Pablo Heras-Casado - Die Münchner Philharmoniker

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Pablo Heras-Casado
Christian Tetzlaff | Genia Kühmeier
Freitag, 21. November 2014, 10 Uhr
Freitag, 21. November 2014, 20 Uhr
Samstag, 22. November 2014, 19 Uhr
Sonntag, 23. November 2014, 11 Uhr
Wir bewegen uns
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„Pariser Symphonie“ D-Dur K V 297 (300a)
1. Allegro assai | 2. Andante | 3. Allegro
Felix Mendelssohn Bartholdy
Konzer t für Violine und Orchester e-Moll op. 64
1. Allegro molto appassionato | 2. Andante
3. Allegretto non troppo – Allegro molto vivace
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 4 in vier Sätzen für großes Orchester und Sopransolo
1. Bedächtig. Nicht eilen | 2. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast
3. Ruhevoll. Poco adagio | 4. Sehr behaglich
3. und letzte Fassung
Pablo Heras-Casado, Dirigent
Christian Tetzlaff, Violine
Genia Kühmeier, Sopran
Freitag, 21. November 2014, 10 Uhr
2. Öf fentliche Generalprobe
Freitag, 21. November 2014, 20 Uhr
1. Abonnementkonzer t k5
Samstag, 22. November 2014, 19 Uhr
2. Abonnementkonzer t g5
Sonntag, 23. November 2014, 11 Uhr
2. Abonnementkonzer t m
Spielzeit 2014/2015
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
2
Wolfgang Amadé Mozart: „Pariser Symphonie“ D-Dur
„Alle Zuhörer wurden davon hingerissen“
Wolfgang Stähr
Wolfgang Amadé Mozart
Lebensdaten des Komponisten
(1756–1791)
Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg; gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.
„Pariser Symphonie“ D-Dur KV 297 (300a)
1. Allegro assai
2. Andante
3. Allegro
Entstehung
Mozart komponierte die D-Dur-Symphonie KV
297 (300a), im Original „Sinfonia à 10 instrumenti“ betitelt, im Frühsommer 1778 in und für
Paris, und zwar als Auftragswerk des „Concert
spirituel“, einer der zentralen Institutionen im
Musikleben der französischen Hauptstadt. Auf
Drängen seines Direktors Joseph Legros schrieb
Mozart für eine weitere Aufführung der dreisätzigen Symphonie ein neues „Andante“ – es
sind daher zwei zweite Sätze zu KV 297 überliefert, der ursprüngliche und der nachkomponierte. Die Münchner Philharmoniker werden
den früheren der beiden Sätze musizieren, also
entstehungsgeschichtlich die Urfassung der
„Pariser Symphonie“.
Uraufführung
Am Fronleichnamstag, dem 18. Juni 1778, in P­ aris
in der „Salle des Cent-Suisses“ des Palais des
Tuileries (Orchester des „Concert spirituel“ ­u nter
Leitung von Pierre Lahoussaye, der gleichzeitig
als Konzertmeister der ersten Geigen ­f ungierte).
Die Zweitfassung mit dem neuen „Andante“
wurde noch im selben Sommer am 15. August
erstmals gespielt.
Wolfgang Amadé Mozart: „Pariser Symphonie“ D-Dur
Der Traum von der Selbstständigkeit
Paris sei „itzt der sicherste Orth, theils Geld zu
machen, theils ohne forcht des Krieges zu l­ eben“,
schrieb Leopold Mozart am 20. April 1778 an
Frau und Sohn, die einen Monat zuvor in der
Seine-Metropole eingetroffen waren. Am 24.
März hatte Anna Maria Mozart ihrem in Salzburg ausharrenden Mann die Widrigkeiten der
Fahrt geschildert: „Die 2 lesten täge aber hat
uns der wind fast ersticket, und der Regen ersäuffet, das wür beyde in wagen waschnass
sein worden, und schür nicht mehr schnaufen
gekönt.“ Im Vollgefühl der eigenen Freiheit und
Unabhängigkeit, den Salzburger Pflichten und
der väterlichen Autorität entronnen, hatte Wolfgang Amadé Mozart diese Reise angetreten.
Die Pariser Monate aber, vom März bis zum
September 1778, in denen sich alle Hoffnungen
auf eine prestigeträchtige und einträgliche Stellung und auf bedeutende Kompositionsaufträge
zerschlagen sollten, führten ihm deprimierend
vor Augen, dass auch fern von Salzburg der
Traum von der Selbstständigkeit nur eine I­ llusion
war.
„Bis in die Generation Mozarts hinein mußte ein
Musiker, der sozial als ernstzunehmender Künstler
anerkannt und zugleich in der Lage sein ­wollte, sich
und seine Familie zu ernähren, eine ­Position innerhalb des Netzwerks der höfisch-aristokratischen
Institutionen und ihrer Ableger finden“, betont
der Soziologe Norbert Elias. „Er hatte keine andere Wahl. Wenn er die Berufung zu hervorragenden Leistungen [...] in sich fühlte, war es so
gut wie selbstverständlich, daß er sein Ziel nur
3
auf dem Weg über eine feste Anstellung bei
einem Hof, vorzugsweise bei einem prächtigen
und reichen Hof, erreichen konnte.“ Gerade der
finanzielle Druck setzte Mozart in Paris unter
Erfolgszwang. In einem seiner zahllosen drängenden, fordernden, ermahnenden, beschwörenden Briefe versucht Leopold Mozart seinem
Sohn den verhängnisvollen Ernst der Lage einzuschärfen: „Könntest du [...] von einem Prinzen
in Paris einen monatl: Gehalt bekommen, – dann
nebenbey fürs Theater, fürs ­C oncert Spirituel
und fürs Concert des amateurs zu z­ eiten etwas
arbeiten, – und dann einige mahl par subscription etwas gravieren lassen [...], so würden wir
gewiß recht gut zu leben haben.“ Und Leopold
wird, im selben Brief vom 6. April, noch sehr
viel deutlicher: „Du weist, daß die Ehre mir mehr
als mein leben gilt. – überlege den ganzen hergang der Sache – denke, daß ich bis itzt tiefer
in schulden gerathen; da ich durch dich mich
herauszureissen gedachte. – du weist ich stehe hier bey iederman in Credit –, so bald ich
diesen verliere, ist auch meine Ehre hin: [...] Ich
würde in solchem falle des gähen Todes hinfallen.“ Die Antwort, die er von seinem Sohn empfing, musste ihn zutiefst beunruhigen.
Umgeben von „Viechern und
­Bestien“
„Es giebt ja kein ort in der welt wie Paris“, ließ
Mozart seinen Vater wissen, doch ein Kompliment verbarg sich nicht hinter diesem ­S uperlativ,
ganz im Gegenteil: „Wenn hier ein ort wäre, wo
die leüte ohren hätten, herz zum empfinden,
und nur ein wenig etwas von der Musique verstünden, und gusto hätten, so würde ich von
4
Wolfgang Amadé Mozart: „Pariser Symphonie“ D-Dur
herzen zu allen diesen sachen lachen, aber so
bin ich unter lauter vieher und bestien | was die
Musique anbelangt | wie kann es aber anderst
seyn, sie sind ja in allen ihren handlungen, lei­den­s chaften und Paßionen auch nichts a­ nders.“
Zuvor hatte er dem Vater von einem Besuch bei
der Dûchesse de Chabot erzählt, die ihn z­ unächst
eine halbe Stunde lang in einem eiskalten, ungeheizten Raum antichambrieren ließ, um ihn
dann zwar höflich, aber auch vollkommen gleichgültig zu empfangen und ihn, während sie sich
mußevoll zum Zeichnen niederließ, für eine weitere Stunde zu ignorieren. „Fenster und Thürn waren off. ich hatte nicht allein in händen, sonder[n]
in ganzen leib und füsse kalt; und der kopf fieng
mir auch gleich an wehe zu thun. da war also
altum silentium. und ich wuste nicht was ich so
lange für kälte, kopfweh, und lange­w eile anfangen sollte.“ Mozart begann schließlich mit
klammen Fingern auf einem verstimmten Klavier „für die sessel, tisch und mäüern“ zu spielen.
Diese demütigende Behandlung war symptomatisch für die vielen fruchtlosen Versuche,
die Mozart in Paris unternahm, um sich einflussreiche Kontakte zu verschaffen und notwendige
Verbindungen aufzubauen. „Sie schreiben mir
daß ich braf visiten machen werde, um bekandtschaften zu machen“, antwortete Mozart seinem
Vater nach Salzburg. „Daß ist aber nicht möglich.
zu fuß ist es überall zu weit – oder zu k­ othicht,
denn in Paris ist ein unbeschreiblicher dreck. in
wagen zu fahren – hat man die Ehre gleich des
tags 4 bis 5 livres zu verfahren, und umsonst.
denn die leüte machen halt Complimenten [...]
und hiemit addieu. [...] wer nicht hier ist, der
glaubt nicht wie fatal das es ist. überhaubt hat
sich Paris viell geändert.“ In dieser Äußerung
schwingt ein wehmütiger Rückblick auf den
Winter 1763/64 und den Sommer 1766 mit, als
Mozart in Paris noch von seinem WunderkindStatus profitieren konnte. Zwölf Jahre später
war die Erinnerung daran längst verblasst, das
Interesse an dem Salzburger Gast denkbar gering und die Aussicht auf einen Opernauftrag
angesichts des alles beherrschenden Richtungsstreits zwischen Gluckisten und Piccinisten
hoffnungslos. „Hinzu kam“, erläutert Norbert
Elias, „daß Mozart in seinem persönlichen Gebaren wenig von der gelassenen Eleganz, dem
Esprit, der Leichtigkeit etwas plänkelnder Wortgefechte besaß, mit der man in höfischen K­ reisen
sein Boot durch verborgene Klippen und ­U ntiefen
auf das erwünschte Ziel zusteuerte. Es ist schwer
zu entscheiden, ob er sich den höfischen Kanon
des Empfindens und Verhaltens [...] nicht zu
eigen machen wollte oder nicht zu eigen ­m achen
konnte.“ Im Mai 1778 glaubte Mozart noch, die
Stelle eines Hoforganisten in Versailles ausschlagen zu können. Ein Jahr später war er
dann doch Hoforganist – aber nicht am französischen Hof, sondern in Salzburg, wo er froh
sein musste, erneut in die Dienerschar des Erzbischofs Colloredo aufgenommen zu werden.
Die große Paris-Reise hatte sich also zu einem
Fiasko entwickelt...
Spiel mit dem Publikums­
geschmack
„Ich habe eine sinfonie, um das Concert s­ pirituel
zu eröfnen, machen müssen. an frohnleichnams=Tag
[18. Juni 1778] wurde sie mit allem aplauso auf-
5
Johann Nepomuk della Croce: Wolfgang Amadeus Mozart als Ritter vom Goldenen Sporn (1777)
6
Wolfgang Amadé Mozart: „Pariser Symphonie“ D-Dur
geführt“: Mit diesen Worten konnte Mozart am
3. Juli ausnahmsweise doch einmal eine erfreuliche Nachricht nach Salzburg vermelden. Das
Pariser „Concert spirituel“, 1725 gegründet und
zwischen 1777 und 1790 unter der Leitung des
gefeierten Gluck-Sängers Joseph Legros zu seiner Blütezeit geführt, war mit seinen öffentlich
zugänglichen Konzertveranstaltungen eine wegweisende Institution des bürgerlichen Musik­
lebens. Den Erfolg, den Mozart hier errang, die
euphorische Aufnahme seiner D-Dur-Symphonie
KV 297 (300a) durch das Pariser Publikum, hat
er mit Genugtuung, allerdings auch mit einem
gewissen Überlegenheitsgefühl zur Kenntnis
genommen: Denn die Hörer sprangen unweigerlich auf jene Effekte an, die Mozart im Wissen
um die herrschenden Vorlieben wohlkalkuliert
in das Werk eingebaut hatte: „Gleich mitten in
Ersten Allegro, war eine Pasage die ich wohl
wuste daß sie gefallen müste, alle zuhörer wurden davon hingerissen – und war ein grosses
applaudißement – weil ich aber wuste, wie ich
sie schriebe, was das für einen Effect machen
würde, so brachte ich sie auf die lezt noch einmahl an – da giengs nun Da Capo.“
Den „premier coup d’archet“, den Forte-Einsatz
des Orchestertutti, ohne den in Paris keine Symphonie beginnen durfte, hat Mozart selbst­
verständlich nicht ausgelassen. Nur im Finale
erlaubte er sich ein irreführendes Spiel mit dem
Auditorium: „Weil ich hörte daß hier alle lezte
Allegro wie die Ersten mit allen instrumenten
zugleich und meistens unisono anfangen, so
­f ieng ichs mit die 2 violin allein piano nur 8 tact
an – darauf kamm gleich ein forte – mit hin
machten die zuhörer, | wie ichs erwartete | beym
Piano sch – dann kamm gleich das forte – sie
das forte hören, und die hände zu klatschen
war eins – ich gieng also gleich für freüde nach
der Sinfonie ins Palais Royale – nahm ein guts
gefrornes.“ Lediglich das „Andante“ fand eine
wesentlich kühlere Aufnahme, weshalb Legros,
überaus hellhörig, wenn es um die Reaktionen
seiner Konzertbesucher ging, dem Salzburger
Gast die Komposition eines neuen Satzes nahe­
legte. Mozart ist – im Hinblick auf eine zweite
Aufführung seiner Symphonie am 15. August –
dieser Bitte nachgekommen, und da beide langsamen Sätze erhalten sind, verursacht jede Wieder­
gabe der „Pariser Symphonie“ die Qual der Wahl,
zumal die entstehungsgeschichtliche Reihenfolge – welches „Andante“ war das ursprüngliche, welches das nachträglich komponierte ?
