Lutz Hübner | Mitarbeit Sarah Nemitz

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Frau
Müller
Lutz Hübner | Mitarbeit Sarah Nemitz
muss
weg
„Mehr kann man von
einer Lehrerin nicht
erwarten.“
Jessica in „Frau Müller muss weg“
Premiere 06. Dezember 2013, 20.00 Uhr
Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele
Frau Müller muss weg
Komödie von Lutz Hübner, Mitarbeit Sarah Nemitz
Patrick Jeskow, Ingenieur Uwe Zerwer
Marina Jeskow, Übersetzerin Karin Klein
Katja Grabowki, Museumspädagogin Gabriele Drechsel
Jessica Höfel, Verwaltungsbeamtin Christina Kühnreich
Wolf Heider, Ex-Fernmeldetechniker Andreas Vögler
Sabine Müller, Grundschullehrerin Stephanie Theiß
Regie Judith Kuhnert
Bühne Judith Kuhnert | Nora Johanna Gromer
Kostüme Veronika Sophia Bischoff
Dramaturgie Caroline Zacheiß
Regieassistenz Carola Schiefke
Soufflage Sigrid Schütrumpf
Abendspielleitung Judith Kunert
Regiehospitanz Matthias Thorner
Technische Einrichtung Mandy Mielitz | Dirk Wiegleb
Produktionsassistenz Sonia Thorner-Vela
Beleuchtungs- und tontechnische Einrichtung Mandy Mielitz |
Nils Rogge | Dirk Wiegleb
Veranstaltungstechnik Stephan Tschunt | Hüseyin Uygun
Requisiteneinrichtung Mitarbeiter der Requisite Kleines Haus
Aufführungsrechte Hartmann & Stauffacher GmbH
Uraufführung 22. Januar 2010, Staatsschauspiel Dresden
Aufführungsdauer etwa 70 Minuten, keine Pause
Bild- und Tonaufnahmen sind während der Vorstellung nicht gestattet.
Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon vor der Vorstellung aus.
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Karin Klein, Andreas Vögler, Christina Kühnreich, Uwe Zerwer
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„Bei Kindern hört der Spaß auf “
Bei Kindern hört der Spaß auf. Da zeigt sich, wie solidarisch eine
Gesellschaft wirklich ist und wie sie mit Erfolg und Niederlagen umgeht.
Da werden keine Gefangenen gemacht und keine Konzessionen. Denn
die Aufzucht von Kindern beschränkt sich nicht auf satt und sauber plus
Erziehung. Eltern warten nicht lächelnd mit Milchschnitten in der Hand
auf der sonnigen Terrasse, bis ihre Sprösslinge vom Toben kommen,
Eltern leben vom Tag der Geburt an in ständiger Angst. Vor plötzlichem
Kindstod, Fenstersturz, Kapuzenkordeln und Rechtsabbiegern verlagern
sich die Ängste über die Jahre ins Soziale. Wird mein Kind tyrannisiert?
Ist es ein Tyrann? Zu stur, zu nachgiebig? Ist mein süßer Fratz ein still
vor sich hinbastelnder Autist oder der Schrecken der Kita?
Spätestens mit Beginn der Schulzeit werden die Ängste konkreter, ohne
dabei aber an emotionaler Wucht zu verlieren. Jetzt beginnt das Rattenrennen um die Poleposition für den Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Ein
natürlicher Pessimismus paart sich mit der unverrückbaren Überzeugung,
ein besonderes Kind zu haben. Das ist normal, das muss so sein. Aber die
Verhältnisse, sie sind nicht so, spätestens mit dem ersten Zeugnis werden
alle erzieherischen Ideale über Bord geworfen, falls das Ergebnis nicht
mit den eignen Erwartungen übereinstimmt. Die Drei in Mathematik hat
nichts damit zu tun, dass das eigene Kind ein Spätzünder ist, faul, unkonzentriert oder einfach mathematisch unbegabt (obwohl man dunkel ahnt,
dass es daran liegen könnte). Nein! Es ist ein Angriff, eine n
­ arzisstische
Kränkung oder ein Zusammenspiel von Schicksalsmächten, die bei der
Notenvergabe nicht berücksichtigt wurden. Die Grundhaltung dem
Lehrerkollegium gegenüber ist latente Empörung und beständige Alarmbereitschaft wegen drohender Kabalen, pädagogischer Kardinalfehler,
untragbarer Bedingungen und natürlich beschränkter, zickiger, boshafter,
verzogener und verwahrloster Mitschüler. Diese Probleme lösen sich
natürlich in Luft auf, sobald die erwünschte Note erreicht wird.
