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WBGWELTGESCHICHTE
WBGWELTGESCHICHTE
EINE GLOBALE GESCHICHTE
VON DEN ANFANGEN BIS INS 21. JAHRHUNDERT
EINE GLOBALE GESCHICHTE
VON DEN ANFANGEN BIS INS 21. JAHRHUNDERT
Herausgegeben von
Walter Demel, Johannes Fried, Ernst-Dieter Hehl,
Albrecht Jockenhovel, Gustav Adolf Lehmann,
Helwig Schmidt-Glintzer und Hans-Ulrich Thamer
Band Ill
Weltdeutungen und Weltreligionen
600
bis
1500
In Verbindung mit der
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Herausgegeben von
Johannes Fried
und
Ernst-Dieter Hehl
1010
,...
Die religiose Vielfalt Asiens
Die religiose Vielfalt Asiens
Hubert Seiwert
In diesem Kapitel werden die Haupttendenzen der Religionsgeschichte Siid- und Ostasiens im Zeitraum zwischen 600 und 1500 n. Chr. dargestellt. In globalhistorischer
Perspektive erscheint dieser Zeitraum nicht als klar umgrenzte Epoche der Religionsgeschichte. Es ist eine Zeit, in der sich die als ,,Weltreligionen" bezeichneten Glaubenssysteme entfalten und die Zivilisationen Asiens wie auch Europas pragen. Der
Begriff ,,Weltreligionen" freilich ist unscharf und umstritten. Im engeren Sinne werden darunter Buddhismus, Christentum und Islam gefasst, die schon in der Vormoderne die geographischen Grenzen ihres Ursprungsgebietes weit iiberschritten.
Nicht nur ihre raumliche Expansion, sondern auch ihre ganze Kulturraume pragende
Dynamik verleihen ihnen welthistorische Bedeutung. Im weiteren Sinne wird die
Bezeichnung ,,Weltreligionen" auch fur andere Religionen gebraucht; so etwa fur
den Hinduismus, der iiber den Indischen Subkontinent hinaus ausstrahlte, jedoch
viel starker der Kultur seiner Herkunftsregion verhaftet blieb, als es bei Buddhismus,
Christentum und Islam der Fall war. Andere Religionen wie das Judentum und der
Manichaismus fanden zwar geographisch weite Verbreitung, wurden aber aufierhalb
ihrer Entstehungsgebiete nirgends zur dominierenden Religion.
Die ,,Weltreligionen" zwischen
600
und
1500
In welchem Sinne auch immer man ,, W eltreligionen" verstehen mag, gemeinsam ist
ihnen, dass ihre geographischen Wurzeln in Asien liegen. Gemeinsam ist ihnen auch,
<lass ihre historischen Urspriinge deutlich vor das 7. Jahrhundert zuriickreichen und
sie somit zu Beginn des hier behandelten Zeitraums schon eine langere intellektuelle
und institutionelle Entwicklung durchlaufen hatten. Eine Ausnahme bildet allein der
Islam, der gewissermaBen als Nachziigler der achsenzeitlichen Transformationen zu
Beginn des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel entstand. Die Verkiindigungen Mohammeds in den Jahren nach 600 markieren insofern ein fur die globale
Religionsgeschichte signifikantes Ereignis, als die daraus erwachsene Religion im folgenden Jahrtausend eine beispiellose Expansionsdynamik entfaltete, deren Folgen in
.t
Asien viel weitreichender und sichtbarer waren als in Europa. Die AusbreiZe1 grenzen
tung des Islam veranderte nachhaltig die religiOse Landschaft der Alten
Welt und ist die fur die Weltgeschichte der Religionen entscheidende Neuerung der
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Zeit zwischen 600 und 1500. Weniger deutlich als der Beginn dieses Zeitraums lasst
sich religionsgeschichtlich sein Ende markieren, wenn wir Asien in den Blick nehmen. Aus europaischer Sicht erscheinen die Reformation im 16. Jahrhundert und die
darauf folgende Diversifizierung des westeuropaischen Christentums als signifikante
Neuerungen, in Asien dagegen blieben die religionsgeschichtlichen Folgen der neuzeitlichen Transformationen Europas bis zum 19. Jahrhundert marginal. Die im
16. Jahrhundert einsetzende globale Mission des lateinischen Christentums brachte
zunachst keine nachhaltigen Erfolge in Asien, und erst die Verbindung von europaischem Kolonialismus und christlicher Mission wurde zum AuslOser sichtbarer religioser Reaktionen in vielen asiatischen Gesellschaften. Das Jahr 1500 kann daher nur
vor dem Hintergrund der europaischen Geschichte fur den Beginn einer neuen Epoche stehen.
Fur die europaische Religionsgeschichte bedeutet die Neuzeit den Beginn einer
iiber die Grenzen Europas hinausgehenden Expansion der westeuropaischen Formen
des Christentums. Die wirtschaftliche, technologische, militarische und intellektuelle
Dynamik fuhrte zu einem Ausbruch der westeuropaischen Zivilisation aus der regionalen Begrenztheit, die seit dem friihen Mittelalter bestanden hatte. Im Zeitraum
zwischen 600 und 1500 - dem europaischen Mittelalter - war Europa religios isoliert,
im Westen <lurch den Atlantik, im Osten und Siiden <lurch die islamische Welt. Die
religiosen Kontakte mit dem Islam waren gepragt von politischem Antagonismus,
und die asiatischen Religionen jenseits des Islam waren fur Europa verschlossen. Im
Kulturelle Kontakte
Unterschied zur christlichen Zivilisation Europas waren die groBen Zivilisationen Asiens - die islamischen Reiche W estasiens, Indien und Ostasien
- kulturell nicht isoliert, sondern standen in Kontakt miteinander. Transkontinentale
Handelswege fuhrten vom Mittelmeer iiber Zentralasien bis in die chinesische Hauptstadt Chang' an, und im Siiden segelten arabische Seehandler nach Indien und Siidostasien bis zur Kiiste Siidchinas. Chang'an war wahrend der Tang-Dynastie (618-907)
eine kosmopolitische Metropole, in der sich Handler, Gesandte, Kleriker, Kiinstler
und Gelehrte aus aller Herren Lander trafen: aus Persien, Arabien und Syrien ebenso
wie aus Indien, Zentralasien, Korea und Japan. Es bestand ein reger kultureller Austausch, und neben dem Buddhismus fanden auch andere Religionen ihren W eg nach
China. Kosmopolitisch ging es auch in den Handelszentren entlang der Seidenstrafie
und des islamischen Westens zu, wo sich Muslime, Juden, Christen, Buddhisten und
Manichaer begegneten. Auf den Schiffen im Indischen Ozean reisten Araber, Perser,
Inder, weiter im Osten auch Malaien und Chinesen.
Nicht alle Formen des kulturellen Kontaktes waren jedoch friedlich. Die engen
Verbindungen der Tang-Dynastie nach Zentral- und Westasien wurden <lurch Eroberungen befordert, <lurch die das chinesische Reich im 8. Jahrhundert seine militarische Kontrolle im Westen bis nach Transoxanien und Sogdien ausweiten konnte.
Im Jahre 751 kam es am Fluss Talas zu einer Schlacht zwischen chinesischen Truppen
und einem Heer des Abbasidenkalifats, die mit einer chinesischen Niederlage endete
und die <las Vordringen des Islam in Zentralasien markiert. Von dort aus unternah-
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Die religiose Vielfalt Asiens
Die Vielfalt der Welt
men muslimische Truppen seit dem 10. Jahrhundert auch Vorsto:Be in den Norden
Indiens, wo sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine tiirkisch-muslimische Oberherrschaft etablierte. Etwa zur gleichen Zeit formierte sich in Zentralasien
Auseinandersetzungen 1
.
. .
.
die Mihtarmacht der unter Dschmg1s Khan (gest. 1227) geemten Mongolen. Ihre Eroberungen schufen ein Weltreich, <las sich Ende des 13. Jahrhunderts
von China bis nach W estasien und Osteuropa erstreckte. Die damit geschaffene Pax
Mongolica gab dem Austausch von Waren und Ideen zwischen Ost und West neuen
Auftrieb. Ober die sicheren Handelswege gelangten auch Europaer bis nach China,
darunter katholische Missionare. Der italienische Franziskaner Johannes von Montecorvino erbaute 1299 in Peking eine Kirche und wurde 1307 zum Erzbischof und
Patriarchen des Ostens emannt. Die katholische Mission hatte jedoch keinen dauerhaften Erfolg; dagegen konnte sich der Islam unter der Herrschaft der mongolischen
Yuan-Dynastie (1271-1368) <lurch die Einwanderung zahlreicher Muslime in China
als Minderheitenreligion etablierten.