– durchaus umstritten ist. In den Konzerten der
Münchner Philharmoniker wird jener 58 Takte
umfassende Satz im 3/4-Takt erklingen, der
nach neueren Erkenntnissen als der ältere der
beiden gelten muss.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll
7
„Brillant willst Du’s haben ?“
Nicole Restle
Felix Mendelssohn Bartholdy
Lebensdaten des Komponisten
(1809–1847)
Geboren am 3. Februar 1809 in Hamburg; gestorben am 4. November 1847 in Leipzig.
Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64
1. Allegro molto appassionato
2. Andante
3. Allegretto non troppo – Allegro molto vivace
Entstehung
Das von Anfang an für Mendelssohns Jugendfreund Ferdinand David (1810–1873), seit 1836
Konzertmeister im Leipziger Gewandhaus-­
Orchester, bestimmte e-Moll-Violinkonzert reicht
in den Skizzen bis ins Jahr 1838 zurück. Zu einer
Ausarbeitung kam es jedoch erst während ­eines
Sommeraufenthalts der Familie Mendelssohn
im Jahr 1844 in Bad Soden im Taunus, wo das
Partiturmanuskript am 16. September 1844 abgeschlossen wurde. In den folgenden Monaten
erfuhr das Konzert in enger Abstimmung mit
Ferdinand David noch einige Abänderungen und
Korrekturen, vor allem im Bereich des Soloparts.
Uraufführung
Am 13. März 1845 in Leipzig im Großen Gewandhaus-Saal (Gewandhaus-Orchester Leipzig unter
Leitung von Niels Wilhelm Gade; Solist: Ferdinand David).
8
Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll
Mit dem Geiger Ferdinand David verband Felix
Mendelssohn Bartholdy eine lebenslange, innige
Freundschaft. Beide aus wohlhabenden Hamburger Familien stammend, beide hochmusikalisch,
beide seit frühester Kindheit von ehrgeizigen
­Vätern gefördert, lernten sie sich 1825 in Berlin
kennen. Felix war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre
alt, Ferdinand ein Jahr jünger und machte gerade mit seiner Schwester Luise, einer hervorragenden Pianistin, seine erste Konzertreise
durch Deutschland. 1826, also bereits im folgenden Jahr, ­k ehrte der junge David in die preußische Hauptstadt ­z urück, weil er eine Anstellung am Königsstädter Theater bekommen hatte. Während seiner ­B erliner Zeit, die bis 1829
dauerte, wurden er und Felix die besten Freunde.
Als Mendelssohn 1835 den Posten eines Musikdirektors am Leipziger Gewand­h aus übernahm,
ergab es sich, dass die Konzert­m eisterstelle des
Gewandhaus-Orchesters neu zu besetzten war.
Natürlich kam nach Mendelssohns Auffassung
für diese Aufgabe nur einer in Frage: Ferdinand
David, der seelenverwandte Freund.
„Einig in der Kunst“
Die Zusammenarbeit gestaltete sich sehr glücklich. David unterstützte Mendelssohn bei dessen
vielfältigen Leipziger Aktivitäten, bei der Pflege
und Aufführung der Kompositionen Johann
­S ebastian Bachs, bei den so genannten „historischen“ Konzerten, in denen dem Publikum
Werke alter ­M eister nahe gebracht werden sollten, und nicht zuletzt auch bei der Gründung
des Leipziger Konservatoriums, an dem David
die Violinausbildung übernahm. Wie sehr Mendelssohn den Geiger schätzte, belegt ein Brief
vom Juni 1838: „Mündlich wird so etwas nie
gesagt: dass es doch nicht viel s­ olche Musiker
giebt, wie Du bist, und dass ich mir am Ende
doch keinen zweiten ausdenken könnte, mit
dem ich so einig wäre in der Kunst ! Ich möchte Dir wohl auch ein Violinkonzert machen für
nächsten Winter; eins in e-Moll steckt mir im
Kopfe, dessen Anfang mir keine Ruhe lässt.“
Langwieriger Entstehungsprozess
Von der Idee bis zur Fertigstellung des Violin­
konzerts sollten allerdings sechs Jahre vergehen. In dieser Zeit tauschen sich die beiden oftmals brieflich über das Werk aus. Im Juli 1839
– der „nächste Winter“ ist längst vergangen
– schreibt der Komponist: „Aber leicht ist die
Aufgabe freilich nicht, brillant willst Du’s haben, und wie fängt unsereins das an ? Das ganze erste Solo soll aus dem hohen E bestehen.“
Nicht ganz fünf Jahre später erkundigt sich
David scherzhaft nach dem „antediluvianischen
Violinkonzert, welches m
­ eine Anwesenheit und
sechs Fuder hohe E’s verlangt“. Ganz so verschwenderisch ging Mendelssohn mit dem Spitzenton des viergestrichenen E dann doch nicht
um. Ein Vergleich des Skizzenmaterials zeigt,
dass der Komponist im Laufe des Arbeitsprozesses innerhalb des 1. Satzes die „hohen E’s“
reduzierte, um sie dann nur an drei Stellen sehr
­e ffektvoll zu platzieren: in der Mitte der Solokadenz, als Höhepunkt einer virtuosen Violinpassage, die in der Coda auf den FortissimoEinsatz des ­O rchesters hinleitet, und als triumphalen Schlusston des Solisten.
9
Theodor Hildebrandt: Felix Mendelssohn Bartholdy (1834)
10
Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll
Überraschende Eröffnung
Unkonventionelle Form
Während Mendelssohn sehr lange an der endgültigen Gestalt des Hauptthemas feilte, stand
die Art, wie es eingeführt werden sollte, von
Anfang an fest. Nicht im Stil des damals oft
kopierten Beethoven-Violinkonzerts, in dem
zuerst das Orchester, dann der Solist den musikalischen Hauptgedanken vorstellt, sondern
auf andere, eher ungewohnte Weise: Nach nur
anderthalb Takten, in denen die Begleitfiguren
der S­ treicher die Grundtonart ausbreiten, bringt
Mendelssohn im 1. Satz (Allegro molto appassionato) bereits den Solisten ins Spiel. Wie
selbstverständlich entwickelt die Geige leichtfüßig und elegant aus den Tönen des e-MollDreiklangs das Hauptthema mit seinem emporstrebenden Gestus und verliert sich, ausgehend
vom punktierten Kopfmotiv, in brillante Passagenfortschreitungen, ehe das Tutti die Hauptmelodie bestätigend aufgreift. Dafür überlässt
die Solo­v ioline bei der Einführung des lyrischen
Seitenthemas – auch das war damals eher unüblich – zunächst den Flöten und Klarinetten
den Vortritt: Während die Geige sich nach
virtuosen Läufen auf ihrem tiefsten Ton G ausruht, setzen die Holzbläser in parallelen Terzen
mit der einfachen, aber sehr kantablen Melodie
des z­ weiten Themas ein. Für die folgende Durchführung ist diese Weise allerdings nicht relevant;
stattdessen wertet Mendelssohn dort einen
Überleitungsgedanken der Exposition thematisch auf und bezieht ihn in die motivische Arbeit mit ein.
Aber nicht nur hinsichtlich der Themenaufstellung, sondern auch bezüglich der formalen Gestaltung hat der Komponist für den 1. Satz seines Violinkonzerts ganz eigenständige Lösungen entwickelt. Denn Durchführung und Coda
entsprechen sich musikalisch so stark, dass
die ursprüngliche Dreiteiligkeit der Sonatenhauptsatzform von einer Art Zweiteiligkeit
überlagert scheint, in der sich Exposition und
Durchführung auf der einen sowie Reprise und
Coda auf der anderen Seite als korrespondierende Teile gegenüberstehen. Dieser Eindruck
wird noch verstärkt, indem Mendelssohn die
Solokadenz, die normalerweise ihren Platz zwischen Reprise und Coda hat, bewusst vor die
Reprise setzt. Dadurch bekommt sie die Funktion einer Mittel­a chse, welche die beiden Hälften des Konzerts miteinander verzahnt.
Nahtloser Übergang zum Andante
Wie schon in seinen beiden Klavierkonzerten,
so lässt Mendelssohn auch im Violinkonzert die
einzelnen Sätze ineinander übergehen. Der
Wechsel vom Allegro molto appassionato zum
Andante vollzieht sich ganz unspektakulär: Es
reicht dazu ein einziger Ton, der sich im Fagott aus
dem verklingenden Schlussakkord des 1. Satzes
löst, einen halben Ton höher klettert und auf
diese Weise den Weg nach C-Dur ­e bnet, die
Grundtonart des 2. Satzes. Diesen Halbtonschritt macht die Violine später zum Anfangsintervall des Hauptthemas, das sich durch eine
lyrische, hin und her schwingende Melodik
auszeichnet. Der träumerischen Weise steht
das vom Orchester eingeführte zweite Thema
11
Programmzettel der Uraufführung im Leipziger Gewandhaus
12
Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll
gegen­ü ber, das ebenfalls liedhaft an­g elegt ist,
dem aber durch die permanent tremo­lierenden
Begleit­f iguren der Geigen und Bratschen ein
Element der Unruhe innewohnt. Die pulsierende Begleitung bleibt auch dann noch aufrecht,
wenn der Solist das Hauptthema wieder aufgreift und so den formalen Bogen dieses Satzes schließt.
Mit großen Sprüngen ins Finale
Ein kurzes Geigensolo in e-Moll, das melodisch
und harmonisch an den Eröffnungssatz erinnert,
leitet in das E-Dur-Finale (Allegro molto vivace)
über. Traditionsgemäß bekommt in diesem Satz
der Solist nochmals Gelegenheit, sämtliche Register seines Könnens zu ziehen. Mit erwartungsvoll empor schnellenden Sechzehntel­f iguren
steuert die Solovioline auf das Hauptthema zu.
Es wird ähnlich wie das des 1. Satzes aus dem
Dreiklang der Grundtonart abgeleitet, seine
springenden Tonfortschreitungen ­v erleihen ihm
jedoch einen ganz anderen Charakter: w
­ itzig,
spritzig, brillant. Trotz aller Virtuosität des Solo­
instruments – der eigentliche Reiz des Finales
besteht im gekonnten Zusammenwirken von
Violine und Orchester. Oftmals sind es nur ­k leine,
unauffällige Details, die große Wirkungen erzielen: So tritt das Kopfmotiv des Hauptthemas
fast immer begleitet von Flöten und Klarinetten
auf. Ihre hüpfenden Achtel verleihen ihm eine
verschmitzte, „koboldhafte“ Haltung. Von besonderer Raffinesse ist das Miteinander von
Solist und Orchester auch in der Durchführung.
Dort präsentiert die Violine einen musikalischen
Gedanken, der in den bislang flinken, sehr
beweg­lichen Satz eine neue lyrische Qualität
hineinbringt, während die Streicher diese Me-
lodie mit Motivpartikeln des Hauptthemas
kontrapunktieren.
Inbegriff des romantischen Violinkonzerts
Der formale und harmonische Einfallsreich­tum des Violinkonzerts zeugt einmal mehr von
­M endelssohns kompositorischer Meisterschaft.
Er adelt das Stück und hebt es aus der Masse
der ausschließlich auf geigerische Brillanz hinzielenden Konzerte, von denen es damals so
viele gab. Dass das Werk aber zum Inbegriff
des romantischen Violinkonzerts werden ­s ollte,
lag an etwas anderem: an seiner sinnlichen,
betörenden Melodik, die so ganz den Möglichkeiten der Violine abgelauscht zu sein scheint.
