Wie alle, die „aus Saba kommen werden, Gold und Weihrauch bringen und Lob dem Herrn
verkünden“209 – so die vorausgehenden Zeilen des gregorianischen Originals – soll auch jeder
Einzelne sich aufmachen. Das „surge“ bringt einen persönlichen Appell zum Ausdruck, einen
Aufruf, sich ebenso wie die drei Weisen in der großen Freude über die wirkliche Gegenwart des
Herrn zur Anbetung zu erheben. Es richtet sich damit unmittelbar an den Gläubigen, der vor der
Begegnung mit dem Herrn steht und ermutigt ihn, sich bewusst zu erheben, um den
Kommuniongang anzutreten und auf den Herrn in aufrechter Haltung zuzugehen. Vor dem
Hintergrund der Bekundung der eigenen Unwürdigkeit und der Bitte um Heil im liturgischen
Gebet vor der Kommunion können im „surge“ auch die Worte Jesu mitschwingen, der in
Heilungs- und Erweckungswundern mit der Aufforderung „Steh auf!“ die erfolgte Genesung
offenbar werden lässt. Ebenso wie der Gelähmte (vgl. Mk 2,11 parallel Lk 5,24), der Jüngling
208
Vgl. Kapitel 3.4.1 dieser Arbeit, bes. 47-48.
Vgl. Graduale Romanum, 57-58: „Omnes de Saba venient, aurum et thus deferentes, et laudem Domino
annuntiantes“.
209
55
von Naïn (vgl. Lk 7,14) oder die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,41 parallel Lk 8,54) wird der
Gläubige, der sich demutsvoll seiner eigenen Sündhaftigkeit bewusst ist, gnadenhaft angerührt
und von Christus gleichsam an die Hand genommen und aufgerichtet. Das „surge“ kommt der
direkten Entsprechung auf die Bitte des Hauptmannes – und in Folge des Kommunikanten – um
nur ein Wort aus dem Mund des Herrn gleich, das seine unwürdige und kranke Seele gesund
werden lässt. In diesem einen Wort „surge“, das im vierten, höhepunktartigen Teil der „Prière“
ausgebreitet wird, läge dann die Kraft, welche die Seele des Menschen aus seiner Sündhaftigkeit
gnadenhaft und reinigend erhebt und zum Empfang des noch viel größeren Geschenkes, des
Leibes des Herrn selbst, einlädt. An das „surge“ schließt sich im gregorianischen Original der
Halbvers „et illuminare Jerusalem: quia gloria Domini super te orta est“210 an. Die Bedeutung
des Licht-Werdens, des Erstrahlens, des Leuchtens, des innerlichen „Aufbrechens“, das
gemeinsam mit dem göttlichen Zuspruch und der Aufforderung sich zu erheben genannt ist,
schwingt vor dem Hintergrund der Aussageintention der akkordischen Gesten, die im Folgenden
noch aufzuzeigen ist, im „Graduel de l’Epiphanie“ mit. Die reminiszenzhafte Zitierung der
Schlusswendung des „Alleluia de la Dédicace“, die im Anschluss an das „Graduel de
l’Epiphanie“ erklingt, lässt sich als demutsvolle Rückbesinnung, aber auch als eine Geste des
Dankes und der Verneigung deuten.
Betrachtet man nur die Aussagen der gregorianischen Themen, so ergibt sich ein erstaunliches
Bild: Im Kleinen bilden sie die Hauptthemen und -teile des Livre als Ganzem ab. Der erste,
einleitende Teil des Livre hat die Anbetung als grundsätzlichen Wegweiser für das Werk
aufgezeigt. Die Anbetung richtet sich auf den unter den Gestalten von Brot und Wein
verborgenen, doch real präsenten Gott (I.-III.) und kulminiert im Bekenntnis des Glaubens (IV.),
der die Anbetung des Unsichtbaren trägt. In augenfälliger Analogie zum Beginn dieses Teiles
mit dem „Adoro te“ setzt der Text des „Alleluia de la Dédicace“ mit dem Wort „adorabo“ ein
und endet mit der Absicht, den Namen Namens des Herrn zu bekennen, mithin einem Glaubensausdruck. Ebenso wie die Anbetung der Grundtenor des Livre ist, zieht sich das „Alleluia de la
Dédicace“ durch den ganzen Satz. Im ersten Binnenzyklus innerhalb des Livre (Sätze V-XI) fügt
Messiaen Ausschnitte aus dem Leben Jesu aneinander, deren zentraler Gedanke die Fleischwerdung und ferner die Erscheinung und das Offenbarwerden des Auferstandenen vor Maria
Magdalena ist, die in unbändiger Freude vor ihm niederkniet. In Entsprechung dazu stellt das
„Graduel de l’Epiphanie“ die Verehrung und Anbetung des menschgewordenen Gottessohnes
durch die drei Weisen aus dem Morgenland als Einladung auch an uns dar, sich zur Begegnung
mit dem eucharistischen Herrn aufzumachen. Der zweite Binnenzyklus, der dritte Formteil des
Livre (XII.-XVIII.), wendet sich an die gegenwärtige Kirche und zeichnet den liturgischen
210
Graduale Romanum, 58 („erleuchte Jerusalem, denn der Ruhm des Herrn ist über dir erstanden“).
56
Vollzug der Eucharistiefeier nach. Höhepunkt ist die Freude aller Heiligen, die am endzeitlichen
Festmahl teilnehmen. Dieser Teil korrespondiert mit dem Zitat aus der Sequenz „Lauda Sion“,
die als Erfüllung des Gedächtnisauftrags durch Jesus Christus die Wandlung in der
eucharistischen Feier beschreibt, durch die Formulierung „zu unserem Heil“ einen eröffnenden
Bogen schlägt bis hin zum eschatologischen Mahl und einen Einbezug in die göttliche
Heilsgeschichte andeutet – wie dies auch im XVIII. Satz des Livre geschieht.
3.4.2.2 Die Akkordbewegungen als Gesten der Verneigung, der kontemplativen
Versenkung und des Licht-Werdens
Auf die gregorianischen Passagen, die auf inhaltlicher Ebene Assoziationsfenster öffnen, folgen
gleichsam als verinnerlichende Antwort und Entsprechung persönliche Gebetsfloskeln. Ihrer
äußeren Gestalt nach gleichen die abwärts gerichteten Akkordbewegungen demutsvollen Gesten
der Verneigung vor Gott. Sie bezeichnen eine rituelle Gebetshaltung, bei der der Betende
dreimal vor Gott sein Haupt senkt. In ihrer Ausrichtung in die Tiefe lassen sie den Gläubigen,
der sich auf den Kommunionempfang vorbereitet, gleichsam in den Grund seiner Seele blicken,
ihn ganz in sich beziehungsweise bei sich einkehren. Es ist die Haltung der Demut, des stillen
Herabblickens, des sich Versenkens, wie es bereits im „Adoro te“ des Thomas von Aquin zum
Ausdruck kommt: „Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin, weil vor solchem Wunder
ich nur Armut bin.“211 Lediglich die beiden ersten Akkordbewegungen (Takte 2 und 3, vgl.
Abbildung 6) münden in einen höheren Zielklang. In ihrer Hinwendung nach oben gleichen sie
einleitende Gesten des Lobes, die an den Herrn gerichtet sind und so unmittelbar an den
vorausgegangenen Halleluja-Ruf anknüpfen. Betrachtet man nun die Struktur der drei
akkordischen Bewegungen eines jeden Teils genauer, so fallen mehrere Aspekte auf, die ihren
kontemplativen Gestus unterstützen. Die letzte Akkordbewegung eines jeden Teils, die meist
umfangreicher gestaltet ist als die vorhergehenden, mündet jeweils in einen Akkord in enger
Lage. So wird beispielsweise im ersten akkordischen Teil (Takte 2-4) der geöffnete Raum von
zwei Oktaven im letzten Klang zum Tonumfang von nur einer Oktave eingeschmolzen, die
Akkordtöne in Takt 5 werden so zwischen den Rahmentönen g und g1 gebündelt (vgl. Abbildung
7). Damit wird eine Wirkung von Wärme, Innigkeit und Homogenität erzeugt. Durch die enge
Lage wird auch der Gedanke der Einstimmigkeit, Einfachheit und Authentizität der
gregorianischen Melodien weitergetragen. Im Rahmen der demutsvollen Abwärtsbewegung der
Akkorde erscheint dieser letzte Akkord wie ein erfüllender Ruhepunkt, an dem der Gläubige
ganz bei sich ist und auf Christus konzentriert ist. Wie die Stimmen des Akkords werden die
211
GL 546. Der Sinngehalt des lateinischen Originals („Tibi se cor meum totum subicit, quia te contemplans totum
deficit“) ist jedoch wortgetreuer folgendermaßen übersetzt: „Dir unterwirft sich mein ganzes Herz, denn wenn es
dich betrachtet, verliert es sich ganz“.
57
Gedanken, die gerne abschweifen und an fernen Themen hängenbleiben, zusammengeführt, sie
werden gebündelt und nach innen gerichtet. Verstärkt wird dieser Gestus durch das Prinzip der
zeitlichen Dehnung und Verlangsamung: Jeder Folgeakkord hat eine längere Dauer als der
vorhergehende und mündet im letzten Akkord in einen Klang von ungewöhnlich langer Dauer
mit anschließender Stille, bevor sich die nächste Folge von Akkorden anschließt. Der Hörer wird
seines Zeitempfindens enthoben, gerade der letzte Klang ermöglicht ihm, hörend ganz da zu sein
vor Gott, vor ihm zu stehen und zu verweilen. Er wird in eine Sphäre der Meditation versetzt,
sein Blick richtet sich unwillkürlich in die Tiefe, er bleibt dort betrachtend hängen, bevor er
Atem holt und in einem erneuten Ansatz verneigend den Blick in sich kehrt.
Auch auf harmonischer Ebene holt Messiaen diese Wirkung ein: Die vielschichtigen und
undurchsichtigen Akkorde der Abwärtsgesten lösen sich in diesem letzten zeittranszendierenden
Klang in eine reine Harmonie auf. Messiaen verwendet hier einen Sixte-ajouté-Klang über CDur (Takte 4 – vgl. Abbildung 7 –, 15, und 21). Der Sixte-ajouté-Klang gehört zu den
beliebtesten Akkorden in der Messiaen’schen Klangsprache. Er baut auf einem reinen DurAkkord auf und fügt diesem gleich einem Farbtupfer die große Sexte hinzu, wodurch ein leicht
schwebender Charakter entsteht. Durch die lange Dauer dieses besonderen Klanges, der sich in
der Akustik der Kirche fortpotenziert und in dessen Nachhall sich die Obertonreihe entfaltet,
kann ein Eindruck von reicher Klangfülle, von überwältigender und entrückender Schönheit und
Harmonie entstehen, der den Hörer aufhorchen lässt, ihn seines Alltagsempfindens enthebt.
Messiaen setzte in seinen Kompositionen bewusst den Sixte-ajouté-Klang ein, um im Hörer ein
Gefühl der Blendung, des Überwältigtseins auszulösen. Die Tonart C-Dur, die diesem zentralen
Sixte-ajouté-Klang im XIV. Satz des Livre zugrunde liegt, die lediglich die weißen Tasten
verwendet und einen Bezug zur modalen Tonalität der gregorianischen Melodien herstellt,
verkörpert innerhalb des Messiaen’schen Klangdenkens die Farbe Weiß212. Gegenüber dem
Akkord des chromatischen Totals, der alle Tasten beansprucht und in Messiaens musikalischem
Farbenkatalog mit der Farblosigkeit, grau beziehungsweise schwarz213, belegt ist – so
beispielsweise der die Abgründe der Finsternis und Ausweglosigkeit verkörpernde
212
Dass Messiaen die Farbe Weiß mit der Tonart C-Dur verband, ergibt sich aus einem Gespräch zwischen Almut
Rößler und Messiaen. Auf die Frage: „Wenn für Sie der C-Dur-Dreiklang weiß ist, ist dann auch der G-DurDreiklang weiß?“ antwortete Messiaen: „Nein, gelb“ (Rößler, Gespräch am 16. Dezember 1983, 127). Weiterhin
kann der Zusammenhang zwischen C-Dur und der Farbe Weiß werkimmanent erschlossen werden, beispielsweise
anhand des X. Satzes aus Des canyons aux étoiles – einem Werk, in dem Messiaen ausdrücklich naturalistische
Farbeindrücke in Klangfarben umsetzte; vgl. zur Inspiration Messiaens durch Eindrücke in Utah Hill / Simeone,
Messiaen, 306-307. Diesem Satz mit dem Titel „Die Walddrossel“ legte Messiaen neben einem Zitat aus Jan van
Ruusbroecs Schrift „Der funkelnde Stein“ den Vers aus Offb 2,17 zugrunde: „Ich will ihm einen weißen Stein geben
und, auf den Stein geschrieben, einen neuen Namen, den niemand kennt als der, der ihn empfängt“. Die auffällige
Dominanz der Tonart C-Dur lässt sich in Verbindung bringen mit der Farbe des weißen Steins.
213
„Der Cluster selbst ist ein enormes Grau, in dem man alle Töne gleichzeitig hört, d.h. man hört nichts. Erst wenn
ein Ton daraus fehlt, taucht eine Farbe auf, bekommt er Glanz“ (Messiaen, in: Ernst, Beitrag, 323).
58
Schlussakkord des IX. Satzes „Les ténèbres“ – weist der C-Dur-Klang auf eine innere Reinheit
und Lichtheit hin. Im siebten Band des Traité214 entfaltet Messiaen unter dem Titel „Le soncouleur“ eine Charakterisierung und Symbolik der Farben, die sich an eine Studie von RenéLucien Rousseau215 anlehnt. Als letzte Farbe geht Messiaen darin auf Weiß ein, das genau
genommen keine Farbe sei, vielmehr die Vereinigung aller Farben, sofern man die Farben als
„Licht-Farben“ begreife.216 Erhellt wird die Lichtheit der Farbe Weiß durch das Beispiel des
Prismas, das weißes Licht in ein Farbspektrum von sieben Farben auffächert. So kann es nach
Messiaen kein leuchtenderes, strahlenderes Licht geben als das weiße Licht: „Weiß symbolisiert
also ganz natürlich das Licht selbst.“217 Zum anderen umfasst und birgt das weiße Licht alle
Farben in sich und wird somit zum Symbol der Gottheit, die alles in sich einfasst, die eins und
verschieden zugleich ist.218 Als „höchstes Licht“ und „höchster Ausdruck der Farbe“219 wird
Weiß darüber hinaus zum Symbol für die höchsten Orte, für unberührte schneebedeckte Gipfel,
die mit dem Himmel zu verschmelzen scheinen, dem „Königreich der Reinheit“220. Die
Konnotation der Farbe Weiß mit der Reinheit untermauert Messiaen im Traité221 auch biblisch
durch den Verweis auf das Buch der Offenbarung, wo es heißt:
„Da fragte mich einer der Ältesten: Wer sind diese, die weiße Gewänder tragen, und woher sind sie
gekommen? Ich erwiderte ihm: Mein Herr, das musst du wissen. Und er sagte zu mir: Es sind die, die
aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes
weiß gemacht“ (Offb 7,13-14).
Als zentrales Moment in der Vorbereitung auf den Kommunionempfang, im demütigen Gebet
vor der Kommunion wird somit die innere Reinigung und ein Licht-Werden angedeutet, welches
nicht nur als Aufforderung im Raum steht, sondern gleichsam durch die Musik im Hörer
performativ bewirkt wird, der sich in den strahlenden, lichterfüllten, ihn blendenden und überwältigenden C-Dur-Klang versenkt und von dessen Reinheit und Harmonie ergriffen und erfüllt
wird. In engem Zusammenhang mit der Reinheit und Lichtheit, die durch den C-Dur-Klang
impliziert wird, steht noch ein zweiter Symbolgehalt, der mit der Höhe der Berggipfel und dem
strahlend weißen Licht verbunden wird: „Die Erscheinungen der Gottheit ereignen sich auf den
214
Vgl. Messiaen, Traité VII, 7-22.
Vgl. Messiaen, Traité VII, 9. Zu fragen bleibt, ob Messiaen die Vorlage René-Lucien Rousseaus wörtlich zitiert
oder ob er sie vielmehr als Ausgangspunkt für seine eigenen Überlegungen zur Farbsymbolik nimmt.
216
Vgl. Messiaen, Traité VII, 18: „Le blanc, qui n’est pas, à proprement parler, une couleur, est la réunion de toutes
les couleurs, pourvu que ces couleurs soient des couleurs-lumières“.
217
Vgl. Messiaen, Traité VII, 19: „Le blanc symbolise donc tout naturellement la lumière elle-même“.
218
Vgl. Messiaen, Traité VII, 19: „[Les] Ancients avaient fait du blanc l’emblème de la Divinité, une et diverse à la
fois, du grand Tout, qui est und et qui est multiple“.
219
Vgl. Messiaen, Traité VII, 19: „Suprême lumière, suprême expression de la couleur, le blanc évoque tout
naturallement les lieux hauts, ceus où il semble que l’on se rapproche de ciel“.
220
Vgl. Messiaen, Traité VII, 19: „Les hautes montagnes se confondent déjà avec le ciel, royaume de purété“.
221
Vgl. Messiaen, Traité VII, 20.
215
59
Gipfeln.“222 Mehr noch: „In allen Religionen“ erscheine die Gottheit „in der Blendung durch ein
strahlend weißes Licht“.223 Vor den Augen der drei Jünger wurde Jesus auf einem „hohen Berg“
verwandelt, „seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher
machen kann“ (vgl. Mk 9,2.3). Auch der auferstandene Christus trägt wie die Engel im leeren
Grab ein weißes Gewand.224 So wird der Auferstandene auch im XI. Satz des Livre, der die
Erscheinung vor Maria Magdalena in Klänge setzt, durch einen reinen C-Dur-Klang charakterisiert: An der Stelle, an der Jesus zu Maria Magdalena tritt und sie bei ihrem Namen ruft, setzt
Messiaen vier Akkorde in enger Lage im pianissimo ein, die in einer kontinuierlichen Abwärtsbewegung nach unten schreiten und sich in einem reinen C-Dur-Klang auflösen.
Abbildung 11: „L’Apparition du Christ ressuscité à Marie-Madeleine“, Takte 28-29.
Vor diesem farb- und akkordsymbolischen Hintergrund kann man die langen andauernden,
strahlenden C-Dur-Klänge in „Prière avant la communion“ als Vorbereitung und Einstimmung
auf die konkrete Begegnung mit dem Herrn deuten. Diese Klänge implizieren eine innere
Verwandlung des Gläubigen, der selbst christusförmig wird, der gleichsam von innen heraus
strahlt und Licht wird, der vom Licht des Glaubens ganz durchdrungen und erleuchtet wird.225
Nicht in einem heroischen lauten Klang, sondern ganz subtil und leise, ganz bei sich –
verdeutlicht durch die enge Lage des Akkordes und die feine Registrierung mit gambe und voix
céleste – bereitet sich der Gläubige demütig auf die Begegnung mit dem Herrn vor.
Die Haltung der demutsvollen Versenkung und Einkehr in sich selbst, der völligen
Konzentration, des Da-Seins vor Christus, auch der Prozess des inneren Licht- und
Empfänglichwerdens, des Erfülltseins vom Licht des Glaubens, der inneren Wandlung und
Angleichung an den verklärten Christus werden zusammengefasst und auf eine neue Ebene
gestellt in der letzten homophonen akkordischen Linie, die in einer weit gefassten regelmäßigen
Abwärtsbewegung den Blick in die Tiefe, in den reinen und stillen Grund der Seele richtet (vgl.
222
Vgl. Messiaen, Traité VII, 19: „Les apparitions de la divinité se produisent sur des cimes“.
Vgl. Messiaen, Traité VII, 20: „Dans toutes les religions, la divinité apparaît d’ailleurs ainsi dans l’éblouissement
[!] d’une éclatante lumière blanche“.
224
Vgl. Messiaen, Traité VII, 20: „Le Christ porte également une robe blanche après sa résurrection“.
225
Als „Geheimnis des Lichtes“ wurde die Eucharistie auch durch Johannes Paul II. beschrieben, vgl. Johannes Paul
II., Apostolisches Schreiben Mane nobiscum domine zum Jahr der Eucharistie Oktober 2004 bis Oktober 2005
(VApS 167) Bonn 2004, Nr. 11-18.
223
60
Abbildung 8). Diese Linie ist getragen und umrahmt vom lichten C-Dur-Klang mit sixte ajouté,
der den Anfang und das Ende der Bewegung (erster und letzter Akkord) sowie deren Zentrum
(fünfter Akkord) ausmacht und damit gleichsam die Synthese von Versenkung und innerer
Wandlung, von demutsvoller Verneigung und Einkehr, Licht-Werden und Christusförmigkeit
darstellt.
3.4.2.3 Zusammenfassung des spirituellen und theologischen Gehalts
Der spirituelle und theologische Aussagegehalt des „Gebetes vor der Kommunion“ lässt sich wie
folgt zusammenfassen: Die Anbetung wird gleich zu Beginn des Satzes als zentraler Akt in der
Vorbereitung auf die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn herausgestellt, durch das zweite
Erklingen des „Alleluia de la Dédicace“ bekräftigt, durch den Kontext des Festes Epiphanie im
dritten gregorianischen Zitat betont und im abschließenden „Alleluia“-Fragment nochmals
angedeutet. Grundlegend bezogen ist die Anbetung auf den Glauben, der bereits in den Worten
des Hauptmannes von Kafarnaum als treibende Kraft zum Ausdruck kommt, der sich –
repräsentiert durch das Bekenntnis des Namens Gottes im leitmotivartigen „Alleluia de la
Dédicace“ – im Verlauf des Satzes bis hin zu seinem Höhepunkt im vierten Formteil steigert und
als unumstößliche Grundlage festigt, der hinsichtlich seines Inhaltes greifbar wird in den Worten
der Sequenz „Lauda Sion“, die im Zentrum des Satzes steht. Die Grundhaltung des Satzes ist –
auch Messiaens Einführungstext zufolge – die Demut. Zum Ausdruck kommt diese Haltung auf
musikalischer Ebene in der monastischen, kargen Wiedergabe der gregorianischen Melodien in
ihrer liturgischen Originalgestalt, im musikalischen Wiederaufgriff des Anfang auf einer
gesteigerten Ebene durch die reminiszenzartige Wiederholung des „Alleluia de la Dédicace“ im
Anschluss an das „Graduel de l’Epiphanie“ und die Zitierung und Einordnung von vier
Akkorden aus dem ersten Teil im Rahmen des letzten Akkordbogens. Diese Haltung wird in den
persönlichen Gebetsfloskeln, den abwärts gerichteten akkordischen Akkordbewegungen weitergetragen, die ihrer Gestalt und Aussageintention nach Gesten der demutsvollen Verneigung, der
stillen Einkehr, der kontemplativen Versenkung und Bereitmachung der Seele sind.
Ausgehend vom Texthintergrund der gregorianischen Zitate lässt sich eine innere Dramaturgie
des Satzes ablesen: Nach einer grundlegenden Bekundung des Lobes und der Anbetung des
Herrn, repräsentiert durch das im Folgenden dreimal aufgegriffene „Alleluia de la Dédicace“, die
ihre unmittelbare Entsprechung in den beiden ersten aufwärts gerichteten Akkordbewegungen
als Gesten des Lobens und Aufblickens zum Herrn findet, folgt die Vergegenwärtigung der
Einsetzung und des Gedächtnisauftrages durch Jesus Christus als Grundlage der Eucharistiefeier.
Im dritten Formteil, der durch das breit ausgeschmückte „Graduel de l’Epiphanie“ eingeleitet
wird, wird die Aufforderung des Sich-Erhebens ausgesprochen. Diese kann als Einladung und
61
Ermutigung gedeutet werden, nach einer Phase der stillen Vorbereitung, der Einkehr in sich
selbst und der Konzentration auf Christus, die mit einer inneren Wandlung, einem Licht-Werden
und einer Angleichung an Christus verbunden ist, gerade trotz der eigenen Unwürdigkeit auf das
heilende Gnadenwirken des Herrn zu vertrauen und sich zum Kommuniongang, zur konkreten
Begegnung mit dem eucharistischen Herrn aufzumachen. Die äußere Haltung des Aufstehens
verweist dabei auf die innere Absicht, eine bewusste Bewegung und Hinwendung zu Gott, eine
Neuausrichtung und Aufrichtigkeit. Aus der Haltung der demütigen Wendung nach innen und
Konzentration heraus kann das Geheimnis der Wandlung, das in der Sequenz „Lauda Sion“
aufgegriffen wird, aufgenommen werden und auch eine innere Verwandlung durch die
Begegnung mit dem Herrn, ein Heil-Werden der Seele und eine Hineinnahme in die
Heilsgeschichte gläubig erbeten und vorausbedeutet werden. Da die gregorianischen Zitate die
Kernaussagen des Livre repräsentieren, kann man in einem weiteren Deutungsschritt das Livre
als Ganzes als ein Werk betrachten, das auf den würdigen Empfang der Kommunion vorbereitet
und eine entsprechende Haltung einübt.
Folgende Übersicht zeigt den Aufbau des Gebetes auf und fasst die spirituellen Grundanliegen
des Satzes „Prière avant la communion“ nochmals zusammen. Sie ließe sich im Rahmen einer
pastoralen Anwendung, auf die noch zu sprechen kommen wird, in Dienst nehmen.226
226
Zu Vorschlägen der konkreten Umsetzung der Gebetssätze in der Pastoral vgl. Kapitel 4.3 dieser Arbeit, bes. 99104.
62
Der spirituelle Gehalt des „Gebetes vor der Kommunion“
„Herr, ich bin nicht würdig..., aber sprich nur ein Wort...“
Musikalische Struktur:
„Alleluia de la Dédicace“
(Takt 1)
Akkordische Gesten
(Takte 2-4)
Musikalischer und spiritueller Gehalt
„Halleluja! Ich werde deinen heiligen Tempel anbeten und
deinen Namen bekennen“: Lob Gottes, Anbetung und
Glaubensbekenntnis.
Zwei aufwärts gerichtete und eine abwärtsgerichtete Geste
mit ungewöhnlich langem Schlussakkord als persönliche
Entsprechung und Verinnerlichung des geprägten
gregorianischen Zitates: Eröffnendes Aufblicken und Loben
des Herrn; dann Geste der demutsvollen Verneigung, der
Versenkung und Einkehr in sich selbst; kontemplatives
Verweilen auf dem Schlussakkord, dem Messiaen die Farbe
„strahlend Weiß“ zuordnet, der ein inneres Licht- und
Reinwerden des Kommunikanten andeutet.
