CEAI-Fachtext „Gleichberechtigung und Islam“ Frauen in der Bildung und Wissenschaft Der undifferenzierte Aufruf zur Bildung Dass die allererste göttliche Botschaft (Sure 96), die vom Propheten verkündet wurde, ausgerechnet die Bildung betrifft, sollte hinsichtlich des geschlechtsneutralen Aufrufs sowohl an alle MuslimInnen gerichtet sein und hinsichtlich des im 7. Jh. n. Chr. weitverbreiteten Analphabetismus eine klare Aufforderung bedeuten, sich zu bilden und sich ständig weiterzubilden. „Lies im Namen deines Erhalters, der erschaffen hat – den Menschen erschaffen hat aus einer Keimzelle! Lies – denn dein Erhalter ist der Huldreichste, der (den Menschen) den Gebrauch der Schreibfeder gelehrt hat – den Menschen gelehrt hat, was er nicht wusste! Nein, wahrlich, der Mensch wird äußerst anmaßend, wann immer er sich für selbstgenügend hält.“ (Qur’an 96:1-7) „[…] sag (immer): ‚O mein Erhalter, lasse mich an Wissen wachsen‘“ (Qur’an 20:114) „Ebenso wie Wir euch einen Gesandten von euch selbst gesandt haben, euch Unsere Botschaften zu übermitteln und euch an Reinheit wachsen zu lassen und euch Offenbarung und Weisheit zu lehren und euch zu lehren, was ihr nicht wusstet.“ (Qur’an 2:151) Die Motivation zum Studium und zur Auslegung von qur’anischen Versen und prophetischen Aussagen konnte freilich verschiedene Gründe haben. Frauen hatten jedenfalls von Anbeginn der Offenbarung ein großes Interesse daran, durch das Studium und die Interpretation der islamischen Vorschriften, die sozialen sowie die auf die Geschlechter bezogenen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Um Zweifel über eine mangelnde Geschlechtergerechtigkeit im Islam zu zerstreuen, wurde dem Propheten der Qur’anvers 33:35 offenbart, der den Frauen der jungen muslimischen Gemeinde Medina garantierte, dass die Botschaft Gottes Männer wie Frauen gleichermaßen anspricht. Aischa als Beispiel weiblicher Gelehrtheit Aischa, eine der Ehefrauen Muhammads nach dem Tod Khadidschas, nimmt unter anderem als Mutter der Gläubigen und als erste weibliche Juristin in der Hadithwissenschaft eine wichtige Stellung ein, da sie einen wesentlichen Beitrag für die Überlieferung zahlreicher Berichte und Erzählungen, der sogenannten „Sunna“ als zweitwichtigste islamische Quelle, leistete. Sie war somit eine der ersten der vielen nachfolgenden weiblichen Gelehrten, die ihr Wissen als öffentliche Erzieherin und Ausbildnerin ihren Studenten, darunter der anerkannte Richter von Medina Abu Bakr Ibn Hazm, weitergab. Aischa stellte häufig die im Zusammenhang mit Frauenthemen stehenden Dinge richtig, die nicht allzu selten Gefahr liefen, durch das vorislamische Klischeedenken zu Ungunsten der Frau auszufallen. Nach ihrem Verständnis begrüßt bzw wünscht der Islam eine gegenüber den Männern gleichwertige Rolle der Frau in der Religion, in der Politik und in der (Aus)Bildung. Die Männer und Frauen in der Gemeinde bezeichneten sie als Expertin in der Qur’anexegese, im Recht, in der arabischen Geschichte, in der Medizin als auch in der Poesie. Urwa ibn Al Zubair sagte: „Ich habe nie eine Frau mit mehr Wissen in Medizin, Fiqh (islamische Jurisprudenz) und Poesie gesehen als Aisha.“ (Al Heythami, Madschmau Zawaid, 15317) Wie Aischa waren die nachkommenden Generationen von Frauen durch das Auswendiglernen, das Studium, die Auslegung, die Weitergabe, die Vermittlung bzw die Weiterverbreitung von Ahadith (Pl. 1 CEAI-Fachtext „Gleichberechtigung und Islam“ von Hadith) dem folgenden Aufruf durch den Propheten, im islamischen Bildungs- und Wissenschaftsbereich tätig zu werden, nachgekommen. „Das Streben nach Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim.“ (Ibn Madscha, Muqaddima, 1, 229) Vor allem das beharrliche Auswendiglernen der Erzählungen und das Einprägen der verschiedensten Handlungen des Propheten in der frühen Gemeinde Medinas führten nach anschließender Sammlung derselben zur Authentizität der ersten islamischen Texte. Dabei ist es den Frauen in gleicher Weise wie den Männern zu verdanken, dass die Schönheit und Klarheit der Sprache sowie die Bedeutung der Botschaft bis heute eine große Faszination und einen unbeschreiblichen Enthusiasmus auslösen, auch wenn einzelne Überlieferungen heute kritisch zu hinterfragen sind. Frauen in der Wissenschaft und als Teil des Ausbildungssystems Im Bereich der Wissenschaft ist es selbstverständlich auch der Aus- und Weiterbildung durch Frauen geschuldet, dass MuslimInnen im 10. Jh. n. Chr. nicht nur im Bereich der intellektuellen und philosophischen, sondern auch im Bereich der mathematischen, technischen, medizinischen und weiteren wissenschaftlichen Entwicklungen vor dem Rest der Welt lag. Zu dieser Zeit war es das Engagement und die Beharrlichkeit der Frauen mittels Eigeninitiativen und eigenwilliger Integration an Bildung und Wissenschaft teilzuhaben, wenn es ihnen nicht automatisch gewährleistet wurde. Auch wenn sie im Bereich der Hadithwissenschaften zusehends an Einfluss verloren, waren Frauen dennoch als Ausbildnerinnen und Erzieherinnen am Erfolg der wissenschaftlichen Leistungen beteiligt. Der Nachweis, dass zahlreiche Frauen als Ausbildnerinnen im Hochschulwesen tätig waren, kann heute anhand zweier geschichtlicher Dokumente erbracht werden. Im Ersten finden sich die Aufzeichnungen der erworbenen und der von Frauen an ihre StudentInnen ausgestellten Zertifikate. Das Zweite beinhaltet die Bezeugungen im Umfang und in der Qualität ihrer pädagogischen Fähigkeiten sowie die in den Biographien der Frauen gefundenen Kenntnisse im Bereich der islamischen Geschichte. So waren auch viele männliche Hadithwissenschaftler, darunter etwa Ibn Asakir im 12. Jh. oder Shams Al Din Al Sakhawi im 15. Jh. stolz darauf, von Frauen ausgebildet worden zu sein. Frauen in der Exegese und in der islamischen Jurisprudenz Geschichtlich betrachtet gibt es zwei Phasen, in denen Frauen an der Exegese bzw Auslegung und Interpretation der islamischen Bestimmungen äußerst aktiv waren. Nämlich ganz zu Beginn der islamischen Zeitrechnung und dann erst wieder seit Mitte des 20. Jh.. Erst nach einer langen Durststrecke bemühte sich allmählich eine ständig wachsende Zahl von weiblichen Gelehrten aus den sich entwickelten emanzipatorischen Strömungen, die von den im 8. und 9. Jh. gegründeten Rechtsschulen der islamischen Jurisprudenz (arab. Madhab) verfassten Schriften und Abhandlungen über die Rechte der Frauen zu hinterfragen und aufzuarbeiten. Unter ihnen ist etwa die ägyptische Menschenrechtlerin und Gründerin der NGO „Sisterhood Is Global Institut“ Nawal El Saadawi oder die libanesisch-syrische Frauenrechtlerin Nazira Zain Al Din, die auf Grundlage ihrer eigenen Qur’aninterpretation zwei Arbeiten verfasste. Das erste Werk beschäftigt sich mit der Frage der Verschleierung und das zweite Werk mit der Einbeziehung der Frauen als religiöse Gelehrte. Diese von Frauen verfassten Arbeiten zur Fiqh (islamische Jurisprudenz) waren – und sind heute umso dringlicher – notwendig, weil in der Gründungszeit der Rechtsschulen Frauen bereits vom 2 CEAI-Fachtext „Gleichberechtigung und Islam“ interpretativen und intellektuellen Prozess, somit an der Exegese göttlicher Bestimmungen und prophetischer Überlieferungen, ausgeschlossen wurden und damit eine Abwertung der gewonnenen Frauenrechte einherging. Die teilweise immer noch zurückgedrängte Stellung der Frau in der islamischen Jurisprudenz lässt sich damit erklären, dass die Fiqh aufgrund ihrer ideologischen Natur mit der patriarchalischen (vorislamischen) Gewohnheit zusammenhängt, demzufolge die männlichen Islamgelehrten (arab. Faqih; Pl. Fuqaha) den Zugang zu den heiligen Texten prägten. Des Weiteren ergibt sich die Stellung der Frau in der Fiqh aus ihrer eigenen Erkenntnistheorie, in welcher Art und Weise die Frau in der Fiqh verankert und zum Gegenstand rechtlicher Regelungen wurde. Letztlich ist natürlich auf die politische Dimension hinzuweisen, in der die Frauen von der Produktion religiösen Wissens ausgeschlossen und ihnen dadurch die Möglichkeit genommen wurde, ihren Stimmen Gehör zu verleihen und ihre Gesetzesinteressen durchzusetzen. 3