WBGWELTGESCHICHTE WBGWELTGESCHICHTE EINE GLOBALE GESCHICHTE VON DEN ANFANGEN BIS INS 21. JAHRHUNDERT EINE GLOBALE GESCHICHTE VON DEN ANFANGEN BIS INS 21. JAHRHUNDERT Herausgegeben von Walter Demel, Johannes Fried, Ernst-Dieter Hehl, Albrecht Jockenhovel, Gustav Adolf Lehmann, Helwig Schmidt-Glintzer und Hans-Ulrich Thamer Band Ill Weltdeutungen und Weltreligionen 600 bis 1500 In Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz Herausgegeben von Johannes Fried und Ernst-Dieter Hehl 1010 ,... Die religiose Vielfalt Asiens Die religiose Vielfalt Asiens Hubert Seiwert In diesem Kapitel werden die Haupttendenzen der Religionsgeschichte Siid- und Ostasiens im Zeitraum zwischen 600 und 1500 n. Chr. dargestellt. In globalhistorischer Perspektive erscheint dieser Zeitraum nicht als klar umgrenzte Epoche der Religionsgeschichte. Es ist eine Zeit, in der sich die als ,,Weltreligionen" bezeichneten Glaubenssysteme entfalten und die Zivilisationen Asiens wie auch Europas pragen. Der Begriff ,,Weltreligionen" freilich ist unscharf und umstritten. Im engeren Sinne werden darunter Buddhismus, Christentum und Islam gefasst, die schon in der Vormoderne die geographischen Grenzen ihres Ursprungsgebietes weit iiberschritten. Nicht nur ihre raumliche Expansion, sondern auch ihre ganze Kulturraume pragende Dynamik verleihen ihnen welthistorische Bedeutung. Im weiteren Sinne wird die Bezeichnung ,,Weltreligionen" auch fur andere Religionen gebraucht; so etwa fur den Hinduismus, der iiber den Indischen Subkontinent hinaus ausstrahlte, jedoch viel starker der Kultur seiner Herkunftsregion verhaftet blieb, als es bei Buddhismus, Christentum und Islam der Fall war. Andere Religionen wie das Judentum und der Manichaismus fanden zwar geographisch weite Verbreitung, wurden aber aufierhalb ihrer Entstehungsgebiete nirgends zur dominierenden Religion. Die ,,Weltreligionen" zwischen 600 und 1500 In welchem Sinne auch immer man ,, W eltreligionen" verstehen mag, gemeinsam ist ihnen, dass ihre geographischen Wurzeln in Asien liegen. Gemeinsam ist ihnen auch, <lass ihre historischen Urspriinge deutlich vor das 7. Jahrhundert zuriickreichen und sie somit zu Beginn des hier behandelten Zeitraums schon eine langere intellektuelle und institutionelle Entwicklung durchlaufen hatten. Eine Ausnahme bildet allein der Islam, der gewissermaBen als Nachziigler der achsenzeitlichen Transformationen zu Beginn des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel entstand. Die Verkiindigungen Mohammeds in den Jahren nach 600 markieren insofern ein fur die globale Religionsgeschichte signifikantes Ereignis, als die daraus erwachsene Religion im folgenden Jahrtausend eine beispiellose Expansionsdynamik entfaltete, deren Folgen in .t Asien viel weitreichender und sichtbarer waren als in Europa. Die AusbreiZe1 grenzen tung des Islam veranderte nachhaltig die religiOse Landschaft der Alten Welt und ist die fur die Weltgeschichte der Religionen entscheidende Neuerung der I 84 Zeit zwischen 600 und 1500. Weniger deutlich als der Beginn dieses Zeitraums lasst sich religionsgeschichtlich sein Ende markieren, wenn wir Asien in den Blick nehmen. Aus europaischer Sicht erscheinen die Reformation im 16. Jahrhundert und die darauf folgende Diversifizierung des westeuropaischen Christentums als signifikante Neuerungen, in Asien dagegen blieben die religionsgeschichtlichen Folgen der neuzeitlichen Transformationen Europas bis zum 19. Jahrhundert marginal. Die im 16. Jahrhundert einsetzende globale Mission des lateinischen Christentums brachte zunachst keine nachhaltigen Erfolge in Asien, und erst die Verbindung von europaischem Kolonialismus und christlicher Mission wurde zum AuslOser sichtbarer religioser Reaktionen in vielen asiatischen Gesellschaften. Das Jahr 1500 kann daher nur vor dem Hintergrund der europaischen Geschichte fur den Beginn einer neuen Epoche stehen. Fur die europaische Religionsgeschichte bedeutet die Neuzeit den Beginn einer iiber die Grenzen Europas hinausgehenden Expansion der westeuropaischen Formen des Christentums. Die wirtschaftliche, technologische, militarische und intellektuelle Dynamik fuhrte zu einem Ausbruch der westeuropaischen Zivilisation aus der regionalen Begrenztheit, die seit dem friihen Mittelalter bestanden hatte. Im Zeitraum zwischen 600 und 1500 - dem europaischen Mittelalter - war Europa religios isoliert, im Westen <lurch den Atlantik, im Osten und Siiden <lurch die islamische Welt. Die religiosen Kontakte mit dem Islam waren gepragt von politischem Antagonismus, und die asiatischen Religionen jenseits des Islam waren fur Europa verschlossen. Im Kulturelle Kontakte Unterschied zur christlichen Zivilisation Europas waren die groBen Zivilisationen Asiens - die islamischen Reiche W estasiens, Indien und Ostasien - kulturell nicht isoliert, sondern standen in Kontakt miteinander. Transkontinentale Handelswege fuhrten vom Mittelmeer iiber Zentralasien bis in die chinesische Hauptstadt Chang' an, und im Siiden segelten arabische Seehandler nach Indien und Siidostasien bis zur Kiiste Siidchinas. Chang'an war wahrend der Tang-Dynastie (618-907) eine kosmopolitische Metropole, in der sich Handler, Gesandte, Kleriker, Kiinstler und Gelehrte aus aller Herren Lander trafen: aus Persien, Arabien und Syrien ebenso wie aus Indien, Zentralasien, Korea und Japan. Es bestand ein reger kultureller Austausch, und neben dem Buddhismus fanden auch andere Religionen ihren W eg nach China. Kosmopolitisch ging es auch in den Handelszentren entlang der Seidenstrafie und des islamischen Westens zu, wo sich Muslime, Juden, Christen, Buddhisten und Manichaer begegneten. Auf den Schiffen im Indischen Ozean reisten Araber, Perser, Inder, weiter im Osten auch Malaien und Chinesen. Nicht alle Formen des kulturellen Kontaktes waren jedoch friedlich. Die engen Verbindungen der Tang-Dynastie nach Zentral- und Westasien wurden <lurch Eroberungen befordert, <lurch die das chinesische Reich im 8. Jahrhundert seine militarische Kontrolle im Westen bis nach Transoxanien und Sogdien ausweiten konnte. Im Jahre 751 kam es am Fluss Talas zu einer Schlacht zwischen chinesischen Truppen und einem Heer des Abbasidenkalifats, die mit einer chinesischen Niederlage endete und die <las Vordringen des Islam in Zentralasien markiert. Von dort aus unternah- I 85 Die religiose Vielfalt Asiens Die Vielfalt der Welt men muslimische Truppen seit dem 10. Jahrhundert auch Vorsto:Be in den Norden Indiens, wo sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine tiirkisch-muslimische Oberherrschaft etablierte. Etwa zur gleichen Zeit formierte sich in Zentralasien Auseinandersetzungen 1 . . . . die Mihtarmacht der unter Dschmg1s Khan (gest. 1227) geemten Mongolen. Ihre Eroberungen schufen ein Weltreich, <las sich Ende des 13. Jahrhunderts von China bis nach W estasien und Osteuropa erstreckte. Die damit geschaffene Pax Mongolica gab dem Austausch von Waren und Ideen zwischen Ost und West neuen Auftrieb. Ober die sicheren Handelswege gelangten auch Europaer bis nach China, darunter katholische Missionare. Der italienische Franziskaner Johannes von Montecorvino erbaute 1299 in Peking eine Kirche und wurde 1307 zum Erzbischof und Patriarchen des Ostens emannt. Die katholische Mission hatte jedoch keinen dauerhaften Erfolg; dagegen konnte sich der Islam unter der Herrschaft der mongolischen Yuan-Dynastie (1271-1368) <lurch die Einwanderung zahlreicher Muslime in China als Minderheitenreligion etablierten. Zur Zeit des europaischen Mittelalters war Asien also ein religios heterogener Erdteil, <lessen kulturelle Zentren mit ihren religiOsen Traditionen <lurch transkontinentale Kontakte verschiedener Art miteinander kommunizierten. Andererseits waren die groBen Kulturregionen in West-, Siid- und Ostasien weit groiSer als Westeuropa insgesamt und wiesen deshalb eine erhebliche Binnendifferenzierung auf. Die