Naturschutz – ein aktuelles Themen-und Aktionsfeld der rechtsradikalen Szene Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten Tagung vom 25. bis 28. November 2013 - Internationale Naturschutzakademie Insel Vilm Naturschutz und Menschenbild: Anmerkungen aus ethischer Perspektive* von Klaus-Dieter Kaiser Akademie der Nordkirche 1. Ethik zwischen Urteilen und Handeln in einer komplexen globalisierten Welt Was ist richtiges, was ist gutes Handeln?“1 fragt der ehemalige Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBBO) und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Mitglied des Deutschen Ethikrats Prof. Dr. Wolfgang Huber im Einführungskapitel seines neuesten Buches „Ethik – Die Grundfragen unseres Lebens“. In der Beantwortung dieser Frage nach Kriterien eines ethischen Urteilens hält Huber ein Dreifaches fest, welches auch für unser Themenfeld von Relevanz ist. Erstens leben wir in einer komplexen und pluralistischen Welt. Dieser Pluralismus unserer Gesellschaft ist zu bejahen und verlangt nach Gestaltung und in der ethischen Urteilsfindung nach einer Komplexitätsreduzierung, ohne zu vereinfachen und erst recht ohne in ein dualistisches Weltbild, einem Freund-Feind-Schema (vgl. Carl Schmitt2) zu verfallen. Zweitens hält Huber an dem christlichen Freiheitsverständnis fest, wie Luther in seiner entscheidenden Freiheitsschrift von 1520 beschreibt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“3 Statt Christenmensch kann man auch ganz allgemein Mensch sagen, um die anthropologische Grundaussage der Freiheit zu umschreiben. Drittens folgt daraus eine Ethik des verantwortlichen Lebens. Entscheidend sind dabei nicht lehramtliche Überzeugungen und Äußerungen, sondern die gemeinsame Urteilsbildung, also der Streit in der offenen Gesellschaft und eine sich daraus ergebende Verantwortungsethik. Wie kann nun aber unter den Bedingungen einer globalen Welt, in einer komplexen, weltweit vernetzten Gesellschaft, Sozialethik konkrete Gestalt gewinnen. Mein Kollege als Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen und Professor für Sozialethik an der Friedrich-SchillerUniversität Jena, Prof. Dr. Michael Haspel, beschreibt diese Trias in seiner Sozialethik in der globalisierten Gesellschaft mit folgenden Worten: Im Weltverhältnis (Plural und Komplex) geht es um Gerechtigkeit. Ich würde ergänzen auch um Fragen des Rechts, der Rechtssicherheit. * 1 2 3 Kurzreferat auf der Tagung der Evangelischen Akademie der Nordkirche „Naturschutz – ein aktuelles Themen- und Aktionsfeld der rechtsradikalen Szene. Gegenwärtige Entwicklungen, Probleme, Abgrenzungen und Steuerungsmöglichkeiten“ am 27. November 2013 auf Vilm HUBER, Wolfgang: Ethik – Die Grundfragen unseres Lebens. Von der Geburt bis zum Tod, München, 2013, S. 17 SCHMITT, Carl: Der Begriff des Politischen (1932), Berlin, 1991 LUTHER, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), in: ders.: Ausgewählte Werke (Münchner Ausgabe), Band 2, München 1938, S. 319 Im Blick auf das Zusammenleben mit anderen, mit den Nahen und Fernen, geht es um die Gestaltung der Freiheit in der Gesellschaft und um Nächstenliebe (und Fernstenliebe). Und im Blick auf unser gesamtes Leben, unsere Entscheidungen und unser Handeln, auch wenn wir anderen etwas schuldig bleiben und in ethischen Dilemmas eine Entscheidung treffen müssen, geht es um Rechtfertigung. Im Blick auf die Begründung unseres Handelns sowohl gegenüber uns selbst, gegenüber anderen Menschen und gegenüber der Natur sind deshalb die folgenden Abgrenzungen vorzunehmen. Wir handeln ethisch, also: vs. das absolute Durchsetzen von Eigeninteressen, vs. eine sich absolut setzenden guten Gesinnung (Unterscheidung zwischen Gesinnungsund Verantwortungsethik; vgl. Max Weber), vs. ideologischer Vorgaben (das Verstecken hinter anderen). Daraus folgt als Leitlinien einer ethischen Urteilsbildung: Verantwortung Freiheit Folgeabschätzung im Handeln Dies geht aber nur unter zwei Einschränkungen bzw. Präzisierungen: Vorausgesetzt wird die Personalität des handelnden Subjektes und Verantwortung kann nur in den Grenzen wahrgenommen werden, die zu überblicken sind. 2. Notwendige Unterscheidungsleistungen als Voraussetzungen der ethischen Urteilsbildung 2.1. Die Unterscheidung von Natur und Mensch Nach der biblischen Schöpfungserzählungen ist der Mensch Teil der Schöpfung und zugleich etwas Besonderes. Er ist zur Unterscheidung von Gut und Böse befähigt und genötigt und somit zur Verantwortung befreit. Der Natur selbst wird keine ethische Urteilskraft