Das Journal der Staatsoper Hannover seitenbühne 04 . 05 seitenbühne . Dezember 2014 bis Januar 2015 PROSZENIUM DIPLOMATIE NACH REZEPT Wird ein Repetitor nach seinem Beruf gefragt, gerät er unwillkürlich in Erklärungsnot. Er ist eben nicht »Pianist an der Oper«, sondern muss neben Dirigat, Soufflage und einfühlsamer Sängerberatung auch noch einige weitere Tätigkeitsfelder abdecken. Überspitzt formuliert, könnte man ihn als eine Mischung aus Diplomat und Küchengehilfe bezeichnen … Hauptaufgabe eines Repetitors ist es zunächst, mit den Sängern die Partien sprachlich und musikalisch zu erarbeiten. Er sucht dabei nach einem Weg, ihnen in der fremden oder auch der eigenen Sprache Inhalte und Emotionen möglichst so nahezubringen, dass Regisseure und Dirigenten ihre szenischen wie musikalischen Vorstellungen bereits bei einem ersten Treffen abrufen können. Eine vorbereitende Tätigkeit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Ich frage mich oft selbst, wie wir uns die zahlreichen Opern aus den unterschiedlichen Epochen zumeist unter Zeitdruck am Klavier aneignen. In den Bühnenorchesterproben sorgen wir dann für die Kommunikation zwischen Sängern und Dirigenten, stets darum bemüht, Fragen des Tempos, der Phrasierung oder Lautstärke zu klären. Oft müssen wir bei den Proben auch als Sänger oder Dirigent einspringen – etwa im Krankheitsfall – und dies natürlich immer im Sinne der Abwesenden. Ein persönlicher Gestaltungswille oder ein eigenes künstlerisches Empfinden scheinen da auf den ersten Blick nicht angebracht. Und doch ist auch ein Repetitor nicht immun gegen die Kraft der musikalischen Suggestion, gegen sein eigenes musikalisches Empfinden. Die Kunst besteht nun darin, die musikalischen Ideen des Dirigenten wie das Rezept eines Sterne­kochs möglichst genau umzusetzen. Mancher Dirigent möchte Mozart »medium rare«, während der Repetitor ihn vielleicht eher saftig spielt. Zuweilen geschieht es sogar, dass eine ursprünglich nicht im »Rezeptbuch« stehende musikalische Idee umgesetzt wird – für den Repetitor eine heimliche Anerkennung. Dem Anforderungsprofil des Studienleiters, der für die Organisation der musikalischen Einzelproben und die Einstudierung der Partien verantwortlich ist, ist dann nur noch die Rolle der »bösen Stiefmutter« in einer Großfamilie hinzuzufügen … Alexander Ruef Studienleiter 02.03 O FOYER 5 1 0 2 L L A B N R PE T H C A N E N I E TAUSENDUND szewski Fotografen Marek Kru Impressionen unseres FOYER Wir danken unseren Hauptsponsoren 04.05 OPER KLAUS ANGERMANN CHACUN À SON GOÛT Martin G. Berger inszeniert Johann Strauß’ Operette Die Fledermaus Die Wiener Operette, die Siegfried Kracauer als »schlechtes bürgerliches Zerrbild der Operette Offenbachs« bezeichnete, »das Heiterkeit mit Gemütlichkeit, Unsinn mit Stumpfsinn und Witz mit Gealber verwechselte«, und die Hermann Broch als einen zynischen, »zur puren Idiotie verflachten Abklatsch der komischen Oper« kritisierte, entwickelte sich just zu einer Zeit, als der Stern des immer noch recht wohlhabenden Habsburgerreiches schon im Sinken begriffen war. 1866 hatte Österreich bei Königgrätz eine demütigende Niederlage gegen die Preußen erlitten, und als man sich schon wieder im Aufwind der »Gründerjahre« wähnte, kam 1873 – nur kurze Zeit nach der großen Weltausstellung in Wien – der überraschende Börsenkrach des »Schwarzen Freitag«, der eine jahrelange Wirtschaftskrise einleitete. Das scheinbar feste Fundament hatte sich als morsch entpuppt; für viele verschwand der Reichtum ebenso schnell wie er gekommen war. Kredit hatte nur der, der überzeugend vorschwindeln konnte, kreditwürdig zu sein. Und dies funktionierte am besten bei gesellschaftlichen Anlässen, wo in erster Linie der äußere Schein zählte. Wen interessierte es dabei schon, ob das Geld, mit dem jemand um sich warf, dessen Wohlstand oder dessen Schuldenberg anzeigte. In Wien, wie auch in Paris, hatte die Vergnügungsindustrie schon in den vorausgegangenen Jahrzehnten einen regelrechten Boom erlebt. Man amüsierte sich auf Bällen und Tanzveranstaltungen, wo seit geraumer Zeit die Strauß-Dynastie das Szepter führte. Zusammen mit seinen Brüdern hatte Johann Strauß ein Imperium aufgebaut, das in der Welt seinesgleichen suchte. Der »Ratten­ fänger von Wien« entzückte das zu einigem Wohlstand gekommene Bürgertum der Großstadt mit immer neuen Polkas, Märschen, Galopps und vor allem Walzern, die ihm Weltruhm einbrachten. Durchschnittlich entstand monatlich ein neues Werk, und der Wiener Walzer Strauß’scher Prägung wurde zum Inbegriff nicht nur der Donaumetropole, sondern einer ganzen Epoche, die einen Tanz über die Abgründe der sich abzeichnenden Krisen vollführte. Zu gleicher Zeit regierte in Paris ein Komponist deutscher Herkunft, der einen neuen Typus des musikalischen Unter- haltungstheaters geschaffen hatte und damit auch jenseits der Grenzen Frankreichs für Aufsehen sorgte: Jacques Offenbach mit seinen aggressiv-respektlosen Gesellschaftssatiren, die schon bald als »Offenbachiaden« bezeichnet wurden und in den 1860er Jahren, insbesondere durch den Einfluss Johann Nestroys, auch die Spielpläne der Wiener Vorstadttheater beherrschten. Offenbachs »opéras bouffes« verschmolzen auf parodistische Weise Elemente des Singspiels mit denen der großen Oper und begründeten damit im Grunde erst die Gattung der Operette. 1865 war im Theater an der Wien mit großem Erfolg Offenbachs Schöne Helena gespielt worden, und nicht zuletzt dieses Ereignis dürfte für Johann Strauß den Anstoß gegeben haben, auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere auch noch den Weg zu einer spezifischen Wiener Operette einzuschlagen. Als durch den deutsch-französischen Krieg Offenbach die Gunst des Wiener Publikums zunehmend verlor, war die Zeit reif. Schon Strauß’ erster Wurf auf diesem neuen Terrain, Indigo und die vierzig Räuber, wurde 1871 zu einem ansehnlichen Erfolg, was allerdings eher dem schier überquellenden musikalischen Reichtum zuzuschreiben war als dem etwas konfusen Libretto. Zwei Jahre später rückte Strauß mit Carneval in Rom von Offenbach ab und OPER knüpfte an die Spieloper Otto Nicolais an. Beide Werke konnten sich jedoch auf Dauer nicht im Repertoire halten und waren zumal von der erfrischenden Schärfe der Offenbachiaden weit entfernt. Erst mit der Fledermaus gelang Strauß ein nachhaltiger Erfolg, der den Weltruhm der Wiener Operette begründete, zugleich aber deren auch von Strauß nie wieder erreichten Höhepunkt darstellt. Um seine Melodien vor Diebstahl zu schützen, soll sich Strauß während der Arbeit an der Fledermaus extra ein speziell gedämpftes Klavier anfertigen lassen haben, denn bei der Popularität seiner Musik soll es schon vorgekommen sein, dass irgendein Lauscher eine Melodie aufgeschnappt hatte, noch bevor sie veröffentlicht war, die dann am nächsten Tag auf der Straße gepfiffen wurde. Vermutlich entstand das Werk Ende 1873 in relativ wenigen Wochen, wenn auch Teile davon, wie der berühmte Csárdás im 2. Akt, schon etliche Zeit vorher komponiert waren. Jedenfalls arbeitete Strauß bis kurz vor der Uraufführung am 5. April 1874 daran, weil ihm von der Zensur­behörde zahlreiche Auflagen gemacht worden waren und er nicht nur an den Dialogen, sondern auch an einigen Couplets starke Änderungen vornehmen musste. Das erhaltene Zensurbuch der Urfassung enthält daher auch sehr viel bissigere Dialoge und spielt in den Couplets zuweilen auf tagesaktuelle Ereignisse an. Für seine neue Operette griff Strauß das Sujet eines Vaudevilles Le Réveillon der Offenbach-Autoren Henri Meilhac und Ludovic Halévy auf, das wenige Jahre vorher in Paris einen Riesenerfolg hatte und nun für eine deutsche Aufführung am Wiener Carl-Theater übersetzt wurde. Da diese Fassung sich aber als nicht aufführbar erwies, wurde Richard Genée beauftragt, daraus ein Libretto für Strauß zu machen. Der umtriebige Genée war selbst Komponist und Kapellmeis­ter am Theater an der Wien und hatte dort als Bearbeiter, Übersetzer und Librettist eine Funktion, die man heute als Dramaturg bezeichnen würde. Im Gegensatz zu Strauß war er ein Theaterprofi, der den Komponisten nicht nur dramaturgisch unterstützte, sondern auch die Ausarbeitung eines Teils der Musik übernahm. Über den musikalischen Anteil Genées wurde immer wieder spekuliert, zumal ihm Strauß 25 Prozent der Tantiemen an der Fledermaus einräumte, was immerhin ungewöhnlich war, da Genée normalerweise einen Fixbetrag erhielt. Der Streit darüber, ob nun jede Note von Strauß stammt, ist allerdings müßig angesichts der Tatsache, dass das »Teamwork« von jeher die Arbeitsweise der Strauß-Dynastie prägte. Im allgemeinen lieferte Strauß die melodischen Einfälle, Genée fertigte ein Particell an und übergab dieses Strauß zur Endredaktion. Letztlich sind solche Fragen auch gar nicht so wesentlich angesichts des Ergebnisses, und dass ohne Strauß’ Genialität die Fledermaus so nicht zustande gekommen wäre, zeigt sich schon daran, dass Genées eigene Operetten heute vollkommen vergessen sind. Der Siegeszug der Fledermaus begann bereits mit der Uraufführung, die – trotz einiger abfälliger Kritiken – zu einem großen Erfolg für den Komponisten wurde. Im Unterschied zu den vorausgegangenen Operetten wurde das Stück zu einem Dauerbrenner auf den Spielplänen, und auch außerhalb Wiens gehörte die Fledermaus sehr bald zu den beliebtesten Werken des unterhaltenden Musiktheaters und ist dies bis heute geblieben. Ihre unvergleichliche