Textblatt zu „Erklärungsmodelle für den Nationalsozialismus“

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Textblatt zu „Erklärungsmodelle für den Nationalsozialismus“
Text 1
Die Hauptaufmerksamkeit der marxistischen Forschung gilt … in erster Linie den sozioökonomischen Ursachen des
Faschismus, den Bedingungen, die seinen Vormarsch ermöglichten, den pro- und antifaschistischen Haltungen und
Aktivitäten der politischen Kräfte. …
(Seine besonderen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten) ließen Hitler schließlich zur Galionsfigur der Oberschicht einer Klasse werden, die historisch abgewirtschaftet hatte und sich nur noch mit grenzenloser Brutalität und
nicht mehr zu überbietender Unmenschlichkeit an der Macht halten konnte.
(Wolfgang Ruge, Das Ende von Weimar, Monopolkapital und Hitler, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 3. Aufl. 1983 S. 13ff)
Text 2
Die in diesem Band vorgelegten Dokumente … zeigen, wie eine entscheidende Gruppe deutscher Industrieller, Bankiers und Großagrarier, z. B. diejenigen, welche im November 1932 die Eingabe an den Reichspräsidenten Paul von
Hindenburg zur Übergabe der Regierungsgewalt an Hitler unterzeichneten oder ihr zustimmten, direkten oder indirekten Einfluss auf die deutsche Politik nahm und wie sie die Machtergreifung der Nazipartei, die Kanzlerschaft Adolf
Hitlers und die Errichtung der faschistischen Diktatur gewollte und organisiert hat. Ausgangs der Weltwirtschaftskrise
war das kapitalistische System in Deutschland in eine tiefgehende Krise geraten. Angesichts dieser Situation schien es
den reaktionärsten und aggressivsten Gruppen des deutschen Finanzkapitals angeraten, sich auf eine neue Massenbasis
mit der faschistischen Nazipartei an der Spitze zu orientieren, um die Durchführung ihrer weitgespannten Expansionsziele zu sichern. Sie hatten nicht nur keine Angst vor Hitler, vor seiner sogenannten Weltanschauung und der bereits
praktizierten Terrorpolitik, sondern sie wollten im Gegenteil ihre bereits bestehende Macht mit den gesteigerten Potenzen einer faschistischen Diktatur vereinigen. Sie hielten allein den Faschismus, der sich ihnen als ein politisches System
anbot, das alles Reaktionäre und Barbarische in der Politik und in der Ideologie in sich einschloss, für geeignet, mit
offenem Terror und einer raffinierten Massenmanipulation den gordischen Knoten ihrer inneren und äußeren Widersprüche zu lösen. Diese Bestrebungen wurden von einflussreichen imperialistischen Kreisen der Westmächte, insbesondere der USA, gebilligt und unterstützt, weil sie sich davon versprachen, dass ein politisches System in Deutschland wie
der Faschismus besser als Speerspitze gegen die sozialistische Sowjetunion zu gebrauchen sei…
D. Eichholz, W. Schumann ‚Anatomie des Krieges, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin, 1969
Text 3
1. Historisch-beschreibende Elemente einer Definition des Faschismus
Faschistische Parteien waren nach dem Führerprinzip organisiert und verfügten über uniformierte und bewaffnete Abteilungen. Sie vertraten eine Ideologie, die sowohl antisozialistische und antikapitalistische Momente enthielt, von der
die Moderne sowohl bejaht wie radikal verneint wurde und die schließlich extrem nationalistisch, antidemokratisch und
Gewalt verherrlichend war.
2. Strukturelle Faktoren
Faschistische Parteien konnten eine Massenbasis erreichen, wenn es ihnen gelang, Menschen mit bestimmten psychischen Merkmalen („autoritärer Charakter“) und Bedürfnissen (Angst und Aggression) sowie vor allem Angehörige des
Mittelstandes für ihre Ziele zu gewinnen und schließlich finanzielle Zuwendungen von einigen Industriellen zu erhalten.
Zur Macht gelangten sie nur dort, wo einflussreiche Kreise in Industrie, Landwirtschaft, Militär und Bürokratie breit
waren, mit der jeweiligen faschistischen Partei ein Bündnis zu schließen. Gemeinsames Ziel dieser Bündnispartner war
es, durch einen Lohnstopp die Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und schließlich durch Aufrüstung und Raubkriege die Krise zu überwinden, die diese Länder betroffen
hatte. … Im Unterschied zum italienischen „Normal“-Faschismus gelang es jedoch dem deutschen „Radikal“Faschismus, sich von seinen Bündnispartnern in der Industrie, Landwirtschaft, Bürokratie und Wehrmacht zumindest
partiell und partikular so weit zu verselbstständigen, dass er seine „dogmatisch“ geprägte Rassenpolitik mit ihrer Rassen
züchterischen wie Rassen vernichtenden Komponente auch dann noch verwirklichte, als dies mit den rationalen Zielen
der Sicherung der politischen und ökonomischen Macht nicht mehr zu vereinbaren war.
3. Historisch-singuläre Züge
Die genannten strukturellen Faktoren reichten jedoch nicht aus, um zu erklären, weshalb der Faschismus in einigen
Ländern erfolgreich war, während er in anderen, die vergleichbare Strukturen aufwiesen, nicht erfolgreich war.
