067 BUND – 09 – SCHWARZ 067 BUND – 09 – CYAN 067 BUND – 09 – MAGENTA 067 BUND – 09 – GELB 9 MONTAG, 21. MÄRZ 2005 KULTUR An Ostern fällt alles Schwere ab THEATER Samuel Schwarz und Raphael Urweider zeigen in Basel eine eigenwillige Inszenierung von Max Frischs Stück «Andorra». Seite 11 LEIPZIGER BUCHMESSE Noch mehr Aussteller und noch mehr Veranstaltungen: Die Leipziger Buchmesse hat ihren Platz gefunden. Seite 11 KULTURNOTIZEN «Mona Lisa» zieht um PARIS Das bekannteste Bild der Welt, die «Mona Lisa» von Leonardo da Vinci, zieht eine Woche nach Ostern um. Am 4. April wird das Porträt der geheimnisvoll lächelnden «Gioconda» mit höchster Umsicht aus dem Rosa-Saal des Pariser Louvre entfernt. Ihre neue Bleibe wird sie im 150 Meter entfernten renovierten «Salle des Etats» des Museums finden. Der japanische TV-Sender NTN übernahm die Kosten in Höhe von 4,8 Millionen Euro, berichtete das Pariser «Journal du Dimanche». (sda) Zentrum für Fotografie NEW YORK Das Metropolitan Museum of Art in New York hat die rund 8500 Bilder umfassende Gilman Paper Company Collection erworben. Dabei handelt es sich um eine der berühmtesten und umfangreichsten Privatsammlungen der Fotografie. Die Sammlung sei teils gekauft und teils gestiftet worden, teilte das Museum mit. Das Museum rückt durch den Erwerb der Gilman-Fotosammlung zu einem der weltweit führenden Zentren für Fotografie auf. Eine erste Auswahl der Werke soll ab dem 17. April zu sehen sein. (sda) 130 Werke von Picasso COMO In der Villa Olmo im italienischen Como sind seit Samstag 130 Werke von Pablo Picasso zu bewundern. Die Ausstellung dreht sich um Darstellungen der Klassik in Bildern, Skulpturen und Keramiken des grossen spanischen Künstlers. Die Ausstellung besteht aus vier Teilen: Ausbildungsjahre 1895 bis 1903, Aufenthalt in Paris und blaue Periode, klassische Mythologie sowie die Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung in Como dauert bis 17. Juli. (sda) Verdienstkreuz für Simmel BERN Der in Zug wohnhafte öster- reichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel (80) ist in der Deutschen Botschaft in Bern mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Die Verleihung erfolgte «zur Würdigung seines gesellschaftspolitischen Engagements und in Anerkennung seiner um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen Verdienste», teilte die Botschaft mit. Der Wahlschweizer Simmel hat sich einen Namen gemacht als Verfasser sorgfältig recherchierter, gesellschaftskritischer, aber dennoch süffiger Romane. Seine Gesamtauflage beträgt 73 Millionen in 33 Sprachen. (sda) Vertonte Verkündigung: Der Berner Kammerchor führt im Münster Jörg Ewald Dählers Lukas-Passion auf In nur zwei Wochen hat er die Lukas-Passion komponiert. Was ihn dazu veranlasste, das Passionsgeschehen zu vertonen, kann der heute 72-Jährige nicht schlüssig sagen. «Ich musste es einfach tun», sagt Jörg Ewald Dähler. «Die Grösse des Textes hat die Musik in mir wachgerufen.» MARIANNE MÜHLEMANN Unauffällig und leise ist sie angebrochen, die Karwoche. Eine ganz besondere Zeit. Doch viele Zeitgenossen, so scheint es, könnten es ganz gut ohne sie machen: Ihr ganz persönliches Kreuz mit dem Karfreitag äussert sich darin, dass ihr Blick längst auf Ostern gerichtet ist – auf Hasen, bunte Eier und ein verlängertes Wochenende. Für den Berner Musiker Jörg Ewald Dähler macht Ostern ohne Karwoche keinen Sinn. Seit der Kindheit begleitet ihn das Wissen um die Passionsgeschichte. Den heute 72-Jährigen, der als Zweitältester von fünf Buben im Pfarrhaus in Langnau aufgewachsen ist, hat die Jugend geprägt. Sein Vater habe als Pfarrer Wert auf die Pflege der Traditionen gelegt, aber sie auch lebendig erhalten, indem er Gründonnerstagsfeiern einführte. «Das war ein Novum für jene Zeit», sagt Dähler. Dass er bei der Vertonung seiner Lukas-Passion nicht mit dem Karfreitagsgeschehen einsetzt, sondern mit dem Tag davor, habe wohl unmittelbar mit diesen Kindheitserinnerungen zu tun. Was