zugesprochen. Biologische Sachverhalte lassen sich also nicht einfach auf den Menschen übertragen, einem biologistischen Menschenbild wird somit eine klare Absage erteilt. Der vor zwei Jahren erschienene Roman DER HALS DER GIRAFFE von Judith Schalansky4 behandelt anhand der Zerrissenheit einer Biologielehrerin in einer vorpommerschen Kleinstadt dieses Problem. Im Buch, das Schalansky ganz bewusst in der ganzen Spannbreite des Wortes als „Bildungsroman“ bezeichnet, zeigt sie an einer ostdeutsch geprägten Lehrerin die tragischen Konsequenzen eines solchen letztlich mechanistischen Weltbildes. Zugleich können wir nur anthropomorph von der Natur reden, müssen diesen Sachverhalt aber immer kritisch reflektieren und so vor einfachen Übertragungen schützen. Hinzu komtt, dass Natur dabei immer kulturell geprägt ist. Die Vorstellung einer „reinen“ Natur ist problematisch. Alles menschliche Reden über Natur muss also die jeweiligen kulturellen Voraussetzungen (Zeitgeist und Erkenntnisse) bedenken. 4 SCHALANSKY, Judith: Der Hals der Giraffe. Bildungsroman, Berlin, 2011 2 2.2. Die Unterscheidung von Paradies und Welt Natur als Paradies gibt es nur noch als Sehnsuchtsort, aber nicht in dieser, unseren Welt. Einen paradiesischen Urzustand kann der Mensch nicht wieder herstellen. Tut er es dennoch, wird die Utopie zum Totalitarismus. Stattdessen ist mit Fehlbarkeit des Menschen in der Welt zu rechnen, d.h., wir brauchen einen fehlerfreundlichen Umgang mit der Natur. Deshalb sind allgemeine Reinheitsvorstellungen gefährlich. Die Welt, die Natur, die Menschen und der einzelne Mensch ist zu komplex – und Reinheit hat immer einen Hang zum totalitären Denken und Handeln. 2.3. Die Unterscheidung von Person und Werk Streitkultur, gerade auch aus christlicher Perspektive, verlangt Positionierung. Klarheit in der Aussage und Offenheit im Diskurs sind dabei keine Gegensätze. Beides brauchen wir in einer Demokratie. Der Rechtsstaat mit seinen Sanktionsmöglichkeiten ist genauso gefordert wie die unterschiedlichen Akteure der Zivilgesellschaft, die einen Diskursraum eröffnen. Aber auch präzise Positionen sind nötig. Klarheit ist dann von uns verlangt, wenn die Würde des Menschen zur Disposition gestellt wird, indem Menschen nach ihrer Herkunft eingeteilt werden, die Verbrechen des Nationalsozialismus gegenüber den jüdischen Menschen geleugnet werden, wenn Fremde stigmatisiert und statt Integration Assimilation verlangt wird, dann ist unser Einspruch gefragt: Eine klare Abgrenzung gegen alles, was die Würde des Menschen aushöhlt, ist notwendig. Als Christen und als Kirche mischen wir uns ein und gestalten das Zusammenleben der Menschen in unseren Städten und Dörfern mit. Nicht die abwägende Konsensfindung politischer Prozesse ist also hier angebracht, sondern die Klarheit christlicher Positionierung, wenn es um die Würde des Menschen geht; diese ist nicht verhandelbar. In der Handreichung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs zu Demokratie und Rechtsextremismus „Wir stehen in der Verantwortung“ schreibt Elisabeth Siebert: „Ihre Grenzen erreicht die Meinungsfreiheit aber zwingend dann, wenn sie missbraucht wird, um Menschenverachtung zu propagieren und die Würde und fundamentalen Lebensrechte Anderer negiert oder verletzt werden.“5 Dennoch bleibt ein Dilemma: Die Spannung zwischen Klarheit in der Ablehnung menschenverachtender Positionen einerseits und der vorbehaltlosen Annahme des konkreten Menschen andererseits. Es geht um die Abwehr menschenverachtender Positionen, nicht um das Stigmatisieren von Menschen. Es geht auch darum, die einzelne Person und ihre Werke zu unterscheiden. Die theologische, biblisch fundierte, Rechtfertigungslehre kann uns in dieser problematischen Spannung zwischen Klarheit in der Sache und Offenheit gegenüber Personen helfen, den richtigen Weg zu finden. Denn im Blick auf den konkreten Menschen, haben wir „den unbedingten Vorrang der Person vor ihren Werken nicht nur in geistlicher, sondern in jeder Hinsicht zu bejahen und zur Geltung zu bringen.