„Alleluia de la Dédicace“
(Takt 5)
Akkordische Gesten
(Takte 6-9)
Wiederholende Betonung des Halleluja-Rufes.
Sequenz „Lauda Sion“
(Takte 10-11)
„Was Christus beim Mahl vollzog, das trug er uns auf, zu
seinem Gedächtnis zu tun. Durch heilige Worte
unterwiesen, weihen wir zu unserem Heil als Opfer Brot
und Wein“: Vergegenwärtigung der Einsetzung und des
Gedächtnisauftrags durch Jesus Christus als Fundament
der Eucharistiefeier, darin Teilhabe am Heilshandeln
Gottes.
Drei abwärtsgerichtete Gesten: Demutsvolle Verneigung,
Versenkung und Einkehr, kontemplative Betrachtung und
inneres Lichtwerden.
Akkordische Gesten
(Takte 12-15)
„Graduel de l’Epiphanie“
(Takte 16-17)
(...) Alleluia de la Dédicace
(Takt 18)
Akkordischer Bogen
(Takte 19-21)
Drei abwärtsgerichtete Gesten: Demutsvolle Verneigung,
Versenkung und Einkehr, kontemplative Betrachtung und
inneres Lichtwerden.
Umfangreiche Ausschmückung eines einzigen Wortes:
„Surge“ – „Steh auf“: gnadenhafter Zuspruch des Herrn,
der das Heil- und Gesund-Werden der unwürdigen Seele
andeutet, Aufforderung zum Kommuniongang und der
realen Begegnung mit dem eucharistischen Herrn.
Demutsvolle Rückbesinnung, lobende und gläubige
Verneigung vor dem Herrn.
Eine weit gefasste akkordisch absteigende Linie, mit dem
„strahlend weißen“ Akkord als Rahmen und Zentrum:
Synthese von demutsvoller Verneigung, Einkehr und
innerem Licht-Werden, Reinigung.
Abbildung 12: Aufbau und Gehalt des „Gebetes vor der Kommunion“.
63
3.5 Das Gebet nach der Kommunion
Dem Satz „Prière après la communion“, dem XVI. Satz des Livre du Saint Sacrement, liegen die
Bonaventura zugeschriebenen Gebetsworte „Mein Duft und meine Süße, mein Friede und meine
Sanftheit...“227 zugrunde. Messiaen selbst beschrieb diesen Satz im Einführungstext hauptsächlich in Hinblick auf die musikalische Gestaltung:
„Melodische Girlanden: von Quintadena 16’ und Nasat des Positivs, abwechselnd mit Gedackt 16’
und Quinte des Hauptwerks, begleitet von Gambe und Voix céleste des Schwellwerks. Das Zitat des
heiligen Bonaventura spricht von Milde und Lieblichkeit – diesen Eigenschaften versuchen die
harmonischen Farben zu entsprechen. In den Schlusstakten wird man Akkorde mit konzentrierter
Resonanz und ihre transponierten Umkehrungen finden.“228
3.5.1 Die musikalische Gestalt
Ähnlich dem Gebetssatz vor der Kommunion folgt die „Prière après la communion“ einem
klaren Aufbau. Was im Gebet vor der Kommunion die gregorianischen Zitate als Gestaltungselement und eröffnende Aussagen eines jeden Gliederungsteiles leisten, wird hier durch einen
Refrain von vier Takten bewirkt.
Takte
1-4
5-8
9-10
11
Refrain (E-A – E-A)
Akkordbrechungen (da229, rc)
Abwärtsbewegung (Fis7 – H7)
Wdh. (E7 ↑)
12-15
16-19
20-21
22-25
26-27
28-29
Refrain (E-A – E-A)
Akkordbrechungen (da)
Abwärtsbewegung
30-33
34-39
40-45
46-47
48-49
50
„Refrain“ (E-Fis – E-Fis)
Akkordbrechungen (da – rc)
Akkordbrechungen (+Bass)
Abwärtsbewegung
Akkordbrechungen
+
Abwärtsbewegung (+Bass)
Wdh.(↑)
4-7
Wdh. (E
Orgelpunkt E
↑)
Orgelpunkt A
51-56
Quintfall
Wdh.
(A !)
Akkordbogen (rc, da, A)
Abbildung 13: Aufbau des Satzes „Prière après la communion“.
227
„Mon parfum et ma douceur, ma paix et ma suavité...“ (Messiaen, Livre, 134).
Messiaen, Einführungstext Livre, 237.
229
Abkürzungen der Akkorde nach Aloyse Michaely: da = accords à renversements transposés sur la même note de
basse (accords sur dominante appoggiaturé); rc = accords à résonance contractée, vgl. z.B. Michaely, Saint
François d’Assise, 117-140.
228
64
Das zentrale Motiv des Refrains, aus dem sich wie aus einer Keimzelle die Oberstimmenstruktur
des gesamten Satzes entwickelt, besteht aus einem schlichten Arpeggio, das in vier Tönen in
zwei reinen Quarten, die durch einen Sekundschritt verbunden sind, abwärts gerichtet ist und den
Rahmen einer Oktave (e3 bis e2) ausfüllt. Dieses Quartenmotiv erklingt taktweise im
dialogischen Wechsel zwischen Positiv und Hauptwerk.
Abbildung 14: „Prière après la communion“, Takte 1-2.
Eingebettet sind diese Gesten der Oberstimme in einen Akkordteppich in der charakteristischen
Registrierung mit gambe und voix céleste, der einen eindeutigen harmonischen Bezugsrahmen zu
A-Dur herstellt. Die kadenzharmonischen Akkorde E-Dur mit Septe und A-Dur gehen fließend
ineinander über. Bereits durch die zarte Registrierung, durch die Schlichtheit und Innigkeit des
Quartenmotivs und durch die Ruhe und reine Harmonie des akkordischen Untergrunds wird auf
musikalische Weise den Eigenschaften Friede, Süße, Sanftheit und Duft, die im BonaventuraZitat Christus zugesprochen werden, musikalisch nachgespürt. Dem viertaktigen Eröffnungsrefrain folgt ein Zwischenteil mit Akkordbrechungen, die in ihrer Struktur an das viertönige
Refrain-Motiv angelehnt sind, jedoch in schnellerer Abfolge und modifizierten Intervallen
dichter und intensiver über neuen farbigen Harmonien erklingen. Daraus entwickelt sich in den
Takten 9-11 eine abwärtsgerichtete Bewegung der Oberstimme, die die charakteristischen
fallenden Intervalle des Refrainmotivs, die Quarte und die Sekunde, aufgreift und durch
aufwärtsgerichtete, ebenfalls konsonante Intervallschritte in Takt 10 ausweitet (Quarte fis2-h2,
Quinte cis2-gis2, Quinte h1-fis2, Quarte fis1-h1). Die Oberstimmenlinie mündet in Takt 10 in eine
kurze Aufwärtsbewegung, die sich aus der Spiegelung der vorangehenden Hauptnoten ergibt und
die in Takt 11 abgespalten und imitierend wiederholt wird.
65
Fis7
H7
E7
Abbildung 15: „Prière après la communion“, Takte 9-11 [Eintragungen D.B.].
Ihre Stringenz und Zielgerichtetheit bekommt die Oberstimmenbewegung in den Takten 9-11
durch den harmonischen Untergrund, der in einer Quintfallsequenz über Fis7, H7, E7 nach A-Dur
führt. Die Tonart A-Dur stellt das verbindende Moment zum Refrain dar, der nach einer diesen
Formteil beschließenden Zäsur erneut in Originalgestalt erklingt (Takte 12-29). Zweimal bringt
Messiaen im Zwischenteil die Abfolge von Akkordbrechungen und Abwärtsbewegung der Oberstimme, die durch die Intervalle der Quarte, der Quinte als Komplementärintervall und die
Sekunde pentatonisch geprägt ist. Eine in Sekundschritten abwärtsschreitende Basslinie tritt ab
Takt 24 hinzu, der Schlussgestus der Abwärtsbewegung in Takt 29 wird entsprechend Takt 10
echohaft imitiert. Der dritte Gliederungsteil beginnt in den Takten 30-33 mit einer Modifizierung
des Refrains, der nun nach Fis-Dur transponiert wird und in dem die Intervallschritte des Motivs
verändert sind.
66
Es folgt wiederum ein zu den vorigen analoger, nochmals gesteigerter Zwischenteil, in dem die
zweimalige Wiederholung des Schlussgestus’ der Abwärtslinie in der Oberstimme in den Takten
48-50 auffällt (vgl. Abbildung 18). Die ab Takt 38 hinzutretende Basslinie mündet in einen
achttaktigen (Takte 42-49) Orgelpunkt über E, der dominantisch nach A-Dur führt. Die Tonart
A-Dur stellt das verbindende und gleichzeitig überlappende Element zwischen dem dritten und
vierten Formteil (Takte 51-56) dar, welcher entsprechend dem Gebetssatz vor der Kommunion
ein neues Gestaltungsmittel ins Spiel bringt: Vielstimmige Akkorde, die regelmäßig über dem
Orgelpunkt A fortschreiten, schlagen einen Bogen vom forte in den Takten 51-54 – dynamischer
und inhaltlicher Höhepunkt fallen dabei wie noch zu zeigen wird in eins – über ein decrescendo
bis hin zum pianissimo-Klang des letzten Akkordes, der zum reinen A-Dur-Klang zurückführt.
Abbildung 16: „Prière après la communion“, Takte 51-55.
67
Die analoge Struktur zur „Prière avant la communion“ ist evident: In beiden Sätzen bestimmt ein
prägendes Gestaltungsprinzip – dort das gregorianische Zitat, hier das Refrainmotiv – die
Gliederung. Insgesamt werden beide Sätze durch das Prinzip der Steigerung zusammengehalten,
das drei Abschnitte mit analogem Aufbau zusammenbindet, von denen die ersten beiden
Abschnitte mit derselben Einleitung beginnen. Der vierte Teil markiert den Höhepunkt, dessen
bestimmendes Merkmal eine kontinuierlich abwärtsschreitende Akkordbewegung ist, die in eine
reine Harmonie mündet. Auch hinsichtlich des Charakters liegen die beiden Gebetssätze des
Livre nahe beieinander. Diese Ähnlichkeit wird insbesondere durch die für Messiaens
Gebetssätze charakteristische Registrierung mit gambe und voix céleste bewirkt, die in beiden
Sätzen zum Einsatz kommt.
Auch wenn der Satz „Prière après la communion“ in seiner Schlichtheit zunächst nicht aus dem
Œuvre Messiaens heraussticht, so fallen bei der genauen Analyse dieses für den
außerliturgischen Bereich komponierten Satzes einige Aspekte ins Auge, die, seien sie von
Messiaen bewusst intendiert oder aber unbewusst gestaltet, einen außergewöhnlichen spirituellen
Tiefgang offenbaren.
3.5.2 Der theologischer Gehalt
3.5.2.1 Mystischer Liebesdialog
Die Gesamtwirkung des Satzes und auch der Einsatz von charakteristischen musikalischen
Mitteln sprechen dafür, den XVI. Satz des Livre zu den mystischen Liebessätzen Messiaens zu
zählen, die durchdrungen sind vom Gedanken und der Verwirklichung der unio mystica.230 Zwei
musikalische Symbole, die innerhalb des Messiaen’schen Musikvokabulars besonders in ihrer
Kombination die mystische Liebe zum Ausdruck bringen, sind das Intervall der fallenden
Quarte231 und die Tonart Fis-Dur232. Beide kommen in den Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus zur
Geltung, ein Werk, in dem Messiaen sich seinem Einführungstext zufolge mehr als in allen
230
Als mystische Liebessätze, die musikalische und inhaltliche Analogien zum XVI. Satz des Livre aufweisen, seien
aus den Vingt Regards der Satz XV „Le baiser de l’Enfant Jésus“ („Der Kuss des Jesuskindes“), Satz XIX „Je dors,
mais mon cœur veille“ („Ich schlafe, doch mein Herz wacht“) und die Rahmenteile des XI. Satzes „Première
communion de la Vierge“ („Erste Kommunion der Jungfrau“) genannt, ferner die Trois petites liturgies de la
présence divine für Klavier, Ondes Martenots, Schlagwerk, Frauenchor und Orchester.
231
So bezeichnete Aloyse Michaely im Rahmen der Analyse des mystischen XIX. Satzes der Vingt Regards „Je
dors, mais mon cœur veille“ das Intervall der fallenden Quarte als „extreme (melodische) Reduktion der mystischen
Liebesthematik“ (Michaely, Verbum Caro, 290). Sie ist die Essenz von zwei Themen aus den Vingt Regards,
nämlich des Gottesthemas, das in Originalgestalt in Fis-Dur erklingt, und des im Gottesthema enthaltenen
Liebesthemas, die beide mystisch belegt sind, vgl. zur harmonischen und melodischen Analyse der beiden Themen
Michaely, Verbum Caro, 268-283.
232
Als Tonart der mystischen Liebe verwendet Messiaen Fis-Dur weiterhin im III. Satz von L’Ascension, in Le
Banquet céleste, O sacrum convivium, im Alleluja des ersten Satzes der Poèmes pour Mi, in den Sätzen VI und X
der Turangalîla-Symphonie und im Schlussteil des vierten Stückes von Les corps glorieux, vgl. Hastetter,
Hoheliedvertonungen, 266 FN 340. Eine bemerkenswerte Herleitung der mystischen Konnotation dieser Tonart von
der Liebesnacht aus Wagners Oper Tristan und Isolde findet sich bei Hastetter, Hoheliedvertonungen, 267.
68
vorausgehenden um eine Sprache der mystischen Liebe bemüht hat.233 In „Prière après la
communion“ findet sich die fallende Quarte bereits zweifach in der viertönigen Keimzelle des
Satzes, dem schlichten, arpeggioartigen Refrainmotiv (e3-h2, a2-e2), das in den Takten 1-4
exponiert wird (vgl. Abbildung 14). Mit der Struktur dieses Motivs wird auch das konstitutive
Intervall der fallenden Quarte im Verlauf des Satzes zum prägenden Gestaltungsmittel. So gibt
es beispielsweise gleich in der ersten Abwärtsbewegung der Oberstimme in Takt 9, die einer
Akkordbrechung gleicht, zwei fallende Quarten (dis3-ais2, fis2-cis2, vgl. zu den Takten 9-11
Abbildung 15). In Takt 10 ist die Gestalt des Quartenmotivs aus Takt 1 in ausgeweiteter Form in
der Oberstimme eingeschrieben und dabei gleichzeitig nach Fis-Dur (mit Quarte) transponiert:
fis2 – cis2 – h1 – fis1. Als ob die Präsenz des in Fis-Dur – der Tonart mystischer Liebe –
erklingenden Quartenmotivs nochmals verdeutlicht werden soll, mündet die absteigende
Oberstimmenlinie in die exakte Spiegelung des Quartenmotivs, das in den originalen Intervallstrukturen, beim tiefsten Ton beginnend und nun aufwärts gerichtet, erklingt. Das gespiegelte
Motiv wird in Takt 11 nochmals aufgegriffen und fragmentarisch imitiert. In diesen Takten, in
denen die beiden mystisch belegten Elemente, die fallende Quarte und die Tonart Fis-Dur
miteinander verbunden werden, wird die mystische Liebesthematik konzentriert. So weist sich
die „Prière après la communion“ insgesamt als ein Gebet der mystischen Versenkung in die
Gegenwart des eucharistischen Herrn aus. Das im Refrain exponierte Quartenmotiv, welches den
melodischen und inhaltlichen Gestus des ganzen Satzes bestimmt, sei somit in Anlehnung an die
mystische Konnotation der fallenden Quarte in den Vingt Regards im Folgenden als Motiv der
mystischen Liebe und Versenkung bezeichnet. Die Gnade und Liebe Gottes scheint in dieser
schlichten abwärtsgerichteten Geste in den Betenden einzufallen und ihn liebevoll zu
umschlingen, ebenso deutet das herabblickende Motiv die mystische Versenkung des Betenden
an. Gleichsam eine Potenzierung findet die mystische Liebe in diesem Satz in den Takten 30-32,
da hier der Refrain mit einem modifizierten arpeggioartigen Motiv in der Oberstimme nun selbst
auf einem akkordischen Untergrund erklingt, dessen tonales Zentrum Fis-Dur ist (Fis7 erklingend
im zweiten und vierten Refraintakt).
Vertieft werden kann der mystische Charakter des XVI. Satzes des Livre durch einen Vergleich
mit dem XI. Satz der Vingt Regards, „Première communion de la Vierge“, dessen Rahmenteile
(Takte 1-20 und Takte 43-80) „dem Vokabular des Kommentars und der musikalischen
Realisierung nach zu den mystischen Sätzen“234 Messiaens gehören und die einige strukturelle
233
Vgl. Messiaen, Vingt Regards, I: „Plus que dans toutes mes précédentes œuvres, j’ai cherché ici un langage
d’amour mystique“. Zur mystischen Sprache der Vingt Regards vgl. Michaely, Verbum Caro, 225-345 und
Hastetter, Hoheliedvertonungen, 264-293.
234
Michaely, Verbum Caro 236. Aloyse Michaely führt Parallelen zu mystischen Texten geistlicher Autoren wie
dem Cantico Espiritual des Johannes vom Kreuz oder der Imitatio Christi an, vgl. ebd.
69
Analogien zu „Prière après la communion“ aufweisen. Auch der Satz aus den Vingt Regards hat
inhaltlich die Kommunion zum Gegenstand, und zwar „die erste und größte aller
Kommunionen“235, die Kommunion der Jungfrau Maria. Messiaen führt in seinem Einführungstext zu diesem Satz ein „Bild“ („un tableau“236) Mariens vor Augen, die nach der Verkündigung
Jesus in ihrem Schoß anbetet. Die Haltung der Jungfrau beschreibt er folgendermaßen: „kniend
[...], in sich gekehrt in der Nacht – ein leuchtender Glorienschein hängt über ihrem Schoß. Mit
geschlossenen Augen betet sie die in ihr verborgene Frucht an“237. Die Haltung der völligen
Versenkung, des In-sich-gekehrt-Seins und der gänzlichen Hinwendung zu Jesus in ihrem
Innern, der Abkehr von allem Äußeren, die durch die geschlossenen Augen und das mystische
Symbol der Nacht zum Ausdruck kommen mag, wird somit zum Urbild und Paradigma für den
Kommunionempfang. Maria steht exemplarisch für jeden Kommunikanten, der den unter den
Gestalten von Brot und Wein verborgenen Christus in sich aufgenommen hat. Sowohl
musikalisch als auch inhaltlich lassen sich einige Analogien zwischen den beiden Sätzen
aufzeigen. Bereits die Worte Mariens, mit denen sie Jesus anbetet, „mein Gott, mein Sohn, mein
Magnificat! Meine Liebe ohne Wortgeräusch...“238, zeigen Ähnlichkeit zum Gebet nach der
Kommunion im Sprachgewande Bonaventuras: „Mein Duft und meine Süße, mein Friede und
meine Sanftheit...“. Beide Zitate und die verwendeten Allegorien zeugen von einer tiefen und
innigen Liebesbeziehung zu Jesus Christus. Entsprechend diesen Gebetsaussagen gestalten sich
die Rahmenteile von „Première communion de la Vierge“ und die „Prière après la communion“
in sehr feiner Dynamik und prägen ein sehr subtiles, inniges und transparentes Klangbild aus. In
beiden Sätzen wird als Fundament ein akkordischer Teppich ausgebreitet. In der „Première
communion“ wird dieser von einer sechsmal wiederholten (Takte 1-12), dichten Verbindung von
vier Akkorden geprägt, die das Gottesthema repräsentieren und deren Interpretationsbezeichnung
mit „intérieur“ einen inwendigen Charakter vorgibt. Über dem akkordischen Untergrund wird in
beiden Sätzen eine Geste exponiert, die abwärts gerichtet ist und die Messiaen in beiden Einführungstexten als „Girlande“ bezeichnet: „Melodische Girlanden“239 bestimmen die Oberstimmenstruktur der „Prière après la communion“. Die zarten, ruhig fließenden Abwärtsbewegungen
(beispielsweise in den Takten 2 und 4) der „Première communion de la Vierge“ gleichen
„Girlanden“, die wie von „zwei idealen Flöten“ vorgetragen werden und die „ihre Arme mit
großer Zärtlichkeit um jene Wahrheit [schlingen], die schweigend in uns spricht“240.
235
Messiaen, Olivier, Traité de rythme, de couleur et d’ornithologie 2, Paris 1995, 471.
Messiaen, Vingt Regards, III.
237
Messiaen, Vingt Regards, III; deutsch zitiert nach: Michaely, Verbum Caro, 235.
238
„[M]on Dieu, mon fils, mon Magnificat! – mon amour sans bruit de paroles…“ (Messiaen, Traité II, 471).
239
Messiaen, Einführungstext Livre, 237.
240
Vgl. Messiaen, Traité II, 471: „D’autres guirlandes, plus lentes, en double notes, comme deux flûtes idéales,
referment les bras avec une grande tendresse sur cette Vérité qui parle en nous silencieusement“.
236
70
Abbildung 17: „Première communion de la Vierge“, Takte 1-2.
In der Coda wird diese zarte melodische Bewegung als „innere Umarmung“ beschrieben, die
„ohnmächtig wird in der Stille hin zur letzten Terz“.241 Von der Girlande bleibt nunmehr eine
innige Geste von vier abwärts gerichteten Klängen übrig, die in eine reine Harmonie, B-Dur mit
einer Terz in der Oberstimme mündet. Die Ähnlichkeit dieser Geste zum Motiv der mystischen
Liebe und Versenkung im XVI. Satz des Livre ist auffallend. Sowohl in den Gebetsworten
Mariens als auch in Bezug auf die Girlanden, die in musikalischer Nähe zum XVI. Satz des Livre
stehen, bringt Messiaen das Moment des mystischen Schweigens zum Ausdruck: Maria betet
Jesus an als „meine Liebe ohne Wortgeräusch“242 und als „Wahrheit, die schweigend in uns
spricht“243. In den letzten Takten des marianischen Satzes wird das mystische Schweigen
dadurch erfahrbar, dass das Gottesthema mit Pausen durchsetzt wird und „ohnmächtig wird in
der Stille hin zur letzten Terz der inneren Umarmung“244. So gestaltet sich das Gebet der
Jungfrau Maria als innere „Umarmung“ von Gott und Mensch, als tiefer und unmittelbarer
Liebesdialog, der keiner Worte mehr bedarf und auf die unio mystica, die innere Vereinigung
mit Gott hindeutet.
In enger musikalischer und inhaltlicher Verwandtschaft zur „Ersten Kommunion der Jungfrau
Maria“ steht der XIX. Satz der Vingt Regards, „Je dors, mais mon cœur veille“.245 Messiaen
beschreibt ihn in seinem Einführungstext als „Gedicht der Liebe, mystischer Liebesdialog“246.
Auch im Notentext kann eindeutig mystisch belegtes musikalisches Vokabular247 nachgewiesen
241
Vgl. Messiaen, Traité II, 471: „Coda sur le Thème de Dieu, qui s’évanouit dans le silence vers la dernière tierce
de l’embrassement intérieur“.
242
Messiaen, Traité II, 471.
243
Messiaen, Traité II, 471.
244
Messiaen, Traité II, 471.
245
Das Moment des mystischen Schweigens setzte Messiaen neben den hier angeführten Sätzen auch in der ersten
Meditation der Trois petites liturgies de la présence divine um, wo es heißt: „Mein Jesus, mein Schweigen […]
sprich in mir“, vgl. dazu weiterführend Michaely, Verbum Caro, 236.
246
„Poème d’amour, dialogue d’amour mystique“ (Messiaen, Vingt Regards, IV).
247
Dieser Satz steht in der Tonart Fis-Dur, die sechs Kreuze sind sogar entgegen der Messiaen’schen Gewohnheit
als Vorzeichen eingetragen. An mehreren Stellen in den Vingt Regards, die in engem inhaltlichem Bezug zum XIX.
Satz stehen, sind die Vorzeichen von Fis-Dur angegeben, vgl. dazu Hastetter, Hoheliedvertonungen, 268. Ferner
zitiert Messiaen hier verschiedene Themen mystischen Charakters, diese sind: das Kuss-Thema und das aus dem
71
werden, sodass dieser Satz zu den mystischen Liebessätzen Messiaens zählt.248 Auch in diesem
„mystischen Dialog zwischen der Seele und Gott, dessen Herz im Schlaf wacht“249 spielt
wiederum das Schweigen („silence“250) eine große Rolle, das musikalisch ausgestaltet wird.251
Auch wenn Messiaen in seinem Einführungstext zum XVI. Satzes des Livre nicht – wie in den
Vingt Regards – explizit die Worte „mystisch“, „Liebesdialog“ oder „Schweigen“ verwendet,
können doch auch in diesem Satz musikalische Strukturelemente aufgezeigt werden, die dieses
Gebet in seiner mystisch belegten Klangsprache zu einem inneren Liebesdialog werden lassen,
der von wortlosem Schweigen umhüllt ist. So lassen sich auf mehreren Ebenen im Notentext
dialogische Strukturen finden. Am augenfälligsten ist in dieser Hinsicht die Oberstimme des
Satzes, die von zwei verschiedenen kornettähnlichen Registern im Positiv und Hauptwerk
vorgetragen wird, die sich kontinuierlich abwechseln (vgl. Abbildung 14). Am Ende eines jeden
Formteils findet dabei eine Echowirkung statt: Die letzten Töne der Oberstimme werden in den
Takten 11, 29, 49 beziehungsweise 50 – zum Ende des dritten Formteiles nutzt Messiaen diesen
Effekt gleich zweimal – abgespalten und im anderen Register imitierend wiederholt.252 Innerhalb
der Oberstimme fällt zudem eine zweifache Bewegungsrichtung auf: Das schlichte viertönige
Motiv ist auch in seinen Sequenzierungen grundsätzlich nach unten gerichtet und deutet eine
Geste des Herabblickens oder den Einfall der göttlichen Liebe und Gnade an. Demgegenüber
findet am Ende eines jeden Formteiles eine Aufwärtsbewegung statt, die vom anderen Register
imitierend wiederaufgegriffen wird und einem nachsinnenden Aufblicken gleicht, das in eine
Zäsur, ein Atemholen mündet, bevor im nächsten Formteil ein neuer Gedanke entfaltet wird. Es
scheinen sich hier zwei Blickrichtungen zu begegnen: Eine ist in steter Bewegung nach unten
gerichtet, die andere blickt zurückhaltend und nachsinnend aufwärts. Katabatische und
anabatische Dimension scheinen im Gebet nach der Kommunion aufeinander zu treffen. Einen
Wendepunkt innerhalb des dialogischen Blickgeschehens stellt das Ende des dritten Formteils
dar.
