Ein Meer von Müll Kim Detloff, NABU, 2012 Plastikabfälle sind eine ernste Gefahr für das Leben im Meer. Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen landen weltweit jedes Jahr mehr als 6,4 Millionen Tonnen Abfälle im Meer, 75 Prozent davon aus Kunststoff. Ein Großteil stammt von Land und gelangt über Flüsse, ungeklärte Abwässer oder illegale Deponien ins Meer. Durchschnittlich 18.000 Plastikteile treiben inzwischen auf jedem Quadratkilometer Wasseroberfläche. Und selbst in den entlegensten Meeresregionen finden wir die schädlichen Überreste unserer Zivilisation. Ganz oben auf der Liste der häufigsten Fundstücke stehen dabei Zigarettenfilter, Plastiktüten und Plastikflaschen. Hydrografische Wirbel in den Ozeanen konzentrieren die Abfälle in riesigen Müllstrudeln. Deren bekanntester Vertreter im Nordpazifik, der Great Pacific Garbage Patch, hat nach aktuellen Schätzungen inzwischen die Größe Mitteleuropas erreicht. Dabei ist das, was wir sehen, nur die Spitze des Eisbergs. Etwa 15 Prozent der Abfälle treiben an der Wasseroberfläche, 70 Prozent sammeln sich am Meeresboden und weitere 15 Prozent werden an die Küsten gespült. Tödliche Folgen Die Auswirkungen von Plastik auf die Meeresumwelt sind vielfältig und für Meerestiere oft dramatisch. Delfine und Fische etwa verfangen sich in alten Netzen und ersticken. Seevögel und Schildkröten verwechseln Plastik mit ihrer natürlichen Nahrung, können es aber weder verdauen noch vollständig ausscheiden. Sie verhungern mit vollem Magen oder sterben an inneren Verletzungen. In einer der weltgrößten Albatros-Brutkolonien auf den pazifischen Midway-Inseln sterben heute zwei von fünf Küken an den Folgen der Wasserverschmutzung durch Plastik. Zudem halten Kunststoffe im Meer bis zu 450 Jahre und werden nur langsam durch Sonne, Salzwasser und Reibung in kleinere Partikel zersetzt. Fische, Muscheln oder Korallen reichern diese mikroskopisch kleinen Bruchstücke in ihrem Verdauungssystem oder Körpergewebe an. Oft sind die Tiere hochgradig belastet, weil die Partikel zusätzlich im Wasser gelöste Umweltgifte wie das Insektizid DDT (Dichlodiphenyltrichlorethan) oder PCBs (Polychlorierte Biphenyle) an ihrer Oberfläche anlagern. Die wasserlöslichen giftigen Inhaltsstoffe des Kunststoffs, Weichmacher oder das berüchtigte Bisphenol A, schädigen außerdem das Erbgut der Tiere sowie ihren Hormonhaushalt. Neben den ökologischen Auswirkungen bringt Plastikmüll auch wirtschaftliche Probleme mit sich. Häfen und Kommunen müssen jedes Jahr mehrere Millionen Euro in die Reinigung von Stränden investieren, und auch der Schifffahrt, der Fischerei und der Industrie entstehen hohe Kosten, etwa durch Schäden an Bootspropellern, Fanggeräten oder Filteranlagen. Müll über Bord Die internationale Seeschifffahrt ist trotz eines strengen Regelwerks auf regionaler Ebene einer der Haupteintragswege für Abfälle im Meer, auch in der Nord- und Ostsee. Zwar verbietet das sogenannte MARPOL-Abkommen (von Marine Pollution) der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation den Eintrag von Kunststoffen ins Meer. Viel zu oft wird Plastik aber zusammen mit Lebensmittelresten in schiffseigenen Schreddern zerkleinert und illegal im Meer verklappt. Die Reedereien und Kapitäne umgehen damit die Abfallgebühren in den Häfen. Das Risiko erwischt zu werden ist gering. Eine europäische Richtlinie soll sicherstellen, dass in den Häfen ausreichend Kapazitäten für die Müllentsorgung zur Verfügung stehen. Ihre wenig konkreten Formulierungen aber haben in den Häfen zu völlig unterschiedlichen Modellen der Abfallentsorgung geführt. Es gibt keine einheitlichen Bewirtschaftungspläne, Gebührenordnungen und Meldeverfahren, wodurch die Schiffseigner mit unterschiedlichen Gebühren und Entsorgungsverfahren konfrontiert sind. Doch es gibt auch positive Ansätze, wie die Häfen von Rotterdam oder Malmö-Kopenhagen zeigen. Ihr no-special-fee-System 1 deckt die Kosten der Müllentsorgung über die regulären Hafengebühren ab; zusätzliche Kosten fallen nicht an. So entfällt der Anreiz, den Müll illegal auf See zu entsorgen. Gefahr für Europas Meere Müll im Meer ist nicht nur ein Problem entfernter Küsten. Auch in der Nord- und Ostsee und im Mittelmeer schreitet die Vermüllung unaufhaltsam voran. Geschätzte 20‘000 Tonnen Abfälle gelangen jedes Jahr allein in die Nordsee. Würden Kommunen und Gemeinden unsere Urlaubsstrände nicht mit viel Aufwand reinigen, wäre ein Badeurlaub auf Sylt oder Fehmarn ein schmutziges Vergnügen. Das regionale Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks mit der Nordsee (OSPAR) zählte 2009 durchschnittlich 712 Müllteile pro 100 Meter Küstenlinie, drei Viertel davon waren aus Plastik. In der Ostsee fehlen bisher flächendeckende Untersuchungen, nicht alle Regionen scheinen aber gleich betroffen zu sein. Nach Angaben der Helsinki-Kommission (HELCOM) haben bis zu 60 Prozent des Mülls ihren Ursprung im Tourismus. Stark belastet ist auch das Mittelmeer. Im Januar 2011 schätzten Wissenschaftler des französischen Instituts Ifremer, dass mehr als 250 Milliarden Plastikteile allein in den oberen 10 bis 15 Zentimetern der Wassersäule treiben. Hauptverursacher sind der Tourismus, schlecht gereinigte Abwässer, die Schifffahrt und illegale Einleitungen. Handeln ist angesagt Ist unser Wissen über die gefährlichen Folgen von Plastikmüll auch noch unvollständig, so bedarf es doch eines unverzüglichen Handelns. Nur wenn wir diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung entschlossen annehmen, können wir im Kampf gegen die Müllkippe Meer und für die Zukunft der Ozeane bestehen. Dr. Kim Cornelius Detloff ist Meeresbiologe und arbeitet als Referent für Meeresschutz beim NABU, dem Naturschutzbund Deutschland e.V. Nach dem Studium an der Universität Hamburg verbrachte er mehrere Jahre als Wissenschaftler und Privatdozent am Institut für Marine Biologie auf der italienischen Insel Giglio. Von 2006 bis 2008 war er als Campaigner beim Internationalen Tierschutz-Fonds (IFAW) beschäftigt. Nach einem Jahr als politisch-wissenschaftlicher Berater bei der Bonner Konvention (CMS) arbeitet er heute in der Bundesgeschäftsstelle des NABU in Berlin. 2