Univ.-Prof. Dr. Josef Tomiska MODERNE EINFÜHRUNG IN DIE THERMODYNAMIK (Für LA-Kandidaten) UNIIVERSITÄT WIEN, WIEN 2010. UNIV.-PROF. DR. JOSEF TOMISKA _____________________________________________________________________ HOME PAGE: HTTP://WWW .UNIVIE.AC.AT/TOMISKA © Copyright 2010 by Josef Tomiska, Universität Wien. - Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen oder Textteilen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfältigung für gewerbliche Zwecke ist gemäß Urheberrecht eine Vergütung an den Eigner zu zahlen, deren Höhe mit ihm zu vereinbaren ist. Zsuzsanna und Heide-Thérèse, den beiden Damen meines Herzens, in Liebe und Freude. Inhalt 1. 1.1 1.2 1.3 Wärme Wärme und Wärmeempfindung Historische Wärme-Reminiszenzen Der Brennstoff der Sonne 1 1 3 5 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 Unsere Beobachtungs- und Beschreibungstechniken Phänomene, Objekte, Prozesse Thermodynamik, kinetische Gastheorie und Statistische Physik Moderne Wissenschaft Variablen, Funktionen und Potentialfunktionen „Strom“ (Transportleistung) Bilanzen 8 8 9 12 14 17 18 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 Energie Arbeit, Kraft und Energie Die Entdeckung der Energie Heutige Energie-Definitionen Eigenschaften der Energie Energietransporte Gibbs’sche Gleichung des Energieaustausches 20 20 22 24 26 28 30 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 Systeme und Prozesse Physikalische Systeme Wechselwirkung Zustand Prozess Energiewandler, Wirkungsgrad und Heizwert 34 34 36 37 38 39 5. 5.1 5.2 5.3 5.4 Temperatur (Wärmezustand) Temperaturmaße Empirische, absolute und dynamische Temperatur Messmethoden Geschwindigkeitsabhängigkeit der Temperatur (Für Interessierte) 41 41 42 43 44 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 Energie und Entropie Entropie Die Erzeugung von Entropie Innere Energie U Die Rolle von Hauptsätzen in der Naturwissenschaft Moderne Form der Wärmehauptsätze Ältere Formulierungen der Wärmehauptsätze 48 48 51 52 56 57 59 7. 7.1 7.2 7.3 7.4 Materiezustände Aggregatzustände der Körper Phasen Änderungen der Aggregatzustände Wärmeausdehnung 60 60 62 62 63 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 Gleichgewichte, Energiefunktionen Synonyme Energiebezeichnungen Gleichgewichte Übergang zwischen den einzelnen Energiefunktionen Molare Wärmekapazität Temperaturabhängigkeit thermodynamischer Funktionen Die molaren Mischungsfunktionen Experimentelle Bestimmungsmethoden für die molaren Zusatzfunktionen 65 65 66 69 71 72 72 9. 9.1 9.2 Chemische Reaktionen Reaktions- und Bildungsenergie Beispiele 79 79 82 10. 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 Gase Gase und Dämpfe Das ideale Gas Die realen Gase Transporterscheinungen bei Gasen Carnot’scher Kreisprozeß 84 84 85 87 90 90 11 11.1 11.2 11.3 Energienutzung Von uns benutzbare Energieformen Großtechnische Kraftwerke (Für Interessierte) Energiespeicherung 94 94 95 98 Literatur 76 99 1. Die „Wärme“ 1.1 „Wärme“ und Wärmeempfindung „Wärme“ ist ein physiologisches Gefühl, das nicht nur wir Menschen empfinden, sondern vermutlich sehr viele biologischen Lebewesen, denn das rechte Maß an Wärme ist entscheidend für unser Überleben. Nur lebende Körper weisen ein „Wärmegefühl“ auf, das durch ganz bestimmte, physikalische Abläufe in den Organismen verursacht wird. Das Wärmegefühl ist daher ein physiologisches Messinstrument, genauso wie Hunger und Durst: Sie alle warnen ihre Organismen vor Unregelmäßigkeiten in der Versorgungslogistik: Hunger indiziert Verknappung des unmittelbar verwertbaren Energievorrates, Durst meldet Nachfüllbedarf an Flüssigkeit, und das „Wärmegefühl“ warnt vor gefährlichen Tendenzen in den Veränderungen unseres inneren „Wärmezustandes“. Das Wärmegefühl ist also ein individuelles Maß des „Wärmezustandes“ von Objekten. Objektiviert wurde es durch die Einführung von „Temperaturskalen“. Die „Temperatur“ ist also das Maß für den „Wärmezustand“ von Objekten. Der Begriff „Wärme“ wurde allerdings im Laufe unserer Kulturgeschichte auf vielfältige Weise ausgeweitet. Insbesondere wurde das Wort „Wärme“ bald auch als Bezeichnung der Verursacher aller Geschehnisse in der Natur verwendet, bei deren Wirken wir eine Veränderung unseres Wärmegefühls empfinden. Heute wissen wir, dass unser Wärmegefühl immer dann verändert wird, wenn eine ganz spezielle Form von Energieübertragung stattfindet - und zwar jene, welche die ungeordnete, regellose Bewegung der Atome und Moleküle verstärkt oder abschwächt. Diese spezielle Transportform der Energie (auch: „Energieform“) nennen wir daher „Wärmeenergie“ oder „thermische“ Energie. Auf Lateinisch heißt „Wärme“ „calor“ und auf Griechisch „thérme“. Diese drei Begriffe sprechen daher identisch dasselbe an. Wir machen in unserem Sprachgebrauch einzig und alleine nur deshalb Unterschiede, weil wir es so gewohnt sind. Aus reiner Tradition verwirren wir uns also, indem wir die Identität von „Kalor“, „Thermo“ und „Wärme“ nicht herausstreichen. Damit sind aber auch „kalorisch“ und „thermisch“ nur Fremdwörter zu dem etwas unüblichen deutschen Wort „wärmisch“. Viele andere Einteilungen und Bezeichnungen, die heute noch in unseren Naturwissenschaften - insbesondere in der Thermodynamik - gebräuchlich sind, erweisen sich bei näherer Überlegung ebenfalls als überholt, und zuweilen sogar irreführend, da sie uns den Blick verstellen auf die Wirkungsweisen und Zusammenhänge, wie sie von 1 der modernen Wissenschaft gesehen werden. Dennoch behalten die allermeisten Forscher und Lehrer solche Begriffsbildungen bei - aus vielerlei Gründen, die wir aber hier nicht einmal im Ansatz diskutieren wollen, da wir uns hier mit physikalischen Fragen beschäftigen wollen. Das Festhalten an überholter Systematik und Terminologie ist wesentlich verantwortlich dafür, dass die Wärmephänomene unserer Welt so schwierig zu verstehen sind und dementsprechend oft auf unverschuldete Ablehnung treffen. Es finden sich in der Literatur allerdings einzelne Autoren, welche sich der didaktischen Aufgabe unterzogen haben, diese Traditionsphalanx zu durchbrechen, eine Begriffsbereinigung durchzuführen und eine deutlich verständlichere Einführung in die Welt der Thermodynamik zu suchen. Ich schließe mich ihnen aufgrund meiner Liebe zur Natur aus voller Überzeugung an. Wir wissen heute, dass jede einem Körper zugeführte „Wärmeenergie“ zu einer Erhöhung der Beweglichkeit seiner Moleküle führt, dass dadurch die Bewegungsenergie der Körpermoleküle erhöht wird. Abkühlung ist der Umkehrvorgang, die Bewegungsenergie der Körpermoleküle wird verringert. Die Bewegungsenergie (auch: kinetische Energie) der Moleküle ist aber nicht die Erklärung für die „Wärmeenergie“, ansonsten wären diese beiden Energieformen ja identisch und wir könnten bei unseren Autos davon sprechen, dass bei einer abrupten Abbremsung „Wärmeenergie“ vernichtet wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall: die Bewegungsenergie des Autos wird in die Energieform „Wärmeenergie“ transformiert. Thermische Energiezufuhr erhöht nur die Eigenbeweglichkeit der Moleküle des Zielobjektes indem sie dort eben in Bewegungsenergie der Moleküle umgewandelt wird! Der Wärmezustand (die Temperatur) der Objekte ist immer streng zu unterscheiden von der Wärmeenergie (früher: Wärmeinhalt), die wie alle anderen Energieformen auch dem Energieerhaltungssatz unterliegt. Eine Änderung der Temperatur (des Wärmezustandes) ist nicht identisch mit der Zu- oder Abfuhr von Wärmeenergie. „Wärme“ oder „Wärmemenge“ sind völlig korrekte Begriffe zur Charakterisierung von Veränderungen in der Natur, nicht jedoch für statische Beschreibungen. Ein Körper wird erhitzt, wenn ihm Wärmeenergie zugeführt wird. Dadurch wird selbstverständlich die (Gesamt-)Energie und die Temperatur des Körpers erhöht, aber nicht seine „Wärmemenge“! Körper verfügen über Impuls, Volumen, ... sowie auch Energie, aber nicht über „Wärme“. Sie befinden sich zwar immer in „Wärmezuständen“, sie weisen also „Temperaturen“ auf, haben aber keine „Wärme“, sondern verfügen über „Energie“. 2 Wir sollten daher unsere Sprachgewohnheiten modifizieren und statt von „Wärme“ besser ausschließlich von „Wärmeenergie“ oder „thermischer“ Energie sprechen. Und stets dabei vor Augen haben, dass Wärmeenergie weder identisch ist mit der kinetischen Energie von Teilchen, noch einen separierten Anteil der Energie darstellt. „Wärmenergie“ ist eine Energieform, die ausschließlich nur bei Energieaustäuschen auftritt, ebenso wie die „kinetische“ Energie, die „elektrische“ Energie und all die anderen Energieformen auch, wie wir später noch genauer sehen werden. 1.2 Historische Wärme-Reminiszenzen Nicht nur im submikroskopisch Kleinen besteht eine enge Verbindung zwischen Bewegungsabläufen und Wärmephänomenen, sondern auch in unserer Alltagswelt: Erhitztes Wasser beginnt nicht nur zu dampfen, sondern auch zu brodeln. Heiße Luft über den Straßen und Dächern zeigt oft Schlieren, ... Griechische und römische Gelehrte kannten diese Fakten ebenfalls und so darf es uns nicht verwundern, dass sie von einer Identität zwischen Wärme und Bewegung überzeugt gewesen waren. Der englische Philosoph, Politiker und Naturforscher Francis Bacon (1561-1626), der die rational geplante Empirie in unsere Wissenschaft einführte, erklärte, dass es auch eine Umformbarkeit zwischen Wärme und Bewegung gibt, was immer er darunter verstanden haben mochte. Das Phänomen „Wärme“ war in vielen Kulturen auch geistig, philosophisch spannend: (i) Vielfach wurde der Gegensatz von „Warm und Kalt“ als der entscheidende Motor für das Werden und Vergehen in dieser Welt angesehen. (ii) In der Elementenlehre des Aristoteles sind „warm“ und „kalt“ zwei der vier Grundqualitäten (die beiden anderen sind „trocken“ und „feucht“). Dieses Begriffssystem bildete die Grundlage der mittelalterlichen Chemie. Das „Phlogiston“ (phlogistos (gr.): verbrannt) war die erste wissenschaftliche Idee, um alle jene Naturvorgänge einheitlich zu deuten, die wir heute als Oxidationserscheinungen (also: Verbrennung, Rosten) bezeichnen (1667 von Becher erfunden, ab 1697 von Stahl ausgebaut). Der Besitz von Phlogiston sollte den Körpern die Brennbarkeit ermöglichen. Das Verbrennen bedeutete nach dieser Ansicht, dass das körpereigene Phlogiston entwich. Während fast des gesamten 18. Jh. war diese Theorie allgemein anerkannt und Fundament der Erklärungen. 3 Erst gegen Wende zum 19. Jh. mehrten sich die Widersprüchlichkeiten: Gewichtsvermehrung bei Verbrennung von Metallen, die Unmöglichkeit, das Phlogiston zu isolieren, oder abzuwägen, seine negative Schwere! Nach der Entdeckung des Sauerstoffes (1775) setzte allmähliches Umdenken ein, Lavoisier entwickelte die bis heute voll anerkannte Oxidationstheorie. Andere hatten die Idee des „Caloricums“, welches auch bei bloßer Erwärmung – und nicht nur bei Verbrennung – als eine Art Wärmestoff, von einem System in ein anderes überzugehen hatte. 1798 zeigte Graf B. (Thomson) Rumford, dass sich durch Reibung beliebig viel Wärme erzeugen lässt. Seine Erkenntnis daraus war, dass Wärme daher auf gar keinen Fall durch einen Wärmestoff („caloricum“) hervorgerufen werden könne. Auch die 1799 von Davy durchgeführten Versuche, in denen er Eisstückchen durch Reibung im Vakuum zum Schmelzen brachte, sprachen gegen die Wärmestofftheorie. Die aus heutiger Sicht falsche Annahme eines Wärmestoffes, brachte es im 18. Jh. dennoch zu brauchbaren, mit verschiedenen experimentellen Ergebnissen scheinbar in Einklang stehenden Resultaten, so etwa bei der Erklärung der Wärmeleitung durch Fourier und bei kalorimetrischen Vorgängen. Um etwa 1850 wurde die Wärme von Joule als äquivalent zur – damals noch rein mechanisch gedachten – Energie erkannt. Mechanisches Wärmeäquivalent: Der Umrechnungsfaktor j zwischen der in Kalorien angegebenen Wärmemenge Q und der mechanischen Arbeit A = j Q. Elektrisches Wärmeäquivalent: Das Verhältnis zwischen einer in elektrischen Einheiten und einer gleich großen in Wärmeeinheiten ausgedrückten Energie. Durch die Einführung des SI-Systems sind die Wärmeäquivalente selbst als Umrechnungsfaktor völlig gegenstandslos geworden. Bemerkung: Niemand käme aber auf die Idee, den Umrechnungsfaktor zwischen Seemeile und Kilometer etwa als „Nautisch-Metrisches Längenäquivalent“ zu bezeichnen. Es ist daher sinnvoll, von den Begriffen der „Wärmeäquivalente“ wegzukommen und die Wärme als Austauschform der Energie („Energieform“) endlich vollinhaltlich zu akzeptieren. 4 1.3 Der Brennstoff der Sonne Jedem war stets klar, dass die Sonne uns Licht und Wärme spendete, denn an trüben Tagen und während der Nacht ist es deutlich finsterer und kälter. Nur über die Menge an Hitze und Leuchtkraft, die wir hier auf unserer Erde konsumieren, waren offensichtlich kaum Überlegungen angestellt worden und es herrschten -retrospektiv betrachtet - unglaublich naive Ansichten. Es wäre aber auch schwierig gewesen, auch nur halbwegs real abzuschätzen, welche Anforderungen unsere Sonne zu erfüllen hat, bevor wir Energiebilanzen zu erstellen in der Lage waren. Anaxagoras (500-428 v. Chr.), ein Freund des Perikles, hat die Sonne wenigstens als einen glühenden Stein gesehen, der vielleicht größer sein konnte als der gesamte Peloponnes. Vor ihm meinten sie, Helios führe mit seinem Sonnenwagen, ... . Die Sonne strahlt auf jeden Quadratmeter unserer Erdoberfläche eine Energieleistung von knapp 1,4 Kilowatt. Das scheint nicht sehr viel zu sein, aber die Fläche von Österreich würde dennoch in etwa schon genügen, um mit Hilfe des derzeit bei Photoelementen nutzbaren Wirkungsgrades den Energiebedarf der jetzigen Menschheit zu decken! Insgesamt strahlt auf unsere Erde eine Energieleistung von 170 Billionen Kilowatt (1,7.1014 kW) ein, davon erreicht allerdings nur etwa ein Zehntel die Erdoberfläche, der überwiegende Teil wird von unserer Atmosphäre absorbiert. Dabei trifft nur ein winzig kleiner Teil der Sonnenstrahlung auf unsere Erde. Knapp fünfzig Quadratmeter Sonnenoberfläche strahlen schon die Energieleistung des Niagarafall-Wasserkraftwerks ab. Bei einem Sonnendurchmesser von knapp 1,4 Millionen km ergibt das eine Abstrahlung, die den Energiezufluss auf unsere Erde um das Zweimilliardenfache übersteigt. Und dieser Energiefluss wird von der Sonne seit über 4 Milliarden Jahren ununterbrochen abgestrahlt! An der Oberfläche ist unsere Sonne „bloß“ etwa 5500 Grad heiß, aber in ihrem Kern müssen Temperaturen von fünfzehn Millionen Grad herrschen. Die Sonne hat auch sonst gigantische Dimensionen: Denken wir uns ihren Mittelpunkt in den Erdmittelpunkt verlegt, dann würde unser Mond noch innerhalb der Sonne fliegen, und zwar in etwa bei zwei Drittel des Sonnenradius. Die Sonnenoberfläche wäre also in diesem Modell um die halbe Mondentfernung weiter draußen als dessen Bahn um die Erde. Die Sonne besteht zwar zu dreiviertel aus Wasserstoff, zu etwa 23 % aus Helium und nur bloß 2 % von ihr sind schwere Elemente. Aber der Wasserstoff ist in ihrem Innern so dicht zusammengepresst, dass seine Dichte zwölf Mal höher ist als die von Blei! 5 Aufgrund der enormen Hitze flitzen diese Wasserstoffkerne aber trotz der dichten Packung mit 600 km/sec herum, also mit stolzen 2 Millionen Stundenkilometer! Es gibt keinen Brennstoff, mit dem unsere Sonne auch nur annähernd die Hitze- und Lichtmengen produzieren könnte, die sie pausenlos in den Weltraum abstrahlt: Weder als Ofen für Gas-, Öl- oder Kohleverbrennung, denn die Sonne hätte bei Verbrennung unserer herkömmlichen Heizmaterialien nur eine Lebenszeit von ein paar tausend Jahren gehabt - und das unter drastischer Reduzierung ihrer durchaus imposanten Masse (333 000 Erdmassen), so dass sie bald nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Planeten auf ihren Bahnen um sie zu halten. Nicht einmal die Entdeckung der Radioaktivität half, wenngleich sofort richtig vermutet worden war, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang auch mit dem Energiehaushalt der Sonne und aller anderen Sterne stehen müsse. Aber selbst diese Energiebereitstellung ist viel zu schwach. Es gab in unserem Wissen um die Welt keinerlei Hinweis, woher unsere Sonne ihre ungeheuren Energien beziehen könnte. Keine Philosophie, kein naturwissenschaftliches Modell ergab irgendeinen Anhaltspunkt. Insbesondere versagten die scheinbar so einsichtigen Weltbilder der Antike und die Vorstellung von einer mechanischen Welt in dieser Frage völlig. Erst die Kombination von Relativitätstheorie und Quantenmechanik lässt uns schlüssig erklären, wie der Energiehaushalt unserer Sonne aussieht: Bei der Umwandlung („Fusion“) von nur einem Gramm Wasserstoff in Helium wird eine Energie von 25 Millionen Kilowattstunden frei. Die Sonne muss im Jahr natürlich deutlich mehr Wasserstoff in Helium umwandeln, nämlich über 100 Billionen Tonnen (1,35 .1017 kg). Sie verkraftet dies bei ihrer Gesamtmasse (2 .1030 kg) locker ein paar Milliarden Jahre ohne merkliche Veränderung ihrer Schwerewirkung. Denn der daraus resultierende Massenverlust ist bloß ein hundertstel Prozent pro Milliarde Jahre. Wir bemerken, wie zwanglos selbst die ungeheuren Energieverluste unserer Sonne mit Hilfe der modernen Weltmodelle zu erklären sind. Für Interessierte zeigt Bild 1-1 den Hauptzyklus der Umwandlung von Wasserstoff in Helium. 1 Gramm Wasserstoff liefert 25 Millionen kWh. Damit können 1000 100W-Lampen fast 30 Jahre leuchten! 6 Proton + N e u tro n P ro to n N e u tro n 1. Wassers toffk ern 2 H (D eu te riu m ) + P ro to n N e u tro n + N e u tro n P ro to n N e u tro n P ro to n 2. 3 H eliu m + N e u tro n P ro to n N e u tro n P ro to n 3. N e u tro n P ro to n 4 H eliu m Bild 1-1. Das Heizmaterial der Sonne: Fusion von Wasserstoff zu Helium. 1 Gramm Wasserstoff liefert 25 Millionen kWh. Damit können eintausend 100-W-Lampen fast 30 Jahre leuchten! 7 2. Unsere Beobachtungs- und Beschreibungstechniken Wir Menschen vermeinen, Veränderungen zu bemerken. Alles andere ist bereits menschliche Begriffswelt. Die Kulturgeschichte unserer Menschheit ist gleichzeitig auch die Geschichte unserer Irrungen in den Zusammenhangsbildungen zwischen unserer Beobachtungen der Geschehnisse in der Natur. Bekannte Schlagwörter dafür sind die Kopernikanische Wende, durch welche wir aus dem geozentrischen in das heliozentrische Weltbild katapultiert werden mussten und die Descarte’sche Erkenntnis, dass wir mitnichten Kraft benötigen, um einen ungestörten Bewegungszustand aufrechtzuerhalten, sondern im Gegenteil einzig zu dessen Veränderung (bei Newton dann sein „Trägheitsgesetz“). Desgleichen die Revolutionen in unserer Natursicht, welche durch die Relativitätstheorien und durch die Quantenmechanik ausgelöst worden sind. Und auch unser Verständnis aller Geschehnisse unserer Welt, die wir mit dem Begriff „Wärme“ in Verbindung bringen. 