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Richtig Schwung bekommen diese Verschwörungstheorien, wenn es um
die weiterführende Schule geht. Wer den falschen Schultypus erwischt,
kann einpacken, ist aussortiert und kommt nicht mehr hoch. Zehnjährige, die noch an den Weihnachtsmann glauben, finden sich auf einer
Schulbank mit Kindern, die von der Polizei aus dem Unterricht geholt
werden. Höhere Töchter nennen ihre Klavierlehrerin eine verfickte Hure,
und Jungs, die eigentlich die Kanzlei ihres Vaters übernehmen sollten,
schmeißen mit Schuhen, wenn sie ihren Nintendo ausschalten sollen.
Das ist der Albtraum aller Eltern, und dagegen wird gekämpft, mit allen
Mitteln, über und auch gerne unter der Gürtellinie. Sachlichkeit und
Objektivität spielen keine Rolle, es geht schließlich um alles:
um das eigene Kind.
Ein moderner neuer Mensch soll aus ihm werden, flexibel, kommunikativ, immer lernbereit, teamfähig, kreativ und durchsetzungsfähig. Kein
Mensch weiß, wie man diesen Übermenschen heranzüchten soll. Weder
die Schulen noch die Eltern. Die Schulen arbeiten weiterhin nach Prinzipien, die einer untergegangenen Arbeitswirklichkeit verpflichtet sind,
und die Eltern, die das Produkt ebenjener versunkenen Zeit sind, haben
nur diffuse Vorstellungen davon, wie ihr Kind optimal vorbereitet in
diese bedrohliche neue Welt eintreten soll. Also muss das Kind auf alles
vorbereitet sein. Das Kind wird zum Versuchskaninchen, man schreitet
nicht mehr mit gusseisernem Wertekanon zur hohen Erziehungsaufgabe,
man dreht hier an einer Schraube und da an einem Rädchen und sieht
angstvoll zu, was dabei herauskommt.
Deshalb geht es bei Elternabenden ans Eingemachte. Wann trägt man
sonst außerhalb von Familie und Freundeskreis einen existenziellen
Konflikt aus?
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Einen richtigen Konflikt, keine berufliche Meinungsverschiedenheit oder
anderen Kokolores. Nein, einen Konflikt, der einen nächtelang wach
gehalten hat, wo man in ohnmächtiger Wut frühmorgens vor dem Kühlschrank Volksreden konzipiert, Rachefantasien hat und Panikattacken.
Und dann sitzen alle zusammen im Klassenzimmer und vorne steht der
Feind. Jetzt könnte man alles loswerden, jetzt muss man zeigen, dass man
seine Brut mit Zähnen und Klauen verteidigen kann, man hat so große
Töne gespuckt.
An Elternabenden kämpfen nicht nur Eltern um ihre Kinder, sondern
auch immer die Eltern für sich selbst. Ein Scheißjob, aber, das sollte man
nichtvergessen: Frau Müller muss weg!
Lutz Hübner
Stephanie Theiß, Christina Kühnreich, Karin Klein
Stephanie Theiß, Karin Klein,
Uwe Zerwer, Andreas Vögler,
Gabriele Drechsel, Christina Kühnreich
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Schule kann mehr
Gibt es die optimale Schule? Natürlich nicht! Eine optimale Schule wäre
eine Schule, die von jedem Lehrer und jedem Schüler als perfekt
­empfunden wird. Das ist nicht möglich. Was also wäre eine gute Schule?
Und wie können wir unsere Schulen besser machen? Das Leistungsniveau
steigern, bedeutet vor allem eines: nicht schneller lernen und nicht mehr
Schulstoff, sondern langsamer lernen, tiefer, eindringlicher, und in jenen
Wissensgebieten, die dafür geeignet sind, individueller.
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Trainiert die Konzentration
Man stelle sich also eine Schule vor, bei der unsere Kinder und Jugendlichen von den 100 Prozent Wissensstoff ein paar Jahre später mehr als
nur ein Prozent in Erinnerung haben. Eine Schule, in der man so lernt,
dass man statt loser Brocken und toter Phrasen Zusammenhänge behält.
