Heinrich von Kleist - verena grosskreutz

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19./20. November 2011
Vom Glück der Verzweiflung
Vor 200 Jahren nahm sich der Dichter Heinrich von Kleist 34-jährig das Leben
Von Verena Großkreutz
a
m äußersten Rand unserer
Republik, in Frankfurt am
Ufer der oder, steht ein altes haus. es beherbergt
seit 1969 das Kleist-museum: Gedenk- und Forschungsstelle für den
dichter, der von hier stammte. es ist
nicht Kleists Geburtshaus. das wurde im zweiten weltkrieg zerstört. es
ist eine ehemalige Garnisonsschule.
man hat diese Stätte gewählt, weil
sie in Kleists Geburtsjahr 1777 erbaut wurde und so eine vage Verbindung herstellt zur aura des dichters.
es ist also kein authentischer ort. So
wie auch sonst so gut wie nichts
Greifbares von Kleist übriggeblieben
ist. der nomade hinterließ keinen
hausrat. Und weil er nicht Schiller
war, gibt es auch keine Locken, Tabaksdosen oder Beinkleider zu besichtigen. Selbst handschriften sind
rar.
Viel gespielt und viel erforscht
die geographische Lage dieses einzigen Kleist-museums deutschlands
ist unfreiwillig ein treffliches Bild für
den Blick der deutschen auf eines
ihrer größten Sprachgenies: Kleist
wird heute, im Gedenkjahr 2011,
zwar viel gelesen, viel besprochen,
viel gespielt und viel erforscht – doch
ist er ein außenseiter geblieben. ein
„Selbstmörder“, dessen Grabstein
nicht wie der anderer ordentlich auf
einem Friedhof steht, sondern außerhalb. einer, den man weder in die
Romantik- noch in die KlassikSchublade stecken kann. einer, den
der dichterfürst Goethe nicht mochte. ein „Gescheiterter“, wie man derzeit oft in den Feuilletons liest.
er sei „auf dauer nichts als ein erfolgloser Schriftsteller“ geblieben,
schrieb jüngst etwa der Stuttgarter
Germanist heinz Schlaffer. wer
Kleist als einen Gescheiterten bezeichnet, der misst ihn aber an unseren profitorientierten zeiten und
daran, dass ein Leben stringent und
karriereorientiert zu verlaufen hat,
wenn es denn „erfolgreich“ sein will.
Kleist hat das „Scheitern“ zugunsten der Veränderung in Kauf genommen, aber er ist mitnichten als
Schriftsteller erfolglos gewesen. er
vollendete seine werke, ließ sie nicht
als Fragment in der Schublade verschwinden, sondern einen Teil davon veröffentlichen – sein erstlingsdrama „die Familie Schroffenstein“
etwa, die Tragikomödie „amphitryon“, das Trauerspiel „Penthesilea“,
das „große historische Ritterschauspiel“ „das Käthchen von heilbronn“, das Lustspiel „der zerbrochene Krug“ sowie zwei Bände mit
erzählungen.
einige seiner Stücke kamen noch zu
Lebzeiten zur Uraufführung, „das
Käthchen von heilbronn“ 1810 in
wien sogar mit erfolg, der „zerbrochene Krug“ dagegen wurde 1808
an weimars hoftheater ausgepfiffen.
heute gibt man die Schuld dafür der
Regie. es war Goethe höchstpersönlich, der das Lustspiel auf die Bühne
brachte, obwohl er Kleists werke eigentlich ablehnte. Goethe teilte den
„Krug“ in drei akte mit Pausen auf,
so dass die handlungsarmut, die er
zuvor kritisiert hatte, erst recht offenbar wurde. zudem hatte das Publikum zu Beginn der aufführung
bereits die einaktige komische oper
„der Gefangene“ von domenico
della maria hinter sich. der Theaterabend zog sich also unnötig in die
Länge. augenzeugen berichteten
von einem „wahren heidenlärm im
Theater“, veranstaltet vom verärgerten Publikum. die zeitungen fielen
über Kleist her. das Stück wurde
nicht wiederholt.