Gottesthema entwickelte Liebesthema, vgl. ebd., 271-273. Auch die mystisch belegte fallende Quarte, die neunmal
in diesem Satz erscheint, stellt ein kompositorisches Kernelement dar, vgl. ebd., 273-274.
248
Ein innerer Zusammenhang zwischen den Rahmenteilen des XI. Satzes, dem XV. und dem XIX. Satz der Vingt
Regards, die zu den mystischen Sätzen Messiaens gehören, ist in der Sekundärliteratur einstimmig belegt, vgl.
Hastetter, Hoheliedvertonungen, 266.
249
Hastetter, Hoheliedvertonungen, 275.
250
Vgl. Messiaen, Vingt Regards, IV: „Les silences y jouent un grand rôle“. Die verschiedenen Bedeutungskonnotationen des französischen Wortes „silence“, die über das deutsche „Schweigen“ hinausgehen, sind hervorgehoben bei Hastetter, Hoheliedvertonungen, 274.
251
Vgl. zur Analyse der musikalischen Mittel, die das mystische Schweigen zum Ausdruck bringen und eine
Strukturanalogie zur geistlichen Hoheliedauslegung der Therese von Lisieux aufweisen, Hastetter,
Hoheliedvertonungen, 274-277.
252
Heinemann bezeichnet dieses Prinzip als „ein vielfach von Messiaen genutztes Mittel zur Erzielung struktureller
Kohärenz“ (Heinemann, Livre, 181) zwischen dialogischem Einleitungsteil bzw. Refrain und den breiter
ausgestalteten Zwischenteilen.
72
E4-7
A
Abbildung 18: „Prière après la communion“, Takte 48-50 [Eintragungen D.B.].
Denn hier kommt es zur zweimaligen Wiederholung der aufwärts gerichteten Bewegung, die
zudem zur gespiegelten Originalgestalt des Anfangsmotivs zurückgeführt wird (Töne e1 – a1 – h1
– e2) und damit dessen innere Reinheit, Harmonie und mystische Konnotation mittransportiert.
Entscheidend ist jedoch, dass diese Spiegelung des Anfangsmotivs durch zwei Töne erweitert
wird, die eine Verschränkung von Aufwärts- und Abwärtsbewegung bewirken. Während der
erste hinzugefügte Ton h2 die Aufwärtstendenz des gespiegelten Motivs fortsetzt, führt der
abschließende Ton a2 einen Schritt nach unten und in den Einklang des Oktavrahmens, der
zwischen Oberstimme und Basston hergestellt wird. Die beiden Bewegungsrichtungen bündeln
sich und verschmelzen – herausgehoben durch ein rallentando, das eine Verlangsamung und
Auflösung der Oberstimme bis hin zum mystischen Schweigen andeuten könnte – in einer Figur,
die nicht mehr dialogisch weitergeführt werden kann. Diese mündet vielmehr in die Einheit im
rein akkordischen letzten Formteil (Takte 51-54, vgl. Abbildung 16), in der die beiden
dialogischen Blickrichtungen sich in einem einzigen weiten abwärts gerichteten Bogen
verbinden. Hervorgehoben wird dieser Moment der mystischen Vereinigung auf musikalische
Weise durch die beschriebene kräftige Dynamik in forte.
73
Auf einer weiteren Ebene kann eine dialogische Struktur zwischen der Ober- und der
Unterstimme ausgemacht werden. Während die Unterstimme ein unaufhörliches Band darstellt,
in dem die einzelnen Akkorde ineinander übergreifen, das in allen Farben unfassbar und
unvorhersehbar changiert und aufleuchtet, mithin von der göttlichen Liebe und Wahrheit
durchdrungen ist, gestaltet sich die Oberstimme in schlichten, sich verneigenden oder
nachsinnend aufwärtsblickenden Gesten, die jedoch stets auf den akkordischen Teppich bezogen
sind, von diesem getragen werden und diesen gleichsam erhellen und entfalten. Indem Ober- und
Unterstimme in Takt 50 im Ton a zur Einheit von drei Oktaven zusammengeführt werden (vgl.
Abbildung 18, Takt 50) und anschließend in einer simultanen Bewegung voll akkordisch
erklingen, die nicht mehr zwischen Ober- und Unterstimme differenziert, findet strukturell in der
Musik eine Verschmelzung statt zwischen zwei Erscheinungsweisen: dem tragenden Fundament
einerseits, das auf der Ebene der Musik die göttlichen Prädikate Unendlichkeit und Ruhe,
transzendente Farbenfülle und tagender Urgrund verwirklicht, und schlichter, suchender Aufund Abwärtsbewegung andererseits, die in sich einkehrt und grundlegend auf den akkordischen
Teppich bezogen ist.
Anhand der musikalischen Gestalt wird deutlich, dass der Satz „Prière après la communion“ sich
mystischen Vokabulars bedient und auf mehreren Ebenen dialogische Strukturen und eine
klangliche Verflechtung von zwei Kommunikationsträgern anzutreffen sind, die eine lebendige
Begegnung zwischen Gott und Mensch erahnen lassen. Diese lassen sich jedoch nicht gleich
einem Gesprächsprotokoll auf zwei voneinander verschiedene Dialogpartner auseinanderbuchstabieren. Der Dialog scheint vielmehr in einer anderen Dimension stattzufinden, die im
kontemplativen Bereich der liebenden Blicke anzusiedeln ist, die keiner Wortsprache mehr
bedarf und in Anlehnung an den XI. und XIX. Satz der Vingt Regards von einem mystischen
Schweigen umhüllt zu sein scheint. Höhepunkt des mystischen Liebesdialoges ist das In-EinsFallen der Dialogstrukturen in der völligen Vereinigung und gegenseitigen Durchdringung.
3.5.2.2 Blendung durch die göttliche Wahrheit und Liebe
Einen vertieften Einblick in den Gehalt des Satzes „Prière après la communion“ und in die
spirituelle Erfahrung Messiaens, die in diesem Satz zum Ausdruck kommt, gewinnt man durch
eine Betrachtung der Farben, die Messiaen beim Erklingen der jeweiligen Tonarten und Akkorde
vor seinem geistigen Auge sah.253 Auch wenn ein solch farbsymbolischer Ansatz und Zugang zu
253
Methodisch ist die Verfasserin dieser Arbeit bei der Erschließung des Farb- und Symbolgehaltes des XVI. Satzes
des Livre folgendermaßen vorgegangen: Zunächst wurden die einzelnen Akkordkomplexe analysiert und den
Messiaen’schen Akkordmodellen zugeordnete. Hauptsächlich setzt Messiaen in diesem Satz accords à renversement
transposés sur la même note de basse und accords à résonance contractée ein, denen er im VII. Band des Traité in
ihrer jeweiligen Umkehrung und Erscheinungsform bestimmte Farbkomplexe zuordnet (Messiaen, Traité VII, 141164). Eine Auflistung der in diesem Satz verwendeten Akkordfarben ist im Anhang dieser Arbeit beigefügt, vgl.
74
einem Satz in der Messiaen-Forschung bislang noch nicht explizit durchgeführt worden ist, liegt
er doch im XVI. Satz des Livre nahe, da Messiaen hier beinahe ausschließlich Akkorde und
Tonarten verwendet, die mit Farbzuweisungen belegt sind. Dass Messiaens harmonisches
System grundlegend auf Farbeindrücke bezogen ist, aus diesen heraus entstanden und ohne diese
für Messiaen wohl nur inhaltsleere Hülle wäre, wird an folgenden Worten deutlich:
„Die Leidenschaft für die Beziehung Klang – Farbe hat mich dazu getrieben, mit diesen Modi mit
begrenzter Transponierbarkeit zu arbeiten […]. Es ist aber vor allem ein Farbphänomen. Jeder
Modus hat eine sehr genau bestimmbare Farbe, die sich bei jeder Transposition verändert. Das ist
wichtig. Zum Beispiel hat der 2. Modus 3 Farben, der 3. Modus 4, und das gibt eine Menge Farben,
derer ich mich bedienen kann wie ein Maler seiner Palette. Ebenso sind alle speziellen Akkorde, die
Umkehrungen auf demselben Baßton ausschließlich Farbprodukte.“254
Diese enge Verbindung von Klang und Farbe, die wohl von keinem Hörer in derselben Weise
nachempfunden werden kann, führt in das Zentrum von Messiaens musikalischem – und auch
spirituellen – Denken und Empfinden. Der Musik Messiaens würde man daher nicht gerecht,
wenn man bei einer Analyse der innovativen und unverwechselbaren Modi und Akkorde
stehenbliebe, denn sie geht nicht auf in ihrer äußeren Gestalt, sondern verweist vielmehr auf eine
farbig-lichte Wirklichkeit hinter den Klängen, die es mit Hilfe der Aussagen Messiaens zu
entschlüsseln gilt.
In seinem Einführungstext stellt Messiaen eine Beziehung her zwischen den „harmonischen
Farben“ des Satzes und dem zugrunde gelegten Bonaventura-Zitat, indem die Farben den
Eigenschaften von „Milde und Lieblichkeit“ entsprechen sollen.255 So verwendet Messiaen in
diesem Satz überwiegend Akkorde in Pastelltönen und blassen Farben, die mit der subtilen, in
mystisches Schweigen versunkenen, sanften Gesamtatmosphäre des Satzes in Einklang stehen.
Beispielsweise der Akkord in Takt 16 beziehungsweise 34 erklingt in folgenden Farben:
„Facettierter Kristall: Gelb, Mauve, blasses Blau, blasses Grün, Rosa, Bernstein abfallend nach
Weiß – mit etwas Gold herum“256. Warme Farben wie „Orange, mit eklatanten Klecksen von
123. Daneben verwendet Messiaen reine Harmonien wie A-Dur und Fis-Dur, deren Farbgehalt sich aus den Modi
ableiten lässt, aus denen die Akkordtöne stammen, ferner aus Aussagen Messiaens und Analogien zwischen tonalen
Zentren und Farben in einzelnen Sätzen innerhalb seines Œuvres. Anschließend wurden die Farben hinsichtlich ihrer
Intensität, ihrer Beziehung zueinander und der Häufigkeit, mit der sie auftreten, ausgewertet und Rückschlüsse auf
den Gehalt des Satzes gezogen. Eine entscheidende Deutungshilfe war dabei das Kapitel „Le son-couler“ aus dem 7.
Band des Traité (Messiaen, Traité VII, 7-22), in dem Messiaen Aussagen zum symbolischen Gehalt der Farben
macht und das bereits bei der Erschließung der Bedeutung der Farbe Weiß im Gebetssatz vor der Kommunion in
dieser Arbeit zitiert worden ist.
254
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 23. April 1979, 81-82.
255
Vgl. Messiaen, Einführungstext, 237.
256
Messiaen, Traité VII, 145. Weitere zarte Akkordfarben sind: „Durchsichtige Säulen, Farbe ,Amberʻ (Gelb und
klares Kastanienbraun) […] mit ein paar Klecksen von blassem Blau“ (Messiaen, Traité VII, 163) in Takt 22-23
oder „Mauve Glockenblumen auf weißen und klar grauen Schleiern“(Messiaen, Traité VII, 163) im ersten Akkord
von Takt 52.
75
Gelb, Rot und warmem Braun“257, so in Takt 19, unterstützen den Charakter von Frieden und
Innigkeit.
Dass in diesem Satz eine spirituelle Erfahrung zum Ausdruck kommt, die das begriffliche
Erfassen übersteigt, wird daran deutlich, dass Messiaen in diesem Satz vorrangig Mittel einsetzt,
die ihm zufolge für die Blendung der Sinne („l’éblouissement“) prädestiniert sind. Auf einer
formalen Ebene wird das Moment der Blendung bereits durch die Wahl der Akkordtypen
deutlich. Messiaen verwendet in „Prière après la communion“ überwiegend accords à
renversement transposés sur la même note de basse, also dominantische Akkorde mit doppeltem
Vorhalt, deren Umkehrungen auf denselben Basston transponiert werden, und accords à
résonance contractée, Akkorde mit zusammengezogener Resonanz. Beide Akkordmodelle
zeichnen sich durch eine klare Farbzuweisung durch Messiaen aus. Aufgrund ihrer Farbigkeit
benannte Messiaen die transponierten Umkehrungsakkorde (accords à renversement transposés
sur la même note de basse) als Kirchenfensterakkorde und die Wirkung, die die Abfolge von
solchen Akkorden hervorruft, als „Kirchenfensterwirkung“258 („effet de vitrail“). In ihrer
kontrastreichen Farbenfülle, ihrer bunten, kaleidoskopartigen Schönheit, die den Hörer wie beim
Betrachten gotischer Kirchenfenster aus der Ferne an die Grenzen des sinnlich Wahrnehmbaren
führt, sind sie eines der primären Ausdrucksmittel der Musik des „Farbklanges und des
Geblendetseins“, die Messiaen in seiner Conférence de Notre Dame beschrieben hat. Ebenso wie
die Farbe macht das Phänomen der natürlichen Obertöne und der Resonanz auf eine das
begriffliche Erfassen überschreitende Erfahrung der Transzendenz aufmerksam. Messiaen
versuchte diese in der Musik zu fassen in den Akkordpaaren à résonance contractée, die neben
den Kirchenfensterakkorden die zweite Kategorie der verwendeten Akkorde im XVI. Satz des
Livre bilden. Die Struktur der Resonanzakkorde, welche die natürliche Obertonreihe aufgreift,
ergibt sich aus dem Anliegen, „[f]ast alle in der Resonanz eines tiefen C – für ein äußerst feines
Ohr – wahrnehmbaren Töne“259 temperiert in einem Klang zu bündeln.
Bei der Betrachtung der Farbgebung in „Prière après la communion“ fällt auf, dass Messiaen hier
in besonderer Weise die Wirkung von Komplementärfarben in Dienst nimmt. Das Phänomen der
Komplementärfarben beschrieb Messiaen folgendermaßen:
„Wenn Sie eine rote Zone, die gegenüber einer weißen Zone plaziert ist, mit ihren Augen fixieren, so
werden Sie nach einigen Augenblicken feststellen, daß an der Schnittstelle der beiden Zonen das Rot
beginnt, sich aufzuhellen. In dem Moment, wenn es den Zustand der maximalen Aufhellung erreicht
hat, werden Sie mit Unterbrechungen über der weißen Zone ein Grün gegenüber dem Rot
aufleuchten sehen: ein ziemlich blasses, aber außerordentlich schönes Grün.“260
257
Messiaen, Traité VII, 142.
Messiaen, Technik, 48 Bsp. 204.
259
Messiaen, Technik, 48 Bsp. 208.
260
Samuel, Neue Gespräche, 46; vgl. auch Messiaen, Conférence de Notre Dame, 65.
258
76
„Wenn wir dasselbe mit Blau machen, bekommen wir ein flammendes Orange, wenn wir es ebenso
mit Gelb machen, bekommen wir ein flammendes, bleiches Violett oder mauve. Umgekehrt ergibt
Grün Rot, Orange ein fahles Blau, Violett Gelb.“261
Das Entscheidende hinsichtlich der theologischen Deutung dieses Farbphänomens ist: Sowohl
Komplementärfarben als auch Obertöne sind nach Messiaen – wie bereits hervorgehoben262 –
„verbunden mit dem Gefühl für das Heilige, mit dem Überwältigtsein, woraus Ehrfurcht,
Anbetung und Lobpreisung entstehen“263. Bereits der Refrain exponiert die Komplementärfarben
Blau und Orange, die sich aus den beiden Tonarten A-Dur (Blau)264 und E-Dur (Rot-Orange)265
ergeben. Messiaen verwendet hier eine dritte Kategorie von Akkorden, nämlich reine DurAkkorde, die einer klaren Tonalität zugeordnet werden können und die in ihrer vertrauten
Wirkung und Schlichtheit eine beinahe kindlich-naive Offenheit und Unverstelltheit, eine
Reinheit des Herzens zum Ausdruck bringen, die dem Wesen des mystischen Liebesdialogs
nachspürt. Auch kommt die Wahl der dominantisch aufeinander bezogenen Tonarten E-Dur und
A-Dur nicht von ungefähr: Gerade diese Abfolge wird bei Messiaen mit dem Mystischen266
konnotiert und liefert damit einen weiteren musikalischen Hinweis auf das Wesen des Satzes als
mystischer Liebesdialog. Dem beschriebenen Phänomen des Verschwimmens und des
Aufleuchtens der Komplementärfarbe am Grenzbereich zur fixierten Grundfarbe – im Refrain
zwischen Orange und Blau – kommt Messiaen musikalisch nach, indem die Akkorde nicht
unvermittelt nebeneinander stehen, sondern vielmehr die einzelnen Stimmen ineinander
übergehen und so einen changierenden Farbeindruck entstehen lassen. Das viertönige
Refrainmotiv der Oberstimme, das als Arpeggio die zugrunde liegenden, ineinander
verschwimmenden Akkorde bricht, lässt sich mit der Wirkung eines Prismas vergleichen, das
das einfallende Licht aufspaltet und so die einzelnen Farbkomponenten deutlich hervortreten und
aufleuchten lässt. Auch im weiteren Verlauf fällt die Häufigkeit von Komplementärfarben bei
261
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 65.
Vgl. Kapitel 3.2.2. dieser Arbeit, bes. 30-31.
263
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 66.
264
„Aber am häufigsten kommt die Tonart A-Dur in meiner Musik vor, und sie ist blau“ (Messiaen, Olivier, in:
Rößler, Almut, Gespräch mit Olivier Messiaen am 16. Dezember 1983 in Paris, in: dies. [Hg.], Beiträge zur
geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg 21993, 126-154, hier 127).
265
Die Farbe Orange als entsprechende Farbe des E-Dur-Dreiklangs ergibt sich aus der Zugehörigkeit der
Akkordtöne von E-Dur zum Modus 31 und dessen orangener Grundfarbe („couleur géneral: „orange, or, et blanc
laiteux“, Messiaen, Traité VII, 122), andererseits aus der Präsenz von E-Dur in Des canyons aux étoiles, das von
den rötlich-orange schimmernden Felsen im Bryce Canyon Nationalpark inspiriert ist; vgl. Hastetter, Klingende
Relecture, 103 FN 62 mit Verweis auf ein unveröffentlichtes Manuskript von Christian Lenze.
266
Die Abfolge der Funktionsharmonien Dominante – Tonika – Dominante – Subdominante, die sich aus den drei
Transpositionen des 2. Modus ergeben, verwendet Messiaen bevorzugt an mystischen Stellen. Prominentes Beispiel
für diese Verwendung sind die drei Schlussakkorde des Gottesthemas in den Vingt Regards, vgl. Michaely, Verbum
Caro, 273. Auch wenn Messiaen im XVI. Satz des Livre die Abfolge von E-Dur und A-Dur nicht an die
Transpositionen des 2. Modus bindet und kein subdominantischer Klang erscheint, so fällt doch zumindest eine
Analogie zur mystischen Verwendung der Tonartenabfolge von E-Dur und A-Dur im II. Satz der Trois petites
liturgies de la présence divine ins Auge, vgl. dazu ebd., 273. Zum Aufeinandertreffen von E-Dur und A-Dur bzw.
von Orange und Blau im X. Satz der Vingt Regards vgl. auch Hastetter, Klingende Relecture, 104-105.
262
77
zwei aufeinander folgenden Akkorden267 oder sogar innerhalb eines Akkordes268 auf, vorrangig
schimmern dabei die Farben Violett und Gelb auf, die hinsichtlich ihres Symbolgehalts noch zu
befragen sind. Die „blassen“ Farben, die bereits mit den Eigenschaften des zugrundegelegten
Zitats in Verbindung gebracht wurden, offenbaren sich nun als die entsprechenden
Komplementärfarben, die vom inneren Auge beim Erklingen der Grundfarbe wahrgenommen
werden. Soweit lässt sich zusammenfassen: Die Erfahrung, die in diesem Gebet nach der
Kommunion zum Ausdruck kommt und die von Kirchenfensterakkorden, Komplementärfarben
und Resonanzakkorden geprägt ist, ist als eine große Blendung, als pures Überwältigtsein zu
umschreiben.
Um die Blendung und persönliche Erfahrung Messiaens inhaltlich noch genauer zu fassen, soll
im Folgenden der Symbolgehalt der einzelnen Farben und Tonarten innerhalb des
Messiaen’schen Denkens noch eingehender betrachtet werden. Am auffälligsten ist die
Dominanz der Tonart A-Dur respektive der Farbe Blau. A-Dur ist das tonale Zentrum des
zweimal aufgegriffenen Refrains, das durch die Dominantwirkung von E7 gefestigt wird (vgl.
Abbildung 14), weiter erklingt A als Orgelpunkt im letzten Formteil, der in den Schlussakkord,
einen vollen A-Dur-Klang, mündet. So kann man A-Dur als Haupttonart, als Grundtenor, als
Rahmen des „Gebetes nach der Kommunion“ bezeichnen. Auch die mit A-Dur konnotierte Farbe
Blau tritt in zahlreichen Akkordkomplexen in ihren Farbnuancen auf.269 Die Dominanz der
Tonart A-Dur und der Farbe Blau kann in zwei Richtungen gedeutet und erhellt werden.
Zunächst soll der Symbolgehalt der Tonart A-Dur durch einen Verweis auf den XI. Satz,
„L’Apparition du Christ ressuscité à Marie-Madeleine“ entfaltet werden, der innerhalb des Livre
– wie bereits ausgeführt – eine musikalische und theologische Schlüsselstellung einnimmt.270
Der reine A-Dur-Akkord markiert in diesem Satz das Ende des ersten großen Teils, er ist der viel
bestätigte Zielklang, in den die abwärtsgerichteten Akkordgesten münden, die den Kniefall
Maria Magdalenas verbildlichen. Gleich einer sich einstellenden Klarheit scheinen die reinen ADur-Klänge die wahrhaftige Erkenntnis und den Glauben der Maria Magdalena zu
symbolisieren, welche die Gottheit des Auferstandenen anbetet.
267
Komplementärfarben finden sich beispielsweise in den Takten 5-6 und 7-8, jeweils Gelb und Violett, ferner in
Takt 16, der die Komplementärfarben zu Rot-Orange enthält: blasses Blau, blasses Grün.
268
Innerhalb eines Akkordes können Komplementärfarben ausgemacht werden beispielsweise in Takt 7 bzw. 51
(Gelb und Violett mauve), in Takt 16 bzw. 34 (Gelb, Mauve), Takt 18 (Rot und blasses Grün) und in Takt 52,
zweiter Akkord (Violett und Gelb).
269
Die Farbe Blau tritt auf in Takt 6: „Breites Tuch von blauem Saphir, umgeben von weniger starken Blautönen
(Flussspat-blau, klares Blau von Chartres) und umgeben von Violett“ (Messiaen, Traité VII, 142); ferner in Takt 36
und 37 („Kobalt blau“ und „Flussspat-blau“) und in Takt 52, zweiter Akkord („klares Preußischblau“).
270
In Hinblick auf die methodische Zulässigkeit, den Gehalt einer Tonart durch den Verweis auf einen anderen Satz
innerhalb desselben Werkes zu deuten, in dem diese Tonart mit einem bestimmten symbolischen Gehalt verbunden
ist, sei auf Messiaens Wertschätzung des Wagner’schen „Leitmotivs“ hinweisen, vgl. Rößler, Diskussion am 7.
Dezember 1968, 30-31.
78
A
5
A
A
5
3-
A
Abbildung 19: „L’Apparition du Christ ressuscité à Marie-Madeleine“, Takte 101-109 [Eintragungen
D.B.].
Sowohl die demutsvolle Haltung als auch das Erfülltsein vom Glauben, die Erkenntnis des Herrn
schwingen in den A-Dur-Klängen mit, die im Gebetssatz nach der Kommunion gleichsam zur
Basis und zum Fundament, zum Ausgangspunkt und alles umfassenden Rahmen werden.
In einem weiteren Schritt soll die Farbe Blau hinsichtlich ihres Symbolgehalts befragt werden.
Im siebten Band des Traité beschrieb Messiaen Blau als „Farbe des Himmels oder der Luft“271.
Dabei gilt zu beachten, dass die blaue Färbung des Himmels durch das physikalische Phänomen
der Diffraktion, der Beugung von Lichtwellen, zustande kommt, der Himmel – ebenso wie die
Luft – also nicht an sich, sondern nur aus der Perspektive des menschlichen Betrachters,
271
Vgl. Messiaen, Traité VII, 12: „[L]e bleu est la couleur du ciel ou de l’air“.
79
vermittelt durch ein optisches Phänomen, blau ist.272 Messiaen beschreibt hier eine sinnliche
Erfahrung, die Analogien zu den Phänomenen der Komplementärfarben und der Obertöne
aufweist. Auch wenn also der Himmel nicht an sich blau ist, assoziiert der menschliche Geist
doch mit der Farbe des Himmels „eine Vorstellung von Erhebung, Leichtigkeit, Luft, von
unerreichbaren Sphären […]. Der klassische Traum des Vogel-Menschen, der sich ohne Mühe
emporschwingt über Städte, Täler, Berge, ist ein Traum, der sozusagen ,im Blauen badet‘“273.
Die Farbe Blau steht demnach für den Bereich des Ungreifbaren, des Unaussprechlichen, für die
menschliche Sehnsucht nach Freiheit und Leichtigkeit, für die Transzendenz.274 Vertieft wird
diese Deutung der Farbe Blau durch Messiaen im Kontext der Beschreibung des Tempels Shintô
auf der japanischen Insel Miyajima, der mit den ihn umgebenden farblichen Landschaftseindrücken zu einer „Symphonie der Farben“ („une symphonie de couleurs“275) verschmilzt: Das
blaue Meer und der blaue Himmel werden hier in Verbindung gebracht mit einem unbegrenzten
Raum, mit dem Unsichtbaren.276 Indem das „Gebet nach der Kommunion“ eingefasst und durchdrungen ist von der Farbe Blau, deutet es auf eine mystische, auf eine jenseitige, entrückte,
transzendente, gleichsam eine „himmlische“ Erfahrung hin, die unaussprechlich und wie die
Farbe des Himmels ungreifbar ist.
Eine weitere – von Messiaen mit einer inhaltlichen Aussage verknüpfte – Farbe ist Violett277, das
bereits im Kontext der Komplementärfarben als vorherrschende Farbe des Gebetssatzes nach der
Kommunion278 ausgewiesen worden ist. Aus den Farben Blau und Rot zusammengesetzt, hatte
Violett bereits in mittelalterlichen Bildwerken und Glasmalereien eine doppelte Bedeutung:
Purpur, in dem das Rot überwiegt, bedeutete die „Liebe der Wahrheit“; Hyazinth, in dem das
272
Auch einem Körper kommt die Farbe Blau nicht an sich zu, sondern uns erscheinen Körper nur insofern blau, als
sie blaue Lichtstrahlen reflektieren, andere jedoch absorbieren, vgl. Messiaen, Traité VII, 12.
