1 Stellungnahme zu medizinethischen Grundlagen und Argumenten

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Stellungnahme zu medizinethischen Grundlagen und Argumenten
Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischen Massnahmen
gleichgeschlechtlichen Paaren
der
bei
PD Dr. med. Dipl. Soz. Tanja Krones
Universitätsspital Zürich
Klinische Ethik
Seit circa 30 Jahren wird die ethische, gesellschaftliche und juristische Debatte um
die zivilrechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften auf nationaler,
europäischer und internationaler Ebene zunehmend intensiver geführt und
begründete in vielen Ländern die Ermöglichung eingetragener Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare, so auch in der Schweiz. Das Bundesgesetz
über die eingetragene Partnerschaft (Partnerschaftsgesetz PartG) ist seit 2007 in
Kraft und stellt in einigen wesentlichen Belangen die eingetragene Partnerschaft der
Ehe zwischen verschiedengeschlechtlichen Paaren gleich oder fast gleich, so u.a. im
Erbrecht. In Bezug auf die Sorge um gemeinsame Kinder oder bezogen auf die
Möglichkeit, einen gemeinsamen Kinderwunsch oder eine Adoption zu ermöglichen,
werden jedoch weitgehende Differenzierungen und Unterschiede vorgenommen.
Hat eine/er der Partner bereits Kinder vor Eintragung der Partnerschaft, formuliert
das Gesetz in Art. 27 eine Beistandspflicht im Rahmen der Unterhaltspflichten für das
Kind und in Belangen der elterlichen Sorge. Der/die nicht biologisch mit dem Kind
verwandte eingetragene Partnerin oder der Partner hat jedoch auch bei Tod des
anderen Ehepartners kein grundsätzliches Recht auf Adoption analog zur
Stiefkindadoption. Während diese beispielsweise in England, den Niederlanden und
seit 2005 in Deutschland in eingetragenen Lebenspartnerschaften möglich ist
(gemeinschaftliche Adoptionen nicht in allen Ländern, die mittlerweile
Stiefkindadoptionen zulassen), ist eine Stiefkindadoption in der Schweiz erst vor
kurzem durch das Bundesgericht im Falle von Maria von Känel aus primär formalen
Gründen (Nicht-Einhaltung der 5-Jahres -Frist der eingetragenen Partnerschaft vor
Adoptionsgesuch) abgelehnt worden. Anders als die Vorinstanzen bezog sich das
Gericht nicht direkt in der schriftlichen Urteilsbegründung auf das im PartG enthaltene
Verbot sowohl der Adoption als auch der Inanspruchnahme fortpflanzungsmedizinischer Massnahmen; die Richter gingen jedoch in den Ausführungen davon aus, dass
das Gesetzesverbot der Adoption eindeutig ist und es gegebenenfalls Sache des
Gesetzgebers sei, dieses zu ändern. Im PartG lautet Artikel 28 „Adoption und
Fortpflanzungsmedizin“: „Personen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben,
sind weder zur Adoption noch zu fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen
zugelassen.“
Die normative Sphäre von Ethik und Recht ist bekanntermassen nicht dieselbe.