Wirkung beruht wohl darauf, dass das Sujet die gesellschaftliche und psychologische Basis der Musik von Strauß – die Sehnsucht nach einem Zustand von Zeitlosigkeit außerhalb der bürgerlichen Norm, den Ausbruch in den Rausch, das taumelnde Vergessen – thematisiert und zugleich ironisch bricht. Das Thema, das sich durch die ganze Fledermaus zieht, ist die Scheinhaftigkeit einer bürgerlichen Welt, die äußerlich eine gewisse Sicherheit verspricht, der aber jeder heimlich zu entkommen versucht, um Bedürfnisse auszuleben, die nicht der bürgerlichen Norm entsprechen. Alle Figuren sind von dem unausgesprochenen Wunsch 06.07 OPER getrieben, für einige Stunden der Enge ihres Daseins zu entkommen und sich den Wonnen einer Freiheit hinzugeben, die es ihnen erlaubt, einmal das zu sein, was ihnen die gesellschaftliche Rolle verwehrt. Dazu wird ein ganzes Bündel von allzu leicht durchschaubaren Lügen von Anfang an ausgebreitet: Das Dienstmädchen Adele muss die kranke Tante vorschieben, um einen Abend frei zu bekommen. Rosalinde fühlt sich noch immer zu ihrem ehemaligen Lieb­ haber Alfred hingezogen, verschweigt aber dessen Ankunft ihrem Gatten Eisenstein, der seinerseits seine nächtlichen Ausschweifungen als frühzeitigen Aufbruch zu seiner Gefängnisstrafe tarnt. Alfred, der sich auf einen gemütlichen Abend zu zweit freut, wird dem Gefängnisdirektor Frank als Eisenstein selbst untergejubelt und wandert folglich als solcher in die Zelle. Und hinter all den Ver­ wirrungen steckt Dr. Falke als intrigierender Racheengel, der einstmals nach einem Gelage in unwürdigem Zustand von seinem Freund Eisenstein dem Gespött der Öffentlichkeit ausgeliefert wurde. Da trifft sich also die ganze Gesellschaft bei einer Party des Orlofsky, der als merkwürdiges Zwitterwesen in kein bürgerliches Rollen­ klischee passen will. Sein Motto »Chacun à son goût« – wörtlich: jeder nach seinem Geschmack – beschwört die Idee einer Gemeinschaft, in der niemand seine geheimen Neigungen verstecken muss und das zeigen kann, was er jenseits seines geregelten Alltags auch noch ist. Dann aber stellt sich die Frage: Wer bin ich eigentlich? Wir diese Frage ernst genommen, stellt sich heraus, dass man sehr vieles ist und Facetten zum Vorschein kommen, die normalerweise unterdrückt werden. In dem Moment aber wird Orlofskys Versprechen als Bedrohung der eigenen Identität empfunden, vor der man sich in den Rausch flüchtet. Wider besseres Wissen beruhigt man sich in der Katerstimmung des nächsten Tages mit der Behauptung, es sei ja alles gar nicht so gewesen, wie es schien. Die nächtlichen Erlebnisse werden zum harmlosen Mummenschanz erklärt, wo es sich doch eigentlich um eine Demaskierung handelte, und inmitten des allgemeinen Chaos wird der bemühte Versuch unternommen, das Gefängnis der »Normalität« zu restaurieren. MARTIN G. BERGER arbeitet seit der Spielzeit 2011/12 als Regieassistent und Abendspielleiter an der Staatsoper Hannover. Neben Assistenzen bei namhaften Musicalregisseuren wie z. B. Stefan Huber und Matthias Davids und Opernregisseuren wie u. a. Christine Mielitz und Olivier Tambosi realisierte er verschiedene eigene Arbeiten als Regisseur, Autor und Übersetzer. Dazu zählen Regiearbeiten Die Fledermaus ist keine »normale« Operette, und »Stumpfsinn« und »Idiotie« kann man ihr schon gleich gar nicht nachsagen. Denn unter der operettenseligen Oberfläche treibt ein subversiver Witz sein erfrischendes Unwesen, der das Publikum auch über seine eigenen vermeintlichen Sicherheiten lachen lässt. DIE FLEDERMAUS Operette in drei Akten von Johann Strauß (1874) Text von Richard Genée nach der Komödie Le Réveillon (1872) von Henri Meilhac und Ludovic Halévy in der deutschen Bearbeitung von Karl Haffner MUSIK ALISCHE LEITUNG Florian Parbs Philipp Contag-Lada RUNG Benjamin Reiners KOSTÜME Dan Ratiu CHOREOGR APHIE DR AMATURGIE GABRIEL VON EISENSTEIN INSZENIERUNG Susanne Hubrich LICHT Martin G. Berger Peter Hörtner Katrin Helmerichs-Naujok BÜHNE VIDEO-DESIGN CHOREINSTUDIE- Klaus Angermann Robert Künzli ROSALINDE Rebecca Davis/Sara Eterno/Do- rothea Maria Marx FR ANK Frank Schneiders PRINZ ORLOFSK Y Mareike Morr/JulieMarie Sundal ALFRED Sung-Keun Park Hakobjan/Edward Mout Scheumann IDA ADELE DR. FALKE Stefan Adam DR. BLIND Ania Vegry/Athanasia Zöhrer FROSCH Gevorg Steffen Stella Motina Chor der Staatsoper Hannover Niedersächsisches Staatsorchester Hannover EINFÜHRUNGSMATINEE PREMIERE Sonntag, 26.04.15, 11 Uhr, Laves-Foyer Mittwoch, 29.04.15, 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN Fr, 01.05.15, 18.30 Uhr | Sa, 09.05.15, 19.30 Uhr | Do, 14.05.15, 18.30 Uhr | Mo, 25.05.15, 18.30 Uhr Mit freundlicher Unterstützung wie u. a. Im Schatten des Maulbeerbaums (Junge Oper Hannover, 2013), Anyone Can Whistle (ufaFabrik Berlin 2012), Das schlaue Gretchen (Theater Dortmund 2011) und Celebration (Kulturhaus Spandau 2009). Martin G. Berger ist Autor mehrerer Musicals, darunter das unter seiner Leitung vom Jugendclub XL der Staatsoper Hannover zur Uraufführung gebrachte Lacht Nur! – ein Bajazzo-Musical, der Musical-Monolog Galathea bleibt (Zebrano-Theater, Berlin 2012), das in der Schweiz uraufgeführte Garry’s Nine (Zug/CH, 2011) und die Junge OperProduktion Krawall (2013). Nebenbei schreibt er auch Hörspiele, zuletzt Asche (Berlin 2011). Sein Text Überzeugungs­ster­ ben gewann den »Jetzt.de«-Schreibwett­ bewerb 2008 der Süddeutschen Zeitung. Er übersetzte u. a. die Musicals Anyone Can Whistle (Berlin 2012, verlegt bei »Musik und Bühne«), Hope (Zug/CH 2011, verlegt bei Galissas) und Celebration (Berlin 2009). OPER ICH WEISS NICHT, OB ICH WACHE OD JE NE SAIS SI JE VEILLE OU SI JE RÊ GEHEIMNISVOLLE STILLE! MEINE MYSTÉRIEUX SILENCE! CHRISTOPHER BAUMANN SEELE HA MON ÂME DIE TODBRINGENDE WAND DES PFLICHTBEWUSSTSEINS Jules Massenets Goethe-Oper Werther Es gibt Situationen, die für viele Beziehun­ gen eine Belastung darstellen können: das gemeinsame Aussuchen von Möbeln im Einrichtungshaus etwa, das Schmücken des Weihnachtsbaums und das dazugehörige Schenken. Während im ersten Falle sich Streitigkeiten an Fragen der Praktikabilität, der Ästhetik, des Geschmacks und des Prei­ ses entfachen können, kann Weihnachten tiefer an die emotionale Substanz gehen. Oftmals entscheidet hier nicht der monetäre Wert eines Geschenkes über die Freude des Beschenkten, sondern Faktoren, die vermeintlich auf die Tiefe der Beziehung schließen lassen. Wie persönlich ist das Geschenk, wieviel Zeit und Mühe hat die Beschaffung oder Anfertigung gekostet? Und wieviel komplizierter wird das alles, wenn die Beziehung nicht nur die Verantwortung für sich gegenseitig, sondern auch für Kinder einschließt? Dies alles sind alltägliche – oder saisonale – Probleme, die man nicht sofort mit der Welt eines literarischen Meisterwerks wie Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther assoziiert – nicht nur, weil zur Zeit der Erstveröffentlichung (noch mit dem Genitiv-s am Ende des Titels) im Jahre 1774 an Einrichtungshäuser noch nicht zu denken war. Vielmehr erscheint vor dem inneren Auge ein einsamer Schreiber: ein Be­ obachter von Naturschauspielen, die er in lebendigsten, fast rauschhaften Beschreibungen in seinen Briefen festhält; aber auch das Bild eines jungen Mannes, dem das Glück zum Greifen nahe war – und es ihm doch unerreichbar blieb. Im Gedächtnis des Lesers bleibt die große Spanne und Intensität von Werthers Emotionen – verdeckt wird dadurch aber ein ganz entscheidender Faktor des Romanerfolgs: Goethe hatte für die Hauptfiguren Werther, Lotte und Albert Menschen aus seinem Auf Goethes Spuren: der Komponist Jules Massenet 08.09 OPER ICH WEISS NICHT, OB ICH WACHE ODER NOCH TRÄUME! WIR M JE NE SAIS SI JE VEILLE OU SI JE RÊVE ENCORE! EHEIMNISVOLLE STILLE! MYSTÉRIEUX SILENCE! I MEINE SEELE HAT IHRE SEELE ER Bekanntenkreis zum Vorbild genommen und eine wahre Begebenheit literarisch verarbeitet: den Suizid seines Freundes Karl Wilhelm Jerusalem. Nicht nur war der Suizid als Sujet ebenso revolutionär wie umstritten – er geschieht zudem eingebettet in alltäglichste Situationen und Lebensumstände, die bei aller Sturm-und-Drang-typischen Überhöhung sehr realistisch auf die Leser gewirkt haben dürften: Lotte, die ihren Geschwis­ tern das Abendbrot reicht, Spaziergänge, traute Gespräche über das Leben, über Literatur und Musik; das sind die Situa­tionen, über die Werther Wilhelm per Brief berichtet, das sind die Situationen, in denen die Distanz zwischen Werther und Lotte immer weiter abnimmt und die Sehnsucht nach einem gegenseitigen Eingeständnis der Gefühle füreinander weckt. In dieser Welt des Alltags, des festen Gesetzen folgen­den Dorfund Haushaltslebens geschieht das Unerhörte: Ein junger Mann verliebt sich in eine erst verlobte, dann ver­heiratete Frau. Unerhört in seiner Intimität ist auch der Einblick, den Goethe in das Seelenleben Werthers gewährt: von überschwänglichem Enthu­ siasmus über zärtliche Empfindsamkeit hin zu einer mal aufbegehrend-aufbrausenden, mal niedergeschlagen-apathischen Resigna­ tion. So nähert sich allmählich nicht ein Held aus antiken Mythen oder der Welt­geschichte dem Selbst­ mord, sondern ein »normaler« Bürger – und er wählt den Tod nicht zur Rettung seiner Ehre, sondern aus Verzweiflung über eine nicht-erfüllbare Liebe. Das Schicksal dieses jungen Mannes schlug MON ÂME A RECONNU VOTRE ÂM innerhalb kürzester Zeit die Leser Europas in seinen Bann. Zur Leipziger Buchmesse 1774 erschienen, wurde