Einen wesentlichen Anteil bei der Ausgestaltung des Soloparts, aber auch der Orchesterstimmen hatte Ferdinand David, der wie vorgesehen der Solist der Uraufführung am
13. März 1845 im Leipziger Gewandhaus war.
Ihm gegenüber gab sich Mendelssohn gelegentlich sehr bescheiden, wenn er den Freund
um seine Meinung zu einem musikalischen Problem bat. „Lacht mich nicht aus“, heißt es in
einem Brief vom Dezember 1844, „ich schäme
mich wirklich selbst, aber ich kann’s einmal
nicht besser, ich werde einmal das Tappen nicht
los.“
Gustav Mahler: 4. Symphonie
13
„Was für eine Schelmerei, verbunden
mit dem tiefsten Mystizismus !“
Stephan Kohler
Gustav Mahler
Lebensdaten des Komponisten
(1860–1911)
Geboren am 7. Juli 1860 (nach unbestätigten
Vermutungen schon am 1. Juli) als zweites von
zwölf Kindern im Dorf Kalischt an der böhmischmährischen Grenze (heute: Kalište in Tschechien);
gestorben am 18. Mai 1911 in Wien.
Symphonie Nr. 4 in vier Sätzen für großes
­O rchester und Sopransolo
1. Bedächtig. Nicht eilen
2. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast
3. Ruhevoll. Poco adagio
4. Sehr behaglich
3. und letzte Fassung
Textvorlage
Anstelle eines normgerechten Finales fungiert das
Sopransolo „Wir genießen die himmlischen Freuden“, das Mahler auf den Text eines „Bairischen
Volkslieds“ aus der von Ludwig Achim von A
­ rnim
(1781–1831) und Clemens Brentano (1778–1842)
gesammelten Gedichtanthologie „Des Knaben
Wunderhorn“ komponierte. Der Gesangstext,
der bei Arnim / Brentano „Der Himmel hängt
voll Geigen“, bei Mahler hingegen „Das himmlische Leben“ betitelt ist, folgt seiner Vorlage
weitgehend textgetreu und ist nur geringfügig
gekürzt.
Entstehung
Die Idee zu seiner 4. Symphonie fasste Mahler
während eines Sommeraufenthalts in Aussee
(Steiermark) im Jahr 1899; im Sommer 1900
wurden die Ausseer Skizzen in Maiernigg am
Wörther See (Kärnten) zum Particell erweitert.
Diese erste, sehr vorläufige Version beendete
Mahler am 5. August 1900, um sie im darauf folgenden Winter in Wien sogleich einer Umarbeitung zu unterziehen. Während eines Genesungsurlaubs, den Mahler im Frühjahr 1901 in A
­ bbazia
14
8
Gustav Mahler:
Mahler: 4.
4. Symphonie
Symphonie
Gustav
an der dalmatinischen Küste verbrachte (heute:
Opatija / Kroatien), überarbeitete er sein Werk
erneut und brachte es in die Form, in der es im
November 1901 uraufgeführt wurde.
Fassungen
Nach der Uraufführung besorgte Mahler 1902
im Musikverlag Doblinger, Wien, die erste Drucklegung der Partitur (= 1. Fassung). Eine noch vom
Komponisten überwachte zweite Drucklegung
erfolgte 1911 in der Wiener Univer­s al Edition
(= 2. Fassung). Letzte Revisionen Mahlers wurden
erst 1963 bei Drucklegung der Symphonie im Rahmen der Kritischen Mahler-Gesamtausgabe berücksichtigt (= 3. und letzte Fassung).
Uraufführung
Am 25. November 1901 in München im „Großen
Kaim-Saal“ (Verstärktes „Kaim-Orchester“ ­u nter
Leitung von Gustav Mahler; Solistin: Rita M
­ icha­lek, Sopran); aus dem nach seinem Gründer und
Förderer Franz Kaim benannten Orchester gingen die Münchner Philharmoniker hervor, die
mit der Uraufführung der 4. Symphonie ihre
Mahler-Tradition begründeten.
Vom „Himmel voll Geigen“ zum
„Himmlischen Leben“
Zwischen den Entstehungszeiträumen seiner
3. und 4. Symphonie klafft eine ungewöhnliche
und für Mahler eher untypische Zäsur, gemessen
an der kontinuierlichen Abfolge, in der sich seine
Werke ansonst überlappten oder gar überkreuzten. Und dennoch verbindet beide Symphonien
die Idee Mahlers, sie mit einem bereits 1892 in
Hamburg entstandenen Orchesterlied zu beschließen: „Das himmlische Leben“, auf den Text eines
„Bairischen Volkslieds“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ komponiert, am 12. März 1892 während der
Arbeit an der 2. Symphonie, der „Auferstehungssymphonie“, vollendet und am 27. Oktober 1893
in Hamburg uraufgeführt. Die frühe Komposition
für Sopran und Orchester, deren Textvorlage ursprünglich den naiven Volksliedtitel „Der Himmel
hängt voll Geigen“ trug, gehört zu einer Gruppe von
„Wunderhorn“-Liedern, die Mahler mit der ambivalenten, höchst deutungsbedürftigen Gattungsbezeichnung „Humoreske“ versah. Das Verspielte
der Vorlage war indessen alles andere als „humoristisch“ gemeint; erst recht nicht Mahlers kompositorisch herbeigeführter Bedeutungsschub ins
Hintergründig-Philosophische, den schon die Umformulierung des Titels zu „Das himmlische Leben“ markiert.
Hinter der Maske des Kindlich-Naiven, die sich
Mahler in bewährter „Wunderhorn“-Manier vorhält, schwingt sein stets virulentes Assoziationsspektrum des „Jenseitigen“ mit. Das Resultat ist
ein „Himmlisches Leben“ aus ironisierter, doppelbödiger Perspektive – so als sollte parallel zum
theologischen Pathos der „Auferstehungssymphonie“ ein märchenhaft-idyllisches Szenarium
Gustav
Gustav Mahler:
Mahler: 4.
4. Symphonie
Symphonie
entworfen werden, eine Art „Wunderhorn“Korrektur des von Mahler in seiner 2. Symphonie benutzten Textes von Friedrich Gottlieb Klopstock – aber nicht weniger gläubig oder weniger
ernsthaft den „letzten Dingen“ zugewandt als dieser. Das Gedicht, das Goethe in seiner „Wunderhorn“-Rezension halb bewundernd „eine christliche Cocagne, nicht ohne Geist“ genannt hat, ein
religiös überhöhtes Schlaraffenland also, muss
Mahler über die Komposition als Orchesterlied
hinaus so fasziniert haben, dass er es immer wieder als Baustein in eine der folgenden Symphonien zu integrieren versuchte: „Man sieht es diesem auf den ersten Blick unscheinbaren Ding gar
nicht an“, so Mahler zu seiner getreuen Chronistin
Natalie Bauer-Lechner, „was alles darin steckt.
Und doch erkennt man den Wert eines solchen
Keimes darin, ob er ein vielfältiges Leben in sich
schließt wie gerade dieses ‚Himmlische Leben‘,
das nach einiger Stagnation dem lang verhaltenen Schaffensquell entsprang.“
„Spielen mit Bausteinen“
Wenn auch das „Himmlische Leben“ seine letztendliche Bestimmung erst als Finalsatz der 4. Symphonie erlangte, so rang Mahler dennoch jahrelang um eine weltanschaulich motivierte und architektonisch sinnfällige Platzierung des Orchesterlieds im Rahmen seiner 3. Symphonie. Dort sollte
das „Himmlische Leben“ in der Stufenleiter der
möglichen Existenzformen – von der Primitivität
des Elementar-Naturwüchsigen bis hinauf zum
Seelenleben der erlösten, verklärten Menschheit an der Seite Gottes – entweder an vorletzter oder an letzter und damit „höchster“ Stelle
stehen. Mit dem 6. Satz „Was mir die Liebe erzählt“, in der Kosmologie Mahlers identisch mit
159
„Was mir Gott erzählt“, war bereits „die Spitze
und die höchste Stufe bezeichnet, von der aus
die Welt gesehen werden kann. Es beginnt bei
der leb losen Natur und steigert sich bis zur Liebe
Gottes ! Und so bildet mein Werk eine alle Stufen der Entwicklung in schrittweiser Steigerung
umfassende musikalische Dichtung !“ Wenn Mahler zeitweilig versucht war, die „Liebe Gottes“ mit
einem 7. Satz „Was mir das Kind erzählt“ zu übergipfeln, dann unterstreicht dies nur den hohen
Stellenwert, den in seiner Philosophie die kindliche Psyche, die reine und unverstellte Naivität
kindlichen Denkens einnahm.
Die Vision eines kindlich-märchenhaften „Lebens
nach dem Tode“ als idyllischer Kontrapunkt zur
monumentalen Weltgerichtsszenerie der 2. Symphonie schien Mahler aber dann doch zu „humoresk“ zu sein, um die an räumlicher Ausdehnung
und philosophischem Anspruch alle Maße sprengende 3. Symphonie zu beschließen oder gar zu
krönen. Er erkannte instinktsicher, dass das ironische Gegenkonzept zum eschatologischen Tribunal, die fast schon unerträgliche „Leichtigkeit“
überirdischen Seins, nach einem eigenen Werk
verlangte, in dem sich die hier angepeilte, quasi
„vogelleichte“, auf Olivier Messiaen vorausdeutende „lächelnde“ Transzendenz entfalten konnte:
„Komponieren ist wie ein Spielen mit Bausteinen,
wobei aus denselben Steinen immer ein neues
Gebäude entsteht...!“ Das „Himmlische Leben“
wurde folglich zum Ausgangspunkt einer eigenen,
neuen, der 4. Symphonie. Statt die konträren Aspekte des „Jenseitigen“ reißverschlussartig in
einem Werk zu verknüpfen, sollte nun der Kindheitstraum einer „christlichen Cocagne“ ausschließlich für sich bestehen: ideologisches Ziel
einer insgesamt leichtfüßigeren, aber deshalb
Gustav Mahler:
Mahler: 4.4. Symphonie
Symphonie
Gustav
16
10
noch lange nicht leichtgewichtigeren Symphonie,
als deren „sich ganz verjüngende Spitze“ ihn Mahler verstanden wissen wollte.
„Die Welt ohne Schwere“
Ein Vorgang von erheblicher Konsequenz für Mahlers durchsichtigstes und klanglich entschlacktestes Werk: Da das „Himmlische Leben“, obschon
seit 1892 als Orchesterlied bekannt, nun als gezielt vorzubereitender Höhepunkt einer neuen
Symphonie figurierte, musste in den vorgeschalteten, neu komponierten Sätzen symphonisch begründet werden, warum im letzten Satz ein „Himmel“ besungen wird, der „voll Geigen“ hängt. Eine
sehr frühe, von Paul Bekker publizierte Programmskizze der „Vierten“ war – wie die kurz zuvor vollendete „Dritte“ – noch insgesamt 6-sätzig geplant:
Symphonie Nr. 4 (Humoreske)
Nr.1
Nr.2
Nr.3
Nr.4
Nr.5
Nr.6
Die Welt als ewige Jetztzeit, G-dur
Das irdische Leben, es-moll
Caritas, H-dur (Adagio)
Morgenglocken, F-dur
Die Welt ohne Schwere, D-dur (Scherzo)
Das himmlische Leben, G-dur
Das für einen Finalsatz äußerst schlichte Lied –
man könnte ohne Übertreibung von einem Finale
sprechen, das allen Finale-Erwartungen widerspricht – färbte aber schließlich und letztendlich
auf den Gesamtcharakter der Symphonie ab, indem etwa auf der Ebene der formalen Struktur
die Rückkehr zur klassischen Viersätzigkeit gesucht wurde und indem die bei Mahler fast schon
erwartbaren Grenzüberschreitungen der zeit-
lichen und klanglichen Expansion hier tunlichst
vermieden sind: Die „Vierte“ ist die kürzeste seiner Symphonien und verzichtet zugunsten eines
sehr üppig besetzten Streicherklangs auf schweres Blech und hypertrophes Schlagzeug. Die Atmosphäre des gezielten „als ob“ verlangte nach
speziellen Verfahren artifizieller Stilisierung, die
von den durchaus affirmativ gemeinten, unverhüllt blechgepanzerten Klangkatarakten der Symphonien 1 – 3 demonstrativ weg- und zu den luziden Klangprojektionen einer gleichsam „überhöhten“ Einfachheit in der 4. Symphonie bewusst
hinführten.