Manchmal kann etwas ethisch gut begründet zulässig, rechtlich jedoch verboten sein
und vice versa. Dennoch teilen fachethische und rechtliche Begründungen einige
wesentliche Merkmale und in Bereichen daraus resultierend auch Einzelargumente
und Prinzipien. Beide begründen intersubjektiv geltende Normen. Diese können nur
dann gerechtfertigt sein, wenn intersubjektiv geltende Regeln, insbesondere dann,
wenn sie grundlegende Freiheitsrechte des einzelnen berühren, auch aus
intersubjektiv nachvollziehbaren Gründen gerechtfertigt werden. Weltanschauliche
1
Gründe, die zur Einschränkung der Freiheit derjenigen führen, die nicht dieselbe
Weltanschauung teilen, können in säkularen demokratischen Staaten daher keinen
legitimen Begründungszusammenhang liefern. Freiheitsbeschränkungen bei der
Ausübung fundamentaler Rechte, wozu die Begründung von Partnerschaften und die
Fortpflanzung gehören, sind nur dann legitim und ethisch begründbar, wenn
hierdurch eine Schädigung Dritter verhindert werden soll. In der Debatte um Adoption
und die Inanspruchnahme fortpflanzungsmedizinischer Massnahmen bei gleichgeschlechtlichen Paaren steht aus diesem Grund sowohl bei Gegnern als auch bei
Befürwortern das Argument des Kindeswohls gleichermassen im Vordergrund. Die
Stellungnahme beschränkt sich daher auch bewusst auf die Berücksichtigung des
Arguments des Kindeswohls in der medizinethischen Argumentation. Sie geht dabei
davon aus, dass aufgrund des grundlegenden Rechts auf Privatsphäre, Familiengründung und Fortpflanzung eines jeden Menschen, unabhängig von der sexuellen
Orientierung, im Wesentlichen das Argument des Kindswohls ein intersubjektiv von
allen geteiltes und nachvollziehbares Argument darstellt, welches die Beschränkung
im Adoptionsrecht und der Fortpflanzungsmedizin rechtfertigen kann. Die Verfasserin
ist sich bewusst, dass es eine ethische und juristische Debatte um die Definition der
normativen Grundlagen, was als Familie zu gelten hat gibt, die sich unter anderem
mit der Auslegung des Wortlauts von Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention auseinandersetzt: „Männer und Frauen (oder aber – eher im Sinne einer
allein heterosexuell geschützten Ehe interpretierbar – übersetzt als „Mann und Frau“)
im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen,
welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie
zu gründen.“ Dieser Debatte um den besonderen Schutz der Ehe – und damit von
einigen so interpretiert der heterosexuellen Ehe – liegen jedoch ebenfalls als
intersubjektiv nachvollziehbarem Grund allein die Kindswohlargumente zugrunde.
Anderen Argumenten, wie dem Rekurs auf die Natürlichkeit einer heterosexuellen
Partnerschaft im Gegensatz zu einer homosexuellen Partnerschaft, liegen letztlich
weltanschauliche Begründungszusammenhänge zugrunde, die der Prüfung der
intersubjektiv geltenden Gültigkeit nicht Stand halten. Solche häufig auf
naturrechtlichen Begründungen rekurrierende, jedoch auf dem Boden religiöser
Weltanschauungen beruhende Argumentationen des besonderen Schutzes
verschiedengeschlechtlicher Partnerschaften unterliegen zudem häufig dem
logischen naturalistischen Fehlschluss (gründend auf D. Humes „Sein-Sollen“Fehlschluss und G.E. Moores so beschriebenem naturalistischem Fehlschluss): Weil
etwas häufig ist oder biologisch beschreibbar, heisst dies nicht, dass diesem Faktum
(z.B. Heterosexualität ist wesentlich häufiger als Homosexualität, in vielen Fällen ist
die heterosexuelle Fortpflanzung ohne weitere technische oder menschliche Hilfe
möglich („natürlich“) ) unmittelbar eine normative Wertigkeit zugeschrieben werden
kann.
Daneben gibt es jedoch noch weitere ethisch relevante Aspekte in den notwendigen
Voraussetzungen der medizinisch assistierten Fortpflanzung. Weitgehend
unbestritten ist in der ethischen Fachdebatte, dass eine Eizellspende sich von einer
Samenspende in normativer Hinsicht, insbesondere im Hinblick auf Risiken für den
Spender/die Spenderin unterscheidet. Für eine Eizellspende ist ein medizinischer
Eingriff notwendig, der Risiken birgt. In der Literatur ist mittlerweile gut dokumentiert,
dass in einigen Ländern Europas Frauen aus prekären Lagen unter schwierigen
Umständen und unter suboptimaler medizinischer Betreuung Hormonstimulationen
erhalten um Eizellen gegen Geld zu spenden. Auch gibt es eine differenzierte
2
Debatte um die ethische Problematik einer Leihmutterschaft. Diese Stellungnahme
streift diese ethisch ebenfalls sehr relevanten Faktoren jedoch nur insoweit, als diese
im Rahmen des Kindeswohls bei homosexuellen Partnerschaften diskutiert werden.
