Gentest ermöglicht Diagnose des Familiären Mittelmeerfiebers

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KURZBERICHT
Hinrich Sudeck1
Rolf Horstmann2
Gentest ermöglicht
Diagnose des Familiären
Mittelmeerfiebers
ZUSAMMENFASSUNG
Familiäres Mittelmeerfieber (FMF) ist eine genetisch bedingte Erkrankung mit rezidivierenden Fieberschüben und akuter
Peritonitis, häufig auch Pleuritis oder Arthritis, seltener anderen Serositiden, und Entwicklung einer Amyloidose mit
nachfolgender Niereninsuffizienz. FMF findet sich vorwiegend in jüdischen, armenischen oder türkischen Familien, deren Vorfahren aus dem Mittelmeerraum stammen. Unlängst
wurde ein Gen identifiziert, dessen Mutationen FMF verursa-
chen. Damit wurde es möglich, einen
Gentest zu entwickeln und FMF erstmals positiv und nicht nur als Ausschlußdiagnose nachzuweisen. Der Test ist von großer differentialdiagnostischer Hilfe, er sichert insbesondere die Indikation zu der wirksamen
Anfalls- und Amyloidoseprophylaxe mit Colchicin.
Schlüsselwörter: Familiäres Mittelmeerfieber, Serositis,
Amyloidose, Gentest, DNA-Analyse
Familial Mediterranean Fever
Familial Mediterranean fever (FMF) is an inherited disease of
recurrent febrile attacks of acute peritonitis, often also of pleuritis or arthritis and sometimes of other forms of serositis, ultimately leading to amyloidosis with renal failure. FMF is predominantly found in Jewish, Armenian or Turkish families
whose ancestors originate from the Mediterranean basin. Recently, a gene was identified that contains mutations causing
FMF. Thus, it became possible to develop a DNA
test which, for the first time, allows a positive diagnosis of FMF instead of diagnosing it merely by exclusion.
The test is of great diagnostic and also therapeutic value, it ensures that prophylactic colchicine administration is indicated.
This prevents both, febrile attacks and amyloidosis.
Key words: Familial Mediterranean fever, serositis, amyloidosis, DNA test, DNA analysis
V
or zwei Jahren wurde das
Gen gefunden, das Familiäres Mittelmeerfieber
(FMF) verursacht (12, 14). Seine
Entdeckung markiert nicht nur
eine bemerkenswerte wissenschaftliche Leistung, sie bietet
auch eine wertvolle Hilfe bei der
klinischen Differentialdiagnose.
Vorkommen und
Klinik des FMF
Abbildung 1: Einseitiger Pleuraerguß bei FMF
FMF ist eine Erkrankung der
Völker des südlichen Mittelmeers (6). lich eine meist einseitige Pleuritis (AbBetroffen sind in erster Linie anatoli- bildung 1) oder eine akute oder chrosche Türken, nordafrikanische und ira- nisch-destruierende Arthritis, häufig
kische Juden, Armenier und Drusen, eine Sacroiliitis. Seltene Manifestatioseltener Aschkenasi-Juden und Ara- nen der Anfälle sind erysipelartige
ber. Mit Immigranten ist FMF nach Hauterscheinungen, Myositis, PerikarDeutschland gekommen, und differen- ditis, Vaskulitis und Orchitis. Prognotialdiagnostisch ist es hier inzwischen stisch entscheidend ist eine begleitende
von erheblicher Bedeutung. Klinisch Amyloidose, die langfristig eine Nierenmanifestiert sich die Erkrankung oft
bereits in der Jugend mit rezidivieren- 1
Klinische Abteilung (Leiter: Prof. Dr. med.
den Anfällen von hohem Fieber und Manfred Dietrich)
akuter Serositis, die sich spontan inner- 2 Abteilung für Tropenmedizinische Grundhalb weniger Tage zurückbilden. Fast lagenforschung (Leiter: Prof. Dr. med. Rolf
immer findet sich eine Peritonitis, in et- Horstmann), Bernhard-Nocht-Institut für Trowa der Hälfte der Fälle besteht zusätz- penmedizin, Hamburg
A-1418 (50) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 21, 28. Mai 1999
SUMMARY
insuffizienz verursacht. Konsequente Behandlung mit Colchicin
verhindert die Amyloidose und
unterdrückt in der Regel auch das
Auftreten der Anfälle. Die Diagnose erfolgt durch den Ausschluß anderer Krankheitsursachen. Da FMF rezessiv vererbt
wird, fällt das familiäre Auftreten
nicht immer auf. Wegen des Notfallcharakters der Peritonitiden
werden die Betroffenen nicht selten mehrfach laparotomiert, bevor die Diagnose gestellt wird. Laboruntersuchungen wie zum Beispiel die Bestimmung der Dopamin-βHydroxylase stellten sich als wenig zuverlässig für die Diagnostik heraus (1),
ebenso eine Anfallsprovokation durch
Infusion des Sympathomimetikums
Metaraminol, die zudem für die Patienten nicht ohne Risiko ist (5).
