Die Kommunalwahlen in Chile 2008 - Hanns-Seidel

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HSS-SONDERBERICHT
Kommunalwahlen in Chile 2008 –
Die regierende Concertación gerät immer stärker
unter Druck
Alles gar nicht so schlimm?
Auf den ersten Blick scheint die seit 1989
regierende Koalition auch diesmal erfolgreich
ihre Stellung als stärkster politischer Block
Chiles verteidigt zu haben: Die regierende
Concertación – ein Parteienbündnis der
chilenischen Christdemokraten (PDC), der
Sozialisten (PS) und Sozialdemokraten (PPD
und PRSD) – wird auch in den kommenden vier
Jahren die meisten Bürgermeister in den 345
Kommunen des Landes stellen. Bei den
Kommunalwahlen am 26. Oktober 2008
verwies die Concertación mit 146 Gemeindeoberhäuptern das oppositionelle Parteienbündnis „Alianza“ auf den zweiten Platz (die
Alianza gewann 142 Rathäuser). Auch bei den
Gemeinderatswahlen, die zeitgleich mit den
Bürgermeisterwahlen erfolgten, konnte sich die
Concertación mit gut 45 Prozent der Stimmen
gegenüber den 36 Prozent der Alianza klar
durchsetzen. Deswegen sprach die sozialistische Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet,
auch davon, dass sich die Koalition erneut als
stärkste politische Kraft in Chile durchgesetzt
habe.
Auf den zweiten Blick bleibt von diesem „Sieg“
allerdings nicht viel übrig. Denn zum ersten Mal
ist es der Alianza, bestehend aus der konservativen Unión Demócrata Independiente (UDI)
und der konservativ-liberalen Renovación
Nacional (RN), gelungen bei den Bürgermeisterwahlen mehr Stimmen auf sich zu vereinigen als die regierende Koalition. Daran änderte
auch der große Abstand zwischen Concertación und Alianza bei den Gemeinderatswahlen
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wenig. Denn im Gegensatz zur extrem niedrigen Wahlbeteiligung bei den Gemeinderatswahlen
(knapp 5,5 Millionen Wähler), gaben bei den Bürgermeisterwahlen immerhin mehr als 6,2
Millionen Chilenen ihre Stimme ab. Und hier liegt nach Stimmen die Alianza mit 40,56 Prozent
vor der Concertación, die nur 38,46 Prozent erreichte.
Übersicht über Ergebnisse der Kommunalwahlen 20081 und 2004:
Gemeinden 2008
Gemeinden 2004
Bürgermeister
2008
Bürgermeister
2004
Prozent
Mandate
Prozent
Mandate
Prozent
Mandate
Prozent
Mandate
Concertación
45,24
1064
47,89
1126
38,46
146
44,81
203
Alianza
35,99
863
37,68
886
40,56
142
38,72
104
Unabhängige
1,59
12
3,92
43
10,20
40
10,58
34
J. Pod. Mas
9,08
80
9,17
89
6,36
7
5,89
4
P.u.Chile limp.
7,57
117
-
-
4,00
7
-
-
Die Regierungskoalition verlor auf breiter Front: Mehr als 50 Bürgermeisterposten gingen
verloren, ebenso knapp 60 Mandate auf Gemeinderatsebene. Demgegenüber verlieren UDI und
RN nur wenige kommunale Mandatsträger und gewinnen andererseits 38 Bürgermeisterposten
hinzu. Das ist aber noch nicht alles. Zu denken geben muss den Regierungsparteien vor allem in
welchen Gemeinden die Opposition bei diesen Wahlen siegreich war. Und da ist der Trend
eindeutig: der Alianza gelang es, sich in vielen einwohnerstarken Kommunen durchzusetzen.
Einer ersten Schätzung zu Folge werden auf kommunaler Ebene in den nächsten vier Jahren 3,7
Millionen Chilenen von konservativen Bürgermeistern regiert und nur 2,9 Millionen von
Parteigängern der Concertación. Das ist seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1989/90
noch nicht dagewesen.
Unter den Gemeinden, die fortan von der Alianza dominiert werden sind neben der symbolträchtigen Kommune Santiago auch die bedeutenden Städte Valparaiso, Viña del Mar, Temuco,
Rancagua und Concepción. Von den 15 regionalen Hauptstädten konnte die Allianz neun
gewinnen. Damit einher geht auch ein viel größerer politischer Gestaltungsraum für die Alianza:
Die größeren Kommunen verfügen naturgemäß über größere Haushalte, die Opposition wird nun
einer viel breiteren Wählerschicht ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen können und
müssen.
Besonders bitter für die Regierungskoalition und insbesondere die chilenischen Christdemokraten ist deren Niederlage im Hauptstadtbezirk Santiago. Dort gewann der Kandidat der
UDI, Pablo Zalaquett, mit einer breiten Mehrheit gegen das christdemokratische Schwergewicht
Jaime Ravinet.
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Die aufgeführten Ergebnisse und Zahlen basieren auf den am 27/28. Oktober 2008 veröffentlichten offiziellen Zahlen sowie auf
Berichten der nationalen Presse.