der Briefroman alsbald in verschiedene Sprachen übersetzt und regelrecht verschlungen, gerade von jungen Menschen. Man identifizierte sich mit diesem tragisch verliebten Mann, zur ausbrechenden Werther-Mode gehörte das Anlegen der entsprechenden Kleidung: der blaue Frack, die gelbe Weste und die gelben Kniebundhosen. Diese Mode griff so rasant und vehement um sich, dass von einem »Werther-Fieber« die Rede war. Da man es aber nicht nur bei der Werther-Tracht beließ, sondern von jungen Menschen berichtet wurde, die sich in Werthers Gefolge das Leben genommen hätten, wurde das Buch in einigen Gegenden verboten. In der Psychologie spricht man vom »Werther-Effekt«, wenn sich Selbstmorde nach einem medial verbreiteten Suizid einer bekannten Person zu häufen scheinen. Der Erfolg der Leiden des jungen Werther schlug sich auch in der Literatur und der Oper nieder. Diese sogenannten »Wertheriaden«, die sich produktiv mit dem WertherStoff auseinandersetzen, waren zahlreich – und erschienen in ganz Europa. Die auf dem Gebiet des Musiktheaters wohl bekannteste »Wertheriade« ist Jules Massenets Drame lyrique Werther. In seiner Autobiographie Mes Souvenirs (Meine Erinnerungen) erzählt Massenet von einer Reise im Sommer 1885 zu den Festspielen von Bayreuth mit seinem Verleger Georges Hartmann. Auf dem Rückweg besuchen sie in Wetzlar das Haus, in dem Goethe seine Leiden des jungen Werther geschrieben hatte. Unter dem Eindruck des genius loci setzte sich Massenet in einen benachbarten Biergarten und las dort in einem Zug den Werther durch. Ergriffen von der Liebesszene, die aus Werthers und Lottes Ossian-Lektüre hervorgeht, entschloss er sich zur Komposition. Auch wenn die Begeisterung für den Stoff, die aus Massenets Schilderung hervorgeht, authentisch sein dürfte – Massenets Schilderungen in Mes Souvenirs sind generell mit Vorsicht zu genießen. So auch hier: Laut einem der übrigen Librettisten, Paul Milliet, dürfte eine Beschäftigung mit Werther bereits im Jahr 1878 stattgefunden haben. Den Erfordernissen der Gattung gemäß strafft Massenet das Geschehen, indem er die im Roman innerhalb von etwa eineinhalb Jahren sich abspielende Handlung auf die Monate Juli bis Dezember eines einzigen Jahres zusammenzieht. Schon viel früher lassen Massenet und seine Librettisten deutlich werden, dass Charlottes und Werthers Liebe zum Scheitern verurteilt ist: Ihre erste tiefergehende Unterhaltung entspinnt sich anlässlich ihres Abschieds nach einem gemeinsam erlebten Fest. Ein wesentlicher Unterschied zur Romanvorlage wird bereits in dieser Szene musikalisch deutlich: Im Abstand eines Achtels folgen sich oktavversetzt Celli und Flöte mit dem Mondmotiv, das im vierten Akt den Tod Werthers und den Abschied Charlottes begleiten wird. Ihre beiden Seelen schwingen fast in eins, doch mit ihnen die Ahnung, dass die Realität sich OPER IR MÜSSEN UNS TRENNEN. ABER SIE WISSEN NICHTS ÜBER MICH. IL FAUT NOUS SÉPARER. E ERKANNT, CHARLOTTE. MAIS, VOUS NE SAVEZ RIEN DE MOI. RE ÂME, CHARLOTTE. ACH, MEINE KINDER … HÉLAS! OUI, MES ENFANTS… zwischen sie drängen wird. Tatsächlich stellt sich in den folgenden Zeilen heraus, dass Charlotte ihrer Mutter auf dem Sterbebett das Versprechen gegeben hat, Albert zu heiraten, um die Existenz der Familie zu sichern. Doch von der deutlichen Platonik der goetheschen Lotte gegenüber Werther ist bei Massenets Charlotte wenig zu spüren. Und so wird sie folgerichtig gegenüber dem Roman deutlich aufgewertet, den Großteil des dritten Aktes gestaltet Massenet als Charlottes Kampf mit sich selbst, mit ihrem Versprechen angesichts der ominösen Briefe, die Werther ihr weiterhin schickt. Meisterhaft spiegelt Jules Massenet im Orchester die emotionale Zerrissenheit seiner Hauptfiguren wider. Ohne Zweifel ist Werther Massenets »deutscheste« Oper – durchkomponiert, keine Opéra comique mit Dialogen, dafür mit wiederkehrenden Motiven, die einen tiefen Einblick in die Gefühle der Akteure erlauben und gleichzeitig die Handlung strukturieren. So überwindet er die Distanz eines Briefromans und schafft eine bühnenwirksame Immanenz des Geschehens. Mit rauschhafter Verzweiflung lässt er Werther stürmen und drängen gegen Charlottes Pflichtbewusstsein. Denn sie bemüht sich derweil, sich in dem ihr bestimmten Leben in materieller Sicherheit mit Albert zurechtzufinden. Ihr wird mehr und mehr bewusst, dass sie eine Bahn eingeschlagen hat, deren Alltäglichkeit einen immer tiefe­ ren Keil zwischen sie selbst und ihre Umwelt treibt. Dieses Pflichtbewusstsein, mit der sie alle Erwartungen erfüllt, stellt sich als eine Wand heraus, die viel zu spät bricht – erst als Werther schon tot, kann Charlotte sich und ihm ihre Liebe eingestehen. Der Direktor der Pariser Opéra-Comique, Léon Carvalho, dem Massenet nach Abschluss der Arbeit im Mai 1887 die Partitur vorspielte, war wegen des tristen Themas enttäuscht. Werther lag in der Folge mehrere Jahre auf Eis, bis sich die Wiener Hofoper nach dem dortigen Erfolg von Manon für Massenets Umsetzung des goetheschen Stoffs interessierte. Die deutschsprachige Ur­auf­füh­rung im Jahr 1892 geriet zu einem grandiosen Erfolg. Offensichtlich hatte Massenet es verstanden, durch seinen raffinierten Umgang mit der Sprache, seiner mal sensiblen, mal rausch­haften Widerspiegelung der emotionalen Wirrnisse beider Hauptfiguren durch das Orchester Goethes Leiden des jungen Werther beim stürmenden und drängenden Wort zu nehmen. WERTHER WERTHER Philipp Heo topher Tonkin ALBERT CHARLOTTE Francis Bouyer/Chris­ Hanna Larissa Naujoks/ Monika Walerowicz SOPHIE Ania Vegry/Ina Yoshikawa DER AMTMANN SCHMIDT Per Bach Nissen/Michael Dries Latchezar Pravtchev JOHANN Daniel Eggert CHARLOTTES SCHWESTERN Mitglieder des Chors und des Kinderchors der Staatsoper Hannover Niedersächsisches Staatsorchester Hannover EINFÜHRUNGSMATINEE Sonntag, 17. Mai 2015, 11 Uhr, Laves-Foyer PREMIERE Samstag, 23. Mai 2015, 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN Sa, 30.05.15 | So, 07.06.15, 18.30 Uhr | Mi, 17.06.15 | Fr, 19.06.15 | Sa, 04.07.15 | Fr, 10.07.15 | So, 12.07.15, 16 Uhr | Do, 16.07.15, jeweils um 19.30 Uhr (wenn nicht anders angegeben) SONDERVERANSTALTUNGEN IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM MUSEUM AUGUST KESTNER »WERTHER ZU GAST BEI KESTNER. Oper von Jules Massenet EINE OPERNEINFÜHRUNG MIT MUSIK« Drame lyrique in vier Akten und fünf Bildern (1892) MIT Text von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Perrin (Klavier), Christopher Baumann (Moderation) Hartmann So, 31.05.15, 16.30 Uhr, Museum August Kestner Hanna Larissa Naujoks (Mezzosopran), Maxime nach dem Roman »Die Leiden des jungen Werther« von Johann Wolfgang »WERTHER, LOTTE UND HANNOVERS KESTNERS: VON ROMANPHANTASIEN ZU MUSEUMSREALITÄTEN« MUSIK ALISCHE LEITUNG Bernd Mottl BÜHNE Anja Bihlmaier Friedrich Eggert INSZENIERUNG KOSTÜME Alfred Mayerhofer LICHT Susanne Reinhardt CHOREINSTUDIERUNG Dan Ratiu DR AMATURGIE Christopher Baumann Gastvortrag Dr. Christian E. Loeben (Ägyptische und Islamische Sammlungen, Museum August Kestner) Fr, 19.06.15, ca. 22.15 Uhr, Laves-Foyer 10. BALLETT »Ein bewegender Abend zum Beginn der Ostertanztage.« »Herausragend ist die Unterstützung durch Video­projek­tio­ nen (OOOPStudio), die rasante Fahrten in turmhohe Aktenarchive ermöglichen oder riesige Architekturen zusammenbrechen lassen.« Neue Presse »[Es gibt] einzelne Szenen, die keiner Erklärung bedürfen und schlicht grandios sind. Wie etwa die Verführungssequenz der Wäscherinnen. Hier brilliert Cássia Lopes.« Hannoversche Allgemeine Zeitung »Mutig, wer dieses literarische Meisterwerk in einem anderen künstlerischen Genre ins Heute zu holen versucht. Mauro Bigonzetti hat’s gewagt - und immerhin als grandioser Entertainer bei der Premiere ›standing ovations‹ des Hannoverschen Publikums geerntet.« Tanznetz DER PROZESS Ballett von Mauro Bigonzetti nach Franz Kafka Musik von Claudio Monteverdi, Tarquinio Merula, Henryk Górecki und anderen CHOREOGR APHIE Carlo Cerri DESIGN Mauro Bigonzetti KOSTÜME BÜHNE UND LICHT-DESIGN Mauro Bigonzetti, Andrea Meyer Carlo Cerri, OOOPStudio LICHT VIDEO- Elana Siberski Steffi Waschina, Denis Piza Ballett der Staatsoper Hannover VORSTELLUNGEN Mi, 15.04.15 | Sa, 18.04.15 | Di, 28.04.15 | Sa, 02.05.15 | Mi, 13.05.15 | Do, 18.06.15, jeweils 19.30 Uhr Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Staatsoper Hannover BALLETT »Mannes ist eine heitere, den Kern des Erwachsenwerdens rührend ausdrückende Umsetzung gelungen, die den klas­ sischen Gestus oft mit modernen, alltäglichen, lustigen Be­ wegungen spickt.« Braunschweiger Zeitung »Starke Bilder, große Leidenschaften, schöner Tanz und tolle Musik: In der Staatsoper hatte Der Kuss umjubelte »Sein Dornröschen des Jahres 2013 hat den tosenden Premiere – das neue Ballett von Jörg Mannes, das die große Applaus nicht nur bekommen, sondern auch verdient.« und tragische Liebe von Auguste Rodin und Camille Claudel Hannoversche Allgemeine Zeitung erzählt, variiert, überhöht und in ansprechende Bewegung versetzt.« Neue Presse DORNRÖSCHEN DER KUSS – RODIN UND CLAUDEL Ballett von Jörg Mannes Ballett von Jörg Mannes LICHT BILD UND R AUM Peter Hörtner DR AMATURGIE MIT Florian Parbs PROJEKTIONEN CHOREOGR APHIE KOSTÜME Jörg Silke Fischer Philipp Contag-Lada Brigitte Knöß Michèle Stéphanie Seydoux als Prinzessin Aurora, Patrick Michael Doe als Prinz Désiré und Hongtao Lin in der Rolle des Blauen Vogels ZUM LETZTEN MAL IN DIESER SPIELZEIT Sonntag, 12.04.15, 16 Uhr MUSIK ALISCHE LEITUNG Jörg Mannes Hörtner MIT Benjamin Reiners BÜHNE UND KOSTÜME DR AMATURGIE CHOREOGR APHIE Alexandra Pitz LICHT Peter Brigitte Knöß Lilit Hakobyan als Camille Claudel und Denis Piza als Auguste Rodin WIEDER AUFNAHME Sonntag, 26. April 2015, 18.