Identifizierung
eines FMF-Gens
Die Suche nach dem FMF-Gen
wurde im wesentlichen von zwei
großen wissenschaftlichen „Konsortien“ aufgenommen und praktisch am
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selben Tag abgeschlossen. Der Weg torische Reaktion verantwortlich ner regional prävalenten Infektionswar mühsam und beschreibt die inzwi- sein. Die Pathogenese der Amyloido- krankheit denken. Für diese Hypotheschen üblich gewordene Suche nach se wird damit allerdings nicht erklärt.
se könnte auch sprechen, daß verschiepathogenetisch wichtigen Genen
dene Mutationen des Gens in denseldurch „positional cloning“. Zunächst
ben Populationen gefunden wurden.
wurde der FMF-Defekt durch KoppDa sowohl die einzelnen Mutationen
Genetische Epidemiologie
lungsanalysen auf einen Bereich von
als auch die klinischen Zeichen in bedes FMF
einigen Millionen Basenpaaren auf
stimmten ethnischen Gruppen mit unZusätzliche Polymorphismen um terschiedlicher Häufigkeit und IntenChromosom 16 lokalisiert (9). Unter
Verwendung zusätzlich entwickelter das Marenostrin-Gen und deren Ver- sität auftreten, hat man begonnen, die
Marker wurde in betroffenen Famili- teilung im Mittelmeerraum lassen ver- Art der Mutation als prognostischen
en und Populationen gezielt nach auf- muten, daß die für FMF verantwortli- Faktor zu verwenden. So deutet sich
schlußreichen Rekombinationen ge- chen Mutationen sehr alt sind, zunächst zum Beispiel an, daß M694V mit einem
sucht, die den Genort schließlich auf im Nahen Osten vorhanden waren und hohen und V726A mit einem geringezwei- bis dreihunderttauren Risiko für Amyloidose
send Basenpaare einengten
einhergehen könnte (12).
(13). Von beiden konkurrie- Identifizierte Mutationen des FMF-Gens
renden Konsortien wurde E148Q1
E167D
T267I
P369S
F479L
die gesamte Region komGentest für FMF
2
M680I
I692del
M694I
M694V K695R
plett sequenziert, um dort
A744S
R761H
Die bislang gefundeBereiche zu identifizieren, V726A
nen Mutationen liegen in
die für ein Protein kodieren, 1
) bedeutet den Austausch von Glutaminsäure (E) durch Glutdrei Abschnitten des Madas eine Rolle im Entzünamin (Q) in Aminosäureposition 148; D=Asparaginsäure,
dungsprozeß spielen könn- T=Threonin, I=Isoleucin, P=Prolin, S=Serin, F=Phenylalanin, renostrin-Gens. Wir haben
hergete. Schließlich wurde ein L=Leucin, M=Methionin, V=Valin, K=Lysin, R=Arginin, Oligonukleotide
stellt, die in der PolymeraKandidat ausfindig gemacht A=Alanin.
se-Kettenreaktion die Amund Pyrin/Marenostrin ge2) bedeutet die Deletion von Isoleucin in Aminosäureposition 692.
plifikation der Segmente
nannt. Der Hinweis, daß es
bewirken, die die bisher
sich um den richtigen Kanidentifizierten Mutationen
didaten handelt, ergab sich,
umfassen (12). Durch autoals im Marenostrin-Gen
matisierte Sequenzierung
Mutationen gefunden wurdes
Amplifikationsproden, deren homozygotes
dukts lassen sich die Proben
oder kombiniert heterozyzuverlässig (Grafik) und regotes Vorkommen mit dem
lativ einfach analysieren.
Auftreten der Erkrankung
Die klinische Bedeutung
korrelierte. Bislang sind 13
des Tests soll mit zwei BeiPunktmutationen beschriespielen illustriert werden:
ben, die die Aminosäurese« Eine 33jährige Patiquenz des Proteins an jeentin aus dem Kaukasus leiweils einer Position verän- Abbildung 2: Vermutete Ausbreitung der FMF-Mutationen, modifiziert nach (2)
det seit dem 18. Lebensjahr
dern (Tabelle 1). Zwar ist
das Marenostrin-Gen vermutlich sich von dort in biblischer Zeit, also vor unter rezidivierender Übelkeit, mennicht das alleinige FMF-Gen (12), über 2000 Jahren nach Europa, Nord- struationsabhängigen abdominellen
doch scheint es für den größten Teil afrika und Armenien ausgebreitet ha- Koliken und Fieber bis 41°C. Seit Beder Erkrankungsfälle verantwortlich ben (Abbildung 2). Der Gendefekt ist ginn der Symptomatik 1983 zahlreiche
heute sehr häufig; bei nordafrikani- Krankenhausaufenthalte mit unterzu sein.