Das Kindswohlargument im Rahmen der Adoption und der Fortpflanzung
In der fachethischen Debatte ist spätestens seit Derek Parfits Exploration des „NonIdentity“ Problem1 weitgehend unbestritten, dass das Argument der Protektion des
Kindswohls im Rahmen einer Adoption nicht gleichermassen im Rahmen der
Fortpflanzungsmedizin angewendet werden kann.
Bei der Adoption werden Eltern für ein schon geborenes Kind gesucht. Die
zuständigen Behörden suchen dabei Eltern für Kinder und nicht Kinder für Eltern. Die
wesentliche Intention bei der Auswahl aus Sicht der für das Kind zuständigen
Behörden ist es, die möglichst optimale Familie für das Kind zu finden. Es gibt hierbei
kein Recht eines Paares auf Adoption, wohl aber auf nicht diskriminierende
Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände- im Sinne einer Vermeidung
ungerechtfertigter Ungleichbehandlung. Ob diese mit dem generellen Ausschluss
homosexueller Paare von der Adoption nach dem Schweizer Partnerschaftsgesetz
besteht, ist wesentlich eine Frage der Empirie. Es ist erstens die Frage bei der
Volladoption eines mit keinem der beiden Partnern verwandten Kindes, ob es
Kindern, die von homosexuellen Eltern adoptiert wurden, grundsätzlich schlechter
geht als den Kindern „konkurrierender“ heterosexueller Paare. Bei der
Stiefkindadoption kommt zweitens die Frage hinzu, ob, wenn beispielsweise der
leibliche Vater oder die leibliche Mutter stirbt, dem Kindeswohl grundsätzlich am
besten genüge getan wird, wenn die soziale Mutter oder der soziale Vater des
Kindes in einer homosexuellen Partnerschaft dann das Kind nicht adoptieren kann.
Oder ob es bei jetzt schon in homosexuellen Partnerschaften lebenden Kindern aus
früheren Partnerschaften für das Kindeswohl besser ist, wenn die Partnerin oder der
Partner das Kind nicht adoptieren kann. Dies ist momentan der Fall. Auf diese Frage
wird weiter unten eingegangen, wenn die bisherige Empirie zur Situation der bei
homosexuellen Eltern aufwachsenden Kinder kurz zusammengefasst wird.
Festzuhalten ist an dieser Stelle jedoch, dass bei den Fragen der Adoption eines
geborenen Kindes das Kindeswohl im Sinne einer möglichst optimalen Auswahl der
Eltern generell den wesentlichen Ausschlag gibt, nicht nur bei der Adoption eines
Kindes bei homosexuellen Paaren. Bei allen Paaren, die adoptionswillig sind, werden
die Umstände, wie beispielsweise die Vermögensverhältnisse überprüft. Im
Unterschied zum Verbot der Adoption homosexueller Paare gibt es jedoch kein
Verbot der Adoption eines Kindes für arme Paare oder ein Verbot der Adoption
älterer versus jüngerer Paare. Es gibt in Regelwerken festgesetzte Grenzen, die
jedoch in Bezug auf das Alter aufgrund der Altersentwicklung diskutierbar bleiben
dürften, da die Wahrscheinlichkeit in jüngeren Jahren zu sterben weiter abnimmt.
1
D. Parfit (1984): Reasons and Persons. Oxford University Press ; vgl. zur Diskussion des Non Identity
Problems und des Kindswohls bei Adoption versus Nutzung fortpflanzungsmedizinischer Techniken auch T.
Hope (2004): Medical Ethics. A very short introduction. Oxford University Press; Chapter 4..
3
Das Argument des Kindeswohls wurde -und wird- analog zur Adoption verwendet,
um Paare von der Fortpflanzung auszuschliessen. Das Fortpflanzungsmedizingesetz
lässt beispielsweise eine Prüfung durch das Behandlungsteam zu, welches
entscheidet, ob die künstliche Befruchtung mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Auch
werden Altersgrenzen festgesetzt. Es muss weitgehend sichergestellt sein, dass die
Eltern bis zum 18. Lebensjahr für das Kind sorgen können. Ansonsten kann (oder
eigentlich sollte) das Behandlungsteam die künstliche Befruchtung bei dem Paar
ablehnen.