Unterschiede zwischen den kosmopolitischen Handelszentren und dem agrarischen oder nomadischen Hinterland waren enorm, nicht nur was materiellen Reichtum betrifft, sondern auch hinsichtlich der Kommunikation mit der AuBenwelt. Doch .ld d . veranderte sich wahrend dieser Zeit auch <las religiose Leben auBerhalb Heraus b1 ung re1er religioser Regionen der kulturellen Zentren <lurch die Expansion des Islam und des Buddhismus. Mit der Ausdehnung des islamischen Herrschaftsbereichs wurden die meisten Volker Zentralasiens muslimisch und auch in Nordindien fasste der Islam FuK Das Vordringen des Islam bedeutete zugleich das Ende des Buddhismus in Indien und Zentralasien. Dafur expandierte der Buddhismus weiter nach Osten, nach Korea und Japan, und auch Tibet wurde buddhistisch. Bis zum Ausgang des europaischen Mittelalters bildeten sich so drei groBe religiose Regionen in Asien: das islamisch gepragte West- und Zentralasien, das hinduistische Siidasien und das <lurch den Mahayana-Buddhismus gepragte Ostasien. Welthistorisch von geringerer Bedeutung sind in dieser Zeit Sri Lanka, Siidostasien und die malaiische Inselwelt, die religios <lurch den Hinayana-Buddhismus und hinduistische Einfliisse gepragt wurden. Im Folgenden werden sich die Ausfiihrungen auf die Religionsgeschichte Siidund Ostasiens konzentrieren; auf den Islam wird nur am Rande eingegangen, weil diese Religion in einem anderen Kapitel dieses Bandes (S. 117 ff.) gesondert behandelt wird. I 86 Die hinduistische Tradition lndiens Im 7. Jahrhundert wurde das religiOse Leben in Indien <lurch Traditionen, die unter den Begriff ,,Hinduismus" zusammengefasst werden, dominiert. Allerdings bildete der Hinduismus weder dogmatisch noch institutionell eine klar umgrenzte Religion. Es gab weder eine zentrale Lehrinstanz oder verbindliche Dogmen, noch eine einheitliche oder gar zentral kontrollierte religiOse Organisation, die mit der christlichen Kirche Westeuropas vergleichbar ware. Der ,,klassische Hinduismus", der sich seit den letzten vorchristlichen Jahrhunderten herausgebildet hatte und seine Blute unter dem GroBreich der Gupta (320-500) und dem Konig Harsha (606-647) erlebte, war das Ergebnis religioser Transformationen, <lurch welche die altere, <lurch den brahmanischen Opferkult gepragte vedische Religion ihre Bedeutung eingebiiBt hatte. W enngleich auch weiterhin Opfer und andere religiose Zeremonien durchgefiihrt wurden, um materielles W ohlergehen in dieser Welt zu sichern, riickte im Hinduism us als letztes und eigentliches Ziel des religiosen Lebens die Erlosung H. d . " ,, in uismus vom Kreislauf der Wiedergeburten in den Vordergrund. Die Wege zur Erlosung der individuellen ,,Seele" (atman) aus den Bindungen an die illusionare, das heillt letztlich unwirkliche, Welt unterschieden sich je nach religioser und philosophischer Richtung, aber fast immer war <las Ziel die Vereinigung des individuellen Selbst mit dem Absoluten, dem ,,hochsten Selbst". In den meisten Richtungen des Hinduismus wurde dieses hochste Selbst als personale Gottheit verstanden, so <lass <las Erlosungsstreben sich in der Beziehung zu Gott verwirklichte. Diese Theologien waren monotheistisch in dem Sinne, dass nur ein Gott das Ziel und der Garant der Erlosung war, auch wenn die verschiedenen Formen des Hinduismus jeweils unterschiedliche Gotter zum Gegenstand der Verehrung machten. Es war jedoch kein Monotheismus nach dem Muster von Judentum oder Islam, weil die Existenz anderer Gotter nicht bestritten wurde. Die alten vedischen Gotter oder lokalen Gottheiten wurden entweder mit dem einen Gott identifiziert oder als Funktionsgottheiten mit beschrankter Macht verstanden, von denen man zwar Hilfe in konkreten weltlichen Dingen wie Wohlstand oder Familiengliick erwarten konnte, nicht jedoch Erlosung. Am haufigsten als der eine Gott verehrt wurden Vishnu und Shiva, aber die hochste Gottheit konnte auch in weiblicher Gestalt als Durga oder Kali reprasentiert sein. Der Gotterkult manifestierte sich eindrucksvoll im Bau prachtvoll ausgestatteter, teilweise monumentaler Tempel, die <lurch die Patronage von Herrschem und Stiftungen vermogender Privatpersonen oft iiber groBe Landereien verfugten. Brahmanen fungierten als Tempelpriester, die fur die taglichen Rituale zustandig waren. Die gro:Ben Staatstempel reprasentierten zugleich die Macht der Konige, deren LegitiGotterkult mation nicht mehr allein <lurch die noch weiterhin von ihnen fmanzierten vedischen Opfer begriindet wurde, sondern nun auch <lurch ihre besondere Beziehung zur hochsten Gottheit, als deren Reprasentanten sie galten. In diesem Sinne kann von einer Sakralisierung des Konigtums gesprochen werden, wobei die religio- I I 87 Die Vielfalt der Welt sen Praferenzen der Herrscher die Popularitat eines Gottes und seines Kultes wesentlich beeinflussten. Zu den wichtigsten literarischen Quellen, in denen sich die neue Gotteskonzeption manifestierte, zahlt die »Bhagavad Gita«, die als Teil des Heldenepos »Mahabharata« zu einem der popularsten Texte des Hinduismus wurde. Die Entstehungszeit der »Bhagavad Gita« reicht vermutlich in die letzten Jahrhunderte var Christus zuriick, aber ihre Breitenwirkung entfaltete sie erst in nachchristlicher Zeit. Ihr zentrales . Bh d G"t Thema ist die Praxis der Gottesliebe (bhakti-yoga), <las heiBt die liebevolle Die " agava 1a« Zuneigung zwischen dem Gott Krishna und seinen Verehrern als W eg zur Erlosung. Die personliche Gottesbeziehung der Bhakti-Frommigkeit wurde fur den Hinduismus pragend. Obwohl Bhakti in vielen Fallen eine emotionale Beziehung zu Gott bedeutet, die literarisch zuweilen in erotisch getonten Bildern beschrieben wird, kann sie sich auf verschiedene Art auBern, so auch in der Erfilllung ritueller und sozialer Pflichten (karma-yoga). Bis zum 7. Jahrhundert waren die wesentlichen Elemente des klassischen Hinduismus entwickelt, wozu auch das Kastensystem und die Kodifizierung der sozialen Ordnung in umfangreichen Rechtstexten gehoren. Die Brahmanen, die als Opferpriester Hiiter der vedischen Tradition waren, behielten auch im Hinduismus eine herausgehobene Stellung. Aus ihrer Schicht rekrutierten sich nicht nur die Tempelpriester, sondern auch die Gelehrten, die im Gebrauch des Sanskrit bewandert waren und einen GroBteil der klassischen Literatur des Hinduismus verfassten. Obwohl die Veden von Brahmanen weitertradiert wurden und hohe . Autoritat genossen, wurde der Hinduismus vor allem <lurch neue, nach. . h We11ere 111eransc e Quellen vedische Literaturgattungen gepragt, die ebenfalls die Gelehrtensprache Sanskrit verwendeten. Dazu gehort neben den groBen Epen (»Mahabharata« und »Ramayana«) und Rechtstexten (»Dharmashastras«) die umfangreiche Literatur der Puranas, in denen sich die einzelnen Richtungen der hinduistischen Tradition literarisch entfalteten. Im Zentrum der Puranas stehen in der Regel eine bestimmte Gottheit und deren mythische Geschichte. Auf Grund ihrer gro:Ben thematischen Breite sind sie eine der wichtigsten literarischen Quellen fur <las W eltbild des Hinduismus in seinen regionalen Ausformungen. In groBerem Umfang entstanden sie wohl seit dem 4. Jahrhundert, jedoch wurden auch in den folgenden Jahrhunderten bis in die Gegenwart hinein Puranas verfasst. Mit dem Tod von Konig Harsha im Jahre 647 begann eine Phase der politischen und religiOsen Regionalisierung. Es entstanden regional machtige Dynastien, die miteinander rivalisierten. Die verschiedenen Konigreiche schufen jeweils eigene religiose Zentren mit oft monumentalen Tempelanlagen, in denen die Staatsgottheit verehrt wurde. Durch die enge Verbindung mit dem Staatsgott versuchten die Herrscher ihre politische Macht religiOs zu legitimieren und <lurch die Forderung des religiosen Kultes die Einheit und den Zusammenhalt des Staates zu sichern. Die Gottheiten unterKonigliche Patronage worfener oder verbiindeter Stamme und Gebiete wurden in vielen Fallen <lurch Identifikation mit der Staatsgottheit in das religiOse System integriert und ebenfalls in den staatlichen Tempeln verehrt. Sie zogen Glaubige und Pil- I I I 88 Die religiose Vielfalt Asiens ger aus entfernten Gebieten an und trugen auf diese Weise zur Integration der Bevolkerung und Festigung der Herrschaft bei. Die kunstvoll ausgestalteten Tempelbauten, der aufwendige Kult, in dem die Gotter mit Speisen und Kleidung versorgt und <lurch Feste unterhalten wurden, sowie der Unterhalt des umfangreichen Tempelpersonals erforderten erhebliche Finanzmittel. Dazu wurden die Tempel mit Stiftungen ausgestattet, so <lass sie haufig iiber groBen Landbesitz verfugten. Durch konigliche Patronage wurden nicht nur Tempel, sondern auch einzelne religiose Gemeinschaften gefordert. Priester und Asketen verfugten oft iiber Einfluss am Hof der Herrscher. Die anhaltende Regionalisierung fuhrte zu einer weiteren Diversifizierung der religiosen Traditionen, es entstanden neue theologische und philosophische Traditionen und Formen der Gottesverehrung. Zu den bedeutendsten philosophischen Lehrern dieser Zeit gehort der Wanderasket Shankara (8. Jh.?), der die einflussreiche Lehre des Advaita-Vedanta begriindete. Im Unterschied zu den meisten anderen Richtungen des Hinduismus, in denen die Beziehung 0er Ad va1·ta- vedan t a des Glaubigen zu einem personal verstandenen Gott Voraussetzung der des Shankara Erlosung ist, vertrat Shankara einen Monismus, in dem die Unterscheidung zwischen dem als Brahman bezeichneten Absoluten und dem individuellen Selbst (atman) des Menschen als illusionar angesehen wird. Brahman ist die einzige Realitat, und die Erlosung besteht in dem Wissen, <lass atman mit dem Absoluten identisch ist. Der Advaita-Vedanta des Shankara wurde zum klassischen Ausdruck der vedisch-brahmanischen Orthodoxie. Auf Shankara als Stifter beziehen sich auch verschiedene religiOse Asketenorden und Dberlieferungsketten, die bis in die Gegenwart bestehen. Wahrend Shankaras Lehre des Advaita-Vedanta sich auf die vedische Tradition der Upanishaden berief, entstanden seit etwa dem 7. Jahrhundert auch zahlreiche religiose Gemeinschaften, die die alleinige Autoritat der Veden ablehnten und sich auf neuere Schriften stiitzten. Manche dieser Texte wurden auf gottliche Offenbarungen zuriickgefuhrt und innerhalb religioser Gruppen tradiert, in die man <lurch spezielle Weihen initiiert werden musste. Da die Lehren und Praktiken somit nicht allgemein zuganglich waren, sondern einen individuellen Beitritt zu den jeweiligen Gemeinschaften verlangten, kann man von sektarischen Bewegungen sprechen. Diese Bewegungen waren auBerst vielgestaltig; es gab nicht nur regional unterschiedliche Entwicklungen, sondern sie differenzierten auch hinsichtlich der verehrten Der Tantrismus Gottheit, wie Vishnu, Shiva oder eine der Gottinnen. Die Texte, auf die sich diese Gruppen stiitzten, werden haufig unter dem Namen Tantras zusammengefasst und die Bewegungen insgesamt als ,,Tantrismus" bezeichnet. Der Tantrismus bildete kein geschlossenes System, sondern bestand aus einer Vielzahl von Kulten und Schulen, die Teil der hinduistischen Tradition sind. Eine gro:Be Bedeutung besitzen in den verschiedenen tantrischen Gemeinschaften Rituale und Meditationspraktiken, <lurch die eine Identifikation des Adepten mit der Gottheit angestrebt wird und iibernatiirliche Krafte erlangt werden konnen. In manchen tantrischen Traditionen schlieBen die Rituale auch Praktiken ein, die im Widerspruch zu den vedischen und brahma- I I 89 Die Vielfalt der Welt nischen Geboten standen, darunter Fleisch- und Alkoholkonsum oder ritueller Geschlechtsverkehr. Solche bewussten Oberschreitungen gesellschaftlicher Normen, die in geheimen Kultgruppen vorkamen, sind als ,,linkshandiger" Tantrismus jedoch die Ausnahme. Der mehrheitliche ,,rechtshandige" Tantrismus verstie£ dagegen nicht gegen die iiblichen Normen der Gesellschaft und konnte sich auch in vielen offentlichen Tempeln institutionalisieren. Besonders eng war die Verbindung zwischen Tantrismus und verschiedenen shivaitischen Traditionen in Kaschmir und in Si.idindien sowie Richtungen, in deren Zentrum der Kult der Gottin Kali stand. Vishnuitische Gruppen besaBen zwar gleichfalls ihre eigenen, von den Veden unabhangigen Texttraditionen und Rituale und wurden deshalb von den Vertretem der vedischen Tradition abgelehnt; andererseits kam es jedoch im Vishnuismus zum Versuch, die eigenen Schriften und Lehren unter Berufung auf die Veden zu verteidigen. Herausragender Vertreter dieser Richtung ist Ramanuja (1056-1137), ein Brahmane aus Siidindien, der einen modifizierten Monismus lehrte. Obwohl auch fi.ir ihn <las mit dem Gott gleichgesetzte Brahman die einzige und hOchste Reali tat ist, sind auch die em'pirische Welt und das individuelle atman real als Produkte der schopferischen Kraft des Brahman. Ramanuja rechtfertige seine Lehre auch im Riickgriff auf die »Bhagavad Gita« und die dort vertretene . un d d'1e Verbindung von karma-yoga und bhakti-yoga. Damit schuf er die GrundRamanu1a Bhakti-Bewegung lage fi.ir eine Vereinbarkeit der devotionalen Gottesverehrung (bhakti) mit der vedischen Tradition des Vedanta und dem brahmanischen Ritualismus. Er wurde so zum bedeutendsten Theoretiker der Bhakti-Bewegungen, die sich ab dem 12. Jahrhundert auch in Nordindien verbreiteten und <las religiose Leben im Hinduismus nachhaltig pragten. Es entstanden zahlreiche sektarische Richtungen des Vishnuismus. Die Gemeinschaften, die sich auf Ramanuja beziehen, bilden die Tradition der Sri-Vaishnavas, die bis heute einflussreich ist. Die Ausbreitung der BhaktiBewegung fallt zeitlich mit dem zunehmenden Einfluss des Islam in Indien zusammen. Seit dem 11. Jahrhundert intensivierten sich die Eroberungsziige muslimischer Herrscher und fanden 1206 mit der Gri.indung des Sultanats von Delhi ihren vorlaufigen Hohepunkt. Diese politischen und militarischen Entwicklungen hatten auch Folgen fi.ir <las religiose Leben in der Region. Muslimische Heere zerstorten die letzten verbliebenen Zentren des Buddhismus, <lessen Geschichte in Indien damit zu Ende ging. Fiir den Hinduismus in Indien bedeutete die muslimische Herrschaft eine Zeit der oft konflikthaften, aber auch kreativen Auseinandersetzung mit dem Islam. Die Muslime betrachteten die Hindus als Polytheisten und damit als Feinde des streng monotheistischen Isfam. Unter einigen islamischen Herrschem kam es zur Zerstoru. ng hinduistischer Tempel und zu Versuchen der Zwangsbekehrung . dersetzung Auseman mit dem Islam <lurch gewaltsame Unterdri.ickung des Hinduismus. Vor allem aber wurden die Hindus mit hohen Steuem belastet, wodurch auch ein okonomischer Druck entstand, der Konversionen zum Islam beforderte. Trotzdem hielt die Masse der Hindus an ihren religiosen Traditionen fest, und es entwickelte sich ein I I go Die religiose Vielfalt Asiens N ebeneinander der beiden Religionen, <las sich historis.ch wechselhaft gestaltete, aber gegenseitige Beeinflussung nicht ausschloss. Die Zeit der muslimischen Herrschaft brachte deshalb keinen radikalen Bruch in der Geschichte des Hinduismus. Vielmehr setzten sich Traditionen fort, deren Anfange historisch weit zuriickreichten. Es wurde schon erwahnt, <lass die Bhakti-Bewegung sich von Siidindien aus iiber den gesamten Subkontinent verbreitete. Ihr Erfolg ist nicht in erster Linie theologischen Gelehrten wie Ramanuja geschuldet, sondern vor allem einer umfangreichen Dichtung und bildlichen Darstellungen, <lurch die die leibliche Gestalt des Gottes und sein Wirken fi.ir die Masse der Glaubigen erfahrbar wurden. Schon seit dem 7. Jahrhundert waren in Siidindien Dichter-Heilige aufgetreten, die dem Gefi.ihl der emotionalen Gottesliebe poetisch Ausdruck verliehen. Diese Bewegung setzte sich fort, wobei ab etwa dem 13. Jahrhundert verstarkt . ht H . . 