Die Funktion von Marenostrin ist schen Juden und Armeniern wurden schiedlichen Verdachtsdiagnosen, unbislang unbekannt. Ähnlichkeiten in Heterozygotenfrequenzen von bis zu ter anderem Porphyrie. 1983 Appenseiner abgeleiteten Aminosäurese- 20 Prozent gefunden (4, 11). Das läßt dektomie, 1995 Laparoskopie mit
quenz mit bekannten Proteinen lassen vermuten, daß der heterozygote Zu- Nachweis von Verwachsungen. 1997
vermuten, daß es als Transkriptions- stand ähnlich wie bei anderen Erb- erstmals Verdacht auf FMF, wegen Unfaktor wirken könnte, der regulato- krankheiten wie zum Beispiel Sichel- sicherheit der Diagnose jedoch keine
risch die Aktivierungsphase neutro- zellanämie (7) oder Mukoviszidose (8) konsequente Colchicin-Behandlung.
philer Granulozyten beendet. Bei einen evolutionären Vorteil bietet. Bei Anfang 1998 Untersuchung im BernFMF könnten zum Beispiel die muta- FMF wurde eine gewisse Resistenz ge- hard-Nocht-Institut mit Nachweis
tionsbedingten Änderungen in der gen Asthma bronchiale vermutet (3), mäßiger allgemeiner EntzündungszeiStruktur des Marenostrins die Inakti- doch läßt das umschriebene Verbrei- chen, einer mikrozytären Anämie und
vierungsfunktion stören und so für ei- tungsgebiet des Gens im Mittelmeer- einer grenzwertig vergrößerten Milz;
ne pathologisch gesteigerte inflamma- raum am ehesten an den Schutz vor ei- kein Nachweis einer bakteriellen oder
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viralen Infektion oder einer Kollagenose; Metaraminol-Test negativ, Serum-Amyloid nicht erhöht. Der Gentest ergab eine kombinierte Heterozygotie für M680I und M694V (Grafik).
¬ Eine 30jährige Patientin aus
der Türkei leidet seit dem 15. Lebens-
tersuchung ergab initial unauffällige
Entzündungsparameter, vermindertes
Speichereisen, kein erhöhtes SerumAmyloid. Nach einem akuten Schmerzereignis entwickelte sich ein flüchtiger
kleiner Pleuraerguß. Der Gentest ergab eine kombinierte Heterozygotie
Grafik
A
CodonPositionen
B
680
694
726
694
PatientenSequenzen
A
T
G/C
A/G
T
G
A/G
T
G
G
T/C
T
KontrollSequenzen
A
T
G
A
T
G
A
T
G
G
T
T
Punktmutationen im Marenostrin-Gen als Ursache für FMF. Bei kombiniert Heterozygoten wie in den vorliegenden Fällen finden sich die Mutationen auf jeweils nur einem der beiden vorhandenen Allele, deshalb ergibt
sich an den betroffenen Positionen eine Mischsequenz aus dem normalen und dem mutierten Allel. A) Betroffene Codons bei Patientin A (obere Sequenzen) mit entsprechenden Kontrollsequenzen (unten): Ein Austausch
G —> C verändert das Codon ATG in Position 680 zu ATC und bewirkt damit in dieser Position einen Ersatz der
Aminosäure Methionin durch Isoleucin; ein Austausch A —> G auf dem anderen Allel der Patientin bewirkt in
Position 694 ATG —> GTG und damit einen Ersatz von Methionin durch Valin. B) Betroffene Codons bei
Patientin B: Ein Austausch A —> G verändert das Codon ATG in Position 694 zu GTG und bewirkt einen Ersatz
der Aminosäure Methionin durch Valin; ein Austausch T —> C auf dem anderen Allel der Patientin bewirkt in
Position 726 GTT —> GCT und damit einen Ersatz von Valin durch Alanin. Der Austausch von Aminosäuren führt
vermutlich zu einer Funktionsstörung des betroffenen Proteins Marenostrin
jahr unter rezidivierenden Anfällen
von Fieber mit Schüttelfrost, abdominellen Beschwerden, Arthralgien und
thorakalen Schmerzen. Verdacht auf
FMF, im Verlauf vorherrschend Symptome einer Sacroiliitis. Beginn einer
Colchicin-Behandlung, obwohl diagnostische Unsicherheit blieb, da zwei
Metaraminol-Tests ohne eindeutiges
Ergebnis verliefen. Anfang 1998 brach
die Patientin die Behandlung ab, da sie
von der Medikamentenwirkung nicht
überzeugt war, sich ein Kind wünschte
und eine medikamentöse Fruchtschädigung befürchtete. Eine weiter Un-
für M694V und V726A (Grafik). Da
Hinweise dafür vorliegen, daß Colchicin keine Gefahr für eine eventuelle
Schwangerschaft darstellt (14), wurde
die Behandlung mit Zustimmung der
Patientin wieder aufgenommen.
Insgesamt haben wir seit Beginn
1998 in 30 Fällen durch den Gentest
die Diagnose eines FMF bestätigt. In
den beiden beschriebenen Kasuistiken war die Sicherung der Diagnose
von besonderer Bedeutung, da sie
die Patientinnen von der Indikation
der möglicherweise lebenswichtigen
Colchicin-Therapie überzeugte.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-1418–1421
[Heft 21]
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Hinrich Sudeck
Klinische Abteilung
Bernhard-Nocht-Institut
für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Straße 74
20359 Hamburg
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 21, 28. Mai 1999 (53) A-1421
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