Zur Zeit des europaischen Mittelalters war Asien also ein religios heterogener
Erdteil, <lessen kulturelle Zentren mit ihren religiOsen Traditionen <lurch transkontinentale Kontakte verschiedener Art miteinander kommunizierten. Andererseits
waren die groBen Kulturregionen in West-, Siid- und Ostasien weit groiSer als Westeuropa insgesamt und wiesen deshalb eine erhebliche Binnendifferenzierung auf. Die
Unterschiede zwischen den kosmopolitischen Handelszentren und dem agrarischen
oder nomadischen Hinterland waren enorm, nicht nur was materiellen Reichtum
betrifft, sondern auch hinsichtlich der Kommunikation mit der AuBenwelt. Doch
.ld
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veranderte sich wahrend dieser Zeit auch <las religiose Leben auBerhalb
Heraus b1 ung re1er
religioser Regionen
der kulturellen Zentren <lurch die Expansion des Islam und des Buddhismus. Mit der Ausdehnung des islamischen Herrschaftsbereichs wurden die
meisten Volker Zentralasiens muslimisch und auch in Nordindien fasste der Islam
FuK Das Vordringen des Islam bedeutete zugleich das Ende des Buddhismus in Indien und Zentralasien. Dafur expandierte der Buddhismus weiter nach Osten, nach
Korea und Japan, und auch Tibet wurde buddhistisch. Bis zum Ausgang des europaischen Mittelalters bildeten sich so drei groBe religiose Regionen in Asien: das islamisch gepragte West- und Zentralasien, das hinduistische Siidasien und das <lurch
den Mahayana-Buddhismus gepragte Ostasien. Welthistorisch von geringerer Bedeutung sind in dieser Zeit Sri Lanka, Siidostasien und die malaiische Inselwelt, die religios <lurch den Hinayana-Buddhismus und hinduistische Einfliisse gepragt wurden.
Im Folgenden werden sich die Ausfiihrungen auf die Religionsgeschichte Siidund Ostasiens konzentrieren; auf den Islam wird nur am Rande eingegangen, weil
diese Religion in einem anderen Kapitel dieses Bandes (S. 117 ff.) gesondert behandelt
wird.
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Die hinduistische Tradition lndiens
Im 7. Jahrhundert wurde das religiOse Leben in Indien <lurch Traditionen, die unter
den Begriff ,,Hinduismus" zusammengefasst werden, dominiert. Allerdings bildete
der Hinduismus weder dogmatisch noch institutionell eine klar umgrenzte Religion.
Es gab weder eine zentrale Lehrinstanz oder verbindliche Dogmen, noch eine einheitliche oder gar zentral kontrollierte religiOse Organisation, die mit der christlichen
Kirche Westeuropas vergleichbar ware. Der ,,klassische Hinduismus", der sich seit
den letzten vorchristlichen Jahrhunderten herausgebildet hatte und seine Blute unter
dem GroBreich der Gupta (320-500) und dem Konig Harsha (606-647) erlebte, war
das Ergebnis religioser Transformationen, <lurch welche die altere, <lurch den brahmanischen Opferkult gepragte vedische Religion ihre Bedeutung eingebiiBt hatte.
W enngleich auch weiterhin Opfer und andere religiose Zeremonien durchgefiihrt
wurden, um materielles W ohlergehen in dieser Welt zu sichern, riickte im Hinduism us als letztes und eigentliches Ziel des religiosen Lebens die Erlosung
H. d .
"
,, in uismus
vom Kreislauf der Wiedergeburten in den Vordergrund. Die Wege zur
Erlosung der individuellen ,,Seele" (atman) aus den Bindungen an die illusionare,
das heillt letztlich unwirkliche, Welt unterschieden sich je nach religioser und philosophischer Richtung, aber fast immer war <las Ziel die Vereinigung des individuellen Selbst mit dem Absoluten, dem ,,hochsten Selbst". In den meisten Richtungen des
Hinduismus wurde dieses hochste Selbst als personale Gottheit verstanden, so <lass
<las Erlosungsstreben sich in der Beziehung zu Gott verwirklichte. Diese Theologien
waren monotheistisch in dem Sinne, dass nur ein Gott das Ziel und der Garant der
Erlosung war, auch wenn die verschiedenen Formen des Hinduismus jeweils unterschiedliche Gotter zum Gegenstand der Verehrung machten. Es war jedoch kein
Monotheismus nach dem Muster von Judentum oder Islam, weil die Existenz anderer
Gotter nicht bestritten wurde. Die alten vedischen Gotter oder lokalen Gottheiten
wurden entweder mit dem einen Gott identifiziert oder als Funktionsgottheiten mit
beschrankter Macht verstanden, von denen man zwar Hilfe in konkreten weltlichen
Dingen wie Wohlstand oder Familiengliick erwarten konnte, nicht jedoch Erlosung.
Am haufigsten als der eine Gott verehrt wurden Vishnu und Shiva, aber die hochste
Gottheit konnte auch in weiblicher Gestalt als Durga oder Kali reprasentiert sein. Der
Gotterkult manifestierte sich eindrucksvoll im Bau prachtvoll ausgestatteter, teilweise
monumentaler Tempel, die <lurch die Patronage von Herrschem und Stiftungen vermogender Privatpersonen oft iiber groBe Landereien verfugten. Brahmanen fungierten als Tempelpriester, die fur die taglichen Rituale zustandig waren. Die gro:Ben
Staatstempel reprasentierten zugleich die Macht der Konige, deren LegitiGotterkult
mation nicht mehr allein <lurch die noch weiterhin von ihnen fmanzierten
vedischen Opfer begriindet wurde, sondern nun auch <lurch ihre besondere Beziehung zur hochsten Gottheit, als deren Reprasentanten sie galten. In diesem Sinne
kann von einer Sakralisierung des Konigtums gesprochen werden, wobei die religio-
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Die Vielfalt der Welt
sen Praferenzen der Herrscher die Popularitat eines Gottes und seines Kultes wesentlich beeinflussten.
Zu den wichtigsten literarischen Quellen, in denen sich die neue Gotteskonzeption manifestierte, zahlt die »Bhagavad Gita«, die als Teil des Heldenepos »Mahabharata« zu einem der popularsten Texte des Hinduismus wurde. Die Entstehungszeit
der »Bhagavad Gita« reicht vermutlich in die letzten Jahrhunderte var Christus zuriick, aber ihre Breitenwirkung entfaltete sie erst in nachchristlicher Zeit. Ihr zentrales
. Bh
d G"t
Thema ist die Praxis der Gottesliebe (bhakti-yoga), <las heiBt die liebevolle
Die " agava 1a«
Zuneigung zwischen dem Gott Krishna und seinen Verehrern als W eg zur
Erlosung. Die personliche Gottesbeziehung der Bhakti-Frommigkeit wurde fur den
Hinduismus pragend. Obwohl Bhakti in vielen Fallen eine emotionale Beziehung zu
Gott bedeutet, die literarisch zuweilen in erotisch getonten Bildern beschrieben wird,
kann sie sich auf verschiedene Art auBern, so auch in der Erfilllung ritueller und
sozialer Pflichten (karma-yoga). Bis zum 7. Jahrhundert waren die wesentlichen Elemente des klassischen Hinduismus entwickelt, wozu auch das Kastensystem und die
Kodifizierung der sozialen Ordnung in umfangreichen Rechtstexten gehoren. Die
Brahmanen, die als Opferpriester Hiiter der vedischen Tradition waren, behielten
auch im Hinduismus eine herausgehobene Stellung. Aus ihrer Schicht rekrutierten
sich nicht nur die Tempelpriester, sondern auch die Gelehrten, die im Gebrauch des
Sanskrit bewandert waren und einen GroBteil der klassischen Literatur des Hinduismus verfassten. Obwohl die Veden von Brahmanen weitertradiert wurden und hohe
.
Autoritat genossen, wurde der Hinduismus vor allem <lurch neue, nach.
. h
We11ere 111eransc e
Quellen
vedische Literaturgattungen gepragt, die ebenfalls die Gelehrtensprache
Sanskrit verwendeten. Dazu gehort neben den groBen Epen (»Mahabharata« und »Ramayana«) und Rechtstexten (»Dharmashastras«) die umfangreiche Literatur der Puranas, in denen sich die einzelnen Richtungen der hinduistischen Tradition literarisch entfalteten. Im Zentrum der Puranas stehen in der Regel eine
bestimmte Gottheit und deren mythische Geschichte. Auf Grund ihrer gro:Ben thematischen Breite sind sie eine der wichtigsten literarischen Quellen fur <las W eltbild
des Hinduismus in seinen regionalen Ausformungen. In groBerem Umfang entstanden sie wohl seit dem 4. Jahrhundert, jedoch wurden auch in den folgenden Jahrhunderten bis in die Gegenwart hinein Puranas verfasst.
Mit dem Tod von Konig Harsha im Jahre 647 begann eine Phase der politischen
und religiOsen Regionalisierung. Es entstanden regional machtige Dynastien, die miteinander rivalisierten. Die verschiedenen Konigreiche schufen jeweils eigene religiose
Zentren mit oft monumentalen Tempelanlagen, in denen die Staatsgottheit verehrt
wurde. Durch die enge Verbindung mit dem Staatsgott versuchten die Herrscher ihre
politische Macht religiOs zu legitimieren und <lurch die Forderung des religiosen Kultes die Einheit und den Zusammenhalt des Staates zu sichern. Die Gottheiten unterKonigliche Patronage
worfener oder verbiindeter Stamme und Gebiete wurden in vielen Fallen
<lurch Identifikation mit der Staatsgottheit in das religiOse System integriert und ebenfalls in den staatlichen Tempeln verehrt. Sie zogen Glaubige und Pil-
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Die religiose Vielfalt Asiens
ger aus entfernten Gebieten an und trugen auf diese Weise zur Integration der Bevolkerung und Festigung der Herrschaft bei. Die kunstvoll ausgestalteten Tempelbauten,
der aufwendige Kult, in dem die Gotter mit Speisen und Kleidung versorgt und <lurch
Feste unterhalten wurden, sowie der Unterhalt des umfangreichen Tempelpersonals
erforderten erhebliche Finanzmittel. Dazu wurden die Tempel mit Stiftungen ausgestattet, so <lass sie haufig iiber groBen Landbesitz verfugten.