ihn dazu veranlasst hat, das Passionsgeschehen zu vertonen, kann er nicht schlüssig beantworten. Die Grösse des Textes habe wohl die Musik in ihm wachgerufen. Den Text nach dem Evangelisten Lukas hat er gewählt, weil hier die menschliche Wärme besonders zum Ausdruck komme. Und auch, weil er beim Lesen der Matthäus- oder Johannes-Passion Bach und Schütz höre. Diesen Meisterwerken, die er unzählige Male einstudiert hat, gebe es nichts mehr hinzuzufügen. Für die Wiederaufführung hat Dähler seine Passion leicht modifiziert. Dazugekommen ist ein Epilog, begraben musste er die Idee, im Schlusschoral die Grenzen zwischen Ausführenden und Zuhörern zu verwischen. «Alle sollten im Inspiriert aus dem 17. Jahrhundert: In Dählers Lukas-Passion werden die Christusworte nicht von Solisten, sondern vom Chor wiedergegeben. Bild: «Der Gang zum Kalvarienberg (Die Kreuztragung)» von Giovanni Battista Tiepolo, um 1738/1740. gemeinsamen Gesang am Osterjubel teilhaben. Doch es zeigte sich bereits bei der Uraufführung 1987, dass ein heutiges Publikum die Choräle aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch kaum mehr kennt.» Traditionell und raffiniert In zwei Wochen hat Dähler seine Lukas-Passion geschrieben, 87 Minuten Musik, die zwar zeitgenössisch sind, aber keineswegs atonal. Er komponiere bewusst traditionell, sagt Dähler. Durch die Aufhebung der Tonalität entstehe ein Schwebezustand, der zwar kurzzeitig faszinieren könne. «Aber länger hält diesen Zustand kein Mensch aus.» Bewusst hat er jedes Stück auf einen Grundton bezogen. Damit gelinge es ihm musikalisch, «den Boden unter den Füssen», den Bezug zur Welt auszudrücken. Dass traditionell komponieren auch raffiniert komponieren heisst, wird klar, wenn Jörg Ewald Dähler sein Kompositionsprinzip offen legt. Inspiriert haben ihn die Choralpassionen aus dem 17. Jahrhundert, in denen das Christuswort immer mehrstimmig gesetzt wurde, damit sich kein einzelner Sänger mit Christus identifizieren konnte. In Dählers LukasPassion gibt es ebenfalls keine Solisten, die Christusworte werden vom Chor wiedergegeben, wobei der Komponist die Einstimmigkeit des Chors bis zur Achtstimmigkeit auffächert. An wichtigen Stellen lässt er ein Posaunenquartett mitspielen. Auch das entspreche einer alten Tradition. «Im Barock wurden in den Kirchen vor dem Einbau der Orgeln die Gesänge durch Posaunisten begleitet», sagt Dähler. Das Prinzip der Borduntöne, das heisst stehender Töne, wie man sie etwa heute aus der schottischen Musik kennt, verweist historisch noch weiter zurück. Be- reits die Griechen haben mit Borduntönen gearbeitet. Dähler hat jeder Station in der Passionsgeschichte einen Bordunton zugeordnet. Während der ganzen Passion durchläuft der Orgelbass einmal die Kirchentonleiter. «Der achte Ton, das C, bedeutet die Vollendung, wo Christus wieder erscheint. Die Zahl 8 bedeutet auch in der Offenbarung die Erfüllung, und in der Musik gilt die Oktave neben der Prim als das reinste Intervall», sagt der Komponist. Musik als Trägerin des Wortes Unzählige Male hat Dähler die Passionen von Bach und Schütz einstudiert und aufgeführt. Ist er aufgeregter jetzt, wo er sein eigenes Werk zum Erklingen bringt und dabei dem Publikum in dreifacher Funktion Rechenschaft ablegen muss, als Dirigent, als Chorleiter und als Komponist? «Nein», sagt Dähler. «Nicht mehr und nicht we- AKG niger.» Man beginne bei der Interpretation eines Werk jedes Mal wieder bei Null. «Die Noten sind bloss Hülsen. Die musikalische Interpretation ist etwas, das man nicht notieren kann.» Das Wichtigste sei ihm, den Passionstext zu vermitteln. «Meine Musik ist Trägerin des Wortes, vertonte Verkündigung. Und sie hört nicht beim Tod Jesu auf. Sondern führt weiter zu Ostern.» Vom Dunkel ins Licht, von Moll nach Dur. Jörg Ewald Dähler macht das Geheimnis erlebbar: An Ostern fällt plötzlich alles Schwere ab. [i] DAS KONZERT mit dem Berner Kammerchor, Heidi Maria Glössner (Rezitationen) und dem Slokar Posaunen-Quartett