“6 Eine solche Beziehung zu Menschen, die schuldig geworden sind, ermöglicht aber, und das ist die zweite Pointe der Rechtfertigungslehre, dass sie die Schuld nicht mehr bei anderen suchen müssen und diese zu Opfern ihres eigenen Versagens machen. Damit wird aber auch die Störung und Zerstörung 5 6 SIEBERT, Elisabeth: Rechtsextremismus – eine Meinung wie jede andere?, in: Wir stehen in der Verantwortung. Eine Handreichung zu Demokratie und Rechtsextremismus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs (Hrsg. vom Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs), Schwerin, 2009, S. 23 JÜNGEL, Eberhard: Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen, 1999, S. 227 (kursiv im Original) 3 der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse aufgehoben.7 Rechtfertigung ist damit aber auch Offenbarung, also das Offenlegen von Schuld, das Offenlegen der Lüge8 im Leben des einzelnen Menschen. So wird das Wahrnehmen von Verantwortung ermöglicht. Im Lichte dieser Freiheit und dieses Vertrauens schließen sich Klarheit als Unabhängigkeit von den Mächten und Meinungen der Menschen gegenüber ihrem Handeln und Reden einerseits und andererseits dem absoluten Respektieren der Unverletzlichkeit der Würde eines jeden Menschen nicht mehr aus, sondern sind zwei Seiten derselben Medaille. 2.4. Ein vorläufiges Fazit: Pluralismus vs. Ausgrenzung Nach dem biblischen Zeugnis haben wir als Menschen alle die gleiche Würde. Da gibt es, so erzählen es die Geschichten und Lieder von der Schöpfung des Menschen nur den Menschen als Ebenbild Gottes, egal, ob schwarz oder weiß, ob klein oder groß, ob Christ oder Atheist, ob Jude oder Moslem. „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott.“ [3.Mose 19,33-34] heißt es in der Bibel. Dabei geht es um ein Recht, nicht um ein gnädiges Gewähren, wenn es uns nützt oder wenigstens nicht schadet. Es geht um das Prinzipielle, also das Grundsätzliche und um den Anfang allen Zusammenlebens. An anderer Stelle heißt es: „Für die ganze Gemeinde gelte nur eine Satzung, für euch wie auch für die Fremdlinge. Eine ewige Satzung soll das sein für eure Nachkommen, das vor dem HERRN der Fremdling sei wie ihr. Einerlei Gesetz, einerlei Recht soll gelten für euch und für den Fremdling, der bei euch wohnt.“ [4.Mose 15,15-16] Das bedeutet, es geht um Rechtssetzungen, die nicht zur Disposition gestellt werden dürfen. Ethische Entscheidungen führen so in aller Konsequenz auch zu formalem Recht. Und es geht um das ganz praktische Leben, um den Alltag, das Wirtschaften und das politische Zusammenleben. „Und ihr sollt dies Land austeilen unter die Stämme Israels, und wenn ihr das Los werft, um das Land unter euch zu teilen, so sollt ihr die Fremdlinge, die bei euch wohnen und Kinder unter euch zeugen, halten wie die Einheimischen unter den Israeliten; mit euch sollen sie ihren Erbbesitz erhalten unter den Stämmen Israels, und ihr sollt auch ihnen ihren Anteil am Lande geben, jedem bei dem Stamm, bei dem er wohnt, spricht Gott der HERR.“ [Hes 47,20-23] Das Recht des „Fremden“ ist ein Recht, das um aller Menschen willen unter keinen Umständen infrage gestellt werden darf. Es gibt keine Situation im Leben der Menschen und in der Gesellschaft, die dieses Recht eingrenzen darf. Keine Mehrheitsentscheidung, keine partikularen Interessen, keine noch so schwierige soziale Lage dürfen dieses Recht des Fremden außer Kraft setzen. Sonst verlieren wir unsere Humanität. Am Recht des Fremden, an unserer Praxis, misst sich unsere Menschlichkeit. 7 8 Vgl. JÜNGEL, aaO. (Anm. 6), S. 95 Zur Lüge als Urgestalt der Sünde vgl. ebenfalls: JÜNGEL, aaO. (Anm. 6), S. 91 4 3. Folgen dieser ethischen Überlegungen für die Praxis Recht und Gerechtigkeit im Zusammenleben der Menschen und des Menschen mit der Natur sind leitend und entscheidend; nicht die guten Gefühle des Einzelnen. Es geht um Verantwortungsethik. Oder, biblisch gesprochen: Am Ende steht Jesu Frage: Was hast du getan? und nicht, wie hast du dich gefühlt. Nächstenliebe und Naturschutz sind immer konkret. Dazu gehört in den komplexen Herausforderungen eine verantwortete Folgeabschätzung des Handelns des Menschen. Dabei gilt es die Kontextualisierung der universalistisch geltenden Verantwortung zu beachten. Dies bedeutet: es braucht einen Kommunikationsraum, der eröffnet und gestaltet werden muss, um die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen zur Sprache zu bringen und in einen Diskurs zu überführen, der dann Entscheidungen ermöglicht. In diesem Sinn ist eine Komplexitätsreduzierung und gelebte Praxis und erfüllbare (begrenzte) Verantwortungsethik notwendig: nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Kontextualisierung bei bleibender Universalität der ethischen Kriterien. Diese Aushandlungsprozesse sind nie abgeschlossen. Sie sind immer wieder (neu) zu führen, aber um der Praxis willen, müssen sie in – vorläufige und dennoch verbindliche – Entscheidungen münden. Dies ist der Preis einer offenen Gesellschaft, den zu zahlen es sich aber lohnt. 5