In Deutschland konnte der Nationalsozialismus bei seinem Aufstieg folgende Momente ausnützen:
a) den verlorenen Krieg, die Erbitterung über den Versailler Vertrag (…);
b) die antidemokratische Tradition und Haltung in Heer, Verwaltung und Justiz (…);
c) das Vorhandensein starker verfassungsfeindlicher Parteien (…) und das Versagen der demokratischen Parteien;
d) die Weltwirtschaftskrise, durch welche die permanente politische, soziale und ökonomische Krise der Weimarer
Republik noch verschärft wurde.
(aus: Wolfgang Wippermann, Zur Analyse des Faschismus. Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921-1945,
Suhrkamp, Frankfurt/Main 191 S. 146f.)
Text 4
Totalitarismus, autoritäre Regierungsform, in der alle gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, intellektuellen,
kulturellen und geistigen Aktivitäten den Zwecken der Herrschenden und der herrschenden Ideologie eines Staates
untergeordnet sind. Einige wichtige Merkmale unterscheiden den Totalitarismus, eine dem 20. Jahrhundert eigentümliche Form der Autokratie, von älteren autokratischen Herrschaftsformen wie Despotismus, Absolutismus und Tyrannei.
In den älteren Formen der Autokratie konnten die Menschen in vergleichsweiser Unabhängigkeit leben und arbeiten,
solange sie sich von der Politik fern hielten. Im modernen Totalitarismus wird der Mensch dagegen völlig den Wünschen und Launen einer politischen Partei oder ihrer Führer unterworfen. In den älteren Autokratien regierte ein Monarch oder ein anders titulierter Aristokrat, der gemäß eines Prinzips wie dem des göttlichen Rechtes der Könige regierte, wohingegen der moderne totalitäre Staat von einer politischen Partei regiert wird, deren Ideologie umfassende Autorität beansprucht und keinen konkurrierenden Anspruch auf Loyalität oder Gewissen zulässt.
2.
TOTALITÄRE REGIERUNGEN
Totalitäre Regime gab es z. B. in Deutschland während der nationalsozialistischen Herrschaft, in der UdSSR vor
allem unter Jossif Stalin sowie in Italien unter Benito Mussolini.
3.
DIE PARTEI UND IHRE WERKZEUGE
Unter einem totalitären Regime wird die ganze Gesellschaft einer hierarchischen Organisation unterworfen, in der jeder
Einzelne einem anderen in einer höheren Stellung verantwortlich ist – mit der einzigen Ausnahme des höchsten Führers,
der niemandem Rechenschaft schuldig ist. Alle gesellschaftlichen Gruppen, die nicht der Regierung angehören, werden
entweder völlig zerschlagen oder gleichgeschaltet, um den Zwecken der Partei und des Staates zu dienen.
Die völlige Unterwerfung des Einzelnen wurde durch die fortgeschrittene bürokratische Organisation und industrielle
Technik ermöglicht. Zu den entscheidenden Merkmalen totalitärer Diktaturen zählen das Monopol der Massenkommunikationsmittel, eine ausgesprochen starke, die Bevölkerung terrorisierende Geheimpolizei sowie eine zentralistisch
kontrollierte Wirtschaft.
3.1.
Kontrolle der Massenkommunikationsmittel
Aufgrund des Monopols der Massenkommunikationsmittel ist die regierende Partei in der Lage, die öffentliche Meinung weitgehend zu manipulieren und einen freien Informationsfluss zu verhindern. Das gesamte Verlagswesen von
Zeitungen, Zeitschriften und Büchern sowie Radio- und Fernsehsendungen, Theateraufführungen und Filmschaffen sind
zentralistisch kontrolliert und gelenkt. Alle Schriftsteller, Redner, Schauspieler, Komponisten und Dichter werden
durch von der Partei überwachte Organisationen kontrolliert und bedürfen für die Ausübung ihres Berufs einer staatlichen Genehmigung. In der Regel müssen sie Parteimitglieder sein. Über die Zensur wird in allen Massenmedien eine
parteikonforme Berichterstattung sichergestellt und eine freie Meinungsbildung unterdrückt.
3.2.
Waffenmonopol
Das absolute Waffenmonopol der Einheitspartei ist ein weiteres Merkmal des totalitären Staates. In den totalitären Staaten, die keine rechtlichen Mittel zur Veränderung einer Regierung zulassen, besitzen Volksrevolutionen wie die Aufstände in der DDR 1953 und in Ungarn 1956 kaum eine Aussicht auf Erfolg, weil der Staat nicht zögert, diese Waffen
zur Niederschlagung der unbewaffneten Opposition einzusetzen, wie bei den Protesten auf dem Tiananmenplatz in
China 1989.
3.3.
Kontrolle der Wirtschaft
Die zentralistisch kontrollierte Wirtschaft versetzt den totalitären Staat in die Lage, seine Bevölkerung planmäßig auszubeuten. So können alle Ressourcen auf ein einziges militärisches Unternehmen konzentriert werden. Die totalitäre
Wirtschaft ermöglicht es dem Herrschaftsapparat, die Arbeitenden zu kontrollieren und sie in Abhängigkeit von der
Regierung zu halten. Kritik an den herrschenden Zuständen mündet häufig in ein Berufsverbot.
aus: Microsoft® Encarta® Enzyklopädie 2000. © 1993-1999 Microsoft Corporation..
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