Gut operiert – was dann? - Deutsche Herzstiftung eV

Werbung
Gut operiert – was dann?
Langzeitverlauf nach Korrekturoperation einer einfachen
Transposition der großen Arterien (TGA)
PD Dr. med. Hedwig Hövels-Gürich, Klinik für Kinderkardiologie,
Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
Der Langzeitverlauf nach der
Korrekturoperation einer einfachen Transposition der
großen Arterien (TGA) mit
der Switch-Methode wurde
in der letzten Ausgabe von
Herzblatt ausführlich dargestellt.
Aus der Sicht der Kinderkardiologen ist er bei fast allen
Kindern sehr ermutigend. Die
Herzgesundheit nach der
Switch-Operation erweist sich
auch nach zehn Jahren als
gut: EKG-Veränderungen sind
selten. Die körperliche Belastbarkeit ist normal. Die Hauptkammer des Herzens ist leistungsfähig wie bei Gesunden. Sehr
selten sind operative oder Herzkatheter-Eingriffe notwendig. Auch eine Undichtigkeit der Körperschlagader nimmt im Lauf der Jahre nicht zu.
Wichtig ist aber, die Enge in der Lungenschlagader weiter zu beobachten. Deshalb sollten diese Kinder trotz ihres guten Zustandes einmal
jährlich vom Kinderkardiologen und später vom
Kardiologen untersucht werden, mit EKG, Belastungs-EKG, und gegebenenfalls Langzeit-EKG
und Ultraschall.
Wir haben uns in unserer Studie weitere Fragen
gestellt: Wie entwickeln sich die Kinder nach
der Switch-Operation? Wie sehen die Eltern diese Entwicklung? Wie beurteilen die Kinder selbst
ihr Leben nach dieser Operation ?
Studienergebnisse
Um auf diese Fragen Antworten
zu finden, haben wir umfangreiche Testverfahren angewandt
und dabei auch Neurologen
und Neurolinguisten herangezogen. Die Kinder waren zur
Zeit der Untersuchung zwischen
7 und 14 Jahre alt und entsprachen, was ihren Sozialstatus betrifft, der Durchschnittsbevölkerung.
Zwar zeigte sich, dass 27 % der
Kinder neurologische Störungen
aufwiesen, aber die meisten waren leichtgradig und
für die Kinder ohne wesentliche Beeinträchtigung. Deutlich häufiger (37 %) als in der Normalbevölkerung waren Störungen der Sprechfunktion (Sprechmotorik). Diese Kinder sprachen
weniger exakt und artikuliert und weniger schnell,
als es die Norm fordert. Aber sowohl ihr Sprachverständnis wie ihre Intelligenz entsprachen der
gesunder Kinder. Die Kinder waren normal eingeschult. Allerdings war ihr Wissensstand geringer.
Deutliche Defizite zeigten sich auch bei der Körperkoordination (27 %). Diese Kinder sind ungeschickter beim Balancieren, beim Fahrradfahren
oder im Turnunterricht. Bei den neurologischen
Untersuchungen sind sie weniger schnell als die
anderen, wenn sie in die Hände klatschen oder
1
Frühes Training
hilft. Hier beim
Logopäden.
sich an die Nase tippen
sollen.
Zusammengefasst kann
man sagen: 50 % hatten
in keinem Bereich eine
Auffälligkeit. 7 % waren
in allen getesteten Bereichen gestört. 28 % der
Kinder hatten neurologische und/oder motorische Störungen. Eine
isolierte Störung der
Sprechmotorik hatten wir
noch zusätzlich bei 8 %. Die Störungen waren
nach zehn Jahren ausgeprägter als nach fünf.
Worauf beruhen diese Entwicklungsstörungen?
Unsere Analyse ergab, dass schwerer Sauerstoffmangel vor der Operation – nicht etwa die übliche Sauerstoffuntersättigung bei Neugeborenen mit
TGA – zu Störungen der Körperkoordination
führen kann. Ein besonders langer Einsatz der
Herz-Lungen-Maschine, ausgeprägte Herz-Kreislaufstörungen nach der Operation, z. B. ein Herzkreislaufstillstand, der eine Wiederbelebung erforderte, können zu neurologischen Störungen, zu
Störungen der Körperkoordination sowie zu
Sprechfunktionsstörungen führen. Dabei muss
darauf hingewiesen werden, dass das Sozialniveau bei Defiziten in Wissen und Sprache eine Rolle spielt.
Die aufgezeigten Entwicklungsstörungen stimmen weitgehend überein mit den Ergebnissen
einer Arbeitsgruppe an der renommierten Harvard Medical School in Boston, USA. Obwohl sie
in ihrer Häufigkeitbeachtlich erscheinen, bleibt
zu betonen, dass bei der Beurteilung Maßstäbe gesunder Kinder herangezogen wurden und die meisten
Einschränkungen der Entwicklung als leichtgradig
einzustufen sind. Auf jeden Fall sind die Störungen seltener und geringer ausgeprägt als bei Patienten nach der Vorhofumkehr-Operation, wo der2
artig differenzierte und detaillierte Untersuchungen im Kindesalter nicht durchgeführt worden
sind.
Defizite lassen sich durch Training behandeln.