Verlust der Sprache
Kleist war seiner zeit weit voraus,
sein Personal modern-zeitlos: oft
durchschnittsmenschen in Grenzsituationen, keine helden. menschen,
die den Kontakt zur Gemeinschaft
auf tragische weise verlieren und
vereinzeln, nachdem ihnen die Sprache als verbindende Kraft abhanden
gekommen ist und damit auch die
Vernunft: Jetzt handelt der mensch
aus dem Gefühl heraus, und das ge-
Kreideporträt Heinrich von Kleists (1831) nach dem einzigen authentischen Bildnis von 1801.
biert Ungeheures, entsetzliches,
Grausames. wie im Falle des Pferdehändlers michael Kohlhaas, dessen Gerechtigkeitssinn sich zum Fanatismus wandelt, als er sein Recht
vor Gericht nicht bekommt, und zum
mordenden, ganze Städte niederbrennenden Racheengel mutiert. dabei ging es zunächst nur um zwei
Rappen, die ihm unrechtmäßig abgenommen und als dürre Klepper zurückgegeben worden waren.
Kleists Prosa ist von einer ungeheueren rhythmischen dynamik, Bilderkraft und Gewalt. Sie bleibt dabei
aber immer präzise konstruiert und
nüchtern. das ist das Besondere. der
dichter legte in die schriftliche Gestaltung mehr wert als andere: Satzzeichen – ob Gedankenstrich, anführungszeichen, Semikolon, ausrufezeichen oder dreifacher Punkt –
erscheinen von Grammatik und Syntax oft losgelöst und forcieren Rhythmus und Struktur.
In seinen dramen hält er sich nicht
an formale Konventionen, gibt die
akteinteilung auf. hier wird das Versagen der worte zum Programm.
auch hier schlägt Sprachlosigkeit um
in exzessive zerstörungswut. Kleist
vertraut der vermittelnden Kraft der
Sprache nicht mehr. Sie führt zu
missverständnissen, statt zu klären.
wenn menschen miteinander sprechen, durchdringen sie nicht ihre einsamkeit, sondern verharren im Gehäuse ihrer Gefühle, für die die Sprache keine adäquate Übersetzung bereithält: „was in ihr walten mag, das
weiß nur sie, / Und jeder Busen ist,
der fühlt, ein Rätsel“, lässt Kleist Pro-
thoe über ihre Freundin Penthesilea
sagen. So kann auch das Käthchen
von heilbronn nur im Traum von seinen erlebnissen sprechen und alkmene in „amphitryon“ ihre Gefühlsverwirrungen nicht in worte fassen.
durch diese Sprachskepsis stellte
Kleist das drama prinzipiell in Frage. „das drama ist bei ihm nicht drama als dialog, sondern drama des
dialogs“ (hans heinz holz). das
konnte Goethe nicht gefallen.
Zeit im Wandel
Kleist fand zu Lebzeiten nicht jene
anerkennung, die nötig gewesen wäre, um vom Schreiben (gut) zu leben.
wie so viele andere musste er, um
zu überleben, Lohnarbeit verrichten.
Seiner hoffnung, als Theaterautor
zu Ruhm zu gelangen, ließ er allerdings nicht viel zeit zur erfüllung.
Kleist beginnt um 1801 mit dem
Schreiben. 1811 nimmt er sich das
Leben – seine literarische aktivität
umfasst nicht mal zehn Jahre.
heinrich von Kleist lebte in unruhigen, politisch instabilen zeiten, geprägt von den Folgen der Französischen Revolution und den wirren
der Befreiungskriege gegen napoleon: eine zeit im wandel – von der
aristokratischen zur bürgerlichen
Gesellschaft. adlige waren gezwungen, sich neu zu orientieren.
Kleist war ein Skeptiker, ein hinterfrager, ein wissbegieriger, ein Suchender, ein abenteurer. einer, der
durch seine entscheidung, vorgeschriebene wege zu verlassen, die
erdung verlor. ein zerrissener zwi-
Foto: dpa
schen selbstbestimmtem Künstlerdasein und aristokratischer herkunft,
der seinen Lebensplan beständig änderte, um sich einem neuen Projekt
zu widmen. er heiratete nie, vermutlich liebte er männer.
er entstammte einem preußisch-adeligen Krieger-Geschlecht, seit Jahrhunderten als solches aktiv und berühmt. diesen weg ging Kleist zunächst mit. als gerade mal 14-Jähriger tritt er gemäß der Familientradition in die eliteeinheit der preußischen armee ein, nimmt unter anderem am Rheinfeldzug 1792/93 gegen Frankreich teil. ein Kindersoldat, ein vermutlich traumatisierter.
22-jährig quittiert er den militärdienst, den er schon länger als unerträglich empfunden hat. er wird sich
über seine zeit als Soldat niemals
schriftlich äußern. das Thema Gewalt aber wird im mittelpunkt seiner werke stehen. wie in der novelle „das erdbeben von chili“, in
der zwei Liebende die naturkatastrophe überleben, dann aber vom
wütenden mob erschlagen werden.
oder wie in der „marquise von o“,
die während einer ohnmacht vergewaltigt und geschwängert wird.