findet am 23. März (19.30 Uhr) und am Karfreitag (16 Uhr) im Berner Münster statt. Vorverkauf: Telefon 079 783 35 94, online: www.bernerkammerchor.ch. Totenmesse und Wandergesang Am Lucerne Festival waren Mariss Jansons und das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast Mit ihren beiden Auftritten gelten die Musiker aus München als «Orchestra in Residence» bei der Osterausgabe des Lucerne Festivals. Zumindest halbwegs hielten sie sich an die geistliche Leitlinie. MARIO GERTEIS Mariss Jansons ist in Luzern überaus präsent – von allen Plakatwänden blickt sein Konterfei herab. Das ist der Beitrag des Hauptsponsors dieses Osterfestivals, und die drei Schlagworte mögen sich auf das eigene Image wie auf den lettischen Stardirigenten beziehen: Tradition, Perfektion, Pioniergeist. Traditionell ist das Angebot, das sich ausschliesslich auf Musik des späteren 19. Jahrhunderts stützt. Perfektion darf man rechtens vom bayerischen Spitzenorchester erwarten. Requiem für den Konzertsaal Den Pioniergeist mochte man am ehesten im beherzten Einsatz für eine zwar bedeutende, aber selten zu hörende Chorschöpfung erkennen: das Requiem von Antonin Dvorak. Im Gegensatz zum bekannteren «Stabat Mater», das der tschechische Meister unter dem Eindruck des Todes von dreien seiner Kinder schrieb, ist die Totenmesse quasi abstrakt entstanden. Was nichts über ihre geistige Aussage meint: Dvorak war ein gläubi- ger Mensch, und die Meditation über den Tod und die Hoffnung auf Auferstehung können auch ohne direkten Anstoss ihre ergreifende Wirkung erreichen. Dvorak komponierte sein Requiem für das Chorland par excellence, für England; mit seinen Dimensionen sprengt es jeden kirchlichen Rahmen. Der Komponist wusste, was er von britischen Gesangsensembles verlangen durfte, und das ist noch heute eine veritable Herausforderung für den Chor des Bayerischen Rundfunks (einstudiert von Michael Gläser). Mit siebzig professionellen Sängerinnen und Sängern wird ein Optimum an vokaler Vielfalt erreicht – vom geflüsterten Pianissimo bis zur dramatischen Beschwörung des Jüngsten Gerichts. Bravouröser Kontrapunkt wird einzig in der «Quam olim Abrahae»-Fuge verlangt, wichtiger ist die romantische Klanglichkeit – das gilt ebenfalls für die meist ins Chorgefüge eingegliederten Solisten. Dabei haben die tieferen Stimmen der Altistin Elina Garanca und des Bassisten Robert Holl am stärksten überzeugt. Geselle und Meister Gustav Mahler und sein zeitweiliger Lehrer Anton Bruckner waren die Komponisten beim Sinfoniekonzert am Samstagabend. In seinem Frühwerk «Lieder eines fahrenden Gesellen» singt Mahler vor allem von sich selber – von Liebesfreud und Liebesleid eines jun- gen Menschen. Es könnte ich-bezogen bleiben, verstände es nicht der Sänger, das Subjektive ins Allgemeine zu wenden. Das ist Thomas Hampson auf beeindruckendste Weise gelungen. Man begreift, warum diese melancholischen Wandergesänge dem amerikanischen Bariton mit grosser europäischer Karriere so nahe stehen: Er kann seine samtene und zugleich ungemein vielfärbige Stimme mit überlegener Gestaltung zusammenbringen – in der weiten emotionalen Skala zwischen Melancholie und Verzückung. Nach der Pause Bruckners Dritte Sinfonie, wo der Meister von St. Florian zum ersten Mal ganz zu sich selber kommt – als letztlich unfassbarer Monolith in der Musik der Romantik. Bei der magistralen Ausdeutung durch Mariss Jansons und sein Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks mochte man nur eines bedauern: dass er die letzte, vor allem in Finale arg gestraffte Fassung wählte. Denn Jansons, der geradezu instinktiv den natürlichen Fluss von komplexer Musik findet, der eine wundersame Einheit zwischen liebevoll ausgeschafften Details und grosser Architektur stiftet, ist hier von A bis Z der souveräne Interpret. Der epische Atem hat Spannung, die Klangpracht ist nie Selbstzweck, sondern bleibt stets Ausdruck. Bruckners spirituelle Botschaft kommt ohne Weihrauch zu uns.