2.1 Phänomene, Objekte, Prozesse In der Naturwissenschaft bezeichnen wir alles, was aus der Natur über unsere Sinnesorgane in unser Bewusstsein dringt als „Phänomene“ (phainomai (gr.): leuchten, erscheinen), Geschehnisse oder Ereignisse. Ziel unserer Wissenschaft ist es nun, möglichst viele dieser Beobachtungen aus der materiellen Umwelt zu verstehen. Wobei der Begriff „Verstehen“ für sehr unterschiedliche Ansprüche steht: Den einen genügen rein empirische Regeln der tatsächlichen oder vermeintlichen Zusammenhänge von verschiedenen Phänomenen. Andere wieder verlangen, dass für unser „Verständnis“ eines Naturereignisses dieses aus der Wirkungsweise allgemein gültiger Prinzipien herzuleiten sein muss. In der Praxis haben wir es immer mit einer Mischung aus verschiedenen Verständnisebenen zu tun. Unsere Umwelt können wir in verschiedenen Formen betrachten: Die einfachste Form ist die unmittelbar von uns mit unseren Sinnesorganen wahrgenommene, wir bezeichnen sie dementsprechend auch als „phänomenologische“ oder „makrokopische“ Sicht. Hier werden Umweltgeschehnisse behandelt, die aus einer großen Anzahl von Einheiten bestehen (Atomen, Molekülen oder Molekülaggregaten). 8 Schon seit Anbeginn unserer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur - also seit den Vorsokratikern - wollen wir die Geschehnisse in der wahrgenommenen Umwelt auch aus dem Wirken von allgemein gültigen, kleinen Objekten heraus erklären. Letztere Sicht nennen wir heute „mikroskopisch“, weil wir herausgefunden haben, dass tatsächlich die Gesetzmäßigkeiten der subatomaren, atomaren und molekularen Welt einen Großteil der makroskopisch wahrgenommenen Phänomene bewerkstelligen. Allerdings nicht alle, denn das Zusammenwirken einer großen Anzahl von Objekten kann völlig neue, makroskopische Ordnungsstrukturen schaffen. Das gilt insbesondere für jene Naturphänomene, die wir unter dem Thema „Wärme“ untersuchen. Die materielle Welt, in der wir leben und mit der wir durch unsere Sinnesorgane kommunizieren, unterteilen wir gerne ganz allgemein in Objekte (und/oder „Systeme“) einerseits und in „Prozesse“. Als Objekte (und/oder „Systeme“) verstehen wir dabei jene Dinge in der materiellen Natur, die wir durch bestimmte (willkürliche) Charakteristika vom restlichen Universums unterscheiden: Körper, Stoffe, Teilchen, Ströme, Ladungen, Massen(punkte), usw. Konkrete Beispiele sind Hunde, die Sonne, ein Stein, ein Zellkern, ein Liter Wasser, die Photonen eines Lichtpulses, die Lufthülle der Erde und unsere Milchstraße. Wir bezeichnen die Objekte oft auch nach den Teilbereichen der Naturwissenschaft, in denen sie vorrangig behandelt werden und sprechen demnach oft von atomaren, optischen, thermodynamischen, ... Objekten. Objekte der Natur stehen im Allgemeinen untereinander in Wechselbeziehung. Als „Prozesse“ bezeichnen wir alle Geschehnisse, die wir an den Objekten bemerken. Beide Begriffe beschäftigen uns in Kapitel 4. 2.2 Thermodynamik, kinetische Gastheorie und Statistische Physik Alle drei beschäftigen sich mit den Veränderungen, die durch Wärmeaustausche in unserer Umwelt hervorgerufen werden, jede von ihnen nach einem etwas anderen Gesichtspunkt. 2.2.1 Thermodynamik. „Thermo“-„Dynamik“ ist die „Lehre von der bewegten Wärme“. Sie ist eine rein phänomenologische, aber in sich abgeschlossene Theorie zur Beschreibung makroskopischer, d.h. den Messungen direkt zugänglicher Eigenschaf- 9 ten der Materie. Sie ist vollkommen unabhängig vor unserem Wissen um die molekulare Struktur der Materie entwickelt worden. Daher sind thermodynamische Teilchen als rein geometrische Punkte konzipiert, rein mathematische Objekte also, ausdehnungslose Punkte, die sich völlig anders verhalten müssen als die realen Moleküle unserer Materie: Bei der laminaren Strömung etwa bewegen sich sämtliche Gas- oder Flüssigkeitsteilchen der Thermodynamik stoßfrei auf Parallelen, während die realen Moleküle selbstverständlich der Brown’schen Molekularbewegung folgen, also völlig unvorhersagbare Zick-Zack-Bewegungen durchführen, die dadurch entsteht, dass mit zunehmender Materiedichte die Moleküle in immer kürzeren Abständen aneinander stoßen. Form und Struktur der Thermodynamik, ihre Argumentationsweise wurde auf drei empirischen Hauptsätzen aufgebaut. Wichtig ist dabei, sich stets bewusst zu sein, dass die drei grundlegenden Erfahrungssätze der Thermodynamik Existenzaussagen sind, die allerdings experimentell so gut wie wenig anderes unseres Wissensschatzes abgesichert sind. Der erste stellt fest, dass Wärme eine Energieform ist, der zweite hält fest, dass wir i.a. Wärme nicht ohne Verlust in andere Energieformen umformen können. Der dritte Wärmehauptsatz drückt unsere Erkenntnis aus, dass wir mit unseren menschlichen Mitteln den absoluten Temperaturnullpunkt nicht erreichen können. 2.2.2 Kinetische Gastheorie. Die kinetische Gastheorie ist eine rein klassische Theorie. Sie gehört in das Gebiet der statistischen Mechanik (Physik) und beschäftigt sich mit der Berechnung der makroskopischen thermodynamischen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten der klassischen Gase aufgrund von Teilcheneigenschaften. Insbesondere die Relationen zwischen Druck p, Volumen V, Temperatur T, Teilchendichte n und innerer Energie U und die Transporteigenschaften der Wärmeleitung, Diffusion und dem Teilchenstrom (innere Reibung). Im Gegensatz zur Thermodynamik benützt die kinetische Gastheorie bereits ein Modell über das mikroskopische Verhalten der Materie: Die Gasteilchen müssen sich bewegen, sie zeigen Impuls, legen Wege zurück und stoßen zusammen. Die Berechnung geht von statistischen Annahmen über das kinetische Verhalten der einzelnen Gaspartikel aus. Die kinetische Gastheorie geht davon aus, dass die makroskopisch bemerkten Impuls- und Energieübertragungen durch sich unterschiedlich bewegende Teilchen geschehen. Sie übernimmt dabei die Erkenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die uns zeigen, in welchen Rationen sich eine Menge auf einzelne 10 Positionen verteilt, wie groß die häufigste (wahrscheinlichste) Ration ist, wie groß die durchschnittliche (mittlere) Ration ist, usw. Daher arbeitet die Kinetische Gastheorie mit „mittleren“ und „wahrscheinlichsten“ Geschwindigkeiten, und ebensolchen Weglängen, die von den einzelnen Teilchen ohne Zusammenstoß zurückgelegt werden können („Freie Weglängen“). Die kinetische Gastheorie ist allerdings den hochgesteckten Erwartungen in sie nicht gerecht geworden, wie aus dem Urteil von Max Planck klar hervorgeht: „Indessen scheinen nach den ersten glänzenden Resultaten der kinetischen Gastheorie ihre neueren Fortschritte den daran geknüpften Erwartungen nicht zu entsprechen; bei jedem Versuch, diese Theorie sorgfältiger auszubauen, haben sich die Schwierigkeiten in bedenklicher Weise gehäuft. Jeder, der die Arbeiten derjenigen beiden Forscher studiert, die wohl am tiefsten in die Analyse der Molekularbewegungen eingedrungen sind: Maxwell und Boltzmann, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass der bei der Bewältigung dieser Probleme zu Tage getretene bewunderungswürdige Aufwand von physikalischem Scharfsinn und mathematischer Geschicklichkeit nicht im wünschenswerten Verhältnis steht zu der Fruchtbarkeit der gewonnenen Resultate.“ 2.2.3 Statistische Physik. Teilgebiet der theoretischen Physik, das makroskopische Eigenschaften der Materie auf atomare und molekulare Gesetzmäßigkeiten zurückführt. Grundlegende Voraussetzung ist dabei, dass die betrachteten Systeme, z.B. Gase, aus sehr vielen Teilchen bestehen. Solche Systeme lassen sich nicht mit den Methoden der klassischen Mechanik behandeln; vielmehr betrachtet man makroskopische und messbare Größen wie Temperatur, Wärmeleitfähigkeit etc. und definiert sie als Mittelwerte über die Teilchen des Systems, berechnet sie also über dessen statistische Eigenschaften. Hauptanwendungsgebiet der statistischen Mechanik ist die Thermodynamik, wo man sie zur tieferen Begründung der Hauptsätze und zur Berechnung der thermodynamischen Funktionen heranzieht. Die Bewegung jedes einzelnen Teilchens muss natürlich mit Hilfe der entsprechenden Bewegungsgleichungen beschrieben werden. Da sich die einzelnen Teilchen ganz unterschiedlich verhalten können, ist es nicht möglich, mit einer einzigen statistischen Physik das Auslangen zu finden. Wir kennen drei grundlegend von einander unterschiedliche Teilchentypen, für die wir die entsprechenden statistischen Gesetzmäßigkeiten herauszufinden haben: (i) Die idealen Gedankengebilde der klassischen Teilchen, und die beiden unvereinbaren 11 Gruppen quantenmechanischer Teilchen: (ii) Fermionen, die halbzahligen Spin aufweisen und dem Pauliverbot unterworfen sind und die (iii) Bosonen mit ganzzahligem Spin, die sämtliche vom Pauliverbot unberührt bleiben. Entsprechend heißen die drei statistischen Mechaniken auch: 1- Klassische oder „Boltzmann“- Statistik. Sie beschreibt die Wärmephänomene von Materie, die aus klassischen Teilchen zusammengesetzt gedacht werden kann. 2- Fermi-Dirac Statistik. Sie ist gültig für alle Fermionen, also für Teilchen, die sich alle voneinander energetisch unterscheiden müssen, wo sich also höchstens zwei Teilchen den energetischen Grundzustand teilen können (Spin ±n/2). Alle anderen müssen selbst am absoluten Nullpunkt höhere Energien aufweisen, wobei die dort höchste, notwendige Energie „Fermikante“ oder „Ferminiveau“ heißt. 3- Bose-Einstein-Statistik, für alle Bosonen, von denen sich beliebig viele in einen gemeinsamen energetischen Grundzustand fallen lassen können. Letzteres heißt entartetes Bosegas, Beispiele dafür sind das Elektronengas in Metallen und das suprafluide He-II der Zweiheliumtheorie von Landau. 2.3 Moderne Wissenschaft „Wissenschaftlich“ heißt gemeinhin dasjenige Wissen einer Zeit, „welches durch Forschung, Lehre und überlieferte Literatur gebildet, geordnet und begründet wurde und das daher in dieser Zeit für sicher erachtet wird“. Unter „Forschung“ haben wir dabei „die Gesamtheit der methodisch-systematischen, schöpferisch-geistigen Bemühungen im Rahmen der Wissenschaft zu verstehen, die zur Gewinnung neuer, allgemein nachprüfbarer Erkenntnisse unternommen werden“. Wenngleich diese Formulierungen an Zirkeldefinitionen erinnern, wird dennoch die Forderung nach allgemeiner Nachprüfbarkeit deutlich akzentuiert. Die „Wissenschaft“ wird demnach grundsätzlich von der Spekulation unterschieden, auch wenn jede „Wissenschaft“ immer auch Ordnungsprinzipien braucht, die zumeist aus gewohnten Denkmustern und/oder Wunschvorstellungen stammen und daher Glaubensangelegenheiten darstellen: Denn „Ordnung“ bedeutet in unserem Sprachverständnis ja: „Das Zusammengefügtsein einer Vielheit von Teilen und/oder Elementen zu einem einheitlichen Ganzen unter einem bestimmten Ordnungsprinzip bzw. Sys- 12 tem. Die Art und Weise also wie etwas geordnet ist.“ „Prinzip“ ist wiederum bloß ein Grundsatz, eine Grundnorm, eine Grundregel. Ordnungsprinzipien - auch jene der Wissenschaft - sind also aus unserer menschlichen Vorstellungswelt heraus entstanden, weil sich die Schöpfer von Ordnungsprinzipien dabei etwas gedacht haben müssen. Sie sind tatsächlich einzig und alleine Glaubensüberzeugungen und kein „Absolutes Wissen“, keine jenseits all unserer Erfahrung für sich einfach als „wahr“ und „unumstößlich“ dastehenden Erkenntnisse. Daher können und müssen wissenschaftliche Ordnungsprinzipien auch nach Bedarf ausgetauscht werden. Dazu gehört auch das Gebäude der Thermodynamik, das sich aus heutiger Sicht deutlich kompakter und verständlicher bauen lässt als es in seiner historischen Entwicklung entstanden ist. Die moderne Naturwissenschaft wird durch einen Paradigmentausch verursacht: Jetzt steht die Machbarkeit im Vordergrund, nicht mehr der idealisierte Gedanke. In der Natur real existierende Gebilde sind Forschungsgegenstand und keine reinen Gedankenkonstruktionen mehr. Keine „idealen“ Teilchen und Körper, sondern reale. Daher gibt es auch keine beliebig feine und beliebig schnelle Beobachtung mehr, sondern Informationsbeschaffung ist Arbeit geworden, die durchgeführt werden muss auch mit allen Nachteilen, die reale Arbeitstätigkeit mit sich bringt, denn jede Beobachtung beeinträchtigt nunmehr das betrachtete Geschehnis. Jede Beobachtung ist ja eine Frage an die Natur, ist Kommunikation mit unserer Außenwelt, mit dem, was wir Umwelt, Kosmos oder eben Natur nennen. Wir lernten im Laufe unserer Wissenschaft, dass wir für jede Kommunikation mit unserer Außenwelt ein Hilfsmittel brauchen, einen Botendienst. Das ist einer der fundamentalen Gegensätze der modernen Naturwissenschaft zur klassischen Welt, die auf Newtons Mechanik begründet war. Welche Kommunikationsmittel werden in unserem Kosmos eingesetzt, welche können wir Menschen benützen und welche Bilder erhalten wir mit ihrer Hilfe? Wir Menschen können auf zweierlei Art von Naturereignissen Kunde erhalten: Entweder fangen wir mit unseren Sensoren für die Außenwelt, den Sinnesorganen, kleine Boten in Form von Körperchen oder Licht ein, die von dem Naturereignis ausgesandt werden oder wir schicken welche hin, von denen dann ein Teil reflektiert, also wieder zu uns zurückgeworfen werden muss, damit wir Kunde von dem Ereignis erhalten können. Letzteres geschieht etwa überall dort, wo wir mit einer Lampe hinleuchten, wo wir mit einem Stab tasten oder wo wir Schallwellen oder elektromagnetische Strahlen 13 aussenden - denken wir an die Radarortung, an das Echolot oder an die UltraschallOrientierung der Fledermäuse. Viele Blumen, jedes Parfum, jedes Essen ist genauso Beispiel für Naturgeschehnisse, die von sich aus Boten aussenden wie die Sonne, das Leuchtkäferchen, jeder bellende Hund ebenso wie der wehende Wind, das Rauschen der Wellen und all die anderen Vorgänge in unserer Umwelt. Dieses „Etwas“ das für uns Postbote, Informationsüberträger spielt, dieses „Etwas“ muss von unserem Körper bemerkt werden können - dazu haben wir unsere Sinnessensoren. Dieses „Etwas“ sind Energie-Impuls-Pakete. Die moderne Physik basiert auf der tiefen Überzeugung, dass drei Naturphänomene an allen Vorgängen in unserer Welt beteiligt sind. Es sind dies die Energie, der Impuls und der Drehimpuls (zumindest in Form der Wirkungsgröße). Diese drei Größen lassen sich weder von uns Menschen noch von irgendeinem uns bekannten Vorgang im Universum erzeugen oder vernichten. Sie können nur lokal umverteilt werden. Alles, was wir erleben, jede Veränderung in unserem Leben wird durch solche lokale Neuverteilungen dieser drei Größen bewirkt – von den subatomaren Teilchen über die Atome und Molekülen hin zum Spiel der komplexen Gebilde wie unserer Körper, den Planeten, Sonnen und den Galaxien. Für Interessierte sei etwa auf meine beiden Bücher „Die Werkstatt der Natur - Eine moderne Einführung in die Quantentheorie“ und „Das kosmische Spiel - Die verständliche Welt der Relativitätstheorie“ (beide: Edition Volkshochschule, Wien 2005; auch bei mir erhältlich) verwiesen. 2.4 Variablen, Funktionen und Potentialfunktionen Naturgrößen wie die Geschwindigkeit, Energie und Zeit zeigen sich in den verschiedenen Geschehnissen unserer Welt vielgestaltig: Einmal treten sie offen auf, dann wieder maskiert als gebündelte Ensembles anderer Größen. Um ja jeglicher Verwirrung zu entgehen, haben wir uns daher ein eindeutiges und sicheres Identifizierungssystem für die Naturgrößen geschaffen: Wir dokumentieren ihre unverwechselbare, spezifische Qualität mit Hilfe der „physikalischen Dimension“ (lat.: Ausmaß, Ausdehnung, Bereich). So haben etwa alle Wege, Längen, Breiten und Höhen dieselbe Dimension „(Weg-)Länge“, gleichgültig, wie klein oder groß sie im konkreten Fall sind oder in welchen Einheiten sie vermessen werden. Für diese Dimensionen oder spezifischen Qualitäten gelten dieselben Regeln wie für mathematische Zahlen - nicht verwunderlich, werden sie doch mit Hilfe so ge- 14 nannter „allgemeiner Zahlen“ oder „Variabler“ dargestellt. Alles, was sich verändern kann, wird „variabel“ genannt. Alles, was von einem anderen Umstand abhängt ist eben „abhängig“, eine „Funktion (Zuordnung)“. Diese Begriffe werden überall verwendet, in der Wirtschaft, Soziologie, ... Und auch in der Thermodynamik. Die Energie tritt also überall dort auf, wo die spezifische Naturqualität (Dimension) „Energie“ vorhanden ist. Auch wenn dies nach einer Zirkeldefinition (Tautologie) klingt, liegt hier keine vor, denn für die Dimensionen gelten dieselben Regeln wie für mathematische Zahlen. Das muss so sein, weil ja die Dimensionen der Naturgrößen mit Hilfe von „Variablen“ dargestellt werden. Ein Beispiel möge uns dies verdeutlichen: Das Produkt von [3*12] liefert ebenso die Zahl 36 wie der Quotient von [72/ 2] oder die zusammengesetzte Rechnung [42*6/ 7]. Die Zahl 36 zeigt sich daher nicht nur in ihrer direkten Zahlengröße, sondern auch als das Ergebnis von passenden Verknüpfungen der unterschiedlichsten Zahlen. Ganz genau so verhält es sich auch mit den physikalischen Qualitäten (oder Dimensionen) Energie, Kraft, Wirkung, usf. Wir können auch die physikalischen Dimensionen miteinander multiplizieren oder durch andere dividieren. So gilt beispielsweise: (Arbeits-)Kraft = [Impuls/ Zeit] und Energie = Arbeit = [(Arbeits-)Kraft * Weg] = [Impuls * Weg/Zeit] = [Impuls * Geschwindigkeit]. In Tabelle 2-1 sind einige Darstellungen wichtiger Naturgrößen angegeben. Fundamentale Größen der Natur dürfen zudem kein allzu gutes Gedächtnis haben, denn ansonsten wäre die Funktion des Universums unmöglich gemacht. So darf beispielsweise das Verhalten eines H-Atoms nicht davon abhängen, wie oft es in Form von Wasser die Donau hinab geflossen ist, ob es einmal am Schneeberg war oder direkt von der Sonne eingestrahlt worden ist! Der augenblickliche Zustand darf also nicht vom exakten Weg abhängen, wie es in die momentane Situation gelangt ist, sondern nur von der Differenz zwischen der beobachteten Startposition und der erwünschten Ziellage. Das mathematische Werkzeug dazu ist die „Potentialfunktion“, deren Wert wegunabhängig bestimmt wird (Ringintegral verschwindet, da Start und Ziel identisch sind; Satz von Schwarz erfüllt, dass die gemischten 2. Ableitungen identisch sind). Alle wichtigen Naturgrößen müssen daher als Potentialfunktionen beschrieben werden können - sie sind also nur bis auf eine Eichkonstante genau bestimmbar. Beachten Sie bitte, dass das Produkt [Masse * Beschleunigung] die Kraft nur bei „langsamen“ Transporten wiedergibt. 