273
Vgl. Messiaen, Traité VII, 12-13: „Quoi qu’il en soit, l’azur, couleur du ciel, a été forcement associé, dans
l’esprit des hommes, à une idée d’élévation, de légèreté, d’air, de sphères inaccessibles […]. Le rêve classique de
l’homme-oiseau s’élançant, sans effort, au-dessus des villes, des vallées, des montagnes, est un rêve qui, pour ainsi
dire ,baigne dans le bleuʻ“.
274
In Ergänzung zu diesen von Messiaen ausgeführten Assoziationen wurde die Farbe Blau bekanntlich besonders
in der Romantik zum Symbol für die Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem
Unendlichen. Geprägt wurde das Bild der „Blauen Blume“ durch Novalis in seinem Fragment gebliebenen
romantischen Roman Heinrich von Ofterdingen, aufgegriffen wurde es beispielsweise durch Joseph von Eichendorff
in seinem Gedicht „Die blaue Blume“.
275
Messiaen, Traité VII, 21-22.
276
Vgl. Messiaen, Traité VII, 22: „Et il ouvre sur la mer bleue, sur le ciel bleu, sur un espace infini, sur l’invisible“.
277
Zu Messiaens Farbempfinden und der Bedeutung der Farbe Violett vgl. auch Kudielka, Robert, Der Klang
Violett. Zur Bedeutung der Farbe in der Musik Olivier Messiaens, in: Wassermann Beirăo, Christine / Schlee,
Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen zum
Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 13-23.
278
In Erscheinung tritt die Farbe Violett im „Priére après la communion“ in den Takten 6, 7, 8, 22-23, 37, 51 und
52.
80
Blau überwiegt, die „Wahrheit der Liebe“.279 Messiaen äußerte sich dazu: „Diese Wortumstellung ist gewiß nicht ein einfaches Wortspiel, sondern hängt ohne Zweifel sehr eng mit den
Nuancen der violetten Farbe zusammen“280. Auch bei Messiaen steht Blau neben dem Himmel
für die göttliche Weisheit („sagesse divine“) und Wahrheit, im abgrundtiefen Blau liegen „aller
Geist und alle Wahrheit“281. Rot dagegen konnotiert er mit der Liebe und dem Heiligen Geist.282
In der Farbe Violett nun, der „Lieblingsfarbe“ Messiaen, kommen beide Pole, rot und blau,
Liebe und Wahrheit, zusammen und verschmelzen zu einer Einheit. Der Gebetssatz nach der
Kommunion, in dem die Farbe Violett leitmotivartig aufscheint, bringt somit eine tiefe
Erfahrung der göttlichen Liebe und Wahrheit zum Ausdruck. Der mystische Liebesdialog wird
durchdrungen und befruchtet von der Begegnung mit Jesus Christus, der die Mensch gewordene
Liebe Gottes und die Wahrheit selbst (vgl. Joh 14,6) ist. Gerade und erst die Verbindung von
Wahrheit und Liebe macht auch im Denken und Handeln des einzelnen Gläubigen die Christusnachfolge vollkommen (vgl. Eph 4,15).
Auch die Komplementärfarbe Gelb, die genauso häufig wie Violett auftritt, lässt sich im Kontext
des Gebetssatzes theologisch deuten. Sie tritt gleich im ersten Akkord nach dem Refrain in Takt
5 auf, welcher folgende Farbzuweisung trägt: „Oberer Bereich: Bergkristall und Zitrin, Unterer
Bereich: Farbe Kupfer mit Spiegelungen von schimmerndem Gold“283. Rein visuell tauchen die
Farben Gold und Gelb als Farben des „Wortes und des Lichts“284 den Satz in ein strahlendes
Licht, sie könnten auf die Aussetzung des Allerheiligsten in der Monstranz verweisen und
verleihen dem Satz einen würdigen, sakralen Charakter. Inhaltlich sind die Farben Gold und
Gelb bei Messiaen im Anschluss an die christliche Symbolik die Embleme des Glaubens.285
Damit wird nochmals vor Augen geführt, was die Symbolik des Satzes bereits impliziert: Die
mystische, „himmlische“ Erfahrung der göttlichen Liebe und Wahrheit, die die Sinne des
Menschen blendet, ihn überwältigt, die vom Fis-Dur als einem „Funkeln aller möglicher
Farben“286 begleitet wird, ist grundlegend bezogen und wird getragen und durchdrungen vom
christlichen Glauben.
279
Vgl. Michaely, Gesamtschaffen, 368. Daneben verwendet Messiaen die Farbe Violett als Farbe des Kreuzes
entsprechend ihrer liturgischen Bedeutung in der Fastenzeit, so im VIII. Satz der Vingt Regards, „Regard de la
Croix“, vgl. ebd.
280
Messiaen, in: Samuel, Entretiens, 43; deutsch zitiert nach: Michaely, Gesamtschaffen 368.
281
Vgl. Messiaen, Traité VII, 13: „C’est dans cet abîme d’azur que résident tout Esprit et toute Vérité“.
282
Vgl. Messiaen, Traité VII, 16: „C’est dans la mesure où il représente l’Amour divin que le Saint-Esprit est
rouge“.
283
Vgl. Messiaen, Traité VII, 142. Die Farben Gelb und Gold treten weiterhin in den Takten 7, 16-17, 19, 22, 34-35,
51 und 52 auf.
284
Vgl. Messiaen, Traité VII, 18: „L’or, symbole à la fois de la parole et de la lumière“.
285
Vgl. Messiaen, Traité VII, 18: „L’or et le jaune sont en effet les emblèmes de la Foi dans la Symbolique
chrétienne“.
286
Messiaen, in: Rößler, Gespräch am 16. Dezember 1983, 127. Die mystisch belegte Tonart Fis-Dur, in der der
modifizierte Refrain erklingt, stellt – wie beschrieben – das Zentrum des Satzes dar.
81
3.5.2.3 Zusammenfassung des spirituellen und theologischen Gehalts
Im Satz „Prière après la communion“ kommt die Erfahrung der mystischen Vereinigung mit dem
eucharistischen Herrn zum Ausdruck. Dies wird deutlich an der Verwendung von mystisch
konnotiertem musikalischem Vokabular wie der fallenden Quarte, die bereits in der Keimzelle
des Satzes im Refrain enthalten ist und im Weiteren mit der mystisch belegten Tonart Fis-Dur
kombiniert wird. Dass es sich hier um eine transzendentale, unaussprechliche Erfahrung handelt,
wird durch den Einsatz der Farbe Blau, repräsentiert durch A-Dur, und durch die vorrangige
Verwendung von Mitteln, die eine Blendung und ein Überwältigtsein im Hörer hervorrufen,
deutlich: Kirchenfensterakkorde, Resonanzakkorde, Komplementärfarben und ein „Funkeln aller
möglicher Farben“. Auf mehreren Ebenen lassen sich dialogische Strukturen nachweisen, sodass
dieses Gebet nicht einseitig vom Gläubigen (Messiaen) aus an Gott adressiert, sondern vielmehr
ein ganz in Gott versunkener, in mystisches Schweigen gehüllter Liebesdialog ist, der vor dem
Hintergrund des Bildes der still in sich versunkenen und die göttliche Wahrheit innerlich
umarmenden Maria als Urbild erst seine volle spirituelle Bedeutungsdimension und Tragweite
erfährt. Die Farbe Violett zeigt an, dass dieser Dialog der Liebe konstitutiv auf die Wahrheit
bezogen, von dieser gleichsam durchdrungen ist, dass es sich hier um eine außerordentliche
Erfahrung der göttlichen Liebe und Wahrheit handelt. Grundlage ist der christliche Glaube, der
in der Farbe Gelb sichtbar wird. Die dialogische Zweisamkeit des Satzes, die sich auf mehreren
Ebenen nachvollziehen lässt, kumuliert in der akkordischen, homophonen Vereinigung der
Stimmen, Register und Bewegungen, in der unio mystica. Vertiefend lässt sich hier ein vielfach
von Messiaen zitierter Satz des Thomas von Aquin anführen: „Gott blendet uns durch ein
Übermaß an Wahrheit“287. Der überwältigenden Erfahrung des Geblendetseins durch die
unfassbare göttliche Wahrheit verleiht Messiaen Ausdruck durch seine persönliche
Klangsprache, deren Symbolgehalt und spirituelle Tiefe sich erst bei genauer Betrachtung seiner
Musik, seines Glaubens und weiterführender Quellen ergibt. Gleichzeitig setzt Messiaen Mittel
ein, die seinem Verständnis nach eine Blendung auch im Hörer bewirken können. So vermag die
Musik den Hörer erfahrungshaft an die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn heranführen
und zur Entfaltung seiner eigenen Spiritualität beitragen und anregen.
287
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 68. Bezeichnenderweise lässt Messiaen auch die Figur des Franziskus in
seiner bedeutenden Oper mit folgenden Worten sterben: „Herr! Musik und Poesie haben mich in deine Nähe
geführt: durch das Abbild, durch das Symbol und durch das Fehlen von Wahrheit. […] Herr! Erleuchte mich durch
Deine Anwesenheit! Erlöse mich, mache mich trunken, blende mich für immerdar durch deine Überfülle an
Wahrheit“ (Messiaen, Olivier, Libretto zur Oper Saint François d’Assise. Übers. von Thomas Daniel Schlee, in:
Beiheft zur CD [Messiaen, Olivier, Saint François d’Assise. Scène franciscaines en trois actes et huit tableaux.
Interpr. durch José van Dam / Dawn Upshaw / Arnold Schoenberg Chor / Hallé Orchestra unter Leitung von Kent
Nagano, Hamburg 1999] 94-159, hier 156).
82
4 Der Beitrag der Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement in
Hinblick auf die Sakramentenpastoral
4.1 Der sprachliche Gehalt der Gebete vor und nach der Kommunion
Um den Gehalt der Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement in ihrem spirituellen Aussagegehalt einordnen und ihre Bedeutung hinsichtlich der notwendigen Neu- beziehungsweise
Wiederbelebung der eucharistischen Gebetspraxis aufzeigen zu können, soll zunächst ein
schlaglichtartiger geschichtlicher Überblick über die eucharistische Frömmigkeit erfolgen, da der
Zugang zum Sakrament der Eucharistie wechselseitigen Einfluss sowohl auf die Häufigkeit des
Kommunionempfangs und auf eucharistische Verehrungsformen als auch auf die Gestaltung von
Gebetstexten ausgeübt hat, deren Gehalt und Sprache anschließend zu den Inhalten der Gebetssätze Messiaens in Beziehung gebracht werden soll.288
4.1.1 Historische und gegenwärtige Ausprägungen eucharistischer Spiritualität
Aus der Geschichte der eucharistischen Frömmigkeit sollen zwei Entwicklungslinien hervorgehoben werden, die sich gegenseitig beeinflusst haben und die das Verständnis und den Zugang
zum Altarsakrament und in Folge auch die Gebetspraxis der Menschen geprägt und verändert
haben. Die erste Entwicklungslinie steht im Zusammenhang mit der Frage nach der Häufigkeit
des Kommunionempfangs. War in der Alten Kirche ein regelmäßiger und sogar täglicher289
Empfang als Abschluss und Höhepunkt des Gottesdienstes zunächst selbstverständlich, so kam
es besonders im 6. Jahrhundert zu einem eklatanten Rückgang des Kommunionempfangs, sodass
im 4. Laterankonzil 1214 der einmalige Empfang im Jahr als Minimum vorgeschrieben wurde.290
Gründe für dieses Nachlassen waren neben politischen und ökonomischen Wirren der Zeit,
einem Erlahmen des Eifers nach der Konstantinischen Wende und neben kirchlichen
Vorschriften, die im Sinne des würdigen und ehrfurchtsvollen Kommunionempfangs diesen an
die Erfüllung strikter Voraussetzungen291 banden, ein zunehmendes Ehrfurchtsempfinden
288
Ein weiterzuverfolgender Aspekt, der den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wäre eine epochenübergreifende Zusammenschau von Kommuniongebeten und eine Analyse der in der heutigen Erstkommunionvorbereitung
vorgeschlagenen Gebetstexte.
289
Die Praxis der täglichen Eucharistiefeier im 3. und 4. Jahrhundert nahm von Nordafrika ihren Ausgang, vgl.
Weismayer, Eucharistische Frömmigkeit, 12 und Jungmann MS, 426-427, jeweils mit weiterführenden Quellenangaben.
290
Vgl. DH 812. Diese Regelung gilt seither als kirchenrechtlich verbindliche Norm, vgl. CIC c. 920.
291
Voraussetzungen waren die jedesmalige Beichte vor dem Kommunionempfang, die schon aufgrund der
mangelhaften Organisation der Seelsorge nicht möglich war, vgl. Jungmann MS, 451. Hieronymus betonte die
Enthaltsamkeit der Eheleute vor dem Kommunionempfang und Frauen wurde während der Monatsblutung der
Kommunionempfang untersagt, vgl. Weismayer, Eucharistische Frömmigkeit, 18 und 23 mit weiterführenden
Literaturangaben. Zudem wurden immer höhere Anforderungen an die Vorbereitung gestellt, beispielsweise wurde
(so die Synode von Coventry) ein halbwöchiges Fasten gefordert, vgl. Jungmann MS, 451-452.
83
angesichts der eucharistischen Gegenwart des Herrn.292 Die Enthaltung vom sakramentalen
Empfang wurde zugunsten der geistlichen Kommunion293 stark gemacht, die dem im Mittelalter
aufkommenden Bedürfnis nach Schaufrömmigkeit entgegenkam. Der eucharistische Leib Christi
wurde so einerseits als Quelle der Kraft und der Gnade betrachtet; dem Ideal des häufigen
Kommunionempfangs zur Stärkung der Schwachen traten jedoch auf der anderen Seite eine
starke Scheu und Ehrfurcht vor dem unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtigen Herrn
und ein Bewusstsein von der eigenen Schwäche und Unwürdigkeit entgegen.294
Davon ausgehend zeichnete sich seit dem Mittelalter, insbesondere in Folge der Einführung des
Fronleichnamsfestes im Jahr 1264 eine weitere Entwicklung ab: Bedingt durch die Empfehlung
der geistlichen Kommunion und das Schauverlangen der Gläubigen295 entwickelten sich neue296
Formen der Eucharistieverehrung auch außerhalb der Messe, die heute in eucharistischen
Andachten mit eucharistischem Segen, in Prozessionen, Aussetzungen und Eucharistischen
Kongressen weitergetragen werden. Während seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die
Einheit297 dieser eucharistischen Verehrungsformen und deren Rückverwiesenheit auf die
Eucharistiefeier ausdrücklich betont wird, kam es im Mittelalter zu einer Lockerung des
ganzheitlichen Eucharistieverständnisses. Neben der Kommunion- und der Messfrömmigkeit
entfaltete sich als dritte Dimension eine eigene Anbetungsfrömmigkeit, die aus der Verehrung
der aufbewahrten eucharistischen Gaben erwuchs.
Zur persönlichen Vorbereitung und Nachbereitung des Kommunionempfangs entstand ein
reicher Schatz an Gebeten, die seit dem 9. Jahrhundert in Laiengebetsbüchern zusammengefasst
292
So hob Josef A. Jungmann die durch die Auseinandersetzung mit dem Arianismus bedingte Betonung der
Gottheit in Christus als Grund hervor, der zu einer neuen religiösen Haltung geführt habe, die den Abstand zwischen
Gott und Mensch in den Vordergrund stellte, vgl. zu den Gründen für das Nachlassen des Kommunionempfangs
Jungmann MS, 450.
293
Richtungsweisend für das Erstarken der geistlichen Kommunion bzw. Augenkommunion war das „Crede, et
manducasti“ des Augustinus, vgl. Augustinus, Aurelius, In Joannis Evangelium tractatus 25,12 (Augustinus,
Aurelius, Opera omnia [PL 35] Paris 1861, 1379-1975, hier 1602).
294
Thomas von Aquin betonte das Verhältnis zwischen wünschenswertem häufigem Kommunionempfang und der
rechten Disposition dazu: „In Bezug auf den Gebrauch dieses Sakramentes kann man zweierlei betrachten: Das eine
vom Sakrament selbst her, dessen Kraft für die Menschen heilbringend ist. Darum ist es nützlich, es täglich in sich
aufzunehmen, damit der Mensch täglich dessen Frucht ernte. [...] Auf die andere Art lässt er sich betrachten vom
Empfangenden her, in dem vorausgesetzt wird, daß er sich mit großer Hingabe und Ehrfurcht diesem Sakrament
nähere. Wenn sich darum jemand täglich dazu vorbereitet findet, ist es löblich, daß er es täglich empfange. [...] Weil
aber soundsooft den meisten Menschen viele Hindernisse dieser Hingebung kommen, da Leib und Seele nicht in der
richtigen Verfassung sind, ist es nicht für alle Menschen nützlich, täglich zu diesem Sakramente zu kommen,
sondern sooft sich der Einzelne dazu vorbereitet findet“ (Thomas von Aquin, S. Th. III q. 80, art. 10 [DThA 30,
266-267]).
295
Das Schauverlangen war wesentliches Moment der eucharistischen Spiritualität im 13. Jahrhundert. Es
begründete Formen der Aussetzung des Allerheiligsten und die liturgische Praxis der Elevation als der
„volkstümlichsten eucharist[ischen] Frömmigkeitsübung des späten M[ittel]a[lters]: Das Anschauen der Hostie
wurde z[um] einzigen Zweck des Meßbesuchs, der bloße Anblick galt als heilkräftig“ (Döring, Alois, Eucharistie.
X. Eucharistische Frömmigkeit, in: LThK3 3, 965-966, hier 965).
296
Zu berücksichtigen gilt, dass in der Alten Kirche Teile des eucharistischen Brotes auch außerhalb der Kirche
aufbewahrt oder den Gläubigen nach Hause und als Schutz auf Reisen mitgegeben wurden, vgl. Weismayer,
Eucharistische Frömmigkeit, 13 und 32 mit Quellenangaben.
297
Vgl. Kapitel 2.2.2.2 dieser Arbeit, bes. 16 FN 56.
84
oder in Klöstern zu Kommunionandachten vereinigt wurden.298 Genannt sei an dieser Stelle die
bedeutende Kommunionandacht von Montecassino aus dem 11. Jahrhundert, die ein
exemplarisches Bild der eucharistischen Frömmigkeit in dieser Zeit abgibt.299 Auffällig ist, dass
bereits die ersten Gebete der Laien sich aus dem Fundus der Kommuniongebete des Priesters
schöpften, die dieser während des Messordos in leiser Stimme zur persönlichen Vorbereitung
oder Nachbereitung des Kommunionempfangs sprach.300 Als einschlägiges und bis heute
rezipiertes Beispiel der Kommunionfrömmigkeit des ausgehenden Mittelalters sei das vierte
Buch der Imitatio Christi angeführt, das Thomas von Kempen zugeschrieben301 wird und im
Geist der Devotio moderna verfasst ist. Als Werk, das auf die gelebte Spiritualität ausgerichtet
ist, war die Imitatio auch eine entscheidende Quelle geistlicher Gedanken für Messiaen.
Gegenüber der Vielzahl und dem Reichtum an Kommuniongebeten der Tradition fällt eine
Leerstelle in der heutigen Praxis auf. Im heutigen liturgischen Vollzug ist nurmehr das
gemeinsam gesprochene „Herr, ich bin nicht würdig...“ als Gebet vor der Kommunion präsent,
eine Praxis des privaten stillen Betens vor und nach der Kommunion wird lediglich in der Erstkommunionvorbereitung nahegelegt, jedoch darüber hinaus kaum in weiterführenden
Katechesen vertieft, angeregt oder angeleitet. Doch auch in gegenwärtigen Handreichungen zur
Erstkommunionvorbereitung scheint das Kapitel des eucharistischen Betens weitgehend
ausgespart oder im oberflächlichen Bereich angesiedelt zu sein.302 Das Gotteslob, das für die
meisten Gläubigen diesbezüglich eine erste Anlaufstelle sein könnte, bietet versteckt unter der
Rubrik „Christusgebete“ zwei Gebetstexte, die sich als eucharistische Gebete eignen.303
Kommuniongebete in zeitgemäßer Sprache und Frömmigkeit stellen in der heutigen Zeit ein
298
Vgl. Heinz, Andreas, Kommuniongebete, in: LThK3 6, 221-222.
Der darin beschriebene „Ordo ad accipiendum corpus Domini“ beginnt mit drei Psalmen, darauf folgen ein
„Kyrie“, „Pater noster“ und „Credo“, eine „Confiteor“- und „Misereatur“-Formel in freier Form und nach mehreren
Versikeln schließlich die eigentlichen Kommuniongebete, die sich zuerst an den Vater, dann an den Sohn und an
den Heiligen Geist richten. Sie münden in das dreimal gesprochene Wort des Hauptmannes. Zu den verschiedenen
Fassungen des „Ordo ad accipiendum corpus Domini“ vgl. Jungmann MS, 457-458.
300
Vgl. Jungmann MS, 455-456 und 497. Diese stillen Gebete des Priesters im Messritus entstanden im gallischfränkischen Raum und fanden daraufhin Eingang in die römische Liturgie, vgl. zur nicht-römischen Herkunft und
Entwicklung der Kommuniongebete ebd., 427-428.
301
Zur Frage der Autorenschaft des aus vier ursprünglich selbstständigen Traktaten zusammengefügten, anonym
überlieferten Werkes vgl. Dijk, Rudolf van, Imitatio Christi, in: LThK3 5, 428-429.
302
Ein konträres Bild bietet dagegen eine Anleitung zum Erstkommunionunterricht aus dem Jahr 1905 mit einer
ganzen Fülle an Gebeten vor der Kommunion „zum Vorbeten für die Kinder“, das jedoch eine Kluft zu heute
angemessenen Sprach- und Vorstellungswelten von Kindern drastisch aufscheinen lässt. So lautet das erste dort
aufgeführte Gebet: „O mein geliebter Jesus, wahrer Sohn Gottes, der Du aus Liebe zu mir am Kreuze in Schmerzen
und Verachtung gestorben bist, ich glaube fest, daß Du im allerheiligsten Altarsakramente wirklich, wahrhaftig und
wesentlich gegenwärtig bist, als Gott und Mensch mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut. Für diesen meinen
Glauben bin ich stets bereit mein Leben zu opfern. O Gott! Vermehre diesen meinen Glauben“ (Schwillinsky,
Paulus, Anleitung zum Erstbeicht-, Erstkommunion- und Firumungsunterricht in ausführlichen Katechesen, nebst
zehn Kommunion-Anreden und -Gebeten, neu bearbeitet von P. Engelbert Gill OSB, Graz 21905, 116).
303
Es sind dies „Wachse, Jesus, wachse in mir“ von Pierre Olivaint (GL Nr. 6,6) und „Seele Christi, heilige mich“
(GL Nr. 6,7). Letzteres war eines der beliebtesten mittelalterlichen Christusgebete, es wurde von Igatius von Loyola
besonders geschätzt, der Verfasser ist jedoch unbekannt, vgl. Fischer, Balthasar, Anima Christi sanctifica me, in:
LThK3 1, 679-680.
299
85
großes Desiderat dar. Vor diesem Hintergrund sollen die beiden Gebete Messiaens ausgewertet
werden, deren inhaltliche Leitgedanken zu Gebetstexten der Tradition in Beziehung gesetzt
werden sollen, die in der heutigen Praxis Spuren hinterlassen haben.
4.1.2 Das Gebet vor der Kommunion
Als erstes von zwei Gebeten findet sich im Missale Romanum von 1970 (und auch schon 1570)
als stilles Vorbereitungsgebet für den Priester das an Christus gerichtete „Domine Jesu Christe,
fili Dei vivi“:
„Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes,
dem Willen des Vaters gehorsam,
hast du im Heiligen Geist durch deinen Tod
der Welt das Leben geschenkt.
Erlöse mich durch deinen Leib und dein Blut
von allen Sünden und allem Bösen.
Hilf mir, dass ich deine Gebote treu erfülle,
und lass nicht zu,
dass ich jemals von dir getrennt werde.“304
Dieses Gebet zur Vorbereitung auf den Kommunionempfang gleicht einem Glaubensbekenntnis.
Es bietet eine „Totalsicht der christlichen Glaubenswelt“, bei aller Kürze und Knappheit ist „eine
ganze Theologie“ in diesem Gebet enthalten.305 Es beginnt mit einem Aufblick zu Christus, den
Sohn des lebendigen Gottes, es folgt die anamnetische Vergegenwärtigung des Erlösungsgeschehens, das im Ratschluss des Vaters gründet, durch den Gehorsam des Sohnes erwirkt
ist und durch den Heiligen Geist vollendet wird. Daran schließt sich die Bitte des Gläubigen,
durch den Empfang der Kommunion Anteil am Heilswirken Christi zu bekommen: Im Vertrauen
auf den für die Menschen hingegebenen Leib und das Blut Christi bittet der Gläubige um die
Befreiung von aller Sünde und allem Bösen durch den Kommunionempfang, um Kraft in der
Nachfolge und um immerwährende Verbundenheit mit Christus als Frucht der Begegnung mit
dem Herrn, die über den Kommunionempfang hinaus im Leben des Gläubigen fortwirken soll.
Als Alternative zu diesem stillen Vorbereitungsgebet des Priesters wird im Messbuch das
„Perceptio“ angeführt, das ebenso wie das „Domine Jesu Christe, fili Dei vivi“ als frühes Gebet
auch für die Laien belegt ist und als solches in einer Gebetssammlung von 850 auftritt306:
„Herr Jesus Christus,
der Empfang deines Leibes und Blutes
bringe mir nicht Gericht und Verdammnis,
sondern Segen und Heil.“307
304
Die deutsche Übersetzung ist zitiert nach: Die Feier der heiligen Messe. Messbuch für die Bistümer des
deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Kleinausgabe. Hg. i. A. der
Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen
und Lüttich, Freiburg u.a. 21988, 520 (im Folgenden abgekürzt mit „Messbuch“).
305
Vgl. Jungmann MS, 434.
306
Vgl. Jungmann MS, 456.