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN Sa, 16.05.15, 19.30 Uhr | Pfingst­ sonntag, 24.05.15, 16 Uhr Lilit Hakobyan, Ensemble Mannes Anja Bihlmaier Michèle Stéphanie Seydoux, Patrick Michael Doe MUSIK ALISCHE LEITUNG 12.13 JUNGE OPER SWANTJE KÖHNECKE LÜGE ODER FANTASIE? THEATER! Münchhausen von Jan Masanetz: Uraufführung der Jungen Oper im Ballhof Eins Warum lügen wir? Manchmal, um einer unangenehmen Wahrheit auszuweichen – das ist nicht die feine Art, aber menschlich. Manchmal, um jemanden bewusst zu hintergehen – das ist gemein! Manchmal lügen wir, um Schlimmeres zu verhindern. Dann spricht man von einer Notlüge. Manchmal aber erzählen wir die Unwahrheit aus purer Lust am Fabulieren und Fantasieren – und zum Vergnügen der Zuhörer! Dann bewegen wir uns auf den Spuren des berühmten Karl Friedrich Hieronymus Freiherrn von Münchhausen (1720–1797), der im beschaulichen Weserbergland von seinen Wunderbaren Reisen und Abenteuern zu Wasser und zu Lande berichtete – so der Titel der ersten deutschen Sammlung seiner Erzählungen, aufgeschrieben 1878 von Gottfried August Bürger. In diesen Erzählungen, »bei der der Phantasie wahrlich keine Zügel angelegt werden« (so Bürger im Vorwort), schmückte Münchhausen seine Erinnerungen an Reisen und Kriegszüge in russischen Diensten »bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde« zu fantastischen Abenteuergeschichten aus. So entstand die »Münchhausiade«, eine Sonderform der seit der Antike beliebten Lügendichtung, die ihren Erzähler zum »Lügen­ baron« werden ließ, in aller Welt bekannt und in nahezu alle Sprachen übersetzt. Dieser legendäre Lügner aus Bodenwerder ist nun der Titelheld eines Auftragswerkes der Jungen Oper Hannover, für Kinder ab neun Jahren. Das Libretto von Klaus Angermann und die Musik des jungen Leipziger Komponisten Jan Masanetz entführen das Publikum in Münchhausens fantastische Welten: in einen Vulkan, durch die Erdkugel hindurch an den Südpol, auf eine stürmische Seereise und sogar auf den Mond – immer auf der Suche nach seiner Traumprinzessin. Dabei ist von Anfang bis Ende unklar, ob Münchhausen Herr über seine Fantasie oder ihr hilflos ausgeliefert ist. Immer wieder bedarf er der tatkräftigen Unterstützung seines cleveren Dieners und seiner verständnisvollen Mutter, um aus den fantasti­ schen Räumen mit ihren auch beängstigen­den Erfahrungen auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Auf seiner fantastischen Reise begegnen ihm die sonderbarsten Wesen: drei Agen­ten, die sich in Venus und Vulkan, eine Eisund eine Mondprinzessin, Pinguine und Mondbewohner verwandeln. Sie alle sind Geschöpfe sei­ner Einbildungskraft und entfalten ein fan­­tastischverrücktes Eigenleben. JUNGE OPER Aus der Fantasie ent­stehen Welten – dieses Grundmotiv hat Regis­seu­rin Beverly Blankenship, Bühnenbildnerin Antonella Mazza und Kostümbildnerin Elvira Freind in der Konzeption der Inszenierung zum Theater selbst zurückgeführt. Denn auch im Theater – einem eigentlich leeren, schwarzen Raum – entstehen wie beim Geschich­ ten­ erzählen allein aus der Imagination ganze Universen. Komponisten und Librettisten, Regisseure, Bühnenund Kostümbildner sowie nicht zuletzt die Darsteller entführen ihre Zuschauer, wie Münchhausen seine historischen Zuhörer, an Orte, von denen diese wissen, dass sie nicht real sind. Doch für die Dauer der Aufführung folgen sie ihnen dorthin, bereitwillig oder widerstrebend. So geht die Produktion Münch­hausen vom leeren Theaterraum des Ballhof Eins aus, der sich allein durch die Fantasie Münchhausens (oder die der Theatermacher oder des Publikums?) in verschiedenste Räume verwandelt. Alle Register der Theatertechnik, des kostümbildnerischen Handwerks und der Schauspielkunst werden gezogen, um die scheinbar aberwitzigen Anforderungen des Librettos umzusetzen und Münchhausens Lügengeschichten für das junge Publikum glaubhaft darzustellen: den berühmten Ritt auf der Kanonenkugel, ein Bad in der Lava des Vulkans, die Eisesstarre am Südpol, einen Sturm auf hoher See, die Schwerelosigkeit auf dem Mond und den spektakulären Rückflug zur Erde. Und wenn Münchhausen und seine Mitstreiter nach 70 Minuten den Schluss­choral anstimmen … Verachtet nur die Lüge nicht, denn sie öffnet neue Weiten. Und die Kraft der Phantasie schafft uns andre Wirklichkeiten. Man muss nicht nur vernünftig sein, Spinnerei ist wichtig. Wer nur das sieht, was man sieht, sieht auch das nicht richtig. … dann kann jeder für sich selbst herausfinden, was Wahrheit, Lüge oder Fantasie war. Nur eins ist ganz sicher: Es war Theater! MÜNCHHAUSEN (UA) Musiktheater von Jan Masanetz Libretto von Klaus Angermann Für alle ab 9 Jahren MUSIK ALISCHE LEITUNG Siegmund NIERUNG Mazza Beverly Blankenship KOSTÜME MIT­A RBEIT Elvira Freind Weinmeister INSZEBÜHNE Antonella CHOREOGR APHISCHE Grazyna Przybylska-Angermann LICHT Uwe Wegner DR AMATURGIE Swantje Köhnecke MUSIK­ THEA­T ERPÄDAGOGIK Jonas MÜNCHHAUSEN Chacewicz Egloff Byong Kweon Jun MUTTER DIENER Michael Marie-Sande Papenmeyer AGEN­ TEN / FANTASIEGESTALTEN Eunhye Choi, Martin Busen, Jeong-Min Nam Niedersächsisches Staatsorchester Hannover EINFÜHRUNG FÜR FAMILIEN Samstag, 25. April 2015, 15 Uhr, Foyer Ballhof Eins UR AUFFÜHRUNG Fr, 8. Mai 2015, 18 Uhr, Ballhof Eins WEITERE VORSTELLUNGEN Mi, 13.05.15, 11 Uhr | Do, 14.05.15, 15 Uhr | Mi, 20.05.15, 18 Uhr | So, 24.05.15, 15 Uhr | Mi, 27.05.15, 11 Uhr | Do, 28.05.15, 11 Uhr | Do, 04.06.15, 11 Uhr | So, 07.06.15, 15 Uhr | Mo, 08.06.15, 11 Uhr | Mi, 24.06.15, 11 Uhr | So, 28.06.15, 15 Uhr DER KOMPONIST: JAN MASANETZ Jan Masanetz, 1979 in Leipzig geboren, studierte Komposition bei Manfred Trojahn und Wolfgang Rihm. Sein besonderes Inte­ resse gilt der Vokal- und Orchestermusik. Münchhausen, Auftragswerk der Staats­ oper Hannover, ist sein erstes Werk für Musiktheater. Die Werke von Jan Masanetz wurden von international renommierten Ensembles wie dem Arditti Quartett, der Deutschen Radio Philharmonie, der Staatskapelle Halle, der Badischen Staatskapelle, dem Orchestre Symphonique Région Centre-Tours, dem MDR Rundfunkchor und der Internationalen Ensemble Modern Akademie aufgeführt. Seine Musik wurde auf zahlreichen europäischen Festivals gespielt (Darmstädter Ferienkurse, Next-Generation-Programm der Donaueschinger Musiktage, MDR Musiksommer, St. Magnus Fes­ tival, Mouvement Saarbrücken, AlpenKlassik, Les Traversées, Heidelberger Frühling, Händel­ festspiele Halle u. a.). Er ist mehrfacher Preisträger internationaler Kompositionswettbewerbe und wurde durch Stipendien der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der Aribert Reimann-Stiftung und der Wilfried Steinbrenner-Stiftung gefördert. Jan Masanetz lebt und arbeitet in Leipzig. 14.15 JUNGE OPER SCHLOSSBEWOHNER ICH KNALL EUCH AB Erste Premiere des neuen Club TANZ Eine Produktion des Club XM Eine Premiere: Seit dieser Spielzeit gibt es einen Club TANZ! Jeweils donnerstags kommen die Nachwuchstänzerinnen – im Alter von acht bis elf Jahren – im Kleinen Ballettsaal zusammen. Hier erfahren sie, wie man aus Bewegungen Geschichten kreiert. Was aber braucht man für eine Geschichte? »Eine Hauptrolle«, da waren sich alle einig, ist die erste Grundvoraussetzung. Dieses Jahr gibt es gleich zehn davon! Zehn Figuren aus den unterschiedlichsten Geschichten und Märchen kommen nach bestandenem Abenteuer in einem Märchenschloss zusammen. Sie alle haben das gute Ende bereits hinter sich und leben nun »glücklich bis an das Ende ihrer Tage.« Eine große Märchenschloss-WG sollte es werden. Aber was passiert in einer WG, in der jeder die Hauptrolle zu spielen gewohnt ist und demnach auch jeder das größte Zimmer für sich beansprucht? Passt das noch mit dem Happy-End der alten Märchen zusammen? Die Antworten hat der Club TANZ noch nicht gefunden – die Pre­ miere ist am 24. April. Bis dahin lassen die Tänzerinnen ihren ­Figuren noch Zeit, den drohenden Konflikt zu schlichten. Beim derzeitigen Stand der Proben hat die Gruppe allerdings eher Lust an der Auseinandersetzung als an der friedlichen Lösung. So sehen wir, wie Aschenputtel die Schuhe von sich wirft, wie die Schöne auf einmal zum Biest wird und wie eine Taube nicht immer den Frieden bringt. »Theater wird erst wirklich, wenn das Publikum innerlich mitspielt.« Das Zitat des Literatur- und Theaterkritikers Hermann Bahr umschreibt genau das, was die Jugendlichen des Club XM erreichen wollen: klare, starke Bilder entwickeln, um den Zuschauer an die Geschichte zu fesseln. Bei der Stoffauswahl hat in dieser Spielzeit ein erstaunliches Umdenken der Jugendlichen stattgefunden: metaphorische Märchen weichen ihren alltäglichen Problemen, vor allem der drastischen Realität in der Schule. Die gemeinsame Auseinandersetzung mit aktuellen Schulthematiken, persönlichen Erfahrungen mit Mobbing und Ausgrenzung – auch im privaten Umfeld – führten bei der Suche nach einem passenden Stoff schnell zu einer klaren Entscheidung. Als Grundlage dient der Roman Ich knall euch ab von Morton Rhue über ein fiktives Schulmassaker, der trotz seiner Entstehung vor bereits 16 Jahren keinesfalls Abstand schafft, sondern eine noch intensivere Auseinandersetzung herausfordert. »Es ist dumm, auf eine einzige Sache zu zeigen und zu sagen: ›Das kommt alles nur daher.