Das Problem liegt hierbei in der Analogie des verwendeten Arguments zur
Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Inanspruchnahme fortpflanzungsmedizinischer Massnahmen gleichermassen wie bei einem bereits geborenen Kind
bei der Adoption. Werden einem Paar fortpflanzungsmedizinische Massnahmen
verweigert, wird ein bestimmtes Kind schlicht nicht geboren. Man vergleicht dabei
also Existenz mit Nicht-Existenz. Nimmt man hierbei das Argument des Kindeswohls
als Begründung, heisst dies im logischen Schluss, dass man annimmt, dass es
besser für ein bestimmtes zukünftiges Kind wäre, überhaupt nicht zu existieren als zu
existieren. Denn ersteres ist die Folge eines Verbots der Fortpflanzungsmedizin für
bestimmte Paare.
Hierbei bleibt selbst unter den Kautelen einer Konkurrenz um allgemeine
Ressourcenverteilung im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin (die im Wesentlichen in
der Schweiz ausser um die Behandlungszeit/Teamressourcen nicht besteht, da diese
Massnahmen nicht bezahlt werden) das Problem bestehen: das Kind wird schlicht
nicht geboren- ein anderes von einem anderen Paar würde geboren. Das Kindeswohl
müsste, will man das Argument in diesem Sinne verwenden, dann nicht individuell
(wie es in der Regel gemeint ist) sondern im Aggregat im Sinne einer utilitaristischen
Nutzenrechnung beurteilt werden – den geborenen Kindern der Paare a-c geht es im
Kollektiv besser als den Kindern der Paare d-f. Ob aber die Kinder der Paare d-f
selbst der Auffassung wären, es sei besser, sie wären nicht geboren ist aus der
individuellen Rechtsperspektive ein nicht nachvollziehbarer Schluss.
Die Beurteilung der Lebensqualität und des Lebenssinns eines Dritten zu beurteilen
ist bekanntermassen sehr schwierig. Nun gibt es durchaus (wenige) Lebenszustände
von geborenen Kindern, die es erlauben würden, zu behaupten, dass es besser
gewesen wäre, dass dieses Kind niemals geboren worden wäre, beispielsweise bei
einem Kind, welches sehr kurz lebt mit einer Erkrankung, die so schwere Symptome
verursacht, dass das Kind unter permanenten Schmerzen leidet.
Es ist möglich, in vorsichtiger Weise zu argumentieren, auch weniger schwere
Erkrankungen oder sehr desolate soziale Lebensumstände mit einem hohen
Potential an Gewalterfahrungen für das Kind könnten es rechtfertigen, ein Paar von
der Inanspruchnahme fortpflanzungsmedizinischer Massnahmen auszuschliessen.
Hierbei muss man sich jedoch zum einen des oben beschriebenen „Non-Identity“ –
Non Existence Problems bewusst sein (– der Tatsache, dass es im Rahmen der
Fortpflanzungsmedizin schwierig ist mit dem Kindeswohl des zukünftigen Kindes zu
argumentieren, da man Existenz mit Nicht-Existenz vergleicht) und sich zum anderen
fragen, ob dieser Entscheid keinen ungerechtfertigten, diskriminatorischen Akt
darstellt. Niemand darf aufgrund seiner Rasse, seines Geschlechts, seiner Ethnie,
4
seines sozialen Status oder seiner sexuellen Orientierung diskriminiert, d.h.