Durch konigliche Patronage wurden nicht nur Tempel, sondern auch einzelne
religiose Gemeinschaften gefordert. Priester und Asketen verfugten oft iiber Einfluss
am Hof der Herrscher. Die anhaltende Regionalisierung fuhrte zu einer weiteren
Diversifizierung der religiosen Traditionen, es entstanden neue theologische und philosophische Traditionen und Formen der Gottesverehrung. Zu den bedeutendsten
philosophischen Lehrern dieser Zeit gehort der Wanderasket Shankara (8. Jh.?), der
die einflussreiche Lehre des Advaita-Vedanta begriindete. Im Unterschied zu den
meisten anderen Richtungen des Hinduismus, in denen die Beziehung
0er Ad va1·ta- vedan t a
des Glaubigen zu einem personal verstandenen Gott Voraussetzung der
des Shankara
Erlosung ist, vertrat Shankara einen Monismus, in dem die Unterscheidung zwischen dem als Brahman bezeichneten Absoluten und dem individuellen
Selbst (atman) des Menschen als illusionar angesehen wird. Brahman ist die einzige
Realitat, und die Erlosung besteht in dem Wissen, <lass atman mit dem Absoluten
identisch ist. Der Advaita-Vedanta des Shankara wurde zum klassischen Ausdruck
der vedisch-brahmanischen Orthodoxie. Auf Shankara als Stifter beziehen sich auch
verschiedene religiOse Asketenorden und Dberlieferungsketten, die bis in die Gegenwart bestehen.
Wahrend Shankaras Lehre des Advaita-Vedanta sich auf die vedische Tradition
der Upanishaden berief, entstanden seit etwa dem 7. Jahrhundert auch zahlreiche
religiose Gemeinschaften, die die alleinige Autoritat der Veden ablehnten und sich
auf neuere Schriften stiitzten. Manche dieser Texte wurden auf gottliche Offenbarungen zuriickgefuhrt und innerhalb religioser Gruppen tradiert, in die man <lurch spezielle Weihen initiiert werden musste. Da die Lehren und Praktiken somit nicht allgemein zuganglich waren, sondern einen individuellen Beitritt zu den jeweiligen
Gemeinschaften verlangten, kann man von sektarischen Bewegungen sprechen. Diese
Bewegungen waren auBerst vielgestaltig; es gab nicht nur regional unterschiedliche
Entwicklungen, sondern sie differenzierten auch hinsichtlich der verehrten
Der Tantrismus
Gottheit, wie Vishnu, Shiva oder eine der Gottinnen. Die Texte, auf die sich
diese Gruppen stiitzten, werden haufig unter dem Namen Tantras zusammengefasst
und die Bewegungen insgesamt als ,,Tantrismus" bezeichnet. Der Tantrismus bildete
kein geschlossenes System, sondern bestand aus einer Vielzahl von Kulten und Schulen, die Teil der hinduistischen Tradition sind. Eine gro:Be Bedeutung besitzen in den
verschiedenen tantrischen Gemeinschaften Rituale und Meditationspraktiken, <lurch
die eine Identifikation des Adepten mit der Gottheit angestrebt wird und iibernatiirliche Krafte erlangt werden konnen. In manchen tantrischen Traditionen schlieBen
die Rituale auch Praktiken ein, die im Widerspruch zu den vedischen und brahma-
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Die Vielfalt der Welt
nischen Geboten standen, darunter Fleisch- und Alkoholkonsum oder ritueller Geschlechtsverkehr. Solche bewussten Oberschreitungen gesellschaftlicher Normen, die
in geheimen Kultgruppen vorkamen, sind als ,,linkshandiger" Tantrismus jedoch die
Ausnahme. Der mehrheitliche ,,rechtshandige" Tantrismus verstie£ dagegen nicht
gegen die iiblichen Normen der Gesellschaft und konnte sich auch in vielen offentlichen Tempeln institutionalisieren.
Besonders eng war die Verbindung zwischen Tantrismus und verschiedenen shivaitischen Traditionen in Kaschmir und in Si.idindien sowie Richtungen, in deren
Zentrum der Kult der Gottin Kali stand. Vishnuitische Gruppen besaBen zwar gleichfalls ihre eigenen, von den Veden unabhangigen Texttraditionen und Rituale und
wurden deshalb von den Vertretem der vedischen Tradition abgelehnt; andererseits
kam es jedoch im Vishnuismus zum Versuch, die eigenen Schriften und Lehren unter
Berufung auf die Veden zu verteidigen. Herausragender Vertreter dieser Richtung ist
Ramanuja (1056-1137), ein Brahmane aus Siidindien, der einen modifizierten Monismus lehrte. Obwohl auch fi.ir ihn <las mit dem Gott gleichgesetzte Brahman die
einzige und hOchste Reali tat ist, sind auch die em'pirische Welt und das individuelle
atman real als Produkte der schopferischen Kraft des Brahman. Ramanuja rechtfertige seine Lehre auch im Riickgriff auf die »Bhagavad Gita« und die dort vertretene
. un d d'1e
Verbindung von karma-yoga und bhakti-yoga. Damit schuf er die GrundRamanu1a
Bhakti-Bewegung
lage fi.ir eine Vereinbarkeit der devotionalen Gottesverehrung (bhakti) mit
der vedischen Tradition des Vedanta und dem brahmanischen Ritualismus. Er wurde so zum bedeutendsten Theoretiker der Bhakti-Bewegungen, die sich
ab dem 12. Jahrhundert auch in Nordindien verbreiteten und <las religiose Leben im
Hinduismus nachhaltig pragten. Es entstanden zahlreiche sektarische Richtungen des
Vishnuismus. Die Gemeinschaften, die sich auf Ramanuja beziehen, bilden die Tradition der Sri-Vaishnavas, die bis heute einflussreich ist. Die Ausbreitung der BhaktiBewegung fallt zeitlich mit dem zunehmenden Einfluss des Islam in Indien zusammen. Seit dem 11. Jahrhundert intensivierten sich die Eroberungsziige muslimischer
Herrscher und fanden 1206 mit der Gri.indung des Sultanats von Delhi ihren vorlaufigen Hohepunkt. Diese politischen und militarischen Entwicklungen hatten auch
Folgen fi.ir <las religiose Leben in der Region. Muslimische Heere zerstorten die letzten
verbliebenen Zentren des Buddhismus, <lessen Geschichte in Indien damit zu Ende
ging.
Fiir den Hinduismus in Indien bedeutete die muslimische Herrschaft eine Zeit
der oft konflikthaften, aber auch kreativen Auseinandersetzung mit dem Islam. Die
Muslime betrachteten die Hindus als Polytheisten und damit als Feinde des streng
monotheistischen Isfam. Unter einigen islamischen Herrschem kam es zur Zerstoru. ng hinduistischer Tempel und zu Versuchen der Zwangsbekehrung
. dersetzung
Auseman
mit dem Islam
<lurch gewaltsame Unterdri.ickung des Hinduismus. Vor allem aber wurden die Hindus mit hohen Steuem belastet, wodurch auch ein okonomischer Druck entstand, der Konversionen zum Islam beforderte. Trotzdem hielt die
Masse der Hindus an ihren religiosen Traditionen fest, und es entwickelte sich ein
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I
go
Die religiose Vielfalt Asiens
N ebeneinander der beiden Religionen, <las sich historis.ch wechselhaft gestaltete, aber
gegenseitige Beeinflussung nicht ausschloss.
Die Zeit der muslimischen Herrschaft brachte deshalb keinen radikalen Bruch in
der Geschichte des Hinduismus. Vielmehr setzten sich Traditionen fort, deren Anfange historisch weit zuriickreichten. Es wurde schon erwahnt, <lass die Bhakti-Bewegung sich von Siidindien aus iiber den gesamten Subkontinent verbreitete. Ihr Erfolg
ist nicht in erster Linie theologischen Gelehrten wie Ramanuja geschuldet, sondern
vor allem einer umfangreichen Dichtung und bildlichen Darstellungen, <lurch die die
leibliche Gestalt des Gottes und sein Wirken fi.ir die Masse der Glaubigen erfahrbar
wurden. Schon seit dem 7. Jahrhundert waren in Siidindien Dichter-Heilige aufgetreten, die dem Gefi.ihl der emotionalen Gottesliebe poetisch Ausdruck verliehen. Diese
Bewegung setzte sich fort, wobei ab etwa dem 13. Jahrhundert verstarkt
. ht H . .