86
In Abgrenzung zum „Domine Jesu Christe, fili Dei vivi“ ist dieses kürzere Gebet nicht explizit
mit Elementen des Glaubensbekenntnisses ausgeschmückt, sondern wirft den Blick direkt auf die
innere Voraussetzung und Wirkung des Kommunionempfangs im Gläubigen. Es richtet sich
unmittelbar an Christus als den Herrn und erbittet das Heil aus der Begegnung mit ihm. Dass aus
diesem Gebet vordergründig die Haltung der Demut spricht, wird deutlich vor dem Hintergrund
der paulinischen Mahnung, an die dieses Gebet anknüpft: „Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann
soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu
bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt“
(1 Kor 11,28-29). Mehr als das zuerst besprochene Gebet legt dieses die Gewissensprüfung und
die demutsvolle und bewusste Vorbereitung auf die Begegnung mit dem eucharistischen Herrn
als Voraussetzung für den würdigen Sakramentenempfang nahe und erfleht vor dem Hintergrund
der grundsätzlichen Sündhaftigkeit des Menschen die Barmherzigkeit Gottes. Die Bitte um
„Segen und Heil“ fasst zusammen, was auch in zahlreichen Formeln der Gebete nach der
Kommunion angesprochen wird: „Schutz für Seele und Leib, Heilung der vielfältigen
Schwachheit“308.
Ein weiteres Gebet, das den Laien schon seit dem 11. Jahrhundert zur Vorbereitung empfohlen
wurde309 und auch als begleitendes Gebetswort des Priesters während des Kommunionempfangs
belegt ist310, ist das bereits inhaltlich charakterisierte311 „Domine non sum dignus“, das Wort des
Hauptmannes nach Mt 8,8, das als Motto dem XIV. Satz des Livre zugrunde liegt. Dass diese
Verse sich als ein besonders geeignetes Gebet zur Vorbereitung auf den Kommunionempfang
erweisen, wird daran ersichtlich, dass sie neben der Kommunionandacht von Montecassino auch
in orientalische Liturgien Eingang fanden.312 Ebenso wie das „Perceptio“ ist es inhaltlich geprägt
vom Gedanken der Demut.
Zusammenfassend lassen sich drei inhaltliche Hauptgedanken der im Messbuch aufgeführten
Gebete vor der Kommunion festhalten: die Anamnese und der Glaube an das Heilswirken und
Gnadenhandeln Gottes; die demutsvolle Bitte um Reinheit als Voraussetzung für den
fruchtbringenden Kommunionempfang angesichts der eigenen Schwäche und schließlich die
Bitte um Sündenvergebung, Heil, Verbundenheit mit Christus und Kraft zur Nachfolge als
Früchte dieser Begegnung.
307
Messbuch, 520.
Jungmann MS, 435.
309
Vgl. Jungmann MS, 457 FN 10.
310
Zum rituellen Hergang des Kommunionempfangs des Priesters und den begleitenden Gebetsworten, die
Verehrungsworte, kurze Schriftworte (darunter Mt 8,8) und Spendeformeln enthielten, vgl. Jungmann MS, 435-446.
311
Vgl. Kapitel 2.2.1.2 dieser Arbeit, bes. 11.
312
Vgl. zu den Erscheinungsweisen dieses Gebetes im äthiopischen und im byzantinischen Ritus Jungmann MS,
443.
308
87
Als ein Beispiel aus dem 15. Jahrhundert, das die genannten inhaltlichen Momente in einer
weniger formelhaften, persönlichen und bildhaften Sprache umsetzt, sei eine Passage aus dem
vierten Buch der Imitatio Christi zitiert, das im Geiste der Devotio moderna besonders von der
Haltung der Demut und Ehrfurcht313 getragen ist:
„Herr, voll der Güte und Liebe! Ich möchte dich jetzt mit Andacht empfangen. Du kennst meine
Schwäche und die Not, unter der ich leide. [...] Ich komme nun zu dir, weil du meine Hilfe bist, und
bitte dich um Trost und Linderung. Ich spreche zu dem, der alles weiß, vor dem mein ganzes Innere
offenliegt. Du allein kannst mich trösten und aufrichten. [...] Erquicke deinen hungernden Bettler,
entzünde meine Kälte mit dem Feuer deiner Liebe, und erleuchte meine Blindheit mit der Klarheit
deiner Gegenwart. [...] Richte mein Herz aufwärts zu dir [...]. Möchte doch deine Gegenwart mich
ganz entflammen, versengen und in dich umwandeln, daß ich durch die Gnade inniger Einigung und
die Glut deiner Liebe umgeschaffen und ,ein Geist mit dir‘ werde! [...] Bist du doch das allzeit
brennende Feuer, das nie erlischt, die Liebe, die das Herz läutert und den Geist erleuchtet.“314
Auch der Satz „Prière avant la communion“ greift die genannten Hauptgedanken der
vorbereitenden Gebete auf den Kommunionempfang auf.315 Es setzt mit einem Lob des Herrn
und einem Bekenntnis des Glaubens ein, welche festigend wiederholt werden. Sodann folgt in
der Sequenz „Lauda Sion“ eine anamnetische Vergegenwärtigung der Einsetzung der Eucharistie
und des Gedächtnisauftrags durch Jesus Christus und des darin bedeuteten Heilsgeschehens. Die
Gebetsgesten der Verneigung und der kontemplativen Versenkung empfinden auf ganz
persönliche Weise die Haltung der Demut und der Ehrfurcht nach, von der die Sprache der
Imitatio Christi durchdrungen ist. Die Kenntnis der Symbolik des musikalischen Vokabulars
Messiaens lässt über die unmittelbare Wirkung der sich verneigenden und verweilenden
musikalischen Gebetsgesten hinaus die Bedeutung und Tragweite dieser Herzensaussagen für
den Hörer erahnen: So kommt auf harmonischer Ebene im lang anhaltenden C-Dur-Klang mit
sixte ajouté ein inneres Reinwerden und Lichtwerden des Gläubigen zum Ausdruck, dem die
Bitte um Reinheit sowohl in den Gebetstexten des Messbuchs als auch in der Passage aus der
Imitatio Christi entspricht. Doch scheint Messiaen durch die Wahl dieses kontemplativen, den
Hörer blendenden, strahlend weißen Klangs über die bloße Bitte um Reinigung hinauszugehen:
Durch das empathische Einschwingen in diesen Klang kann im Hörer bereits eine innere
Wandlung, ein Erfülltwerden vom Licht des Glaubens, mithin eine Angleichung an Christus
performativ bewirkt werden. Auch das „surge“, das im Kontext des „Graduel de l’Epiphanie“
313
Die grundlegende Haltung von Demut und Ehrfurcht in der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn kommt
z.B. in folgenden Worten aus dem vierten Buch zum Ausdruck: „Aber was soll ich nun denken bei dieser
Kommunion, wenn ich zu meinem Herrn gehe, den ich nicht gebührend verehren kann und doch mit Andacht zu
empfangen begehre? Was könnte ich wohl Besseres denken, was Heilsameres tun, als mich vor dir ganz tief
demütigen und deine grenzenlose Liebe nach meinen Kräften preisen? Mein Gott, ich lobe dich, ich preise dich in
Ewigkeit, und mich selbst erniedrige ich und unterwerfe mich dir bis in den Abgrund meines Nichts“ (Thomas von
Kempen, Nachfolge Christi, 347-348).
314
Thomas von Kempen, Nachfolge Christi, 395-397.
315
Zur schematischen Übersicht der theologischen und spirituellen Hauptgedanken des XIV. Satzes vgl. Abbildung
12 dieser Arbeit, 63.
88
erklingt, weist über die bloße Bitte des Gläubigen um Trost und Hilfe, die in zitierten Passagen
der Imitatio mit den Worten „Richte mein Herz aufwärts zu dir“ zum Ausdruck gebracht wird,
hinaus: Hier wird bereits eine Erfahrung des gnadenhaften Handelns des Herrn selbst angedeutet,
der den Menschen mit einem einzigen Wort in dessen Unwürdigkeit aufrichten kann und zur
sakramentalen Begegnung mit ihm in der Eucharistie einlädt.
Hinsichtlich seiner sprachlichen Aussageweise lässt sich das Gebet vor der Kommunion im
musikalischen Gewande Messiaens als Synthese deuten: Geprägte Ausdrucksformen, nämlich
gregorianische Zitate als Bedeutungsträger und das Wort des Hauptmannes als zugrunde
liegender Gebetstext, welche eine inhaltliche Anbindung an traditionelle Aussagegehalte von
vorbereitenden Gebeten zur Kommunion zulassen, werden ergänzt und bereichert durch eine
ganz persönliche, dem Geist der Imitatio nachkommende Sprache des Herzens, die in den sich
verneigenden Gebetsgesten greifbar wird. Gerade hier könnte eine Chance des Messiaen’schen
Gebetes vor der Kommunion liegen: Es kombiniert geprägte und durch die Tradition weitergegebene Ausdrucksformen christlicher Glaubensaussagen mit einer ganz persönlichen Sprache,
die diese gleichsam erfahrungshaft einholt. Es zeugt von einer tiefen Spiritualität, die nicht nur
Gebetsformeln anführt, sondern diese durch eine wortlose Herzenssprache, durch die eigenen
Haltungen der Demut und der kontemplativen Versenkung bereichert und lebendig macht. In
dieser Ausrichtung vermag das Gebet vor der Kommunion den Worten des Hauptmanns, die im
heutigen Vollzug oftmals routiniert mitgesprochen werden, eine neue Aussage- und Strahlkraft
verleihen, die dem Hörer, der sich empathisch in diese Musik einfühlen kann, den Gehalt dieses
Gebetstextes auf neue und subjektiv nachvollziehbare Weise nahebringen kann.
4.1.3 Das Gebet nach der Kommunion
Als Gebet nach der Kommunion, das vom Priester still während der Purifikation zu sprechen ist,
führt das Messbuch von 1970 das „Quod ore sumpsimus“ auf, das sich als Postcommunio schon
in den ältesten Sakramentaren und im Gebetbuch Karls des Kahlen findet316:
„Was wir mit dem Munde empfangen haben, Herr,
das lass uns mit reinem Herzen aufnehmen,
und diese zeitliche Speise
werde uns zur Arznei der Unsterblichkeit.“317
In Entsprechung zu den Gebeten vor der Kommunion ist dieses Gebet an Christus gerichtet, es
bittet nochmals um die Reinheit des Herzens, um den Herrn fruchtbringend in sich aufzunehmen,
der Wirkung in der Zeit soll auch eine in die Ewigkeit hineindauernde Wirkung entsprechen.
316
317
Vgl. Jungmann MS, 497.
Messbuch, 523.
89
In Ergänzung zu dieser formelhaften Version eines Gebetes nach der Kommunion soll mit Dom
Columba Marmion nochmals eine für das Denken Messiaens prägende Quelle angeführt werden.
Marmion empfiehlt, die stillen Gebete jeweils in Anlehnung an Festgeheimnisse des
Kirchenjahres zu formulieren. Als Beispielgebet, Jesus als das ewige Wort, das dem Vater
wesensgleich ist, zu empfangen, führt Marmion ein Gebet an, das ebenso wie das „Quod ore
sumpsimus“ die fruchtbringende Wirkung des Sakramentenempfangs im Leben des Gläubigen
und in der Ewigkeit erbittet:
„Ja, ich bete dich an in meiner Seele, du ewiges Wort Gottes. Durch diese innige Vereinigung mit dir
in dieser hl. Stunde der Kommunion, gib mir, daß ich mit dir lebe im Schoße des Vaters, jetzt noch
durch den Glauben, einst aber in Wirklichkeit, auf daß ich lebe vom Leben Gottes selbst, das dein
Leben ist.“318
Anbetung, Wendung nach innen, innige Vereinigung, Glaube – dies sind ebenso Leitgedanken,
die im Gebet nach der Kommunion im Livre zum Ausdruck kommen. Ferner schlägt Marmion
vor, Christus anzubeten wie Maria, die ihn in ihrem Schoß trägt und mit Gefühlen der Ehrfurcht
und Liebe zu ihm spricht, oder aber wie die Hirten und Weisen an der Krippe in Demut, Armut
und Entsagung. Ebenso könne Christus in seiner bitteren Todesangst und seiner Hingabe an den
Willen des Vaters angesprochen werden.319 Damit legt Marmion dem Kommunizierenden die
Möglichkeit nahe, unter Rückgriff auf theologisch und liturgisch geprägte Elemente der
Begegnung mit dem eucharistischen Herrn ganz persönlich Ausdruck zu verleihen.
Inhaltlich geht Messiaen in seinem Gebet nach der Kommunion weit über die aufgeführten
Gebetsvarianten hinaus. Dieses Gebet ist durchdrungen vom Glauben und der Wahrheit und
Liebe Gottes. Es vollzieht sich in mystischer Vereinigung, die alles Sprechen, alle
„Wortgeräusche“ überflüssig macht, einen unmittelbaren wortlosen Dialog begründet, der
jenseits aller begrifflichen Formulierungen liegt. Es gleicht einem Erfüllt- und Versunkensein in
die Gegenwart des eucharistischen Herrn, die schwer auf Gebetsworte zurückbuchstabiert
werden kann. Auch wenn das Gebet nach der Kommunion in dieser Form inhaltlich für den
Gläubigen schwer greifbar ist, so vermag es doch auf einer anderen Ebene mehr zu sagen als
geprägte Formulierungen. Vielleicht kann gerade das Medium der Musik helfen, die Erfahrung,
die diesem Gebet zugrunde liegt, zu entschlüsseln und für die eigene eucharistische Spiritualität
fruchtbar zu machen.
318
319
Marmion, Christus, 362.
Vgl. Marmion, Christus, 362-363.
90
4.2 Die musikalische Gestalt der Gebete vor und nach der Kommunion
4.2.1 Wesen und Wirkung der Musik in religiöser Hinsicht
Wodurch zeichnet sich nun ein klingendes Gebet gegenüber einem gesprochenen Gebet aus?
Zunächst sollen grundlegende Überlegungen zu Wesen und Wirkung des Mediums Musik
angestellt werden, um davon ausgehend die Bedeutung und Chancen der Musik der
Messiaen’schen Gebetssätze für die Sakramentenpastoral aufzuzeigen.
Die Musik geht nicht auf in ihrer äußeren Erscheinungsform, sondern stellt einen Bezug her zu
einem außermusikalischen Gehalt, der sie vielfach übersteigt und der sich nicht in Worten
ausdrücken lässt. In ihrer über sich selbst hinausweisenden Funktion wird die Musik zum
klingenden „Symbol des Transzendenten“320. Die theologische Bedeutung der Musik liegt daher
„nicht in ihrem Wesen, sondern in dem, was sie andeutet, symbolisiert, ahnen und ersehnen
lässt“321. So hob Pius XII. als Wesensmerkmal der Kunst hervor, „daß der enge und
beängstigende Raum des Endlichen aufgebrochen wird, worin der Mensch eingeschlossen ist,
solange er auf Erden lebt; daß gleichsam ein Fenster geöffnet wird für seinen Geist, der sich nach
dem Unbegrenzten sehnt“322. Gerade Messiaen betonte die Eigenart der Musik, über sich selbst
hinaus auf einen unaussprechlichen Gehalt hinzuweisen und das Mysterium zum Ausdruck zu
bringen, ohne dieses jedoch in Klängen aufgehen, es vollständig erfassen zu können. Ihm
zufolge ist die Musik ein „hervorragender ,Durchgang‘, ein hervorragendes ,Vorspiel‘ zum
Unsagbaren und Unsichtbaren.“323 Eine Distanz zwischen der musikalischen Darstellungsweise
und dem sie vielfach übersteigenden transzendenten Gehalt ist trotzdem immer gegeben, dessen
war sich Messiaen bewusst: „Ich habe das Übernatürliche, das Wunderbare des Glaubens zum
Ausdruck bringen wollen. Ich sage nicht, daß es mir gelungen ist, denn es ist letztendlich
unausdrückbar.“324 Entsprechend ihrem symbolischen Charakter spricht die Musik keine
eindeutige, definitive, unmissverständliche Sprache, sondern zeichnet sich gerade dadurch aus,
dass sie einen Mehrwert enthält, der nicht eins zu eins in Worte gefasst werden kann, der über
das rein begriffliche Erfassen hinausgeht. Sie rührt an eine Dimension, die nicht in Worten
auszusprechen ist. Damit wird der fundamentale Unterschied zwischen einem geschriebenen
beziehungsweise gesprochenen Gebet und einem Gebet in und durch die Musik erkennbar: Mehr
noch als auch die poetische Sprache bietet die Musik einen Zugang, der den Menschen
320
Herbst, Wolfgang, Musik in der Kirche, in: MGG 6, 715-727, hier 715.
Wallau, René Heinrich, Die Musik in ihrer Gottesbeziehung. Zur theologischen Bedeutung der Musik, Gütersloh
1948, 83-84.
322
Pius XII., L’essenza della vera arte, in: Discorsi e Radiomessaggi di S.S. Pio XII 14, Vaticano 1953, 47-51, hier
49; deutsch zitiert nach: Kurzschenkel, Winfried, Die theologische Bestimmung der Musik. Neuere Beiträge zur
Deutung und Wertung des Musizierens im christlichen Leben, Trier 1971, 207.
323
Messiaen, Conférence de Notre Dame, 69.
324
Messiaen, in: Samuel, Neue Gespräche, 38.
321
91
ganzheitlich und tiefgreifend verwandelnd anspricht und anrührt, der auf einen Gehalt verweist,
der sich der eindeutigen, begrifflichen Beschreibung entzieht. So ist die Musik dazu geeignet,
abstrakte oder unaussprechliche Gehalte besser auszudrücken als Worte dies vermögen. Aus der
Sicht des Musikers formulierte dies Nikolaus Harnoncourt:
„Die Musik ist [...] ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt, eine Sprache des
Unsagbaren, die aber manchen letzten Wahrheiten und geheimnisvollen Erlebnissen wohl eher nahe
kommt als die Sprache der Worte, der Verständigung mit ihrer technischen Präzision und Logik“325.
Hinsichtlich der Annäherung an das Mysterium der Eucharistie besteht der Beitrag der Musik
darin, den Menschen anzurühren, „zu predigen und das Unsichtbare, das Unaussprechliche an
Gott zugänglich, erfahrbar zu machen, so daß man davon ergriffen wird“326. Denn die Musik ist
„diejenige unter den Künsten, der es gegeben ist, das unerforschbare, unaussprechliche
Geheimnis der Gegenwart Gottes am deutlichsten auszudrücken“327. Dabei bleibt die Musik
symbolisch andeutend, verweisend und verhüllend zugleich. Mit der Musik ist dem Menschen
„die Gabe verliehen, Unaussprechbares auszusprechen, ohne ihm den Schleier des
Unenthüllbaren zu nehmen.“328 Die Musik verweist auf das Mysterium und vermag den Hörer
erfahrungshaft an das Mysterium heranzuführen. In seinem Einführungstext zum mystischen
XIX. Satz der Vingt Regards „Je dors, mais mon cœur veille“ gebrauchte Messiaen ein Bild, um
die Dimension der Musik, die weit über alle Worte hinausweist, zu verdeutlichen:
„Die Musik vermag mehr zu sagen als Worte und ich will sie nur mit einem anderen Bild der
mystischen Liebe erklären, es stammt aus den Fioretti: Der Engel führte den Bogen über die Saiten
der Geige und ließ einen solch süßen Ton vernehmen, dass man – hätte er den Bogen weitergeführt –
vor Freude gestorben wäre“329.
Dementsprechend legt die Musik auch den Hörer nicht auf eine einzige Zugangsweise oder
Interpretationsmöglichkeit fest, sondern eröffnet gerade einen Raum, in den dieser seine eigenen
Assoziationen und Erfahrungen eintragen kann. Im Unterschied zur verbalen Sprache330 vermag
die Musik, entsprechend der Eigenheit eines Symbols, mehrere Bedeutungsebenen simultan zum
Ausdruck zu bringen, die nicht zeitlich sukzessiv aufeinander folgen müssen. In einem einzigen
Moment können sich vielmehr im Hörer mehrere auch konträre Eindrücke und inhaltliche
325
Harnoncourt, Nikolaus, Mozart und die Werkzeuge des Affen, in: ders., Die Macht der Musik. Zwei Reden,
Salzburg / Wien 1993, 7-18, hier 7-8.
326
Paul VI., Ansprache an die italienischen Künstler im Rahmen der „Messa dell’Artista“ in der Sixtinischen
Kapelle am 7. Mai 1964, in: AAS 56 (1964) 438-444, hier 439; deutsch zitiert nach: Kurzschenkel, Theologische
Bestimmung, 209.
327
Kappner, Gerhard, Sakrament und Musik. Zur liturgischen und musikalischen Gestaltung des Spendeaktes,
Gütersloh 1952, 11.
328
Kappner, Sakrament und Musik, 11.
329
Messiaen, Livre II, 492; deutsch zitiert nach: Michaely, Verbum Caro, 257.
330
Freilich kann auch ein Gedicht den Kriterien eines Symbols entsprechen, da die Poesie ebenso wie die Musik mit
einer Fülle an Assoziationen, die gleichzeitig konnotiert werden können, spielt. Gemeint ist hier die verbale
Sprache, die einen Informationsgehalt ausdrückt und Eindeutigkeit beabsichtigt.
92
Konnotationen überlagern und ergänzen.331 Auch wirkt die Musik nicht in erster Linie über den
Intellekt des Menschen. Als „Sprache des Herzens“ hat sie das Potenzial, den Menschen auf der
Gefühlsebene viel eindringlicher und unmittelbarer anzurühren als dies auf rein kognitiver Ebene
geschehen kann. Sie vermag im Menschen emotionale Saiten zum Schwingen zu bringen und in
ihm eine innere Wandlung zu bewirken. Im religiösen Kontext hat die Musik die Kraft, den
Menschen zu Gott hin auszurichten, ihn zu ergreifen.332 Das Singen und Musizieren vor Gott
wurde bereits im Neuen Testament mit dem Wirken des Heiligen Geistes in Verbindung
gebracht, das in uns eine innere Freude und Ausrichtung auf Gott hin erreichen kann.333 So
beschrieb Paul VI. die verwandelnde, den Menschen öffnende und für das Gnadenwirken Gottes
empfänglich machende Wirkung der Musik im religiösen Kontext folgendermaßen:
„Mittels der Musik strahlt über der im Namen Christi versammelten Gemeinde etwas auf wie das
Antlitz Gottes selbst; das von der immateriellen Kraft der Kunst bewegte Herz erhebt sich mit
größerer Leichtigkeit zu der reinigenden und heiligenden Begegnung mit der lichtvollen Wirklichkeit
des Heiligen und stellt sich unter diesen vorzüglichen Bedingungen darauf ein, das Geheimnis des
Glaubens zu feiern und zuinnerst an seinen Früchten teilzunehmen“334.
Indem die Musik das Mysterium in Klänge fasst, als Sprache des Unaussprechlichen von einer
Wirklichkeit kündet, die den Menschen und sein rationales Fassungsvermögen weit übersteigen,
ist sie – so Messiaen – die „Kunst, die dem Ausdruck des Glaubens am nächsten ist“335. Denn die
Musik bringt gerade den Aspekt des Geheimnisvollen, des für den Verstand nicht unmittelbar
Evidenten, des Mysteriums zum Ausdruck, das, was letztlich nur im Glauben erfasst werden
kann:
331
Burkhard Meischein beschreibt die Wirkung der Musik folgendermaßen: „Das Medium, das zu einer solchen
momenthaften Erfahrung führen kann, ist der Klang, die sinnliche Präsenz der Musik, die ganz wesentlich an die
Perspektive des Erlebens gebunden ist. Unter dem Einfluss des Klangs verändert sich das Bewusstsein,
Vorstellungsinhalte können einzeln oder in Gruppen oder Sequenzen kommen. Sie können zu Zuständen vager
Träumerei führen, sie können aber auch eine konkrete Verhaltensänderung bewirken. Es entstehen neue Bilder und
Eindrücke: [...] In diesem Sinne steht der Klang der Musik in enger Beziehung zu Aspekten der Erinnerung, des
Traums, der Meditation: es spricht das Unbewusste [an], die Zeit wird außer Kraft gesetzt, die Dinge treten in neue
Zusammenänge, erscheinen in neuen Konstellationen, das Bewusstsein öffnet sich für das Transzendente, Göttliche,
für eine andere Welt“ (Meischein, Burkhard, Tradition und Meditation. Messiaens Wege zur Orgel, in: Heinemann,
Michael [Hg.], Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 1: Von Le Banquet céleste bis Les Corps glorieux [Studien
zur Orgelmusik 2] St. Augustin 2008, 11-22, hier 15).
332
Bereits Augustinus beschrieb im Kontext der Liturgie die verwandelnde und erhebende Kraft der Musik beim
Hören der ambrosianischen Gesänge, vgl. Augustinus, Aurelius, Confessiones IX 6,14 (Augustinus, Aurelius,
Confessionum Libri XIII [CChr.SL 27] Turnhout 1981, 141): „Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf
Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche! Die Weisen drangen an mein Ohr, und die
Wahrheit flößte sich ins Herz, und fromminniges Gefühl wallte über: die Tränen flossen, und mir war wohl bei
ihnen“; deutsch zitiert nach: Augustinus, Aurelius, Confessiones. Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Eingeleitet,
übers. und erläutert von Joseph Berhard, München 1955, 447.
333
Gerade das liturgische Singen wurde bereits im Neuen Testament mit dem Wirken des Heiligen Geistes in
Verbindung gebracht: „Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt“ (Eph
5,9; vgl. Kol 3,16). Grundsätzlich lässt sich ferner das Singen und Musizieren vor Gott selbst als Frucht und als
„Geschenk des Geistes, der die Liebe ist, in uns Liebe wirkt und uns so zum Singen bringt“ (Ratzinger, Josef, Musik
und Liturgie, in: ders., Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg i.Br. 2006, 117-134, hier 129) deuten. Zur
trinitarischen Begründung der Musik vgl. ebd. und Söhngen, Oskar, Theologie der Musik, Kassel 1967, 261-340.
334
Paul VI., Ansprache vom 6.4.1970; zitiert nach: Kurzschenkel, Theologische Bestimmung, 226.
335
Messiaen, in: Pinzauti, Gespräch, 271.
