Architektur & Technik 5- 07 43 Architektur und Wein Wein-Keller-Kult Weltweit ist ein Veränderungsprozess bei Bauten für Winzer und Weinwirtschaft festzustellen. Vor zwanzig Jahren wurde in Frankreich, in Australien, Chile, Südafrika und im kalifornischen Napa Valley ein neues Zeitalter der Weinarchitektur eingeläutet. Das Architekturzentrum Wien widmete ihm vor einiger Zeit eine Ausstellung. Text: Lore Kelly Dominus Winery, Yountville, Napa Valley, USA, Herzog & de Meuron, 1995–1998. Foto Margherita Spiluttini 44 Architektur & Technik 5- 07 Architektur und Wein Loisium, Langenlois, Niederösterreich, Steven Holl mit SAM und Ott-Reinisch, 2003. Foto Hertha Hurnaus In den letzten Jahrhunderten baute die Wein-Aristokratie formschöne und vornehme Schlösser und Weingüter mit Zinnen, grossen Toren und grosszügigen Gartenanlagen mit breiten Alleen. Sie dienten gleichzeitig als Winzerhof, Produktionszentrum und Herrensitz. Zu einem grossen Wein gehört ein entsprechender repräsentativer Bau. Bauen für den Wein hat nun seit einigen Jahren wieder Hochkonjunktur. Dass die Weinbaubranche und die zeitgenössische Architektur zusammengefunden haben, beruht auf mehreren Gründen. Zum einen stellen veränderte Standards in der Weinherstellung erhöhte Anforderungen an Logistik und Technik der Räume und machen aus funktionaler Sicht Neu-, Anund Umbauten notwendig. Die Zeit der alten Weinkeller und Weinpressen ist längst vorbei. Für die neuen Stahltanks, die Barrique-Fässer, für die klimatisch kontrollierte Gärung und die Flaschenabfüllung brauchen die Winzer heute ausgeklügelte Räume. In den oberen Etagen werden die Trauben eingefüllt, unten stehen Barriques und Abfüllanlagen. Das früher übliche Pumpen, das den Weingeschmack beeinträchtigt, ist vorbei, man lässt allein die Schwerkraft wirken. US-Starwinzer Robert Mondavi beispielsweise investierte vor vier Jahren beinahe 30 Millionen Dollar in seine To-Kalon-Winery, um ohne Pumpen auszukommen. Der zweite Grund für den neuen Wein-Keller-Kult ist die Erkenntnis, dass ästhetisch-architektonische Qualitäten der Kellerei zu einer besseren Vermarktung führen. Deshalb sind es nicht selten internationale Stararchitekten, welche die neuen, spektakulären Weingüter planen, wie die präsentierten Beispiele dokumentieren. Dominus Winery Aparter Steinmonolith Die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron entwarfen 1997 in Yountville im kalifornischen Napa Valley in den USA die Dominus Winery, einen aparten Steinmonolithen. Er ist zwischen Weinreben eingebettet, überhöht den Ort symbolisch und gilt als Start der Weinkeller-Bauoffensive. Das kurze Zeit später entstandene kalifornische Weingut Sterling Vineyard war nicht mehr bloss eine Produktionsstätte, sondern auch Erlebniswelt, Präsentationsraum, Verkaufslokal, VIP-Lounge und Barbecue-Grillplatz. So wird beispielsweise die anreisende Kundschaft zu Degustationen in eleganten, kathedraleähnlichen Hallen empfangen. Verkaufsräume sind so geplant, dass von ihnen aus der Blick auf Weingärten und Landschaft spektakulär inszeniert ist. Loisium Welt des Weins Auch alteingesessene Weinbauern mit langer Tradition setzen spektakuläre Architektur als Marketinginstrument ein. Gebäude wie das Loisium, ein Weinerlebniszentrum mit angeschlossenem Luxushotel im Niederösterreichischen Langenlois, sind entstanden. Das Loisium wurde bis zum Türgriff vom amerikanischen Architekten Steven Holl entworfen und 2003 fertig gestellt. Die Anlage steht auf einer Anhöhe, einer Lössterrasse, inmitten von Weinreben. In seiner Form verbindet sich Modernität mit Bezügen zur Tradition – eine Vermischung, die der Vermarktung des Weines dienen soll. Holl ist fasziniert von den langen Gewölben, die drei