Wein-Keller-Kult

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Architektur & Technik
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Architektur und Wein
Wein-Keller-Kult
Weltweit ist ein Veränderungsprozess bei Bauten für Winzer und Weinwirtschaft festzustellen. Vor zwanzig Jahren wurde in Frankreich, in Australien, Chile, Südafrika und im kalifornischen Napa Valley ein neues Zeitalter der Weinarchitektur eingeläutet. Das Architekturzentrum Wien widmete ihm vor einiger Zeit eine Ausstellung.
Text: Lore Kelly
Dominus Winery, Yountville, Napa Valley, USA, Herzog & de Meuron,
1995–1998. Foto Margherita Spiluttini
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Architektur und Wein
Loisium, Langenlois, Niederösterreich, Steven Holl mit SAM und
Ott-Reinisch, 2003. Foto Hertha Hurnaus
In den letzten Jahrhunderten baute die Wein-Aristokratie formschöne und vornehme Schlösser und Weingüter mit Zinnen, grossen Toren und grosszügigen Gartenanlagen mit breiten Alleen.
Sie dienten gleichzeitig als Winzerhof, Produktionszentrum und
Herrensitz. Zu einem grossen Wein gehört ein entsprechender repräsentativer Bau. Bauen für den Wein hat nun seit einigen Jahren wieder Hochkonjunktur. Dass die Weinbaubranche und die
zeitgenössische Architektur zusammengefunden haben, beruht
auf mehreren Gründen. Zum einen stellen veränderte Standards
in der Weinherstellung erhöhte Anforderungen an Logistik und
Technik der Räume und machen aus funktionaler Sicht Neu-, Anund Umbauten notwendig. Die Zeit der alten Weinkeller und
Weinpressen ist längst vorbei. Für die neuen Stahltanks, die Barrique-Fässer, für die klimatisch kontrollierte Gärung und die
Flaschenabfüllung brauchen die Winzer heute ausgeklügelte
Räume. In den oberen Etagen werden die Trauben eingefüllt, unten stehen Barriques und Abfüllanlagen. Das früher übliche Pumpen, das den Weingeschmack beeinträchtigt, ist vorbei, man lässt
allein die Schwerkraft wirken. US-Starwinzer Robert Mondavi beispielsweise investierte vor vier Jahren beinahe 30 Millionen Dollar in seine To-Kalon-Winery, um ohne Pumpen auszukommen.
Der zweite Grund für den neuen Wein-Keller-Kult ist die Erkenntnis, dass ästhetisch-architektonische Qualitäten der Kellerei zu einer
besseren Vermarktung führen. Deshalb sind es nicht selten internationale Stararchitekten, welche die neuen, spektakulären Weingüter planen, wie die präsentierten Beispiele dokumentieren.
Dominus Winery
Aparter Steinmonolith
Die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron
entwarfen 1997 in Yountville im kalifornischen Napa Valley in
den USA die Dominus Winery, einen aparten Steinmonolithen.
Er ist zwischen Weinreben eingebettet, überhöht den Ort symbolisch und gilt als Start der Weinkeller-Bauoffensive. Das kurze
Zeit später entstandene kalifornische Weingut Sterling Vineyard
war nicht mehr bloss eine Produktionsstätte, sondern auch Erlebniswelt, Präsentationsraum, Verkaufslokal, VIP-Lounge und
Barbecue-Grillplatz. So wird beispielsweise die anreisende Kundschaft zu Degustationen in eleganten, kathedraleähnlichen Hallen empfangen. Verkaufsräume sind so geplant, dass von ihnen
aus der Blick auf Weingärten und Landschaft spektakulär inszeniert ist.
Loisium
Welt des Weins
Auch alteingesessene Weinbauern mit langer Tradition setzen
spektakuläre Architektur als Marketinginstrument ein. Gebäude
wie das Loisium, ein Weinerlebniszentrum mit angeschlossenem
Luxushotel im Niederösterreichischen Langenlois, sind entstanden. Das Loisium wurde bis zum Türgriff vom amerikanischen Architekten Steven Holl entworfen und 2003 fertig gestellt. Die Anlage steht auf einer Anhöhe, einer Lössterrasse, inmitten von
Weinreben. In seiner Form verbindet sich Modernität mit Bezügen zur Tradition – eine Vermischung, die der Vermarktung des
Weines dienen soll. Holl ist fasziniert von den langen Gewölben,
die drei Winzerfamilien über Jahrhunderte unter ihren Häusern
anlegten. Mit seinen verdrehten Aluminiumwürfeln nähert er sich
der Welt des Weins in Metaphern. Das vielfach durchbrochene
Metall der Fassade etwa soll Sinnbild für die weit verzweigten
Kellersysteme des niederösterreichischen Weinviertels sein. Tief
unter dem kantigen Aluminiumwürfel des Besucherpavillons
verbirgt sich die Loisium-Weinerlebniswelt. Eine multimediale,
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Weingut Petra, Suvereto, Italien, Mario Botta, 1999–2003.