1 01c er- e11ge regionalsprachige Bhakti-Traditionen aufkamen. Um die Dichter-Heiligen der Bhakti-Bewegung bildeten sich religiose Gemeinschaften, in denen oft Frauen eine wichtige Rolle spielten und Kastenunterschiede ignoriert wurden. Es entwickelten sich zahlreiche Oberlieferungstraditionen, die jeweils unterschiedliche poetische und theologische Texte ins Zentrum ri.ickten, sich jedoch vor allem darin unterschieden, unter welchem Namen sie den hochsten Gott verehrten. Am popularsten waren die Gotter Vishnu, Krishna, Rama und Shiva sowie Krishnas Gefahrtin Radha. Nicht immer aber wurde Gott in personaler Form vorgestellt. Einige Dichter-Heilige vertraten auch die Lehre, <lass Gott eigenschaftslos und namenlos sei und deshalb nicht <lurch Tempeldienst und Rituale verehrt werden konne. Zu ihnen gehorten Kabir (um 1500) und Nanak (1469-1539), auf den sich die Religionsgemeinschaft der Sikhs zuri.ickfi.ihrt. Es ist sehr wahrscheinlich, <lass diese Richtung der Bhakti-Bewegung, in der eine bildliche Darstellung Gottes abgelehnt wurde, <lurch den Islam beeinflusst wurde, insbesondere <lurch die islamische Mystik des Sufismus. Die Entstehung und Verbreitung nichtvedischer und sektarischer Formen des Hinduismus in der Zeit zwischen 600 und 1500 und die Entwicklung regionaler Kulte bedeuten nicht, <lass die von Brahmanen gepflegte vedische Oberlieferung vollig verdrangt wurde. Die Autoritat der Veden und der nachvedischen brahmanischen Weiterbestehen der Rechtstexte bestand weiterhin und <las tagliche Leben der meisten Hindus orientierte sich an den rituellen Vorschriften und Reinheitsgeboten der Veden-Autoritat brahmanischen Tradition, auch wenn daneben oft andere Formen der Gottesbeziehung gesucht wurden. Zwar besa£ der alte vedische Opferkult im Alltag keine Bedeutung mehr, aber Brahmanen genossen weiterhin hohe Autoritat und trugen als Theologen und Philosophen wesentlich zur Systematisierung der sich entfaltenden neuen religiosen Bewegungen bei. Bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts entwickelte sich der Hinduismus somit zu einer auBerst vielgestaltigen religiOsen Tradition, die ein standig wachsendes Corpus von Texten, elaborierte philosophische Systeme, normative Oberlieferungen und staatlich unterhaltene Tempelkwte ebenso umfasste wie regionale und lokale Kulte, devotionale Gottesliebe, geheime Rituale und asketische Gemeinschaften. Diese viel- I I 91 Die Vielfalt der Welt faltige Tradition des Hinduismus strahlte uber die Grenzen des Indischen Subkontinents aus und wirkte als Teil der indischen Kultur vor allem nach Sudostasien. Sie priigt <las religiose Leben in Indien bis heute. Der Buddhismus in Si.id- und Si.idostasien Zu Beginn des 7. Jahrhunderts hatte der Buddhismus in Indien bereits den Hohepunkt seiner intellektuellen Entwicklung uberschritten. Seit der Zeit des Maurya-Kaisers Ashoka (3. Jh. v. Chr.) hatte sich die Lehre von Nordindien ausgehend vor allem nach Zentralasien, aber auch nach Suden verbreitet. In den folgenden Jahrhunderten waren schriftliche Traditionen der kanonischen Uberlieferung entstanden und die buddhistische Lehre in verschiedenen Schulen weiterentwickelt worden. Zu den Der Maha anawichtigsten Entwicklungen gehorte die Entstehung des Mahayana (,,GroBuddhi~mus :Bes Fahrzeug"), <lessen religiOse Ideale starker den Bedurfnissen der Laienanhanger entsprachen als die traditionellen Formen des Hinayana (,,Kleines Fahrzeug"), die den Eintritt in den Monchsorden als Voraussetzung der Erlosung ansahen. Der Mahayana-Buddhismus erweiterte die buddhistische Literatur <lurch neue Texte, die sich auf die Autoritat des Buddha beriefen, und philosophische Traktate, die zu den bedeutendsten Werken der indischen Philosophie ziihlen. Um die Mitte des 1. Jahrtausends gewannen daneben tantrische Formen des Buddhismus an Bedeutung. Als der chinesische Monch Xuanzang Indien zu Beginn des 7. Jahrhunderts besuchte, fand er viele Klosterruinen, die darauf hindeuteten, <lass der Niedergang des Buddhismus bereits eingesetzt hatte. Bedeutende buddhistische Zentren, in denen frilher Tausende von Monchen gelebt hatten, waren zerstort und gepli.indert. Gleichwohl bestanden in Indien immer noch mehr als 4000 buddhistische Kloster mit rund 250.000 Monchen, von denen etwa die Halfte dem Mahayana zugerechnet wurde. Die Klosteruniversitiit Nalanda im Norden Bengalens war noch Jahrhunderte Niedergang spiiter das weltweit gro:Bte Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit mit des indischen einer gewaltigen Bibliothek buddhistischer Schriften und zog Studenten Buddhismus und Gelehrte aus ganz Asien an. Der allmiihliche Bedeutungsverlust des Buddhismus in Indien durfte vor allem <lurch das Erstarken des Hinduismus bedingt gewesen sein, wodurch dem Monchsorden vielerorts die notwendige Unterstutzung durch Laienanhiinger und die Protektion der Konige entzogen wurde. W o indes konigliche Protektion gegeben war, wie in Bengalen unter der Pala-Dynastie (ca. 7501150), prosperierte der Buddhismus weiterhin. Erst die Zerstorungen muslimischer Eroberer im 12. Jahrhundert fiihrten dort zum Ende des indischen Buddhismus. Dessen Tradition jedoch hatte liingst in anderen Teilen Asiens Fu:B gefasst. Schon zur Zeit des Ashoka sollen buddhistische Missionare nach Sri Lanka gekommen sein, und es ist diese Insel, in der der Buddhismus heute auf die liingste ununterbrochene Geschichte verweisen kann. Der wahrscheinlich wichtigste Grund fur seinen Erfolg I 92 Die religiose Vielfalt Asiens war die nachhaltige Forderung des Monchsordens <lurch die singhalesischen Konige. Im 7. Jahrhundert warder Buddhismus Hingst zur nationalen Religion geworden und behielt diesen Status auch bis in die Gegenwart. Obwohl der Mahayana-Buddhismus eine Zeitlang uber einen gewissen Einfluss verfiigte, wurde die Hinayana-Schule des Theravada schlieBlich zur alleinigen Richtung. Durch Landschenkungen wurden die Kloster auch hier zu GroBgrundbesitzern und die enge Verbindung der fiihrenden Manche mit dem Konigshaus und der Aristokratie sicherte dem Sangha groBen politischen Einfluss. Durch die Handelsbeziehungen, die zwischen Indien, Sri Auss tra hi en der Lanka und Sudostasien bestanden, strahlte die indische Kultur weit nach indischen Kultur Osten aus. Mit den Hiindlern kamen auch verschiedene Formen des Hinduismus und des Buddhismus nach Sudostasien und in die malaiische Inselwelt. Gemeinsam mit einheimischen religiosen Traditionen bestanden beide Religionen nebeneinander. In den seit dem 9. Jahrhundert im Gebiet von Kambodscha, Birma (Myanmar), Thailand und Laos entstehenden Konigreichen gewann schlie:Blich der singhalesische Theravada-Buddhismus Dominanz, wiihrend im Norden Vietnams unter chinesischem Einfluss das Mahayana vorherrschend wurde. Auch auf dem indonesischen Archipel wurden sowohl Buddhismus als auch Shivaismus <lurch die Konige gefordert. Ein Zeugnis buddhistischer Bli.ite ist <las imposante Heiligtum von Borobudur auf Java. Im Unterschied zu den festliindischen Regionen Sudostasiens hatte der Buddhismus auf den Inseln jedoch keinen dauerhaften Bestand. Seit dem 13. Jahrhundert wurde er <lurch den von arabischen Hiindlern eingefiihrten Islam verdriingt. I China und japan Von Indien fiihrte.q zwei Wege nach China: der Seeweg um die Malaiische Halbinsel und Vietnam zur sudchinesischen Kilste sowie der Landweg uber Afghanistan und die Seidenstra:Be nach Nordchina. Diese zentralasiatischen Karawanenwege verbanden schon in vorchristlicher Zeit China mit W estasien und Indien, und es ist diese Verbindung, uber die der Buddhismus China im 1. Jahrhundert n. Chr. erreichte. In Afghanistan und anderen Gebieten Zentralasiens lagen wichtige buddhistische Zentren, und die ersten buddhistischen Manche, die nach China kamen, stammten haufiger aus dieser Regionals direkt aus Indien. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends, als der Buddhismus in Indien im Niedergang und Zentralasien weitgehend unter muslimischer Herrschaft war, bestand eine rege Kommunikation zwischen den Buddhisten Chinas und Indiens. Die Zeit von 600 bis 1500 kann auch in China nicht als religionsgeschichtliche Epoche gelten, die sich deutlich vom Vorher und Nachher abgrenzen lie:Be. Der Versuch einer Periodisierung der chinesischen Religionsgeschichte wilrde stattdessen die Epochengrenzen im 1. und im 11. Jahrhundert ansetzen. Dabei ware das erste Jahrtausend <lurch das Au:fkommen und die Verbreitung von Buddhismus und Daoismus gekennzeichnet, das zweite Jahrtausend <lurch die Dominanz des Konfuzianismus. 93 ' 'I[ 111 :':'I Die religiose Vielfalt Asiens Die Vielfalt der Welt Bevor wir uns der Entwicklung seit dem 7. Jahrhundert zuwenden, muss deshalb kurz auf die Vorgeschichte eingegangen werden. Die Ausbreitung des Buddhismus, die etwa gleichzeitig mit der Ausbreitung des Christentums im Romischen Reich erfolgte, hatte <las religiose Leben in China nachhaltig verandert. Der Buddhismus kam nach China als reife Religion mit etablierten institutionellen Strukturen in Gestalt von Klostern fur Manche und Nannen, elaborierten Ritualen und einem umfangreichem Corpus an religiosen und philosophischen Texten. In China gab es zu jener Zeit keine vergleichbare religiose Tradition. Die buddhistische Lehre vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten und <las Ideal der monchischen Lebensweise waren fremd und stieBen in Kreisen der konfuzianischen Literaten auf Ablehnung. Andererseits iibte die buddhistische Philosophie, die entsprechend der indischen Tradition eine hochentwickelte Metaphysik und Logik einschloss, eine Faszination auf viele Intellektuelle aus. Seit dem 2. Jahrhundert wurde eine standig wachsende Zahl buddhistischer Schriften aus dem Sanskrit ins Chinesische iibersetzt, und wahrend der Jahrhunderte der Reichsteilung (317-589) . . wurde der Buddhismus sowohl im Siiden als auch unter den nichtchinesi8uddh 1smus, 0ao1smus, Konfuzianismus schen Dynastien des Nordens gefordert. Es kam zur Griindung von Klostern und zur allmiihlichen Verbreitung der buddhistischen Lehre in weiten Kreisen der Bevolkerung. Parallel zur Ausbreitung des Buddhismus hatte sich seit Ende des 2. Jahrhunderts auch der Daoismus als organisierte Religion entwickelt. Im Daoismus flossen verschiedene Stromungen der chinesischen Religions- und Geistesgeschichte zusammen, darunter die mit dem Namen Laozi (iiltere Schreibweise: Laotzu) verbundene philosophische Tradition und religiose Bewegungen der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.), in denen Laozi als Gottheit verehrt wurde. Erst im 4. und 5. Jahrhundert aber erreichte die literarische Tradition der daoistischen Religion einen gewissen Grad an Systematisierung und gewann auch unter den Eliten groBere Popularitiit. Der Daoismus konnte sich so als religiose Alternative zum Buddhismus etablieren, auch wenn seine intellektuelle Ausstrahlung und die Breitenwirkung seiner Institutionen deutlich geringer waren. Die moralischen Vorstellungen der Eliten waren durch den Konfuzianismus gepriigt, der seit der Han-Zeit die ideologische Grundlage des chinesischen Staates bildete. Konfuzianische Gelehrsamkeit beschriinkte sich jedoch im 1. Jahrtausend weitgehend auf die Uberlieferung und Kommentierung der kanonischen Texte, die die Grundlage jeder hoheren Bildung waren. Intellektuelle Impulse gingen davon kaum aus, und der Einfluss des Konfuzianismus auf <las religiose Leben war gering. Auch wenn <las 6. Jahrhundert fur die Entwicklung der chinesischen Religionen keinen Einschnitt bedeutete, so war die Zeit um 600 <loch ein W endepunkt in der politischen Geschichte Chinas: Nach mehreren Jahrhunderten der Reichsteilung in zum Teil kurzlebige nordliche und siidliche Dynastien war China seit der Sui-Dynastie (581/589-618) wieder ein einheitliches Kaiserreich, <las unter der folgenden TangDynastie (618-907) eine kulturelle Blute erlebte und seinen politischen Einfluss bis nach Zentralasien ausdehnen konnte. I 94 Buddhismus seit der Tang-Zeit Der Buddhismus hatte zu Beginn der Tang-Zeit eine bereits 500-jiihrige Entwicklung in China hinter sich. Obwohl der indische Ursprung der Religion nicht vergessen wurde und auch weiterhin Kontakte nach Indien bestanden, veriinderte der Buddhismus sich unter dem Einfluss der chinesischen Kultur und entwickelte seine spezifisch ostasiatischen Formen. Die Gelehrten unter den Monchen verfilgten iiber eine traditionelle chinesische Bildung und waren mit den konfuzianischen Klassikern ebenso vertraut wie mit der daoistischen Philosophie. Neben den aus dem Sanskrit iibersetzten Texten entstand eine umfangreiche chinesische buddhistische Literatur, die philosophische, apologetische und historische W erke ebenso umfasste wie umgangssprachliche Erbauungsliteratur, mit der Monche die buddhistische Lehre der Bevolkerung vermittelten. Viele der ins Chinesische iibersetzten Texte gingen in ihrer original en SanskritVersion verloren, nachdem der Buddhismus in Indien verschwunden war. Dies gilt insbesondere fur die Schriften des Mahayana-Buddhismus, der in China vorherrschend wurde. Im Unterschied zu den abwertend als ,,Hinayana" bezeichneten Schulen vertrat <las Mahayana eine universale Erlosungslehre. Die Befreiung vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten stand nicht nur Monchen offen, sondern alle Lebewesen sollten die Erlosung erlangen. Mitleid und Barmherzigkeit galten als zentrale Tugenden, und entsprechend war die selbstlose Hilfe fur alle Lebewesen ein hOheres Ziel als die eigene Erlosung <lurch Eintritt ins Nirvana. Das Ideal des Mahayana warder Bodhisattva (,,Buddhawesen"), der die hochste Stufe der VollkomD Mh d menheit erreicht hat, aber aus Mitleid weiter zum Wohle aller unerlosten as a ayana un Wesen tiitig ist. Diese Bodhisattva-Lehre wurde in verschiedene Richtunder Bodhisattva gen ausgestaltet. Fiir die meisten Glaubigen stand die Vorstellung von transzendenten Bodhisattvas im Vordergrund, die in ihrer Vollkommenheit und allumfassendem Mitleid alien Menschen helfen. Besondere Popularitiit erlangten die Bodhisattvas Avalokiteshvara (chin. Guanyin) und Maitreya, die rituell verehrt wurden und an die man sich mit Bitten um Hilfe wenden konnte. Parallel dazu hatte sich im Mahayana auch die Vorstellung von transzendenten Buddhas entwickelt, die gleichfalls Gegenstand des Kultes waren. Neben dem historischen Buddha Shakyamuni erfreute sich vor allem der Buddha Amitabha (chin. Amituo) groBer Beliebtheit, daneben gab es zahlreiche weitere Buddhas, die alle - wie auch die Bodhisattvas - ikonographisch dargestellt und in Klostern und Tempeln verehrt wurden. Die devotionalen Aspekte des Mahayana-Buddhismus und die Hoffnung, <lurch die Barmherzigkeit von Buddhas und Bodhisattvas aus der leidvollen Existenz befreit und in einem jenseitigen Paradies wiedergeboren zu werden, diirfte wesentlich zur Popularitiit und Verbreitung der buddhistischen Lehre in China beigetragen haben. Das Mahayana brachte aus Indien aber auch eine hochentwickelte Philosophie nach China. Es war eine komplexe Metaphysik, die Logik, Ontologie und Erkenntnistheorie umfasste. U nter den zahlreichen Lehrern und Schulen, die in Indien entstanden I 95 Die Vielfalt der Welt I waren, nahm die ,,mittlere Lehre" (Madhyamaka) des Nagarjuna (2./ . . . . . 