15 Tabelle 2-1. Einige wichtige physikalische Größen. Energie E = Kraft K . Länge l = Impuls p . Geschwindigkeit v Impuls p = Masse m . Geschwindigkeit v, Drehimpuls W = Impuls p x Länge l (Impulsmoment) Wirkung W = Impuls p . Länge l = Energie E . Zeit t (Drehimpulsbetrag) Geschwindigkeit v = Länge l /(Zeit t) = Energie E /(Impuls p), Winkelgeschw. ω = rad /( Zeit t) = Energie E /(Drehimpuls W), Kraft K = Impuls p /(Zeit t) Kraft K(für v<<c) ≅ Masse m . Beschleunigung b(für v<<c), Beschleunigung b(v<<c) = Länge l/( Zeit t)². 2.4.1 „Extensive“ Größen: Erweiterung, Verallgemeinerung der „mengenartigen“ Größen derart, dass es auch dort angewendet werden kann, wo „Mengen“ Schwierigkeiten bereiten wie bei den „Feldern“. Bei Verdopplung des Systems doppelter Wert, bei Drittelung nur ein Drittel des Werts. Beispiel: Impuls, Bewegungsenergie eines fahrenden Autos verändern sich, wenn die Lademasse verändert wird. Jede strömende Größe muss extensiv sein. 2.4.2 „Intensive“ Größen: Das Gegenteil der extensiven; ihr Wert bleibt unabhängig von der Systemgröße gleich. Geschwindigkeit eines fahrenden Autos bleibt gleich, auch wenn seine Masse durch Wegwerfen eines Gegenstandes verändert wird. Ich brauche in Folge nur weniger Energie, um den identischen Bewegungszustand aufrechtzuerhalten. 2.5 „Strom“ (Transportleistung) Wir wissen aus dem Alltag, dass wir jede Transportleistung, also jede in der Zeiteinheit (z.B.: Sekunde) transportierte Menge als Mengen-„Strom“ oder Stromstärke dieser Menge bezeichnen. So sprechen wir von einem Wasserstrom, wenn sich Wassermassen an uns vorbei bewegen, von Menschenströmen auf den Straßen und vom 16 „elektrische Strom“, wenn elektrische Ladung verschoben wird. Ein Wasserstrom ist also die in der Zeiteinheit transportierte Wassermenge (= [transportiertes Wasser/ Transportzeit]), der Menschenstrom gibt Auskunft, wie viele Menschen in der Zeiteinheit eine bestimmte Landmarke passieren und der elektrische Strom ist die in der Zeiteinheit durch einen Querschnitt verschobene elektrische Ladungsmenge. Bei allen Materieströmen ist ihre Wucht, ihre Arbeitsfähigkeit, nicht von den Stoffspezifika geprägt, sondern einzig von der Menge der pro Zeiteinheit transportierten, verschobenen Masse m (= [transportierte Masse ∆m/ Transportzeit ∆t]). Daher heißen all diese Ströme auch „Massenströme“ jm, jm := ∆m/∆t. (2.5-1) Es gibt aber auch viele andere Strömungsmöglichkeiten: Wird etwa elektrische Ladung Q verschoben, dann fließt ein „elektrische Strom“ (= [transportierte Ladung ∆Q / Transportzeit ∆t]) jQ, jQ := ∆Q/∆t. (2.5-2) Allgemein wird jede in der Zeiteinheit verschobene Menge Y als „Y-Strom“ jY bezeichnet: jY := ∆(Menge Y)/ ∆t. (2.5-3) Damit heißt die Transportleistung des Impulses p „Impulsstrom“ (=[transportierter Impuls ∆p / Transportzeit ∆t]) jp, jp := ∆p/∆t, (2.5-4) die des Drehimpulses W „Drehimpulsstrom“ jW, jW := ∆ W /∆t, (2.5-5) und jene der Energie E eben „Energiestrom“ (=[transportierte Energie ∆E/ Transportzeit ∆t]; auch kurz „Leistung“ genannt) jE: 17 jE := ∆E/∆t, (2.5-6) Der Impulsstrom jp ist uns allen unter dem Begriff „Kraft“ wohlbekannt, und die verschiedenen „Energieformen“ werden wir im nächsten Kapitel als Energieströme erkennen. 2.6 Bilanzen Bilanzierungen sind eines der mächtigsten Werkzeuge in unseren Naturbetrachtungen, auch wenn sie kaum beim Namen genannt werden und daher für viele völlig fremdartig klingen. Dabei ist uns das Bilanzieren vertraut: Wir notieren einfach alles, was hereinkommt auf einen Zettel und auf einem anderen all das, was hinausgeht. Dann können wir zu ordnen beginnen, indem wir Ein- und Ausgangslisten für einzelne Produktklassen anlegen. Die Differenzen sind die jeweiligen Vermehrungen oder Verminderungen. Der Vorteil dieser globalen Methode wird durch ein Beispiel verdeutlicht: Wir haben zwei exakt gleiche Tassen, exakt gleich gefüllt - die eine mit reiner Milch, die zweite mit reinem Kaffee. Jetzt nehmen wir einen Löffel voll Milch aus der Milchtasse und schütten sie in die Kaffeetasse. Nach sorgfältigem Umrühren schütten wir einen Löffel voll Kaffee-Milchgemisch zurück in die Milchtasse. Nun sind wieder beide Tassen gleich gefüllt. Frage: Ist in der Milchtasse weniger Kaffee als Milch in der Kaffeetasse oder mehr oder gleichviel? Eine kinetische Antwort wird arg kompliziert - wir müssen jeden einzelnen Schritt genau durchdenken, insbesondere die Gemische. Aus der Anfangs- und Endbilanz ergibt sich sofort die Antwort: gleichviel, unabhängig, wie oft transportiert und durchgemischt worden ist. Diese Bilanzierungen sind in der Naturforschung überall dort wichtig, wo es auf Differenzmengen ankommt, wo uns interessiert, ob zwischen zwei Betrachtungen eine Vermehrung oder eine Verminderung einer physikalischen Größe stattgefunden hat. Da jede Veränderung auf Vermehrung oder Verminderung beruht, ist die Bilanzierung in der Tat eines der wichtigsten Mittel in unserer Forschung. Insbesondere so abstrakte Gebilde wie Energie, Impuls, ... können fast nur durch solche Bilanzierungen erfasst werden. 18 Für Versierte: Beweis, dass nach jedem Hin- und Herschütten eines vollen Löffels sich in der Milchtasse immer exakt soviel Kaffee befindet wie in der Kaffeetasse Milch. 1 Löffel voll = x (Volumen) 1Tasse Kaffee = 1 Volumen Kaffee = K 1Tasse Milch = 1 Volumen Milch = M 1 Löffel Milch (x M) dazu; A) 1 Löffel Milch weg = x M weniger; Inhalt der Kaffeetasse: [K + x M]. Inhalt der Milchtasse: (1-x) M. B) Davon kommt jetzt ein Löffel voll Hier kommt dieser Löffel Mischung da- weg, also zu, x = y [K + x M]. damit ist der Inhalt der Milchtasse jetzt: Damit ist der Inhalt der Kaffeetasse jetzt: 1 = (1-x) M + y[K + x M]. (1-y)[K + x M]. Setzen auch hier für y ein : Setzen von oben für y ein, dann erhalten (1-x) M +x² M/(1+x) + x K/(1+x) = wir [M + x K]/(1+x). [K + x M]/(1+x). Da die Volumina M und K gleich sind, Da die Volumina K und M gleich sind, haben wir auch in der Milchtasse jetzt haben wir in der Kaffeetasse jetzt wieder wieder das ursprüngliche Volumen 1. das ursprüngliche Volumen 1. 19 3. Die Energie „Wärme“ ist von uns in seiner Doppelbedeutung erkannt worden. Das physiologische Gefühl „Wärme“ haben wir bereits als Indikator für den Wärmezustand erkannt. Und ebenso lernten wir, dass die Veränderungen der Wärmezustände durch spezielle Energieflüsse bewerkstelligt werden, die wir daher „Wärmeenergie“ oder „thermische“ Energie nennen. Die thermodynamischen Phänomene unserer Welt können wir also nur dann begreifen, wenn wir die Naturgröße „Energie“ verstehen. Die „Energie“ ist einer der ganz zentralen Begriffe unseres heutigen Lebens, er wird aber vielleicht gerade deshalb auch in ungemein vielfältiger Weise verwendet: In der Medizin anders als in der Esoterik, die Homöopathie versteht anderes als die Physik und im Alltag besteht mehr als Konfusion: Fühlen wir uns müde, abgespannt, dann bezeichnen wir uns als „energielos“. Ein doch deutlich anderer Umstand wird aber angesprochen, wenn uns die Energierechnungen vom Heiz-, Gas- oder Elektrizitätswerk ins Haus kommen. Wir reden von erneuerbarer und nicht erneuerbarer Energie, die Technik suggeriert uns, dass wir Energie erzeugen könnten, aber auch, dass sie knapp werden könne. Wir sprechen von elektrischer Energie, von chemischer Energie, von Windenergie und davon, dass die Energie Quelle unseres Wohlstands ist. 3.1 Arbeit, Kraft und Energie Ohne „Arbeit“ gibt es nichts in dieser Welt. Unser Wort „Arbeit“ stammt von „arebeit“, dem mittelhochdeutschen Wort für „Mühsal“, „Not“. Nach unserem heutigen Wissen geschieht in unserem Universum nämlich nichts von alleine, kein Ereignis, kein Geschehnis tritt in unserer Welt auf ohne dass eine gewisse Anstrengung, ein mehr oder weniger großer Aufwand damit verbunden ist: Jedes Ereignis dieser Welt muss „erarbeitet“ werden. In unserer Denkwelt erfordert Arbeit immer auch Kraft: Soll das Blut durch die Adern strömen, so müssen die Herzmuskeln die Kraft aufbringen, das Blut zu bewegen. Verändern wir die Haltung unserer Hände, Arme, Beine, ja auch nur die unserer Augenlider, dann benötigen wir dazu ebenfalls Kraft, die wiederum von den entsprechenden Muskeln erzeugt werden muss. Schon der Volksmund weiß, dass „von Nichts nichts kommt“. Woraus kann also die Kraft erzeugt werden? Wir müssen essen und trinken, um „kräftig“ zu bleiben, um „Kraft“ erzeugen zu können. Je mehr wir arbeiten, 20 je mehr Kraft unsere Muskeln produzieren müssen, desto mehr Nahrung benötigen wir. Wann immer wir zuwenig essen und trinken, müssen wir auf unsere Körperreserven zurückgreifen, wir magern zunächst also ab. Dann werden wir schwach, „kraftlos“, wir sehen uns außerstande, neue Muskelanstrengungen durchzuführen. In der modernen Physik sprechen wir davon, dass die Kraft nur mit Hilfe von „Energie“ erzeugt werden kann. Wo keine Energie zur Verfügung steht, dort kann auch keine Kraft wirken. Unser Körper bekommt danach die zur Krafterzeugung notwendige Energie durch das Essen und Trinken. Wir alle kennen heute die Tabellen, aus denen wir ablesen können, wie viel Joule (früher: Kalorien) Nährwert oder Energie die verschiedenen Nahrungsmittel beinhalten. Auch in unserer Umwelt erfordert jede Bewegung Energie: Kein Windstoß, kein Regentropfen, keine Wasserwelle kann sich ohne Energie bilden. Unsere Sinnesorgane können nur sehen, hören, fühlen oder riechen unter Verwendung von Energie. Ja sogar zum Träumen benötigen wir Energie. Unsere Psyche verlangt ebenfalls ihr Recht in der Konsumgesellschaft, denn zur Bewältigung ihrer Aufgaben muss auch sie sich anstrengen. Seit der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert sprechen wir infolgedessen in diesem Zusammenhang auch von „psychischer Energie“. Nach S. Freud ist ihre Quelle die „Libido“, während Jung sie als „Lebenskraft“ oder „psychische Energie“ des kollektiven Unbewussten deutete, die sich in der Intensität psychischer Vorgänge auch in den nicht sexuell gefärbten - äußert. Der deutsche Physikochemiker Wilhelm F. Ostwald (1853-1932) betrachtete die Energie sogar als das Wichtigste des gesamten Universums: „Alles was wir von der Außenwelt wissen, können wir in der Gestalt von Aussagen über vorhandene Energien darstellen, und daher erweist sich der Energiebegriff allseitig als der allgemeinste, den die Wissenschaft bisher gebildet hat.“ Und: „Bewusstsein: als Eigenschaft einer besonderen Art der Nervenenergie auffaßbar, die im Centralorgan betätigt wird.“ Ostwald sah zwischen der Nervenenergie und dem Bewusstsein eine ähnlich enge Verbindung wie er sie auch zwischen seiner „mechanischen Energie“ und der räumlichen Beschaffenheit und zwischen der zeitlichen Beschaffenheit und der „Bewegungsenergie“ konstatierte. Weil wir zu jeder Arbeit Kraft brauchen, und Kraft nur durch Energie erzeugt werden kann, heißt die Energie auch „Fähigkeit zur Arbeit“. Wir wissen aber noch nicht sehr lange, dass wir für alles, was wir tun, „Energie“ benötigen. Kein Steinzeitmensch, kein Soldat der Perserkriege und auch kein Römischer Kaiser wäre der Gedanke ge- 21 kommen, dass die Notwendigkeit von uns Menschen, essen zu müssen, aus demselben Grund entspringt, aus welchem ein fallender Stein bei seinem Aufprall etwas demolieren muss, um zur Ruhe kommen zu können. Heute wissen wir, dass unsere Sinnesorgane mit unserer Außenwelt nicht nur Energie austauschen, sondern auch Impulse. Daher betrachten wir zwar die Energie nicht mehr wie Ostwald als den wichtigsten Begriff in unserem Universum, aber sie bildet mit dem Impuls und dem Drehimpuls ein Triumvirat, das sämtliche Geschehnisse in unserer Welt bestimmt. In Termen der modernen Wirtschaftssprache können wir diese drei Energie, Impuls und Drehimpuls auch die eigentlichen „global players“ des Kosmos nennen. 3.2 Die Entdeckung der Energie Unsere Gedankenwelt ist nach wie vor stark von der antiken Naturbetrachtung geprägt. Viele Begriffe unserer Weltbilder weisen griechische oder lateinische Wurzeln auf. Sie zu kennen, erleichtert oft das Verständnis für heutige Bezeichnungen. Energie ist ein Paradebeispiel dafür. Das Wort selbst wurde aus „energeia“ abgeleitet, dem griechischen Wort für Tatkraft, Schwung, Nachdruck. Insbesondere ist darunter das Leistungsvermögen und die gespannte Tatkraft eines Menschen verstanden worden. Aristoteles benützte diese energeia aber auch oft synonym zur „entelechia“ (Entelechie; „In-Zweck-haben (en-telos-echein)“), der ständigen Wirksamkeit, der Vollkommenheit, Vollendung, Verwirklichung, Wirklichkeit. Energeia, Entelechia galt Aristoteles als Gegensatz zur „dynamis“ (lat.: potentia), dem Vermögen, der Formbarkeit, der Anlage: Die Energeia war es, mit Hilfe derer jedes „Seiendes“ - ein Lebewesen, ein Stein, ... - seine dynamis (potentia) „verwirklicht“, also in reale Eigenschaften und Verhaltensweisen umsetzt. Wo Aristoteles hingegen zwischen den beiden Begriffen unterschied, dort verstand er unter Energeia den Prozess der Verwirklichung und unter Entelechie das Ergebnis oder die Endphase des Prozesses. Newton (1642-1727) kannte die Naturgröße „Energie“ noch nicht. Er selbst benützte für seine berühmt gewordene Mechanik ausschließlich geometrische Argumente. die Newton`sche Mechanik dient daher auch nur der Erhellung der raum-zeitlichen Abläufe der Ereignisse unserer Welt - sie ist also weitgehend reine Kinematik. Die Kräfte nahm Newton als gegeben an, er weigerte sich beispielsweise strikt, zu erklä- 22 ren, was unter dem Wesen der Schwerkraft verstanden werden sollte. Er gab mit seinem Gravitationsgesetz nur an, wie stark sie wirkt. Dazu merkte er nur noch an, dass die Quelle der Schwerkräfte sich in den Körpern (in der „Masse“) selbst befinden müsste. Ansonsten keine weiteren Erklärungen, denn diese wären Spekulation und damit nicht mehr Aufgabe der Physik. Erst über achtzig Jahre später wurde der Energiebegriff in unser Weltbild eingebaut: In einem Beitrag zur französischen Enzyklopädie sprach d’Alembert 1785 als erster Naturforscher von Energie: “In bewegten Körpern steckt eine Anstrengung oder „Energie“, die in ruhenden nicht enthalten ist. Zuvor war es der französische Naturforscher, Mathematiker und Philosoph René Descartes (1596 - 1650; auch Cartesius genannt) gewesen, der als erster den Gedanken in die Welt setzte, dass unser Universum aus einem bestimmten Topf zehrte, der einmal gefüllt worden war, dessen Inhalt seither immer nur umverteilt, aber weder vermehrt noch vermindert werden kann. Er formulierte 1644: „Gott teilte bei der Schöpfung der Welt dem Universum einen bestimmten Betrag an Bewegung in der Form wirbelnder Flüssigkeiten (vortices) mit, und diese Bewegung hält ewig an und wird weder größer noch kleiner.“ Ein wahrhaft prophetischer Satz, der die wesentlichsten Charakteristika der Energie ein Viertel Jahrtausend früher vorweggenommen hatte! Der niederländische Physiker (Astronom und Mathematiker) Christian Huygens fand ein Vierteljahrhundert später heraus, dass bei elastischen Stößen das Produkt aus Masse m und dem Quadrat der Geschwindigkeit v (also: mv²) vor und nach dem Stoß immer denselben Wert hatte, also während des elastischen Stoßes unverändert bleibt. Der deutsche Universalgelehrte Leibniz (1646-1716) nannte dieses bei elastischen Stößen konstant bleibende Produkt (mv²) die „Vis viva”, die „Lebendige Kraft“. Der Schweizerische Mathematiker Bernoulli (1667-1748) forderte im Jahre 1735 als Gegenstück zur vis viva die Existenz einer “vis mortua” bei inelastischen Stöße, mit der Eigenschaft, dass die Summe von vis mortua und vis viva immer konstant zu sein hat! Emilie du Chatelet, die zeitweilige Lebensgefährtin von Voltaire, verlangte 1742, dass die “Vis viva” auch überall dort erhalten bleiben müsse, wo sie nicht verfolgbar wäre. Der englische Arzt, Physiker und Linguist Thomas Young (1773-1829) taufte WAS IST MIT 1787??? 1787, also nach nur zwei Jahren nach Einführung des Energiebegriffes durch d’Alembert, die „Vis viva“ zur ”wirklichen Energie“ um und die “Vis mortua” zur „potentiellen Energie“. William Thomson, der spätere Lord Kelvin of Largs 23 (1824-1907) reduzierte um das Jahr 1850 den Wert der „Wirklichen Energie“ von (mv²) auf die Hälfte und benannte den Ausdruck (mv²/2) als „Kinetische Energie“. Um dieselbe Zeit erkannte der englische Physiker James Joule (1818-1889), dass die Wärme etwas sein musste, was größte Gemeinsamkeiten mit der damals rein mechanisch gesehenen Energie hat: Wärme war fortan äquivalent zur Energie, er gab auch den Umformungsfaktor an, das „Mechanische Wärmeäquivalent“. Nur ein halbes Jahrhundert später konnte Einstein zeigen, dass die Energie viel mächtiger war als bis dahin geglaubt, dass sie nämlich einer der universellen Begriffe unserer Welt sein muss - und nicht bloß eine mechanische Größe. Dasselbe konnte er übrigens auch vom Impuls nachweisen, denn der uns allen aus den Belichtungsmessern und den Photozellen her bekannte Photoelektrische Effekt kann nur dadurch erklärt werden, dass nicht nur Körper, sondern auch die Lichtwellen Energie und Impuls übertragen. Damit hat das Licht seine Stoßwucht, um beispielsweise Elektronen aus ihrem Verband herauszureißen und damit den Fluss von elektrischen Strom zu ermöglichen, der eben bei bestimmten Materialien auftritt, wenn sie beleuchtet werden. 