1
01c er- e11ge
regionalsprachige Bhakti-Traditionen aufkamen. Um die Dichter-Heiligen
der Bhakti-Bewegung bildeten sich religiose Gemeinschaften, in denen oft Frauen
eine wichtige Rolle spielten und Kastenunterschiede ignoriert wurden. Es entwickelten sich zahlreiche Oberlieferungstraditionen, die jeweils unterschiedliche poetische
und theologische Texte ins Zentrum ri.ickten, sich jedoch vor allem darin unterschieden, unter welchem Namen sie den hochsten Gott verehrten. Am popularsten waren
die Gotter Vishnu, Krishna, Rama und Shiva sowie Krishnas Gefahrtin Radha. Nicht
immer aber wurde Gott in personaler Form vorgestellt. Einige Dichter-Heilige vertraten auch die Lehre, <lass Gott eigenschaftslos und namenlos sei und deshalb nicht
<lurch Tempeldienst und Rituale verehrt werden konne. Zu ihnen gehorten Kabir
(um 1500) und Nanak (1469-1539), auf den sich die Religionsgemeinschaft der Sikhs
zuri.ickfi.ihrt. Es ist sehr wahrscheinlich, <lass diese Richtung der Bhakti-Bewegung, in
der eine bildliche Darstellung Gottes abgelehnt wurde, <lurch den Islam beeinflusst
wurde, insbesondere <lurch die islamische Mystik des Sufismus.
Die Entstehung und Verbreitung nichtvedischer und sektarischer Formen des
Hinduismus in der Zeit zwischen 600 und 1500 und die Entwicklung regionaler Kulte
bedeuten nicht, <lass die von Brahmanen gepflegte vedische Oberlieferung vollig verdrangt wurde. Die Autoritat der Veden und der nachvedischen brahmanischen
Weiterbestehen der
Rechtstexte bestand weiterhin und <las tagliche Leben der meisten Hindus
orientierte sich an den rituellen Vorschriften und Reinheitsgeboten der
Veden-Autoritat
brahmanischen Tradition, auch wenn daneben oft andere Formen der
Gottesbeziehung gesucht wurden. Zwar besa£ der alte vedische Opferkult im Alltag
keine Bedeutung mehr, aber Brahmanen genossen weiterhin hohe Autoritat und trugen als Theologen und Philosophen wesentlich zur Systematisierung der sich entfaltenden neuen religiosen Bewegungen bei.
Bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts entwickelte sich der Hinduismus somit zu
einer auBerst vielgestaltigen religiOsen Tradition, die ein standig wachsendes Corpus
von Texten, elaborierte philosophische Systeme, normative Oberlieferungen und
staatlich unterhaltene Tempelkwte ebenso umfasste wie regionale und lokale Kulte,
devotionale Gottesliebe, geheime Rituale und asketische Gemeinschaften. Diese viel-
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Die Vielfalt der Welt
faltige Tradition des Hinduismus strahlte uber die Grenzen des Indischen Subkontinents aus und wirkte als Teil der indischen Kultur vor allem nach Sudostasien. Sie
priigt <las religiose Leben in Indien bis heute.
Der Buddhismus in Si.id- und Si.idostasien
Zu Beginn des 7. Jahrhunderts hatte der Buddhismus in Indien bereits den Hohepunkt seiner intellektuellen Entwicklung uberschritten. Seit der Zeit des Maurya-Kaisers Ashoka (3. Jh. v. Chr.) hatte sich die Lehre von Nordindien ausgehend vor allem
nach Zentralasien, aber auch nach Suden verbreitet. In den folgenden Jahrhunderten
waren schriftliche Traditionen der kanonischen Uberlieferung entstanden und die
buddhistische Lehre in verschiedenen Schulen weiterentwickelt worden. Zu den
Der Maha anawichtigsten Entwicklungen gehorte die Entstehung des Mahayana (,,GroBuddhi~mus :Bes Fahrzeug"), <lessen religiOse Ideale starker den Bedurfnissen der Laienanhanger entsprachen als die traditionellen Formen des Hinayana (,,Kleines Fahrzeug"), die den Eintritt in den Monchsorden als Voraussetzung der Erlosung
ansahen. Der Mahayana-Buddhismus erweiterte die buddhistische Literatur <lurch
neue Texte, die sich auf die Autoritat des Buddha beriefen, und philosophische Traktate, die zu den bedeutendsten Werken der indischen Philosophie ziihlen. Um die
Mitte des 1. Jahrtausends gewannen daneben tantrische Formen des Buddhismus an
Bedeutung.
Als der chinesische Monch Xuanzang Indien zu Beginn des 7. Jahrhunderts besuchte, fand er viele Klosterruinen, die darauf hindeuteten, <lass der Niedergang des
Buddhismus bereits eingesetzt hatte. Bedeutende buddhistische Zentren, in denen
frilher Tausende von Monchen gelebt hatten, waren zerstort und gepli.indert. Gleichwohl bestanden in Indien immer noch mehr als 4000 buddhistische Kloster mit rund
250.000 Monchen, von denen etwa die Halfte dem Mahayana zugerechnet wurde. Die
Klosteruniversitiit Nalanda im Norden Bengalens war noch Jahrhunderte
Niedergang
spiiter
das weltweit gro:Bte Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit mit
des indischen
einer gewaltigen Bibliothek buddhistischer Schriften und zog Studenten
Buddhismus
und Gelehrte aus ganz Asien an. Der allmiihliche Bedeutungsverlust des
Buddhismus in Indien durfte vor allem <lurch das Erstarken des Hinduismus bedingt
gewesen sein, wodurch dem Monchsorden vielerorts die notwendige Unterstutzung
durch Laienanhiinger und die Protektion der Konige entzogen wurde. W o indes konigliche Protektion gegeben war, wie in Bengalen unter der Pala-Dynastie (ca. 7501150), prosperierte der Buddhismus weiterhin. Erst die Zerstorungen muslimischer
Eroberer im 12. Jahrhundert fiihrten dort zum Ende des indischen Buddhismus.
Dessen Tradition jedoch hatte liingst in anderen Teilen Asiens Fu:B gefasst. Schon
zur Zeit des Ashoka sollen buddhistische Missionare nach Sri Lanka gekommen sein,
und es ist diese Insel, in der der Buddhismus heute auf die liingste ununterbrochene
Geschichte verweisen kann. Der wahrscheinlich wichtigste Grund fur seinen Erfolg
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Die religiose Vielfalt Asiens
war die nachhaltige Forderung des Monchsordens <lurch die singhalesischen Konige.
Im 7. Jahrhundert warder Buddhismus Hingst zur nationalen Religion geworden und
behielt diesen Status auch bis in die Gegenwart. Obwohl der Mahayana-Buddhismus
eine Zeitlang uber einen gewissen Einfluss verfiigte, wurde die Hinayana-Schule des
Theravada schlieBlich zur alleinigen Richtung. Durch Landschenkungen wurden die
Kloster auch hier zu GroBgrundbesitzern und die enge Verbindung der fiihrenden
Manche mit dem Konigshaus und der Aristokratie sicherte dem Sangha groBen politischen Einfluss. Durch die Handelsbeziehungen, die zwischen Indien, Sri
Auss tra hi en der
Lanka und Sudostasien bestanden, strahlte die indische Kultur weit nach
indischen Kultur
Osten aus. Mit den Hiindlern kamen auch verschiedene Formen des Hinduismus und des Buddhismus nach Sudostasien und in die malaiische Inselwelt.
Gemeinsam mit einheimischen religiosen Traditionen bestanden beide Religionen nebeneinander. In den seit dem 9. Jahrhundert im Gebiet von Kambodscha, Birma (Myanmar), Thailand und Laos entstehenden Konigreichen gewann schlie:Blich der singhalesische Theravada-Buddhismus Dominanz, wiihrend im Norden Vietnams unter
chinesischem Einfluss das Mahayana vorherrschend wurde. Auch auf dem indonesischen Archipel wurden sowohl Buddhismus als auch Shivaismus <lurch die Konige
gefordert. Ein Zeugnis buddhistischer Bli.ite ist <las imposante Heiligtum von Borobudur auf Java. Im Unterschied zu den festliindischen Regionen Sudostasiens hatte der
Buddhismus auf den Inseln jedoch keinen dauerhaften Bestand. Seit dem 13. Jahrhundert wurde er <lurch den von arabischen Hiindlern eingefiihrten Islam verdriingt.
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China und japan
Von Indien fiihrte.q zwei Wege nach China: der Seeweg um die Malaiische Halbinsel
und Vietnam zur sudchinesischen Kilste sowie der Landweg uber Afghanistan und
die Seidenstra:Be nach Nordchina. Diese zentralasiatischen Karawanenwege verbanden schon in vorchristlicher Zeit China mit W estasien und Indien, und es ist diese
Verbindung, uber die der Buddhismus China im 1. Jahrhundert n. Chr. erreichte. In
Afghanistan und anderen Gebieten Zentralasiens lagen wichtige buddhistische Zentren, und die ersten buddhistischen Manche, die nach China kamen, stammten haufiger aus dieser Regionals direkt aus Indien. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends, als der
Buddhismus in Indien im Niedergang und Zentralasien weitgehend unter muslimischer Herrschaft war, bestand eine rege Kommunikation zwischen den Buddhisten
Chinas und Indiens.