93
„Die Künste, insbesondere die Musik, aber auch die Literatur und die Malerei, erlauben es uns, in
Bereiche vorzudringen, die zwar nicht unwirklich sind, aber jenseits der Realität liegen. Für
Surrealisten war das ein halluzinatorischer Bereich; für Christen ist es der Glaube [...] Nun, ich
denke, dass Musik noch besser als Literatur und Malerei in der Lage ist, dieses Traumhafte zum
Ausdruck zu bringen – diesen Märchenaspekt des Jenseits, dieses ,Surreale‘ der
Glaubenswahrheiten.“336
Es lassen sich somit folgende Grunddimensionen der Musik in religiöser Hinsicht zusammenfassen: Die Musik trägt einen Bezug zu einem sie selbst übersteigenden, unaussprechlichen
Gehalt in sich, auf den sie durch die ihr eigene Sprache hinweisen, ihn auszudrücken vermag,
ohne ihm den Schleier des Mysteriums zu nehmen. Sie bietet einen mehrdimensionalen Zugang
und birgt das Potential, den Menschen ganzheitlich anzurühren, ihn innerlich zu ergreifen und zu
verwandeln.
4.2.2 Die Musik der Gebetssätze als mystagogisches Medium
Gerade in den Gebetssätzen des Livre wird die Musik in den Dienst genommen, das Mysterium
der Eucharistie, die unaussprechliche Erfahrung der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn
zum Ausdruck zu bringen. Die Musik verweist auf einen sie selbst übersteigenden Gehalt, der
durch die musikalischen Mittel angedeutet und gleichzeitig erfahrungshaft nahegebracht wird, zu
dem die Musik den Hörer hinführen kann. Die Musiksprache Messiaens ist – wie gezeigt – in
hohem Grade symbolisch geprägt. Sie verweist auf eine Wirklichkeit hinter den Klängen, sie
selbst wird zum Symbol, zum Träger und zum Erscheinungsmedium eines nicht in Worte zu
fassenden Geschehens. Dieses kann durch die Kenntnis der Symbolik der Messiaen’schen
Musiksprach zwar ansatzweise entschlüsselt und somit auch für den Hörer zugänglich und
inhaltlich ein Stück weit nachvollziehbar gemacht werden. Dennoch kommen alle
hermeneutischen Bemühungen an eine Grenze bei dem Anliegen, die Erfahrung, die in der
Musik zum Ausdruck kommt, in all ihren Bedeutungsdimensionen, in ihrer vollen spirituellen
Tiefe auszuschöpfen: Es wird immer ein unerklärbarer Mehrwert in der Sprache der Musik
bleiben, der nicht in Begriffen ausbuchstabiert werden kann, der jedoch gerade die Bedeutung
und das Wesen der Musik und auch den mehrdimensionalen Zugang, der dem Hörer durch die
Musik gegeben ist, mit begründet und ausmacht. Das Besondere an der Musiksprache der beiden
Gebetssätze besteht darin, dass sie völlig mit ihrem sprachlichen Gehalt verschmelzen, dass eine
Einheit besteht zwischen Gebetsinhalt, Gebetshaltung und Gebetssprache: Die Musik selbst wird
zum Gebet.
Schlaglichtartig sollen im Folgenden nochmals die musikalischen Mittel und Elemente vor
Augen geführt werden, die die Musiksprache des XIV. und XVI. Satzes des Livre zu einer
336
Messiaen, in: Samuel, Musique et couleur, 256; deutsch zitiert nach: Hill / Simeone, Messiaen, 331.
94
klingende Gebetssprache werden lassen, die der Begegnung mit dem Herrn und der persönlichen
Vorbereitung darauf Ausdruck verleihen. Die Musik Messiaens wirkt bereits auf einer rein
suggestiven Ebene: Sowohl die sanfte Gesamtatmosphäre der beiden Sätze, die durch die
langsamen Tempi und die gewählte Registrierung hervorgerufen wird, als auch die abwärtsgerichteten Akkordbewegungen und ungewöhnlich lang andauernden Akkordklänge in beiden
Sätzen vermögen den Hörer zur Ruhe kommen zu lassen, ihn in eine meditative, kontemplative
Stimmung zu versetzen, ihn bei sich einkehren und versenken zu lassen. Zu berücksichtigen gilt
an dieser Stelle auch die Unvertrautheit der meisten Hörer mit der Musik Messiaens, die
zunächst den Zugang zu dem in der Musik zum Ausdruck kommenden Gehalt zu verstellen oder
zu erschweren scheint, die jedoch ein eigenes Potenzial in sich birgt: Nicht nur die komplexen
Messiaen’schen Akkorde, auch die originalgetreu erklingenden gregorianischen Zitate zu Beginn
des Satzes „Prière avant la communion“, die in der gegenwärtigen liturgischen Praxis meist
kaum mehr zu Gehör gebracht werden, zeugen von einer Musiksprache, die den Hörer aus
seinem alltäglichen Umfeld und aus seinen gewohnten Hörerwartungen heraushebt, ihn insofern
aufhorchen lässt und ihn einlädt, sich auf neue, ungewohnte Erfahrungen einzulassen.
Entscheidend ist: Diese Musik spricht eine unverbrauchte Sprache, die den Hörer – auch gerade
in ihrer zunächst befremdlichen Wirkung – anregen kann, sich von einer ganz neuen Erfahrungsdimension berühren zu lassen. Gerade vor dem Hintergrund der Undurchdringlichkeit der
Messiaen’schen Akkorde entfalten die vielen reinen Harmonien in beiden Sätzen eine besondere
Wirkung, die im Hörer Gefühle des Ankommens, der Reinheit und Klarheit bewirken können.
Insbesondere die lang ausgehaltenen C-Dur-Klänge mit sixte ajouté im Gebet vor der
Kommunion setzte Messiaen bewusst ein, um im Hörer den Eindruck der Blendung und des
Überwältigtseins entstehen zu lassen. In der Akustik der Kirche vermögen die Sixte-ajoutéKlänge eine berührende und entrückende Wirkung zu entfalten. Daneben erscheinen in
auffälliger Dichte noch weitere Stilelemente, die nach Messiaen eine Blendung implizieren:
Neben Kirchenfensterakkorden und Resonanzakkorden, die auf die natürliche Obertonreihe
rekurrieren, ist dies die Wirkung der Komplementärfarben, die Messiaen – wie ausgeführt –
besonders in „Prière après la communion“ in Dienst nahm.
Die Komplementärfarben, die Messiaen selbst unwillkürlich beim Erklingen der jeweiligen
Akkorde vor Augen hatte, die für ihn untrennbar mit diesen verbunden waren, verweisen auf
eine weitere Ebene der Musik, die sich für den Hörer, der nicht eine ebenso plakative Farbempfindung wie Messiaen hat, nicht aus dem unmittelbaren suggestiven Höreindruck ergibt,
sondern mit einem intellektuellen Schritt verbunden ist. Es ist dies die Ebene der Symbolik der
Musiksprache Messiaens, die aus dem Kontext seines Œuvres heraus erschlossen werden kann:
Neben der Bedeutung der Farben, die bestimmten Akkorden zugeordnet sind, sind die Elemente
95
zu nennen, die bei Messiaen eindeutig mit der Konnotation des Mystischen belegt sind wie die
fallende Quarte und Fis-Dur als Tonart der mystischen Liebe. Ein weiterer Schlüssel zum
symbolischen Gehalt der Musiksprache liegt im Vergleich mit musikalisch und inhaltlich
verwandten Sätzen, zu denen sich Messiaen auch hinsichtlich des theologischen und spirituellen
Gehalts geäußert hat. So kann der Satz „Prière après la communion“ anknüpfend an mystisch
belegtes Tonmaterial und an dialogische Strukturen, die sich aus dem Notentext ergeben, und
unter Verweis auf zwei Sätze aus den Vingt Regards, als mystischer Liebesdialog bezeichnet
werden. Eine andere Vergleichsquelle, die ausgehend vom symbolischen Musikvokabular der
Gebetssätze eine weiterführende und vertiefende Interpretation zulässt, ist der siebte Band des
Traité, in dem Messiaen Hinweise zur Farbsymbolik gab. Neben der Erfahrung der Blendung,
die durch die farbigen Akkorde erwirkt wird, lassen sich damit auch inhaltliche Aussagen zur
Farbwahl der Akkorde und dem jeweiligen Bedeutungsgehalt machen. So kann der strahlend
weiße C-Dur-Klang des Gebetes vor der Kommunion unter dem Aspekt der Reinigung und der
Angleichung an Christus gedeutet werden. Gerade das Gebet nach der Kommunion entfaltet vor
dem Hintergrund der Symbolik der gewählten Farben erst seine volle spirituelle Tiefe. In diesem
Satz kommt eine mystische Erfahrung zum Ausdruck, die ausgehend von ihrer symbolischen
Musiksprache als unaussprechlich, als „himmlisch“ ausgewiesen werden kann, die sich jedoch
nicht
auf
musikwissenschaftliche
Aussagen
oder
sprachliche
theologische
Begriffe
zurückbuchstabieren ließe. Allein das lebendige Medium der Musik, das über die verbale
Sprache hinausreicht, in dem Klänge und Farben verschmelzen, vermag dieser Erfahrung
Ausdruck zu verleihen und sie auch dem Hörer, der sich empathisch darauf einlässt,
nahezubringen. So bekundete Messiaen selbst die unaussprechliche Wirkung der Musik als
Ausdrucksmedium, das das begriffliche Erfassen weit übersteigt: „Und darüber hinaus ist
bekannt, daß es der Musik gelingt, Dinge zu erklären, wozu bislang selbst Mystiker und
Theologen nicht in der Lage waren“337. Gerade das musikalische Gebet nach der Kommunion
zeugt davon.
Die musikalische Gebetssprache Messiaens kann man als persönliches Zeugnis lesen, das über
die primäre suggestive Wirkung hinaus eine komplexe Symbolik enthält, die Messiaen, der sich
selbst mit Aussagen zu seiner eigenen Spiritualität sehr zurückhielt, nicht offenkundig darlegte,
sondern die sich vielmehr erst aus der gründlichen Analyse seines musikalischen Œuvres und
seiner Gedanken erahnen lässt und in ihrem vollen Bedeutungswert, den sie für Messiaen
einnahm, wohl nicht vollständig ausgeschöpft werden kann. Auf ganz individuell gefärbte Weise
verlieh Messiaen in den beiden Gebetssätzen seiner eigenen Erfahrung, seiner persönlichen
Begegnung mit dem eucharistischen Herrn Ausdruck und Gehör, Stimme und Sprache. Auch
337
Messiaen, in: Pinzauti, Gespräch, 271.
96
wenn die Musik in erster Linie als eine persönliche Huldigung Messiaens an das Mysterium der
Eucharistie zu begreifen ist und das Livre – in den bereits zitierten Worte Thomas Daniel Schlees
– „sich insgesamt nicht so sehr dem Hörer zuwendet, sondern, als Akt der Anbetung, in
Wahrheit direkt an den Allerhöchsten gerichtet ist“, so kommen hier doch in konzentrierter
Weise Mittel zum Einsatz, die auf eine Wirkung im Hörer ausgerichtet sind, die dem Hörer
Anteil geben an der Erfahrung der Blendung und des Überwältigtseins, am persönlichen Gebet
Messiaens. Der Hörer wird selbst mit eingefasst in Messiaens Gebetshaltung und dessen Zugang
zum Altarsakrament. „Letztendlich führt uns Messiaen auf ästhetische Art und Weise von der
Betrachtung der Eucharistie zur Wahrnehmung und Erfahrung des Mysteriums.“338 Über die
Grenzen der Sinne hinaus nimmt Messiaen den Hörer mit zu einer „Wahrnehmung des
Unsichtbaren. Er verleiht dem Unnennbaren Klang und Stimme. Er verleiht dem
Unausdrücklichen Volumen, dem Unaussprechlichen Farbe“339. Die ästhetische Wahrnehmung
des Mysteriums der Eucharistie geht über zu einer empathischen, die den Menschen ganzheitlich
anspricht und eine lebendige Erfahrung ermöglicht.340
Angesichts dieses Anliegens der Musik- und Gebetsprache Messiaens als persönliches Zeugnis
und als Medium, das den Menschen auch im außerliturgischen Bereich anspricht, ihn anrühren
und ihn zu einer transzendentalen Erfahrung zu führen vermag, werden die mystagogischen
Chancen dieser Musik offenbar, die in der Sakramentenpastoral fruchtbar gemacht werden
können. Mystagogie soll – wie bereits aufgezeigt – im Anschluss an Karl Rahner als eine
Hinführung an das Mysterium, als „Mystagogie in die Erfahrung der Selbstmitteilung Gottes“341
definiert werden. Sie ermöglicht dem Menschen Grunderfahrungen, in denen er vor das letzte
Geheimnis seines Lebens gerät, in denen er sich als vor dem unergründlichen Mysterium stehend
begreift, die ihn in Berührung bringen mit der unermesslichen Gegenwart Gottes. Solche transzendentalen Erfahrungen müssen in Anschluss an Rahner an erster Stelle stehen, sie sind es, die
den Glauben befruchten und authentisch machen, die Reflexion ist erst der notwendige zweite
Schritt. Denn bei der Mystagogie geht es um „jene transzendentale Erfahrung, in der der Mensch
es immer schon mit dem absoluten Geheimnis, Gott genannt, zu tun hat, bevor er in reflexer
Weise diese Gotteserfahrung in den sogenannten Gottesbeweisen abstrakt thematisiert“342. Daher
setzt die Mystagogie nicht bei der rationalen Durchdringung des Glaubens, sondern bewusst bei
alltäglichen Erfahrungen des Lebens an, die allen Menschen zugänglich sind. Beispiele sind die
338
Piqué i. Collado, Livre, 123.
Piqué i. Collado, Livre, 120.
340
Vgl. Piqué i. Collado, Livre 121.
341
Rahner, Karl, zitiert nach: Fischer, Klaus, Der Mensch als Geheimnis. Die Anthropologie Karl Rahners. Mit
einem Brief von Karl Rahner (ÖF.S 5) Freiburg i.Br. u.a. 1974, 407 [Rahner, Karl, Dogmatik nach dem Konzil.
Theologische Anthropologie und Ekklesiologie. Bearb. von Albert Raffelt (Sämtliche Werke 22/2) Freiburg u.a.
2008, 829].
342
Rahner, Mystagogie, 269 [Rahner, SW 19, 309].
339
97
Liebe, die unsagbare Freude, die letzte Verantwortung und auch das Gebet, mithin Situationen,
in denen der Mensch an eine Grenze kommt, in denen er selbst betroffen und in Frage gestellt
wird.343 Solche transzendentalen Erfahrungen, die jeder Mensch macht, verweisen auf eine
Wirklichkeit, die jenseits des rationalen Fassungsvermögens des Menschen liegt, die vom
Schleier des Geheimnisses umhüllt ist, in die nur glaubend eingedrungen werden kann. Der
Mystagogie kommt die Bedeutung zu, solche Grunderfahrungen zu ermöglichen und sie zu
deuten, auf Gott als den letzten Grund und das letzte Gegenüber dieser Erfahrung, der sich dem
Menschen offenbart und ihm entgegenkommt, hinzuweisen. Gerade die Musiksprache der beiden
Gebetssätze könnte über das Medium der Musik, das allen Menschen zugänglich ist, und über
die Wirkung der Musik, den Menschen ganzheitlich anzurühren, zu blenden, „Zustände zu
erzeugen, in denen die Gegenwart des Höchsten unmittelbar erlebt wird“344, ein vorrangiges
Mittel sein, den Menschen neu an das Mysterium der Eucharistie heranzuführen.
Die „Notwendigkeit einer neuen Mystagogie“345 angesichts der Situation der „Weltlosigkeit
Gottes und der Gottlosigkeit der Welt“, die „durch die Methodik der funktional denkenden und
so immer im Innerweltlichen bleibenden Naturwissenschaft geprägt“346 sei, war Rahner ein
zentrales Anliegen, das an Aktualität nicht verloren hat. Die Mystagogie dürfe nicht der
Erfahrung von einzelnen Predigern, Aszeten oder Mystikern überlassen werden. Vielmehr sei die
durch die Mystagogie ermöglichte und gedeutete persönliche religiöse Erfahrung eine
„dringliche Forderung der praktischen Theologie“347, da es hier um den Glauben selbst und
damit die Grundlage des Christseins und Christwerdens gehe. Es bedürfe „heute bei jedem
Christen, nicht um ,vollkommen‘ zu werden, sondern um ein wirklich Glaubender zu werden
und zu bleiben, einer solchen Mystagogie in eine ursprüngliche religiöse Erfahrung“348. Die
Musik Messiaens, die dem Menschen eine transzendentale Erfahrung ermöglichen und ihn in
Berührung mit dem Mysterium der Eucharistie bringen kann, vermag so auch den Glauben neu
zu entfachen. Die Musik der Gebetssätze kann somit einen Beitrag zur Stärkung und Belebung
des Glaubens leisten und damit an das zentrale Anliegen der Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung in der heutigen Sakramentenpastoral leisten.
343
Rahner selbst führte solche mystagogischen Grunderfahrungen, die zum Geheimnis des Lebens hinführen
beispielsweise aus in: Rahner, Karl, Erfahrung des Geistes, Freiburg i.Br. u.a. 31981, 42-45 [Rahner, Karl,
Geistliche Schriften. Bearb. von Herbert Vorgrimler (Sämtliche Werke 29) Freiburg u.a. 2007, 309-311].
344
Motte-Haber, Theologische Musik, 64.
345
Vgl. den gleichnamigen Titel Rahners im bereits zitierten Handbuch der Pastoraltheologie.
346
Rahner, Mystagogie, 269 [Rahner, SW 19, 309].
347
Rahner, Mystagogie, 271 [Rahner, SW 19, 311].
348
Rahner, Mystagogie, 270 [Rahner, SW 19, 310].
98
4.3 Anregungen zur praktischen Umsetzung in der Sakramentenpastoral
4.3.1 Vorstellung eines in Wien durchgeführten Konzepts
Im Zuge einer pastoralen Umsetzung, die die Musik der Gebetssätze des Livre als Medium zur
Glaubensvertiefung und zur Belebung der eucharistischen Gebetspraxis in Dienst nimmt, sollte
unterstützend zu der rein suggestiven Wirkung der Musik eine inhaltliche Einführung und eine
Deutung und Entschlüsselung des musikalischen Vokabulars treten, welche die zugrunde
liegende Spiritualität der Gebetssätze für den Hörer aufdeckt. Damit ließe sich anknüpfen an die
erklärende und reflektierende Komponente der Mystagogie, die nicht nur zur Ermöglichung
einer Erfahrung der Gegenwart Gottes, sondern auch zu deren Erhellung und Auslegung im
Licht des Glaubens beiträgt.
Als ein in den Augen der Verfasserin sehr gelungenes Beispiel einer solchen Umsetzung sei eine
Aufführung des Livre du Saint Sacrement am 3. Juni 2008 (in der zweiten Woche nach
Fronleichnam) durch Wilfried Bönig im Schottenstift in Wien349 angeführt, die das Anliegen
einer umfassenden Heranführung und Begleitung des Hörers durch die Musik verfolgte.
Zunächst wurde dabei den Konzertbesuchern ein umfangreiches Programmheft zur Hand
gegeben, das neben der Auflistung der Satztitel mit Schriftzitaten und Ausschnitten aus dem
Einführungstext Messiaens unter anderem eine ausführliche Einleitung zum Livre du Saint
Sacrement unter theologischen wie musikalischen Gesichtspunkten durch Prof. Georg Braulik
OSB enthielt.350 Damit erhielt der Hörer neben kontextuellem Wissen Anregungen zur
Interpretation und zu einem eigenen, erfahrungsbezogenen Zugang zur Musik des Livre. Der
Beginn des Konzertes wurde durch das Stundengebet der in der Schottenabtei beheimateten
Benediktiner eingeleitet, zu dessen Mitfeier die Hörer eingeladen waren. Das gemeinsame Gebet
wie auch der Vortrag des gregorianischen Hymnus „Adoro te“ durch eine Choralschola nach der
Hälfte des Werkes351 führten atmosphärisch wie inhaltlich unmittelbar in das Zentrum des
Werkes. Darüber hinaus erfuhren Musik und Gehalt des Livre eine Veranschaulichung durch
eine PowerPoint-Präsentation, bei der auf einer Leinwand vor dem Altar die jeweils
erklingenden Vogelstimmen, gregorianischen Melodien, Sätze in langage communicable, von
349
Vgl. die Ankündigung und das Programm des internationalen Orgelfestivals in der Schottenabtei in Wien, das
unter dem Titel „Dialogues mystiques“ die Orgelwerke Messiaens an den entsprechenden Hochfesten aufführte:
http://www.schottenstift.at/Berichte_ab_2008/20080222_Dialogues_Mystques_2008/uebersicht.htm [9.4.09].
350
Dort finden sich Ausführungen zur Theologie des Fronleichnamsfestes und zur musikalischen Bezugnahme auf
dieses Fest im Livre, weiterhin Informationen zu Entstehung und Aufbau des Livre. Die Sätze V, VI, XI, XIII und
XV werden ausgehend vom Einführungstext Messiaens musikalisch oder theologisch kurz charakterisiert.
Abschließend lädt Georg Braulik OSB darin ein, nicht bei einer Dechiffrierung der Symbolik des musikalischen
Vokabulars stehenzubleiben, sondern sich dem Mysterium zu öffnen, um die Musik Messiaens als „Sprache des
Glaubens“ verstehen zu können. Ein Abdruck des Programmhefts findet sich im Anhang dieser Arbeit, 124-127.
351
Die Möglichkeit einer Pause nach dem XI. Satz ist durch Messiaen selbst eingeräumt, vgl. Messiaen, Livre, 81.
99
Messiaen verwendete Zitate und Hinweise aus seinem Einführungstext eingeblendet wurden.
Diese Art der Visualisierung erleichterte den Zugang zu Gestalt und Gehalt der Musik und regte
davon ausgehend den Hörer zu eigenen Assoziationen und zum empathischen Einstimmen in die
Musik an. Die Aufführung des Livre erfolgte somit neben ihrem hohen künstlerischen Anspruch
unter dem Gesichtspunkt der mystagogischen Hinführung des Hörers zum Anliegen Messiaens
und letztlich zum Mysterium der Eucharistie.
4.3.2 Konzept 1: Katechetische Reihe zum Thema „Eucharistische Spiritualität“
Im Folgenden sollen zwei Vorschläge einer konkreten Einbindung der Gebetssätze in die
Sakramentenkatechese und -pastoral unterbreitet werden, die den Schwerpunkt auf die
mystagogische Hinführung zum Mysterium der Eucharistie und auf eine Erneuerung und
Vertiefung der eucharistischen Gebetspraxis legen. Der erste Entwurf zielt auf eine eher
theoretische Auseinandersetzung mit Wesen und Spiritualität der Eucharistie, die den Zugang
über den Intellekt wählt, jedoch eine Öffnung hin zur persönlichen Entfaltung der Spiritualität
stets im Blick hat; dahingegen ist der zweite in den konkreten Kontext der Eucharistiefeier
beziehungsweise eucharistischen Anbetung eingebettet. Beide Konzepte sind als eigenständig zu
betrachten; soweit es die Situation in der Gemeinde zulässt, wäre es denkbar und
wünschenswert, den letzteren Entwurf auf ersterem ergänzend aufbauen zu lassen.
Das erste Konzept beschreibt eine katechetische Reihe zum Thema „eucharistische Spiritualität
in Wort, Bild und Klang“, die sich in Anlehnung an Glaubenskurse in (beispielsweise zehn)
Abendveranstaltungen an Erwachsene richtet. Idealerweise findet diese Veranstaltungsreihe
parallel zur Erstkommunionvorbereitung statt, sodass auch Eltern – ob sie an der
Sakramentenkatechese beteiligt sind oder nicht – selbst vertieft an das Mysterium der Eucharistie
und eine lebendige Gebetspraxis herangeführt werden und ihre Kinder in der Vorbereitung und
besonders auch darüber hinaus begleiten und im Glauben stärken können. Eine erste Veranstaltung zum Thema „Was ist eucharistische Spiritualität?“ könnte allgemein über das Anliegen der
Reihe informieren und Begriff, Wesen und Ausprägungen christlicher Spiritualität aufzeigen. In
drei Zyklen könnte dann eine konkrete Annäherung erfolgen, die durch die Auseinandersetzung
mit epochenübergreifenden Beispielen eucharistischer Verehrungsformen und Gebeten in
Sprache, Kunst und Musik neue Impulse auch für das eigene Gebet setzen könnte. Eine
umfassende Hinführung an das Mysterium der Eucharistie, das Kennenlernen verschiedener
Gebetstexte und Erfahrungen in der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn könnte die
Grundlage darstellen für die Ausprägung und Entfaltung, für die Erneuerung und Vertiefung des
eigenen Gebetslebens der Besucher dieser Reihe. In einem ersten Zyklus könnten Textzeugnisse
eucharistischer Spiritualität von den Anfängen bis zur Gegenwart gelesen werden. Hier ginge es
100
jedoch nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung oder einen vollständigen Überblick;
die Texte sollten nach ihrem spirituellen Gehalt so ausgewählt sein, dass daran anknüpfend ein
Gespräch über die darin zum Ausdruck kommenden Erfahrungen, mithin ein Brückenschlag zur
gegenwärtigen Situation und zur eigenen eucharistischen Spiritualität stattfinden kann.352
In einem nächsten, abstrakteren Schritt könnte eucharistische Spiritualität in wiederum drei
Abendveranstaltungen aus dem Blick der Musik betrachtet werden. Eine Möglichkeit wäre, vor
dem Hintergrund eines musikgeschichtlichen Überblicks Aspekte eucharistischer Musik mittels
Hörbeispielen vorzustellen, ihren spirituellen Gehalt und Erfahrungsschatz herauszuarbeiten und
einen Raum zu eröffnen, sich von der Musik persönlich anrühren zu lassen. An zwei Abenden
können fakultativ folgende Facetten und Stationen eucharistischer Musik betrachtet werden:
Gregorianische Eucharistiegesänge, Vertonungen von mittelalterlichen eucharistischen Gebetstexten wie zum Beispiel „Pange Lingua“, „Lauda Sion“ oder „Panis Angelicus“, „Communio“Sätze der Messe in der Entwicklung von frankoflämischer Vokalpolyphonie bis heute, die
Sakramentenlitanei353, musikalische Schätze aus dem Kontext des Vierzigstündigen Gebetes und
der Ewigen Anbetung354 oder die orgelspezifische Gattungen der Elevationstoccata355. Der
theologische und spirituelle Gehalt der Musik Messiaens sollte in einer eigenen, dritten Sitzung
gewürdigt werden, die möglichst im Kirchenraum stattfindet. Nach einer kurzen Einführung zum
Musikschaffen und künstlerischen Selbstvertändnis Olivier Messiaens und zum Livre du Saint
Sacrement könnte eine mehrdimensionale, schrittweise Annäherung an den Gehalt der beiden
Gebetssätze des Livre geschaffen werden. Diese könnte durch eine inhaltliche Erläuterung der
352
Als Beispiele könnten folgende Texte dienen: Seuse, Heinrich, Das Büchlein der ewigen Weisheit. Übertragen
und eingeleitet von Oda Schneider, Stein am Rhein 21987, 148-165; Caterina von Siena, Gespräch von Gottes
Vorsehung. Eingeleitet von Eleonore von Seckendorff und Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 31964, 144-145;
Teresa von Avila, Weg der Vollkommenheit. Hg., übers. u. eingeleitet von Ulrich Dobhan (Gesammelte Werke 2)
Freiburg i.Br. u.a. 32007, 277-283; Stein, Edith, Verborgenes Leben. Hagiographische Essays, Meditationen,
geistliche Texte (ESW 11) Freiburg i.Br. u.a. 1987, 172-174.