3.3 Heutige Energie-Definitionen Strenggenomen bedeutet „Energie“ zwar nur im psychologischem Sinn Anstrengung, die physikalische Interpretation liegt aber gar nicht so weit davon entfernt: Mit der Einführung dieses Wortes in ihre Sprache hat sich die Physik nämlich einen präzisen Ausdruck geschaffen für die Fähigkeit, das Vermögen, zu wirken. Genauer gesagt gilt uns die Energie als Maß für die wechselseitige Einwirkung von Objekten und/oder Geschehnissen: Die Energie charakterisiert beispielsweise dasjenige, was im Laufe von Umwandlungen der Atome von einem auf ein anderes übergeht. Sie gilt daher als Maß für die Bindungskraft - aber nicht nur eines Atoms an andere sondern auch in den Atomkernen. Physikalisch wird unter Energie ganz allgemein das Arbeitsvermögen verstanden und ist damit seiner spezifischen Natur nach („dimensionsmäßig“) dasselbe wie diese. Arbeit A = Energie E. 24 Auch heute finden sich teils noch unterschiedliche Energiedefinitionen. So ist nach Meyers Physiklexikon die Energie definiert als die in einem physikalischen System gespeicherte Arbeit oder auch als potentielles Arbeitsvermögen desselben. Da Energie ein Arbeitsvorrat ist, wird sie auch in denselben Einheiten wie die Arbeit gemessen. Dagegen wird im Buch „Physik Griffbereit“ von Jaworski und Detlav die Verknüpfung der Energie mit der Bewegung in den Vordergrund gestellt und die Energie als jene skalare Größe eingeführt, welche das Maß für die qualitativ verschiedenen Formen von Bewegung darstellt. Um die qualitativ verschiedenen Formen von Bewegung zu charakterisieren, mit der wir es in der Physik zu tun haben, sind entsprechende Energieformen eingeführt worden: mechanische Energie, innere Energie, elektromagnetische Energie, chemische Energie, Kern-Energie, ... . Im Band „Mechanik“ der „Theoretischen Physik“ von Landau und Lifschitz wird die Energie völlig anders eingeführt: Sie wird als der Name für jene Erhaltungsgröße in unserem Universum definiert, welche aus der Homogenität der Zeit folgt. Eine Erläuterung der letzteren Definition von Energie erfordert ein gewisses Vertrautsein mit dem mathematischen Umgang mit Naturgeschehnissen und soll daher hier ausgeklammert bleiben. Die obigen Definitionen von Energie widersprechen einander aber nur scheinbar, denn allesamt kreisen um den vielleicht zentralsten Punkt unserer Welterlebnisse: Die Bewegung. Von „Bewegung“ sprechen wir immer dann, wenn eine momentane Beobachtung einer Sachlage anderen Eindruck erweckt als jener, den wir davon in Erinnerung haben. Wir konstatieren dann, dass eine „Veränderung“ stattgefunden haben musste. Und jede Veränderung wird in unserer Denkwelt eben durch Bewegung verursacht. Heute darf keine einzige Veränderung mehr so gedacht werden, dass sie eben „geschieht“. Es gibt in der modernen Physik keine Veränderung - also keine Bewegung - ohne Arbeit. Und für jede Arbeit benötigen wir das, was „Energie“ getauft worden ist. Wir können auch den Spieß umdrehen und ganz allgemein heute jede Umsetzung von Energie als Bewegung ansehen, denn diese darf ja nicht mehr rein kinematisch gedacht werden, also nicht mehr als bloße Veränderung der geometrischen Konfigurationen von immateriellen Gedankengebilden. Heute ist uns die Bewegung ja zu einem dynamischen Vorgang geworden, bei dem reale Objekte gegeneinander verschoben werden müssen. Die Relativitätstheorie lehrt uns, dass einzig die Bewegung von real fassbaren Objekten wichtig ist, dass Bewegung nur physikalischen Sinn er- 25 hält, wenn dabei etwas transportiert wird. Und an diesem „Etwas“ ist eben bei jeder uns bekannten Bewegung die Energie beteiligt. Bei jeder Bewegung wird also Energie transportiert. Für Interessierte: Dynamisch gesehen ist dann die Geschwindigkeit v der beobachteten Bewegung dadurch gegeben, wie stark sich bei einer Veränderung des Impulses die Energie mit verändert: v = ∂E/ ∂p; Kinematisch gilt: v = ∂l/ ∂t. 3.4. Eigenschaften der Energie 1- Die Energie ist eine universelle Größe, die einem Erhaltungssatz genügt. Sie ist daher unzerstörbar und unerzeugbar (Moderne Form des 1. Wärmehauptsatzes). Da Energie eine Naturgröße ist, gibt es ebenso wenig verschiedene Arten von Energie wie auch keine verschiedenen Arten von Impuls oder Länge existieren. 2- Die Energie ist ein rein abstraktes Konzept, also prinzipiell unvorstellbar wie es auch jeder Allgemeinbegriff der Alltagswelt (Hund, Stein, ... ) ist. 3- Energie kann niemals direkt beobachtet werden. Das hat sie mit den anderen wichtigen Formern unserer Welt gemeinsam (Impuls p (Impuls: Anstoß, Anregung), Drehimpuls L (Absolutbetrag: Wirkung W), die vier Fundamentalkräfte). 4- Die Energie ist nur über ihre in Tabelle 3-1 angegebenen Regeln (Anwendungsregeln) zu verstehen. Die Naturerscheinungen werden also von uns heute so beschrieben, dass die Energie erhalten bleibt. Die Energie verhält sich damit unzerstörbarer als jeder bekannte Stoff, da sogar Elektronen bei Aufprall auf Antielektronen zu Energie zerstrahlen. Wegen der Energieerhaltung ist es leicht, mit der Energie umzugehen, wir können mit ihrer Hilfe die Vorgänge in der Welt einfach ordnen: Als Ordnungsprinzip für alle im Universum ablaufenden Prozesse wählen wir ganz einfach die Energiebilanz! 26 Tabelle 3-1. Anwendungsregeln für die Energie. 1) Sie ist unzerstörbar und unerzeugbar. 2) Energieänderungen können daher ausschließlich nur durch Transporte (Strö- me, Flüsse) geschehen. 3) Die Energie muss daher eine extensive Größe sein. 4) Die Energie ist prinzipiell eigenständig und nicht an Materie gebunden. 5) Die Energie kann nicht geometrisch lokalisiert werden. 6) Energie kann auf verschiedene Arten transportiert werden. Die auf eine bestimmte Art transportierte Energie wird gemeiniglich „Energieform“ bezeichnet. 7) Jeder Energietransport erfordert neben einem Verursacher auch eine Lenkungsgröße, muss also an den Transport einer anderen transportfähigen (= extensiven) Größe gekoppelt sein. 8) Jede lokale Energieänderung erfordert einen Energietransport. Dieser kann ausschließlich nur im Zusammenspiel (Produkt) zweier passender Naturgrößen erfolgen (siehe Tabelle 3-2): Energieänderung ∆E := (Verursacher) . ∆(Lenker). Die Verursacher sind „intensive“ (mengenunabhängige) Feldgrößen, die Lenker müssen dagegen transportfähige, strömungsfähige, also „extensive“ Größen sein. 27 3.5 Energietransporte Energietransporte, Energieänderungen können nur so stattfinden, dass wir einerseits ein Naturphänomen haben, das quasi den Auftraggeber spielt, der überhaupt einen Energieaustausch anregt, einen Energietransport auslöst, einen Energiestrom initiiert. Andererseits brauchen wir auch eine passende Logistik in Form eines zweiten Naturphänomens, das imstande ist, den erwünschten Energiestrom tatsächlich auch zu lenken und zu steuern, das also Start und Ziel sowie die Stärke des Energietransportes regeln kann. Die Energie ist als transportierbares Naturphänomen eine extensive Größe, denn nur solche können strömen: Elektrische Ladung, Teilchen, Impuls, Drehimpuls und eben die Energie können „fließen“, „strömen“. Intensive Größen dagegen kennen räumliche Verteilungen, Gefälle und Anstiege wie die Temperaturverteilung, Geschwindigkeitsverteilungen, Elektrische Potentialgefälle, ... Intensive Größen sind „Feldgrößen“ und nicht strömungsfähig und umgekehrt sind die extensiven Größen zwar strömungsfähig, aber nicht Feld bildend. Die Lenkungsgrößen der Energieänderungen müssen neben dem Start- und Zielort des Transportes auch die Menge definieren. Dazu braucht es einer stromfähigen Größe, deren Start und Ziel identisch ist mit denen des Energiestromes und deren Stromstärke als Regelmechanismus für die Menge der zu transportierenden Energie fungiert. Die Auftraggeber oder Verursacher hingegen dürfen gar nicht strömen können, denn sonst wären zwei Logistiken im Widerspruch zueinander und die Energie wüsste nicht, wem sie folgen sollte. Rein mathematisch wäre es auch nicht möglich, die extensive Größe als Produkt zweier verschiedener extensiver Variablen zu erhalten. Ein Faktor muss zwar extensiv sein, um die Mengenkorrelation herzustellen, der zweite hat aber als Justiervariable die Aufgabe, die sowohl richtige physikalische Dimension (Energie) herzustellen als auch den passenden Zahlenwert zu ermöglichen. Die Tabelle 3-2 gibt eine Zusammenstellung wichtiger Energietransporte unserer Umwelt. Die Namen der Energietransporte sind teils historisch, teils unmittelbar einsichtig aus den Verursachern abgeleitet: Geschwindigkeit verursacht zusammen mit Impulstransporten den Energietransport, der „Bewegungsenergie“ (noch verbreitet: kinetische Energie) genannt wird. Druck erzeugt mit Volumenveränderung den „Kompressionsenergie“ genannten Transport. Elektrisches Potential erzwingt zusammen mit dem elektrischen Ladungsstrom den Energiestrom „Elektrische Energie“, ... 28 Tabelle 3-2. Einige Standardformen der Energie (© J. Tomiska, 2005). Jede Energieänderung ∆E geschieht in einer konkreten Form EForm: Energieänderung ∆E (≡ EForm) = Verursachera) . ∆(Lenker)b). (Transportleistung: Transportierte Energie pro Zeit = Energiestrom.) a) Sind „intensive“ (mengenunabhängige) Feldgrößen. b) Sind transportfähige, strömungsfähige, also „extensive“ Größen. Energieänderung ∆E ≡ Energieform Ej j Verursachera) ∆(Lenker)b) Name 1 Bewegungsenergie Ekin Geschwindigkeit v Impuls p 2 Rotationsenergie Erot Winkelgeschw. ω Drehimpuls W 3 Verschiebungsenergie Etrans -(Kraft K) Position x 4 Kompressionsenergie Ecomp -(Druck pc) Volumen V 5 Wärmeenergie ET Temperatur T Entropie S 6 Chemische Energie Eµ Chemisches Potential µ Teilchenzahl N 7 Elektrische Energie EEl Elektrisches Potential Φ El. Ladung Q 8 Magnetische Energie Emag Magn. Vektorpotential. AM El.Stromdichte j 9 Grenzflächenenergie Eσ Grenzflächenspannung σ Fläche A Elektrochemische Energie Eη El.chem. Pot. η Teilchenzahl N 10 Wo immer wir bemerken, dass Energie transportiert wird ohne dass wir irgendeinen anderen Mengenstrom konstatieren, sagen wir, diese Energie sei „thermisch“ ausgetauscht worden. Das deshalb, weil in diesen Fällen der Wärmezustand der Startund Zielorte dieser Energieflüsse immer unterschiedlich sind. Spontan laufen solche Energieflüsse aber nur dann ab, wenn der Startort „wärmer“ ist als der Zielort. Die Temperatur als Maß für den Wärmezustand ist demnach leicht als Verursacher für diese thermischen Energietransporte - also für die „Wärmeenergie“ -identifiziert worden. Die zur Durchführung dieser Wärmeströme notwendige Lenkungsvariable ist dasjenige Naturphänomen, welches „Entropie“ genannt worden ist (vgl. Kapitel 6). Während niemand von uns semantische Probleme mit „elektrischer“, „mechanischer“, 29 „magnetischer“ oder „chemischer“ Energie hat, wehren sich noch viele intuitiv gegen „wärmische“ Energie, obwohl das Fremdvokabel dazu durchaus akzeptiert wird. Wir sprechen aber von „thermischer“ Energie, und „Thermo“ bedeutet bekanntlich auf Deutsch „Wärme“. Ich will das Wort „wärmisch“ nicht puschen, aber deutlich darauf hinweisen, dass seine Verwendung voll legitim wäre, da „wärmisch“ und „thermisch“ identisch dasselbe Naturphänomen ansprechen, nämlich den Energietransport, der durch Temperaturunterschiede verursacht und mittels der Entropie geleitet wird. 3.6 Gibbs’sche Gleichung des Energieaustausches Wo immer wir in der Natur eine lokale Energieänderung ∆E feststellen, muss wegen der Energieerhaltung ein Energietransport stattgefunden haben. Sämtliche von uns in der Natur beobachteten Transportformen der Energie Ej-Form (j = Bewegung, thermisch, chemisch,...) sind daher das Resultat des Zusammenspiels einer (intensiven) Verursachergröße Yj mit einer passenden (extensiven) Transportgröße Xj (Xj, Yj: siehe Tabelle 3-2): Ej-Form ≡ ∆Ej = Yj . ∆Xj. (3.6-1a) Welche Transportmethoden im Einzelfall angewendet werden können, hängt von den Gegebenheiten der einzelnen Systeme ab. Bei manchen von ihnen gelingt der Energieaustausch nur auf eine einzige Art, bei anderen Systemen sind hingegen verschiedene Transporttechniken möglich. Das Wissen um alle durchführbaren Transporttechniken, mit deren Hilfe wir die Energie eines konkreten Systems verändern können, ist daher für dessen Charakterisierung wichtig. Insbesondere aber wollen wir wissen, welche dieser Energietransporte völlig unabhängig voneinander stattfinden können. Diese sind ja besonders bequem, da sie voneinander völlig getrennte Geschehnisse darstellen, die sich nicht gegenseitig beeinflussen. Die makroskopischen Änderungen von Naturgrößen (X,Y,...) markieren wir üblicher Weise mit dem großen griechischen Delta-Zeichen (∆X, ∆Y). Sie sind insbesondere für den Unterricht didaktisch wesentlich einfacher zu benützen, aber bei einer stimmigen, mathematischen Behandlung der Naturgeschehnisse müssen wir sie durch die infinitesimalen Änderungen ersetzen (∆→d: ∆X→dX; ∆Y→dY;...). 30 Ej-Form ≡ dEj = Yj . dXj. (3.6-1b) Die Gesamtänderung der Energie ergibt sich daher in jedem physikalischen System als Summe aller dort durchführbaren Energietransporte: dE(gesamt) = E1-Form + E2-Form+....+ EJ-Form. (3.6-2a) oder ausführlich: dE(gesamt) = Y1 . dX1 + Y2 . dX2 +....+ YJ . dXJ. (3.6-2b) Mit Hilfe des Summenzeichens ∑ lässt sich die Formel (3.6-2b) deutlich kompakter schreiben (Austauschformen j=1,2,...,J): dE(gesamt) := ∑j Ej-Form = ∑j Yj . dXj. (3.6-2c) Damit in einem physikalischen System die einzelnen Energieströme unabhängig voneinander ablaufen können, müssen wir jede einzelne Lenkergröße Xj (X = Impuls p, Volumen V, Entropie S, Teilchenzahl n, ...) völlig unabhängig voneinander verändern können: Die (extensiven) Transportgrößen Xj sind hier identisch mit den unabhängigen Variablen des Systems. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich während des betrachteten Prozesses („Experiments“), einzig und alleine nur durch den Willen des Experimentators beeinflussen lassen. Mathematisch zeigt sich daher die gesamte (infinitesimale) Energieänderung eines Systems als das totale (vollständiges) Differential der Energie, dE. Dieses berechnet sich aus der Summe aller partiellen Ableitungen der Energie E nach den unabhängigen Variablen Xj des Systems: dE(X1,X2,...XJ) = ∂E/∂X1 . dX1 + ∂E/∂X2 . dX2 +... + ∂E/∂XJ . dXJ (3.6-3a) oder kompakt: dE(X1,X2,...XJ) = ∑j ∂E/∂Xj . dXj. (3.6-3b) 31 Die Gleichung (3.6-3) heißt zu Ehren des US-amerikanischen Mathematikers, Physikochemikers und Ingenieurs Josiah Willard Gibbs (1839-1903) in der Literatur die „Gibbs’sche Fundamentalform“. Differentialgleichungen, also Gleichungen zwischen Differentialen, werden seit eineinhalb Jahrhunderten auch „Form“ genannt - daher der uns ungewöhnlich klingende Name. Ein Vergleich von Gleichung (3.6-3) mit Gleichung (3.6-2) lässt uns unmittelbar erkennen, dass die partiellen Ableitungen der Energie nach den entsprechenden Lenker-Größen Xj nichts anderes sind als die entsprechenden Verursacher-Größen Yj: ∂E/∂Xj := Yj. (3.6-4) Die Auftraggeber der Transporte sind somit als jene Energiemengen erkannt, welche notwendig sind, um eine infinitesimal kleine Veränderung des Wertes der unabhängigen (Transport)größte Xj zu bewerkstelligen. Für jeden der unabhängigen Energieaustausche („Energieformen“) gilt daher: Ej-Form(Xj) = ∂E/∂Xj dXj. (3.6-5) Gibbs selbst kannte nur den mechanistisch geprägten Energiebegriff seiner Zeit. Er musste daher für die Herleitung seiner Formel noch extrem mathematisch formal und abstrakt argumentieren. Mit dem von uns benützten, modernen, universellen Energiebegriff wird seine berühmte Formel zu einer zwanglos begriffenen Selbstverständlichkeit: Wir erhalten sie unmittelbar aus Tabelle 3-2 indem wir die Produktausdrücke der relevanten Energieänderungen bausteinartig aufsummieren und die „∆“ der Lenker-Größen durch das Differentialzeichen „d“ ersetzen. Aber Achtung, hier muss eine massive mathematische Warnung erfolgen! Gl. (3.6-1) könnte zwar manchen suggerieren, dass wir nicht nur die Produktausdrücke ihrer rechten Seite in Gl. (3.6-3) einsetzen dürfen sondern auch die auf der linken Seite stehenden Differentiale dEj. Das ist aber nur unter besonderen Ausnahmezuständen erlaubt, denn im Allgemeinen gilt aus mathematischen Gründen selbstverständlich, dass das totale Differential der Energie sich von der Summe der Differentiale dEj unterscheidet: dE(X1, X2,...XJ) ≠ dE1(X1) + dE2(X2) + ... + dEJ(XJ). (3.6-6) 32 Damit die Ungleichung (3.6-6) zu einer Gleichung wird, muss das (physikalische) System so zerlegbar sein, dass jedem einzelnen der J unabhängigen Energietransporte auch ein völlig unabhängiges Teilsystem entspricht. Die Ungleichung (3.66) wird also einzig und allein nur in solchen Systemen zur Gleichung, bei denen jeder der J Energietransporte ausschließlich nur das ihm entsprechende Teilsystem modifiziert. Damit ist der noch immer weit verbreitete Usus als verwirrend ausgewiesen, dass die (Gesamt)-Energie eines Systems als Summe von verschiedenen „EnergieAnteilen“ hingeschrieben wird. Wir erkannten bereits, dass es nur eine „Energie“ gibt, die auf verschiedene Arten verändert werden kann. Jede Veränderung der Energie eines Systems muss in einer konkreten Form geschehen. Die entsprechenden Energieänderungen heißen „Energieformen“ und erhalten ihren Namen aus den Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die einzelnen Energietransporte durchzuführen. In dem Moment aber, indem ein Energietransport ins System übernommen worden ist, kann niemand mehr feststellen, welcher Teil der Systemenergie nach welcher Methode überführt worden ist. Das einzige, was wir noch notieren können, ist, wie viel Energie wir auf welchem Wege wieder aus dem System herausholen können. Aber diese Aufstellung muss überhaupt nicht mit dem Lieferscheinen der einzelnen Energietransporte ins System zusammenpassen: Heben wir beispielsweise einen Stein vom Tisch auf, dann wurde ihm Energie in Form von Hubarbeit zugeführt. Wie viel potentielle Energie hat er denn nun? Über dem Tisch nur wenig, bewegen wir ihn waagrecht zum Fenster hinaus, plötzlich viel mehr? 33 4. Systeme und Prozesse „Objekte“, „System“ und „Zustand“ sind Begriffe, die sowohl im Alltag als auch in der Physik gerne benutzt werden, ohne dass sie allerdings scharf definiert sind. Wir müssen uns davon freimachen, irgendeinen Gegenstand oder ein Gebilde als „System“ identifizieren zu wollen. 