Die Zeit von 600 bis 1500 kann auch in China nicht als religionsgeschichtliche
Epoche gelten, die sich deutlich vom Vorher und Nachher abgrenzen lie:Be. Der Versuch einer Periodisierung der chinesischen Religionsgeschichte wilrde stattdessen die
Epochengrenzen im 1. und im 11. Jahrhundert ansetzen. Dabei ware das erste Jahrtausend <lurch das Au:fkommen und die Verbreitung von Buddhismus und Daoismus
gekennzeichnet, das zweite Jahrtausend <lurch die Dominanz des Konfuzianismus.
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111
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Die religiose Vielfalt Asiens
Die Vielfalt der Welt
Bevor wir uns der Entwicklung seit dem 7. Jahrhundert zuwenden, muss deshalb kurz
auf die Vorgeschichte eingegangen werden.
Die Ausbreitung des Buddhismus, die etwa gleichzeitig mit der Ausbreitung des
Christentums im Romischen Reich erfolgte, hatte <las religiose Leben in China nachhaltig verandert. Der Buddhismus kam nach China als reife Religion mit etablierten
institutionellen Strukturen in Gestalt von Klostern fur Manche und Nannen, elaborierten Ritualen und einem umfangreichem Corpus an religiosen und philosophischen Texten. In China gab es zu jener Zeit keine vergleichbare religiose Tradition.
Die buddhistische Lehre vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten und <las Ideal
der monchischen Lebensweise waren fremd und stieBen in Kreisen der konfuzianischen Literaten auf Ablehnung. Andererseits iibte die buddhistische Philosophie,
die entsprechend der indischen Tradition eine hochentwickelte Metaphysik und Logik einschloss, eine Faszination auf viele Intellektuelle aus. Seit dem 2. Jahrhundert
wurde eine standig wachsende Zahl buddhistischer Schriften aus dem Sanskrit ins
Chinesische iibersetzt, und wahrend der Jahrhunderte der Reichsteilung (317-589)
.
.
wurde der Buddhismus sowohl im Siiden als auch unter den nichtchinesi8uddh 1smus, 0ao1smus,
Konfuzianismus
schen Dynastien des Nordens gefordert. Es kam zur Griindung von Klostern und zur allmiihlichen Verbreitung der buddhistischen Lehre in weiten
Kreisen der Bevolkerung. Parallel zur Ausbreitung des Buddhismus hatte sich seit
Ende des 2. Jahrhunderts auch der Daoismus als organisierte Religion entwickelt. Im
Daoismus flossen verschiedene Stromungen der chinesischen Religions- und Geistesgeschichte zusammen, darunter die mit dem Namen Laozi (iiltere Schreibweise: Laotzu) verbundene philosophische Tradition und religiose Bewegungen der Han-Zeit
(206 v. Chr. bis 220 n. Chr.), in denen Laozi als Gottheit verehrt wurde. Erst im 4. und
5. Jahrhundert aber erreichte die literarische Tradition der daoistischen Religion
einen gewissen Grad an Systematisierung und gewann auch unter den Eliten groBere
Popularitiit. Der Daoismus konnte sich so als religiose Alternative zum Buddhismus
etablieren, auch wenn seine intellektuelle Ausstrahlung und die Breitenwirkung seiner Institutionen deutlich geringer waren. Die moralischen Vorstellungen der Eliten
waren durch den Konfuzianismus gepriigt, der seit der Han-Zeit die ideologische
Grundlage des chinesischen Staates bildete. Konfuzianische Gelehrsamkeit beschriinkte sich jedoch im 1. Jahrtausend weitgehend auf die Uberlieferung und Kommentierung der kanonischen Texte, die die Grundlage jeder hoheren Bildung waren.
Intellektuelle Impulse gingen davon kaum aus, und der Einfluss des Konfuzianismus
auf <las religiose Leben war gering.
Auch wenn <las 6. Jahrhundert fur die Entwicklung der chinesischen Religionen
keinen Einschnitt bedeutete, so war die Zeit um 600 <loch ein W endepunkt in der
politischen Geschichte Chinas: Nach mehreren Jahrhunderten der Reichsteilung in
zum Teil kurzlebige nordliche und siidliche Dynastien war China seit der Sui-Dynastie (581/589-618) wieder ein einheitliches Kaiserreich, <las unter der folgenden TangDynastie (618-907) eine kulturelle Blute erlebte und seinen politischen Einfluss bis
nach Zentralasien ausdehnen konnte.
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Buddhismus seit der Tang-Zeit
Der Buddhismus hatte zu Beginn der Tang-Zeit eine bereits 500-jiihrige Entwicklung
in China hinter sich. Obwohl der indische Ursprung der Religion nicht vergessen
wurde und auch weiterhin Kontakte nach Indien bestanden, veriinderte der Buddhismus sich unter dem Einfluss der chinesischen Kultur und entwickelte seine spezifisch
ostasiatischen Formen. Die Gelehrten unter den Monchen verfilgten iiber eine traditionelle chinesische Bildung und waren mit den konfuzianischen Klassikern ebenso
vertraut wie mit der daoistischen Philosophie. Neben den aus dem Sanskrit iibersetzten Texten entstand eine umfangreiche chinesische buddhistische Literatur, die
philosophische, apologetische und historische W erke ebenso umfasste wie umgangssprachliche Erbauungsliteratur, mit der Monche die buddhistische Lehre der Bevolkerung vermittelten.
Viele der ins Chinesische iibersetzten Texte gingen in ihrer original en SanskritVersion verloren, nachdem der Buddhismus in Indien verschwunden war. Dies gilt
insbesondere fur die Schriften des Mahayana-Buddhismus, der in China vorherrschend wurde. Im Unterschied zu den abwertend als ,,Hinayana" bezeichneten Schulen vertrat <las Mahayana eine universale Erlosungslehre. Die Befreiung vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten stand nicht nur Monchen offen, sondern alle
Lebewesen sollten die Erlosung erlangen. Mitleid und Barmherzigkeit galten als zentrale Tugenden, und entsprechend war die selbstlose Hilfe fur alle Lebewesen ein
hOheres Ziel als die eigene Erlosung <lurch Eintritt ins Nirvana. Das Ideal des Mahayana warder Bodhisattva (,,Buddhawesen"), der die hochste Stufe der VollkomD Mh
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menheit erreicht hat, aber aus Mitleid weiter zum Wohle aller unerlosten
as a ayana un
Wesen tiitig ist. Diese Bodhisattva-Lehre wurde in verschiedene Richtunder Bodhisattva
gen ausgestaltet. Fiir die meisten Glaubigen stand die Vorstellung von
transzendenten Bodhisattvas im Vordergrund, die in ihrer Vollkommenheit und allumfassendem Mitleid alien Menschen helfen. Besondere Popularitiit erlangten die
Bodhisattvas Avalokiteshvara (chin. Guanyin) und Maitreya, die rituell verehrt wurden und an die man sich mit Bitten um Hilfe wenden konnte. Parallel dazu hatte sich
im Mahayana auch die Vorstellung von transzendenten Buddhas entwickelt, die
gleichfalls Gegenstand des Kultes waren. Neben dem historischen Buddha Shakyamuni erfreute sich vor allem der Buddha Amitabha (chin. Amituo) groBer Beliebtheit, daneben gab es zahlreiche weitere Buddhas, die alle - wie auch die Bodhisattvas
- ikonographisch dargestellt und in Klostern und Tempeln verehrt wurden.
Die devotionalen Aspekte des Mahayana-Buddhismus und die Hoffnung, <lurch
die Barmherzigkeit von Buddhas und Bodhisattvas aus der leidvollen Existenz befreit
und in einem jenseitigen Paradies wiedergeboren zu werden, diirfte wesentlich zur
Popularitiit und Verbreitung der buddhistischen Lehre in China beigetragen haben.
Das Mahayana brachte aus Indien aber auch eine hochentwickelte Philosophie nach
China. Es war eine komplexe Metaphysik, die Logik, Ontologie und Erkenntnistheorie umfasste. U nter den zahlreichen Lehrern und Schulen, die in Indien entstanden
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Die Vielfalt der Welt
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waren, nahm die ,,mittlere Lehre" (Madhyamaka) des Nagarjuna (2./
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.
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3. Jh ..7 ) eme hervorragende Stellung em. NagarJuna lehrte, dass alle Dmge
,,leer" (shunya) seien, <las heifit ohne eigene Substanz. In der subtilen Metaphysik des Mahayana bedeutete die Leerheit (shunyata) aller Erscheinungen, dass
Unterscheidungen -wie die zwischen Sein und Nichtsein oder zwischen Samsara und
Nirvana - nur bedingt, nicht jedoch im absoluten Sinne bestehen. Die Erkenntnis,
dass die Dinge weder sind noch nicht sind, fiihrt zu der Einsicht, dass auch die Unterscheidung zwischen Buddha und unerlosten Wesen nur eine bedingte Geltung
besitzt. Die Erlosung wird erreicht, indem diese absolute Wahrheit der eigenen
Buddha-Natur erkannt wird.