ungerechtfertigt ungleich behandelt werden. Anders als bei der Adoption kann sich
beim Ausschluss von Menschen zu fortpflanzungsmedizinischen Methoden die Frage
nach dem Kindeswohls nur so stellen, dass ein Ausschluss dann gerechtfertigt ist,
wenn ein ernsthaftes Risiko einer schweren Schädigung des Kindes besteht. Wie
auch G. Pennings (2010)2 argumentiert, sind wir in der öffentlichen Diskussion –zurecht – empört, wenn Menschen aus „eugenischen“ Gründen – aufgrund beispielsweise ihrer Ethnie – von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden. Bei der
sexuellen Orientierung steht ein solcher Ausschluss jedoch – säkular rechtfertigend
nur möglich als gründend auf dem Kindeswohl – im Partnerschaftsgesetz. Die Frage
hierbei muss sich daher stellen: Rechtfertigen die empirischen Befunde – aufgrund
der obigen Argumentation – einen generellen Ausschluss homosexueller Paare von
fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen? Ist es beispielsweise besser, dass
Kinder lesbischer Mütter unter Verwendung eines bekannten oder anonymen
Samenspenders nicht geboren werden als geboren zu werden? Falls nein, was
können dann rechtfertigende Gründe sein?
Recht des Kindes auf einen Vater /eine Mutter bzw. eine „biologisch-soziale
Kernfamilie“
Die Debatte um das Kindeswohl hat zwei Facetten bzw. gründet auf zwei ethischen
Argumentationssträngen, die im Kanon ethischer Theorien klassischerweise
entgegengesetzt sind: einem an Rechten orientierten (deontologischen) Argument
und einem folgenorientierten (konsequentialistischen) Argument.
Man kann – unabhängig von dem empirischen Outcome („Sind Kinder weniger
glücklich, wenn sie bei homosexuell orientierten Eltern aufwachsen“?) – ins Feld
führen, dass es aus Sicht des Kindes ein Recht auf einen Vater und eine Mutter gibt,
ein Recht, mit denjenigen aufzuwachsen, die biologisch Mutter und Vater des Kindes
sind – oder dass es ein Recht gibt, seine biologische Herkunft zu kennen.
Diese Rechte generell durchzusetzen ist schwierig. Es gibt viele Kinder, die nicht bei
ihren biologischen Eltern aufwachsen oder die diese nicht kennen. Vor einigen
Jahrzehnten wurde sogar die anonyme Adoption von Kindern sozial schlecht
gestellter, junger Mütter (in der Schweiz besonders unrühmlich das Kapitel der
Wegnahme von Kindern aus jenischen Familien) als besser für das Kind angesehen
und staatlich unterstützt. Auch wurde früher im Rahmen der heterologen
Insemination (Samenspende eines Dritten bei Ehepaaren, die nicht selbst zeugungs/empfängnisfähig waren) geraten, dass der Samenspender anonym bleiben sollte.
Mittlerweile hat sich diese Politik geändert; das Recht der Kinder aus Adoptionen und
derjenigen, die mit Hilfe eines Samenspenders gezeugt wurden, ihre biologischen
Eltern zu kennen, sind international gestärkt worden. Im Rahmen der heterologen
Insemination wird von den Samenbanken in aller Regel eine anonyme Spende nicht
mehr zugelassen. In den Ländern, die die Samenspende nicht nur bei heterosexuellen (Ehe)-paaren, sondern auch bei allein stehenden oder lesbischen Frauen
offiziell zulassen, zeigt die Empirie, dass lesbische Paare eher offener mit der
2
G Pennings (2010): Gleichgeschlechtliche Elternschaft und das Recht auf Familiengründung. In: Funcke, D,
Thorn P (Hrsg): Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen
Lebensform. S. 225-249.
5
Herkunft des Kindes umgehen als heterosexuelle Paare. 3 Zunehmend mehr Kinder
wachsen auch in „Regenbogenfamilien“ auf, in welchen der biologische Vater eine
mehr oder weniger in die Erziehung eingebundene Rolle spielt.
Die Konstellation der Samenspende und die Berücksichtigung des Rechts des
Kindes auf das Wissen um seine biologische Herkunft bei lesbischen Paaren sind
demnach ebenso möglich wie bei heterosexuellen Paaren und allein erziehenden
Frauen. Das „Recht auf einen Vater“ als Grund lesbischen Paaren oder allein
erziehenden Frauen die Inanspruchnahme heterologer Insemination zu verweigern
wurde aufgrund dieser Argumentationen auch in England nach Jahren der Debatte
aus der Gesetzgebung und den Regularien gestrichen.