4.1 Physikalische Systeme „Systeme“ (und/oder „Objekte“) kennen wir nicht nur in der Thermodynamik, sondern sie sind ein gebräuchlicher Begriff der gesamten Physik. Es macht daher Sinn, den Begriff „System“ gleich in seiner universellen Bedeutung kennen zu lernen: Ein „System“ ist immer und überall in der Naturwissenschaft ausschließlich ein Produkt der geistigen Phantasie. Systeme sind rein gedankliche Beziehungen zwischen Naturgrößen (oder: Variablen) - dies müssen wir vollinhaltlich akzeptieren und begreifen. Hier gegenwärtigen wir wiederum das Problem, dass wir uns vom Wunsch loslösen müssen, einen konkreten Gegenstand, ein ganz explizites Gebilde vor Auge haben zu wollen. Wir müssen uns wiederum überwinden, uns ein „Objekt unserer Beschäftigung“ zu nehmen, das ausschließlich in abstrakten Beziehungen zwischen Physikalischen Größen (= Variablen) besteht. Wir werden das System als einen abstrakten Begriff kennen lernen, der uns rasche und schnelle Aussagen erlaubt über die Strömung von physikalischen Größen zwischen verschiedenen Gedankengebilden. In der Tat gehören die Angaben, wie in einem System die Energieströme, also Energieaustausche, durchgeführt werden können, zu den wichtigsten Informationen, die wir zur Kennzeichnung eines Systems benötigen. Das diesbezügliche mathematische Werkzeug ist die uns bereits bekannte Gibbs’sche Fundamentalgleichung (oder: Fundamentalform). Das „physikalische System“ ist als die Gesamtheit von physikalischen Objekten definiert, die in genau definierter Weise mit der übrigen Welt in Wechselwirkung stehen und somit als einheitliches Ganzes behandelt werden können - also auch physikalisch untersucht. Wesentlich ist also, dass die Variablen des Systems sämtliche Prozesse festlegen, die das System machen kann. 4.1-1 System „Punktartiger Körper“: Dieses System steht für einen frei beweglichen Massenpunkt. Es besitzt nur eine einzige Eigenschaft, nämlich, dass seine Ener- 34 gie allein durch Aufnahme oder Abgabe von Bewegungsenergie verändert werden kann - also nur durch die Energieform E1 aus Tabelle 3-2: dE(p) = E1 = v . dp. (4.1-1) 4.1-2 System „Punktartiger Körper + Feld“: Unser Massenpunkt wechselwirkt nun mit einem Feld (z.B. mit dem Schwerefeld oder mit dem elektrischen Feld). Stoßen wir ihn diesmal an, so können wir nicht nur an ihm, sondern auch am Feld angreifen. Es gibt daher zwei unterschiedliche Techniken des Energieaustausches: (i) wieder durch Bewegungsenergie (wie bei 4.1-1) und (ii) durch Hubarbeit im Feld. Insgesamt gilt daher hier: dE(p,x) = E1 + E3 = = v . dp - K . dx. (4.1-2) 4.1-3 „Thermodynamisches“ System: Hier können die beiden Variablen „Entropie“ und „Volumen“ unabhängig voneinander verändert werden. Damit kann die Energie ebenfalls in zwei unabhängigen Formen ausgetauscht werden: (i) als Wärmeenergie E5 und (ii) als Kompressionsenergie E4. Daher gilt für das thermodynamische System: dE(S,V) = E5 + E4 = T . dS - p . dV. (4.1-3) 4.1-4 System „Einheitliche Stoffe“: Bei diesem System kommen zusätzlich zum thermodynamischen System noch die Veränderungsmöglichkeiten der Teilchenzahlen aller involvierten Stoffarten j (j = 1,…,N) hinzu. Also: dE(S,V,N1,…,NN) = E5 + E4 + E6-1+ … + E6-N = T . dS - p . dV + µ1 . dN1 + … + µN . dNN. (4.1-4) 4.1-5 System „Elektrolyte“: Bei Elektrolyten können auch die Teilchen/Ladungsverhältnisse verändert werden. Dies beschreiben wir am günstigsten mit Hilfe des „elektrochemischen Potentials η“. Es kommen daher zu den Transportmöglichkeiten des thermodynamischen Systems noch die Veränderungsmöglichkeiten der Teilchenzahlen aller involvierten Stoffarten infolge ihrer unterschiedlichen elektrochemischen Po- 35 tentiale ηj (j = 1,…,N) hinzu (η = µ + z . e .Φ; µ chemisches Potential; z Ladungszahl; e Elementarladung; Φ elektrisches Potential). Also: dE(S,V,N1,…,NN) = E5 + E4 + E10-1+ … + E10-N = T . dS - p . dV + η1 . dN1 + … + ηN . dNN. 4.2 (4.1-5) Wechselwirkung Wechselwirkung kann auch „strikt getrennt und unabhängig“ bedeuten, denn dann ist eben die Wechselwirkung ≡ 0! 4.2-1 Abgeschlossenes System: Keine Wechselwirkung mit Umwelt (= Keine Wechselwirkung mit den phys. Objekten außerhalb des Systems). Keinerlei Austausch von irgendetwas. Weder Energie (weder Arbeit noch Wärme), noch Materie darf ausgetauscht werden. Die festlegenden Hamiltonfunktionen hängen nicht explizit von der Zeit ab. (Entspricht mikrokanonischer Gesamtheit der Stat. Physik). Beispiel aus Thermodynamik: Verschlossenes und thermisch isoliertes Gefäß). 4.2-2 Geschlossenes System: Nur Energieaustausch erlaubt; kein Materieaustausch. (Entspricht kanonischer Gesamtheit der Stat. Physik). Beispiel aus Thermodynamik: Verschlossenes Gefäß im Wärmebad. Wärmebad + Verschlossenes Gefäß ist wieder abgeschlossenes System! 4.2-3 Offenes System: beides möglich, sowohl E-Austausch als auch Materieaustausch erlaubt. (Entspricht großkanonischer Gesamtheit der Stat. Physik). Beispiel aus Thermodynamik: Gefäß mit kleiner Öffnung im Wärmebad. 36 4.3 Zustand „Zustand“ ist der Inbegriff sämtlicher physikalischer Größen eines Systems, die es in jedem Zeitpunkt in seinen Eigenschaften und seinem (dynamischen) Verhalten eindeutig beschreiben und einander zugeordnete Werte haben. Beispiele sind die „Zustands“-Größen und „Zustands“-Funktionen zur Charakterisierung des thermodynamischen Zustandes eines Systems sowie die Phasen bei statistisch-mechanischen Teilchensystemen. Häufig wird das besonders wichtige bzw. interessierende Charakteristikum eines Zustandes hervorgehoben wie beim „Bewegungs“-Zustand, „Aggregat“Zustand und beim „Gleichgewichts“-Zustand. In einem „Zustand“ hat jede Systemvariable einen festen Wert. Das ist damit keine Definition des Begriffes Zustand im Sinn einer Zurückführung auf andere bekannte Begriffe, sondern es ist eine Definition im Sinn einer Verknüpfung. Obwohl der Begriff des Zustandes von der Thermodynamik geschaffen worden ist, hat er erst durch die Quantenmechanik allgemeine Verwendung erfahren. Die Definition des „Zustandes“ sagt nicht, was dieser Begriff ist, indem sie ihn durch andere erklärt, sondern sie stellt nur fest, in welcher Beziehung der Begriff Zustand zu dem der physikalischen Größe steht, nämlich in der, dass jede Naturgröße in einem „Zustand“ des Systems einen festen Wert hat. Die Physik sagt also nichts darüber aus, was ein „Zustand“ ist, sondern einzig und allein, wie dieser Begriff mit den Naturgrößen zusammenhängt. Würden wir etwa in der Mathematik den Begriff des geometrischen Punktes analog festlegen, so lautete die entsprechende Definition: In einem Punkt hat jede Koordinate eines Koordinatensystems einen festen Wert. Diese Definition sagt auch nichts darüber aus, was ein Punkt „ist“, sondern einzig nur, wie er mit dem Begriff der Koordinate verknüpft ist, nämlich auf die selbe Weise, wie der „Zustand“ mit den Naturgrößen. So wie jedes Stück des Raumes als die Gesamtheit der in ihm enthaltenen Punkte betrachtet werden kann, genauso lässt sich ein System als die Gesamtheit seiner Zustände ansehen. Da der Begriff des Zustandes besonders fundamental ist, ist damit die allgemeinste Definition eines Systems die einer „Gesamtheit von Zuständen“. Die Zustände selbst werden dadurch charakterisiert, dass wir die Werte angeben, die die Naturgrößen (also die „Variablen“) in ihnen haben. Gehen wir die Zustände eines Systems durch, so werden die Werte bestimmter Variabler dabei geändert. Das sind genau die 37 Variablen des Systems. Jede Änderung eines Variablenwertes in einem Zustand bringt neuen Zustand hervor. Sind die Änderungen der Werte der Systemvariablen von Zustand zu Zustand so winzig, dass die Variablen als stetig betrachtet werden können, lassen sich die üblichen Beschreibungsweisen anwenden, nämlich stetige Variable und ihre Differentiale. Im Fall, dass die Variablenänderungen nicht mehr stetig sind - wie im Falle von Quanteneffekten, muss zwar die mathematische Beschreibung modifiziert werden, aber nicht das hier beschriebene begriffliche Gerüst! In der Thermodynamik wird ein Zustand durch die expliziten Variablenwerte angegeben, in der Quantenmechanik hingegen kennzeichnen wir einen jeden Zustand mittels eines vollständigen Satzes von Quantenzahlen als Eigenwerte der Observablen. 4.4 Prozess „Prozess“ ist definiert als Folge infinitesimaler, stetiger Übergänge, also eine Folge von Zuständen, denn jeder Übergang hat einen Ausgangs- und einen Endzustand. Solange wir nur stetige Prozesse betrachten, gilt „Übergang“ als Synonym zu „Prozess“. Da kein Prozess ohne Energieumsetzungen ablaufen kann, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir haben, um ein „System“ konkret zu definieren, die Angabe sämtlicher Formen, in denen ein System Energie austauschen kann. Das mathematische Hilfsmittel dazu ist die Gibbs’sche Fundamentalform des Systems. Wie erinnerlich, ist sie definiert als Summe aller im System möglichen und voneinander unabhängigen Energieaustausche. Die Energie allein ist zuwenig, um Prozesse zu beschreiben, wie wir es beim fallenden Stein schon bemerkt haben. Wir brauchen zur Charakterisierung eines jeden Prozesses außer der Energiebilanz noch die Angabe des Verhaltens anderer physikalischer Erscheinungen, anderer physikalischer Größen, Variablen also, wie z.B. der Entropie, Teilchenzahl, Elektrischen Ladung, des Impulses, ... Sie alle beschreiben allgemeine Vorgänge und Abhängigkeiten zwischen den Naturerscheinungen. Wo immer ein thermischer Energietransport („Wärme“) auftritt, spielt die Entropie die entscheidende Rolle. 38 4.5 Energiewandler, Wirkungsgrad, Heizwert Energiewandler sind Prozesse, mit Hilfe derer der Transportmodus der Energie verändert werden kann. „Primärenergien“ heißen dabei alle Energietransporte, welche in den Wandler hineinführen, während die Energieströme, die aus dem Wandler herauskommen, „Sekundärenergien“ genannt werden. Maschine: Ein System, dessen Funktion darin besteht, eine beabsichtigte Energieumwandlung vorzunehmen. Der Wirkungsgrad gibt darüber Auskunft, wie gut dies gelingt. Je nach Typus der Sekundärenergie unterscheiden wir zwischen verschiedenen Klassen von Energiewandlern. Wir nennen sie: a) „Kraftwerke“, wenn elektrische Energie herauskommt; b) „Motoren“, wenn mechanische Energie herauskommt; c) „Öfen“, wenn Wärmeenergie herauskommt; d) „Chemische Reaktoren“, wenn chemische Energie herauskommt. o Wirkungsgrad. Jede Änderung einer extensiven Größe wie der Energie kann einzig und allein nur durch Transport geschehen, d.h., es muss eine bestimmte Menge zu- oder abströmen. Der Wirkungsgrad eines Energiewandlers ist das Verhältnis zwischen der aus dem Wandler herauskommenden Energieform („Sekundärenergie“) und der eingebrachten Energieform („Primärenergie“). Da jeder dieser Vorgänge mit Verlusten arbeitet, ist der Wirkungsgrad immer kleiner eins. o Wieder aufladbare Batterien sind das Zusammenspiel eines chemischen Reaktors (beim Aufladen) mit einem chemischen Kraftwerk (beim Entladen). o Der (spezifische) Heizwert ist das Verhältnis der bei der Verbrennung freiwerdenden Energiemenge (in MJ) zur Masse (in kg) des verbrannten festen oder flüssigen Brennstoffes. Bei Gasen wird das Verhältnis zum Normvolumen genommen (1 m³ bei Normaldruck; wiegt zwischen 0,8 und 3 kg). In der Tabelle 4-1 sind einige typische Heizwerte angegeben. 39 Tabelle 4-1. Heizwerte einiger Brennstoffe. 1. Herkömmliche Brennstoffe: Alle zwischen 10 und 50 MJ/kg = 2.8 - 14 kWh/kg; Bei Gasen üblicherweise pro m³ bei Normaldruck gerechnet; 1m³ ~ 0.8-3 kg. Butan: 124 MJ/m³ ~ 46 kWh/kg Heizöl: 41 MJ/kg = 13 kWh/kg Holz: 16 MJ/kg Steinkohle, 30 MJ/kg 2. Energieäquivalenz der Masse: E = m x c² = m x (300 000 km/s)² 1 kg Masse = 25 Milliarden kWh Kraftwerk Altenwörth: 380 MW Leistung, d.h. 7.4 Jahre dazu in Betrieb! 3. In Kernkraftwerk: Nur Bruchteil der eingesetzten Masse zerstrahlt. 1 kg Uran-Verbrauch entspricht etwa 1 Million kg Kohle. 4. Kernfusion: 1 cm³ Wasserstoff = 20000 kg Kohle 1 kg Wasserstoff = 200 Milliarden kg Kohle = 200 Millionen Tonnen Kohle. 40 5. Die Temperatur Schon seit langem gibt es „Thermometer“, mit deren Hilfe wir „messen“, wie „warm“ ein Körper ist. „Temperatur“ ist das Maß für den „Wärmezustand“ eines Körpers. Seine Existenz verdankt sie dem „Wärmesinn“ der Lebewesen, insbesondere von uns Menschen, der uns erlaubt, in warm, kalt, ... einzuteilen. Eine Änderung des Wärmezustandes oder Temperatur eines Objektes kann nur durch Energiefluss bewerkstelligt werden. Jeden Energiefluss, der zu einer Änderung des Wärmezustandes führt, nennen wir daher Wärmeenergie. Also jede Energieumverteilung, die durch verschiedene Wärmezustände von zwei Körpern erfolgt, heißt „Wärmeenergie“. Unter der (spezifischen) Wärmekapazität verstehen wir dabei das Verhältnis der zugeführten Wärmeenergie zu der dadurch erzielten Temperaturerhöhung (Änderung des Wärmezustandes). Jeder Körper gibt aber nicht nur bei Kontakt mit anderen Körpern von geringerem Wärmezustand (Temperatur) spontan Wärmeenergie ab („Wärmeleitung“), sondern auch mit Hilfe elektromagnetischer Strahlung. Je heißer die Körper, desto größer der Anteil an abgestrahlter Energie, von der jener Teil „Wärmestrahlung“ genannt wird, den wir als Infrarot (IR)- Strahlung bezeichnen. Diese Bezeichnung wurde deshalb so gewählt, weil nur diese IR-Strahlung in der Lage ist, bei Auftreffen auf einen Körper dessen Wärmezustand zu verändern. 5.1 Temperaturmaße Wir bemerken in unserer Umwelt einzig und alleine nur Wärmegefühl einerseits und Energieaustausche andererseits. Daher hat auch nur die Wärmeenergie eine exakte Dimension, ihre Aufteilung auf die beiden Faktoren „Temperatur“ und „Entropie“ ist dagegen willkürlich. Wir können entweder der Entropie oder der Temperatur eine willkürliche Dimension zuteilen, und müssen dann der jeweils anderen nur die Dimension zuordnen, die dem Quotienten E/S bzw. E/T entspricht. Historisch hat sich eingebürgert, die Temperatur in „Temperaturgraden“ zu messen, was immer das bedeuten mag - was ist denn ein Grad Celsius? Eine Längendifferenz am Thermometer, eine elektrischer Potentialunterschied? Eine bestimmte Menge des nicht-existenten Phlogistons oder bloß ein Unterschied in der Erscheinungsform von Körpern? 41 Heute hat sich durchgesetzt, die Temperatur eines Körpers, seinen Wärmezustand, als das Maß für die Größe der mittleren Bewegungsenergie („kinetische E.“) seiner aufbauenden Moleküle zu definieren. Das ist der Verdienst von kinetischer Gastheorie und der statistischen Physik. Die Temperatur ist aber eine makroskopische Eigenschaft, also eine Eigenschaft eines Körperstücks und nicht die einzelner Moleküle oder der „thermodynamischen Teilchen“! Umso eigenartiger, dass nicht gleich auch ein Energiemaß dazu verwendet wird, die Temperatur also noch immer nicht in Energieeinheiten gemessen wird. Die gewohnten „Grade“ von Willkürskalen a la Fahrenheit, Celsius und Reaumur sind eben stärker. Der Übergang zum Kelvin-Maß ist glücklicherweise ein vorbereitender Schritt, wir sprechen bereits von so-und-so-vielen „Kelvin“ und nicht mehr von „KelvinGraden“. Da in Phlogistons Zeiten die Temperatur „fast“ dimensionslos definiert worden ist, musste später die Entropie entsprechend in (Energie/Grad) gemessen werden - als ob „Grad“ eine physikalische Einheit wie Länge, Impuls, Masse, ... wäre. Das ist einer der Gründe für unsere Probleme mit der Wärmelehre, die eines der wichtigsten Kapitel unserer Naturbetrachtung darstellt, denn es gibt kaum einen Vorgang in der Natur, der von ihr nicht berührt wird. 5.2 Empirische, absolute und dynamische Temperatur 5.2-1 „Empirische Temperatur“: Zuordnung willkürlicher Zahlenwerte zur Klasse all jener Körper, die als „gleich warm“ wie ein Referenzkörper festgestellt wurden. 5.2-2 „Absolute Temperatur“: Mit Hilfe der Wärmelehre eingeführt: Temperatur T = (Energie E)/(Entropie S). (5.2-1) Aus der Bilanz eines zwischen 2 Temperaturen T1 und T2 ablaufenden CarnotKreisprozeß können wir die Temperatur als Quotienten zweier messbarer Energien ET,1 und ET,2 bestimmen: (T2 - T1)/ T2 = (ET,2 - (-ET,1))/ ET,2 = η, (5.2-2) 42 (ET,2: Bei isothermer Expansion des Gases aufgenommene Wärmemenge; (-ET,1): Bei isothermer Kompression des Gases abgegebene Wärmemenge; η Thermischer Wirkungsgrad). Die absolute Temperatur wird jetzt in Kelvin gemessen. Null Kelvin ist der von uns Menschen unerreichbare „absolute“ Nullpunkt. Die Temperatur ist damit stets positiv definit. Bemerkung für Interessierte: Aber es ist möglich, mit Hilfe fiktiver „negativer Temperaturen“ formale Beschreibungen spezieller physikalischer Systeme zu tätigen, sofern deren Gesamtenergie einen festen endlichen Wert nicht überschreitet. 5.2-3 „Dynamische Temperatur“: Temperatur, die in Energieeinheiten gemessen wird. Immer beliebter in der Theoretischen Physik, weil dadurch viele Gleichungen klarer und einfacher werden (der Eichfaktor „Boltzmannkonstante k“ fällt weg). 5.3 Messmethoden Für die Temperaturbestimmung sind alle jene physikalischen Größen geeignet, deren Werte sich bei Erwärmung oder Abkühlung eines Körpers verändern. Historisch am bedeutsamsten war der Umstand, dass Stoffe in Zuständen, in denen sie uns bei Berührung ein größeres Wärmegefühl vermitteln, bei gleichem Druck mehr Volumen benötigen als solche, die uns „kälter“ erscheinen. Damit hatten wir schon früh ein probates Mittel, die verschiedenen Wärmezustände der einzelnen Objekte unseres Interesses zu charakterisieren: Unsere traditionellen Thermometer. Neben diesen Längen- und Volumenausdehnungen werden für Temperaturbestimmungen insbesondere die Veränderung der elektro-magnetischen Eigenschaften, der Farbe (besonders bei Selbststrahlern), der Viskosität, und der Oberflächenspannung herangezogen. Die häufigsten Temperaturmeßmethoden sind: 1- Thermometer: Volumen- (Längen-)Ausdehnung geeigneter Stoffe: (i) Flüssigkeiten (Quecksilber, Alkohol, ...); (ii) Bimetalle: 2 Streifen von Metallen mit unterschiedlichem Ausdehnungsverhalten werden fix miteinander verbunden (geschweißt oder genietet) und verbiegen sich daher bei Erwärmung oder Abkühlung. 43 2- Widerstandsthermometer: elektrischer Widerstand. 3- Thermoelemente: Potentialunterschied an der Kontaktstelle zweier unterschiedlicher Metalle (Fe-Konstantan, Ni-Ni(Crca.10%), Pt-Pt(Rhca.10%), ...). 4- Optische Pyrometrie: Das Abstrahlspektrum elektromagnetischer Strahlung (je heißer ein Körper, desto kurzwelliger das Strahlmaximum; führte zur Quantenmechanik). o Jedes Temperaturmessgerät muss geeicht werden! Und zwar durch Vergleich mit Körpern bekannter Temperaturen, wie Erstarrungspunkte von Wasser (273,15 K), Silber (1234,9 K), Gold (1337,3 K), ..., Siedepunkte von Sauerstoff (90,19 K), Wasser (373,15 K), Schwefel (717,75 K), ... o Mit Ausnahme der Pyrometrie, müssen sämtliche Temperaturmessgeräte in körperlichem Kontakt zum Objekt stehen, dessen Temperatur bestimmt werden soll, denn diese Messungen beruhen ausschließlich auf der Ausgleichseigenschaft der Temperatur, dass verschieden temperierte Teile eines thermisch abgeschlossenen Systems im Laufe der Zeit durch Wärmeaustausch dieselbe Temperatur annehmen. 