Freitagsansprache vom 29.12.2006 von Ayatollah Seyyed Abbas Hosseini Ghaemmaghami Imam und Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg Gemeinsamkeit der Feste – Gemeinsamkeit der Werte Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen. Lobpreis sei Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit unserem Propheten Mohammad (Friede sei mit ihm ), seinen reinen Nachkommen (Friede sei mit ihnen) und seinen rechtschaffenen Gefährten. Zunächst möchte ich anlässlich der zeitlich zusammenfallenden zwei großen christlichen und islamischen Feste, d. h. dem gesegneten Opferfest, Id-ul-A±½Á, und dem Weihnachtsfest, allen christlichen und muslimischen Geschwistern gratulieren. Diese Gleichzeitigkeit der Feste kann als Symbol der Einheit der religiösen Substanz insbesondere der beiden großen Religionen Christentum und Islam verstanden werden und mehr Freundschaft zwischen den Anhängern dieser beiden Religionen bewirken. Über das Opferfest wird in der Ansprache am Festtag die Rede sein. Aber das Fest der Geburt von Jesus, das das wichtigste Fest für die Christen ist, ist auch für uns Muslime sehr bedeutsam und ein großes Fest. Wie in manchen islamischen Überlieferungen erwähnt wurde, hat der Prophet des Islam (s.a.s.) den Freitag zum Festtag erklärt und den Muslimen gesagt, dass es diesen Tag zu ehren und zu würdigen gilt, weil Jesus (a.s.) an einem Freitag geboren ist. Der Heilige Qur’an spricht voller Hochachtung und mit einer außergewöhnlichen Heiligkeit von Jesus und seiner Mutter Maria. Sicherlich kann niemand behaupten, dass die Sichtweise der heiligen Bibel im Hinblick auf Jesus und Maria ehrfurchtsvoller und heiliger ist als die Sicht des heiligen Qur’an. Im Qur’an werden Besonderheiten der Fähigkeiten und Eigenschaften Jesu erörtert, die man einzig und allein im Qur’an und sonst nirgendwo finden kann. Anlässe wie Weihnachten sind eine günstige Gelegenheit, um die Bindungen und Gemeinsamkeiten der Muslime und der christlichen Gesellschaft zu verstärken. Die Verwirklichung der Integration als ein kollektiver Wert, an den alle glauben, hängt von der Zusammenarbeit und dem Verständnis aller Schichten und Berufe in der Gesellschaft ab, insbesondere vom Umgang der Mehrheit mit den Minderheiten, und dabei sollen die Muslime als wichtige Minderheit ihre Funktion und ihre Teilhabe ernsthaft wahrnehmen. Ein Aspekt im Kontext vieler wichtiger Gründe und Elemente bei diesem Teilhaben und der Wahrnehmung der Funktion der Muslime im Integrationsprozess, ist die klare und deutliche Interpretation und Aufklärung im Zusammenhang mit islamischen Werten und Lehren, die eine islamische Identität haben. Ich habe wiederholt gesagt, dass man sicherlich das, was unter Muslimen verbreitet ist und als Verhalten der Muslime bezeichnet wird, nicht als das exakte islamische Verhalten bezeichnen kann, das hundertprozentig auf den islamischen Lehren und Werten basiert. Deshalb ist diese Differenzierung und Selektierung sehr wichtig und entscheidend. Bei einer anderen sich bietenden Gelegenheit werden wir über die Mechanismen der Selektierung der islamischen Lehre von den vorhandenen Sitten und Bräuchen der muslimischen Völker und Nationen ausführlich sprechen, um die islamischen Werte 2 klar aufzuzeigen. Aber bevor wir uns mit diesem Thema beschäftigen, erscheint es notwendig, dass wir uns zunächst mit den gemeinsamen Werten befassen und diese interpretieren. Wenn wir von islamischen Werten sprechen, dann beinhalten diese Werte nicht immer bestimmte Besonderheiten und Eigenschaften, aufgrund derer man sie von Werten unterscheiden muss, die in einer nichtmuslimischen Gesellschaft vorhanden und akzeptiert sind, sondern in Wirklichkeit sind viele dieser Werte dank ihres rationalen und menschlichen Wesens gemeinsam. Obwohl der Islam keine Religion ist, die allein das individuelle und religiöse Verhalten betont, sondern auch für den Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen bestimmte Empfehlungen und ernsthafte Lehren vermittelt, wird die Menge und Gesamtheit dieser Lehren jedoch von einem Schlüsselwert beherrscht, und das ist der Maßstab der Rationalität, religiösen Autorität, kollektiven Rationalität und Gewohnheit bei der Kenntnis und Bestimmung vieler gesellschaftlicher Werte. Die Umstrukturierung und Ignorierung der Werte in der Gesellschaft, die auf kollektiver Rationalität gründen, stellt aus islamischer Sicht automatisch oder per se einen Gegenwert dar. Und deswegen ist in vielen Fällen der Maßstab für die gesellschaftliche Akzeptanz eines Individuums und seine Verpflichtung gegenüber der kollektiven Rationalität der Werte und gesellschaftlichen Regeln einer der wichtigsten Maßstäbe für die Beurteilung und Entscheidung über die positive Persönlichkeit dieses Individuums. Im Heiligen Qur’an wird þurf (Gewohnheitsrecht) mit aller Deutlichkeit als ein Maßstab und eine Grundlage für die Kenntnis der guten Dinge dargestellt, und alle werden eingeladen, darauf zu achten, diesem Gewohnheitsrecht Achtung zu schenken und es zu akzeptieren. Übe Nachsicht, gebiete das Rechte und wende dich von den Unwissenden ab, heißt es in Sure al-A’rÁf, Vers 199. In einigen besonderen Fällen, wie z. B. dem Umgang im familiären Bereich, wird gesagt, dass der Umgang zwischen den Ehepartnern gemäß der vorhandenen Sitten geschehen soll (vgl. Sure an-NisÁ’, Vers 19). Im islamischen Recht ist eine wesentliche Bedingung für die Akzeptanz und den Anspruch auf viele Verantwortungen und religiöse Positionen, wie z. B. die Position eines Richters, Imams oder Verkünders religiöser Rechtsgutachten, dass diese Person Gerechtigkeit und Billigkeit übt. Entsprechend wird bei der Beschreibung der Ursachen und Hindernisse für die Verwirklichung von Gerechtigkeit die Umstrukturierung und Ablehnung vorhandener Sitten und gesellschaftlicher Werte als ein wichtiges und ernstes Hindernis gezählt. Das führt sogar so weit, dass selbst die Gerechtigkeit eines religiösen Führers ungeachtet seiner großartigen Stellung ernsthaft angezweifelt und die Berechtigung für seine Verantwortung nochmals überprüft wird, sofern er die einfachsten Dinge ignoriert, wie z. B. die vorhandenen Sitten der Bekleidung in einer Gesellschaft. Sie sehen, dass die ernsthafte Beachtung des Maßstabs der Sitte und kollektiven Vernunft, die seitens des religiösen Rechts als ein Maßstab bestätigt und betont wird, im Islam im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen eine Flexibilität und Festigkeit aufweist, die jede Art des Widerspruchs und Konflikts zwischen dem muslimischem Individuum mit der Gesellschaft verhindert. Bei dieser Flexibilität und diesem Vorhandensein gesellschaftlicher islamischer Vorschriften kommen Zeit und Ort eine entscheidende und wichtige Funktion zu, so dass grundsätzlich sogar manche Werte als Wert erklärt werden, wenn sie gemäß den Besonderheiten der verschiedenen Gesellschaften definiert sind. Es ist natür- 3 lich und selbstverständlich, dass diese Werte niemals die natürlichen Rechte des Individuums verneinen, wie z. B. das Prinzip der Glaubens- und Religionsfreiheit. Grundsätzlich werden alle kollektiven Werte in einem harmonischen System ihre Bedeutung finden und erklärt werden, und selbstverständlich kann kein Teil dieses Systems den anderen Teil verneinen und im Widerspruch dazu stehen. Weder kann die individuelle Freiheit die kollektiven und gesellschaftlichen Werte und Gesetze verneinen, noch können die gesellschaftlichen Werte und Gesetze das Prinzip des individuellen Rechts ignorieren. Zweifellos können aufgrund der gesellschaftlichen Werte auch nicht die allgemeinen moralischen Werte verneint werden. Ich möchte nochmals allen zu diesen Fest- und Feiertagen gratulieren, und ich hoffe, dass das neue Jahr das Jahr der Herrschaft des Friedens und der Freundschaft in aller Welt sein wird. Und der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.