Die metaphysischen Spekulationen des Mahayana-Buddhismus beeinflussten
zwar nachhaltig die chinesische Philosophie, hatten jedoch nur geringe Bedeutung
fur <las alltagliche religiose Leben. Fur die meisten Glaubigen stand die Hoffnung
auf eine giinstige Wiedergeburt als Folge verdienstvoller Taten und des Vertrauens
in die barmherzige Hilfe eines Buddha oder Bodhisattva im Vordergrund. Gelehrte
Monche, die sich dem Studium philosophischer Texte widmeten, waren die Ausnahme. Sie bildeten als Lehrer den Kern verschiedener Schultraditionen, deren literarische Produktion zum klassischen Erbe der buddhistischen Philosophie Chinas wurde,
auch wenn die meisten der wahrend der Tang-Zeit blti.henden Schulen sich in der
Folgezeit auflosten. Dauerhaften Bestand hatten allein die Schule des Reinen Landes
(Jingtu) und die Meditations-Schule (Chan, jap. Zen), deren Traditionen gemeinsam
den chinesischen Buddhismus seit dem 10. Jahrhundert pragten. Die Chan- oder
AufblUhen
Meditations-Schule, die im 7. Jahrhundert entstand, sich aber auf indische
zweier Schulen
Wurzeln zuruckfiihrte, lehrte, dass die Erleuchtung nur <lurch die Erkenntnis der eigenen Buddha-N atur erlangt werden konne. Der W eg dazu waren
Meditationstechniken und die wortlose Vermittlung der unaussprechlichen Erkenntnis vom Meister auf die Schiller. Der Chan-Buddhismus scheint zur Tang-Zeit im
Wesentlichen eine Sache der Monche gewesen zu sein und beeinflusste auch danach
das religiose Leben der Laien weit weniger als die Schule des Reinen Landes. In deren
Mittelpunkt standen die Verehrung des Buddha Amitabha und der Wunsch, in <lessen Westlichem Paradies, dem Reinen Land, wiedergeboren zu werden. Diese Form
der devotionalen Frommigkeit bot einen Erlosungsweg, der leicht zu begehen war
und nicht nur religiosen Virtuosen offenstand. Sie wurde zur popularsten Form des
Buddhismus in China.
Obwohl der Mahayana-Buddhismus Monchen und Laien in gleicher Weise die
Moglichkeit der Erlosung eroffnete, war seine institutionelle Form in China durch den
Orden der Monche und Nonnen gepragt. Nur die wenigsten von ihnen lebten aber in
den gro:Ben Klostern, die Zentren buddhistischer Gelehrsamkeit waren und auf staatliche Kosten unterhalten wurden. Die meisten waren naher an der Bevolkerung als
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Huter kleinerer und gro:Berer Tempel, wo sie ihren rituellen Dienst verBedeu t ung der Mone e
sahen. Viele dieser ,,Volksmonche" besa:Ben nur geringe Bildung, aber sie
trugen dazu bei, dass der Buddhismus in der Bevolkerung verwurzelt wurde. Tempel.ttl L h "
.
D1e ,,m1 ere e re
des Nagarjuna
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Die religiose Vielfalt Asiens
feste mit Prozessionen und Markten waren Teil der Volkskultur. Unter der Fiihrung
einzelner Monche bildeten sich buddhistische Laienvereinigungen, die die finanziellen
Mittel fiir den Unterhalt und die Ausstattung der Tempel sammelten. Spenden fur den
Monchsorden galten ebenso wie die Unterstiltzung Bedilrftiger und die Sorge fiir
Kranke als verdienstvolle Taten. Die buddhistische Tugend des Mitleids fur alle Lebewesen beforderte damit die Schaffung offentlicher W ohlfahrtseinrichtungen in China.
Zu den verdienstvollen Taten gehorte auch das Kopieren religioser Schriften. Nachdem im 8. Jahrhundert die Buchdruckerkunst erfunden worden war, wurden buddhistische Schriften und im 10. Jahrhundert sogar der gesamte Kanon gedruckt.
In der Tang-Zeit verfugten die groBen Kloster oft fiber betrachtlichen Landbesitz,
der verpachtet oder <lurch Lohnarbeiter bebaut wurde und damit zu Einkiinften fiihrte, die weiter investiert wurden. So betrieben die Kloster auch Olmti.hlen und Geldverleih, und ein Teil des Reichtums wurde zur Herstellung wertvoller Statuen aus
Edelmetall verwendet und auf diese Weise gehortet. Die wirtschaftliche Macht der
Kloster fiihrte allerdings zu Spannungen mit dem Staat und vermutlich waren es auch
wirtschaftliche Griinde, die den Anlass fur einen radikalen Schlag gegen den Buddhismus im Jahre 845 gaben. Um die Macht der Kloster zu brechen, wurden auf kaiserlichen Befehl fast 5000 Kloster aufgelost und mehr als 250.000 Monche und Nonnen
in den Laienstand zuriickversetzt und damit steuerpflichtig. Obwohl ein
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1e ergang es
GroBteil dieser Gesetze unter dem nachsten Kaiser wieder aufgehoben
Buddhismus?
wurde, markiert dieser Versuch der gewaltsamen Unterdriickung des
buddhistischen Klerus das Ende der Bliitezeit des chinesischen Buddhismus. Nicht
nur war die wirtschaftliche Macht der Kloster gebrochen, auch die intellektuelle Dynamik hatte ihren Hohepunkt iiberschritten. In der Song-Dynastie (960-12 79) wurde
der Konfuzianismus zur dominierenden geistigen Kraft und blieb es bis zum Ende des
Kaiserreichs. Gleichwohl kann nur bedingt van einem Niedergang des Buddhismus
gesprochen werden: Auch wenn die buddhistische Philosophie keine groBen schopferischen Leistungen mehr hervorbrachte, pragten buddhistische Monche, Nonnen
und Laien, buddhistische Kloster, Tempel und Feste sowie buddhistische Vorstellungen von Wiedergeburt und Erlosung das religiose Leben in China auch nach der
Tang-Zeit mehr als irgendeine andere Religion.
Ein Aspekt der Entwicklung nach dem 10. Jahrhundert war die Entstehung
buddhistischer Laienvereinigungen, die sich der Kontrolle <lurch den regularen Sangha entzogen und sektenartige Strukturen annahmen. Teilweise griffen sie im Volk
bestehende messianische Traditionen auf, wie die Erwartung der Herabkunft des
Buddha Maitreya. Religiose Erwartungen dieser Art bildeten den ideologischen Nahrboden einer Aufstandsbewegung, die zum Sturz der mongolischen Yuan-Dynastie
(1271-1368) fuhrte. Ein anderer Aspekt der Verwurzelung des Buddhismus in der
chinesischen Kultur war die Synthese der drei Lehren Buddhismus, Daoismus und
Konfuzianismus. Var allem unter der Ming-Dynastie (1368-1644) maniWan de1 des Buddh.1smus
..
festierte sich in dem Slogan ,,Die drei Lehren bilden eine Einheit" die Uberzeugung, dass die drei Lehren nur unterschiedliche Aspekte einer gemeinsamen chi-
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Die religiose Vielfalt Asiens
Die Vielfalt der Welt
nesischen Tradition darstellten. Der Wandel des Buddhismus von einer als fremd
empfundenen auslandischen Religion zum integralen Bestandteil der chinesischen
Kultur war damit zum Abschluss gekommen.
Daoismus in China
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Noch in der Tang-Zeit war die fremde Herkunft des Buddhismus ein Argument in
der antibuddhistischen Polemik von Konfuzianern und Daoisten. Der Buddhismus
wurde als Bruch mit der chinesischen Tradition dargestellt, wiihrend sich die Daoisten als deren Vertreter empfahlen. Die Bewahrung der chinesischen Tradition war
wesentlich for die Legitimation der Dynastie, und dies diirfte ein hauptsachlicher
Grund for die Protektion des Daoismus <lurch die Tang-Kaiser gewesen sein. Ein
anderer Grund war die Fiktion, class die Dynastie von Laozi, dem legendaren Begriln. h P t kt.
der der daoistischen Tradition, abstamme, weil dieser den gleichen Famistaa ti 1c e ro e ion
liennamen (Li) trug wie der kaiserliche Clan. Entsprechend wurde der Kult
des Laozi ausgeweitet, staatlich unterhalten und <las ihm zugeschriebene »Daodejing«
(»Klassiker vom Dao und seiner Wirkkraft«) zeitweilig zum Gegenstand der staatlichen Beamtenpriifungen. Die meisten Kaiser umgaben sich mit daoistischen Priestern, deren Rituale dem Staat gottlichen Schutz sichern sollten, aber auch, weil die
alchemistischen Kiinste daoistischer Adepten eine Verlangerung des Lebens oder gar
Unsterblichkeit versprachen.