353
Die „Litania de venerabili altaris sacramento“ wurde im 18. Jahrhundert neben der lauretanischen Litanei am
häufigsten vertont, vgl. Schlager, Karlheinz, Litanei, in: MGG 5 Sachteil, 1364-1373. Prominentes Beispiel ist die
Sakramentenlitanei Wolfgang Amadeus Mozarts KV 125, in der sich der Einschlag des neapolitanischen Operstils
unter anderem an der eindringlichen tonmalerischen Textdarstellung bemerkbar macht.
354
Ein sehr interessantes Beispiel wären die spanischen Villancicos, die am Hof von Madrid unter Philipp IV. zur
Vierzigstündigen Andacht in strenger Abfolge erklangen und die textlich und musikalisch in ihrer bildhaften
Ausschmückung von Freude und barockem Überschwang im Umgang mit dem Sakrament der Eucharistie zeugen,
vgl. Rodriguez, Pablo-L., Einführung. Übers. von Guadalupe Luceno, in: Beiheft zur CD (Quarenta horas. Joyful
and spectacular Spanish music from 18th century Madrid. Interpr. durch Al Ayre Espanol unter Leitung von
Eduardo Lopez Banzo, Arsenal von Metz 1998) 13-18.
355
Anzusprechen wäre die Herkunft der Orgel aus dem byzantinischen Kaiserkult, wo sie zur Begrüßung des
göttlich verehrten Herrschers eingesetzt wurde, ausgehend von der sie bald in christlicher Umdeutung Eingang in
die Liturgie fand. Das Hochheben der eucharistischen Gaben während des Hochgebetes ist für Paris erstmals um
1210 belegt, vgl. Steinmetz, Karl-Heinz, Eucharistische Musik. Oder: Wie vertont man ein Sakrament?, in:
Schlosser, Marianne (Hg.), Eucharistie – Quelle und Höhepunkt des geistlichen Lebens (Edition Cardo 131) Köln
2005, 89-108, hier 93. Dem frühbarocken Musiktheoretiker Adriano Banchieri zufolge bestand die Funktion der
Elevationstoccata darin, Devotion beim Glaubenden zu erwirken, sie sollte mit ernstem und zartem Klang, „graviori
et dulciori sono“ gespielt werden, vgl. Klöckner, Stefan, Elévation, in: LThK 3, 568-569, hier 587. Eindruchsvolle
Beispiele sind die Elevationstoccaten Frescobaldis, Frobergers und Tournemires.
101
musikalischen Symbolik und der zugrunde liegenden spirituellen Erfahrung Messiaens, durch
das Hören der Musik, die möglichst von einem Organisten live vorgetragen werden sollte, und
durch eine Visualisierung erfolgen: Dazu könnte Abbildung 12, die den musikalischen und
spirituellen Gehalt des „Gebetes vor der Kommunion“ wiedergibt, an die Wand projiziert
werden. Eine Farb-Licht-Installation, welche die Farben des Satzes „Prière après la communion“
aufführt, könnte den sinnlichen Zugang zum „Gebet nach der Kommunion“ lebendiger
gestalten.356 Alle erläuternden Hilfsmittel – Worte, Folien, Farben – sollten jedoch in der Weise
eingesetzt werden, dass sie den Hörer nicht auf eine vorgegebene Zugangsweise oder
Interpretation festlegen, sondern ihm vielmehr einen eigenen Erfahrungsraum öffnen. Die
Auseinandersetzung mit dem spirituellen Substrat dieser Sätze, nämlich der persönlichen Erfahrung Messiaens, die in der Musik auf einer anderen Ebene zum Ausdruck kommt, sollte dem
Hörer vornehmlich als Anregung dienen, sich selbst von der Musik berühren zu lassen und einen
eigenen Zugang zum Mysterium der Eucharistie zu bekommen.
Ergänzt werden könnte diese Reihe an drei weiteren Abenden durch Beiträge aus dem Bereich
der Kunst: Orthodoxe Ikonen, deren Entstehung bekanntlich von ununterbrochenem Gebet durch
die Künstler begleitet wird, könnten genauso als Material dienen wie Bilder eucharistischer
Kultgegenstände wie Schalen, Kelche und Monstranzen357, ferner Kirchenfresken, Gemälde in
Katakomben und aus jüngerer Zeit, die das Mysterium der Eucharistie zu fassen suchen.
Eine solche multimediale Auseinandersetzung mit dem Mysterium der Eucharistie und der
Anbetung könnte den Menschen zu einem vertieften Verständnis des eucharistischen
Geschehens, aber auch zur Bild- oder Musik-Meditation und zur Integration einzelner Elemente
in die eigene eucharistische Gebetspraxis anregen.
4.3.3 Konzept 2: Integration der Gebetssätze in eine liturgische Feiergestalt
4.3.3.1 Integration der Gebetssätze in eine Eucharistiefeier
Ein weiterer Vorschlag ließe sich in einem konkreten Gottesdienst, idealerweise am Fest
Fronleichnam verwirklichen, bei dem die beiden Gebetssätze an der entsprechenden Stelle vor
beziehungsweise nach der Kommunion vom Organisten gespielt werden. Empfehlenswert wäre
eine Einleitung am Beginn des Gottesdienstes, die mit wenigen einführenden Worten zum Livre,
zum Bezug dieses Werkes auf das Fest Fronleichnam, der theologischen Dimension der Musik
Messiaens und zum Gehalt der Gebetssätze den Hörer vorbereitet und ihn einlädt, sich auf die
Musik als Sprache des Glaubens einzulassen und sie in sich wirken zu lassen. Zusätzlich könnten
356
Der Satz „Prière après la communion“ eignet sich weniger für eine sprachliche Visualisierung, da die Symbolik
sehr komplex ist und der Gesamteindruck des mystischen Liebesdialogs im Vordergrund steht.
357
Anregungen dazu finden sich z.B. in: Hartig, Michael, Eucharistia. Deutsche eucharistische Kunst. Offizielle
Ausstellung zum Eucharistischen Weltkongreß München 1960, München 21960.
102
Handzettel verteilt werden, die zur leichteren Orientierung während des Hörens Abbildung 12
zum „Gebet vor der Kommunion“ und eucharistische Gebetstexte als weiterführende
Anregungen für die eigene Gebetspraxis enthalten. Die Predigt könnte die Theologie des Festes
Fronleichnam aufgreifen und Dimensionen eucharistischer Frömmigkeit – möglicherweise unter
Verweis auf Olivier Messiaen – nahebringen. Es wäre empfehlenswert, die Zitate, die Messiaen
den beiden Sätzen zugrunde legte, sowie die entsprechenden Passagen aus dem Einführungstext
vor dem Erklingen der Gebetssätze vom Ambo oder der Empore aus vorzutragen. Im Anschluss
– insbesondere an die „Prière après la communion“ – sollte eine Stille eingehalten werden, um
die Musik in den Gottesdienstbesuchern nachwirken zu lassen und Raum für eigenes Gebet zu
geben. Die Musik könnte auf diese Weise an die Gebetspraxis vor und nach der Kommunion neu
heranführen. Verwirklicht wurde ein solches Konzept bei der Initiation des Messiaen-Schülers
und -Experten Harry Halbreich, der vom Judentum zum Christentum konvertierte. Die
Zeremonie fand am 13. April 2009 in der Pariser Sainte-Trinité statt. Nach der Kommunion
erklang „Prière après la communion“ durch Jon Gillock, mit wenigen Worten eingeleitet durch
den Zelebranten Jean-Rodolphe Kars.358
4.3.3.2 Integration der Gebetssätze in eine Gebetszeit bei der Ewigen Anbetung
Die Gebetssätze könnten in zeitlicher Nähe zur beschriebenen Eucharistiefeier Eingang in eine
Gebetsstunde bei der Ewigen Anbetung finden. Der Schwerpunkt läge hierbei nicht so sehr auf
der Erschließung der Gebetssätze, sondern auf deren Wirkung, den Menschen anzurühren und
empathisch in das Gebet und die Gebetshaltung Messiaens einstimmen zu lassen. Der
ungewöhnliche Klang der Gebetssätze, der zum Hören und zum Formulieren persönlicher
Gebetsworte an den eucharistischen Herrn einlädt, könnte so einen eigenen Akzent in der
Abfolge von Schriftlesung, Psalmengebet und Stille darstellen. Die vorgeschlagene Auswahl der
Bibelstellen und Psalmen ist inhaltlich und der Reihenfolge nach angelehnt an Gedanken, die in
den beiden Gebetssätzen musikalisch meditiert werden. Das gemeinsame Singen von einzelnen
Strophen des eucharistischen Hymnus „Adoro te devote“ (GL Nr. 546) soll einen Rahmen und
gleichzeitig einen Bezug zum Livre du Saint Sacrement darstellen. Nach folgendem Modell
könnte sich eine solche Gebetszeit gestalten:359
358
Zum Ablauf des Gottesdienstes vgl. eine unveröffentlichte Email-Korrespondenz zwischen Jean-Rodolphe Kars
und Michaela Christine Hastetter vom 26. April 2009. Mit folgenden Worten leitete Jean-Rodolphe Kars den Satz
„Prière après la communion“ aus dem Livre du Saint Sacrement ein: „Voici les paroles de Saint Bonaventure que
Messiaen a mises en exergue de la pièce que nous allons entendre: ,Mon parfum et ma douceur, ma paix et ma
suavité…‘ Pièce toute en extase mystique; l’âme est rassasiée par l’Eucharistie et goûte le repos en Dieu et la
Présence de Dieu en elle“ (ebd.).
359
Anregungen zur inhaltlichen Gestaltung der vorgeschlagenen Gebetszeit sind folgendem Manuskript entnommen:
Liturgische Kommission im Erzbistum Bamberg. Referat Liturgische Bildung im Erzbischöflichen Ordinariat (Hg.),
Geheimnis seiner Gegenwart – eucharistische Betstunden (Gottes-Dienst – Menschen-Antwort. Anregungen zum
liturgischen Feiern 3) Bamberg 1999.
103
Eröffnung
„Wir sind zusammengekommen, um in der kommenden Stunde dem Herrn, der im eucharistischen
Brot wahrhaft gegenwärtig ist, zu danken, ihn zu preisen und ihn zu anbeten. Es werden heute zwei
Orgelstücke von Olivier Messiaen erklingen, die auf musikalische Weise das persönliche Gebet
Messiaens vor und nach dem Kommunionempfang zum Ausdruck bringen. Ich möchte Sie einladen,
sich von der Musik Messiaens berühren zu lassen und in ihre klingende Gebetssprache selbst mit
einzustimmen.“
Gottheit tief verborgen Strophen 1-2.
V: Gelobt sei ohne End
A: Jesus im allerheiligsten Sakrament.
V: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes und Bruder der Menschen, im eucharistischen Brot bist du
mitten unter uns. Du hast gesagt: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr
hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. Erfülle deine Verheißungen an uns!
Für die große Heilsgabe der Eucharistie preisen wir dich und singen dein Lob. Wir tun es in
Gemeinschaft mit allen Engeln und Heiligen, die unaufhörlich das Geheimnis deiner Gegenwart
anbeten. Gib, dass wir es im Geist und in der Wahrheit tun. A: Amen.
Gottheit tief verborgen Strophe 3.
Wort-Gottes-Betrachtung und persönliches Gebet
Jesus antwortete den Juden: „Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder
aufrichten. – Er aber meinte den Tempel seines Leibes“ (Joh 2,19.21).
Stille – Ps 84 – Gottheit tief verborgen Strophe 4.
Jesus sagte zu den Juden: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer
von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich
gebe es hin) für das Leben der Welt“ (Joh 6,51).
Stille – Ps 34.
„Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird
meine Seele gesund.“
„Prière avant la communion“
Jesus sprach zu den Pharisäern: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der
Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)
Stille – Ps 43 – Gottheit tief verborgen 5
Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine
Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht
bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt.“ (Joh 15,4)
104
Stille – Ps 33
Das folgende Orgelstück betet Christus nach dem Kommunionempfang an mit den Worten: „Mein
Duft und meine Sanftheit, mein Friede und meine Süße“.
„Prière après la communion“
„Der Gott des Friedens aber, der Jesus, unseren Herrn, den erhabenen Hirten seiner Schafe, von den
Toten heraufgeführt hat durch das Blut eines ewigen Bundes, er mache euch tüchtig in allem Guten,
damit ihr seinen Willen tut.“ (Hebr 13,20-21)
Stille – Ps 100 – Gottheit tief verborgen 6-7
Abschluss
V: Herr Jesus Christus, du bist unser Licht. In dir leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Du bist
vertraut mit allen unseren Wegen. Ergreife unser Herz, unseren Geist und all unsere Kräfte, damit wir
immer für dich leben, bis unser Weg sich in dir vollendet. Der du in der Einheit des Heiligen Geistes
mit Gott dem Vater lebst und herrschest in alle Ewigkeit. A: Amen.
105
5 Schluss
Die Gebetssätze des Livre du Saint Sacrement von Olivier Messiaen lassen sich in der Sakramentenpastoral fruchtbar machen. Sie zeugen vom tiefen Glauben Messiaens, der gleichermaßen
durch theologische Reflexion und Lektüre geistlicher Schriften wie durch das persönliche Gebet
und die gelebte Spiritualität, die in Christus – auch musikalisch – ihr Zentrum findet, geprägt und
genährt wurde. In der Musik kommt eine tiefgreifende Erfahrung der Begegnung mit dem eucharistischen Herrn zum Ausdruck, die weit über die verbale Sprache hinausweist. Die Musiksprache selbst wird zum Gebet, das vom Glauben durchdrungen und erfüllt ist. Inhaltlich und
strukturell knüpfen beide Gebete an Kommuniongebete der Tradition an und rekurrieren auf
geprägte Gebetsworte der Liturgie und des heiligen Bonaventura. Diese werden durch die
authentische Musiksprache Messiaens belebt und ausgedeutet und durch den ganz persönlichen
Zugang Messiaens zum Altarsakrament, durch seine Erfahrung des Geblendetseins durch das
Übermaß an göttlicher Wahrheit und Liebe, durch seine eigene Gebetssprache, die einem unaussprechlichen Herzensgebet gleicht, entfaltet. Gerade durch die Wahl bestimmter kompositorischer Mittel, Klänge und Farben, deren Bedeutung aus dem Kontext seines Œuvres heraus
entschlüsselt werden kann, werden die Gebetssätze zu einem persönlichen Zeugnis der
Spiritualität Messiaens. Diese musikalisch betende Ausdrucksform der Gottesbegegnung
Messiaens lässt sich dabei nicht als eine private, unzugängliche Erfahrung betrachten: Vielmehr
wird auch der Hörer, der sich empathisch auf diese Musik einlässt, hineingenommen in das
unaussprechliche Geschehen, er kann ebenso wie Messiaen geblendet und ergriffen werden und
selbst in Berührung mit dem Mysterium kommen.
Die Musik der Gebetssätze Messiaens vermag trotz und auch wegen ihrer vielleicht anfangs
unvertrauten Wirkung, aufgrund ihrer unkonventionellen, ungewöhnlichen und unverbrauchten
Sprache den Menschen anzurühren und ihn auf tiefgreifendere Weise anzusprechen als routiniert
gesprochene Kommuniongebete, an deren Sprache und Spiritualität der Gläubige oftmals nicht
mehr anknüpfen kann. So könnte die Sprache der Musik die Routine, die den in der Liturgie vor
dem Kommunionempfang gemeinsam gesprochenen Worten des Hauptmanns anhaftet,
aufbrechen und zu einer neuen, eigenen Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Worte anregen.
Denn die Musik Messiaens versieht sie mit Lebendigkeit und Bildhaftigkeit, mehr noch: Indem
die Gebetsworte durch die Symbolsprache der Musik ausgedrückt werden, bekommen sie eine
zusätzliche Bedeutungsqualität, sie werden auf einer höheren Ebene weitergeführt, die das
begriffliche Erfassen des Menschen übersteigt und durch die der Mensch in Beziehung zum
angebeteten Mysterium treten kann. Die Musik, die ein persönliches Glaubenszeugnis von
Messiaens Begegnung mit dem eucharistischen Herrn abgibt und den Hörer daran teilhaben lässt,
106
kann so als ein mystagogisches Medium in der Sakramentenpastoral in Dienst genommen
werden, das den Menschen erfahrungshaft an das Mysterium der Eucharistie heranführt, ihn in
Beziehung bringt mit Christus und so seinen Glauben stärken und festigen kann. Damit könnte
die Musik dem aufgezeigten Hauptanliegen der Sakramentenpastoral, nämlich der Erneuerung
und Vertiefung des Glaubens, nachkommen. Diese bildet weiterhin den Nährboden für die
Entfaltung einer eigenen eucharistischen Gebetspraxis, die durch die Gebetssätze Messiaens
angeregt, belebt und mit neuen Impulsen gefüllt werden kann. Denn die Gebetssätze lassen die
alten Gebetstexte in neuem Gewand erscheinen, einem Gewand, das in ungewöhnlichen, nicht
alltäglichen Farben leuchtet und so den Hörer neugierig zu machen vermag, ihm einen neuen und
individuellen Zugang zur traditionsreichen Praxis des Betens vor und nach der Kommunion und
zum Gehalt der Kommuniongebete eröffnen kann. Durch ihren mehrdimensionalen Zugang, der
nicht in erster Linie auf den Intellekt ausgerichtet ist, sondern vielmehr auf einer suggestiven
Ebene den Menschen empathisch und emotional anspricht, kann der Hörer in eine Gebetshaltung
und Gebetsstimmung versetzt und ermutigt werden, eigene Gebetsworte zu formulieren oder
aber in das unaussprechliche musikalische Gebet innerlich hörend einzustimmen. Die Musik der
Gebetssätze kann eine Hinführung, aber auch eine Hilfe sein, das eigene Gebet innerlicher und
authentischer auszudrücken, es lebendiger und ergriffener zu gestalten, indem die Musik die
tiefsten Schichten des Menschen anrührt. So kann dieses neue Gewand des klingenden Gebetes
eine Wirkung im Menschen entfalten, die ihn öffnet und anrührt, die ihn empathisch teilhaben
lässt an der anbetenden Haltung Messiaens und zu einer erneuerten, bewussteren und vertiefteren
Gestaltung des eigenen Gebetslebens vor und nach dem Kommunionempfang anregen kann.
Damit können die Gebetssätze des Livre als mystagogisches Medium Ausgangspunkt einer
Wiederbelebung des Glaubens und einer Neubesinnung auf die Tradition der eucharistischen
Gebetspraxis darstellen. Voraussetzung ist dabei freilich, dass sich der Hörer einlässt, von einer
ungewöhnlichen musikalischen Sprache des Glaubens berührt zu werden. Den Seelsorgern käme
hierbei die Aufgabe zu, die Hemmschwelle gegenüber „moderner“ Musik abzubauen und den
Gehalt und die Symbolik dieser Sprache zu erläutern und zugänglich zu machen. Denn über die
rein suggestive Wirkung der Musik hinaus scheint eine Hermeneutik der Musik Messiaens durch
Visualisierung beziehungsweise Versprachlichung unbedingt angebracht zu sein. Diese erleichtert nicht nur den Zugang, sondern entfaltet erst die volle spirituelle Tiefe und Bedeutungsdimension dieser Musik, die ohne eine fachkundige Hilfestellung beim unmittelbaren Hören
verschlossen bliebe.
Die Musik Messiaens und die musikalische Sprache der Gebetssätze im Besonderen sind von
einer ungewöhnlichen Authentizität und spirituellen Strahlkraft, von einer Ursprünglichkeit und
Wahrhaftigkeit geprägt. Um die Kraft und die Chance einer solchen Musik zu betonen, die in der
107
Sakramentenpastoral neue Wege einschlagen und Perspektiven aufzeigen könnte, sei nochmals
Messiaen selbst zitiert. Im Vorwort zur Technik meiner musikalischen Sprache forderte er „eine
wahre Musik“, deren Anliegen in den Gebetssätzen des Livre du Saint Sacrement verwirklicht zu
sein scheint. Diese sei
„eine geistige Musik, die ein Glaubensakt ist; eine Musik, die alle Gegenstände berührt, ohne je die
Berührung mit Gott zu verlieren; eine ursprüngliche Musik schliesslich, deren Sprache etliche Türen
aufstösst, etliche noch ferne Sterne herabholt“360.
360
Messiaen, Technik, 6.
108
6 Literaturliste
Konzilsdokumente wurden in dieser Arbeit zitiert nach: Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert (Hg.), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg i.Br. u.a. 1966.
Verse aus der Heiligen Schrift wurden nach der Einheitsübersetzung zitiert: Die Bibel. Altes und Neues Testament.
Einheitsübersetzung. Hg. i. A. der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz des Bischofs von Luxemburg,
des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen, für die Psalmen und das Neue Testament auch i. A. des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Evangelischen Bibelwerks in der Bundesrepublik
Deutschland, Freiburg i.Br. u.a. 2008.
Die verwendeten Abkürzungen sind dem LThK3 11 entnommen.
Übersetzungen aus dem lateinischen oder französischen Original wurden, soweit nicht anders vermerkt, von der
Verfasserin dieser Arbeit besorgt.
Kurztitel der Werke, die mehr als einmal in dieser Arbeit zitiert wurden, sind in eckige Klammern hinter die
Literaturangabe gesetzt.
1. Werkverzeichnis
Messiaen, Olivier, Livre du Saint Sacrement pour Orgue, Paris 1989 [Messiaen, Livre].
Messiaen, Olivier, Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus pour piano, Paris 1947 [Messiaen, Vingt
Regards].
2. Quellen
Bruyr, José, Olivier Messiaen, in: L’Écran des musiciens, Paris 21933, 124-131 [Bruyr,
Messiaen].
Goléa, Antoine, Messiaen und der Glaube, in: Melos 25 (1958) 397-399 [Goléa, Glaube].
Goléa, Antoine, Rencontres avec Olivier Messiaen, Paris 1960 [Goléa, Rencontres].
Marti, Jean-Christophe, Es ist ein Liebesgeheimnis. Ein Gespräch mit Olivier Messiaen. Übers.
von Yvonne Lang, in: Beiheft zur CD (Messiaen, Olivier, Saint François d’Assise. Scène
franciscaines en trois actes et huit tableaux. Interpr. durch José van Dam / Dawn Upshaw /
Arnold Schoenberg Chor / Hallé Orchestra unter Leitung von Kent Nagano, Hamburg 1999) 4256.
Massin, Brigitte, Eine Poetik des Wunderbaren, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich (Hg.),
Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des
französischen Komponisten, Köln 1998, 34-36 [Massin, Poetik des Wunderbaren].
Massin, Brigitte, Olivier Messiaen: une poétique du merveilleux, Aix-en-Provence 1989.
109
Messiaen, Olivier, Conférence de Notre Dame vom 4. Dezember 1977, in: Rößler, Almut (Hg.),
Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg
2
1993, 60-70 [Messiaen, Conférence de Notre Dame].
Messiaen, Olivier, Libretto zur Oper Saint François d’Assise. Übers. von Thomas Daniel Schlee,
in: Beiheft zur CD (Messiaen, Olivier, Saint François d’Assise. Scène franciscaines en trois actes
et huit tableaux. Interpr. durch José van Dam / Dawn Upshaw / Arnold Schoenberg Chor / Hallé
Orchestra unter Leitung von Kent Nagano, Hamburg 1999) 94-159.
Messiaen, Olivier, Livre du Saint Sacrement. Einführung. Übers. von Almut Rößler, in: Beiheft
zur CD (Messiaen, Olivier, Livre du Saint Sacrement. Interpr. durch Almut Rößler an den
Eisenbarth-Orgeln im Hohen Dom zu Passau, Düsseldorf 1987).
Messiaen, Olivier, Rede anläßlich der Verleihung des Praemium Erasmianum am 25. Juni 1971
in Amsterdam, in: Rößler, Almut (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit
Original-Texten des Komponisten, Duisburg 21993, 39-49 [Messiaen, Praemium Erasmianum].
Messiaen, Olivier, Technik meiner musikalischen Sprache. Übers. von Sieglinde Ahrens, Paris
1966 [Messiaen, Technik].
Messiaen, Olivier, Technique de mon langage musicale, Paris 1944.
Messiaen, Olivier, Traité de rythme, de couleur et d’ornithologie, Paris 1949-1992 [Messiaen,
Traité].
Messiaen, Olivier, Vorwort zum Quatuor pour la fin du temps. Übers. von Reinhard Lüthje, in:
Beiheft zur CD (Messiaen, Olivier, Quatuor pour la fin du temps. Interpr. durch Gil Shaham /
Paul Meyer / Jian Wang / Myung-Whun Chung, Hamburg 2000) 8-13.
Pinzauti, Leonardo, Gespräch mit Olivier Messiaen, in: Melos 39/5 (1972), 270-273 [Pinzauti,
Gespräch].
Rodriguez, Pablo-L., Einführung. Übers. von Guadalupe Luceno, in: Beiheft zur CD (Quarenta
horas. Joyful and spectacular Spanish music from 18th century Madrid. Interpr. durch Al Ayre
Espanol unter Leitung von Eduardo Lopez Banzo, Arsenal von Metz 1998) 13-18.
110
Rößler, Almut, Öffentliche Diskussion mit Olivier Messiaen am 7. Dezember 1968 im Bach Saal
der Johanneskirche während des ersten Düsseldorfer Messiaen-Festes zu seinem 60. Geburtstag,
in: dies. (Hg.), Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des
Komponisten, Duisburg 21993, 27-38 [Rößler, Diskussion am 7. Dezember 1986].
Rößler, Almut, Gespräch mit Olivier Messiaen am 23. April 1979 in Paris, in: dies. (Hg.),
Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg
2
1993, 71-125 [Rößler, Gespräch am 23. April 1979].
Rößler, Almut, Gespräch mit Olivier Messiaen am 16. Dezember 1983 in Paris, in: dies. (Hg.),
Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Komponisten, Duisburg
2
1993, 126-154 [Rößler, Gespräch am 16. Dezember 1983].