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Der Niedergang des PDC setzt sich fort
Die Christdemokraten sind sowieso die wahren Verlierer dieses Urnengangs. Ihr Stimmenanteil
bei den Gemeinderatswahlen fiel von 20 Prozent im Jahr 2004 auf gerade noch 14 Prozent in
diesem Jahr. Auch bei den Bürgermeisterwahlen blieb die Partei mit mageren 18 Prozent hinter
den eigenen Erwartungen zurück. Schuld daran ist auch eine hausgemachte Konkurrenz. Seit
dem unrühmlichen Rauswurf ihres ehemaligen (und vergleichsweise erfolgreichen) Vorsitzenden
Adolfo Zaldívar haben die Christdemokraten weitere strukturkonservative Klientel verloren. Diese
wanderte allerdings nicht nur zur Alianza ab, sondern sammelte sich auch in der neuen Partei
„Chile Primero“ (geführt von Fernando Flores, Ex-PPD) und dem „Partido Regionalista de los
Independientes“ (von Jaime Mulet, Ex-PDC), die zusammen mit einer weiteren Abspaltung im
eher bürgerlichen Spektrum in einer Wahlallianz („Por un Chile limpio“) einen Achtungserfolg
verbuchen konnte.
Verluste des PDC: Prozentualer Stimmenanteil und gewonnene Mandate
Gemeindewahl
2008
Gemeindewahl
2004
Bürgermeisterwahl
2008
Bürgermeisterwahl
2004
13,98%
20,30%
18,01%
21,90%
343
456
58
99
Die Partei verlor 41 Bürgermeisterposten – nur zur Erinnerung: die Concertación verlor bei
diesen Wahlen insgesamt 57 Rathäuser, d.h. die anderen drei Parteien der Concertación büssten
zusammen lediglich 16 Mandate ein.
Die ehemals mit weitem Abstand stimmenstärkste Partei Chiles zerfällt weiter – und stürzte
zudem in eine Führungskrise, weil die Parteivorsitzende Soledad Alvear, Senatorin und
ehemalige Außenministerin, nach dem Wahldebakel ihren Rücktritt vom Parteivorsitz und das
Ende Ihrer eigenen (aussichtslosen) Präsidentschaftskandidatur im nächsten Jahr verkündete.
Ob es einer neuen Parteiführung gelingt den Zerfall der Partei aufzuhalten steht in den Sternen.
Es scheint fast so, als schrumpften die chilenischen Christdemokraten auf eine Art Rumpf-Partei,
in der sich nur noch diejenigen wieder finden, die es sich in der babylonischen Gefangenschaft
der Concertación gemütlich gemacht haben. Die exponiertesten Befürworter eines Abgrenzungskurses gegenüber den bisherigen Bündnispartnern haben dem PDC jedenfalls den Rücken
zugekehrt oder sind politisch mundtot gemacht worden.
Die Parteien positionieren sich für 2009
Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen des nächsten Jahres werfen ihre Schatten voraus
und versprechen wirklich spannend zu werden. Die Schwäche der seit mehr als 18 Jahren
regierenden Concertación wirkt sich allerdings nur bedingt positiv auf den größten
Oppositionsblock aus. Die Alianza scheint nicht in der Lage zu sein längerfristig mehr als 40
Prozent plus X der chilenischen Wähler an sich zu binden. Die meisten enttäuschten Wähler von
PDC, PPD, PS und PRSD wenden sich entweder dem reinen Linksbündnis „Juntos Podemos
Mas“ zu, bestehend aus der Kommunistischen und der Humanistischen Partei Chiles, oder –
sofern sie aus der eher konservativen Ecke kommen – tendieren zu den noch sehr jungen
Parteien „Chile Primero“, oder den „Unabhängigen“ um die Senatoren Jorge Schaulsohn (Ex-
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PPD) und Adolfo Zaldívar (Ex-PDC). Diese Wählergruppen gilt es (wieder) zu gewinnen, wenn im
Dezember nächsten Jahres Präsidentschaftswahlen stattfinden.
Die Concertación schielt bereits mit einem Auge nach links und sucht Absprachen mit der
Kommunistischen Partei (PC). So gelang es den Kommunisten bei diesen Wahlen zum ersten
Mal seit der Rückkehr zur Demokratie einen Bürgermeisterposten mit Hilfe eines speziellen
Wahlabkommens mit der Regierungskoalition zu erobern. Die Concertación hatte in der
Kommune auf einen eigenen Kandidaten verzichtet. Insgesamt werden in den kommenden
Jahren 4 Gemeinden von der PC regiert werden.
Die Alianza wiederum buhlt heftig um die Abtrünnigen auf der anderen Seite des politischen
Spektrums. Dies ging sogar so weit, dass Adolfo Zaldívar mit den Stimmen der weiteren
„unabhängigen“ Senatoren und der Alianza zum Präsidenten des Senats gewählt wurde.
Sebastian Piñera, der 2005 knapp gescheiterte Präsidentschaftskandidat der RN, setzt klar auf
ein breiteres „bürgerliches Bündnis“, um 2009 endlich wahr zu machen, was der Opposition seit
1989 nicht gelingt: der Concertación das Präsidentenamt zu entreißen.
HERAUSGEBER: CHRISTIAN J. HEGEMER, LEITER IBZ
AUTOR: HENNING SENGER, GRUNDSATZREFERAT
REDAKTION: DR. DIETMAR EHM, LEITER LATEINAMERIKA-REFERAT,
HARTWIG MEYER-NORBISRATH, HSS SANTIAGO DE CHILE
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ERSTELLT AM: 29. OKTOBER 2008
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