Es geht um ein höheres Bildungsniveau!
Je mehr es in der Welt unserer Kinder und Jugendlichen „Piept, ploppt,
twittert und livetickert“ (Die Zeit), umso wichtiger wird es, die Kunst zu
beherrschen, sich vor solchem Aufmerksamkeitsraub zu schützen. Noch
nie in der Geschichte der Menschheit wurden heranwachsende Gehirne
von so vielen Reizen bestürmt und überflutet wie heute. Dass viele Kinder
damit so überfordert sind, dass sie die Fähigkeit verlieren, sich dem zu
entziehen, darf nicht verwundern. Sie verlernen, Nein zu sagen und
länger bei einer Sache zu bleiben. Und je mehr Elternhäuser hier versagen
oder aufgeben, umso wichtiger wird die Aufgabe der Schule, für Konzentration und Stille zu sorgen. Dringend erforderlich ist ein Training, das
vom ersten Schuljahr an unseren Kindern hilft, sich zu sammeln,
zur Ruhe zu kommen, ihr eigenes Tun zu reflektieren, sich selbst besser
zu verstehen.
Verschönert die Lernorte
Schafft die Noten ab
Die meisten Schulgebäude erinnern heute an Krankenhäuser, Finanzämter oder Kasernen. Lange, fantasieverlassene Flure, von denen in Reih
und Glied die Zimmer abgehen. Als man solche Schulen baute, wusste
man nahezu nichts über das Lernen und fast ebenso wenig über die
Psychologie von Kindern. Vorbild waren die Verwaltung und das Militär.
Eine moderne Schule dagegen orientiert ihre Architektur an den Bedürfnissen lernender Menschen. Die Unterteilung der Schule in Lernhäuser
beinhaltet, dass die Schularchitektur dezentral ausgerichtet ist, organisiert
rund um einen Campus als Mittelpunkt. Sie schafft Nischen und Rückzugsorte, aber auch Begegnungsräume. Eine moderne Schule ist keine
Verwaltungseinheit, sondern bildet die Wissensgesellschaft ab. Sie ist ein
Netzwerk an architektonischen Beziehungen.
Die Bewertung nach Ziffern wird der Persönlichkeit unserer Kinder
nicht gerecht. Das Notensystem stammt aus einer psychologisch und
pädagogisch uninformierten Epoche. Es dient der Selektion, korrumpiert
die Schüler und gehört definitiv nicht mehr ins 21. Jahrhundert.
Hat der Schüler an Motivation zugelegt? Ist er interessierter geworden?
Hat er gelernt, mit einem Misserfolg besser umzugehen? Wie viele neue
Ideen hat er entwickelt? All diese Fragen lassen sich nicht durch ein
Dokument mit Ziffern beantworten. Es ist deshalb höchste Zeit, die
Notenzeugnisse zu ersetzen. An ihre Stelle sollte ein sorgsames, auf die
Individualität des Kindes bezogenes Monitoring treten. Statt Zensuren
zu vergeben, sollten Lehrer schriftliche Beurteilungen verfassen über
den Lern- und Entwicklungsweg ihrer Schüler, über ihr Können und
ihre Persönlichkeit. Die organisatorischen Strukturen einer solchen
Zukunftsschule sehen wie folgt aus: Eine gemeinsame Schule für alle bis
einschließlich des zehnten Schuljahrs. Eine Auflösung der Jahrgangsklassen nach dem vierten oder sechsten Schuljahr. Ein Abenteuerprojekt-
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jahr im achten Schuljahr. Eine Trennung nach dem zehnten Schuljahr
in die gymnasiale Oberstufe oder in eine Lehre mit weiterer schulischer
Begleitung. Und eine eigene Berufsförderschule mit Lehre für diejenigen,
die den Anforderungen des zehnten Schuljahres nicht gerecht wurden,
mit dem Ziel, den gleichen Abschluss auf diese Weise zu schaffen. Auch
auf Lehrpläne, die auf amtliche Vorschriften, wie Schulen ihr Kollegium
zusammenstellen oder wie sie ihre Lehrer befördern (wenn möglich, nicht
nach Dienstjahren, wird man in der neuen Schule verzichten können).