3. Jh ..7 ) eme hervorragende Stellung em. NagarJuna lehrte, dass alle Dmge ,,leer" (shunya) seien, <las heifit ohne eigene Substanz. In der subtilen Metaphysik des Mahayana bedeutete die Leerheit (shunyata) aller Erscheinungen, dass Unterscheidungen -wie die zwischen Sein und Nichtsein oder zwischen Samsara und Nirvana - nur bedingt, nicht jedoch im absoluten Sinne bestehen. Die Erkenntnis, dass die Dinge weder sind noch nicht sind, fiihrt zu der Einsicht, dass auch die Unterscheidung zwischen Buddha und unerlosten Wesen nur eine bedingte Geltung besitzt. Die Erlosung wird erreicht, indem diese absolute Wahrheit der eigenen Buddha-Natur erkannt wird. Die metaphysischen Spekulationen des Mahayana-Buddhismus beeinflussten zwar nachhaltig die chinesische Philosophie, hatten jedoch nur geringe Bedeutung fur <las alltagliche religiose Leben. Fur die meisten Glaubigen stand die Hoffnung auf eine giinstige Wiedergeburt als Folge verdienstvoller Taten und des Vertrauens in die barmherzige Hilfe eines Buddha oder Bodhisattva im Vordergrund. Gelehrte Monche, die sich dem Studium philosophischer Texte widmeten, waren die Ausnahme. Sie bildeten als Lehrer den Kern verschiedener Schultraditionen, deren literarische Produktion zum klassischen Erbe der buddhistischen Philosophie Chinas wurde, auch wenn die meisten der wahrend der Tang-Zeit blti.henden Schulen sich in der Folgezeit auflosten. Dauerhaften Bestand hatten allein die Schule des Reinen Landes (Jingtu) und die Meditations-Schule (Chan, jap. Zen), deren Traditionen gemeinsam den chinesischen Buddhismus seit dem 10. Jahrhundert pragten. Die Chan- oder AufblUhen Meditations-Schule, die im 7. Jahrhundert entstand, sich aber auf indische zweier Schulen Wurzeln zuruckfiihrte, lehrte, dass die Erleuchtung nur <lurch die Erkenntnis der eigenen Buddha-N atur erlangt werden konne. Der W eg dazu waren Meditationstechniken und die wortlose Vermittlung der unaussprechlichen Erkenntnis vom Meister auf die Schiller. Der Chan-Buddhismus scheint zur Tang-Zeit im Wesentlichen eine Sache der Monche gewesen zu sein und beeinflusste auch danach das religiose Leben der Laien weit weniger als die Schule des Reinen Landes. In deren Mittelpunkt standen die Verehrung des Buddha Amitabha und der Wunsch, in <lessen Westlichem Paradies, dem Reinen Land, wiedergeboren zu werden. Diese Form der devotionalen Frommigkeit bot einen Erlosungsweg, der leicht zu begehen war und nicht nur religiosen Virtuosen offenstand. Sie wurde zur popularsten Form des Buddhismus in China. Obwohl der Mahayana-Buddhismus Monchen und Laien in gleicher Weise die Moglichkeit der Erlosung eroffnete, war seine institutionelle Form in China durch den Orden der Monche und Nonnen gepragt. Nur die wenigsten von ihnen lebten aber in den gro:Ben Klostern, die Zentren buddhistischer Gelehrsamkeit waren und auf staatliche Kosten unterhalten wurden. Die meisten waren naher an der Bevolkerung als .. h Huter kleinerer und gro:Berer Tempel, wo sie ihren rituellen Dienst verBedeu t ung der Mone e sahen. Viele dieser ,,Volksmonche" besa:Ben nur geringe Bildung, aber sie trugen dazu bei, dass der Buddhismus in der Bevolkerung verwurzelt wurde. Tempel.ttl L h " . D1e ,,m1 ere e re des Nagarjuna I I 96 Die religiose Vielfalt Asiens feste mit Prozessionen und Markten waren Teil der Volkskultur. Unter der Fiihrung einzelner Monche bildeten sich buddhistische Laienvereinigungen, die die finanziellen Mittel fiir den Unterhalt und die Ausstattung der Tempel sammelten. Spenden fur den Monchsorden galten ebenso wie die Unterstiltzung Bedilrftiger und die Sorge fiir Kranke als verdienstvolle Taten. Die buddhistische Tugend des Mitleids fur alle Lebewesen beforderte damit die Schaffung offentlicher W ohlfahrtseinrichtungen in China. Zu den verdienstvollen Taten gehorte auch das Kopieren religioser Schriften. Nachdem im 8. Jahrhundert die Buchdruckerkunst erfunden worden war, wurden buddhistische Schriften und im 10. Jahrhundert sogar der gesamte Kanon gedruckt. In der Tang-Zeit verfugten die groBen Kloster oft fiber betrachtlichen Landbesitz, der verpachtet oder <lurch Lohnarbeiter bebaut wurde und damit zu Einkiinften fiihrte, die weiter investiert wurden. So betrieben die Kloster auch Olmti.hlen und Geldverleih, und ein Teil des Reichtums wurde zur Herstellung wertvoller Statuen aus Edelmetall verwendet und auf diese Weise gehortet. Die wirtschaftliche Macht der Kloster fiihrte allerdings zu Spannungen mit dem Staat und vermutlich waren es auch wirtschaftliche Griinde, die den Anlass fur einen radikalen Schlag gegen den Buddhismus im Jahre 845 gaben. Um die Macht der Kloster zu brechen, wurden auf kaiserlichen Befehl fast 5000 Kloster aufgelost und mehr als 250.000 Monche und Nonnen in den Laienstand zuriickversetzt und damit steuerpflichtig. Obwohl ein N' d d 1e ergang es GroBteil dieser Gesetze unter dem nachsten Kaiser wieder aufgehoben Buddhismus? wurde, markiert dieser Versuch der gewaltsamen Unterdriickung des buddhistischen Klerus das Ende der Bliitezeit des chinesischen Buddhismus. Nicht nur war die wirtschaftliche Macht der Kloster gebrochen, auch die intellektuelle Dynamik hatte ihren Hohepunkt iiberschritten. In der Song-Dynastie (960-12 79) wurde der Konfuzianismus zur dominierenden geistigen Kraft und blieb es bis zum Ende des Kaiserreichs. Gleichwohl kann nur bedingt van einem Niedergang des Buddhismus gesprochen werden: Auch wenn die buddhistische Philosophie keine groBen schopferischen Leistungen mehr hervorbrachte, pragten buddhistische Monche, Nonnen und Laien, buddhistische Kloster, Tempel und Feste sowie buddhistische Vorstellungen von Wiedergeburt und Erlosung das religiose Leben in China auch nach der Tang-Zeit mehr als irgendeine andere Religion. Ein Aspekt der Entwicklung nach dem 10. Jahrhundert war die Entstehung buddhistischer Laienvereinigungen, die sich der Kontrolle <lurch den regularen Sangha entzogen und sektenartige Strukturen annahmen. Teilweise griffen sie im Volk bestehende messianische Traditionen auf, wie die Erwartung der Herabkunft des Buddha Maitreya. Religiose Erwartungen dieser Art bildeten den ideologischen Nahrboden einer Aufstandsbewegung, die zum Sturz der mongolischen Yuan-Dynastie (1271-1368) fuhrte. Ein anderer Aspekt der Verwurzelung des Buddhismus in der chinesischen Kultur war die Synthese der drei Lehren Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus. Var allem unter der Ming-Dynastie (1368-1644) maniWan de1 des Buddh.1smus .. festierte sich in dem Slogan ,,Die drei Lehren bilden eine Einheit" die Uberzeugung, dass die drei Lehren nur unterschiedliche Aspekte einer gemeinsamen chi- I I 97 Die religiose Vielfalt Asiens Die Vielfalt der Welt nesischen Tradition darstellten. Der Wandel des Buddhismus von einer als fremd empfundenen auslandischen Religion zum integralen Bestandteil der chinesischen Kultur war damit zum Abschluss gekommen. Daoismus in China 1 .·II'· 11: \:I 111 i, 11 I ·llii I' I 'I Noch in der Tang-Zeit war die fremde Herkunft des Buddhismus ein Argument in der antibuddhistischen Polemik von Konfuzianern und Daoisten. Der Buddhismus wurde als Bruch mit der chinesischen Tradition dargestellt, wiihrend sich die Daoisten als deren Vertreter empfahlen. Die Bewahrung der chinesischen Tradition war wesentlich for die Legitimation der Dynastie, und dies diirfte ein hauptsachlicher Grund for die Protektion des Daoismus <lurch die Tang-Kaiser gewesen sein. Ein anderer Grund war die Fiktion, class die Dynastie von Laozi, dem legendaren Begriln. h P t kt. der der daoistischen Tradition, abstamme, weil dieser den gleichen Famistaa ti 1c e ro e ion liennamen (Li) trug wie der kaiserliche Clan. Entsprechend wurde der Kult des Laozi ausgeweitet, staatlich unterhalten und <las ihm zugeschriebene »Daodejing« (»Klassiker vom Dao und seiner Wirkkraft«) zeitweilig zum Gegenstand der staatlichen Beamtenpriifungen. Die meisten Kaiser umgaben sich mit daoistischen Priestern, deren Rituale dem Staat gottlichen Schutz sichern sollten, aber auch, weil die alchemistischen Kiinste daoistischer Adepten eine Verlangerung des Lebens oder gar Unsterblichkeit versprachen. Der Daoismus hatte nach dem Vorbild des Buddhismus monastische Institutionen ausgebildet und auch das daoistische Schrifttum belegt einen deutlichen Einfluss des Buddhismus. Es kam zu einer Systematisierung der Texte verschiedener Schulen, die zu einer kanonischen Sammlung integriert wurden. Auch die daoistischen Rituale und die Ausbildung der