5.4 Für Interessierte: Geschwindigkeitsabhängigkeit der Temperatur. Selbstverständlich ist dies kein Lernstoff, aber vielleicht gefällt es dem einen oder anderen, 100 Jahre nach dem Erscheinen der Einstein’schen Relativitätstheorie zu erfahren, dass die Zerlegung der Energie eines Systems in einen „äußeren“ oder „kinetischen“ Anteil und einen „inneren“ oder „ruhenden“ Anteil ausschließlich nur eine Alltagsnäherung darstellt, die nur für v<<c erlaubt ist, denn bei kleinen Geschwindigkeiten ist c.p << E. Wenngleich wir in unserem Alltag mit der Behauptung gut argumentieren können, dass die Objekte unserer Umwelt eine klar bestimmte Menge an Energie und Impuls „besitzen“, ist diese Behauptung dennoch grober Unfug. Ein Schmalztopf bewege sich uns gegenüber mit 10 km/h nach rechts. Wir messen an ihm 1 kg Masse und die diesen Daten entsprechenden Werte an kinetischer Energie und Impuls. Soweit so gut. Unsere Nachbarn fahren aber mit ihrem Auto von uns mit 100 km/h nach links weg. Daher messen sie an dem Schmalztopf eine deutlich höhere Relativgeschwindigkeit und daher auch deutlich höhere Werte für seine kinetische Energie und seinen 44 Impuls. Versteckt der Schmalztopf uns gegenüber einen Teil seines Energie- und Impulsbesitzes oder protzt er nur unsere Nachbarn gegenüber mit Nichtvorhandenem? Und wenn ein anderer Bekannter von uns den Schmalztopf während dessen Reise in der Hand hält, dann zeigt ihm dieser überhaupt keinen Impuls und auch keine kinetische Energie! Wie viel kinetische Energie, wie viel Impuls besitzt denn nun unser Schmalztopf? Wir sehen, diese Frage kann prinzipiell nicht beantwortet werden. Wohl aber jene, wie viel an Energie und Impuls der Schmalztopf unseren Nachbarn, unserem anderen Bekannten und uns zeigt – dies ist geregelt durch die jeweilige Relativgeschwindigkeit. Seitdem wir wissen, dass unsere Sonne ihren Brennstoff aus der Zerstrahlung von Masse in Energie bezieht, sollten wir den modernen Energiebegriff immer und überall benützen. Dazu gehört einerseits, dass wir uns klar machen, dass kein einziges Objekt Energie und Impuls „absolut besitzt“, sondern nur die Verfügungsberechtigung über bestimmte Teilmengen daran innehat. Die Größe dieser Mengen wird von der Relativbewegung zu den einzelnen Beobachtern fixiert. Zum andern ist es nach der Relativitätstheorie ein grundlegendes Erfordernis, dass die Energie eines jeden Transports mit dem Impuls über die dynamische Bewegungsinvariante (der „Ruhenergie“) Eo verbunden ist: Eo² := E(p=0; S,N1,...Nm)² = E(p,S,N1,...Nm)² - c².p². (5.4-1) Daher gilt für die Energie, die ein Beobachter an einem Objekt misst, welches sich mit der Relativgeschwindigkeit v von ihm fort bewegt, dass sie mit dem Impuls verbunden ist, den das Objekt unserem Beobachter gegenüber zeigt: E := E(p,S,N1,...Nm) = [c²p² + Eo²(S,N1,...Nm)]1/2 (5.4-2) Da die Temperatur T per definitionem die partielle Ableitung der Energie nach der Entropie ist (T := ∂ E/∂S; vgl. Tabelle „Standardformen der Energie“), gilt: T(p, S,N1,... Nm) = ∂ [c²p² + Eo²(S,N1,... Nm)]1/2 / ∂S, (5.4-3) 45 Nach Durchführung der partiellen Differentiation lautet Gl. (5.4-3): T(p, S,N1,... Nm) = ½ . [c²p² + Eo²(S,N1,... Nm)]-1/2 .(2 Eo). ∂ Eo/∂S. (5.4-4) Heben wir im Nenner aus der Wurzel (Eo²) heraus, dann wird es Eo und kürzt sich gegen das Eo im Zähler. Somit erhalten wir: T(p, S,N1,... Nm) = [c²p²/Eo² + 1]-1/2 . ∂ Eo/∂S. (5.4-5) E0 ist die Energie im Ruhsystem. Dort gilt selbstverständlich, dass T := ∂E0/∂S. Daher lässt sich Gl. (5.4-5) umschreiben zu: T(p, S,N1,... Nm) = [c²p²/Eo² + 1]-1/2 . T(p=0, S,N1,... Nm). (5.4-6) Jetzt wird p durch v ersetzt, und zwar über v = ∂ E/∂p (vgl. Tabelle „Standardformen der Energie“). Damit gilt für v: v = c²p/[c²p² + Eo²]1/2. (5.4-7) Elementare Umformung von Gl. (5.4-7) ergibt c²p² + Eo² = c4p2/v², c²p² = Eo²/[c²/v² -1], 1 + c²p²/Eo² = 1 + 1/[c²/v² -1]. (5.4-8) Weitere Umformung von Gl. (5.4-7) ergibt in Schritten 1 + c²p²/Eo² = 1 + 1/(c²/v²)[1 -v²/c²] = 1 + (v²/c²)/[1 -v²/c²] = {[1 -v²/c²] + (v²/c²)}/[1 -v²/c²] und schließlich 46 1 + c²p²/Eo² = 1/[1 -v²/c²]. (5.4-9a) Die rechte Seite von Gl. (5.4-9a) wird in der Relativitätstheorie als γ-Faktor bezeichnet: γ := (1/[1 -v²/c²])1/2. (5.4-9b) In Gl. (5.4-6) eingesetzt, erhalten wir das behauptete Resultat, dass nämlich die Temperatur keine absolut gegebene Systemgröße ist, sondern von den Relativgeschwindigkeiten der Beobachter abhängig ist: T(p, S,N1,... Nm) = γ . T(p=0, S,N1,... Nm) = γ . T0. (5.4-10) Damit zeigt der Wärmezustand eines Systems exakt dieselbe Abhängigkeit von der Relativgeschwindigkeit des Systems zu einem Beobachter wie die Energie selbst (Für Interessierte sei auf „Das kosmische Spiel“ (J. Tomiska; siehe Literaturverzeichnis) verwiesen): E(p) = γ . E(p=0) = γ . E0. (5.4-11) 47 6. Energie und Entropie 6.1 Entropie Wir sprechen immer dann davon, dass ein thermischer Energietransport stattfindet, wenn alle anderen Austauschformen unterbunden sind, und dennoch ein Energiestrom existiert. D.h., dann, wenn Impuls, Drehimpuls, Volumen, Teilchenzahl, elektrische Ladung, ... konstant gehalten werden, wenn kein Austausch mit irgendeinem Feld geschieht, weder mit einem elektromagnetischen noch einem Gravitationsfeld noch einem anderen. Solch ein Austausch findet beispielsweise statt, wenn wir zwei Körper in Kontakt bringen, welche wir als verschieden „warm“ empfinden. Wir merken dann bald einen „Wärmeausgleich“ der Art, dass sich unsere Wärmeempfindungen angleichen. Wir wissen bereits, dass für den dazu erforderlichen Energietransport formal gilt (vgl. Tabelle 3-2, Zeile 5): Energieaustausch dE := ET := T . dS (6.1-1) Die Temperatur haben wir als Maß für den Wärmezustand kennen gelernt, als jene intensive Größe also, welche als Verursacher für Wärmeaustausch identifiziert worden ist. Wir wissen auch bereits, dass jeder Energiestrom an das Strömen eines zweiten, ebenfalls extensiven Naturphänomens gekoppelt ist. Dieser spielt die Rolle eines „Lenkungs- und Steuerungsstromes“, weil Start und Ziel sowie die Stärke des Energietransportes damit fixiert wird. Die zum thermischen Energieaustausch notwendige Lenkungsvariable, diese zweite, strömende Größe wird „Entropie“ genannt. Sie wurde von Clausius eingeführt, zu Pate stand „entrepein“, das griechische Vokabel für das Wort „umwenden“. Die Entropie entzieht sich jeder direkten Messung, sie ist nur berechenbar. Sie wird in der Literatur gerne als Quotient von der bei einem reversiblen (umkehrbaren) Prozess zugeführten Wärme ET,rev. und der Aufnahmetemperatur T definiert: S = ET,rev./ T. (6.1-2) Diese integrale Definition erweckt aber sofort Unbehagen, denn bei Zuführung eines endlich großen Betrages von Wärmeenergie, müsste sich der Körper doch er- 48 wärmen. Daher muss die Entropie S unbedingt differentiell definiert werden, wie in unserer Tabelle der Energieformen auch geschehen: dS = dET,rev./ T (6.1-3) Technische Bedeutung hat sie für die Berechnung des Wirkungsgrades von Wärmekraftmaschinen. Die Entropie erlaubt nämlich die rechnerische Bestimmung jenes Teils der Wärmeenergie, der wegen seiner gleichmäßig erfolgten Verteilung auf alle Moleküle des betrachteten Systems innerhalb desselben nicht mehr neu umverteilt werden kann, insbesondere nicht mehr in mechanische Arbeit umformbar ist. Boltzmann erkannte 1866 als erster den Zusammenhang zwischen der Entropie und der Wahrscheinlichkeit W, ein betrachtetes System in einem ganz bestimmten seiner vielen möglichen Zustände vorzufinden. Je höher diese Wahrscheinlichkeit, desto größer die Entropie. Daher definiert die statistische Physik (k BoltzmannKonstante): S := k . ln W. o (6.1-4) Wir können also formulieren: zunehmende Entropie ist das Maß (i) für die Abnahme der Ordnung, (ii) für die Zunahme der Unordnung oder (iii) für den Verlust an Information. o In der Informationslehre bedeutet „Entropie“ oder „Negentropie“ das Maß für den mittleren Informationsgehalt einer Nachricht. o Es ist sinnvoll und richtig, bei Körpern von der Menge an enthaltener Entropie S zu sprechen, ganz genauso, wie wir seine Energie E, sein Volumen V, seinen Impuls p seine elektrische Ladung Q, seine Teilchenzahl N ... angeben. o Die Entropie ist eine Größe, die strömen kann, also kennt sie wie jede andere extensive Größe auch einen Entropie-Strom, eine Entropiestrom-Dichte. o Da Wärme die an eine Übertragung von Entropie gebundene Energie ist, gilt natürlich sofort auch, dass ein Wärmestrom einen Energiestrom darstellt, der an einen Entropiestrom gebunden ist, mit ihm untrennbar verknüpft ist. o Daher die uns schon bekannte Regel: Ein Wärmestrom ist ein mit einem Entropiestrom verknüpfter Energiestrom: 49 Wärmestrom = T . dS/dt = T . Entropiestrom. o (6.1-5) Entropie kann auf zweierlei Arten strömen: (i) Allein und (ii) im Kollektiv mit einem Teilchenstrom. Strömt etwa ein Gas oder eine Flüssigkeit als Ganzes, dann stellt es einen kollektiven Strom aller extensiven Größen dar, die es beinhaltet: Also einen Teilchenzahl-Strom, einen Impulsstrom, einen Entropiestrom, ... Jeder dieser Ströme bedingt dann auch einen jeweiligen Energiestrom, der Impuls einen Bewegungsenergie-Strom, die Entropie einen Wärmestrom. 6.2 Die Erzeugung von Entropie. Bild 6-1. Jeder thermische Energiestrom erzeugt Entropie. Wie Bild 6-1 veranschaulicht, erzeugt jeder thermische Energiestrom notwendigerweise Entropie: Solange die Temperaturdifferenz (T2-T1) zwischen den beiden Stofffeldern „1“ und „2“ konstant bleibt, solange ist auch der thermische Energietransport von Feld 1 nach 2 konstant: dET/dt = T1 dS1/dt = T2 dS2/dt. (6.2-1) Da in Feld 2 die Temperatur niedriger ist als die in Feld 1 (T2 < T1) können die beiden Produkte in Gl. (6.2-1) nur dann gleich sein, wenn der Entropiestrom im Feld 2 größer ist als jener in Feld 1: (dS2/dt) > (dS1/dt). Und zwar müssen die Entropieströme in den beiden Feldern zueinander im umgekehrten Verhältnis stehen wie die dortigen Temperaturen: 50 (dS2/dt) / (dS1/dt) = T1/T2. (6.2-2) Da für die Entropie kein Erhaltungssatz gilt, darf S2 > S1 sein. Dies ist aber nur möglich, wenn der thermische Energietransport durch einen Wärmewiderstand hindurch Entropie produziert. Der Betrag ist gegeben durch das Temperaturverhältnis einerseits und der Stärke des thermischen Energietransportes. Zu seiner Berechnung bilden wir die Differenz der Entropieströme in den beiden Feldern: (dS2/dt - dS1/dt), setzen für den Entropiestrom (dS2/dt) aus Gl. (6.2-2) ein und heben die Temperatur T1 heraus: (dS2/dt - dS1/dt) = T1/T2 dS1/dt - dS1/dt = dS1/dt (T1/T2 - 1) = (T1.dS1/dt) . [1/T2 - 1/T1]. (6.2-3) Ersetzen wir nun das Produkt (T1.dS1/dt) aus Gl. (6.2-1) durch den Energiestrom, dann erhalten wir mit (dS2/dt - dS1/dt) = dET/dt [(T1-T2)/ T1 T2] (6.2-4) die gesuchte Berechnungsformel für den Entropiezuwachs, der durch den thermischen Energietransport durch einen Wärmewiderstand entsteht. Der Wärmewiderstand eines Mediums besteht somit darin, dass es Entropie erzeugt, sobald es von Entropie durchflossen wird. o Je größer der Wärmewiderstand, desto mehr Entropie wird erzeugt. o Entropie kann aber auch strömen, wenn ein Medium strömt, wie z.B. Wasser. Denn in solchen Fällen strömen sämtliche mengenartigen Größen, also Impuls, Teilchenzahl, ... Auch hier gilt für die Kopplung von Wärmestrom und Entropiestrom Gl. (6.2-1). 6.3 Innere Energie U Der Bergriff „innere Energie“ ist zu einer Zeit geprägt worden, als die Universalität der Energie als eine der großen Erhaltungsgrößen in unserem Universum noch nicht bekannt war. Damals glaubten wir noch, ein System besäße verschiedene Ener- 51 giearten, die wir im System voneinander unterscheiden könnten. Daher schrieben wir auch gerne, dass die „Gesamt“-Energie eines Systems aus einzelnen Teilen wie der „kinetischen“ Energie, der „potentiellen“ Energie, ... und eben der „inneren“ Energie bestünde. Heute wissen wir, dass es nur eine Energie gibt, die wir in verschiedenen Formen zwischen den einzelnen physikalischen Objekten umverteilen können. Die „innere“ Energie entpuppt sich dabei als Synonym für die „Ruhenergie“ eines Systems, also als andere Bezeichnung für die (gesamte) Energie eines Systems - ohne Berücksichtigung der Masse- Energie-Äquivalenz, das sich im selben Bewegungs- und Schwerezustand befindet wie sein Beobachter. Solch ein System zeigt sich dem mitbewegten Beobachter ja als „in Ruhe befindlich“, und die Bilanzierung seiner Energie kann von ihm einzig über die Vorgänge im Innern des Systems erfolgen. Diese sind: (i) die „Wärmebewegung“ der Systemteilchen, (ii) die Wechselwirkung zwischen den Molekülen und (iii) die innermolekularen Bewegungen (Schwingungen, Rotation, ...). 6.3.1 Abgeschlossenes System: dU ≡ 0. o Da kein E-Austausch möglich, gilt: Gesamtenergie ≡ Innere Energie U. o Da Teilchenzahl konstant, kann nur die Mischungsart verändert werden – aber diese Veränderung ist dann im Innern irreversibel und nur noch äußere Zwangsmaßnahmen können daran etwas verändern. o Das gesamte System kann als eine Einheit gleichförmig transportiert werden, denn eine gleichförmige Bewegung des Gesamtsystems kann die Verhältnisse im Innern nicht beeinflussen. o Es ist daher: dE ≡ dU ≡ 0. (6.3-1) 52 Bild 6-2. Abgeschlossenes System. Weder Energie- noch Teilchenaustausch möglich. 6.3.2 Geschlossenes System: dU ≠ 0. Bild 6-3. Geschlossenes System. Energie- aber kein Teilchenaustausch möglich: A. Änderung des Wärmezustandes dU = E5 = T.dS. B. Volumsarbeit dU = E4 = -p.dV. Im geschlossenen System kann die (innere) Energie durch zwei Energieaustausche verändert werden: (i) durch einen Entropiestrom (vgl. Tabelle 3-2; Zeile 5) und (ii) durch mechanische Arbeit in Form von Kompression (vgl. Tabelle 3-2; Zeile 4). 53 (i) Änderung der inneren Energie, dU, durch Entropiestrom dS/dt. Besteht eine Wärmeenergie leitende Verbindung zwischen unserem geschlos- senen System und seiner Umgebung, dann kann die innere Energie „thermisch“ verändert werden. Nach Zeile 5 in Tabelle 3-2 gilt für die Änderung der Energie - und daher hier für jene der „inneren“ Energie: dU = E5 (= ET) = T.dS. (6.3-1a) Hier gilt wegen U = U(S) auch: dU = ∂U(S)/∂S dS = T.dS. (ii) (6.3-1b) Änderung der inneren Energie, dU, durch mechanische Arbeit. Wenn wir in Bild 6-3 den Stempel in den Kolben drücken, dann leisten wir Kompressionsarbeit, die in das System fließt (vgl. Tabelle 3-2; Zeile 4); wenn das Volumen verkleinert wird, dann ist dV negativ, insgesamt ist der Term (-p.dV) dann positiv, er vergrößert daher auch die (innere) Energie des Systems: dU = E4 (= Ecomp) = -p dV. (6.3-2a) Andere Arten von Arbeit gibt es hier nicht. Damit gilt hier U = U(V), dU = ∂U(V)/∂V dV = -p dV. (iii) (6.3-2b) Gesamtänderung der inneren Energie U. Insgesamt gilt daher, dass das geschlossene System gemäß Punkt 4.1-3 ein „thermodynamisches“ System ist: dU = E5 + E4 (= ET + Ecomp) = ∂U(S,V)/∂S dS + ∂U(S,V)/∂V dV = T dS - p dV. (6.3-3) Viele Autoren verwenden den Ausdruck (mechanische Arbeit W): 54 dU = δET - δW (oder auch: dU = ∆ ET - ∆ W), der aber keinerlei mathematische Bedeutung besitzt, denn was soll mathematisch das δ-Zeichen bedeuten? Üblicherweise wird damit eine „Variation“ gekennzeichnet. Es ist aber mathematisch unmöglich, ein vollständiges Differential als Differenz zweier Variationen hinzuschreiben. Der moderne Energiebegriff benötigt keine mathematisch unsinnigen Formulierungen, er ist nämlich in sich stimmig. 6.3.3 Offenes System: dU ≠ 0 und dNj ≠ 0 (variable Teilchenzahl Nj) In offenen Systemen ist die innere Energie nicht nur von der Entropie S und dem Volumen V abhängig, sondern auch noch von den Teilchenzahlen Nj. Wir vergegenwärtigen hier also den im Punkt 4.1-4 behandelten Fall des Systems „Einheitliche Stoffe“: dU(S,V,Nj) = E5 + E4 + E6-j = ET + Ecomp + Eµj = ∂U(S,V,Nj)/∂S . dS + ∂U(S,V,Nj)/∂V . dV + Σ ∂U(S,V,Nj)/∂Nj . dNj (6.3-4) Das chemische Potential µj ist definiert als jene Energieänderung eines Systems, die durch Hinzufügen eines Teilchens der Art j hervorgerufen wird. Wenn beispielsweise N1 Moleküle Wasser in den Kaffee geschüttet werden, dann führen wir ihm die Energie [N1. µ1] zu. Analoges gilt für die N2 Moleküle Koffein, die N3 Moleküle Farbstoffe, ... . Damit kann Gl. (6.3-4) kurz geschrieben werden als: dU(S,V,Nj) = T . dS - p . dV + Σ µj . dNj. (6.3-5) 55 Bild 6-4. Offenes System. Sowohl Energie- als auch Teilchenaustausch möglich: A. Änderung des Wärmezustandes dU = E5 = T.dS. B. Volumsarbeit dU = E4 = -p.dV. C. Teilchenaustausch dU = E6-1 + E6-2 +... = µ1.dN1 + µ2.dN2 + ... . 6.4 Die Rolle von Hauptsätzen in der Naturwissenschaft Für die Wärmehauptsätze gibt es verschiedene Formulierungen. Die Entstehung der Hauptsätze verlief parallel mit der technischen Entwicklung von Wärmekraftmaschinen, so dass entsprechende Aussagen, etwa zur Unmöglichkeit der Realisierung einer speziellen Maschine - des Perpetuum mobile - getroffen werden, die diese Hauptsätze widerlegen würde. Die Formulierungen der Hauptsätze sind nicht allein auf die Physik oder die Chemie beschränkt, sondern finden durch ihren systemtheoretischen Charakter rege Anwendungen in der Ökologie und Ökonomie sowie in ähnlichen Gebieten. Heute könnte ein anderer Aufbau geschehen, der sich durch die Tatsache ergibt, dass die Energie neben Impuls und Drehimpuls als dritte universelle Naturinvariante allgemein anerkannt ist. Die Energie wird heute als universelle Größe betrachtet, die in jedes Ereignis unserer Umwelt eingebunden ist (ersetzt ersten Wärmehauptsatz). Wärmephänomene sind alle Vorgänge der Natur, deren Energiespiel mit Hilfe eines Entropiestromes geregelt wird (ersetzt zweiten Wärmehauptsatz). 56 „Hauptsätze“ werden allgemeine Behauptungen über physikalische Geschehnisse genannt, die ausnahmslos und unter allen Umständen Gültigkeit beanspruchen. Meist sind diese Hauptsätze Unmöglichkeitsaussagen, auch wenn es nicht sofort ersichtlich ist, wie beim Erhaltungssatz der Energie: Er behauptet, dass alle Geschehnisse unmöglich sind, bei denen Energie erzeugt oder vernichtet würde. So eine Aussage lässt sich niemals streng beweisen, denn wir haben nur die Erfahrung der Vergangenheit. Daher spielen die Hauptsätze die Rolle von Prinzipien: Wir fassen mit ihnen unsere Erfahrung zusammen und extrapolieren damit auf bisher unbekannte Fälle. Prinzipien werden ausschließlich durch Erfahrung motiviert, können aber niemals streng bewiesen werden. Daher sollten wir weniger von „Richtigkeit“ als von „Zuverlässigkeit“ sprechen. Die Rechtfertigung von Hauptsätzen oder Prinzipien liegt ausschließlich in ihrer Zuverlässigkeit, in der Zahl ihrer Erfolge. Wir können die Thermodynamik auch so aufbauen, dass ihr die Hauptsätze als Prinzipien zugrunde gelegt werden und daraus alle Phänomene folgen, deren Beobachtung uns ursprünglich zu ihren Formulierungen geführt haben. Dieser Weg hat den Vorteil, dass wir die Thermodynamik zwanglos in das Gesamtgebäude unserer Naturwissenschaft einbauen können, dass die wesentlichen Argumente und Funktionsweisen klarer zutage treten als auf dem heuristischen Weg, der zumeist beschritten wird. 6.5 Moderne Form der Wärmehauptsätze 6.5-1 Erster Hauptsatz (HS-1): Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden, die Energie erfüllt einen Erhaltungssatz. Ergänzung zu HS-1: Die Energie E eines Systems ist niemals negativ, sie hat einen absoluten Nullpunkt: E ≥ 0. 