Winzerfamilien über Jahrhunderte unter ihren Häusern anlegten. Mit seinen verdrehten Aluminiumwürfeln nähert er sich der Welt des Weins in Metaphern. Das vielfach durchbrochene Metall der Fassade etwa soll Sinnbild für die weit verzweigten Kellersysteme des niederösterreichischen Weinviertels sein. Tief unter dem kantigen Aluminiumwürfel des Besucherpavillons verbirgt sich die Loisium-Weinerlebniswelt. Eine multimediale, 45 Weingut Petra, Suvereto, Italien, Mario Botta, 1999–2003. Foto Pino Musi Bodegas Ysios, Laguardia, Álava, Spanien, Santiago Calatrava, 1998–2001. Foto PD raffinierte Entdeckungsreise führt durch das einen Kilometer lange und 900 Jahre alte Kellerlabyrinth. Mit der Weinerlebniswelt und dem Designhotel hat das Loisium im boomenden Weintourismus die Nase in Europa vorn. Ausserdem entsteht auf 1,3 Hektar Fläche ein Weingarten mit verwinkelten Gehwegen und Ruheplätzen samt Kunstinstallation. Weingut Petra Eindrückliche Weinarchitektur Der Tessiner Mario Botta plante für den Bauunternehmer und Hotelier Vittorio Moretti aus Erbusco bei Brescia seine Cantina Petra in die italienische Maremma bei Suvereto. Der Bau sieht aus wie ein Aztekentempel; ein Aussichtsturm aus Sandstein wird durch eine Treppe von rund 150 Stufen geteilt. Von der Spitze des Gebäudes kann man an klaren Tagen übers Meer bis nach Korsika sehen. Auch der Genueser Baumeister Renzo Piano ist im Begriff, sich in der Maremma mit einer eindrücklichen Weinarchitektur zu verewigen. Sein Projekt wird von dem Mailänder Verleger Paolo Panerai und dem französischen Grosswinzer Baron de Rothschild gemeinsam finanziert. Das betreffende Weingut ist derzeit im Bau. Ein knallroter, himbeerfarbener Turm wird sich, ausgehend von einem Pavillon, über das Tal erheben. Ein Forum ist im Weinkeller vorgesehen, in dem Besucher in einem Amphitheater neben den Weinfässern Platz nehmen können. Im gläsernen Pavillon wird sich die Sumpf-Landschaft von Gavorrano spiegeln. Weingut Ysios Vom Keller zum Mittelschiff Ein gutes Beispiel, wie hervorragende Architektur die Wirtschaft und den Weinbau einer ganzen Region beleben kann, findet sich in Bilbao. Es begann mit dem Guggenheim-Museum, geplant von Frank O. Gehry, das dort vor zehn Jahren seine Tore öffnete. Heute ziehen Event-Immobilien Touristen auch in das nordspanische Weingebiet. Inzwischen verschönert Gehry nur ein paar Kilometer von Bilbao entfernt in Eleiego-Allava das Weingut Marqués des Riscal. Das Weingut ist 220 Hektar gross. Auch im nicht all zu weit entfernten Weinbaugebiet von La Rioja haben nun reiche Winzerfamilien eine Architektur bauen lassen, die zweifellos zu Weltruhm kommen wird. Im kleinen Winzerdorf Laguardia liegt das 50 Hektar grosse Weingut Ysios 480 Meter über dem Meer. Der spanische Stararchitekt und Ingenieur Santiago Calatrava wurde als kompetenter Baumeister gewählt. Er entwarf einen 200 Meter langen, wellenförmigen Baukörper mit einem beeindruckenden, hochaufragenden Mittelschiff aus Glas. Das Dach erinnert an den Flügelschlag eines Schwanes. Das Gebäude hat die Anmutung eines Sakralbaus. Der Eingangsbereich ist ein Tribut an den Namen des Kellers – Ysios, die ägyptische Göttin der Magie und des Weinbaus. Die Entstehung der sogenannten Erlebnisgesellschaft, in der sich das Individuum nicht mehr ausschliesslich durch die Arbeit definiert, sondern durch Konsum und stark diversifizierte Angebote der Freizeitindustrie seine Persönlichkeit selbst erschaffen kann, eröffnet der «freien Zeit» neue Funktionen. Die Identitätsbildung durch Konsum im weitesten Sinn hat eine Industrie hervorgebracht, deren Auswirkungen auf die gebaute Umwelt unübersehbar sind und wichtige Aufgaben für die Architekten und Planer bereithalten. Letztes