Foto Pino Musi
Bodegas Ysios, Laguardia, Álava, Spanien, Santiago Calatrava,
1998–2001. Foto PD
raffinierte Entdeckungsreise führt durch das einen Kilometer
lange und 900 Jahre alte Kellerlabyrinth. Mit der Weinerlebniswelt und dem Designhotel hat das Loisium im boomenden Weintourismus die Nase in Europa vorn. Ausserdem entsteht auf
1,3 Hektar Fläche ein Weingarten mit verwinkelten Gehwegen
und Ruheplätzen samt Kunstinstallation.
Weingut Petra
Eindrückliche Weinarchitektur
Der Tessiner Mario Botta plante für den Bauunternehmer und
Hotelier Vittorio Moretti aus Erbusco bei Brescia seine Cantina
Petra in die italienische Maremma bei Suvereto. Der Bau sieht aus
wie ein Aztekentempel; ein Aussichtsturm aus Sandstein wird
durch eine Treppe von rund 150 Stufen geteilt. Von der Spitze des
Gebäudes kann man an klaren Tagen übers Meer bis nach
Korsika sehen.
Auch der Genueser Baumeister Renzo Piano ist im Begriff, sich in
der Maremma mit einer eindrücklichen Weinarchitektur zu verewigen. Sein Projekt wird von dem Mailänder Verleger Paolo Panerai und dem französischen Grosswinzer Baron de Rothschild gemeinsam finanziert. Das betreffende Weingut ist derzeit im Bau.
Ein knallroter, himbeerfarbener Turm wird sich, ausgehend von
einem Pavillon, über das Tal erheben. Ein Forum ist im Weinkeller vorgesehen, in dem Besucher in einem Amphitheater neben
den Weinfässern Platz nehmen können. Im gläsernen Pavillon wird
sich die Sumpf-Landschaft von Gavorrano spiegeln.
Weingut Ysios
Vom Keller zum Mittelschiff
Ein gutes Beispiel, wie hervorragende Architektur die Wirtschaft
und den Weinbau einer ganzen Region beleben kann, findet sich
in Bilbao. Es begann mit dem Guggenheim-Museum, geplant von
Frank O. Gehry, das dort vor zehn Jahren seine Tore öffnete. Heute
ziehen Event-Immobilien Touristen auch in das nordspanische
Weingebiet. Inzwischen verschönert Gehry nur ein paar Kilometer von Bilbao entfernt in Eleiego-Allava das Weingut Marqués
des Riscal. Das Weingut ist 220 Hektar gross.
Auch im nicht all zu weit entfernten Weinbaugebiet von La
Rioja haben nun reiche Winzerfamilien eine Architektur bauen
lassen, die zweifellos zu Weltruhm kommen wird. Im kleinen
Winzerdorf Laguardia liegt das 50 Hektar grosse Weingut Ysios
480 Meter über dem Meer. Der spanische Stararchitekt und Ingenieur Santiago Calatrava wurde als kompetenter Baumeister
gewählt. Er entwarf einen 200 Meter langen, wellenförmigen
Baukörper mit einem beeindruckenden, hochaufragenden
Mittelschiff aus Glas. Das Dach erinnert an den Flügelschlag
eines Schwanes. Das Gebäude hat die Anmutung eines Sakralbaus. Der Eingangsbereich ist ein Tribut an den Namen des
Kellers – Ysios, die ägyptische Göttin der Magie und des Weinbaus.
Die Entstehung der sogenannten Erlebnisgesellschaft, in der
sich das Individuum nicht mehr ausschliesslich durch die Arbeit
definiert, sondern durch Konsum und stark diversifizierte Angebote der Freizeitindustrie seine Persönlichkeit selbst erschaffen kann, eröffnet der «freien Zeit» neue Funktionen. Die Identitätsbildung durch Konsum im weitesten Sinn hat eine Industrie hervorgebracht, deren Auswirkungen auf die gebaute
Umwelt unübersehbar sind und wichtige Aufgaben für die Architekten und Planer bereithalten. Letztes Jahr gab es am Architekturzentrum in Wien eine erfolgreiche Ausstellung über
Weinarchitektur. Sie hiess vom «Keller zum Kult» und verzeichnete einen grossen Erfolg.