6.5-2 Zweiter Hauptsatz (HS-2): Entropie kann niemals vernichtet, wohl aber erzeugt werden. Ergänzung zu HS-2 (war 3. Hauptsatz): Die Entropie S eines Systems ist niemals negativ, sie hat einen absoluten Nullpunkt: S ≥ 0. 6.5-3 Erläuterungen: Bei S = 0 ist nur dann auch T = 0, wenn ein System nur aus stabilen Zuständen besteht, also nur aus Zuständen, in denen alle extensiven und in- 57 tensiven Variablen des Systems endliche Werte haben und das System im Gleichgewicht ist hinsichtlich aller frei austauschenden inneren Variablen. Der HS-1 trifft eine Aussage über eine allgemeine Eigenschaft der Variablen „Energie E“, und der HS-2 eine über die Variable „Entropie S“. Allgemeine Eigenschaften von Variablen sind so beschaffen, dass sie eine ganz bestimmte Einschränkung dekretieren, an die sich alle Geschehnisse, alle Abläufe in der Natur nach unserem Willen zu halten haben. Solange sämtliche im Kosmos beobachteten Ereignisse mitspielen, solange drücken diese Eigenschaften für uns die Funktionsprinzipien unseres Universums aus. Sobald wir Dinge beobachten, die im Widerspruch dazu stehen, müssen wir neue Beschreibungen suchen. Siehe unseren als falsch herausgestellten Glauben an die Erde als Zentrum des Universums, an Phlogiston und Lichtäther, an Absolutexistenz von Raum und Zeit oder an die Unzerstörbarkeit der Masse. In den Termini der Thermodynamik heißt obiges so: Allgemeine Eigenschaften von Variablen sind so beschaffen, dass alle Realisierungen von Prozessen physikalischer Systeme bestimmten Einschränkungen unterworfen sind. D.h.: Aus der Beobachtung, dass ein System seine Energie E um dE ≠ 0 verändert, folgt jetzt, dass es ein zweites System geben muss, mit dem es kommunizieren, wechselwirken kann auch dann, wenn dieses zweite System nicht sichtbar ist. Ein Beispiel für so ein unsichtbares System ist das Feld, mit dem ein beschleunigter Körper wechselwirkt. Der HS-2 macht eine ähnliche, aber schwächere Aussage über die Entropie S: Diese erfüllt sozusagen nur einen „halben“ Erhaltungssatz, da sie zwar nicht zerstört werden kann, dafür aber erzeugbar ist. Dem Endzustand eines Systems ist durch nichts anzumerken, ob die Entropiezunahme durch Wechselwirkung mit einem anderen System entstanden ist, oder ob die zusätzliche Entropie im System selbst erzeugt worden ist. Stellt man jedoch eine Abnahme der Entropie eines Systems fest, dann muss es eine Wechselwirkung mit einem zweiten System gegeben haben. Von selbst können nur Prozesse ablaufen, bei denen die Entropie zunimmt. Die Ergänzungen zu den beiden Hauptsätzen treffen Feststellungen über eine Eigenschaft aller Systeme: Sie behaupten, dass sowohl die Energie E als auch die Entropie S eines jeden Systems mathematisch einseitige Variablen sind, die nach unten beschränkt sind. Die physikalische Konsequenz daraus ist, dass alle in der Natur zu findenden Systeme nur endliche Mengen an Energie oder Entropie enthalten können. Im Universum darf es kein einziges System geben, welches eine unendliche 58 Menge an Energie und/oder Entropie besitzt. Auch die Ergänzungen stellen Prinzipien dar, die sich in ihren Anwendungen bewähren müssen. 6.6 Ältere Formulierungen der Wärmehauptsätze 6.6.1 Für den HS-1 o Clausius: Die Änderung der inneren Energie, dU, eines Systems ist gleich der Summe der von außen zugeführten Wärme ET, und Arbeit W. Bei einem Kreisprozess ist diese Summe = 0. o Es existiert kein perpetuum mobile 1. Art. o dU = ∆ ET - ∆ W (∆: hier ohne mathematischer Bedeutung) dU ist vollständi- ges Differential. 6.6.2 Für den HS-2 o Es existiert kein perpetuum mobile 2. Art. o Wärme ET kann nicht vollständig in Arbeit W umgesetzt werden. o Wärme ET kann ohne Arbeit W nur vom wärmeren zum kühleren Reservoir geleitet werden. o Die Entropie eines thermisch-isolierten Systems nimmt nie ab. 6.6.3 Für den HS-3 Am absoluten Nullpunkt ist die Entropie aller Substanzen gleich groß, die in diesem Temperaturbereich thermodynamisch stabil sind. Planck setzte S(T=0) := 0 für alle stabilen Substanzen, d.h. für alle idealen Festkörper. Folgerungen: cp(T=0) = cv(T=0) = 0; κ(T=0) = 1 (κ:= cp/cv.) Am absoluten Nullpunkt wird die Isotherme identisch zur Adiabate - d.h. kein reversibler Kreisprozess möglich. 59 7. Materiezustände Unter Materie verstehen wir nicht nur den „Urbaustoff“ aus dem unser gesamtes Weltall geworden ist, sondern insbesondere auch alle die uns bemerkbaren körperlichen Dinge, also alle Objekte unserer Umwelt, die wir als Stoffe oder Substanzen bezeichnen. 7.1 Aggregatzustände der Körper Die Stoffe unserer Welt zeigen sich in unterschiedlichen Zustandsformen, die auch Aggregatzustände oder Phasen genannt werden, und die jeweils durch Temperatur- und Druckbedingungen festgelegt sind. Chemische Reaktionen können sowohl innerhalb einer oder zwischen mehreren Zustandsformen (Phasen, Aggregatzustände) ablaufen. Auch bei chemischen Stoffumsätzen mit ein- und derselben Zustandsform können ebenfalls Änderungen des Aggregatzustandes auftreten. Traditionell unterscheiden wir drei verschiedene Aggregatzustände: (i) Fest, (ii) Flüssig und (iii) Gasförmig. Die moderne Naturwissenschaft kennt darüber hinaus aber noch zwei weitere, sehr wichtige Zustandsformen. (iv) Plasma heißen Gase, die so heiß sind, dass die Moleküle zerstört sind. Elektronen und Kerne bilden gemeinsam das Plasma. (v) Die Suprafluidität ist ein flüssiger Aggregatzustand, der sich in seinen Eigenschaften aber grundlegend von jeder normalen Flüssigkeit unterscheidet. Die Viskosität nimmt sehr kleine, die Wärmeleitfähigkeit sehr große Werte an. In dem suprafluiden Zustand treten makroskopische Quanteneffekte auf, daher wird auch von Quantenflüssigkeiten gesprochen. Suprafluidität ist bisher nur in der als Helium-II (He-II) bezeichneten Phase des He im Temperaturbereich unterhalb der sog. λ-Linie (bei Normaldruck und 2,19 K) 4 und unterhalb von 3 mK in 3He beobachtet worden. Weitere Kandidaten sind Spinpolarisierter Wasserstoff und das Zentrum von Neutronensternen (Neutronen und Protonen möglicherweise in suprafluider Phase). Die thermische Leitfähigkeit ist in He-II so hoch, dass es unmöglich ist, in He-II einen Temperaturgradienten herzustellen. Verdampfung findet daher nur an der Oberfläche statt. Zwischen zwei Volumina von He-II lässt sich ein Temperaturgradient nur über ein Superleck realisieren, d.h. durch eine Öffnung, die nur die suprafluide Komponente durchlässt. Die Supraflüssigkeit strömt zu dem Gebiet hoher Temperatur, bis der Gradient ausgeglichen ist. He-II kann 60 nicht durch das Ausbilden einer festen Phase die Entropie verringern, da für T -> 0 die flüssige Phase stabil bleibt. Das Zweiflüssigkeiten-Gemisch besteht dann nur noch aus der Supraflüssigkeit und besitzt keinerlei Entropie. Bei endlicher Temperatur wird die ganze Entropie von der normalen He-I-Phase getragen. Der Aggregatzustand von Körpern ergibt sich aus dem jeweiligen Spiel zwischen der anziehenden Kohäsionskraft und der auseinander treibenden Eigenbewegung: A) Festkörper: Kohäsion wesentlich stärker als die Eigenbewegung; B) Flüssigkeit: Kohäsion und Eigenbewegung halten sich die Waage; C) Gase: Kohäsion vernachlässigbar klein. Gase haben etwa das 2000-fache Volumen von Flüssigkeiten (Beispiel: mit flüssigem Stickstoff gefüllter Luftballon). Bild 7-1. Die Aggregatzustände der Stoffe. 61 7.2 Phasen Unter einer „(Stoff-)Phase“ verstehen wir einen stofflichen Zustandsbereich, der in sich homogen, also völlig gleichartig ist, konstante, ortsunabhängige Eigenschaften aufweist und durch scharfe Grenzflächen abgegrenzt ist. Meist sind die einzelnen Stoffphasen optisch voneinander unterscheidbar und mechanisch trennbar Als Beispiel mögen die drei Phasen des H20 dienen: Wasserdampf, flüssiges Wasser und Eis. Eine „Mischphase“ besteht dagegen aus mehreren Stoffen. Alkohol und Wasser etwa ergeben zusammen eine homogene Mischung zweier Flüssigkeiten. Der mit Wasser „verdünnte“ Alkohol wird als homogener Stoff bezeichnet, stellt aber eigentlich eine Mischphase dar. Verschiedene Aggregatzustände in einem System bilden einzelne, voneinander getrennte Phasen. Es kann mehrere flüssige und feste Phasen geben, immer aber nur eine einzige Gasphase. „Heterogen“ heißen Systeme, in denen einzelne, voneinander getrennte Phasen vorkommen. Heterogene Systeme lassen sich durch geeignete physikalische Techniken in ihre Bestandteile zerlegen. 7.3 Änderungen der Aggregatzustände Die Änderungen der Aggregatzustände heißen bei: Fest zu flüssig: Schmelzen; Flüssig zu fest: Erstarren; Flüssig zu gasförmig: Verdunsten, Verdampfen; Gasförmig zu flüssig: Kondensieren. Fest zu gasförmig: Sublimieren; Gasförmig zu fest: (De-)Sublimieren; o Die dazu notwendigen Wärmeflüsse werden nach den jeweiligen Vorgängen benannt: Schmelzwärme wird beim Schmelzen aufgenommen, die gleich große Erstarrungswärme beim Umkehrvorgang (Erstarrung) abgegeben, ... o Bei Reinstoffen erfolgt die bei bestimmten, druckabhängigen Temperaturen ei- ne quantitative, reziproke Umwandlung von fest/flüssig (Schmelz/Erstarrungspunkt) und flüssig/gasförmig (Siedepunkt). Verdunsten nennt man gerne die Verdampfung unterhalb des Siedepunktes. 62 o Bei Lösungen, Mischungen, Verbindungen ist die Situation komplexer: Es gibt oft Unterschiede zwischen Schmelz- und Erstarrungspunkten, ebenso wie zwischen Siede- und Kondensationspunkten. Auch weisen diese Temperaturen oft erhöhte oder erniedrigte Werte gegenüber den Reinsubstanzen auf (Siedepunktserhöhung, Schmelzpunktserniedrigung,... ). Darauf beruht auch die winterliche Salzstreuung. o Phasendiagramme sind die Schaubilder des Umwandlungsverhaltens der Sub- stanzen. Bei den bekanntesten wird bei konstantem Druck die Umwandlungstemperatur als Funktion der Zusammensetzung gezeichnet. 7.4 Wärmeausdehnung o Bei Erwärmung nimmt das Volumen aller Körper zu - mit Ausnahme von Wasser zwischen 273 K und 277 K (Anomalie des Wassers). o Die Dichte ρ der Körper verhält sich natürlich umgekehrt wie das Volumen, denn es gilt ja: Dichte ρ = (Masse m)/ (Volumen V). o Festkörper (α Längenausdehnungskoeffizient): Längenänderung ∆l = α lo ∆T, Flächenänderung ∆F = 2α Fo ∆T, Volumsänderung ∆V = 3α Vo ∆T. o Flüssigkeiten und Gase dehnen sich weit stärker aus als Festkörper. Naturgemäß kennen sie nur Volumenausdehnung: ∆V = γ Vo ∆T. o Längenausdehnungskoeffizient α (zwischen 273 und 373 K in 10-6/K) für: Al 23,8 Eis (273 K) 0,5 Asphalt ≈200 Eisen 12,1 Diamant 1,3 Invar 1,5 ... 2 Granit 3...8 Messing 18 Quarzglas 0,45 Gold 14,3 Flintglas ≈8 Fette ≈100 63 o Volumenausdehnungskoeffizient von Flüssigkeiten, γ (bei 293 K in 10-6/K), für: Aceton 1490 Glycerin 500 Benzin 1060 Quecksilber 181 Siliconöl 900...1600 Wasser *) 207 Wasser bildet eine Ausnahme! Hier ist γ vom Eispunkt bis knapp 277 K nega- *) tiv! o Volumenausdehnungskoeffizient eines idealen Gases: γ = 1/(273,15 K) = 3661.10-6/K o Volumenausdehnungskoeffizient realer Gase, γ (zwischen 273 und 373 K in 10-6/K), für: Ammoniak 3770 Wasserdampf 3940 Argon 3680 Luft 3670 Chlor 3830 Helium 3660 64 8. Energiefunktionen, Gleichgewichte 8.1 Synonyme Energiebezeichnungen Während des neunzehnten Jahrhunderts sind in den verschiedenen Zweigen der Physik abstrakte mathematische Konstruktionen entwickelt worden, die sämtliche einheitlichere Behandlungen ganzer Gruppen von Naturgeschehnissen ermöglicht haben. In der Mechanik sei hier insbesondere die Hamiltonfunktion erwähnt, mit deren Hilfe es gelingt, die Bewegungsgleichungen verschiedenster Geschehnisse einheitlich abzuleiten. H ≡ E = v . p/2 - K . x + E(p=0; x=0) (8.1-1a) Nehmen wir Tabelle 3-2 zu Hand, dann bemerken wir, dass die Gl. (8.1-1) nichts anderes darstellt als die Summe aus den Energie(transport)formen E1 und E3 und einem Normierungsterm: H ≡ E = E1 + E3 + Normierungsterm (8.1-1b) In der Thermodynamik wurde hingegen von Gibbs seine nach ihm benannte Gibbs-Funktion eingeführt. Sie beschreibt daher insbesondere jene Energiebewegungen, welche bei thermischen Geschehnissen eine Rolle spielen - sie beinhaltet daher zumeist auch die innere Energie U. Vielfach wird die Gibbsfunktion aber auch ausgeweitet auf andere Energieveränderungen. Die verschiedenen Potentialfunktionen (Zustandsfunktionen) sind weitere Beispiele. Seitdem die Energie als universelle Größe erkannt worden ist, wissen wir, dass die Hamiltonfunktion ebenso wie die Gibbsfunktion und all die anderen thermodynamischen Potentiale nichts anderes sind als mathematische Beschreibungsformen von ein und derselben Naturgröße, nämlich von der Energie. Damit ist die früher so wichtig empfundene Unterscheidung zwischen diesen Funktionen belanglos geworden, und sie wird vermutlich nur noch deshalb aufrechterhalten, weil erst wenige bereit sind, die Energie tatsächlich voll als das anzuerkennen, was sie seit der Relativitätstheorie ist: Eine völlig eigenständige physikalische Größe, die in jedes Geschehnis unseres Uni- 65 versums eingebunden ist. Es gibt nur eine Naturgröße „Energie“, aber sehr unterschiedliche Methoden, diese immer wieder neu zu verteilen. Gibbs-Energie, Hamiltonfunktion, thermodynamische Potentialfunktionen, Energiefunktionen sind daher Synonyme für ein und dieselbe Naturgröße. In der Mechanik heißt die Energie oder Energiefunktion dennoch immer noch gerne „Hamiltonfunktion H(x,p)“ und in der Thermodynamik „Gibbsfunktion G(p,T)“, ... 8.2 Gleichgewichte Gleichgewichte sind uns aus der Mechanik, insbesondere von Balkenwaagen und anderen Kraftspielen vertraut. Im Alltag besonders augenfällig ist dabei die Positionssuche von frei beweglichen Körpern wie Wassertropfen oder Kugeln. Sie bewegen sich unter dem Einfluss der Schwerkraft bis sie auf einmal zur Ruhe kommen. Stößt man sie dann aus ihrer Ruhelage, dann kehren sie meist wieder in sie zurück. Wir argumentieren, dass dies deshalb geschieht, weil die ursprüngliche Ruhelage jene Position ist, in der unser Körper den geringsten Energieaufwand aufweist. Für jede andere Lage muss Hubarbeit geleistet werden, was einen erhöhten Energieaufwand bedeutet. Wir nennen daher jeden Zustand mit minimalem Energieaufwand einen „Gleichgewichtszustand“. Bild 8-1 zeigt uns, dass wir bei kleinen Kugeln, die der Schwerkraft ausgesetzt sind, drei verschiedene Arten von Gleichgewichtslagen kennen: In der Position A ist die Kugel zwar in Ruhe, aber der kleinste Anstoß, die kleinste Auslenkung aus ihr genügt, auf dass unsere Kugel diese Gleichgewichtslage für immer verlässt. So eine fragile Ruhelage heißt daher bekanntlich „labiles“ Gleichgewicht. Der Teil B des Bildes zeigt uns das vollständige Gegenteil einer labilen Gleichgewichtslage: Wie stark auch immer unsere Kugel aus dieser neuen Gleichgewichtslage herausgeholt wird, es wird immer wieder in sie zurückkehren. Wir sagen hier, dieses Gleichgewicht ist „stabil“. Doch Halt! Teil C des Bildes zeigt uns, dass es auf der linken Seite eine Position gibt, aus der unsere Kugel ebenfalls nicht sofort herausfallen kann. Diese Gleichgewichtslage ist weder labil, denn nach kleinen Auslenkungen kehrt die Kugel in ihre Ruhelage zurück, aber bei größeren Auslenkungen verhält sie sich als ob ihre Gleichgewichtslage labil gewesen wäre. Solche Gleichgewichte heißen daher „metastabil“: Sie weisen lokale Stabilität auf, aber globale Labilität. Es ist auch unschwer zu erken- 66 nen, dass unser stabiles Gleichgewicht nichts anderes darstellt, als das tiefste metastabile, im gesamten, für die Kugel zugelassenen Aufenthaltsbereich. A B C Bild 8-1. Die drei Gleichgewichtsarten. (A. Labil; B. Stabil; C. Metastabil). In völliger Analogie zu diesen drei mechanischen Gleichgewichtsarten charakterisieren wir die Zustände von Systemen: Ein System befindet sich in einem stabilen Gleichgewicht, wenn es im betrachteten Operationsfeld nach einer jeden äußeren Einwirkung wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Labil heißt das Gleichgewicht eines Systems dann, wenn kleine äußere Einwirkungen genügen, dass es dauerhaft in einen anderen Zustand übergeht. Sinngemäß befindet sich ein System in einem metastabilen Gleichgewicht, wenn es zwar nach kleineren Einwirkungen wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt, diesen aber ab einer bestimmten Einwirkungsstärke dauerhaft verlässt. Im praktischen Leben sind diese metastabilen Zustände durchaus oft wichtiger als das stabile Gleichgewicht, denn wir bauen und arbeiten immer nur für eine bestimmte Anwendungszeit. Der Stahl für einen Dampfkessel muss nicht bis in alle Ewigkeit sein Verhalten beibehalten, es genügt, wenn er es für einige Jahrzehnte länger macht, als er in Betrieb ist, so dass er bis zur letzten Minute völlig sicher ist. Die Legierung eines Schmuckstückes braucht ebenfalls nicht Milliarden von Jahren un- 67 verändert existieren, es genügen einige Jahrtausende, damit sowohl die Träger als auch künftige Archäologen zu ihrem Recht kommen. 8.2-1 Gleichgewichtsbedingungen bei heterogenen Systemen. Wichtig: Nur die unabhängigen Variablen können wir auf einem von uns frei gewählten Wert konstant halten! o Chemisches Gleichgewicht. Die chemischen Potentiale aller Komponenten müssen in allen beteiligten Erscheinungsphasen, welche diese Komponenten enthalten, dieselben sein. o Thermisches Gleichgewicht. Die Temperatur muss in allen Teilen des Systems gleich sein. o Mechanisches Gleichgewicht. Der Druck muss in allen Teilen eines Systems (auf das keine äußeren Kräfte einwirken) als ein allseitiger, gleichförmiger Außendruck derselbe sein. o Prinzip von Le Chatelier: Wird ein stabiles System durch einen äußeren Einfluss aus dem Gleichgewicht gebracht, so verschiebt sich das Gleichgewicht derart, dass es den äußeren Einfluss möglichst stark abschwächt. Vermindern wir beispielsweise bei einem Flüssigkeits-Dampf-Gleichgewicht das Volumen, so wird Dampf kondensieren, da Flüssigkeiten wesentlich weniger Volumina in Anspruch nehmen. Als Folge steigen der Druck und die Temperatur. 