‹ In Wirklichkeit entwickelt sich so etwas nach und nach und macht einem lange Zeit zu schaffen, bis man irgendwann durchdreht.« In der Schule, die der Roman schildert, werden die Sportler besser als andere behandelt. Selbst die Lehrer stehen hinter ihnen. Hier sehen sich Brendan und Gary ständig den Angriffen der beliebten Sportler ausgesetzt. Oft werden sie von den Footballspielern zusammengeschlagen oder auch beleidigt. Lehrer und Mitschüler schauen aus Angst vor dem Psychoterror einfach weg und unternehmen nichts dagegen, sie unterstützen die Diskriminierung sogar noch. »Manchmal hatte man wirklich das Gefühl, denen gehöre die ganze Welt. Und irgendwie hatte man uns davon ausgeschlossen.« Deshalb entwickeln Brendan und Gary Pläne, um sich an den Schülern und Lehrern zu rächen und es allen heimzuzahlen. Ich knall euch ab ist von bedrückender Aktualität, fast noch realer als die Realität, begleitet von starken Szenen mit einer Auswahl aktueller Songs der Jugendlichen unter der Teamleitung von Z ­ uzana Masaryk, Maxime Perrin und Annemarie Wybraniec. PREMIERE Samstag, 16. Mai 2015, 17 Uhr, Probebühne 2 WEITERE VORSTELLUNGEN MIT WIRKENDE Kinder des Club TANZ im Alter von 8 bis 11 Jahren LEITUNGSTEAM PREMIERE So, 17.05., 14.30 Uhr und Mo, 18.05., 18 Uhr Treffpunkt Verwaltungseingang Rowena Ansell, Jonas Egloff, Sophie Thuma Freitag, 24. April 2015, 16.30 Uhr, großer Ballettsaal Z WEITE VORSTELLUNG Fr, 24.04.15, 18.30, großer Ballettsaal Mit freundlicher Unterstützung JUNGE OPER TAMARA SCHMIDT EINE TÜR ÖFFNEN Bei der Jugendkonzertnacht open stage am 13. Juni 2015 treten zum sechsten Mal circa 350 junge Musiker eine Nacht lang im Opernhaus auf. Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover eröffnet nicht nur den Abend, einige Musiker begleiten im Vorfeld auch die Ensembles bei den Proben. Ulrich Stamm, Michael Pattberg und Michael Kokott vom Niedersächsischen Staatsorchester Seit Jahren ist die Nachfrage nach Orchesterlotsen bei den teilnehmenden Ensembles sehr groß. Wie erklären Sie sich das? Michael Pattberg (Klarinette): Als Ensembleleiter probt man die Stücke seit vielen Wochen. Manchmal arbeitet man sich fest, übersieht das ein oder andere. Da kann ein Blick von außen helfen. Michael Kokott (Posaune): Wir kennen die Jugendlichen vorher nicht und können allen unvoreingenommen begegnen. Man hat nicht die Brille des Ensembleleiters auf, der seine Pappenheimer seit Jahren kennt. Einzelne Schüler, die in der Gruppe normalerweise untergehen, kann man fördern. Ulrich Stamm (Tuba): Wir haben als Jugendliche auch in Blasorchestern oder Posaunenchören angefangen. Nun spielen wir im Orchester und haben daher aus jahrelanger Ensemblepraxis nicht nur die Perspektive des Coaches, sondern auch des Musikers. Einige Ensembles begleiten Sie über mehrere Jahre hinweg... Kokott: Das macht mir besonders große Freude! Durch den persönlichen Kontakt zu den Gruppen erlebe ich die Entwicklung der Jugendlichen mit. Manche von ihnen spielen später in Nachwuchsorchestern, andere haben inzwischen einen professionellen Weg mit ihrem Instrument eingeschlagen. Wie sieht die Tätigkeit eines Orchesterlotsen genau aus? Stamm: Die ausgewählten Ensembles äußern Wünsche, welches Instrument ihr Orchesterlotse spielen soll. Daraufhin teilen wir im Orchester den Ensembles die Lotsen zu. Der Lotse besucht das Ensemble in zwei Proben in den acht Wochen vor open stage. Vor Ort machen wir meist Registerproben, also ich in meinem Fall eine Blechbläserprobe, so dass der Ensembleleiter parallel mit anderen Gruppen proben kann. Kokott: Wir geben den Ensembles elementare Tipps, die sie anschließend übertragen können, wie Artikula­ tion, Intonation, Dynamik oder die Balance des Ensembles. Und plötzlich bemerken sie einen Unterschied im Klang, erleben die Musik neu. So, als würde man eine Tür öffnen, damit sie einen anderen Raum kennen lernen. Solche Erfolgserlebnisse begeistern beide Seiten. Pattberg: Ich würde mir wünschen, dass wir Musiker auch unabhängig von open stage Laien-Ensembles beraten, z. B. wenn ein Blasorchester für sein Probenwochenende Unterstützung von einem ausgewiesenen Fachmann eines Instrumentes braucht. Der Bedarf wäre da. Sie erleben die Jugendkonzertnacht in einer Doppelfunktion: als Musiker auf der Bühne und als Lotsen, deren Ensembles nun ihr Können zum Besten geben. Kokott: Ich finde es gut, dass die Jugendlichen uns Lotsen bei der Eröffnung von open stage als Musiker im Staatsorchester erleben. Die Schüler fühlen sich mit uns verbunden, haben einen persönlichen Kontakt zu dieser großen, recht anonymen Gruppe, fühlen sich willkommen und kommen gerne – das habe ich auch schon erlebt – später als Besucher in die Oper. Pattberg: Manchmal ist man auch erstaunt über die Entwicklung der Musiker und das Niveau, das sie zwischen dem letzten Probenbesuch und dem Auftritt erreicht haben. Stamm: Als Lotse fühle ich mich beim Auftritt »meinem« Ensemble verbunden und fiebere mit. Die Jugendlichen geben einem dieses Gefühl zurück: Sie sind froh, dass man sie auf ihrem Weg zum großen Auftritt begleitet hat, und sind am Ende stolz, wenn sie im Opernhaus im professionellen Rahmen ihr Können zum Besten gegeben haben. Es ist ein sehr beglückender Abend für alle. 16.17 JUNGE OPER TAMARA SCHMIDT STADTKLANGFORSCHER »Hannover klingt immer und überall. Allein in einer fahrenden S-Bahn hört man bestimmt 100 Klänge. Manchmal klingen sie sehr scharf, manchmal wie leiser Wind. Aber im Vergleich zum Stadtbus klingen sie weich«, erklärt der Stadtklangforscher Leo, 9 Jahre. »Sogar der Autoverkehr macht verschiedene Musik. Man muss nur genau hinhören.« Genau das machen die 19 Schülerinnen und Schüler der Klasse 3c der Grundschule Löwenburg/Ilsede mit ihrer Klassenlehrerin Melanie Schrader-Bunzel. Ausgestattet mit Aufnahmegeräten, Stadtplänen und Klemmbrettern unterm Arm, entdecken sie von März bis Juni 2015 auf einer akustischen Forschungstour Hannovers eigenen Klang und setzen diesen in Bezug zu ihrem Heimatort Ilsede. Unterstützung erhalten sie vom Komponisten Stefan Wurz und der Konzertpädagogin Kathrina Hülsmann. In Kleingruppen erkunden sie die typischen Klänge von Hannovers Kreuzungen und Kirchen, von verschiedenen Bahnhöfen und Haltestellen, von Plätzen und Parks. Melanie Schrader-Bunzel fasziniert besonders der Klang Hannovers im Vergleich zum Schulort Ilsede: »Der Maschsee klingt ganz anders als der See in Ilsede. Hannover klingt allgemein sehr vielfältig: An unterschiedlichen Orten kann man ganz schnell von einem Extrem ins andere kommen. Zum Beispiel haben wir am Aegidientorplatz fast nur Autos gehört, ein paar hundert Meter weiter hört man am Maschteich die Natur – mit Vögeln und Enten. Und dennoch ist die Stadt mit ihrem Verkehr immer präsent, der jede Situation klanglich untermalt.« Noch befinden sich die Kinder auf einem Forschungs-Zwischenstand. Aus den Ergebnissen wird am Ende ein Werk entstehen, das im Rahmen des 3. Kinderkonzertes »Stadtklang« am 31. Mai und am 1. Juni im Opernhaus aufgeführt wird. »Das, was wir Foto: Insa C. Hagemann Schüler erkunden die Klangpalette Hannovers als Forscher entdecken, wird das Niedersächsische Staatsorchester im Konzert auf der großen Bühne spielen«, erzählt Raffael, 9 Jahre, stolz und verrät: »Unser HannoverStück wird sicher sehr bunt klingen – leise und laut, schnell und langsam. Genau so, wie wir die Stadt erlebt haben: Vom gemütlichen Jogger mit Musik im Ohr, die man leise mithören kann, bis zu lauten Motoren­ geräuschen, wenn an einer Ampel viele Autos gleichzeitig losfahren.« KONZERTPÄDAGOGIK KOMPOSITION PROJEKTLEITUNG MITARBEIT Kathrina Hülsmann Stefan Wurz Tamara Schmidt Hannah Kawalek Mit freundlicher Unterstützung KANTINENPLAUSCH OLIVIA PAASCH MAN MUSS SICH SEINE KLEINEN INSELN IN DER STADT SUCHEN Kantinenplausch mit Hanna Larissa Naujoks »Lass uns doch raus in die Sonne gehen!« Mit diesen Worten beginnt das Gespräch mit der Mezzosopranistin Hanna Larissa Naujoks. Entspannt und gelassen sitzen wir nun vor der Oper und lassen uns bei sonnigstem Märzwetter und Straßenmusik im Hintergrund leckeren Kuchen und Kaffee schmecken. Das Kochen scheint für die gebürtige Schwarzwälderin eine ebenso große Leidenschaft wie die Musik zu sein: »In beides muss man viel Liebe und Kreativität reinstecken. Und wenn man das, was man tut, mit Liebe tut und in dem Moment genießt, dann wird es eigentlich immer gut.« Auch in ihr einstiges Hobby, das Singen, investierte sie viel Liebe. Und so wurde daraus ein fabelhafter Beruf. Dank einer Musiklehrerin an der Schule fand Hanna Larissa Naujoks den Zugang zur Klassik und hat bis heute nicht die Freude am Singen verloren. Obwohl ihr guter Notendurchschnitt im Abitur sicher auch andere Berufe ermöglicht hätte, fokussierte sich Hanna Larissa Naujoks auf die Musik. Sie begann ein Gesangsstudium in Nürnberg, das sie nach dem Wechsel nach Hannover 2008 erfolgreich mit dem Diplom abschloss. Nach weiteren zwei Jahren im Kölner Opernstudio und zwei Jahren, in denen sie freischaffend tätig war, ist die junge Sängerin nun seit 2012 wieder in Hannover. Im Augenblick fiebert sie der Rolle der Charlotte in Werther entgegen, Premiere ist am 23. Mai. Außerdem ist sie im musikalischen Märchen Gold in der Jungen Oper im Ballhof Zwei zu erleben, wo sie gleich mehrere Rollen übernimmt. »Vor Vorstellungen ist es am besten, etwas Kohlehydratreiches zu essen, um Kraft für den Abend zu haben!