Ausstieg aus der Militärlaufbahn
nach seinem ausstieg aus der militärlaufbahn 1799 stürzt sich Kleist
wissensdurstig ins Studium an der
Universität in Frankfurt an der oder:
Physik, mathematik, Kulturgeschichte, naturrecht und Latein sind seine
Fächer. der euphorie folgt bald die
ernüchterung: Kleist bricht sein Stu-
dium nach nur drei Semestern ab.
der zweifler traut den naturwissenschaften, die in der aufklärung zum
objektiven mittel erkoren wurden,
den menschen, die Gesellschaft und
die welt zu erkennen, nicht mehr.
er wird später an seine Verlobte wilhelmine von zenge schreiben: „wir
können nicht entscheiden, ob das,
was wir wahrheit nennen, wahrhaftig wahrheit ist oder ob es uns nur
so scheint“.
die Liebe zur experimentalphysik
wird bleiben: Kleist träumt vom Bau
eines hydrostatischen Tauchboots,
empfiehlt eine artilleristische „wurfund Bombenpost“ zur schnellen
nachrichtenübermittlung, denkt
über die „künstliche erzeugung eines organischen oder gar lebendigen
Körpers“ nach und die möglichkeit,
„mit maschinen ein Loch durch die
erde bis zu den Gegenfüßlern“ in
australien zu graben.
nach dem abbruch des Studiums arbeitet Kleist kurz für das preußische
wirtschaftsministerium in Berlin –
man munkelt, als Spion –, reist durch
europa, plant 1801, angeregt durch
die Lektüre Rousseaus, sich in der
Schweiz als Bauer niederzulassen,
um „ein Feld zu bebauen, einen
Baum zu pflanzen und ein Kind zu
zeugen“, wie er seiner Verlobten
wilhelmine schreibt. er bricht die
Verlobung, als die Frau nicht mitmachen will, und gibt den Plan auf. Fasst
den irren entschluss, bei der französischen armee anzuheuern, um gegen england „den Tod in der Schlacht
zu sterben“. er bricht zusammen. es
folgen zwei Jahre Staatsdienst in Königsberg. 1806 dann die entscheidung, sich durch „dramatische arbeiten“ zu finanzieren.
auf dem weg nach Berlin wird er
anfang 1807 mit Freunden wegen
angeblicher Spionage von den Franzosen verhaftet und einige monate
auf dem Fort de Joux im französischen Jura gefangengehalten. 1808
gibt Kleist zusammen mit dem befreundeten adam müller in dresden
das Kunstjournal „Phöbus“ mit insgesamt zwölf ausgaben heraus, in
dem er auch ausschnitte aus seinen
werken veröffentlicht.
1810 überrascht Kleist mit der Gründung einer Tageszeitung in Berlin:
der „Berliner abendblätter“, die
vordergründig der „Unterhaltung aller Stände des Volkes“ dienen sollen, mit denen Kleist aber eigentlich
die Leser aus der „wunderlichen
Schlafsucht“, also der politischen
Passivität, wecken will: eine bunte
mixtur aus Kulturpolemiken, militäranekdoten, Gedichten, ästhetischen essays, vor allem aber auch
politischen Schriften, die ganz offen
die preußische Regierung und den
reformfeindlichen adel kritisieren.
Verkaufsfördernd sind vor allem die
täglich abgedruckten aktuellen Polizeiberichte, damals eine novität.
„Meine Seele ist so wund“
doch nach zwei monaten schlägt die
Regierung zurück. Kleist wird der
abdruck von Polizeimeldungen,
Theaterberichten sowie politischen
artikeln verboten. das ruiniert sein
ambitioniertes zeitungsprojekt. den
monatelangen aussichtslosen und demütigenden Kampf um sein Blatt
verliert Kleist. Im märz 1811 muss
er aufgeben, bankrott und am ende
seiner Kräfte. er versucht verzweifelt und erfolglos, eine anstellung in
der preußischen Verwaltung zu bekommen. „Ich schwöre dir, es ist mir
ganz unmöglich länger zu leben; meine Seele ist so wund, daß mir, ich
möchte fast sagen, wenn ich die nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf
schimmert“, schreibt er am 10. november 1811 an seine cousine marie.