Der Daoismus hatte nach dem Vorbild des Buddhismus monastische Institutionen ausgebildet und auch das daoistische Schrifttum belegt einen deutlichen Einfluss
des Buddhismus. Es kam zu einer Systematisierung der Texte verschiedener Schulen,
die zu einer kanonischen Sammlung integriert wurden. Auch die daoistischen Rituale
und die Ausbildung der Priester wurden systematisiert, so class der Daoismus eine
klarere institutionelle Gestalt erhielt. Trotz der kaiserlichen Patronage konnte der
Daoismus keine dem Buddhismus vergleichbare Bedeutung erlangen. Dies anderte
sich auch in den folgenden Jahrhunderten nicht. Jedoch entwickelte sich der Daoismus seit der Song-Zeit (960-1279) in vielerlei Hinsicht weiter. Mit der Verlagerung
des kulturellen Zentrums des Reiches nach Si.iden kam es zur Integration lokaler
Kulte und ihrer Gottheiten, so class der Daoismus sich enger mit dem religiosen
Richtun en
Leben der Bevolkerung verband. Die bedeutendste Richtung dieses sildlides Daois!us
chen Daoismus war die Tradition Zhengyi (,,Rechtes Eine"). Die ZhengyiDaoisten waren verheiratet und fungierten vor allem als Priester bei groBen offentlichen Ritualen. Im Gegensatz dazu war die zweite bedeutende Richtung
des Daoismus mit dem Namen Quanzhen (,,Vollstandige Wahrheit") ein nach dem
Vorbild des Buddhismus organisierter zolibatarer Orden. Er entstand im 12. Jahrhundert in Nordchina unter der dort herrschenden Jin-Dynastie (1115-1234) und
breitete sich wahrend der mongolischen Yuan-Dynastie rasch aus. Der QuanzhenDaoismus war nicht nur organisatorisch, sondern auch in seinen Lehren und Praktiken stark vom Chan-Buddhismus beeinflusst.
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Anders als der Buddhismus warder Daoismus eine weitgehend auf China beschrankte Religion. Zwar wurden daoistische Texte auch in Korea und Japan bekannt,
und es kam zumindest in Korea auch zur Griindung daoistischer Tempel. Aber in
keinem der beiden Lander gab es ordinierten Priester, so class sich eine institutionalisierte daoistische Tradition nicht etablieren konnte.
Buddhismus in Japan
Japan stand um das Jahr 600 am Beginn einer neuen Epoche, die <lurch eine weitreichende Rezeption der chinesischen Kultur gepragt ist. Religionsgeschichtlich bedeutsam ist vor allem die Einfiihrung des chinesischen Buddhismus, welcher der Tradition zufolge im Jahre 552 <lurch eine koreanische Gesandtschaft nach Japan gebracht
warden war. Die Dbernahme chinesischen Kulturgutes wiihrend der folgenden Jahrhunderte erstreckte sich auf so unterschiedliche Gebiete wie staatliche V erwaltung,
Technik und Architektur und nicht zuletzt die chinesische Schrift und literarische
Tradition. Buddhistische Monche, die zum Studium nach China reisten, waren wichtige Trager dieses kulturellen Transfers. Im 8. Jahrhundert wurden in der Hauptstadt
Nara sechs Kloster gegrilndet, in denen jeweils eine der wiihrend der Tang-Zeit in
China bedeutenden buddhistischen Schulen vertreten war.
Der Buddhismus der Nara-Zeit (710-784) war <lurch eine enge Verbindung mit
dem Kaiserhaus gekennzeichnet, die die Verbreitung der Lehre auch auBerhalb der
Hauptstadt begiinstigte und staatliche Privilegien sicherte. Der staatlich geforderte
Buddhismus hatte jedoch nur geringe Breitenwirkung und war im Wesentlichen auf
das gelehrte Studium in den Klostern und die Riten der Manche beschrankt, <lurch
die <las W ohlergehen des Kaiserhauses und des Staates gesichert werden sollten. Daneben entstanden aber auch volkstiimliche Formen des Buddhismus, die <lurch einzelne Monche, oft aber <lurch nichtordinierte Priester und Bergasketen propagiert
wurden. In diesen Stromungen vermischten sich buddhistische Einfliisse
8uddh.1smus un d Sh.int-o
mit Elementen der traditionellen Religion, wie der Verehrung einheimischer Gottheiten (kami) und den damit verbundenen Festen. Diese vorbuddhistische religiOse Tradition verfiigte weder i.iber eine systematisierte Lehre noch i.iber eine
einheitliche Organisation. In Abgrenzung zum Buddhismus wurde sie nun als Shinto
(,,Weg der Kami") bezeichnet. Auch nach der Ausbreitung des Buddhismus bestand
die Tradition des Shinto weiter, so <lass beide Religionsformen mitunter in Spannung,
meist aber harmonisch koexistierten. So wurde im 8. Jahrhundert die Sonnengottin
Amaterasu, auf die sich das Kaiserhaus zuri.ickfuhrte, als Erscheinungsform des
Buddha Vairocana erklart, <lessen Symbol die Sonne ist. Damit war eine dogmatische
Grundlage fur die in der Folgezeit meist harmonische Verbindung von Buddhismus
und Shinto geschaffen.
Die groBen Tempel in Nara wurden <lurch die Gewahrung von Steuerfreiheit und
Landschenkungen zu wirtschaftlich und politisch einflussreichen Machtfaktoren.
Unter anderem um sich dieser Macht zu entziehen, wurde 794 die kaiserliche Resi-
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Die Vielfalt der Welt
Die religiose Vielfalt Asiens
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denz nach Heian (heute Kyoto) verlegt. In der folgenden Heian-Zeit (794-1185) etablierten sich zwei buddhistische Schulen, die die gesamte spatere Entwicklung des
japanischen Buddhismus wesentlich beeinflussten. Der gelehrte Monch Kiikai (Ehrentitel: KobO-daishi, 774-835) reiste 804 nach China, wo er die esoterische Lehre der
Schule des ,,Wahren Wortes" (jap. Kegon, chin. Zhenyan) studierte. Die Kegon-Schule, die schon in Nara bestanden hatte, wurde <lurch Ku.kai zu einer der beherrschenden Richtungen des Buddhismus in Japan. Ihre Wirkung resultierte sowohl aus einer
hochentwickelten esoterischen Lehre als auch esoterischen Riten, die Kfi. K
d d.
D1e egon- un 1e
Tendai-Schule
kai zu hochstem Ansehen im Kaiserhaus verhalfen. Ku.kais Nachruhm als
umfassend gebildeter Monch lieB ihn zu einer der bedeutendsten Gestalten
des japanischen Buddhismus werden. Sein Zeitgenosse Saicho (Ehrentitel: Dengy6daishi, 767-822), der mit ihm zusammen nach China gereist war, brachte von dort
die Tradition der damals in China dominierenden Tiantai- (jap. Tendai-)Schule mit.
Ein zentraler Text der Tendai-Schule war das Lotos-Sutra, in dem die MahayanaLehre von der Erlosung aller Lebewesen ihren hervorragendsten literarischen Ausdruck fand. Wie Kiikai wurde auch Saicho <lurch <las Kaiserhaus protegiert, so <lass
sich die Tendai-Lehre zu einer auch in der Folgezeit einflussreichen Richtung des
Buddhismus entwickeln konnte. In einem gewissen Kontrast zu den intellektuellen
und religiOsen Leistungen der Schule standen interne Rivalitaten zwischen den groBen Klostern, die nicht selten die Form bewaffneter Auseinandersetzungen annahmen.
Die fortschreitende Militarisierung der japanischen Gesellschaft erreichte wahrend der Kamakura- (1185-1333) und der Muromachi-Zeit (1338-1573) ihren Hohepunkt. Die politische Macht lag in den Handen eines Militargouverneurs (Shogun)
und einer Klasse von Kriegern (Samurai oder Bushi), deren Lebensfiihrung und Werte <las kulturelle Klima deutlich veranderten. Der Buddhismus nahm in dieser Zeit
seine spezifisch japanischen Formen an, die nicht mehr <lurch die Vorlieben des
Kaiserhofes und der Aristokratie bestimmt wurden, sondern <lurch die religiosen
Bedi.irfnisse breiter Bevolkerungskreise. Anstelle aufwendiger Rituale und intellektueller Gelehrsamkeit traten einfache Lehren und Praktiken, die fiir alle zu. b ddh'
l a1en u 1smus
ganglich waren. Der Laienbuddhismus gewann an Bedeutung und selbst
Monche gaben zunehmend die zolibatare Lebensweise auf, so <lass im japanischen
Buddhismus schlieBlich die traditionellen buddhistischen Ordensregeln weitgehend
ignoriert wurden. Eine langfristige Konsequenz dieser Entwicklung war eine gewisse
Verweltlichung des Klerus.
Die militarischen Auseinandersetzungen und die soziale Unsicherheit der Kamakura-Epoche bildeten den Hintergrund fiir <las Aufkommen neuer buddhistischer
Richtungen. Von bleibender Bedeutung waren die Schule des Reinen Landes, die
Zen-Schule und die Schule des Nichiren. Die beiden erstgenannten waren nicht vollig
neu, sondern hatten Vorlaufer, die in die Heian-Zeit und bis nach China zuri.ickreichten. Jedoch wurden sie in der Kamakura-Zeit zu Bewegungen, die den Buddhismus in Japan in besonderer Weise pragen. Im Zentrum der Schule des Reinen Landes
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(Jodo-shii) stand auch hier der Glaube an die erlosende Hilfe des Buddha
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sanskr'it: Am1ta
· bh a) un d a·ie H offn ung auf eine
m1da-Buddh1smus
Am1·aa (ch.m.: Am1tuo,
Wiedergeburt in seinem Westlichen Paradies. Der Grunder der Jodo-shu, Genku
(bekannter unter seinem postumen Namen Honen, 1133-1212), machte die Anrufung des Buddhas Amida (nembutsu) zur zentralen religiosen Praxis, die in allen
Schichten der Bevolkerung groBe Popularitat gewann. Honens Schiller Shinran
(1173-1262) entwickelte die Lehre weiter und wurde zum Ausgangspunkt der einflussreichen ,,Wahren Schule des Reinen Landes" (Jodo-shinshii).