Jahr gab es am Architekturzentrum in Wien eine erfolgreiche Ausstellung über Weinarchitektur. Sie hiess vom «Keller zum Kult» und verzeichnete einen grossen Erfolg. ■ 46 Architektur & Technik 5- 07 Architektur und Wein A propos Wein-Architektur ... Ab sofort braucht man nicht mehr die Landesgrenze zu überqueren, will man sich ein kombiniertes Wein-Architekturerlebnis zu Gemüte führen. In der Bündner-Herrschaft, genauer gesagt in Fläsch, wurde auf dieses Jahr mit dem Weingut Gantenbein ein Gebäude erstellt, das nicht nur Aufsehen erregt, sondern bereits mit einem Preis ausgezeichnet wurde und auf dem besten Weg ist, zu einem Architektur-Pilgerort zu werden. Die Keller AG Ziegeleien lud Interessierte am 29. März zu einer Begehung – natürlich mit Degustation – ein. Ode in Backstein Dass ausgerechnet eine Herstellerin von BacksteinSpezialitäten den Ausflug organisierte, ist selbstverständlich kein Zufall: Die Keller AG Ziegeleien entwickelte in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, Abteilung Architektur und Digitale Fabrikation, speziell geklebte Klinkerfassadenelemente. Das vom Architekturbüro Bearth & Deplazes Architekten AG, Chur, geplante Weingut Gantenbein ist nach dem Terroir-Prinzip konzipiert: Lokale Weinbaukultur kombiniert mit geeigneter, einfacher aber nachhaltiger Technologie zeichnet die Arbeitsprozesse wie auch die Architektur aus. Der Grundsatz «do-it-yourself» der Initialbauten wurde in ein architektonisches Konzept für den neuen Ökonomiebau transformiert. Das Resultat ist eine Mischung aus fertigem Rohbau und veredeltem Ausbau. Im Schnitt widerspiegelt sich der lediglich durch Gravitation angetriebene Ablauf der Verarbeitung: der Gärraum, vom Hof zufahrbar; der Säulenkeller im Untergeschoss, der Altund Neubau verbindet, ein reiner Kunstlichtraum; die Lounge im Dachgeschoss, eine Terrasse, lediglich von einem Schutzdach bedeckt und offen zum Weinberg – ein Belvedere. Der Wandaufbau ist zweischichtig: Innen übernehmen transparente Polycarbonat-Platten die thermischen Trennung, aussen wirkt ein durchbrochenes Mauerwerk als Sonnenschutz, Lichtfilter und Temperaturpuffer. «Trauben im Korb» Das Mauerwerk und die dahinter in der Strukturverglasung stattfindende Lichtbrechung und Lichtstreuung erzeugen in dem mit dem Tageslicht-Award der Velux-Stiftung ausgezeichneten Gebäude (vgl. A&T 03-07) eine einzigartige Raumstimmung mit mildem, aber brillantem Tageslicht. Gleichzeitig speichert die Mauermasse die Energie des Sonnenlichts und federt so grosse Temperaturschwankungen moderat ab. Die von der Keller AG Ziegeleien in Zusammenarbeit mit der ETH und Gramazio & Kohler GmbH, Zürich, entwickelten Klinkerfassadenelemente basieren auf einem Läufer- bzw. Binderverband. Die offenen Stossfugen und die verschiedenen horizontalen Verdrehungen der Steine geben der architektonischen Gestaltung von Fassaden gänzlich neue Möglichkeiten. Fassadenbilder können in beliebiger Form gestaltet werden. Das Fassadenbild wurde mit einer Software auf dem Computer modelliert. Alle nötigen Parameter, wie Öffnungsgrössen der Stossfugen oder Verdrehungen der Steine, legte man zuvor fest. Anschliessend wurden die digitalen Werte aus der Simulation in die Software des Industrieroboters eingelesen. Der Roboter nahm den Stein, trug den Kleber auf und versetzt ihn präzis an den rechten Ort. Die Steine wurden mit einem Zwei-KomponentenImprägnierharz auf Epoxidharzbasis verklebt. Das Thema des Fassadenbildes des Weingutes Gantenbein hiess sinnigerweise «Trauben im Korb». Verschieden grosse Traubenbeeren sind auf der Fassade sichtbar. Je nach Lichteinfall verändert sich das Bild ständig – die Fassade lebt und gibt dem Bau eine ganz eigenständige Dimension.