Kleists spektakulärer Freitod am 21.
november 1811 erregte, weil er ihn
öffentlich inszenierte, nicht nur national, sondern auch international
aufsehen. Und bis heute schockiert
die radikale, konsequente durchführung dieses „Projekts“, in das Kleist
auch seine todessüchtige Bekannte
henriette Vogel mit hineingezogen
hat. Laut Bericht der wirtsfrau der
Gaststätte „neuer Krug“ am Kleinen wannsee bei Potsdam, wo sich
Kleist und die drei Jahre jüngere
henriette Vogel am Vortag ihres gemeinsamen Todes einquartiert und
dort auch ihre abschiedsbriefe verfasst hatten, sollen die beiden am
morgen ihres Suizides bester Laune
gewesen sein. Sie tollten herum,
schleuderten Steine in den wannsee,
ließen sich am Ufer trotz des kalten
Spätherbstwetters zum Picknick nieder. Gegen 16 Uhr tötete Kleist zunächst seine Begleiterin durch einen
Schuss in die Brust und dann sich
selbst durch einen Schuss in den
mund.
Über die außenwirkung seiner Tat
war sich Kleist offenbar voll bewusst.
So manch einer spricht deshalb bewundernd von einem „suizidalen
Kunstwerk“, einer bis ins detail perfekten Inszenierung. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Kleist –
dichter, Krieger, Seelensucher“
stellt Peter michalzik überzeugend
dar, dass selbst die Körperhaltung
der Toten ein bewusstes arrangement verraten. man fand die Leichen
in der nähe des Seeufers „in einer
kleinen Grube gegeneinander über
sitzend“. der Körper Kleists war
seitlich vornüber gekippt, Vogel lag
auf dem Rücken, aber beide sollen
sich in „fast kniender Stellung“ befunden haben, wie es in augenzeugenberichten heißt.
Inszeniertes Ende
Kleist soll sich für dieses arrangement das Bild eines französischen
malers zum Vorbild genommen haben, schreibt michalzik. es handelt
sich dabei um das Gemälde „Sterbende heilige magdalena“ des malers Simon Vouet, das Kleist im Juni 1807 in einer Kirche in châlonssur-marne gesehen hatte. Begeistert
war er von der art, wie Vouet eine
Sterbende als glücklichen menschen
darstellte. Sie läge „mit Blässe des
Todes übergossen auf den Knien, der
Leib sterbend in die arme der engel
zurückgesunken“, schrieb Kleist.
die heiterkeit, mit der Kleist offenbar aus dem Leben schied, bleibt rätselhaft. dass er es als „höchste Lebenskraft“ begreife, das Leben „opfern zu können“, hatte er marie in
seinem abschiedsbrief geschrieben.
Kleists Todesbereitschaft sei „ausdruck eines radikalen charakters,
der alles in der welt auf seine zerstörungswürdigkeit prüft, um das
Überflüssige vom notwendigen zu
scheiden; der sich dem natur eingeschriebenen zwang zur Selbsterhaltung ein Leben lang entzieht; der
Freiheit als einen akt begreift, der
die eigene Selbsterhaltung notwendig verletzen muss“, schreibt der
Kleistforscher Günter Blamberger.
Letzteres trifft auch auf Kleists extremste Figur zu, den michael Kohlhaas, der am ende lieber den Tod
auf dem Schafott in Kauf nimmt, als
sich auf einen deal mit der Staatsmacht einzulassen. Und auf den Prinzen von homburg, der, als er selbst
bestimmen soll, ob er begnadigt oder
hingerichtet wird, spricht: „Ich will
das heilige Gesetz des Krieges durch
einen freien Tod verherrlichen.“
die letzte entscheidung traf auch
Kleist mit dem herzen. die Sprache
versagte dem dichter. es fallen zwei
Schüsse am wannsee. „ach!“, sagt
alkmene, die Betrogene, am Schluss
von „amphitryon“. dann fällt der
Vorhang.
Die noch bis zum 29. Januar 2012
laufende Doppelausstellung „Krise
und Experiment“ im Kleist-Museum
Frankfurt/Oder und im Ephraim-Palais
Berlin gibt einen differenzierten Einblick in das Wesen und Wirken Kleists
und stellt einfallsreich zwingende Bezüge zur Gegenwart her. Sie richtet den
Fokus auf Kleist als einen modernen
Charakter, der, geprägt von diversen
Katastrophen, seine Ideen und Projekte aus einer permanenten Krisenerfahrung heraus entwickelte. Lesenswert ist der Katalog zur Ausstellung:
„Kleist: Krise und Experiment“, herausgegeben von Günter Blamberger
und Stefan Iglhaut, 39,95 Euro.
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