„Man wird komponiert“
Mahlers Idee, das „Himmlische Leben“ zum Höhepunkt einer neuen, 4-sätzigen Symphonie zu bestimmen, ließ ihn von Anfang an eine motivischthematische Vernetzungstechnik praktizieren, die
die Sätze 1 – 3 als zwar eigenständige, aber den
letzten Satz doch deutlich „präludierende“ Einheiten behandelte. Der Publizist Georg Göhler,
der eine Einführung in die Symphonie verfasste
und Mahlers Antizipationsverfahren offensichtlich nicht erkannte, musste sich vom Komponisten rügen lassen: „Eins vermisse ich: haben Sie
die thematischen Zusammenhänge, die für die
Idee des Werkes so überaus wichtig sind, übersehen ? Oder glaubten Sie bloß, das Publikum mit
technischen Erklärungen verschonen zu sollen ?
Jeder der drei Sätze hängt thematisch aufs innigste und bedeutungsvollste mit dem letzten zusammen !“ So bewusst Mahler bei der strategischen Planung seiner auf das „Himmlische Leben“
zustrebenden Symphonie auch vorging – gerade
im Maiernigger Sommer 1900 passierte es ihm,
dass sich Unvorhersehbares, „Merkwürdiges“ er-
1117
Gustav Mahler im Vorjahr der Entstehung seiner 4. Symphonie (1898)
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12
Gustav Mahler:
Mahler: 4.
4. Symphonie
Symphonie
Gustav
eignete: „Durch die zwingende Logik einer Stelle, die ich umwandeln musste“, so Mahler im Gespräch mit Natalie Bauer-Lechner, „verkehrte sich
mir alles Darauffolgende derart, dass ich plötzlich zu meinem Erstaunen gewahrte, ich befinde
mich in einem völlig anderen Reich: wie wenn du
meinst, in blumigen elysischen Gefilden zu wandeln, und siehst dich mitten in die nächtlichen
Schrecken des Tartaros versetzt... Ich sehe immer mehr: man komponiert nicht, man wird komponiert !“
So war es letztlich unwesentlich, ob Mahler „Programme“ seiner Symphonien veröffentlichte, sie
später wieder zurückzog und im Freundeskreis
dennoch auf ihnen insistierte – aus seinen Äußerungen gegenüber Ehefrau Alma, Assistent Bruno
Walter und unzähligen anderen Freunden, vor allem
aber gegenüber seiner Seelenfreundin und Chronistin Natalie Bauer-Lechner, geht deutlich hervor,
dass Mahler seine „Vierte“ als symphonische Meditation über das „Leben nach dem Tod“ verstand:
„Es ist die Heiterkeit einer höheren, uns fremden
Welt darin“ – heißt es bei Bauer-Lechner – , „die
für uns etwas Schauerlich-Grauenvolles hat. Im
letzten Satz (im ‚Himmlischen Leben‘) erklärt das
Kind, welches im Puppenstand doch dieser höheren Welt schon angehört, wie alles gemeint sei...!“
Als Mahler im Frühjahr 1901 in Abbazia (Opatija)
an der dalmatinischen Küste die Folgen eines Blutsturzes mit anschließender Operation auskurierte
und dabei letzte Änderungen in der Partitur seiner
„Vierten“ vornahm, wurde auch die ursprünglich
„bescheiden“ vertonte Humoreske vom „Himmlischen Leben“ großzügiger und opulenter instrumentiert – „wie ein altes Bild auf Goldgrund...“
Dabei riss das „Wunderhorn“-Gedicht seinen Komponisten bei nächtlichen Strandpromenaden mit
Natalie Bauer-Lechner erneut zu Tiraden der Begeisterung hin: „Was für eine Schelmerei, verbunden mit dem tiefsten Mystizismus ! Es ist
alles auf den Kopf gestellt, die Kausalität hat
ganz und gar keine Gültigkeit ! Es ist, wie wenn
du plötzlich auf jene uns abgewandte Seite des
Mondes blicktest...!“
„Kirchlich-katholische Stimmung“
Als unmittelbar vorangehendes Podest für die
mystischen Schelmenweisen des Finales dienten
Mahler ein 1. Satz, den er mit dem „Strahlenmeer
von tausend Lichtern und Farben“ verglich, wie
es die Sonne aus den Tauperlen einer Frühlingswiese zaubert; ein Scherzo, so „mystisch, verworren und unheimlich, dass euch dabei die Haare zu Berge stehen werden“; und schließlich ein
Andante, „durch das eine göttlich heitere und tief
traurige Melodie geht, dass ihr dabei nur lachen
und weinen werdet“: In der Strategie des „gradus ad parnassum“, des sich immer höher wölbenden, immer mehr vergeistigenden Bauprinzips der
4. Symphonie, kommt in der Tat dem Andante die
Funktion des symphonischen „Türöffners“ zum
„Himmlischen Leben“ zu. Die heilige Ursula, von
der im anschließenden „Wunderhorn“-Text des
Finales die Rede ist, scheint schon hier, im 3. Satz
der Symphonie, ikonenhaft portraitiert: Natalie
Bauer-Lechner wusste zu berichten, dass das Andante „die Gesichtszüge der heiligen Ursula trage“.
Auf ihre Frage, ob ihm die Heiligenvita Ursulas
denn überhaupt geläufig sei, meinte Mahler: „Nein,
sonst wäre ich gewiss nicht imstande und in der
Stimmung gewesen, mir ein so bestimmtes und
herrliches Bild von ihr zu machen !“ In Wahrheit
aber habe er in Ursula seine über alles geliebte
Mutter portraitieren wollen, die „auch unendlich
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Gustav Mahler auf Bootsfahrt vor Abbazia (Opatija) an der dalmatinischen Küste (1901)
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Gustav Mahler:
Mahler: 4.
4. Symphonie
Symphonie
Gustav
gelitten, aber alles immer liebend aufgelöst
und vergeben habe“, und deren tief trauriges
und „wie durch Tränen lachendes Antlitz“ ihm
beim Komponieren vorgeschwebt sei. Den seiner jüdischen Mutter gewidmeten Ursula-Satz
nannte der zum Christentum konvertierte Mahler „die größte Farbenmischung, die je da war“,
und feierte sein „sphärisches Ausklingen“ als
Apotheose einer „fast kirchlich-katholischen
Stimmung“.
Als der Musikschriftsteller Ludwig Schiedermair
Mahler 1901 um Aufklärung über die Gedankenwelt der 4. Symphonie bat, beauftragte der Vielbeschäftigte seinen Assistenten, Freund und
nachmaligen Exegeten Bruno Walter mit der
Niederschrift einer Antwort. Unter „konjunktivischem“ Vorbehalt teilte Walter Schiedermair
mit, „dass die drei ersten Sätze der IVten Symphonie ein himmlisches Leben schildern könnten: man könnte sich im ersten Satz den Menschen denken, der es kennen lernt; es waltet
darin eine unerhörte Heiterkeit, eine unirdische
Freude, die ebenso oft anzieht wie befremdet,
ein erstaunliches Licht und eine erstaunliche
Lust, der freilich auch menschliche und rührende Laute nicht fehlen. – Der zweite Satz könnte
die Bezeichnung finden: ‚Freund Hein spielt zum
Tanz auf‘; der Tod streicht recht absonderlich
die Fiedel und geigt uns in den Himmel hinauf. –
‚Sankt Ursula selbst dazu lacht‘ könnte der dritte Satz genannt werden: die ernsteste der Heiligen lacht, so heiter ist diese Sphäre, d. h. sie
lächelt nur, und zwar lächelt sie so, wie die Monumente der alten Ritter oder Prälaten, die man
beim Durchschreiten alter Kirchen mit über der
Brust gefalteten Händen sieht, und die das kaum
bemerkbare, friedvolle Lächeln des zu ruhiger
Seligkeit hinübergeschlummerten Menschen kindes haben; feierliche, selige Ruhe, ernste,
milde Heiterkeit ist der Charakter dieses Satzes, dem auch tief schmerzliche Kontraste –
wenn Sie so wollen, als Reminiszenzen des
Erdenlebens – , sowie eine Steigerung der Heiterkeit ins Lebhafte nicht fehlen. – Wenn der
Mensch nun verwundert fragt, was das alles
bedeutet, so antwortet ihm ein Kind mit dem
vierten, letzten Satze: Das ist das ‚Himmlische
Leben‘.“ „Feierliche, selige Ruhe“ und „ernste,
milde Heiterkeit“ lesen sich wie Paraphrasen
von Textstellen aus Arthur Schopenhauers „Die
Welt als Wille und Vorstellung“, wo die „Verneinung des Willens zum Leben“ als Voraussetzung für einen Gemütszustand gepriesen
wird, in dem „ein unerschütterlicher Friede,
eine tiefe Ruhe und innige Heiterkeit“ dominieren.
Klassische Norm und neue
Einfachheit
Von außen betrachtet ist Mahlers „Vierte“ sicherlich seine einfachste und „zurückgenommenste“
Symphonie. Sie dauert rund 50 Minuten und ist
damit, wie Mahler selbst bemerkte, kaum länger
als der 1. Satz seiner 3. Symphonie. Ihre Viersätzigkeit scheint ein Tribut an die Gattungsnorm der
Wiener Klassik zu sein; auch scheinen die einzelnen Satzcharaktere – vitaler Kopfsatz, Scherzo, langsamer Satz und Finale – durchaus gewollt
dem „klassischen“ Muster zu entsprechen; auch
Mahler fiel auf, dass insbesondere der 1. Satz
„trotz seiner Freiheit mit der größten, fast schulmäßigen Gesetzmäßigkeit“ aufgebaut ist. Die
vermeintliche „Simplizität“ der Symphonie war
schließlich auch der Grund, warum die Münchner
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Partiturseite aus dem 4. Satz: „Sankt Peter im Himmel sieht zu !“
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Gustav Mahler:
Mahler: 4.
4. Symphonie
Symphonie
Gustav
Uraufführung vom 25. November 1901 zu einem
Misserfolg geriet, da von Mahler offenbar „Ausgefalleneres“ erwartet wurde. Der Komponist, der
sich laut eigener Aussage die Klangtransparenz
des späten Verdi („Falstaff“) zum Vorbild genommen hatte, war von der Aufnahmefähigkeit und
instrumentalen Kapazität des Kaim-Orchesters,
der späteren Münchner Philharmoniker, zutiefst
enttäuscht: „Auf diesem toten Schuttkegel“, so
klagte er verzweifelt, „muss ich eine blühende
Welt erstehen lassen !“
Natalie Bauer-Lechner, die Mahler nach München begleitet hatte, vertraute ihrem Tagebuch
die wenig schmeichelhaften Zeilen an: „Er war
unglücklich über das Orchester dort, bei dem es,
um die Symphonie aus dem Gröbsten herauszubringen, der Arbeit bedurfte, die etwa ein Bildhauer von den ersten Meißelschlägen des unbehauenen Blocks bis zur Vollendung der Statue
hat. Die Unzulänglichkeit der Spieler machte sich
erst recht fühlbar bei der subtilen Feinheit und
Schwierigkeit dieses Werkes in allen Instrumenten. Ganz besonders schlecht war der Konzertmeister, dem es durchaus an Initiative und Impuls fehlte. Bläser und Schlagwerk und der Harfenist waren unter aller Kritik ! So musste er sein
Werk mit den mäßigsten Kräften machen, worunter nicht nur der Fluss und Glanz der Technik
litt, sondern vor allem auch die Klangschönheit,
welche durch Mischung und Anwendung der Instrumente so zaubrisch und selbst im Vergleich
mit seinen eigenen Werken so unerhört ist.“ Kein
Wunder, dass nach dem Münchner Fiasko Mahler
die Berliner Premiere, für die ihm Richard Strauss
sein Berliner Tonkünstler-Orchester zur Verfügung
gestellt hatte, als eigentliche Uraufführung der
„Vierten“ pries.
„Von neuem lernen für das Neue“
Nichts lag Mahler ferner, als mit seiner „Vierten“
einen Beitrag zur Mode des um 1900 grassierenden „Neoklassizismus“ zu liefern – wie es etwa
Ermanno Wolf-Ferrari, Max Reger und Richard
Strauss oder später Ottorino Respighi, Sergej Prokofjew und Igor Strawinsky taten. Die besondere
Verfasstheit der „Vierten“, ihre singuläre Stellung
im Schaffen Mahlers, resultiert ausschließlich
aus dem „Sujet“ des Werks, der Imagination subtilster „jenseitiger“ Seelenzustände, nicht jedoch
aus wohlfeilen zeitgenössischen Modeslogans wie
„Zurück zu Mozart !“ Auch Mahler war sich der
Sonderstellung seiner „Vierten“ voll bewusst. Weil
er „in jedem neuen Werk neue Bahnen“ durchmessen wolle, schrieb er an Nina Spiegler, sei sie
„so grundverschieden von meinen anderen Symphonien“: „Darum wird es im Anfang immer so
schwer, ins Arbeiten hinein zu kommen. Alle Routine, die man sich erworben, nützt einem nichts.