« Dass sie den ganzen Tag über kaum Zeit zum Essen hatte, kam bisher erst einmal vor, als zwei wichtige Debüts in Cavalleria rusticana und Così fan tutte, kurz aufeinander folgten. Ähnlich spontan wie sich ihre musikalische Gesangskarriere gestaltete, ist sie auch beim Kochen: Sie kocht gern frisch und häufig nach Rezepten. Dabei experimentiert sie oft mit den Zutaten, so dass sie immer wieder neue Vorlieben für sich entdeckt. Die Neigung zum Kochen kommt nicht von ungefähr: In ihrer Familie wurde nämlich schon immer gern gekocht. Den Kochstil ihrer Mutter hat sie allerdings von der »gutbürgerlichen« zur vegetarischen Küche hin erweitert. Schon im Alter von zehn Jahren wurde Hanna Larissa Naujoks aus Tierliebe Vegetarierin. Und auch im veganen Bereich probiert sie sich seit einiger Zeit aus. Berufsbedingt gibt es immer mal wieder Phasen, die sehr stressig sein können. Ruhigere Zeiten nutzt sie, um es sich mit einem guten Buch im Café gemütlich zu machen, ihrem Hobby Yoga nachzugehen oder die Natur zu genießen. So findet sie einen Ausgleich zum quirligen Stadtleben und dem sonst oft vollgepackten Alltag. Um in einer Großstadt so richtig entspannen zu können, ist sie stets auf der Suche nach den »kleinen Ruheinseln« und genießt zurzeit jeden Sonnenstrahl, den sie mitnehmen kann. »Das ist das Schöne in diesem Beruf: Dass nicht jeder Tag gleich strukturiert ist und man sich auch mal Zeit für sich selbst nehmen kann.« Als Rezept für die seitenbühne hat Hanna Larissa Naujoks eine leckere vegetarische Tofubolognese mitgebracht. Fast eine Stunde lang haben wir uns nun über das Essen unterhalten … »Auch generell geht es bei den Sängern, zum Beispiel in der Maske vor Vorstellungen, viel ums Essen!«, wie sie mit einem Lächeln verrät. SPAGHETTI MIT TOFUBOLOGNESE Zutaten für 2 Personen 250g Tofu, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, 50 ml Olivenöl, 4 EL Tomatenmark, 150 ml trockener Rotwein, 250 g Spaghetti, Salz, 150 g passierte Tomaten, 1–2 TL Agavendicksaft, 1 TL getrockneter Oregano, Pfeffer aus der Mühle, 1 Bund Basilikum. Zubereitung Tofu mit einer Gabel zerbröseln. Zwiebel und Knoblauch schälen und fein hacken. Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und Tofu unter Rühren ca. 5 Minuten anbraten. Zwiebel zugeben und 2 Minuten braten, dann Knoblauch dazu und weitere 2 Minuten braten. Tomatenmark zugeben und 2 Minuten unter Rühren anschwitzen. Mit Rotwein ablöschen und 4 Mi­ nuten einkochen lassen. Spaghetti in Salzwasser al dente kochen. Inzwischen passierte Tomaten, Agavendicksaft und Oregano der Soße zufügen, 3 Minuten köcheln lassen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Basilikum grob hacken und unterrühren. 18.19 KONZERT KLAUS ANGERMANN DIE FARBEN DER ZEIT Das Festival »Klangbrücken« umkreist den Planeten Olivier Messiaen »Wir suchen eine schmeichelnde Musik, die dem Gehörsinn wollüs­ tig raffinierte Vergnügungen gibt.« So formulierte Olivier Messiaen (1908–1992) sein musikalisches Credo, das er im Zusammenhang mit der Gründung der Gruppe »La jeune France« ablegte, der Komponisten wie André Jolivet, Daniel Lesur und Yves Baudrier angehörten. Das Programm der Gruppe wandte sich gegen den nonchalanten Neoklassizismus der 1920er Jahre mit der »Groupe des Six« um Jean Cocteau und setzte ihm das Ideal einer neuen Romantik und Ernsthaftigkeit entgegen. Für den tief gläubigen Messiaen verband sich damit auch die transzendente Dimension der Musik, die für ihn Symbol einer göttlichen Ordnung war. Auf der Basis seines Katholizismus schrieb er jedoch eine Musik von durch und durch diesseitigem Zauber, der ein völlig neuartiges Strukturdenken zu Grunde liegt und die die Komponistengeneration nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig beeinflusst hat. Unter dem Titel »Planet Messiaen« veranstaltet die Staatsoper Hannover in Kooperation mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und dem Netzwerk Musik 21 Niedersachsen sowie mit weiteren Musikinstitutionen und Ensembles ein Festival, das der Musik dieses faszinierenden Komponisten gewidmet ist. Der Name des Festivals »Klangbrücken«, das zukünftig im jährlichen Turnus mit wechselnden Schwerpunkten stattfinden wird, bedeutet dabei zweierlei: Zum einen bezieht er sich auf die Zusammenarbeit der in Hannover tätigen Institutionen, die sich der zeitgenössischen Musik widmen. Zum anderen ist damit aber auch ein Brückenschlag gemeint, der das Musikschaffen unserer Zeit in Bezug setzt zur Tradition und so das Verständnis für eine zunächst vielleicht ungewohnt erscheinende Klangwelt fördert. In der Musik Messiaens ist diese letztere Verbindung sehr sinnfällig. Stehen seine kompositorischen Anfänge noch deutlich unter dem Einfluss der Werke Claude Debussys, aber auch Richard Wagners, so verschwindet diese Prägung in seiner weiteren Entwicklung zwar nicht, erfährt aber gewissermaßen eine Radikalisierung. Die schon bei seinen Vorbildern stattfindende Verselbstständigung der Harmonik, die sich aus funktionalen Kontexten löst, wird bei Messiaen durch die Verwendung ungewöhnlicher Tonskalen jenseits des DurMoll-Systems noch weiter getrieben. Auch im rhythmischen Bereich erschließt er sich neue Möglichkeiten durch die Einbeziehung indischer rhythmischer Muster, die sich dem metrischen Denken europäischer Musik nicht unterordnen lassen, oder durch symmetrische Rhythmen, die vorwärts und rückwärts gespielt gleich sind und so die Umkehrbarkeit und Verräumlichung zeitlicher Strukturen suggerieren. Und schließlich sind es Messiaens ornithologische Studien, die sich in vielen seiner Werke niederschlagen. Auch dabei sind die akribisch aufgezeichneten Vogelrufe aus aller Welt klangliche Mikrokosmen, die keinem übergeordneten Zeit- oder Formschema gehorchen, sondern als eigenständige Strukturen, als Klangobjekte ihre eigene Zeit und ihren eigenen Raum erschaffen. Die Autonomie des Klanglichen ist bei Messiaen überdies eng verbunden mit farblichen Vorstellungen – ein Phänomen, das man als Synästhesie bezeichnet. Die Entstehung dieser Fähigkeit führt der Komponist auf Kindheitserlebnisse zurück, in denen sich die Farbenpracht von Kirchenfenstern mit dem religiösen Ritus und vor allem mit den dabei erklingenden liturgischen Gesängen zu einem magischen Gesamteindruck verband. Insofern unterscheiden sich Messiaens komplexe Farb-Ton-Analogien von vielen anderen KONZERT syn­ästhetischen Systemen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich bei aller metaphysischen Symbolik auch auf mathematisch-physikalische Gesetze berufen. In Messiaens Vorstellung hingegen verknüpfen sich Klänge höchst subjektiv nicht nur mit Farben, sondern auch mit bewegten Farbmustern und räumlichen Formen. In der Annahme einer ewigen Harmonie aller sinnlichen Erscheinungen, die sich in der Kunst manifestiert, war Messiaen ein Traditionalist, der sich auf die Musik und Philosophie des Mittelalters ebenso bezog wie auf alte fernöstliche Kulturen. Andererseits hat die Abkehr von linearer Zeit und die religiös motivierte Auffassung von Zeit als eines Raumes, in dem Vergangenheit und Zukunft gleich gegenwärtig sind, Messiaen zu musikalischen Gestaltungsprinzipien geführt, die in dieser Konsequenz in der abendländischen Musik des 20. Jahrhunderts neuartig waren. An die Stelle des Fortschreitens des musikalischen Diskurses tritt die Reihung und Schichtung der klanglichen Zustände, die in ihrer Überlagerung aufeinander »abfärben«. Chronologie wird durch »Chronochromie« – so der mit »Zeitfärbung« zu übersetzende Titel eines seiner Orchesterwerke – ersetzt. In solchem Denken erkannten viele jüngere Komponisten nach 1945 einen wichtigen Orientierungspunkt für das eigene Schaffen. Zahlreiche Vertreter der Nachkriegsavantgarde, unter ihnen Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis, gehörten zu Messiaens Schülern und haben ausgehend von seinen Ideen die Musik revolutioniert. Messiaen jedoch hielt sich von den nachfolgenden ästhetischen Grabenkämpfen stets fern und verfolgte unbeirrt seinen eigenen Weg, auf dem sich strengste Konstruktion mit überbordender Sinnlichkeit verbindet. So blieb Messiaen der Planet, dessen Gravitationsfeld bis in die jüngste Komponistengeneration weiter wirkt. Mit elf Konzerten und einem wissenschaftlichen Symposium lädt das »Klangbrücken«-Festival zu einem Streifzug durch den musikalischen Kosmos von Olivier Messiaen ein. Die Zusammenarbeit mehrerer Orchester und Ensembles und die Unterstützung durch zahlreiche Förderer und Partner ermöglichte die Vielfalt eines um­ fang­ reichen Programms, das einige von Messiaens wichtigsten Wer­ken präsentiert. Das 6. Sinfoniekonzert ist ganz Messiaens letztem großen Orchesterwerk gewidmet, den Éclairs sur l’au-delà ..., den »Streiflichtern über dem Jenseits«, in dem der 80-jährige Komponist noch einmal die Farben seiner unverwechselbaren Klangpalette aufleuchten lässt. Statt der üblichen Konzerteinführung gibt es hierbei zu Beginn des Konzerts eine Einführung mit Orchester auf der Bühne, bei der der ideelle Hintergrund des Werks erläutert wird und die wichtigsten Kompositionsprinzipien mit klingenden Beispielen vorgestellt werden. Als Dirigent konnte einer der führenden Dirigenten für zeitgenössische Musik gewonnen werden, der Engländer Stefan Asbury, der auch das Eröffnungskonzert im NDR mit dem 1963 entstandenen Werk Couleurs de la cité céleste