Samuel, Claude, Entretiens avec Messiaen, Paris 1967 [Samuel, Entretiens].
Samuel, Claude, Musique et couleur. Nouveaux entretiens, Paris 1986 [Samuel, Musique et
couleur].
Samuel, Claude, Nouveaux Entretiens – Neue Gespräche, in: Schlee, Thomas Daniel / Kämper,
Dietrich (Hg.), Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und
Werk des französischen Komponisten, Köln 1998, 37-48 [Samuel, Neue Gespräche].
3. Kirchliche Dokumente und liturgische Ausgaben
Allgemeine
Einführung
ins
römische
Messbuch,
in:
Sekretariat
der
Deutschen
Bischofskonferenz (Hg.), Die Meßfeier. Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis
(Arbeitshilfen 77) Bonn 102004, 7-89.
Denzinger, Heinrich / Hünermann, Peter (Hg.) unter Mitarbeit von Helmut Hoping,
Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg i.Br. u.a.
41
2007 [DH].
Deutsche
Bischofskonferenz
(Hg.),
Katholischer
Erwachsenenkatechismus.
Das
Glaubensbekenntnis der Kirche, Kevelaer u.a. 41989.
111
Die Feier der heiligen Messe. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes.
Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Kleinausgabe. Hg. i. A. der
Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von
Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg i.Br. u.a. 21988 [Messbuch].
Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Ausgabe für das Erzbistum Freiburg mit dem
gemeinsamen Eigenteil für die Diözesen Freiburg und Rottenburg. Hg. von den Bischöfen
Deutschlands, Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg i. Br. 1975
[GL].
Graduale Sacrosanctae Romanae Ecclesiae de tempore et de sanctis. Pii X. pontificis maximi
iussu restitutm et editum ad exemplar editionis typicae concinnatum et rhythmicis signis a
solesmensibus monachis diligenter ornatum, Paris u.a. 1956 [Graduale Romanum].
Johannes Paul II., Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit
Sachverzeichnis. Hg. i. A. der Deutschen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz,
der Erzbischöfe von Luxemburg und von Straßburg sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von
Lüttich und von Metz, Kevelaer 52001 [CIC].
Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur
Kirche (VApS 159) Bonn 22003 [Johannes Paul II, Ecclesia de Eucharistia].
Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mane nobiscum domine zum Jahr der Eucharistie
Oktober 2004 bis Oktober 2005 (VApS 167) Bonn 2004 [Johannes Paul II., Mane nobiscum
domine].
Leo XIII., Enzyklika Mirae caritatis, in: Leonis XIII Acta 22 (1903) 115-136.
Paul VI., Ansprache an die italienischen Künstler im Rahmen der „Messa dell’Artista“ in der
Sixtinischen Kapelle am 7. Mai 1964, in: AAS 56 (1964) 438-444.
Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei über die Lehre und den Kult der heiligen Eucharistie, in:
AAS 57 (1965) 753-774.
Pius XII., Enzyklika Mediator Dei, in: AAS 39 (1947) 521-595.
112
Pius XII., L’essenza della vera arte, in: Discorsi e Radiomessaggi di S.S. Pio XII 14, Vaticano
1953, 47-51.
Liturgische
Kommission
im
Erzbistum
Bamberg.
Referat
Liturgische
Bildung
im
Erzbischöflichen Ordinariat (Hg.), Geheimnis seiner Gegenwart – eucharistische Betstunden
(Gottes-Dienst – Menschen-Antwort. Anregungen zum liturgischen Feiern 3) Bamberg 1999.
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Sakramentenpastoral im Wandel.
Überlegungen zur gegenwärtigen Praxis der Feier der Sakramente – am Beispiel von Taufe,
Erstkommunion und Firmung (Die deutschen Bischöfe. Pastoral-Kommission 12) Bonn 31996
[Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sakramentenpastoral im Wandel].
4. Quellentexte
Augustinus, Aurelius, In Joannis Evangelium tractatus, in: ders., Opera omnia (PL 35) Paris
1861, 1379-1975.
Augustinus, Aurelius, Confessionum Libri XIII (CChrSL 27) Turnhout 1981.
Augustinus, Aurelius, Confessiones. Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Eingeleitet, übers.
und erläutert von Joseph Bernhard, München 1955.
Caterina von Siena, Gespräch von Gottes Vorsehung. Eingeleitet von Eleonore von Seckendorff
und Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 31964, 144-145.
Hello, Ernest, Paroles de Dieu, Paris 1877.
Marmion, Dom Columba, Le Christ dans ses Mystères, Paris / Lille / Lyon 91922.
Marmion, Dom Columba, Le Christ, Vie de l’âme, Paris / Lille / Lyon 131921.
Marmion, Dom Columba, Christus in seinen Geheimnissen. Übers. von M. Benedicta v. Spiegel,
Paderborn 1931 [Marmion, Christus].
Seuse, Heinrich, Das Büchlein der ewigen Weisheit. Übertragen und eingeleitet von Oda
Schneider, Stein am Rhein 21987.
113
Stein, Edith, Verborgenes Leben. Hagiographische Essays – Meditationen – geistliche Texte
(ESW 11) Freiburg i.Br. u.a. 1987.
Teresa von Avila, Weg der Vollkommenheit. Hg., übers. u. eingeleitet von Ulrich Dobhan
(Gesammelte Werke 2) Freiburg i.Br. u.a. 32007.
Thomas von Aquin, Das Geheimnis der Eucharistie (DThA 30) Salzburg / Leipzig 1938.
Thomas von Aquin, Die Sakramente. Taufe und Firmung (DThA 29) Salzburg / Leipzig 1935.
Thomas von Kempen, Die Nachfolge Christi. Vier Bücher. Übers. und hg. von Wendelin Meyer
OFM, neu durchgesehen von Lothar Hardick OFM, Kevelaer 21990 [Thomas von Kempen,
Nachfolge Christi].
5. Sekundärliteratur
Ahrens, Sieglinde / Möller, Hans-Dieter / Rößler, Almut, Das Orgelwerk Messiaens, Duisburg
1976.
Bleistein, Roman, Mystagogie und Religionspädagogik, in: Vorgrimler, Herbert (Hg.), Wagnis
Theologie. Erfahrungen mit der Theologie Karl Rahners, Freiburg i.Br. 1979, 51-60 [Bleistein,
Mystagogie].
Bretschneider, Wolfgang, „Le Plaint-Chant – source de toute notre musique occidentale“. Der
Cantus Gregorianus bei Olivier Messiaen, in: Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas
Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen
zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 139-154.
Busch, Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von
der Messe de la Pentecôte bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn
2008.
Choe-Thomas, Chong-Hui, Eine Kunst des modernen Europas? – Vom „Vogelhändler von
Paris“ zur „Jahrhundertfigur“, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich (Hg.), Olivier Messiaen.
La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen
Komponisten, Köln 1998, 49-61 [Choe-Thomas, Kunst Europas].
114
Dijk, Rudolf van, Imitatio Christi, in: LThK3 5, 428-429.
Döring, Alois, Eucharistie. X. Eucharistische Frömmigkeit, in: LThK3 3, 965-966.
Emeis, Dieter, Eucharistie. VII. Praktisch-theologisch, in: LThK3 3, 957.
Emeis, Dieter, Sakramentenkatechese, Freiburg i.Br. 1991 [Emeis, Sakramentenkatechese].
Ernst, Karin, Der Beitrag Olivier Messiaens zur Orgelmusik des 20. Jahrhunderts, Freiburg i.Br.
1980 [Ernst, Beitrag].
Fischer, Balthasar, Anima Christi sanctifica me, in: LThK3 1, 679-680.
Fischer, Klaus, Der Mensch als Geheimnis. Die Anthropologie Karl Rahners. Mit einem Brief
von Karl Rahner (ÖF.S 5) Freiburg i.Br. u.a. 1974.
Grotjahn, Rebecca, Meditationen, Geheimnisse, Zufälle: Messiaens Konzept der Langage
communicable, in: Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.)
im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis.
Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 107-120.
Halbreich, Harry, L’œvre d’Olivier Messiaen, Paris 2008 [Halbreich, L’œvre].
Harnoncourt, Nikolaus, Die Macht der Musik. Zwei Reden, Salzburg / Wien 1993.
Hartig, Michael, Eucharistia. Deutsche eucharistische Kunst. Offizielle Ausstellung zum
Eucharistischen Weltkongreß München 1960, München 21960.
Hastetter, Michaela Christine, „Horch! Mein Geliebter!“ Die Wiederentdeckung der geistlichen
Schriftauslegung in den Hoheliedvertonungen des 20. Jahrhunderts (MThS.S 69) St. Ottilien
2006 [Hastetter, Hoheliedvertonungen].
Hastetter, Michaela Christine, Klingende Relecture niederländischer Mystik. Jan van Ruusbroecs
Einfluss auf den X. Satz der „Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus“ von Olivier Messiaen, in: ThPh
83 (2008) 93-106 [Hastetter, Klingende Relecture].
115
Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze, Musik des
Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von Theologie
und Musik, St. Ottilien 2008 [Hastetter, Musik des Unsichtbaren].
Heinemann, Michael, Die Einführungstexte Messiaens. Livre du Saint Sacrement, in: Busch,
Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der
Messe de la Pentecôte bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008,
231-243.
Heinemann, Michael, Der Komponist als Theologe. Zu Messiaens Musikotheologie, in: ders.
(Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 1: Von Le Banquet céleste bis Les Corps glorieux
(Studien zur Orgelmusik 2) St. Augustin 2008, 23-32.
Heinemann, Michael, Livre du Saint Sacrement, in: Busch, Hermann J. / Heinemann, Michael
(Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von der Messe de la Pentecôte bis zum Livre
du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn 2008, 153-184.
Heinz, Andreas, Adoro te devote, in: LThK3 1, 169.
Heinz, Andreas, Kommuniongebete, in: LThK3 6, 221-222.
Heinz, Andreas, Lauda Sion, in: LThK3 6, 680-681.
Herbst, Wolfgang, Musik in der Kirche, in: MGG 6, 715-727.
Hill, Peter / Simeone, Nigel, Messiaen, Mainz 2007.
Hohlfeld-Ufer, Ingrid, Die musikalische Sprache Olivier Messiaens dargestellt an dem
Orgelzyklus „Die Pfingstmesse“ – Rößler, Almut, Zur Interpretation der Orgelwerke Messiaens,
Duisburg 1978.
Ide, Pascal, Les sources théologiques d’Olivier Messiaen, in: Wassermann Beirăo, Christine /
Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste.
Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 85-106.
116
Jungmann, Josef Anton, Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe.
2. Opfermesse, Freiburg / Basel / Wien 51962 [Jungmann MS].
Kappner, Gerhard, Sakrament und Musik. Zur liturgischen und musikalischen Gestaltung des
Spendeaktes, Gütersloh 1952 [Kappner, Sakrament und Musik].
Kars, Jean-Rodolphe, Das Werk Olivier Messiaens und die katholische Liturgie, in: Schlee,
Thomas D. / Kämper, Dietrich (Hg.), Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische
Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten, Köln 1998, 12-20 [Kars,
Liturgie].
Kars, Jean-Rodolphe, Olivier Messiaen – ein Musiker der Freude, in: IKaZ 33 (2004) 359-373
[Kars, Freude].
Keim, Stefan, „La musique de l’invisible“ – Zur musikalischen und szenischen Evokation des
Übernatürlichen in Olivier Messiaens Saint François d’Assise, in: Wassermann Beirăo, Christine
/ Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der Guardini-Stiftung, La Cité céleste.
Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer Symposienreihe, Berlin 2006, 121-138.
Klöckner, Stefan, Elévation, in: LThK3 3, 568-569.
Kudielka, Robert, Der Klang Violett. Zur Bedeutung der Farbe in der Musik Olivier Messiaens,
in: Wassermann Beirăo, Christine / Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der
Guardini-Stiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer
Symposienreihe, Berlin 2006, 13-23.
Kurzschenkel, Winfried, Die theologische Bestimmung der Musik. Neuere Beiträge zur Deutung
und Wertung des Musizierens im christlichen Leben, Trier 1971 [Kurzschenkel, Theologische
Bestimmung].
Latry, Olivier / Mallié, Loïc, L’œuvre d’orgue d’Olivier Messiaen. Œuvres d’avant-guerre,
Stuttgart 2008 [Latry / Mallié, L’œuvre d’orgue].
117
Meischein, Burkhard, Tradition und Meditation. Messiaens Wege zur Orgel, in: Heinemann,
Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 1: Von Le Banquet céleste bis Les Corps
glorieux (Studien zur Orgelmusik 2) St. Augustin 2008, 11-22.
Meyer, Hans Bernhard, Eucharistie. IX. Eucharistieverehrung, in: LThK3 3, 964-965.
Michaely, Aloyse, Der Gang zum Vater. Die Auferstehungssätze in Messiaens Livre du Saint
Sacrement, in: Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze, Musik
des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von Theologie
und Musik, St. Ottilien 2008, 156-183 [Michaely, Auferstehungssätze].
Michaely, Aloyse, Die Musik Olivier Messiaens. Untersuchungen zu seinem Gesamtschaffen
(HBMW Sonderband) Hamburg 1987 [Michaely, Gesamtschaffen].
Michaely, Aloyse, Messiaens Saint François d’Assise. Die musikalisch-theologische Summe
eines Lebenswerks (Querstand 1/2) Frankfurt a.M. / Basel 2006 [Michaely, Saint François
d’Assise].
Michaely, Aloyse, Verbum Caro. Die Darstellung des Mysteriums der Inkarnation in Olivier
Messiaens Vingt Regards sur l’Enfant-Jesus, in: Floros, Constantin / Marx, Hans Joachim /
Petersen, Peter (Hg.): Programmusik. Studien zu Begriff und Geschichte einer umstrittenen
Gattung (Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 6) Laaber 1983, 225-345 [Michaely,
Verbum Caro].
Michels, Ulrich, Dtv-Atlas Musik. Systematischer Teil. Musikgeschichte von den Anfängen bis
zur Gegenwart, München 2008.
Milsom, John, Organ Music I, in: Hill, Peter (Hg.), The Messiaen Companion, London / Boston
1995, 51-71.
Motte-Haber, Helga de la, Zur „theologischen“ Musik Olivier Messiaens, in: Wassermann
Beirăo, Christine / Schlee, Thomas Daniel / Budde, Elmar (Hg.) im Auftrag der GuardiniStiftung, La Cité céleste. Olivier Messiaen zum Gedächtnis. Dokumentation einer
Symposienreihe, Berlin 2006, 63-69 [Motte-Haber, Theologische Musik].
118
Ohly, Christoph, Musik und Recht – eine Verhältnisbestimmung mit Blick auf Person und Werk
von Olivier Messiaen, in: Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von Christian
Lenze, Musik des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt
von Theologie und Musik, St. Ottilien 2008, 221-232.
Piqué i Collado, Jordi A., Livre du Saint Sacrement. Eucharistie als Manifestation von Erfahrung
und Transzendenz, in: Hastetter, Michaela Christine (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze,
Musik des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von
Theologie und Musik, St. Ottilien 2008, 104-125 [Piqué i Collado, Livre].
Rahner, Karl, Erfahrung des Geistes, Freiburg i.Br. u.a. 31981.
Rahner, Karl, Die Notwendigkeit einer neuen Mystagogie, in: HPTh 2/1, 269-271 [Rahner,
Mystagogie].
Rahner, Karl, Sämtliche Werke. Hg. von der Karl-Rahner-Stiftung unter Leitung von Karl
Lehmann, Freiburg u.a. 1995-2009 [Rahner, SW].
Ratzinger, Josef, Musik und Liturgie, in: ders., Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg
i.Br. 2006 (Sonderausgabe), 117-134.
Rostand, Claude, Messiaen erneuert die französische Musik, in: Melos 25 (1958) 393-396.
Samuel, Claude, Olivier Messiaen – Eine Würdigung, in: Schlee, Thomas D. / Kämper, Dietrich
(Hg.), Olivier Messiaen. La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des
französischen Komponisten, Köln 1998, 8-11 [Samuel, Würdigung].
Schlager, Karlheinz, Litanei, in: MGG 5 Sachteil, 1364-1373.
Schlee, Thomas Daniel, Olivier Messiaen – Musiker der Verkündigung, in: StZ 220 (2002) 723766 [Schlee, Verkündigung].
Schwillinsky, Paulus, Anleitung zum Erstbeicht-, Erstkommunion- und Firumungsunterricht in
ausführlichen Katechesen, nebst zehn Kommunion-Anreden und -Gebeten, neu bearbeitet von P.
Engelbert Gill OSB, Graz 21905.
119
Söhngen, Oskar, Theologie der Musik, Kassel 1967.
Steinmetz, Karl-Heinz, Eucharistische Musik. Oder: Wie vertont man ein Sakrament?, in:
Schlosser, Marianne (Hg.), Eucharistie – Quelle und Höhepunkt des geistlichen Lebens (Edition
Cardo 131) Köln 2005.
Voderholzer, Rudolf, „Herrlichkeit“. Ästhetische Parallelen zwischen dem theologischen Werk
Hans Urs von Balthasars und der Musik Olivier Messiaens, in: Hastetter, Michaela Christine
(Hg.) unter Mitarbeit von Christian Lenze, Musik des Unsichtbaren. Der Komponist Olivier
Messiaen (1908-1992) am Schnittpunkt von Theologie und Musik, St. Ottilien 2008, 187-205.
Wallau, René Heinrich, Die Musik in ihrer Gottesbeziehung. Zur theologischen Bedeutung der
Musik, Gütersloh 1948.
Waumsley, Stuart, The organ music of Olivier Messiaen, Paris 1975.
Weir, Gillian, Organ Music II, in: Hill, Peter (Hg.), The Messiaen Companion, London / Boston
1995, 352-391.
Weismayer, Josef, Eucharistische Frömmigkeit im Wandel der Zeit, in: Schlosser, Marianne
(Hg.), Eucharistie – Quelle und Höhepunkt des geistlichen Lebens (Edition Cardo 131) Köln
2005, 9-40 [Weismayer, Eucharistische Frömmigkeit].
Weissgerber, Lydia, Messiaens Langage communicable und die musikalische Grammatik der
Identität. Beobachtungen zum 1. Satz der Méditations sur le Mystère de la Sainte Trinité, in:
Busch, Hermann J. / Heinemann, Michael (Hg.), Zur Orgelmusik Olivier Messiaens. Teil 2: Von
der Messe de la Pentecôte bis zum Livre du Saint Sacrement (Studien zur Orgelmusik 3) Bonn
2008, 20-53.
Wielockx, Robert, Poetry and Theology in the Adoro te devote. Thomas Aquinas on the Euchrist
and Christ’s Uniqueness, in: Emery, Kent (Hg.), Christ among the medieval Dominicans, Notre
Dame 1998.
Windisch, Hubert, Minima Pastoralia. Orientierungshilfen für die Seelsorge, Würzburg 2001
[Windisch, Minima Pastoralia].
120
6. Internetquellen
http://www.schottenstift.at/Berichte_ab_2008/20080222_Dialogues_Mystques_2008/uebersicht.
htm [9.4.09].
121
7 Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufbau des Livre du Saint Sacrement.
Abbildung 2: Aufbau des Satzes „Prière avant la communion“.
Abbildung 3: „Prière avant la communion“, „Alleluia de la Dédicace“ (Messiaen, Livre, 113).
Abbildung 4: „Prière avant la communion“, Sequenz „Lauda Sion“ (Messiaen, Livre, 115).
Abbildung 5: „Prière avant la communion“, „Graduel de l’Epiphanie“ (Messiaen, Livre, 116).
Abbildung 6: „Prière avant la communion“, Takte 2-3 (Messiaen, Livre, 113).
Abbildung 7: „Prière avant la communion“, Takte 4-5 (Messiane, Livre, 113).
Abbildung 8: „Prière avant la communion“, Takte 19-21 (Messiaen, Livre, 117).
Abbildung 9: Alleluia Dedicationis Ecclesiae (Graduale Romanum, [73]).
Abbildung 10: Graduale in Epiphania Domini (Graduale Romanum, 58).
Abbildung 11: „L’Apparition du Christ ressuscité à Marie-Madeleine“ (Messiaen, Livre, 68).
Abbildung 12: Aufbau und Gehalt des „Gebetes vor der Kommunion“.
Abbildung 13: Aufbau des Satzes „Prière après la communion“.
Abbildung 14: „Prière après la communion“, Takte 1-2 (Messiaen, Livre, 135).
Abbildung 15: „Prière après la communion“, Takte 9-11 (Messiaen, Livre, 135-136).
Abbildung 16: „Prière après la communion“, Takte 51-55 (Messiaen, Livre, 141).
Abbildung 17: „Première communion de la Vierge“, Takte 1-2 (Messiaen, Vingt Regards, 77).
Abbildung 18: „Prière après la communion“, Takte 48-50 (Messiaen, Livre, 140).
Abbildung 19: „L’Apparition du Christ ressuscité à Marie-Madeleine“ (Messiaen, Livre, 74).
122
Alphabetisches Verzeichnis der in dieser Arbeit erwähnten Werke Messiaens
[Le Banquet eucharistique, pour orchestre (1928).]
Le Banquet céleste pour orgue (1928).
Catalogue d’oiseaux pour piano (1956-1958).
Hymne (au Saint-Sacrement) pour grand orchestre (1932).
Livre d’orgue pour orgue (1951).
Livre du Saint Sacrement pour orgue (1984).
Méditations sur le mystère de la Sainte Trinité pour orgue (1969).
Messe de la Pentecôte pour orgue (1950).
La Nativité du Seigneur. Neuf méditations pour orgue (1935).
O sacrum convivium. Motet pour le Saint-Sacrement, pour chœur à quatre voix mixtes (1937).
Offrande au Saint Sacrement pour orgue (1930).
Les Offrandes oubliées. Méditation symphonique pour orchestre (1930).
Oiseaux exotiques pour piano solo, glockenspiel, xyolophone, cinq percussions et petit orchestre
à vents (1956).
Petites esquisses d’oiseaux pour piano (1985).
Poèmes pour Mi pour grand soprano dramatique et piano (1936).
Poèmes pour Mi pour grand soprano dramatique et orchestre (1937).
Préludes pour piano (1928).
Quatre études de rythme pour piano (1949-1950).
Quatuor pour la fin du temps pour violon, clarinette, violoncelle et piano (1941).
Réveil des oiseaux pour piano solo et orchestre (1953).
Saint François d’Assise. Scène franciscaines en trois actes et huit tableaux (1975-1983).
Trois petites liturgies de la présence divine pour piano solo, ondes Martenot, célesta, vibraphone,
percussion, chœur de femmes et orchestre à cordes (1944).
Turangalîla-Symphonie pour piano, ondes Martenot et grand orchestre (1946-1948).
Un Vitrail et des oiseaux pour piano et petit orchestre (1988).
Verset pour la fête de la Dédicace pour orgue (1960).
Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus pour piano (1944).
Visions de l’Amen pour deux pianos (1943).
123
Akkordfarben des „Prière après la communion“
Takt
Akkord
Farbkomplex
1-4:
Refrain
E7 – A
Rot-Orange – Blau.
5-6
da (fis)
Oberer Bereich: Bergkristall und Zitrin
Unterer Bereich: Farbe Kupfer mit Spiegelungen von
schimmerndem Gold;
Breites Tuch von blauem Saphir, umgeben von weniger
starken Blautönen (Flussspat-blau, klares Blau von Chartres)
und umgeben von Violett.
Gelb, Violett Mauve, Bleigrau;
Bläuliches Grün, Violett, Bleigrau.
da (h), 1. UK
7-8
rc über d-e
9-10
11
Debussy-Akkorde
E7
Rot-Orange.
12-15:
Refrain
16-17
E7 – A
Rot-Orange – Blau.
da (gis)
Facettierter Kristall: Gelb, Mauve, blasses Blau, blasses
Grün, Rosa, Bernstein abfallend nach Weiß – mit etwas Gold
herum;
Muster in weißen und goldenen Spiralen, im Hintergrund
rotes Karmesin und braunes Leder.
Bänder rot, Kieselgrau, und blasses Grün;
Orange, mit eklatanten Klecksen von Gelb, Rot und warmem
Braun.
Durchsichtige Säulen, Farbe „Amber“ (Gelb und klares
Kastanienbraun); Maserungen von Violett und Schokoladenbraun, mit ein paar Klecksen von blassem Blau.
da (fis), 1. UK
18-19
da (c), 1. UK
da (a), 2. UK
22-23
rc’ über as-b
30-33:
Fis7
„Refrain“ (tonales Zentrum)
34-35 vgl. da (gis)
16-17
da (fis), 1. UK
36-37
rc über a-h
51 vgl.
7-8
52
rc über d-e
da (es)
da (des), 1. UK
Funkeln aller möglicher Farben.
Facettierter Kristall: Gelb, Mauve, blasses Blau, blasses
Grün, Rosa, Bernstein abfallend nach Weiß – mit etwas Gold
herum;
Muster in weißen und goldenen Spiralen, im Hintergrund
rotes Karmesin und braunes Leder.
Rosa mauve Rubellit, Grau Mauve, Haut von Pfirsich,
Kobaltblau;
Flussspat-blau, violetter Amethyst, grau bläulich steinig.
Gelb, Violett Mauve, Bleigrau;
Bläuliches Grün, Violett, Bleigrau.
Mauve Glockenblumen auf weißen und klar grauen
Schleiern;
Kristalle: verbrannte Erde, violetter Amethyst, klares Preußischblau, warmes kastanienbraun und rötlich – mit goldenen
Sternen.
124
125
126
127
128
8
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Michaela C. Hastetter, die mich mit ihren fundierten
Kenntnissen zu Messiaen äußerst kompetent betreut und den Entstehungsprozess der Arbeit
durch zahlreiche Gespräche und wertvolle Anregungen begleitet hat. Danken möchte ich ebenso
Herrn Prof. Dr. Hubert Windisch, der diese Arbeit am Arbeitsbereich Pastoraltheologie
ermöglich, unterstützt und mitbetreut hat.
Als eine wegweisende Begegnung möchte ich ein Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Thomas Daniel
Schlee in Wien hervorheben, der mir als einer der ersten Interpreten des Livre du Saint
Sacrement wesentliche Hinweise zum Verständnis dieses Werkes und der Musiksprache
Messiaens gegeben hat. Nicht zuletzt möchte ich Pater Prof. DDr. Georg Braulik OSB dafür
danken, dass ich seinen im Rahmen der Konzertreihe „Dialogues Mystiques“ verfassten
Einführungungstext zum Livre du Saint Sacrement in meiner Arbeit aufgreifen und
veröffentlichen durfte.
129
Herunterladen