Im Unterschied zum Amida-Buddhismus der Schule des Reinen Landes vertrat
der Zen-Buddhismus die Lehre, <lass Erlosung nicht <lurch i.ibernati.irliche Hilfe, sondern nur aus eigener Kraft erlangt werden konne. Zen bedeutet Meditation, und wie
in China war die Praxis der Meditation der Weg, die eigene Buddha-Natur zu erkennen und damit die Erleuchtung zu erlangen. In Japan wurde diese Schule <lurch My6an Eisai (Eisei, 1141-1215) und Dagen (1200-1253) popularisiert, die beide in China
studiert hatten und jeweils unterschiedliche Richtungen des Chan-/Zenzen-8uddh'1smus
Buddhismus mitbrachten. Der Zen-Buddhismus pragte nachhaltig den asthetischen Geschmack der japanischen Kultur, unter anderem Dichtung, Malerei und
Gartenkunst. Zen-Tempel waren Zentren der Gelehrsamkeit, in denen auch die Philosophie des Neo-Konfuzianismus studiert wurde. Die Verbindung von buddhistischer Disziplin des Geistes und konfuzianischem Moralkodex entsprach der Lebenshaltung der Kriegerklasse, die vom Zen-Buddhismus in besonderer Weise angezogen
wurde.
Ohne chinesische Vorlaufer ist die dritte neue Richtung des Buddhismus der
Kamakura-Zeit, die <lurch den Monch Nichiren (1222-1282) begriindet wurde. Wie
die meisten buddhistischen Reformer dieser Epoche stand auch er zunachst in der
Tradition des Tendai-Buddhismus, von dem er die Hochschatzung des Lotos-Sutra
i.ibernommen hatte. Jedoch steigerte er die Bedeutung des Lotos-Sutra in unerhorter
Weise, indem er der Schrift selbst eine erlosende Kraft zuschrieb. Durch die Rezitation allein des Titels des Lotos-Sutra, in dem gewissermaf.Sen die Essenz der
N' h'
ddh.
1c iren-8u 1smus
grundlegenden Wahrheit des Buddhismus enthalten sei, konne der Zustand der Erleuchtung erreicht werden. Nichiren vertrat eine exklusivistische und
zugleich politisch gefiirbte Lehre, die beanspruchte, Japan <lurch soziale und politische Reformen auf der Grundlage seines Verstandnisses des Lotos-Sutra aus Not und
Gefahr zu erretten. Die anderen buddhistischen Schulen wurden als Irrlehren angegriffen. Nichiren sah sich deshalb seinerseits Verfolgungen ausgesetzt, konnte jedoch
<lurch seine Missionstatigkeit eine Schule begriinden, die bis heute besteht.
Rivalitaten und Konflikte zwischen verschiedenen buddhistischen Schulen waren
in Japan keine Seltenheit. Auch H6nen und Shinran waren wegen ihrer popularen
Lehren Angriffen <lurch Monche der alteren Schulen ausgesetzt und wurden zeitweise
staatlich verfolgt. In der Muromachi-Zeit unterhielt die Wahre Schule des Reinen
Landes dann selbst bewaffnete Verbande, deren militarische Macht ebenso wie die
der Monchs-Armeen der Tendai-Tempel erst Ende des 16. Jahrhunderts gebrochen
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wurde. Volkstiimlichere Formen des Buddhismus waren die zahlreichen wandernden
Bettelmonche und Gruppen van Laienbuddhisten, die eng mit den lokalen
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Traditionen des Shmto verbunden waren. Shmto-Praktiken und buddh1stische Frommigkeit schlossen sich nicht wechselseitig aus, sondern bildeten eine Synthese, die dem religiosen Leben in Japan sein eigenes Geprage gab.
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Riva 11taten un on 1 e
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In dem knappen Jahrtausend van 600 bis 1500 n. Chr. entfalteten sich die gro:Ben
religiosen Traditionen Asiens zu der Form, auf die europaische Missionare und
Handler zu Beginn der N euzeit stiefien. Weiter im Wes ten der Al ten Welt, in Europa,
vollzog sich im gleichen Zeitraum die Entfaltung des lateinischen und orthodoxen
Christentums. Die Expansionsdynamik der gro:Ben Religionen formte religiose Zivilisationen, deren Koharenz sich wahrscheinlich am deutlichsten in der Verbreitung
der die Grenzen von Volkern und Staaten iiberschreitenden religiosen Literaturen
zeigt. So wie die intellektuelle Einheit des westeuropaischen Christentums <lurch seine
lateinische Literatur vermittelt wurde und die der orthodoxen Kirche <lurch ihre griechische Tradition, so wurden der Hinduismus <lurch seine Sanskrit-Literatur, der
ostasiatische Buddhismus <lurch den chinesischen Kanan, der Theravada-Buddhismus Siidasiens <lurch den Pali-Kanan und die islamische Welt <lurch arabische und
persische Literatur gepragt. Allerdings wirkten die literarischen Traditionen in erster
Linie auf die intellektuellen Eliten, wahrend ihr Einfluss auf das religiose Leben der
breiten Bevolkerung nur mittelbar war. Ethnische und regionale Traditionen waren
weiterhin wirksam, weswegen die Expansion der Religionen nicht zu religios homogenen Zivilisationen von Hinduismus, Buddhismus, Christentum und Islam fuhrte,
sondem unterschiedliche regionale Auspragungen hervorbrachte. Trotz dieser internen Differenzierungen waren jedoch gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Alten
Welt religiose Gro:Braume entstanden, deren Grenzen im W esentlichen noch heute
bestehen.
Afrika si.idlich der Sahara - Von den
Sakralstaaten zu den GroBreichen
Dierk Lange
Auf der Landkarte der antiken Welt tauchen in Afrika jenseits der bekannten Volker
am Rand des Mittel- und des Roten Meeres nur die Garamanten der zentralen Sahara,
die Nubier des mittleren Nils, die Axumiten Athiopiens und die Azanier der ostafrikanischen Kiiste auf. Weiter nach Siiden und in <las Innere des Kontinents reichte der
Horizont der griechischen und romischen Autoren nicht, und in Schwarzafrika stehen altere Schriftquellen nur in Nubien (Meroe) und im Norden des abessinischen
Hochlandes zur Verfiigung. Dariiber hinaus dehnte sich aus heutiger Sicht <las weite
Gebiet der schwer zu interpretierenden miindlichen -Oberlieferung, in dem einzig die
Archaologie, die historische Sprachwissenschaft und die vergleichende Ethnographie
dem Historiker zusatzliche Hilfestellung leisten konnen. Da sich im Hinblick auf die
Staatenentwicklung und auf die Geschichte der langen Dauer ganz allgemein bisher
kein einheitliches Bild des Schwarzen Kontinents in der Antike abzeichnet, besteht
weiterhin der Eindruck, die Volker des subsaharanischen Afrika hatten bis zur Expansion des Islam abseits des W eltgeschehens in weitgehender Immobilitat oder in
der permanenten Wiederkehr des Gleichen gelebt.
In Wirklichkeit unternahmen Historiker seit den Jahren der afrikanischen Unabhangigkeit erhebliche Anstrengungen, um <las Dunkel ilber der alteren Geschichte
Afrikas zu lichten. Sie wurden bei ihren Bemiihungen jedoch stark von dem vorherrschenden postkolonialen Paradigma geleitet, wonach Einflilsse der Au:Benwelt eine
moglichst geringe Rolle in den formativen Perioden der Geschichte Afrikas spielen
sollten. Wahrend man in der Kolonialzeit eine nicht genauer fassbare Hamiten-Rasse
zwischen den Kaukasoiden des Nordens und den Schwarzafrikanern des Sildens,
deren N achfolger man in den Tuareg, den Fulbe, den Zaghawa und den Tutsi sah,
als Ubertrager der sozialen Komplexitat betrachtete, postulierten die zu akademiSchwierigkeiten
schen Wiirden gelangten Historiker der Nachkolonialzeit weitgehend
eigenstandige Entwicklungen. Es ist in der Tat nicht einsehbar, wie die
fiir Historiker
genannten Hirtenvolker den Staat oder den Stadtebau unter den ackerbauenden Schwarzafrikanem verbreitet hatten, ohne selbst auf Grund ihrer nomadischen Lebensweise als Trager dieser Innovationen in Frage zu kommen. Daraus
ergibt sich jedoch im Umkehrschluss nicht die Folgerung, dass alle Staatengriindungen siidlich der Sahara lokal und unabhangig voneinander erfolgt sein miissten. Auch
ist nicht einsehbar, wieso historische Entwicklungen im subsaharanischen Afrika nur
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