Man muss von neuem erst wieder lernen für das
Neue. So bleibt man ewig ‚Anfänger‘...!“
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Emil Orlik: Gustav Mahler unterbricht völlig entgeistert eine Probe (1901)
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Der Gesangstext
„Wir genießen die himmlischen Freuden“
„Des Knaben Wunderhorn“ – Gustav Mahler
4. Satz: Sehr behaglich
(Sopransolo)
Wir genießen die himmlischen Freuden,
Drum tun wir das Irdische meiden.
Kein weltlich’ Getümmel
Hört man nicht im Himmel !
Lebt Alles in sanftester Ruh’ !
Wir führen ein englisches Leben !
Sind dennoch ganz lustig daneben !
Wir tanzen und springen,
Wir hüpfen und singen !
Sankt Peter im Himmel sieht zu !
Johannes das Lämmlein auslasset,
Der Metzger Herodes d’rauf passet !
Wir führen ein geduldig’s,
Unschuldig’s, geduldig’s,
Ein liebliches Lämmlein zu Tod !
Sankt Lukas den Ochsen tät schlachten
Ohn’ einig’s Bedenken und Achten,
Der Wein kost’ kein Heller
Im himmlischen Keller,
Die Englein, die backen das Brot.
Gut’ Kräuter von allerhand Arten,
Die wachsen im himmlischen Garten !
Gut’ Spargel, Fisolen
Und was wir nur wollen !
Ganze Schüsseln voll sind uns bereit’ !
Gut’ Äpfel, gut’ Birn’ und gut’ Trauben !
Die Gärtner, die Alles erlauben !
Willst Rehbock, willst Hasen,
Auf offener Straßen
Sie laufen herbei !
Sollt’ ein Fasttag etwa kommen,
Alle Fische gleich mit Freuden angeschwommen !
Dort läuft schon Sankt Peter
Mit Netz und mit Köder
Zum himmlischen Weiher hinein.
Sankt Martha die Köchin muss sein !
Kein Musik ist ja nicht auf Erden,
Die uns’rer verglichen kann werden.
Elftausend Jungfrauen
Zu tanzen sich trauen !
Sankt Ursula selbst dazu lacht !
Cäcilia mit ihren Verwandten
Sind treffliche Hofmusikanten !
Die englischen Stimmen
Ermuntern die Sinnen,
Dass alles für Freuden erwacht.
Textvorlage:
Aus der Gedichtsammlung „Des Knaben
Wunderhorn“: „Der Himmel hängt voll
Geigen“, Bairisches Volkslied
Gustav und
Mahler
die Religion
Gustav Mahler
die und
„himmlischen
Freuden“
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25
Mit Gott gegen „thönerne Götzen“
Hans Köhler
Stephan
Kohler
„Die Kunst zu hören“
Dass die seinerzeit wie obszöne Pamphlete gehandelten Texte Friedrich Nietzsches, der am
25. August 1900 in geistiger Umnachtung in Weimar starb, nicht nur die Theologen, Philosophen
und Schriftsteller, sondern auch die Musiker des
Fin-de-Siècle faszinierten, hat einen besonderen,
wenn auch nicht sofort und für jedermann einsehbaren Grund. Er ist in ihrer immanenten Musikbezogenheit zu suchen, die die Musiker der vorletzten Jahrhundertwende oft unfreiwillig in ihren
Bann zog, zuweilen buchstäblich hypnotisierte. Die
vielgerühmte Musikalität vor allem des „Zarathustra“ hatte schon Nietzsche selbst hervorgehoben.
In einem Brief an seinen komponierenden Vertrauten Peter Gast heißt es: „Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser ‚Zarathustra‘ ? Ich glaube
beinahe, unter die Symphonien !“ In „Ecce Homo“
wiederholt Nietzsche den synästhetischen Zuordnungsversuch, indem er angesichts der Silbenkatarakte seines entfesselten Sprachflusses anheimstellt: „Man darf vielleicht den ganzen ‚Zarathustra‘ unter die Musik rechnen !“ Vorausbedingung für die richtige Lektüre seiner „Sprachsymphonien“ sei allerdings eine höchst fällige
„Wiedergeburt in der Kunst zu hören...“
Latente Musik
Außer Richard Strauss, der im Sommer 1896 eine
Tondichtung „Also sprach Zarathustra (frei nach
Friedrich Nietzsche)“ vollendete, komponierten
„Zarathustra“-Texte im selben Zeitraum Oscar
Fried, Frederic Delius, Siegmund von Hausegger
und vor allem Gustav Mahler, der noch zehn Jahre später in einem Interview die unbewusste Duplizität seiner und Strauss’ Nietzsche-Vertonungen
damit erklärte, „dass wir beide als Musiker die
sozusagen latente Musik in dem gewaltigen Werke Nietzsches herausgefühlt haben“. Mahler bezieht sich hier auf seine monumentale 3. Symphonie, in deren zahlreichen, poetisch bis programmatisch angelegten Satzüberschriften sich seine
jahrelange Beschäftigung mit Nietzsches Schriften spiegelt – neben „Zarathustra“ vor allem „Die
fröhliche Wissenschaft“. Vor Drucklegung ließ
er jedoch alles auf Nietzsche Zurückweisende
tilgen, so dass heute nur noch das Altsolo „O
Mensch ! Gib acht !“ Mahlers Ringen um Nietzsches Philosophie verrät.
Moral oder Unmoral ?
Warum musste Mahler überhaupt „ringen“ um
Nietzsche, während Strauss sich den Verfasser
des skandalumwitterten „Antichrist“ im Handumdrehen als bequemen „Hausphilosophen“ eroberte ? Im Februar 1893 hatte Strauss an seinen Jugendfreund Ludwig Thuille geschrieben,
die Zeit der „Moralpredigten“ sei nun vorbei. Spielte er damit auf Nietzsches Selbstinterpretation
in „Ecce Homo“ an, wo die Verweigerung jedwelchen Verkündens von Moral als besondere
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die Religion
Gustav Gustav
Mahler Mahler
und dieund
„himmlischen
Freuden“
Errungenschaft von „Also sprach Zarathustra“
gepriesen wird ? Nietzsche sagt dort über sein
„Für Alle und Keinen“ geschriebenes Buch: „Hier
redet kein ‚Prophet‘, keiner jener schauerlichen
Zwitter von Krankheit und Willen zur Macht, die
man Religionsstifter nennt. Hier redet kein Fanatiker, hier wird nicht ‚gepredigt‘, hier wird nicht
Glauben verlangt !“ Was Strauss als Freibrief für
weltanschaulichen Liberalismus deutete, musste
Mahlers christliches „Missionsgefühl“ (so Gattin
Alma) zutiefst verstören, obwohl anfangs auch
für ihn – den zum Katholizismus konvertierten Juden – Nietzsche das „Dithyrambische“ als Lebensform verkörperte, den artistisch geträumten, gedichteten Daseinsrausch, in dem man ein Fanal
der Befreiung von gründerzeitlichen Zwängen erblickte. Zumal aus antiklerikal-freigeistiger Perspektive ließ sich Nietzsches sensualistischer Subjektivismus zu einer Metaphysik der Diesseitigkeit überhöhen, der im Kampf gegen das „EwigGestrige“ deutliche Überbau-Funktion zukam. Mit
anderen Worten: Was für den kränklichen Philosophen mitunter kompensatorische Bedeutung
gehabt haben mochte – für viele seiner Zeitgenossen war es ein willkommenes Mittel affirmativer Selbstbestätigung.
Formale Bedenken
Nicht so für Mahler ! Er bewunderte zwar das
sprachliche Feuer von Nietzsches Prosa, die Sogwirkung seiner von größter Musikalität bestimmten Deklamationskunst, die ihn über diametrale
weltanschauliche Gegensätze hinweglesen ließ.
Doch wie es scheint, dürften „formale“ Bedenken gegen Nietzsches fragmentarische, sprunghafte Zitier- und Formulierungskunst am Anfang
von Mahlers „Umkehr“ gestanden haben: Der
Symphoniker, der mithilfe struktureller Vernetzungstechnik große tektonische Zusammenhänge
stiften wollte, beanstandete an Nietzsche eine
epigrammatisch-aphoristische Denkweise, die
seinem Streben nach formaler Geschlossenheit
widersprach: Im Gegensatz zu Nietzsche war es
Mahler immer darum zu tun, „Leben“ als „gewahrte Form“ zu definieren. Wenn Nietzsche modernste, quasi „filmische“ Techniken vorwegnahm wie
Montage, Überblendung oder Schnitt, lehnte Mahler eine Optik, die sich auf einzelne Bilder oder
fragmentarische Einsprengsel konzentrierte, zugunsten eines Formverständnisses, das „Form“
als „Zusammenhang“ deutet, entschieden ab.
Mystik contra Liberalität
Mahlers Beschäftigung mit Nietzsche begann vermutlich um 1891, also im Jahr seines Abschieds
von Budapest, wo er seit 1888 die Position eines
Operndirektors bekleidete. Vermittelt hatte die
damals nicht selbstverständliche, in konservativen Kreisen abgelehnte Lektüre Mahlers um vier
Jahre älterer, aus Galizien stammender Freund
und Mentor Siegfried Salomo Lipiner, der hauptberuflich Bibliothekar des Österreichischen Reichsrates war, aber in seiner freiberuflichen Tätigkeit
als Übersetzer des polnischen Nationaldichters
Adam Mickiewicz und Verfasser mystisch-religiöser
Dramen seine eigentliche Bestimmung erblickte.
Im Gedankenaustausch und zahlreichen Gesprächen mit Mahler, den Ehefrau Alma rückblickend
einen „Juden-Christen“ und zutiefst „christgläubig“
genannt hat, entwarf Lipiner eine großangelegte,
als Mysterienspiel konzipierte „Christus“-Trilogie;
sie ist zwar über weitschweifige Pläne nicht hinaus gediehen, dürfte aber Mahlers Religiosität
nicht unwesentlich beeinflusst haben. Derselbe
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Gustav Mahler meditiert über das Jenseits (um 1900)
28
die ReligionFreuden“
Gustav Gustav
Mahler Mahler
und dieund
„himmlischen
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Lipiner, der bei Mahler den Grundstein für seine
anfängliche Nietzsche-Begeisterung gelegt hatte,
war offensichtlich auch Wegbereiter für seine
spätestens um 1900 einsetzende, radikale Abwendung vom Autor des „Antichrist“.
inter pares“ eingebettet in eine von pansophischem Ganzheitsdenken geprägte Ahnung des
Allzusammenhangs jeglicher Natur.
„Meine fröhliche Wissenschaft“
Der Steit um die „richtige“ Bewertung Nietzsches
gehörte auch zum Alltag von Mahlers Ehe mit
Alma. Kaum 17 Jahre alt, berichtet sie, habe sich
ihr „irrlichternder Geist“ an Nietzsche geklammert; als „wilde Nietzscheanerin“ stimmte sie
ihre „Lebensmusikalität“ mit Nietzsche „auf gleichen Ton“. Sie muss entsetzt gewesen sein, als
ihr Mahler in einem Brief vom Dezember 1901
„die ganz verlogene und schlimm-freche Herren‚Unmoral‘ Nietzsches“ vorhielt und seiner Braut
empfahl, ihre Nietzsche-Gesamtausgabe „ins
Feuer“ zu werfen. Wenn es in einem Brief Mahlers vom 1. April 1903 heißt: „Dieses dumme Volk !
Ich bin sicher, dass sie alle Nietzsche schon zum
Frühstück herunterfressen...!“, scheint der vom
Saulus zum Paulus Mutierte vergessen zu haben,
dass Nietzsche neben Goethe und „Des Knaben
Wunderhorn“ noch im Herbst 1896 in Hamburg,
wo ihn Natalie Bauer-Lechner aus nächster Nähe
beobachten konnte, zur bevorzugten „morgendlichen Lektüre nach dem Frühstück“ gehörte.
Trotz seiner Ablehnung von Nietzsches „Fluch
auf das Christenthum“: Mit dem notorischen Querdenker teilt Mahler das „Ekstatische“ als überwältigende Qualität des Schaffensdrangs. Bruno Walter schwärmte nach einem Besuch in Steinbach am Attersee von Mahlers „vormittägigen
Ekstasen“, solange er um die Realisierung seines
„symphonischen Weltentraumes“ rang. Seiner
langjährigen Freundin Anna von Mildenburg erklärte der Komponist im gleichen Zeitraum: „Man
ist sozusagen nur ein Instrument, auf dem das
Universum spielt...!“ Schon rein sprachlich wirkt
hier der Duktus von Nietzsches Prosa nach, die
am Attersee neben Cervantes’ „Don Quijote“ zu
Mahlers bevorzugter Ferienlektüre zählte. Im Sommer 1895 schließlich münden die „vormittägigen
Ekstasen“ in die Textwahl „eines herrlichen Gedichts von Nietzsche“ als Grundlage für den 4.