Bei homosexuellen Männern, die nicht adoptieren, sondern sich selbst fortpflanzen
wollen, ist die Situation etwas anders. Hier muss bei einer primären und vollständigen
Erziehungs- und Verantwortungsübernahme des Kindes in die homosexuelle
Partnerschaft diejenige Frau, die ein Kind ausgetragen hat, auf diese Rechte und
Pflichten verzichten –im Sinne einer Leihmutterschaft. Dies ist zwar prinzipiell
möglich, wird jedoch auch im Rahmen der meisten ethischen Argumentationen und
Theorien und auch in der Gemeinde homosexueller Paare problematisiert. Gelebt
wird daher häufiger eine „Regenbogenkonstellation“, in der sowohl die biologische
Mutter als auch beide Väter eine Erziehungsverantwortung übernehmen, und dies
durchaus in verantwortungsvoller Weise.
Der Argumentation des Rechts auf Vater und Mutter in dem Sinne, dass das
Kindeswohl gefährdet ist, wenn dieses nicht in einer heterosexuell orientierten Klein/Kernfamilie aufwächst, wird jedoch auch dann verwendet, wenn Vorstellungen einer
natürlichen oder gottgegebenen Familienordnung verteidigt werden. Dieses
Argument muss sich nicht nur den faktischen Gegebenheiten stellen, die zeigen,
dass die bürgerliche Kleinfamilie eher eine kurze historische und lokal eine primär auf
Westeuropa begrenzte Form des Zusammenlebens und Aufwachsens von Kindern
ist. Sie unterliegt – normativ gewendet –auch den Problemen der oben dargestellten
intersubjektiv zu verteidigenden Gültigkeit einer Freiheitsbeschränkung und der
Prüfung des naturalistischen Fehlschlusses.
Kindeswohl und Empirie
Die bis dato existierenden empirischen Befunde im Sinne des Nachweises der
Schlagkräftigkeit folgenorientierter Argumente4 sprechen insgesamt dafür, dass die
Kinder gleichgeschlechtlicher Paare ebenso zufrieden aufwachsen wie diejenigen
Kinder heterosexuell orientierter Paare. Es gibt einige Befunde zu Differenzen; – es
wäre m. E. aus soziologischer Perspektive gar verwunderlich, wenn es keine gäbe.
Diese weisen aber nicht in die Richtung, dass diese insgesamt für eine Schlechterstellung des Kindes in homosexuellen Familien sprechen. So gibt es Daten, dass es
in mancher Hinsicht von Vorteil ist, dass Kinder sowohl männliche wie weibliche enge
Bezugspersonen haben. Jedoch scheinen dies nicht allein die Eltern sein zu müssen,
3
Vgl. als Übersicht zu zugelassenen Möglichkeiten und zum „Recht des Kindes auf einen Vater“: E. Blyth
(2010): Die Notwendigkeit eines Vaters für das Kind“ und der Zugang lesbischer Frauen zur Reproduktionsmedizin. In: Funcke , Thorn S. 195-224..
4
Vgl. die Übersichten in verschiedenen Artikeln in dem bereits zitierten Werk von Funcke und Thorn sowie die
Diskussion der Befunde durch G. Pennings und E. Blyth in diesem Band
6
wie auch die Familienforschung zu Kindern allein erziehender Mütter und Väter zeigt.
Gewalterfahrungen bei Kindern von lesbischen Paaren scheinen seltener zu sein als
bei heterosexuellen Paaren. Die Geschlechtsrollenorientierung scheint nicht anders
zu sein – der Anteil der Kinder, die wie ihre Eltern homosexuelle Orientierungen
entwickeln, scheint nicht grösser zu sein als bei heterosexuellen Paaren. Zu fragen
wäre dabei jedoch, ob dieser Befund – gesetzt den Fall es gäbe wie menschenrechtlich gefordert tatsächlich keine Diskriminierung – überhaupt als Vorteil oder
Nachteil zu werten wäre.