dirigieren wird. Messiaens ornithologische Stücke erklingen sowohl in der Markt­ kirche, wo das Ensemble musica assoluta u. a. die Oiseaux exotiques zu Gehör bringt, als auch bei einer Veranstaltung der Hannoverschen Gesellschaft für Neue Musik im Sprengel Museum, die den monumentalen Klavierzyklus Catalogue d’oiseaux umkreist. Und natürlich darf auch Messiaens populärstes und berührendstes Werk nicht fehlen, das Quartett für das Ende der Zeit, das vor dem Hintergrund der biblischen Apokalypse die Schrecken des Krieges reflektiert. Mitglieder des Niedersächsischen Staatsorchesters spielen diese Komposition, die Messiaen 1941 in einem Kriegsgefangenenlager bei Görlitz schrieb und die dort auch vor einem gemischten Zuhörerkreis aus Lagerinsassen und Wachpersonal uraufgeführt wurde, in einem Kammerkonzert. Daneben setzt das Programm Messiaens Schaffen auch in Bezug zu Werken anderer Komponisten, wie in den beiden Konzerten der Musikhochschule, in einem Nordstadt-Konzert mit japanischem Schwer­­punkt, einem Konzert mit 14 Schlagzeugern im Opernhaus oder in einer multimedialen Performance zum Thema Synästhesie mit dem Ensemble Megaphon im Ballhof Zwei. 20.21 KONZERT PLANET MESSIAEN DAS PROGRAMM Sonntag, 3. Mai 2015, 20 Uhr Freitag, 8. Mai 2015, 14 bis 18 Uhr | Eintritt frei Opernhaus Hochschule für Musik, Theater und Medien SCHLAGZEUGKONZERT Hannover | Hörsaal 202 Werke von Iannis Xenakis, Karlheinz Stockhausen, Gérard Grisey und Edgard Varèse SYMPOSIUM OLIVIER MESSIAEN UND DIE »STUNDE NULL« Die Schlagzeuger des Niedersächsischen Veranstaltung der HMTMH Staatsorchesters laden Kollegen ihrer Zunft Freitag, 1. Mai 2015, 20 Uhr aus ganz Deutschland ein zu einem Konzert Samstag, 9. Mai 2015, 18 Uhr Musik 21 im NDR, Großer Sendesaal für 14 Schlagzeuger Marktkirche Hannover ERÖFFNUNGSKONZERT – MOBILE MUSIK IV Veranstaltung der Staatsoper Hannover L’ARC-EN-CIEL Werke von Olivier Messiaen (L’Ascension, Werke von Olivier Messiaen (Couleurs de Oiseaux exotiques), Perotinus u. a. la cité céleste), Benjamin Britten, Aureliano Dienstag, 5. Mai 2015, 19.30 Uhr Claire Huangci (Klavier), Ulfert Smidt (Orgel) Cattaneo und Markus Aydintan (UA) Hochschule für Musik, Theater und Medien KIKIMU – Kinder- und Jugendchor der ChorWerk Ruhr, Ltg. Martina Baticˇ (Ljubljana) Hannover | Richard Jakoby Saal Marktkirche Hannover (Ltg. Lisa Laage-Smidt) Mädchenchor Hannover, Ltg. Gudrun Schröfel MESSIAEN UND DIE FOLGEN musica assoluta Perkussionsgruppen Hannoverscher Werke von Olivier Messiaen, Jonathan Harvey, DIRIGENT SchülerInnen Philippe Hurel, Iannis Xenakis, Gérard Grisey Veranstaltung von musica assoluta Bläser der NDR Radiophilharmonie u. a. sowie Uraufführungen von Studierenden und der Marktkirche Hannover und Ensemble S aus den Kompositionsklassen von Oliver DIRIGENT Stefan Asbury Thorsten Encke Schneller und José María Sánchez-Verdú Veranstaltung des NDR in Kooperation Mit dem Ensemble Garage und Sonntag, 10. Mai 2015, 11 Uhr mit Musik 21 Niedersachsen Instrumentalstudierenden der HMTMH VGH Versicherungen, Haus D, Warmbüchenkamp 8 Veranstaltung der HMTMH KAMMERKONZERT Olivier Messiaen: Quatuor pour la fin du temps Maja Pawelke (Klarinette), Birte Päplow Samstag, 2. Mai 2015, 19.30 Uhr Ballhof Zwei Mittwoch, 6. Mai 2015, 20 Uhr (Violine), Reynard Rott (Violoncello), Nicolai WORTE, FARBEN, GESTEN, ZAHLEN – EIN SYNÄSTHETISCHES KONZERT Christuskirche Krügel (Klavier) NORDSTADT-KONZERT Veranstaltung der Staatsoper Hannover Werke von Joachim Zoepf, Helmut Oehring, Werke von Olivier Messiaen (Sept haïkaï), Julia Mihály und André Bartetzki Darius Milhaud und Toshio Hosokawa Ensemble Megaphon und Gastkünstler Kammerorchester Pro Artibus Hannover Einführung um 19 Uhr von DIRIGENT Prof. Dr. Dr. Hinderk Meiners Emrich: Veranstaltung der Nordstadt-Konzerte e.V. Hans-Christian Euler Synästhesie in der Kunst Sonntag, 10. Mai 2015, 18 Uhr Sprengel Museum Hannover »… DAS WAHRE VERLORENE ANTLITZ DER MUSIK …« Der »Catalogue d’oiseaux« Messiaens Veranstaltung des Vereins Blickpunkte e.V. Donnerstag, 7. Mai 2015, 19.30 Uhr und neue Blicke auf ihn (Klanginstallationen, Hochschule für Musik, Theater und Medien Auftragswerke und Textcollagen) Hannover | Richard Jakoby Saal Ashley Hribar (Klavier) Veranstaltung der Hannoverschen Gesellschaft Montag, 4. Mai 2015, 19.30 Uhr DIE UNGREIFBAREN KLÄNGE DES TRAUMES Opernhaus Werke von Olivier Messiaen (8 Préludes), Pierre 6. SINFONIEKONZERT Boulez, Berthold Hummel und Toru Takemitsu Olivier Messiaen: Éclairs sur l’au-delà ... MIT Kit Niedersächsisches Staatsorchester Hannover Bernd Goetzke, Annika Treutler (Klavier), Helen im Rahmen von Musik 21 Niedersachsen Sonntag, 3. Mai 2015, 17 Uhr DIRIGENT Stefan Asbury Veranstaltung der Staatsoper Hannover für Neue Musik Armstrong, Séverine Jung Eun Kim, Dabringhaus (Flöte), Zhongyi Cong (Oboe) Veranstaltung der HMTMH Karten bei den jeweiligen Veranstaltern ORCHESTER HELENA SCHEELE REINGEHÖRT mit Lukas Kay »Ich habe noch keinen Jüngeren getroffen …«, entgegnet Lukas Kay charmant schmunzelnd auf die Frage, ob er mit Jahrgang 1993 denn das jüngste Staatsorchestermitglied sei. Seit seinem siebten Lebensjahr spielt er Trompete. Er habe andere Instrumente ausprobiert, doch war es am Ende immer wieder das goldene Blech, das ihn faszinierte. »Ich komme aus einer komplett nicht-musikalischen Familie. Bei mir macht niemand Musik, auch nicht im weiteren Umfeld, da bin ich der Einzige«, sagt Lukas Kay und ging dennoch mit 14 Jahren ganz allein nach Dresden auf das renommierte sächsische Landesgymnasium für Musik Carl Maria von Weber, ein Jahr später kam die Familie nach. Zu dieser Zeit verfestigte sich Lukas Kays Wunsch »Berufsmusiker« zu werden. Er spricht darüber ganz abgeklärt und bescheiden, die vielen ersten Preise bei Bundeswettbewerben, die großen Auftritte mit dem Jungen Sinfonieorchester Dresden versucht er dezent zu verschweigen. Auch beim Gespräch über seine Vorbilder bleibt das so: »Ich wollte immer wie Sergei Nakariakow spielen können, was ich bis heute leider nicht geschafft habe. Ich denke, Nakariakow und Håkan Hardenberger waren so die beiden, die mich zu der Zeit am meisten beeinflusst haben.« Hardenbergers CD »Berühmte Trompetenkonzerte« hörte er rauf und runter. Mittlerweile studiert Lukas Kay an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main bei Prof. Klaus Schuhwerk und ist seit der aktuellen Spielzeit 2014/15 Trompeter beim Niedersächsischen Staats­ orchester Hannover. Seit er den ganzen Tag schon beruflich mit klassischer Musik zu tun hat, hört er privat gerne auch mal etwas anderes: »Ein Fünftel Klassik und vier Fünftel alles andere«, beschreibt er sein Hörverhalten. »Alles andere« sind dabei gerne unbekanntere junge Künstler, denen der große Durchbruch noch bevor steht, vielleicht ebenso wie ihm? Jaymes Young mit seinem melancholischen Pop bildet für Lukas Kay einen entspannten Ausgleich nach oder zwischen der Arbeit. Morgens Probe und abends eine Vorstellung, das ist für den jungen Trompeter eine willkommene Herausforderung: »Ich persönlich habe das Gefühl , auch weil meine Kollegen mich sehr freundlich aufgenommen haben, dass mir dieser Schritt für mein Spielen sehr gut getan hat, jeden Tag diesen gewissen Anreiz von außen zu kriegen, dass man immer noch ein bisschen besser spielen kann.« Vielleicht ja auch irgendwann so gut wie Nakariakow? Bis dahin hören wir uns noch Lukas Kays spezielle Frühlingsempfehlung an: Die CD »Hertel: trumpet concertos« mit Star-Trompeter Wolfgang Bauer, drei Trompetenkonzerte von Johann Wilhelm Hertel. + Håkan Hardenberger: Famous Classical Trumpet Concertos / Berühmte Trompetenkonzerte. Werke von Hummel, Hertel, Haydn und Richter. Philips (Universal Music) 1999. + Wolfgang Bauer: Hertel: trumpet concertos. MDG 2007. + Jaymes Young: Dark Star EP. Atlantic Records 2013. 22.23 GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES OPERNHAUSES JOHANNA PAULMANN-HEINKE »WO, BITTE, GEHT’S NACH PANAMA?« Anfang Februar machten sich 50 Mitglieder der GFO zusammen mit Tiger, Bär und einer einzigartigen Ente auf die Suche nach Panama, dem Land ihrer Träume. Sie ließen sich durch den einer alten Holz­ kiste mit der Aufschrift »Panama« entströmenden Bananenduft an­ locken und erlebten im Ballhof Zwei eine bezaubernde Bühnen­ orchesterprobe der Kinderoper des jungen Komponisten Stefan Johannes Hanke. Die Reise der beiden Protagonisten, einprägsam gespielt und ge­ sungen von Jeong-Min Nam (Tiger) und Byung Kweon Jun (Bär), führt sie bekanntlich an vielen Stationen und Erlebnissen vorbei, bis sie wieder ganz unverhofft zu Hause ankommen und feststellen, dass dieses Haus am Fluss der schönste Platz auf der Welt ist. Auch wenn es in der offiziellen Ankündigung dieser Kinderoper heißt »für alle ab 5 Jahren« und unsere Altersstruktur doch etwas höher lag, kam in keinem Moment dieser Bühnenprobe Langeweile auf. Die Bühnenbilder der einzelnen »Reisestationen« waren mit liebevollen Details ausgestattet, die Szenen sprühten vor Ideen und wurden mit hohem Tempo von den Sängerinnen und Sängern gespielt. Mir gefielen die phantasievollen Kostüme. So wurde ein ganz normaler Hut durch einfache Umformung mal ein Topf, dann eine einfache Kopfbedeckung, dann wieder ein Dreispitz oder ein prächtiger Jägerhut. Aber auch das aufwendige und mit filigranen Federn ge­ schmückte Kostüm der Vogeldame konnte verzaubern, zumal eine ihrer Arien stark an Mozarts Zauberflöte denken