Satz der 3. Symphonie, die damals noch nach
Nietzsches gleichnamigem Buch „Die fröhliche
Wissenschaft“ betitelt war. An der später vorgenommenen Änderung in „Meine fröhliche Wissenschaft“ ist Mahlers Kurskorrektur und fortschreitende Distanzierung vom Autor der „Gaya
scienza“ abzulesen: Der „Übermensch“ als Produkt eines elitären Sozialdarwinismus oder – noch
schlimmer – „rassischer Auslese“ war dem „Juden-Christen“ Mahler begreiflicherweise nicht
zugänglich. Er sah den Menschen als Produkt
der „Mitte“, nicht des „Darüber“ – als „Primus
Frühstück mit Nietzsche
Wortgewaltige Feier des Nichts
Nicht nur die 8. Symphonie mit ihrem im Dreifaltigkeitsdenken verankerten Pfingsthymnus und
dem christlich verklärten Erlösungsschluss von
„Faust II“ feiert metaphysische Ideale in unmittelbarer Nähe zu Glaubensinhalten des Katholizismus. Auch die „Auferstehungssymphonie“ und
die Vokalteile der 3. und 4. Symphonie bewegen
sich in Textauswahl und inhaltlicher Strategie
die ReligionFreuden“
Gustav Gustav
Mahler Mahler
und dieund
„himmlischen
auf eine Religiosität zu, die der sogenannten
„Theothanatologie“ diametral entgegengesetzt
ist. Die „Gott ist tot“-Theologie beruft sich nicht
umsonst auf den berüchtigten Aphorismus 125
(„Der tolle Mensch“) von Nietzsches „Fröhlicher
Wissenschaft“, den Mahler bei seiner mehrfachen Lektüre dieses Buches wohl kaum übersehen haben kann: „Irren wir nicht wie durch ein
unendliches Nichts ? Haucht uns nicht der leere
Raum an ? Ist es nicht kälter geworden ? Kommt
nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht ? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet
werden ? Hören wir noch nichts von dem Lärm
der Totengräber, welche Gott begraben ? Riechen
wir noch nichts von der göttlichen Verwesung ?
Auch Götter verwesen ! Gott ist tot ! Gott bleibt
tot !“
Mahler als Missionar
Wen wundert es, dass sich der Komponist der
„Auferstehungssymphonie“, in deren Schlussversen Gott als Garant und Inbegriff eines ewigen, unauslöschlichen Lebens fungiert, immer
mehr von Nietzsche abgewandt hat ? „Ich bin
von Gott und will wieder zu Gott“: Die schlichte,
aber unerschütterliche Glaubensgewissheit, die in
der „Wunderhorn“- Vertonung „Urlicht“ so berührt, könnte als spirituelles Motto über Mahlers ganzem Leben stehen. Dass es ihm nach
seiner Abwendung von Nietzsche nicht um eine
„poetische Disqualifizierung“ des „Zarathustra“- Autors ging, betonte er am 5. Dezember
1901 in einem Brief an seine Braut Alma. Dort
erklärt er seine immer ausgeprägtere Aversion
gegen den Apologeten der institutionalisierten
„Freigeistigkeit“ mit seinem „Missionsgefühl“
für ein christlich definiertes Weltbild. Er bittet,
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ja er wirbt geradezu – wenn auch vergebens –
um Almas Verständnis für sein „so eifervolles
Bestreben, meinen Gott an die Stelle der ‚thönernen Götzen‘ zu stellen...“
30
Die Künstler
Pablo Heras-Casado
Dirigent
Der 1977 im spanischen Granada geborene Dirigent studierte zunächst Kunstgeschichte und
Schauspiel in seiner Heimatstadt, bevor er in
Madrid ein Dirigierstudium aufnahm, das er
durch Meisterkurse u. a. bei Christopher Hogwood ergänzte. Sein Repertoire reicht von der
Alten Musik bis zur zeitgenössischen Moderne
und zeichnet sich durch eine ungewöhnliche
Vielfalt aus. Bereits im Studium gründete Pablo Heras-Casado das Ensemble für Alte Musik
„Cappella Exaudi“ sowie die experimentelle
Formation „Sonóora“.
Gastkonzerte führten Pablo Heras-Casado in
den vergangenen Spielzeiten zu den Berliner
Philharmonikern, zur Staatskapelle Berlin, zu
den Rotterdamer Philharmonikern, zum Mahler
Chamber Orchestra, zum Orchestre Philharmonique de Radio France, zum Boston Symphony
und zum Cleveland Orchestra; außerdem gab er
seine Debüts beim New Yorker Mostly Mozart
Festival und bei den Salzburger Festspielen. Im
Dezember 2011 begann Heras-Casados vier­
jährige Amtszeit als Erster Dirigent des Orchestra of St. Luke’s in New York, die auch regelmäßige Auftritte in der Carnegie Hall einschließt.
In der Saison 2012/13 kehrte der Dirigent auf
die Podien des Los Angeles Philharmonic Orchestra, des Chicago und San Francisco Symphony Orchestra, des Tonhalle-Orchesters Zürich, des Symphonieorchesters des Bayerischen
Rundfunks sowie des Mariinskij-Orchesters St.
Peters­­b urg zurück.
Im Opernfach leitete Pablo Heras-Casado u. a.
Neuinszenierungen von „Rigoletto“ an der Deutschen Oper in Berlin und von „Les Vêpres siciliennes“ an der Alten Oper in Frankfurt. Erfolgreich setzte er sich für das neue Violinkonzert
von Peter Eötvös „DoReMi“ ein, das er 2013 mit
Midori als Solistin beim Los Angeles Philharmonic Orchestra zur Aufführung brachte. Darüber hinaus steht Pablo Heras-Casado regelmäßig am Pult des Ensemble intercontemporain
und des Klangforum Wien.
31
Die Künstler
Christian Tetzlaff
Genia Kühmeier
Violine
Sopran
Der 1966 in Hamburg
geborene Geiger studierte an der Lübecker
Musikhochschule bei
Uwe-Martin Haiberg
und in Cincinnati / USA
bei Walter Levin; er gehört heute zu den vielseitigsten Musikern seiner Generation. Christian Tetzlaff gastiert auf allen Konzertpodien der
Welt als Solist führender Orchester wie der Berliner und Wiener Philharmoniker, des Boston Symphony und Cleveland Orchestra, der großen Londoner Orchester und des NHK Orchestra Tokyo. Er
wird regelmäßig zu internationalen Festivals wie
den Londoner Proms, den Salzburger Festspielen
und dem Schleswig-Holstein-Musik­festival eingeladen. Neben dem klassisch-romantischen Repertoire widmet sich Christian Tetzlaff intensiv
der Musik des 20. Jahrhunderts; seine Interpretationen der Violinkonzerte von Berg, Ligeti,
Schönberg und Schostakowitsch setzten Maßstäbe. Tetzlaffs besondere Vorliebe gilt außerdem
der Kammermusik, die ihn mit Musikern wie Christoph Eschenbach, Boris Pergamenschikow, Heinrich Schiff und Tabea Zimmermann zusammenführte; er hat sein eigenes Streichquartett und
gibt Duoabende u. a. mit Leif Ove Andsnes, Matthias Kirschnereit und Lars Vogt. Christian Tetzlaff
musiziert regelmäßig mit den Münchner Philharmonikern.
Nach ihrem Studium am
Salzburger „Mozarteum“
und an der Wiener Universität für Musik und
darstellende Kunst legte
Genia Kühmeier 2002
mit dem Ersten Preis beim
Salzburger Mozart-Wettbewerb den Grundstein
für ihre solistische Karriere. Noch im selben Jahr feierte sie mit der Diane
in Glucks „Iphigénie en Aulide“ unter Riccardo Muti ihr erfolgreiches Debüt an der Mailänder Scala.
2003 wurde die österreichische Sopranistin als
Karajan-Stipendiatin Ensemblemitglied der Wiener
Staatsoper und wenig später für ihr Debüt als Inès
in Donizettis „La Favorite“ mit der Eberhard-Waechter-Medaille ausgezeichnet. Ebenfalls in Wien verkörperte Genia Kühmeier erstmals die Pamina in
Mozarts „Zauberflöte“ – eine Partie, mit der sie
seither bei den Salzburger Festspielen und an zahlreichen führenden Opernhäusern auftrat. Bei den
Salzburger Festspielen wurde Genia Kühmeier außerdem für die Gestaltung der Euridice in Glucks
„Orfeo ed Euridice“ (2010) und der Gräfin in Mozarts
„Figaro“ (2011) gefeiert. Weitere wichtige Rollen
ihres Repertoires sind Ilia in „Idomeneo“, Micaëla
in „Carmen“, Sophie im „Rosenkavalier“ und Zdenka in „Arabella“. Im Konzertsaal arbeitet Genia
Kühmeier u. a. mit Nikolaus Harnoncourt, Simon
Rattle, John Eliot Gardiner, Riccardo Muti und Mariss Jansons.
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Auftakt
Dirigenten
Die Kolumne von Elke Heidenreich
Meine erste Kolumne für diese Programmhefte schrieb ich vor genau zwei
Jahren über den Antritt von Lorin Maazel als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, und ich hörte sein grandioses Antrittskonzert mit Mahlers Symphonie Nr. 9. Was für ein Meister stand
da am Pult, und wie leuchtete das Orchester!
Nun ist Lorin Maazel im Juli gestorben und hinterlässt eine Lücke, die andere Dirigenten natürlich
füllen können, aber seinen ganz speziellen Stil,
seine immense Erfahrung kann so schnell keiner
ersetzen, denn jeder Dirigent ist einzigartig – darum haben wir ja alle unsere Vorlieben und Abneigungen bei diesem Thema. Das zeigt letztlich nur,
wie lebendig die Musikszene ist, was alles möglich
ist. „Um einem Missverständnis vorzubeugen: aus
der Spitze des Taktstockes ist noch nie ein Ton herausgekommen.“
Mit diesem Satz leitet der Musikkritiker Wolfgang
Schreiber sein Buch über Große Dirigenten ein.
Wenn aber aus dem Taktstock nichts herauskommt
– wie machen die das dann, fragt er. Hypnotisieren
sie das Orchester? Haben sie alles im Kopf und in
den Händen? Wozu das magische Stöckchen? Und
was genau ist das Geheimnis eines großen Dirigenten?
Dasselbe, was auch das Geheimnis aller großer
Komponisten, Maler, Schriftsteller ist: die Mischung aus Talent und Kraft, Charisma, Zielstrebigkeit, Fleiß, Disziplin. Zuallererst aber: Talent.
Und dann gibt es die Klangmagier, die Perfektionisten, die Genießer, es gibt die Exzentriker, die
Schweigsamen, die Kommunikationsgenies, die kleinen Diktatoren.
Der italienische Filmregisseur Federico Fellini, der Musik so liebte,
setzte dem Maestro in seinem Film
„Orchesterprobe“ von 1979 ein Denkmal und sagte augenzwinkernd:
„Hochgewachsen soll er sein, der
ideale Dirigent, bleich, schön, gebieterisch, geheimnisvoll, magnetisch, das Antlitz geprägt von
edlem Leid.“
Ein Dirigent wie Lorin Maazel, der dirigierte, seit
er 11 Jahre alt war, kannte alle Musik, und er kannte sie in allen denkbaren Variationen. Dazwischen
noch den eigenen Stil, das eigene Tempo, die eigene Handschrift zu finden, ist etwas, das ich
immer wieder zutiefst bewundere und auch an
ihm bewundert habe. Auch Toscanini, Sanderling,
Karajan standen oder saßen noch mit über 80
Jahren am Pult und leisteten Grandioses. Und
man kann den Stil einzelner Dirigenten noch so
sehr analysieren, ein Orchester noch so sehr unter die Lupe nehmen – letztlich ist das Zusammenwirken von Dirigent und Orchester ein Mysterium,
ein Rest unbegreiflicher Rätselhaftigkeit, die das
Glück der Zuhörer ausmacht.
Wir werden dieses großartige Orchester in dieser Saison unter fast dreißig verschiedenen Dirigenten erleben, von denen der älteste 1935 und der jüngste 1984
geboren wurde – und wir werden hören, wie bekannte Klänge sich verändern und verwandeln.
Auch Maazel hätte es so gewollt: dass wir der
Musik treu bleiben und auch offen gegenüber allen möglichen Interpretationen.