Priester wurden systematisiert, so class der Daoismus eine klarere institutionelle Gestalt erhielt. Trotz der kaiserlichen Patronage konnte der Daoismus keine dem Buddhismus vergleichbare Bedeutung erlangen. Dies anderte sich auch in den folgenden Jahrhunderten nicht. Jedoch entwickelte sich der Daoismus seit der Song-Zeit (960-1279) in vielerlei Hinsicht weiter. Mit der Verlagerung des kulturellen Zentrums des Reiches nach Si.iden kam es zur Integration lokaler Kulte und ihrer Gottheiten, so class der Daoismus sich enger mit dem religiosen Richtun en Leben der Bevolkerung verband. Die bedeutendste Richtung dieses sildlides Daois!us chen Daoismus war die Tradition Zhengyi (,,Rechtes Eine"). Die ZhengyiDaoisten waren verheiratet und fungierten vor allem als Priester bei groBen offentlichen Ritualen. Im Gegensatz dazu war die zweite bedeutende Richtung des Daoismus mit dem Namen Quanzhen (,,Vollstandige Wahrheit") ein nach dem Vorbild des Buddhismus organisierter zolibatarer Orden. Er entstand im 12. Jahrhundert in Nordchina unter der dort herrschenden Jin-Dynastie (1115-1234) und breitete sich wahrend der mongolischen Yuan-Dynastie rasch aus. Der QuanzhenDaoismus war nicht nur organisatorisch, sondern auch in seinen Lehren und Praktiken stark vom Chan-Buddhismus beeinflusst. I I 98 Anders als der Buddhismus warder Daoismus eine weitgehend auf China beschrankte Religion. Zwar wurden daoistische Texte auch in Korea und Japan bekannt, und es kam zumindest in Korea auch zur Griindung daoistischer Tempel. Aber in keinem der beiden Lander gab es ordinierten Priester, so class sich eine institutionalisierte daoistische Tradition nicht etablieren konnte. Buddhismus in Japan Japan stand um das Jahr 600 am Beginn einer neuen Epoche, die <lurch eine weitreichende Rezeption der chinesischen Kultur gepragt ist. Religionsgeschichtlich bedeutsam ist vor allem die Einfiihrung des chinesischen Buddhismus, welcher der Tradition zufolge im Jahre 552 <lurch eine koreanische Gesandtschaft nach Japan gebracht warden war. Die Dbernahme chinesischen Kulturgutes wiihrend der folgenden Jahrhunderte erstreckte sich auf so unterschiedliche Gebiete wie staatliche V erwaltung, Technik und Architektur und nicht zuletzt die chinesische Schrift und literarische Tradition. Buddhistische Monche, die zum Studium nach China reisten, waren wichtige Trager dieses kulturellen Transfers. Im 8. Jahrhundert wurden in der Hauptstadt Nara sechs Kloster gegrilndet, in denen jeweils eine der wiihrend der Tang-Zeit in China bedeutenden buddhistischen Schulen vertreten war. Der Buddhismus der Nara-Zeit (710-784) war <lurch eine enge Verbindung mit dem Kaiserhaus gekennzeichnet, die die Verbreitung der Lehre auch auBerhalb der Hauptstadt begiinstigte und staatliche Privilegien sicherte. Der staatlich geforderte Buddhismus hatte jedoch nur geringe Breitenwirkung und war im Wesentlichen auf das gelehrte Studium in den Klostern und die Riten der Manche beschrankt, <lurch die <las W ohlergehen des Kaiserhauses und des Staates gesichert werden sollten. Daneben entstanden aber auch volkstiimliche Formen des Buddhismus, die <lurch einzelne Monche, oft aber <lurch nichtordinierte Priester und Bergasketen propagiert wurden. In diesen Stromungen vermischten sich buddhistische Einfliisse 8uddh.1smus un d Sh.int-o mit Elementen der traditionellen Religion, wie der Verehrung einheimischer Gottheiten (kami) und den damit verbundenen Festen. Diese vorbuddhistische religiOse Tradition verfiigte weder i.iber eine systematisierte Lehre noch i.iber eine einheitliche Organisation. In Abgrenzung zum Buddhismus wurde sie nun als Shinto (,,Weg der Kami") bezeichnet. Auch nach der Ausbreitung des Buddhismus bestand die Tradition des Shinto weiter, so <lass beide Religionsformen mitunter in Spannung, meist aber harmonisch koexistierten. So wurde im 8. Jahrhundert die Sonnengottin Amaterasu, auf die sich das Kaiserhaus zuri.ickfuhrte, als Erscheinungsform des Buddha Vairocana erklart, <lessen Symbol die Sonne ist. Damit war eine dogmatische Grundlage fur die in der Folgezeit meist harmonische Verbindung von Buddhismus und Shinto geschaffen. Die groBen Tempel in Nara wurden <lurch die Gewahrung von Steuerfreiheit und Landschenkungen zu wirtschaftlich und politisch einflussreichen Machtfaktoren. Unter anderem um sich dieser Macht zu entziehen, wurde 794 die kaiserliche Resi- I 99 ··~ ~ Die Vielfalt der Welt Die religiose Vielfalt Asiens ..... denz nach Heian (heute Kyoto) verlegt. In der folgenden Heian-Zeit (794-1185) etablierten sich zwei buddhistische Schulen, die die gesamte spatere Entwicklung des japanischen Buddhismus wesentlich beeinflussten. Der gelehrte Monch Kiikai (Ehrentitel: KobO-daishi, 774-835) reiste 804 nach China, wo er die esoterische Lehre der Schule des ,,Wahren Wortes" (jap. Kegon, chin. Zhenyan) studierte. Die Kegon-Schule, die schon in Nara bestanden hatte, wurde <lurch Ku.kai zu einer der beherrschenden Richtungen des Buddhismus in Japan. Ihre Wirkung resultierte sowohl aus einer hochentwickelten esoterischen Lehre als auch esoterischen Riten, die Kfi. K d d. D1e egon- un 1e Tendai-Schule kai zu hochstem Ansehen im Kaiserhaus verhalfen. Ku.kais Nachruhm als umfassend gebildeter Monch lieB ihn zu einer der bedeutendsten Gestalten des japanischen Buddhismus werden. Sein Zeitgenosse Saicho (Ehrentitel: Dengy6daishi, 767-822), der mit ihm zusammen nach China gereist war, brachte von dort die Tradition der damals in China dominierenden Tiantai- (jap. Tendai-)Schule mit. Ein zentraler Text der Tendai-Schule war das Lotos-Sutra, in dem die MahayanaLehre von der Erlosung aller Lebewesen ihren hervorragendsten literarischen Ausdruck fand. Wie Kiikai wurde auch Saicho <lurch <las Kaiserhaus protegiert, so <lass sich die Tendai-Lehre zu einer auch in der Folgezeit einflussreichen Richtung des Buddhismus entwickeln konnte. In einem gewissen Kontrast zu den intellektuellen und religiOsen Leistungen der Schule standen interne Rivalitaten zwischen den groBen Klostern, die nicht selten die Form bewaffneter Auseinandersetzungen annahmen. Die fortschreitende Militarisierung der japanischen Gesellschaft erreichte wahrend der Kamakura- (1185-1333) und der Muromachi-Zeit (1338-1573) ihren Hohepunkt. Die politische Macht lag in den Handen eines Militargouverneurs (Shogun) und einer Klasse von Kriegern (Samurai oder Bushi), deren Lebensfiihrung und Werte <las kulturelle Klima deutlich veranderten. Der Buddhismus nahm in dieser Zeit seine spezifisch japanischen Formen an, die nicht mehr <lurch die Vorlieben des Kaiserhofes und der Aristokratie bestimmt wurden, sondern <lurch die religiosen Bedi.irfnisse breiter Bevolkerungskreise. Anstelle aufwendiger Rituale und intellektueller Gelehrsamkeit traten einfache Lehren und Praktiken, die fiir alle zu. b ddh' l a1en u 1smus ganglich waren. Der Laienbuddhismus gewann an Bedeutung und selbst Monche gaben zunehmend die zolibatare Lebensweise auf, so <lass im japanischen Buddhismus schlieBlich die traditionellen buddhistischen Ordensregeln weitgehend ignoriert wurden. Eine langfristige Konsequenz dieser Entwicklung war eine gewisse Verweltlichung des Klerus. Die militarischen Auseinandersetzungen und die soziale Unsicherheit der Kamakura-Epoche bildeten den Hintergrund fiir <las Aufkommen neuer buddhistischer Richtungen. Von bleibender Bedeutung waren die Schule des Reinen Landes, die Zen-Schule und die Schule des Nichiren. Die beiden erstgenannten waren nicht vollig neu, sondern hatten Vorlaufer, die in die Heian-Zeit und bis nach China zuri.ickreichten. Jedoch wurden sie in der Kamakura-Zeit zu Bewegungen, die den Buddhismus in Japan in besonderer Weise pragen. Im Zentrum der Schule des Reinen Landes I I 100 I (Jodo-shii) stand auch hier der Glaube an die erlosende Hilfe des Buddha A . . · sanskr'it: Am1ta · bh a) un d a·ie H offn ung auf eine m1da-Buddh1smus Am1·aa (ch.m.: Am1tuo, Wiedergeburt in seinem Westlichen Paradies. Der Grunder der Jodo-shu, Genku (bekannter unter seinem postumen Namen Honen, 1133-1212), machte die Anrufung des Buddhas Amida (nembutsu) zur zentralen religiosen Praxis, die in allen Schichten der Bevolkerung groBe Popularitat gewann. Honens Schiller Shinran (1173-1262) entwickelte die Lehre weiter und wurde zum Ausgangspunkt der einflussreichen ,,Wahren Schule des Reinen Landes" (Jodo-shinshii). Im Unterschied zum Amida-Buddhismus der Schule des Reinen Landes vertrat der Zen-Buddhismus die Lehre, <lass Erlosung nicht <lurch i.ibernati.irliche Hilfe, sondern nur aus eigener Kraft erlangt werden konne. Zen bedeutet Meditation, und wie in China war die Praxis der Meditation der Weg, die eigene Buddha-Natur zu erkennen und damit die Erleuchtung zu erlangen. In Japan wurde diese Schule <lurch My6an Eisai (Eisei, 1141-1215) und Dagen (1200-1253) popularisiert, die beide in China studiert hatten und jeweils unterschiedliche Richtungen des Chan-/Zenzen-8uddh'1smus Buddhismus mitbrachten. Der Zen-Buddhismus pragte nachhaltig den asthetischen Geschmack der japanischen Kultur, unter anderem Dichtung, Malerei und Gartenkunst. Zen-Tempel waren Zentren der Gelehrsamkeit, in denen auch die Philosophie des Neo-Konfuzianismus studiert wurde. Die Verbindung von buddhistischer Disziplin des Geistes und konfuzianischem Moralkodex entsprach der Lebenshaltung der Kriegerklasse, die vom Zen-Buddhismus in besonderer Weise angezogen wurde. Ohne chinesische Vorlaufer ist die dritte neue Richtung des Buddhismus der Kamakura-Zeit, die <lurch den Monch Nichiren (1222-1282) begriindet wurde. Wie die meisten buddhistischen Reformer dieser Epoche stand auch er zunachst in der Tradition des Tendai-Buddhismus, von dem er die Hochschatzung des Lotos-Sutra i.ibernommen hatte. Jedoch steigerte er die Bedeutung des Lotos-Sutra in unerhorter Weise, indem er der Schrift selbst eine erlosende Kraft zuschrieb. Durch die Rezitation allein des Titels des Lotos-Sutra, in dem gewissermaf.Sen die Essenz der N' h' ddh. 1c iren-8u 1smus grundlegenden Wahrheit des Buddhismus enthalten sei, konne der Zustand der Erleuchtung erreicht werden. Nichiren vertrat eine exklusivistische und zugleich politisch gefiirbte Lehre, die beanspruchte, Japan <lurch soziale und politische Reformen auf der Grundlage seines Verstandnisses des Lotos-Sutra aus Not und Gefahr zu erretten. Die anderen buddhistischen Schulen wurden als Irrlehren angegriffen. Nichiren sah sich deshalb seinerseits Verfolgungen ausgesetzt, konnte jedoch <lurch seine Missionstatigkeit eine Schule begriinden, die bis heute besteht. Rivalitaten und Konflikte zwischen verschiedenen buddhistischen Schulen waren in Japan keine Seltenheit. Auch H6nen und Shinran waren wegen ihrer popularen Lehren Angriffen <lurch Monche der alteren Schulen ausgesetzt und wurden zeitweise staatlich verfolgt. In der Muromachi-Zeit unterhielt die Wahre Schule des Reinen Landes dann selbst bewaffnete Verbande, deren militarische Macht ebenso wie die der Monchs-Armeen der Tendai-Tempel erst Ende des 16. Jahrhunderts gebrochen I I 101 Die Vielfalt der Welt wurde. Volkstiimlichere Formen des Buddhismus waren die zahlreichen wandernden Bettelmonche und Gruppen van Laienbuddhisten, die eng mit den lokalen . . . . . Traditionen des Shmto verbunden waren. Shmto-Praktiken und buddh1stische Frommigkeit schlossen sich nicht wechselseitig aus, sondern bildeten eine Synthese, die dem religiosen Leben in Japan sein eigenes Geprage gab. . . .. d K fl"kt Riva 11taten un on 1 e I In dem knappen Jahrtausend van 600 bis 1500 n. Chr. entfalteten sich die gro:Ben religiosen Traditionen Asiens zu der Form, auf die europaische Missionare und Handler zu Beginn der N euzeit stiefien. Weiter im Wes ten der Al ten Welt, in Europa, vollzog sich im gleichen Zeitraum die Entfaltung des lateinischen und orthodoxen Christentums. Die Expansionsdynamik der gro:Ben Religionen formte religiose Zivilisationen, deren Koharenz sich wahrscheinlich am deutlichsten in der Verbreitung der die Grenzen von Volkern und Staaten iiberschreitenden religiosen Literaturen zeigt. So wie die intellektuelle Einheit des westeuropaischen Christentums <lurch seine lateinische Literatur vermittelt wurde und die der orthodoxen Kirche <lurch ihre griechische Tradition, so wurden der Hinduismus <lurch seine Sanskrit-Literatur, der ostasiatische Buddhismus <lurch den chinesischen Kanan, der Theravada-Buddhismus Siidasiens <lurch den Pali-Kanan und die islamische Welt <lurch arabische und persische Literatur gepragt. Allerdings wirkten die literarischen Traditionen in erster Linie auf die intellektuellen Eliten, wahrend ihr Einfluss auf das religiose Leben der breiten Bevolkerung nur mittelbar war. Ethnische und regionale Traditionen waren weiterhin wirksam, weswegen die Expansion der Religionen nicht zu religios homogenen Zivilisationen von Hinduismus, Buddhismus, Christentum und Islam fuhrte, sondem unterschiedliche regionale Auspragungen hervorbrachte. Trotz dieser internen Differenzierungen waren jedoch gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Alten Welt religiose Gro:Braume entstanden, deren Grenzen im W esentlichen noch heute bestehen. Afrika si.idlich der Sahara - Von den Sakralstaaten zu den GroBreichen Dierk Lange Auf der Landkarte der antiken Welt tauchen in Afrika jenseits der bekannten Volker am Rand des Mittel- und des Roten Meeres nur die Garamanten der zentralen Sahara, die Nubier des mittleren Nils, die Axumiten Athiopiens und die Azanier der ostafrikanischen Kiiste auf. Weiter nach Siiden und in <las Innere des Kontinents reichte der Horizont der griechischen und romischen Autoren nicht, und in Schwarzafrika stehen altere Schriftquellen nur in Nubien (Meroe) und im Norden des abessinischen Hochlandes zur Verfiigung. Dariiber hinaus dehnte sich aus heutiger Sicht <las weite Gebiet der schwer zu interpretierenden miindlichen -Oberlieferung, in dem einzig die Archaologie, die historische Sprachwissenschaft und die vergleichende Ethnographie dem Historiker zusatzliche Hilfestellung leisten konnen. Da sich im Hinblick auf die Staatenentwicklung und auf die Geschichte der langen Dauer ganz allgemein bisher kein einheitliches Bild des Schwarzen Kontinents in der Antike abzeichnet, besteht weiterhin der Eindruck, die Volker des subsaharanischen Afrika hatten bis zur Expansion des Islam abseits des W eltgeschehens in weitgehender Immobilitat oder in der permanenten Wiederkehr des Gleichen gelebt. In Wirklichkeit unternahmen Historiker seit den Jahren der afrikanischen Unabhangigkeit erhebliche Anstrengungen, um <las Dunkel ilber der alteren Geschichte Afrikas zu lichten. Sie wurden bei ihren Bemiihungen jedoch stark von dem vorherrschenden postkolonialen Paradigma geleitet, wonach Einflilsse der Au:Benwelt eine moglichst geringe Rolle in den formativen Perioden der Geschichte Afrikas spielen sollten. Wahrend man in der Kolonialzeit eine nicht genauer fassbare Hamiten-Rasse zwischen den Kaukasoiden des Nordens und den Schwarzafrikanern des Sildens, deren N achfolger man in den Tuareg, den Fulbe, den Zaghawa und den Tutsi sah, als Ubertrager der sozialen Komplexitat betrachtete, postulierten die zu akademiSchwierigkeiten schen Wiirden gelangten Historiker der Nachkolonialzeit weitgehend eigenstandige Entwicklungen. Es ist in der Tat nicht einsehbar, wie die fiir Historiker genannten Hirtenvolker den Staat oder den Stadtebau unter den ackerbauenden Schwarzafrikanem verbreitet hatten, ohne selbst auf Grund ihrer nomadischen Lebensweise als Trager dieser Innovationen in Frage zu kommen. Daraus ergibt sich jedoch im Umkehrschluss nicht die Folgerung, dass alle Staatengriindungen siidlich der Sahara lokal und unabhangig voneinander erfolgt sein miissten. Auch ist nicht einsehbar, wieso historische Entwicklungen im subsaharanischen Afrika nur I 102 103