Nachgewiesen ist jedoch, dass der soziale Status sowie auch vorherige Missbrauchserfahrung der Eltern einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Gewalterfahrungen zukünftiger Kinder haben. Nachgewiesen ist auch, dass die Mehrlingsquote bei IVF Behandlungen in den Ländern wie Deutschland oder Schweiz, die
keine Blastozystenkultivierung mit Single Embryo Transfer zulassen, deutlich erhöht
ist, verbunden mit ernsthaften Kindeswohlgefährdungen und Gefährdung der
Schwangeren und Gebärenden. 5
In fundierter ethischer Argumentation6, die sorgfältig darauf achten muss, dass
gleiche Situationen und Argumente mit Gleichem verglichen werden müssen,
weltanschauliche Fundamente nicht unzulässig aber als solche gekennzeichnet und
logische Fehlschlüsse und Diskriminierungen vermieden werden müssen, ist es nicht
unzulässig oder provokativ zu fragen, warum wir – mit dem Argument des Kindeswohls, wie wir dies bei homosexuellen Paaren diskutieren, die Fortpflanzung von
Menschen, die Missbrauchserfahrungen gemacht haben, sehr armen Familien und
fortpflanzungsmedizinische Praktiken, die erhöhte Mehrlingsquoten aufweisen, nicht
verbieten und – gesetzt der Befund der niedrigeren Gewalterfahrungen von Kindern
lesbischer Paare ist stabil – diese nicht gegenüber heterosexuellen Paaren
bevorzugen. Dass wir dies nicht tun, liegt daran, dass wir den Ausschluss von sehr
armen Familien und Menschen, die selber einen Missbrauch erlitten haben, als
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung empfinden würden – selbst wenn das zentrale
Argument des Kindeswohls hier zumindest empirisch mehr in Anschlag gebracht
werden könnte als bei homosexuellen Paaren. Auch scheinen wir medizinische, von
Ärzten mitverantwortete Risiken eher zu tolerieren als psychosoziale Risiken der
Paare selbst. Diese Ungleichbehandlung scheint damit nicht in den tatsächlichen
Risken oder Kindswohlgefährdungen, in ethisch nachvollziehbar gerechtfertigten
Gründen zu liegen, sondern in religiös und weltanschaulich fundierten Emotionen und
Intuitionen, die aber in der Debatte nicht in Anschlag gebracht werden könnten. Wir
können zwar sagen „für mich ist die Vorstellung des homosexuellen Geschlechtsverkehrs einfach abscheulich, daher sollten Kinder bei Menschen, die so etwas tun,
nicht aufwachsen“. Dies kann aber kein Argument in der öffentlichen Debatte sein, da
dieses von Menschen mit homosexuellen Orientierungen in nachvollziehbarer Weise
nicht als intersubjektiv geltendes Argument anerkannt werden kann.
Der Gesetzgeber ist nicht nur dem Volk, sondern auch den allgemeinen Menschenrechten verpflichtet und hat daher darauf zu achten, dass ungerechtfertige Ungleichbehandlungen, diskriminierende Praktiken – hier gegenüber homosexuell orientierten
Bürgern des Schweizer Staates als solche benannt – unterbunden statt fortgeführt
5
6
Pennings, (2010), S. 240ff
vgl dazu Pennings, S. 231ff.
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werden. Für den generellen Ausschluss homosexueller Paare von der Stiefkindadoption, Adoption und der Fortpflanzungsmedizin können meines Erachtens keine
ethisch intersubjektiv nachvollziehbaren Gründe genannt werden. Dieses Verbot ist
gegen das Kindeswohl bereits in homosexuellen Partnerschaften lebender Kinder
gerichtet, behindert ein erfülltes Leben derjenigen homosexuell orientierten Paare mit
Kinderwunsch, benachteiligt Kinder im Adoptionsprozess, die (gemäss der Empirie)
in manchen Fällen bei sozial gut gestellten und eingebundenen homosexuellen
Paaren besser aufwachsen würden als bei „konkurrierenden“ heterosexuellen Paaren
und verhindert die Geburt von Kindern, die ein sinnhaftes erfülltes Leben vor sich
hätten.
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