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Eine Broschüre mit den neuen Konzertprogrammen für die Spielzeit 2014/15 ist ab sofort in den
Auslagen im Foyer des Gasteigs erhältlich. Allen
Abonnenten wurde im Vorfeld der Saison eine
Broschüre mit den Programmen nach Abo-Reihen
zugeschickt. Sollten Sie kein Exemplar erhalten
haben, bedienen Sie sich bitte an den Auslagen
oder wenden Sie sich bitte an unser Abo-Büro.
Abschied (I)
Unsere Hornistin Maria Teiwes wechselt zu den
Bamberger Symphonikern und tritt dort die
Stelle als Solo-Hornistin an.
Abschied (II)
Barbara Kehrig hat die Stelle als Kontrafagottistin beim Konzerthausorchester Berlin gewonnen,
die sie zum Start der Saison 2014/15 antreten wird.
Herzlich willkommen (I)
Wir begrüßen bei den Philharmonikern Floris
Mijnders (Solo-Cello), Fora Baltacigil (Solo-Kontrabass), Teresa Zimmermann (Solo-Harfe) und
Mia Aselmeyer (Horn). Sie treten zum Beginn
der neuen Spielzeit ihre Stellen und das damit
verbundene Probejahr an. Ein Kurzportrait finden Sie auf den folgenden Seiten.
Herzlich willkommen (II)
Ebenso herzlich heißen wir Sigrid Berwanger,
Jiweon Moon und Laura Mead (2. Violinen),
Christa Jardine und Julie Risbet (Bratschen),
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Johannes Hofbauer (Fagott) sowie Thiemo Besch
(Horn) willkommen. Sie haben einen Zeitvertrag
für die Saison 2014/15 erhalten.
Kampala, Uganda
Zu Gast in der Kampala Music School in Uganda.
Im August reisten zum ersten Mal Mitglieder des
Orchesters in die ugandische Hauptstadt Kampala, um dort mit Kindern und Musikern der Musikschule in Workshops gemeinsam zu musizieren und Konzerte zu geben. Die Eindrücke in
diesem tollen ostafrikanischen Land mit unglaublichen Menschen, die Shengni Guo, Traudl
Reich und Maria Teiwes dort erlebten, können
Sie in unserem Blog nachlesen bei facebook.
com/spielfeldklassik.
Fußball
Eine höchst unglückliche Niederlage beim Fußballspiel gegen das Team des Bayerischen Staatsorchesters musste der FC Philharmoniker verzeichnen. Stark ersatzgeschwächt – sechs
Stammkräfte mussten verletzungsbedingt kurzfristig absagen – und trotz drückender spielerischer Überlegenheit mit ansehnlichen Ballstaffetten nutzten selbst klarste Elfmeterchancen
nichts: das Spiel ging mit 0:1 verloren. Wir gratulieren dem Staatsorchester und freuen uns
auf das nächste Match. Wie es noch besser
geht, erlebten dann beide Mannschaften beim
WM-Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich – das Spiel schauten sich alle in kollegialer Eintracht beim gemeinsamen Grillen an.
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Konzertübersicht 2014/15
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Philharmonische Notizen
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Wir begrüßen...
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Mia Aselmeyer
Teresa Zimmermann
Instrument: Horn
Instrument: Harfe
Mia Aselmeyer wuchs
in ihrem Geburtsort
Bonn auf und war
Jungstudentin an der
Kölner Musikhochschule bei Paul van Zelm.
Während des Studiums
an der Hochschule für
Musik und Theater in Hamburg bei Ab Koster
war sie Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie und Stipendiatin der Orchesterakademien des Schleswig-Holstein Musikfestivals und
der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Für die
vergangene Saison erhielt sie bereits einen Zeitvertrag bei den Münchner Philharmonikern, nach
ihrem erfolgreichem Probespiel tritt sie nun ihr
Probejahr zur festen Stelle an.
„Mit der Stelle bei den Münchner Philharmonikern erfüllt sich mir ein Lebenstraum. Ich bin gespannt darauf mit dem Orchester an die unterschiedlichsten Orte zu reisen und der Welt somit
die Stadt München ein Stück näher zu bringen“,
bekennt Mia Aselmeyer, die in ihrer Freizeit gerne München und das Umland entdeckt und ihre
Häkel- und Backtechniken verfeinert.
Teresa Zimmermann
erhielt ihren ersten
Harfenunterricht in
ihrer Heimatstadt Hannover mit sechs Jahren. 2008 schloss sie
ihr Studium bei Maria
Graf an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin mit Auszeichnung in der Solistenklasse ab. Sie erhielt
zahlreiche Preise und Auszeichnungen bei allen
bedeutenden internationalen Wettbewerben
für Harfe.
Seit Jahren konzertiert sie als Gast bei renommierten europäischen Orchestern und war seit
2013 Solo-Harfenistin des Philharmonia Orchestra London. Solokonzerte gab sie unter anderem
mit den Duisburger Philharmonikern, dem Warschauer Sinfonieorchester und dem Konzerthausorchester Berlin. 2011 wurde sie von ARTE
unter der Moderation von Rolando Villàzon für
die Sendung „Stars von morgen“ aufgenommen.
Seit Dezember 2011 unterrichtet sie als Dozentin
für Harfe eine Hauptfachklasse an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
„Ich habe noch nie in Süddeutschland gelebt
und bin gespannt, was mich erwartet“, erzählt
sie. „Als begeisterte Sportlerin freue ich mich
sehr auf die viele Natur und die gute Luft!“
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Fora Baltacigil
Floris Mijnders
Instrument: Bass
Instrument: Cello
Fora Baltacigil, geboren in Istanbul, erhielt
ab dem Alter von neun
Jahren Bass-Unterricht
von seinem Vater, dem
Solo-Kontrabassisten
des Istanbul State
Symphony Orchestra.
Später studierte er bis zum Jahr 2002 am Istanbul University Conservatory und erhielt 2006
sein künstlerisches Diplom am Curtis Institute
of Music in Philadelphia, wo er Schüler Hal Robinsons und Edgar Meyers war.
Fora Baltacigil war Mitglied der Berliner Philharmoniker und Solo-Bassist des Minnesota
Orchestra und des New York Philharmonic Orchestras. Als Solist spielte er mit dem Minnesota Orchestra John Harbisons „Concerto for Bass
Viol“ und trat zusammen mit seinem Bruder Efe,
dem Solo-Cellisten des Seattle Symphony Orchestras, mit den Berliner Philharmonikern unter
der Leitung von Sir Simon Rattle auf (Programm:
Giovanni Bottesinis „Grand Duo Concertante“).
Seine Freizeit verbringt Fora Baltacigil – wenn
er nicht gerade als Hobby-Koch am Herd steht
und neue Rezepte ausprobiert – gerne als begeisterter Segler und Taucher in bzw. auf dem
Wasser.
Floris Mijnders, geboren in Den Haag,
bekam als Achtjähriger den ersten Cellounterricht von seinem
Vater. Ab 1984 studierte er bei Jean Decroos am Royal Conservatory Den Haag. Während seines Studiums
spielte er im European Youth Orchestra und besuchte Meisterklassen bei Heinrich Schiff und
Mstislav Rostropovich.
Mijnders wurde 1990, kurz nach Studienende,
1. Solo-Cellist im Gelders Orkest in Arnhem.
Nicht viel später wechselte er in gleicher Position zum Radio Filharmonisch Orkest. Seit 2001
war er 1. Solo-Cellist des Rotterdam Philharmonic Orchestra und wurde als Solo-Cellist von
zahlreichen renommierten europäischen Orchestern eingeladen.
Als Solist trat er mit vielen europäischen Orchestern auf, unter anderem mehrmals mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam und dem Radio Filharmonisch Orkest. Floris Mijnders ist
Professor für Violoncello am Sweelinck Concervatorium Amsterdam.
Neben der Musik ist Kochen Floris Mijnders Leidenschaft. Er freut sich auf die Zeit in München und
darauf, die schöne Natur Bayerns genießen und im
Winter Schlittschuhlaufen gehen zu können.
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Wir begrüßen...
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Über die Schulter geschaut
Im Dienste der Musik – die Notenarchivare
der Münchner Philharmoniker
Christian Beuke
Gefragt nach einem typigerne arbeiten die beiden
schen Arbeitstag, fällt ihre
Archivare für den EhrenAntwort kurz, prägnant und
dirigenten, Zubin Mehta.
mit einem Schmunzeln aus:
Denn pünktlicher als er ist
„Den gibt es nicht.“ Thomas
niemand. „Von ihm kommt
Lang und Georg Haider ardie Quinte mindestens drei
beiten seit zehn bzw. fünf
Monate vor der ersten ProJahren als Notenarchivare
be. Mehr als ausreichend
Zeit, damit wir die fertigen
bei den Münchner Philharmonikern. Vor allem sind sie
Stimmen pünktlich an die
dafür verantwortlich, dass Thomas Lang und Georg Haider (von links auf dem Foto) Orchestermusiker überdie Striche – die Auf- und arbeiten seit zehn bzw. fünf Jahren als Notenarchivare geben und sie die ProAbstriche der Streicher –
gramme vorbereiten könkorrekt in jede Stimme und nach den Wünschen des
nen. Unser Anspruch ist es, immer zwei bis drei
Dirigenten eingetragen sind. „Manche Maestri
Projekte voraus zu sein“, erläutert Georg Haider.
schicken uns eine sogenannte „Quinte“ – die ein„Treten Programmänderungen auf, hat die Aktualigerichteten Striche von je einer 1. und 2. Geige,
tät natürlich immer Vorrang.“
Bratsche, Cello und Bass“, erklärt Georg Haider.
Was sich auf den ersten Blick simpel anhört, ist
Durch ihre Hände wandern mitunter wahre Schätbei genauerem Hinsehen wesentlich komplexer.
ze. Gustavo Dudamel war sofort Feuer und Flamme
Jeder Maestro hat unterschiedliche Erwartungen:
als er hörte, dass es bei den Münchner Philharmoder eine bevorzugt das Notenmaterial eines benikern noch alte Noten gebe, die von Celibidache
stimmten Verlags, weil er mit diesen Noten schon
eingerichtet wurden und aus denen er dirigiert hat.
seit Jahren arbeitet. „Lorin Maazel hat dank seines
„Er fragte, ob er nach einer Probe kurz bei uns vorfotografischen Gedächtnisses sofort erkannt, ob es
bei kommen dürfe, um sich Partituren genauer an„sein“ Material war“, erinnert sich Thomas Lang.
zusehen“, berichtet Thomas Lang. „Fast eine Stun„Diese Stelle war doch bisher immer oben links auf
de war er da“ – eine Ausnahme, wie er gerne offen zugibt. „Mit offenem Mund hat er zugehört als
dieser Seite. Es ist ein wenig ungewohnt, wenn sie
auf einmal woanders auftaucht“, so der Kommentar
ich ihm sagte, dass die Münchner Philharmoniker
des Maestros. Andere Dirigenten sind dagegen
fast alle Orchesterwerke Richard Strauss’ vom
sehr an den neuesten Ausgaben interessiert, die
Komponisten selbst geschenkt bekommen haben.“
erst ganz frisch herausgekommen sind. Besonders
In der Tat eine absolute Besonderheit.
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Auch ein guter Draht zu den Musikern des Orchesters ist für Thomas Lang und Georg Haider selbstverständlich. Wünsche einzelner Kollegen werden
sofort erfüllt, sei es die Vergrößerung von Stimmen, das Übertragen kurzer Passagen in einen
anderen Notenschlüssel oder die Bereitstellung
von Stimmen auch mal früher als normalerweise
üblich. Wolfgang Berg, Bratscher und Erfinder des
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Odeonjugendorchesters, fragt regelmäßig für das
Patenorchester nach einer Quinte, damit die jungen Musiker die Striche in ihr gekauftes Material
übertragen können. Gleiches gilt für das Abonnentenorchester. Und unlesbare Stimmen, im letzten
Falle waren das zwei Soloviolinen, die in einem
Notensystem – „für das menschliche Auge kaum
mehr wahrnehmbar“ – zusammengefasst waren,
werden fein säuberlich getrennt neu notiert. Für
das beste künstlerische Ergebnis.
Georg Haider hat u.a. Komposition studiert. Bevor
er bei den Münchner Philharmonikern anfing, war
er als freischaffender Komponist tätig. Erst kürzlich
hat er mit einem außergewöhnlichen
Projekt von sich Reden gemacht: dem
Klangbuch „Der Dritte Mann“, nach
dem Roman von Orson Welles. Die
Musik für vier Zithern, Posaune und
Schlagzeug hat er ursprünglich für
ein Zitherfestival komponiert. Gemeinsam mit dem Sprecher Norbert
Gastell, mit verstellter Stimme als
Synchronstimme von Homer Simpson bekannt, ist ein Melodram entstanden, das der Mandelbaumverlag
herausgebracht hat. Deutschlandradio Kultur rezensiert: „Dieser „Dritte Mann“ ist kein
Futter für das Autoradio, kein Unterhaltungskrimi,
kein Auffrischen einer bereits bekannten Erzählung.