Deshalb ist es wichtig, dass der Kinderarzt durch
die Kinderkardiologen und die Eltern genau informiert wird, damit er auf die Entwicklung des Kindes achten kann.
Wenn ein Kinderarzt sorgfältig die Vorsorgeuntersuchungen und eine sorgfältige Anamnese (Vorgeschichte) durchführt und einen guten Kontakt
zum Kinderkardiologen pflegt, dann werden die
Kinder in jungem Alter – wenn das notwendig
ist – zur Krankengymnastik, Ergotherapie oder
Logopädie geschickt. Je früher solche Defizite
behandelt werden, desto größer ist der Erfolg.
Die speziellen Untersuchungen, die zur genauen Diagnose der Defizite notwendig sind, kann der
Kinderarzt in der Regel nicht vollständig durchführen.
Das können die neuropädiatrischen Abteilungen
großer Kinderkliniken oder ein sozialpädiatrisches Zentrum.
Bei den von uns untersuchten Kindern wurden einige von Krankengymnasten, Logopäden oder Ergotherapeuten behandelt. Der Erfolg hängt sehr
davon ab, wie gut der Therapeut sich mit dem
Kind versteht. Aber wenn das der Fall ist, sind
die Ergebnisse sehr gut.
Lebensqualität
Unsere Untersuchungen, wie Eltern und Kinder
ihr Leben nach der Operation beurteilen, führten zu einem interessanten Ergebnis. Das Urteil der
Eltern stand im Widerspruch zum Urteil der Kinder. Die Eltern klagten, die Kinder waren zufrieden.
Den Eltern war eine umfangreiche Checkliste
(Child behavior checklist, in einer deutschen Version) mit 113 Fragen vorgelegt worden. Die Ant-
worten kamen zu 64 % von der Mutter, zu 13 % vom
Vater und 23 % kamen von beiden Eltern. Herausgefunden werden sollten die soziale Kompetenz und die Verhaltensprobleme der operierten
Kinder.
Die Eltern schätzten die psychosoziale Entwicklung ihrer Kinder schlechter ein als Durchschnittseltern. Vor allem beurteilten sie die Kinder als ängstlich und depressiv, aber auch als
aggressiv. Auffallend war, dass die Eltern die psychosoziale Entwicklung ihrer Kinder auch dann
negativ einstuften, wenn es den Kindern objektiv gut ging. Diese Einschätzung überrascht, denn
die meisten Kinder haben nach der Switch-Operation fast dieselbe Lebenserfahrung wie gesunde Kinder: Sie sind normal belastbar, haben keine Schmerzen, nehmen keine Medikamente, brau-
chen keine Diät. Der einzige Unterschied zu den
gesunden Kindern besteht darin, dass sie einmal
im Jahr zur kardiologischen Kontrolle gehen.
Kinder- und Jugendpsychiater sind der Auffassung, dass die Eltern wahrscheinlich am ehesten
aufgrund von eigenen Ängsten die Kinder als auffällig ansehen. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass
das Lebensgefühl der Kinder, der Patienten selbst,
positiver herauskommt als das der Eltern, die ihre
Sorgen und Ängste auf die Kinder projizieren.
Dieses Angstverhalten der Eltern sollten die Ärzte von Anfang an ansprechen. Sie sollten den
Eltern sagen: „Ihr Kind ist objektiv völlig normal
belastbar, jetzt lassen Sie es doch bitte Fußballspielen. Rennen Sie nicht gleich, wenn es sagt,
mir ist übel.“ Die Ängstlichkeit der Eltern kann
den Elan der Kinder ausbremsen und dadurch
ihrer Entwicklung schaden.
Im Gegensatz zu den Eltern beurteilen die Kinder ihre Lebensqualität, wie gesunde Kinder
sie beurteilen. Das betraf sowohl Schule wie
Familie, das Verhältnis zu anderen Kindern und
die Stimmungslage. Die Kinder konnten für
jeden Bereich ihres Lebens Noten vergeben
von eins (sehr gut) bis zu fünf (sehr schlecht).
In jedem Bereich lagen die Durchschnittsnoten zwischen 1,6 und 2,08. Ihre eigene Gesundheit schätzten die operierten Kinder mit 1,47
sogar besser ein als gesunde Kinder mit 1,93. Ihre
Lebensqualität stuften die Kinder mit 1,64, die
gesunden Kinder mit 1,62 ein.
Diese positive Einstellung ist eine gute Voraussetzung,
die Probleme des Alltags zu bewältigen, und diese Probleme gibt es, wie wir gesehen haben.
Immerhin sind bei vielen Kindern die Artikulation und die Geschicklichkeit gestört. Diese Defizite wachsen sich im Lauf der Zeit nicht von selbst
aus, wie manche Eltern meinen. Deshalb sollten
die Eltern die Kinder genau beobachten und Auffälligkeiten mit dem Kinderarzt besprechen. So kann
eine genaue Diagnose gestellt werden und frühzeitig eine Therapie beim Krankengymnasten,
Logopäden oder Ergotherapeuten beginnen.
Eine solche Therapie – das hat die Arbeitsgruppe der Kölner Sporthochschule auf dem Gebiet der
Bewegung gezeigt – steigert das Selbstbewusstsein der Kinder, vergrößert ihre Lebensfreude
und ihre zukünftigen Lebenschancen.
3
Herunterladen