Natürlich wird es Einwände geben: von Pädagogikprofessoren, Bildungspolitikern und Journalisten. Man sollte die Debatte doch bitte „unaufgeregter“ führen, „weil es doch sonst nichts bringt“. Aber das Argument ist
falsch. Große Veränderungen werden nicht durch ewig gesuchte Mittelwege und jahrelang abgewogene Gedanken erreicht. Wer das glaubt,
möchte im Grunde, dass die Schule bleibt, was sie ist: ein Relikt des 19.
Jahrhunderts. Ohne Leidenschaft, Emotion und mitunter auch ohne die
eine oder andere Zuspitzung wird es nicht gehen, wenn es tatsächlich zu
strukturellen Veränderungen kommen soll.
Es lohnt sich, im Interesse unserer Kinder, unserer Lehrer und unseres
Landes dafür zu kämpfen, dass die Bildungspolitik den Blick auf die Bewahrung des Gestern verliert und ihn endlich gemeinsam auf die Zukunft richtet.
Richard David Precht
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Zum Autor
Geboren am 16. Januar 1964 in Heilbronn | 1983/1984 Studium der Germanistik, Philosophie und Soziologie in Münster | Schauspielausbildung von
1986 bis 1989 an der Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater
| Zunächst Schauspieler in Karlsruhe | 1990 bis 1993 Engagements am
Rheinischen Landestheater Neuss und von 1993 bis 1996 am Theater der
Landeshauptstadt Magdeburg, jeweils als Schauspieler und Regisseur |
Seit 1996 freiberuflicher Schriftsteller und Regisseur in Berlin |
Mit Stücken wie „Gretchen 89 ff.“, „Ehrensache“, „Blütenträume“ oder
„Frau Müller muss weg“ seit Ende der Neunziger Jahre einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker auf deutschen Bühnen | Januar 2010
Uraufführung von „Frau Müller muss weg“ als Auftragswerk für das
Staatsschauspiel Dresden | Seine Stücke sind in über ein Dutzend Sprachen übersetzt worden und werden weltweit gespielt. Hübner lebt mit
seiner Frau Sarah Nemitz und seiner Tochter in Berlin.
Die Klasse R6c der Wilhelm-Leuschner-Schule Darmstadt hat mit
ihrer Lehrerin Ilona Schorlemmer die Inszenierung als Patenklasse
begleitet. Wir danken ihr für die Unterstützung bei der Gestaltung
des „Herbstprojekts“ für die Bühnendekoration.
Stephanie Theiß, Karin Klein, Andreas Vögler,
Uwe Zerwer, Christina Kühnreich, Gabriele Drechsel
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Anfertigung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten
des Staatstheaters Darmstadt.
Technische Gesamtleitung Bernd Klein
Bühneninspektor Uwe Czettl
Leiter der Werkstätten Gunnar Pröhl
Assistent des Technischen Direktors | Technischer Leiter der
Kammerspiele Jonathan Pickers
Technische Assistenz Konstruktion Christin Schütze
Leiterin Kostümabteilung Gabriele Vargas-Vallejo
Leiter des Beleuchtungswesens Dieter Göckel
Leiter der Tontechnik Alfred Benz
Chefmaskenbildnerin Tilla Weiss
Leiterin der Requisitenabteilung Ruth Spemann
Leiter des Malsaals Armin Reich
Kaschierwerkstatt Lin Hillmer
Leiter der Schreinerei Matthias Holz
Leiter der Schlosserei Jürgen Neumann
Leiter der Polster- und Tapezierwerkstatt Roland Haselwanger
Gewandmeisterei Lucia Stadelmann, Roma Zöller (Damen),
Brigitte Helmes (Herren)
Schuhmacherei Anna Meirer
I mpressum
Spielzeit 2014|15, Programmheft Nr. 9
Herausgeber: Staatstheater Darmstadt
Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt,
Textnachweise
Lutz Hübner: Warum Frau Müller weg muss, Köln 2010.| Richard David
Precht: Schule kann mehr, Die Zeit, 11. April 2013.
Biografie Lutz Hübner,
http://www.hsverlag.com/seite/?autoren/detail/a44, Zugriff am 2.12.2013.
Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden gebeten,
sich zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung zu melden.
Telefon 06 15 1 . 28 11-263
www.staatstheater-darmstadt.de
Intendant: Karsten Wiegand
Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz
Redaktion: Caroline Zacheiß | Sophie Holzberger
Fotos: Barbara Aumüller
Grafik: sweetwater | holst, Darmstadt
Herstellung: Drach Print Media, Darmstadt
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