ließ. Nachdem der junge Komponist Stefan Johannes Hanke bereits 2012 in Hannover mit seiner ersten Kinderoper Der Teufel mit den drei­ goldenen Haaren so erfolgreich gewesen ist, waren wir natürlich auf seine Musik in dieser neuen Kinderoper besonders gespannt. Er spannt dabei den kompositorischen Bogen von großem jazzigen Schlagzeug und Klavier bis zu lieblichen Streicherklängen. Ein­ prägsame Arien unterstreichen die jeweiligen Charaktere der Fi­ guren. Zwischendurch darf wegen der wunderbaren musikalischen Einfälle Hankes auch herzlich gelacht werden. Dem jungen Kompo­ nisten gelingt es, mit seiner musikalisch anspruchsvollen Komposi­ tion sowohl Kinder als auch Erwachsene in den Bann zu ziehen. Vor Beginn der Bühnenprobe konnten die GFO-Mitglieder in einem ausführlichen Gespräch mit ihm und dem Dramaturgen Christo­ pher Baumann einiges über die Herangehensweise an die schwie­ rige Aufgabe, eine Kinderoper zu schreiben, erfahren. Dabei betonte Hanke, dass er an eine Kinderoper denselben musikalischen An­ spruch wie an eine Oper für Erwachsene stellt. Kinder sollten nicht unterfordert werden. In der anschließenden Probe konnten wir uns davon überzeugen, dass ihm mit seiner neuen Komposition eine Kinderoper gelungen ist, über die sich sowohl Kinder als auch Er­ wachsene freuen können. In einem anschließenden Gespräch mit dem Regisseur Tobias Ri­ bitzki und Christopher Baumann konnten dann noch wichtige Fra­ gen zur Inszenierung geklärt werden. Darunter auch, aus wie vielen Alltagsresten denn die Tigerente zusammengefügt sei und wie die Wäscheklammer so lange auf der Nase der Gans hat halten können. Insgesamt war der Probenbesuch mit seinem Blick hinter die Kulis­ sen wieder eine Bereicherung und man wünschte sich, dass einem selber damals als Kind ein solcher »Einstieg« in die große Welt der Oper geboten worden wäre. GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES OPERNHAUSES HEIDE VON DREISING HEIDE VON DREISING »DER PROZESS«: PROBENBESUCH »DER PROZESS«: TANZWORKSHOP Man stelle sich vor, ein Mensch wird angeklagt, ohne zu wissen wa­ rum. Er will Aufklärung, scheitert kläglich und fühlt sich einer ano­ nymen Macht ausgeliefert, die ihn zerstört und ihn in letzter Konse­ quenz ermordet. Die Geschichte dieses Albtraums – nach dem Romanfragment Der Proceß von F. Kafka – wird derzeit an unserem Opernhaus von Mauro Bigonzetti choreographisch umgesetzt. 100 Mitglieder der GFO durften Anfang März eine der Proben besuchen. Zu Beginn führte uns Ballettdramaturgin Brigitte Knöß in ihrem kompetenten Vortrag in das Leben Kafkas und seinen Roman ein, der autobiographische Züge trägt. In der Umsetzung zeigt der Choreograph, wie wichtig es für ihn ist, Atmosphäre durch starke, expressive Bilder zu schaffen. Das Büh­ nenbild ist nur in schwarz-weiß gehalten, die Kostüme orientieren sich an Grisaillemalereien, und die Musik ist streng, sakral und ge­ tragen. Sie umspannt zeitlich den Bogen von der Renaissance (Gesualdo, Monteverdi) und Barock (Merula und Buxtehude) über Mussorgsky bis zu Henryk Górecki. Die Tänzer bewegen sich dazu mit oft heftigen, abrupten Bewegungen und drücken die Macht der »Meute« gegenüber Herrn K. aus (Gerichtsszene). In Kontrast dazu steht der harmonische Pas de Deux von Josef K. mit der Pflegerin, berührend zart und doch voll Leidenschaft. Am Ende der Probe ver­ harrte man noch innerlich erschüttert auf seinem Sitz. Nicht nur, weil es einen starken Spannungsbogen gab, sondern weil die Aktua­ lität dieses Stoffes so verblüffend ist. Am 8. März wurde den Mitgliedern der GFO der jährlich stattfin­ dende und beliebte Ballettworkshop angeboten, der diesmal Der Prozess nach dem Roman von Franz Kafka zum Thema hatte. Cho­ reographieassistent Mathias Brühlmann vermittelte uns 18 Damen in zweieinhalb Stunden einen tiefgehenden Einblick in dieses kom­ plexe Werk und dessen Umsetzung in ein Ballett durch den Choreo­ graphen Mauro Bigonzetti. Spannend hierbei ist, dass der Plan für die Choreographie zunächst nur bruchstückhaft feststand, und jedes Mitglied des Ballettensembles aufgefordert war, am Entste­ hungsprozess teilzuhaben. In diesem Sinne ist auch Mathias Brühl­ mann mit uns vorgegangen, der uns eigene Ideen einbringen ließ. Für die Gerichtsszene stellten wir Tische und Stühle in U-Form auf und einen einsamen Sitzplatz für den Angeklagten Herrn K. uns ge­ genüber. Im nächsten Schritt lernten wir einzelne Bewegungs­ muster der »offiziellen« Choreographie kennen, die wir dann im Ablauf mit der unterlegten Musik tanzten. Danach zeigte er uns das Probenvideo des Ballettensembles genau zu dieser Gerichtsszene. Eine andere Szene – wie zwei Polizisten Herrn K. attackieren – tanzten wir in Dreiergruppen. Dazu übten wir zuerst mehrere kurze und auch bedrohlich wirkende Bewegungen ein, deren Reihenfolge wir dann zur Musik nach eigener Vorstellung zusammenstellten und beliebig wiederholten. Wir danken Mathias Brühlmann für einen intensiven und vielseitig anregenden Blick in die Ballettwerkstatt. WERDEN AUCH SIE EIN FREUND DES OPERNHAUSES – JEDER IST HERZLICH WILLKOMMEN! Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover e.V. | VORSTANDS­VOR­SITZENDER Christoph Trestler | POSTANSCHRIFT DER GFO-GESCHÄFTSSTELLE Geschäftsstelle der GFO, c/o Nord/LB, Zuleitung 5371, Friedrichswall 10, 30159 Hannover | BANKVERBINDUNG NORD/LB, BLZ 25050000, Konto-Nr. 101424737 | Die jährlichen Beiträge für eine Mitgliedschaft betragen für eine Einzelperson 50€, für jedes weitere Familienmitglied 25€, für Schüler und Studenten 10€, für Firmen 200€. Fragen zur Mitgliedschaft und zu den Veranstaltungen richten Sie bitte an unsere Ansprechpartnerin Friederike Schlömer ([email protected]) oder an die Geschäftsstelle der GFO. Weitere Informationen unter www.gfo-hannover.de 24 FUNDUS HANNOPERANER UNTERWEGS Innerhalb Deutschlands, aber auch im Ausland sind Sängerinnen und Sänger des Opernensembles unterwegs. Als König in Aida gastiert Per Bach Nissen im April und Mai an der Oper Malmö. Zwei Mezzosopranis­ tinnen können Sie auf dem Konzertpodium der NDR Radiophilharmonie erleben: Ende April wirkt Mareike Morr im Großen Konzert mit jüdischer geistlicher Musik unter der Leitung von Elli Jaffe mit, während Khatuna Mikaberidze einen Monat später die Czipra in Johann Strauß’ Operette Der Zigeunerbaron unter der Leitung von Lawrence Foster singt. Erneut als Sarastro steht Daniel Eggert in der Zauberflöte auf der Bühne des Theater für Niedersachsen. In der Inszenierung des Landestheaters Detmold übernimmt Roland Wagenführer in Anatevka die Rolle des Tevje. Gastengagements in Der Ring des Nibelungen führen Robert Künzli (Siegmund in Die Walküre), Ivan Turšic´ (Mime in Das Rheingold) und Stefan Adam (Alberich in Das Rheingold) an das Anhaltische Theater Dessau. Noch süd-westlicher liegt der Auftrittsort von Josefine Weber. Die Sopranis­ tin wird am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken in Wagners Der fliegende Holländer als Senta gastieren. Shavleg Armasi hingegen zieht es nach Österreich: Ab Mai steht er in der Neuinszenierung von Charles Gounods Faust als Mephistophélès auf der Bühne des Tiroler Landestheater Innsbruck. OPERNRÄTSEL Was passiert, wenn die Lächerlichen die Regie an sich reißen, kann man in dem gesuchten Stück miterleben. Schadenfreude wird zum Verhängnis, durch das sogar Menschen dehydriert sterben müssen. Basierend auf einem Märchenspiel aus dem 18. Jahrhundert, ist es die berühmteste Oper des Komponisten, sie steht ganz in der Tradition von Opera buffa und Commedia dell’arte. Zauberer und Hexen tummeln sich in diesem Werk und machen von ihren magischen Fähigkeiten reichlich Gebrauch. Auch Prinzen, Prinzessinnen und Könige gehören zum Märchenpersonal. Die Musik ist bewusst einfach gehalten, aber insbesondere die farbenreiche und differenzierte Instrumentation ist bemerkenswert. Auch Witz und Ironie finden sich in der Musik wieder. Bekanntheit erlangte vor allen Dingen ein parodistisches Stück mit martialischer Anmutung. Skurriler und charmanter Humor kulminieren am Ende im fröhlichen Happy End. Die Premiere hatte, auch aufgrund der damaligen politischen Unruhen und Gegebenheiten in der Heimat des Komponisten, einen sehr internationalen Charakter: Das Werk wurde übrigens in Chicago uraufgeführt. Gesucht werden Name des Komponisten und der Oper. Ihre Antwort schicken Sie bitte bis zum 11. Mai 2015 an: Staatsoper Hannover, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Opernplatz 1, 30159 Hannover, oder per Mail an [email protected]. Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir 3 x 2 Karten für Werther am 30. Mai 2015, 19.30 Uhr. In der seitenbühne 02.03 2014/15 suchten wir die Oper Adriana Lecouvreur von Francesco Cilea. IMPRESSUM HERAUSGEBER Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH, Staatsoper Hannover, Opernplatz 1, 30159 Hannover Dr. Michael Klügl REDAKTION Dr. Olaf Roth TEXTE Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit, Musiktheaterpädagogik TYPOGRAFISCHES KON­ ZEPT María José Aquilanti, Birgit Schmidt GESTALTERISCHE UMSETZUNG María José Aquilanti DRUCK Steppat Druck FOTOS Heide von Dreising (22/23), Insa Hagemann (16), Thomas M. Jauk (4/5), Marek Kruszewski (2/3), Jörg Mannes (11, l.) Gert Weigelt (Titel, 11, r./12), Friederike Schlömer (22/23) und privat ILLUSTRATIONEN Elvira Freind (12/13) TITEL Steffi Waschina und Deniz Piza in Der Prozess INTENDANT ORCHESTER seitenbühne . April / Mai 2015