Georg Haiders „Der Dritte Mann – Orson Welles’
Schatten“ ist uneasy listening, faszinierend-verstörende Hörkunst, die bewusstes Hören erfordert.
Und nachdem man diesen Stoff mit anderen Ohren
gehört hat, wird man vermutlich auch den Film mit
anderen Augen sehen.“
Stets im Dienste der Musik eben.
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In der Regel aber wird das Notenmaterial eingekauft. Bedingung für den Erwerb ist, dass die Rechte der Komponisten an den Werken freigeworden
sind. In Deutschland ist das 70 Jahre nach dem Tod
des Komponisten der Fall. Richard Strauss zum
Beispiel ist also noch bis zum 1.1.2020 geschützt.
In Asien oder auch in Amerika gelten hingegen andere Regeln. So war in den USA bis vor kurzem
jedes Werk 50 Jahre nach dem Erscheinen des
jeweiligen Erstdrucks geschützt. Wann werden
welche Werke frei? Welche neuen Urtexte gibt es?
Fragen, die die beiden Archivare aus dem Stand beantworten können. Ein guter Draht zu den Musikverlagen ist dabei mehr als hilfreich, ja geradezu
Voraussetzung. Thomas Lang hat viele
Jahre in einem großen Notenverlag
gearbeitet, er kennt auch die andere
Seite bestens und hat schon die eine
oder andere kritische Situation still und
einvernehmlich gelöst. Vorher war er
als Dramaturg an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. Kein Wunder, dass seine große Liebe der Oper
gilt, genauer gesagt der unentdeckten
Oper. Mehr als 600 verschiedene Opern
hat er bereits gesehen, dafür reist er
durch ganz Deutschland, wann immer
es die Zeit zulässt. Besonders angetan ist er von
den zahlreichen Raritäten, die das Stadttheater Gießen schon seit Jahren ausgräbt.
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Orchestergeschichte
Ein außergewöhnliches Konzert mit
Gustav Mahlers nachgelassenem Adagiosatz
Gabriele E. Meyer
Am 17. Dezember 1931 stellte der Konzertverein
in Verbindung mit der 1927 von Fritz Büchtger gegründeten „Vereinigung für zeitgenössische Musik“ vier für München ganz neue und „gegensätzliche“ Werke vor. Am Pult der Münchner Philharmoniker stand Hermann Scherchen, zeit seines
Lebens unbeirrbarer Förderer der neuen Musik und
Freund vieler Komponisten. Mit Feuereifer erarbeiteten die Musiker Gustav Mahlers Adagio aus dessen unvollendet gebliebener zehnten Symphonie
sowie Paul Hindemiths 1930 für das Bostoner Symphonieorchester komponierte „Konzertmusik für
Streichorchester und Bläser“ op. 50, Arthur Honeggers Symphonie Nr. 1 (1930) und Wladimir
Vogels „Zwei Orchester-Etüden“, ebenfalls aus
dem Jahre 1930.
Schon in der Ankündigung zu dem Konzert machten die „Münchner Neuesten Nachrichten“ auf die
schwierige musikgeschichtliche Stellung des damals noch kontrovers diskutierten österreichischen
Komponisten aufmerksam. „Mahler ist oft als einer
der Väter der sogenannten neuen Musik bezeichnet worden, wenn auch diese Beziehung sehr problematisch ist und man eher ihn als den Ausklang
der Romantik bezeichnen kann.“ Das Echo auf diesen Konzertabend aber war enorm, wobei gerade
Mahlers Adagiosatz den größten Eindruck hinterließ. So wurden die „innere Konzentration“ und
die „ergreifende Ausdruckskraft des breit in
schmerzlicher Schönheit hinströmenden Gesanges“ ebenso vermerkt wie die „Spannung weiter
Intervalle“. Ein anderer Rezensent sah den Satz
als „erschütternden Ausklang einer um die letzten Dinge wissenden Seele“. Interessant, notabene, ist hier auch der Hinweis auf Brucknersche
Gedankengänge. Es scheint, als ob die Logik des
Zerfalls, das musikalische Bild des Todes, das
Mahler hier komponiert hat, geradezu hervorragend getroffen wurde.
Wie nun Hermann Scherchen die Werke des ganzen Abends „musikalisch und geistig, aber auch
dirigiertechnisch vermittelt hat, war“, nach übereinstimmender Meinung, „wieder im höchsten
Grade bewunderungswürdig. Aber auch die Münchner Philharmoniker zeigten sich an diesem Abend
auf der vollen Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Sie
spielten glänzend.“ Ein besonderes Lob erhielten
die Blechbläser, die wahrlich keinen leichten
Abend hatten. Der schönste Dank aber kam von
Scherchen selbst. In einem offenen Brief an die
Philharmoniker würdigte er deren großartigen
Einsatz. „Nicht nur, daß Sie ein exzeptionell
schwieriges Programm virtuos bewältigten, haben Sie auch vermocht, vier ganz gegensätzliche
Stile scharf profiliert darzustellen und dies auf
Grund von relativ knappster Probenarbeit. Ich habe bewundert, mit welch persönlichem Interesse
Sie sich schnell zu den Ihnen ganz fremden Werken in Beziehung zu bringen vermocht haben und
ich war glücklich und Ihnen restlos dankbar, daß
Ihr künstlerisches Verantwortungsgefühl es mir
ermöglicht hat, noch am Abend unmittelbar vorm
Konzert zu probieren und so in hohem Maße der
Kunst dienen zu können.“
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Ehrenamt in Kampala
Jutta Sistemich, über 10 Jahre tätig im „Spielfeld Klassik“-Team
und Gründerin des Mädchenheims SUNRISE HOME OF KAMPALA in Uganda
Uganda zählt zu den kinderreichsten,
ärmsten Ländern Afrikas. 2 Millionen
Waisen sind dort registriert, ca. die
Hälfte der Bevölkerung ist jünger als
16 Jahre. Für viele Kinder dort bedeutet dies keine vielversprechenden Zukunftsaussichten, wenig Hoffnung auf
eine gute Schulausbildung und ausreichende medizinische Versorgung.
Gleich bei meinem ersten Aufenthalt in Kampala im
April 2011 entstand die Idee, ein Heim für Mädchen
einzurichten, die dort ein neues zu Hause bekommen
und die Chance auf eine gute Ausbildung erhalten.
Im September 2012 gründete ich gemeinsam mit
meiner Tochter Viola und meiner Freundin Leilah
Nassozi (siehe Foto), das SUNRISE HOME OF KAMPALA, das heute 20 Kinder beherbergt. Unsere Projekte sollen vielen Kindern helfen – z.B. durch unsere Tanzgruppe, in der auch viele Kinder der Nachbarschaft mittanzen und einige Schulgelder von uns
erhalten. Oder die geplante Nähschule, um Bewohnern der Dorfgemeinschaft eine Ausbildungsmöglichkeit zu geben.
Da auch die klassische musikalische Förderung einen
Schwerpunkt bildet, lag es nahe, den Kontakt zur
Kampala Music School (KMS), dem Zentrum für klassische Musik und Jazz in Uganda, zu suchen und die
Idee der Kooperation anzuregen. Fred Kiggundu Musoke, Leiter der KMS, war direkt begeistert und so
entwickelten wir verschiedene Szenarien, von denen
wir den ersten Schritt im Juli diesen
Jahres realisierten.
Die Musikerinnen Traudel Reich, Maria
Teiwes und Shengni Guo reisten zusammen mit Simone Siwek, der Leiterin von
„Spielfeld Klassik“, nach Kampala.
Workshops mit Lehrern und Schülern
standen auf dem Programm, gemeinsames Musizieren und ein Konzert. Der gegenseitige
Austausch stand im Vordergrund, wobei Schüler und
Lehrer der Musikschule mit großer Begeisterung dabei waren. Natürlich sind die Gegebenheiten vor Ort
nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. Kurzfristige Änderungen von Plänen sind üblich und lange Wartezeiten keine Seltenheit. Dennoch: Dank
gutem Willen, Improvisationstalent und viel Enthusiasmus aller Beteiligten wurde der erste Besuch der
MPhil-Delegation ein voller Erfolg.
Wenn auch Sie unsere Arbeit unterstützen möchten
– Ihre Hilfe erreicht unsere Kinder direkt.
Alle wichtigen Informationen erhalten Sie unter
www.empologoma.org.
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Das letzte Wort hat...
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Do. 27.11.2014, 20:00 2. Abo b Fr. 28.11.2014, 20:00 2. Abo c
Sa. 29.11.2014, 19:00 3. Abo d
Jan Müller-Wieland
„Egmonts Freiheit oder Böhmen
liegt am Meer“ für Sprecher,
Sopran, Chor, Orgel und
großes Orchester
Vorschau
So. 07.12.2014, 11:00 2. KaKo
Mo. 08.12.2014, 20:00 3. Abo f
Mi. 10.12.2014, 20:00 3. Abo a
„Wahlverwandtschaften“
Antonín Dvořák
Klavierquartett Nr. 1 D-Dur
op. 23
Josef Suk
Klavierquartett a-Moll op. 1
Kurt Weill
Symphonie Nr. 2
Johannes Brahms
Klavierquartett g-Moll op. 25
(Instrumentierung: Arnold
Schönberg)
Uraufführung
Jan Müller-Wieland, Dirigent
Claudia Barainsky, Sopran
Klaus Maria Brandauer,
Sprecher
Friedemann Winklhofer, Orgel
Philharmonischer Chor
München, Einstudierung:
Andreas Herrmann
Impressum
Herausgeber
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4,
81667 München
Lektorat: Stephan Kohler
Corporate Design:
Graphik: dm druckmedien
gmbh, München
Druck: Color Offset GmbH,
Geretsrieder Str. 10,
81379 München
Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix
zertifiziertem Papier der Sorte
LuxoArt Samt.
Johannes Brahms
Klavierquartett Nr. 2 A-Dur
op. 26
Michael Sanderling, Dirigent
Wolfram Lohschütz, Violine
Burkhard Sigl, Viola
Joachim Wohlgemuth,
Violoncello
Paul Rivinius, Klavier
Textnachweise
Wolfgang Stähr, Nicole Restle,
Stephan Kohler, Elke Heidenreich,
Christian Beuke, Gabriele E. Meyer
und Jutta Sistemich schrieben
ihre Texte als Originalbeiträge für
die Programmhefte der Münchner
Philharmoniker. Die lexikalischen
Angaben und Kurzkommentare zu
den aufgeführten Werken redigierte bzw. verfasste Stephan Kohler.
Künstlerbiographien: Agenturtexte (Heras-Casado, Tetzlaff,
Kühmeier). Alle Rechte bei den
Autorinnen und Autoren; jeder
Nachdruck ist seitens der Urheber
genehmigungs- und kostenpflichtig.
Bildnachweise
Abbildung zu Wolfgang Amadeus Mozart: Maximilian Zenger
und Otto Erich Deutsch (Hrsg.),
Mozart und seine Welt in zeitgenössischen Bildern (Neue
Mozart-Ausgabe, Serie X:
Supplement, Werkgruppe 32),
Kassel 1961. Abbildungen zu
Felix Mendelssohn Bartholdy:
Hans-Günter Klein (Hrsg.), Felix
Mendelssohn Bartholdy – Ein
Almanach, Leipzig 2008. Abbildungen zu Gustav Mahler: Gilbert
Kaplan (Hrsg.), Das Mahler Album,
New York / Wien 1995; Kurt Blaukopf und Zoltán Román, Mahler –
Sein Leben, sein Werk und seine
Welt in zeitgenössischen Bildern
und Texten, Wien 1976. Künstlerphotographien: Felix Broede (HerasCasado); Giorgia Bertazzi (Tetzlaff);
Tina King (Kühmeier); Leonie von
Kleist (Heidenreich); Privat (Aselmeyer, Zimmermann, Baltacigil,
Mijnders); Simone Siwek (Sistemich).
Michael Sanderling
Dirigent
Kurt Weill
Symphonie Nr. 2
Johannes Brahms
Klavierquartett g-Moll op. 25
(Instrumentierung: Arnold Schönberg)
Mo. 08.12.2014, 20 Uhr
Mi. 10.12.2014, 20 Uhr
Philharmonie im Gasteig
Karten € 61 / 51,50 / 45 / 36,90 / 31,20 / 18,10 / 12,30
Informationen und Karten über München Ticket
KlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
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