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Architektur und Wein
A propos Wein-Architektur ...
Ab sofort braucht man nicht mehr die Landesgrenze zu überqueren, will man sich ein kombiniertes Wein-Architekturerlebnis zu Gemüte
führen. In der Bündner-Herrschaft, genauer gesagt in Fläsch, wurde auf dieses Jahr mit dem
Weingut Gantenbein ein Gebäude erstellt, das
nicht nur Aufsehen erregt, sondern bereits mit
einem Preis ausgezeichnet wurde und auf dem
besten Weg ist, zu einem Architektur-Pilgerort
zu werden. Die Keller AG Ziegeleien lud Interessierte am 29. März zu einer Begehung – natürlich mit Degustation – ein.
Ode in Backstein
Dass ausgerechnet eine Herstellerin von BacksteinSpezialitäten den Ausflug organisierte, ist selbstverständlich kein Zufall: Die Keller AG Ziegeleien
entwickelte in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich,
Abteilung Architektur und Digitale Fabrikation, speziell geklebte Klinkerfassadenelemente.
Das vom Architekturbüro Bearth & Deplazes Architekten AG, Chur, geplante Weingut Gantenbein
ist nach dem Terroir-Prinzip konzipiert: Lokale Weinbaukultur kombiniert mit geeigneter, einfacher
aber nachhaltiger Technologie zeichnet die Arbeitsprozesse wie auch
die Architektur aus. Der
Grundsatz «do-it-yourself» der Initialbauten
wurde in ein architektonisches Konzept für den
neuen Ökonomiebau
transformiert. Das Resultat ist eine Mischung
aus fertigem Rohbau
und veredeltem Ausbau.
Im Schnitt widerspiegelt
sich der lediglich durch Gravitation angetriebene
Ablauf der Verarbeitung: der Gärraum, vom Hof zufahrbar; der Säulenkeller im Untergeschoss, der Altund Neubau verbindet, ein reiner Kunstlichtraum;
die Lounge im Dachgeschoss, eine Terrasse, lediglich von einem Schutzdach bedeckt und offen zum
Weinberg – ein Belvedere.
Der Wandaufbau ist zweischichtig: Innen übernehmen transparente Polycarbonat-Platten die
thermischen Trennung, aussen wirkt ein durchbrochenes Mauerwerk als Sonnenschutz, Lichtfilter
und Temperaturpuffer.
«Trauben im Korb»
Das Mauerwerk und die dahinter in der Strukturverglasung stattfindende Lichtbrechung und
Lichtstreuung erzeugen in dem mit dem Tageslicht-Award der Velux-Stiftung ausgezeichneten
Gebäude (vgl. A&T 03-07) eine einzigartige
Raumstimmung mit mildem, aber brillantem
Tageslicht. Gleichzeitig speichert die Mauermasse die Energie des Sonnenlichts und federt
so grosse Temperaturschwankungen moderat
ab.
Die von der Keller AG Ziegeleien in Zusammenarbeit
mit der ETH und Gramazio & Kohler GmbH, Zürich,
entwickelten Klinkerfassadenelemente basieren auf
einem Läufer- bzw. Binderverband. Die offenen
Stossfugen und die verschiedenen horizontalen Verdrehungen der Steine geben der architektonischen
Gestaltung von Fassaden gänzlich neue Möglichkeiten. Fassadenbilder können in beliebiger Form gestaltet werden. Das Fassadenbild wurde mit einer
Software auf dem Computer modelliert. Alle nötigen Parameter, wie Öffnungsgrössen der Stossfugen
oder Verdrehungen der Steine, legte man zuvor fest.
Anschliessend wurden die digitalen Werte aus der
Simulation in die Software des Industrieroboters eingelesen. Der Roboter nahm den Stein, trug den Kleber auf und versetzt ihn präzis an den rechten Ort.
Die Steine wurden mit einem Zwei-KomponentenImprägnierharz auf Epoxidharzbasis verklebt.
Das Thema des Fassadenbildes des Weingutes
Gantenbein hiess sinnigerweise «Trauben im Korb».
Verschieden grosse Traubenbeeren sind auf der Fassade sichtbar. Je nach Lichteinfall verändert sich
das Bild ständig – die Fassade lebt und gibt dem
Bau eine ganz eigenständige Dimension.
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