8.2-2 Gleichgewichtsbedingungen für Prozesse Der Massieu’sche Satz garantiert uns, dass es zu jeder Konfiguration von Variablen eine charakteristische Zustandsfunktion gibt, aus der wir durch einfache Differentiation alle anderen thermodynamischen Größen des sich im Gleichgewicht befindlichen Systems bestimmen können. Sämtliche dieser thermodynamischen Potentiale beschreiben den Energiehaushalt der Systeme. Je nachdem, welche Naturgrößen wir konstant halten, gibt es unterschiedlich geführte Energieströme in das System hinein und aus ihm heraus. Da ein energetisches Gleichgewicht sich nur dann einstellt, wenn die zu- und abströmenden Energiemengen gleich groß sind, erfordern die verschiedenen Prozesstypen die passenden Gleichgewichtsbestimmungen. Wir erhalten sie, indem wir die 68 Energieströme mit Hilfe der unabhängigen Variablen der Prozesse beschreiben. Denn nur dann kann jeder einzelne Energiestrom unabhängig von allen anderen verfolgt werden. Der Sinn des Massieu’schen Satzes ist, dass er uns garantiert, bei jeder erdenklichen Prozessführung den gesamten Energieaustausch in spezielle Teilströme zerlegen zu können, die sich völlig unabhängig voneinander steuern lassen. In diesem Falle bildet diese spezielle Energiefunktion eine Potentialfunktion - und damit ist der Gleichgewichtszustand des beschriebenen Prozesses durch deren Extremwert (meist das Minimum) gegeben. Die am häufigsten verwendeten Potentiale sind: (i) Innere Energie U: isochor-isentropisches Potential → Volumen V und Entropie S die unabhängigen Variablen: U = U(V,S). (ii) Enthalpie H: (en-thalpos, (gr.): „Darin-Wärme“) isobar-isentropisches Potential → Druck p und Entropie S die unabhängigen Variablen: H = H(p,S). (iii) Helmholtz-Energie A (Früher: Freie Energie): isochor-isothermes Potential → Volumen V und Temperatur T die unabhängigen Variablen: A = A(V,T). „Frei“ bedeutet, dass sie uns zur Verfügung steht, dass sie für uns benutzbar ist. (iv) Gibbs-Energie G: (Früher: Freie Enthalpie) ????isobar-isothermes Potential → Druck p und Temperatur T die unabhängigen Variablen: G = G(p,T). Hält man diese Variablen konstant, dann beschreibt das Minimum des Potenti- als den Gleichgewichtszustand. Da isobar-isotherm geführte Prozesse im Alltag am leichtesten zu bewerkstelligen sind, ist die Gibbs-Energie die am häufigsten angewendete Potentialfunktion. 8.3 Übergang zwischen den einzelnen Energiefunktionen Die verschiedenen Energiefunktionen haben also nur beschreibungstechnische Bedeutung, sie stellen einzig und alleine nur die Energieströme mit Hilfe von unterschiedlichen Variablen dar. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, sondern im Gegenteil sogar zwingend erforderlich, dass die verschiedenen Energiefunktionen mit Hilfe einer einfachen mathematischen Transformationstechnik ineinander überführt werden können. Das dazu geeignete mathematische Werkzeug sind die so genannten „Legendre Transformationen (Überführungen)“. Die Zustandsfunktionen sind demnach unterei- 69 nander durch diese „Legendre-Transformationen“ verknüpft: Jede neue Funktion der Variablen u1 und u2 erhalten wir aus einer alten Funktion der Variablen v1 und v2, indem wir bei Austausch der ersten Variablen deren Produkt (u1.v1) dazuzählen und bei Austausch der zweiten Variablen u2 und v2 deren Produkt (u2v2) abzählen: Neue Funktion(u1,u2) = Alte Funktion (v1,v2) + u1v1 - u2v2. o Beispiele: Gilt: o Für U(V,S) A(V,T) H(p,S) G(p,T): A = U - T S; G = H - T S; H = U +p V; G = A + p V; G = U + p V - T S; Differentialgleichungen. Schreiben wir die untenstehenden Variablen in genau dieser Reihenfolge auf, dann können wir auf Anhieb eine Reihe von Differentialgleichungen anschreiben („Mitte nach Ecke“; Merksatz: „VAT Und Gin Sind Hier parat.“): V A T U G S H p Differenzieren wir eine in der Mitte einer Zeile oder Spalte stehende Variable nach einer in der Ecke stehenden, dann gibt die Diagonale das Ergebnis. Ist die Diagonale nach oben gerichtet, dann ist die Ergebnisgröße positiv zu nehmen, falls sie nach unten gerichtet ist, muss mit (-1) multipliziert werden. Die dritte Variable der betreffenden Zeile oder Spalte muss dabei konstant gehalten werden. Beispiele: [∂U/∂S]V = T; [∂U/∂V]S = -p; 70 8.4 [∂G/∂p]T = V; [∂G/∂T]p = -S; [∂H/∂p]S = V; [∂H/∂S]p = T. Molare Wärmekapazität Wir lernten die (spezifische) Wärmekapazität als das Verhältnis von der einem System (Körper) zugeführten Wärmeenergie zu der dadurch erzielten Temperaturerhöhung (Änderung des Wärmezustandes) kennen. In der Chemie arbeiten wir gerne mit Molmengen, daher definierten wir die molare Wärmekapazität (auch: Atomwärme, Molwärme) als jenen Wärmeenergiebetrag, der nötig ist, um ein Grammatom eines chemischen Elements um 1 K zu erwärmen. Die molare Wärmekapazität ergibt sich demnach als das Produkt aus dem Grammatom und der spezifischen Wärmekapazität des betreffenden Stoffes (vgl. Kapitel 5). Je nach Prozessart ist die Wärmekapazität verschieden. Von praktischer Bedeutung sind die Wärmekapazitäten von Prozessen, die entweder isobar (Druck p = const) oder isochor (Volumen V = const) geführt werden. Experimentell können die Molwärmen bei konstantem Druck, Cp, sowohl für Festkörper, Flüssigkeiten und Gase mit Hilfe von Kalorimetern bestimmt werden. Da Festkörper und Flüssigkeiten inkompressibel sind, stimmen für sie die jeweiligen Wärmekapazitäten bei konstantem Druck, Cp, mit denen bei konstantem Volumen (CV) annähernd überein. Bei den kompressiblen Gasen weisen sie allerdings merkliche Unterschiede auf. Bei Gasen können die Molwärmen bei konstantem Volumen, CV, aus den CpWerten aus Messungen der Schallgeschwindigkeit, vSchall, mit Hilfe der bekannten Kundt’schen Röhre ermittelt werden (vSchall = [κ .p/ρ] ½; ρ; wobei ρ die Dichte und κ = cp/cv das Verhältnis der beiden Molwärmen ist). o Abschätzregeln. Für die praktische Arbeit sind einige Schätzmethoden für die molaren Molwärmen bekannt, insbesondere (i) Regel von Neumann-Kopp (äußerst begrenzt): Molwärme einer Verbindung = Summe der Atomwärmen (Molwärme: cv * Mol, Atomwärme: cv * Grammatom). 71 (ii) Regel von Dulong Petit: Atomwärmen aller festen Metalle haben etwa denselben Wert 24.4 J/K. Stimmt nur in gewissen T-Bereichen. Mit T-> 0 geht aber Atomwärme gegen 0! 8.5 Temperaturabhängigkeit thermodynamischer Funktionen Die Temperaturabhängigkeit der thermodynamischen Funktionen ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Wärmekapazität Cp mit den einzelnen Funktionen, die sämtliche untereinander über die Legendre-Zusammenhänge verbunden sind. Enthalpie: H(T) = ∫ Cp . dT, (8.5-1) Entropie: S(T) = ∫ (Cp/T) . dT, (8.5-2) Gibbs-Energie: G(T) = H(T) - T S(T) (8.5-3) 8.6 Die molaren Mischungsfunktionen Der Beitrag, den die Komponente j zu den thermodynamischen Eigenschaften von 1 Mol Mischung aus zwei oder mehreren reinen Komponenten leistet, wird durch die "partiellen molaren Größen" Zj (Z = G, H, S, ...) charakterisiert. Die thermodynamische Beschreibung des Gesamtsystems (K Komponenten) erfolgt dann mittels der entsprechenden "molaren Funktionen" Z (auch: "integrale molare Funktionen"), K Z = Σ xj.Zj, (8.6-1) j=1 wobei die K partiellen Größen Zj auch die für konstanten Druck und konstante Temperatur geltende Form der Gibbs-Duhem’schen Gleichung (8.6-2) erfüllen müssen: K Σ xj . dZj = 0. (8.6-2) j=1 72 Vielfach werden nicht die absoluten Werte der partiellen molaren Größen Zj benötigt, sondern nur deren Differenzen zu den entsprechenden Werten für die reinen Komponenten j, Z°j (für binäre Systeme siehe Bild 8-2), ZMj := Zj - Z°j. (8.6-3) Diese Differenzen ZMj werden üblicherweise "partielle molare Mischungsgrößen" genannt. Kombination der Gln. (8.6-1) und (8.6-3) ist nahe liegend und führt zu den entM sprechenden molaren Mischungsgrößen Z , die in der Literatur als Klassifizierungsmerkmal für die Einteilung möglicher Verhaltensweisen von Mischungen herangezogen werden. Eine A-priori-Berechnung der molaren und partiellen molaren Mischungsfunktionen (ZM, ZMj) beliebiger Systeme ist jedoch nicht möglich, da die Mannigfaltigkeit des auftretenden Mischungsverhaltens theoretisch noch nicht erfasst worden ist. Es ist daher üblich, einen "idealen" Mischungszustand festzulegen und zu versuchen, die Abweichungen der realen Mischungsgrößen (ZM, ZMj) von den gegebenen "idealen" Mischungsfunktionen (Zid, Zidj) der interessierenden Systeme experimentell zu bestimmen. Diese Differenzen zwischen den realen und den idealen Mischungsfunktionen werden in der Literatur meist molare bzw. partielle molare "Zusatz"-, "Überschuß"- oder "Exzeß"-Funktionen (ZE, ZEj) genannt (für binäre Systeme siehe Bild 8-2): ZE := ZM - Zid, (8.6-4a) ZEj := ZMj - Zidj. (8.6-4b) id 8.6-1 "Ideale" molare Mischungsfunktionen Z : Die "ideale Mischung" ist dadurch gekennzeichnet, dass bei der Vermischung der Reinkomponenten keine Änderung der zwischenmolekularen Wechselwirkungen auftreten darf, und die Volumina sich additiv verhalten müssen. Dementsprechend müssen für ideale Mischungen die "ideale" Mischungswärme Hid und das "ideale" Mischungsvolumen Vid verschwinden: Hid = Vid = 0, (8.6-5) 73 und die freie "ideale" Mischungsenergie Gid wird - wegen Gl.(8.5-3) - nur durch den Entropieterm bestimmt: Gid = -T . Sid. (8.6-6) Bei Fehlen jeglicher Änderung der intermolekularen Wechselwirkungen muss in der Mischung eine völlig statistische Molekülverteilung vorliegen. Die "ideale" Mischungsentropie Sid kann daher nur dadurch gegeben sein, dass die vor der Reaktion vorhandene Ordnung (strenge Trennung der Moleküle der einzelnen Komponenten) in eine Mischung mit eben völlig statistischer Molekülverteilung übergeht. Aufgrund statistischer Betrachtungen ergibt sich für die "ideale" molare Mischungsentropie Sid (R Gaskonstante): K Sid = - R . Σ xj . ln xj, (8.6-7) j=1 8.6-2 Molare Zusatzfunktionen ZE: Mischungen, die diesem "idealen" Modell entsprechen, sind nur in wenigen Fällen annähernd realisiert. Bei der Bildung der allermeisten festen oder flüssigen Mischungen treten Abweichungen von diesem "idealen" Verhalten auf, und die realen Mischungsgrößen weisen nicht-verschwindende Zusatzterme auf. Die idealen Anteile der Mischungsfunktionen sind leicht berechenbar und eindeutig, können aber definitionsgemäß keinen Beitrag zur Beschreibung der zwischenmolekularen Wechselwirkungen in den Mischungen liefern. Diese Wechselwirkungskräfte sind jedoch wesentlich für das thermodynamische Verhalten der Mischungen verantwortlich. Aus diesem Grunde werden die thermodynamischen Mischungseffekte durch die molaren und partiellen molaren Zusatzgrößen (ZE, ZEj) charakterisiert, und in der Literatur wird manchmal auch von "Mischungsfunktionen" gesprochen, wo streng genommen nur deren Zusatzterme gemeint sind. Kombination der Gln. (8.6-4) und (8.6-5) zeigt die Identität zwischen der realen Mischungswärme HM und der Zusatzenthalpie HE. Deshalb wird in der Literatur die Mischungswärme oft mit HE bezeichnet. 74 A . A bs olute v a lu e s Z Z ZA D iffe re n ces o f pu re sp e cie s Z ° := (1-x B )Z A -x B Z B A xB B ZB B . M ix in g e ffe c ts Z M = Z - Z ° ZM C om p u ta b le “Id e al” m ix ture Z id . A E M C . E x c e s s e ffe c ts Z = Z - Z xB B id O n ly ex p erim en tal d ete rm in a tio n p o s sib le! ZE A xB B Bild 8-2. Die molaren thermodynamischen Funktionen binärer Systeme. 8.6-3 Thermodynamische Aktivitäten aj: Geht man von einer Betrachtung des Verdampfungsgleichgewichts aus, dann können die Abweichungen der realen Mischungen vom Verhalten einer idealen Mischung durch die so genannten thermodynamischen Aktivitäten aj, bzw. durch die Aktivitätskoeffizienten fj beschrieben werden. Die thermodynamische Aktivität aj der Komponente j einer kondensierten Mischung kann als das Verhältnis des Partialdampfdrucks der Komponente j über der Mischung, pj, zum Dampfdruck der reinen Komponente j unter denselben Bedingungen, p°j, aj := pj / p°j, (8.6-8) definiert werden. Als Aktivitätkoeffizienten fj der Komponente j bezeichnet man dann das Verhältnis zwischen der Aktivität aj und dem entsprechenden Molenbruch xj, fj := aj / xj = pj / (xj.p°j). (8.6-9) 75 Der Zusammenhang zwischen der partiellen molaren Gibbs’schen Mischungsenergie GMj und der thermodynamischen Aktivität aj ist durch Gl.(8.6-10), GMj = RT . ln aj, (8.6-10) gegeben. Eine zu Gl.(8.6-10) analoge Relation gilt zwischen der partiellen molaren Gibbs’schen Zusatzenergie GEj (auch: "chemisches Zusatzpotential µEj") und dem Aktivitätskoeffizienten fj, GEj = µEj = RT . ln fj = RT. ln (pj / (xj.p°j)), 8.7 (8.6-11) Experimentelle Bestimmungsmethoden für die molaren Zusatzfunktionen Die Methoden zur Bestimmung der einzelnen molaren Zusatzfunktionen ZE (Z = G, H, S) sind in Bild 8-3 schematisch zusammengefasst. Die molaren Gibbs'schen Zusatzenergien GE können mit Hilfe von Dampfdruckmessungen oder über Messungen der EMK bestimmt werden. Von all den vielfältigen Dampfdruckmethoden sind die Techniken, die auf der Knudsen-Effusion beruhen, am meisten verbreitet. Ermittlung von GE aus den gemessenen Dampfdrücken geschieht unter Verwendung der Aktivitätskoeffizienten fj (Gl.(8.6-9)), der chemischen Zusatzpotentiale µEj (Gl.(8.6-11)), der Gibbs-Duhem’schen Gleichung (8.6-2) und der Gl.( 8.5-3) (Bild 8-3). Je nach Auswertungsmethode werden der Partialdruck einer Komponente und der entsprechende Dampfdruck des Reinstoffes oder die Partialdrücke von mindestens zwei Komponenten benötigt. Aus den zwischen geeigneten Elektroden gemessenen EMK-Werten werden die molaren Gibbs’schen Zusatzenergien GE der untersuchten Mischung über die chemischen Zusatzpotentiale µEj mit Hilfe der Gibbs-Duhem'schen Gleichung (8.6-2) bestimmt. 76 Bild 8-3. Bestimmungsmöglichkeiten für die molaren Zusatzfunktionen und für das Phasendiagramm. Bemerkungen: 2 = Gl.(8.6-9); 3 = Gl.(8.7-1); 4 = Gl.(8.6-11); 5 = Gln.( 8.6-1) und (8.6-2); 6 = Gl.( 8.7-2) bzw. Gl.(8.7-4) oder Gl.(8.5-3) unter Zugrundelegung von Modellvorstellungen; * Beiträge vom Autor. Nummern richtigstellen!!!! Mit Hilfe von kalorimetrischen Messungen können die molaren MischungswärE men H am unmittelbarsten bestimmt werden (Bild 8-3). Die Ermittlung der molaren Mischungswärme HE kann aber auch mit Hilfe von Gl.(8.7-2), HE = - T² ∂(GE/T) / ∂T, (8.7-2) 77 aus der experimentell bestimmten Temperaturabhängigkeit der molaren Gibbs’schen Zusatzenergie GE erfolgen. Für die meisten realen Mischungen können sowohl die molaren Mischungswärmen HE als auch die molaren Zusatzentropien SE innerhalb nicht zu großer Temperaturbereiche als unabhängig von der Temperatur angesehen werden: In kleinen Temperaturbereichen lässt sich nämlich die Temperaturabhängigkeit der Druckverhältnisse (pj / p°j) mit genügender Genauigkeit durch Gl.(8.7-3), ln (pj / p°j) = d0 + d1/ T, (8.7-3) mit den temperaturunabhängigen Konstanten d0 und d1 beschreiben. Gültigkeit von Gl.(8.7-3) bedeutet aber, dass die Mischungswärme HE und die Zusatzentropie SE temperaturunabhängig sein müssen, wie durch Koeffizientenvergleich zwischen Gl. (8.5-3) und einer geeigneten Kombination aus den Gln. (8.6-1), (8.6-3), (8.6-6), (8.611) und (8.7-3) unmittelbar folgt. Besonders in den letzten Jahren wurden zunehmend flüssige Legierungen gefunden, bei denen vor allem in der Nähe der Schmelztemperaturen die Gültigkeit von Gl.(8.7-3) nicht mehr über den gesamten Konzentrationsbereich vorausgesetzt werden kann. Bei Auftreten solcher "Anomalien" müssen temperaturabhängige molare Mischungswärmen HE angenommen werden. Für eine direkte Bestimmung der molaren Zusatzentropie SE sind keine experimentellen Methoden bekannt. Die SE-Werte können demnach nur mit Hilfe der Gl.(8.5-3) aus bekannten GEund HE-Werten oder aus der experimentell ermittelten Temperaturabhängigkeit der molaren Gibbsschen Zusatzenergie GE unter Verwendung von Gl. (8.7-4), SE = - ∂GE / ∂T, (8.7-4) berechnet werden. 78 9. Chemische Reaktionen. Von chemischen Reaktionen sprechen wir, wo immer bestimmte Reaktions(End-) Produkte aus bestimmten Ausgangs- (Anfangs-) Produkten entstehen: END ← ANF. (9-1) Bei der Umkehrreaktion vertauschen die End- und Anfangsprodukte ihre Bezeichnung. Im chemischen Gleichgewicht befinden sich solche Reaktionspaare dann, wenn sich die Mengenverhältnisse zwischen den End- und Anfangsprodukten nicht mehr verändern. 9.1 Reaktions- und Bildungsenergie Bei jeder chemischen Reaktion muss gearbeitet werden, denn es müssen ja bestehende Bindungsverhältnisse aufgebrochen und an ihrer Stelle neue geschlossen werden. Da jede Arbeit Energie benötigt, wird bei jeder chemischen Reaktion auch Energie umgesetzt. Die Differenz zwischen den Energiewerten der End- und Anfangsprodukten wird Reaktionsenergie EReak (auch: ∆E) genannt: EReak := EEND - EANF ( = ∆E). (9.1-1) Selbstverständlich muss der Energieerhaltungssatz auch bei chemischen Reaktionen gelten. Weisen die Endprodukte eine geringere Energie auf als die Anfangsprodukte, so gilt EReak := EEND - EANF < 0, (9.1-2) es wird also durch die ablaufende Reaktion Energie frei. Diese Reaktionen weisen also „negative“ Reaktionsenergien EReak auf. Umgekehrt müssen wir der chemischen Reaktion Energie zuführen, falls die Energie der erwünschten Endprodukte höher ist als jene der Anfangsprodukte. In diesem Fall ist die Reaktionsenergie EReak „positiv“: EReak := EEND - EANF > 0. (9.1-3) 79 Da ein jeder Naturvorgang danach trachtet, einen möglichst geringen Energieaufwand zu besitzen, werden die chemischen Reaktionen spontan in jener Richtung ablaufen, in der die Energie der Endprodukte geringer ist als jene der Anfangsprodukte (negative Reaktionsenergien EReak). Vielfach kann es sein, dass die Energie der Endprodukte zwar geringer ist als jene der Ausgangsstoffe, eine Reaktion aber dennoch nicht spontan zustande kommt. Hier sprechen wir von Reaktionshemmnissen (gehemmter Reaktion). Ihre Ursachen liegen darin, dass zunächst ein gewisser Energieaufwand erforderlich ist, damit die Ausgangsprodukte reaktionsfähig werden. Wir müssen hier zunächst der Reaktion den entsprechenden Energiebetrag zur Verfügung stellen, damit der Ablauf in Gang kommt. Dieser Energiebetrag heißt „Aktivierungsenergie“. Er wird bei der Bildung der Endprodukte wieder frei, wir bekommen ihn also zurück. Bei vielen Reaktionen (Treibstoffverbrennung, Legierungsbildungen, usf.) ist oft wichtiger, die energetische Gesamtbilanz zu kennen und nicht alle Details. Hierin liegt eine der Bedeutungen des Energiebilanzierens. Insbesondere ist hier der Charakter der Potentialfunktionen entscheidend, denn diese sind ja wegunabhängig, ihre konkreten Werte ergeben sich einfach aus der Differenzwerten zwischen den erwünschten End- und Ausgangszuständen. Das ist auch der Sinn des häufig zitierten „Hess’schen Satzes“, der besagt, dass die Reaktionsenergie wegunabhängig ist. Je nach Prozessbedingungen werden verschiedene Energieausdrücke benützt, insbesondere (a) Die Enthalpie H für isobare und isentropische Prozesse (p = Const und S = Const). Die Reaktionsenthalpie HReak heißt auch Reaktionswärme. „Exotherme“ Reaktionen: HReak := ∆ H < 0; (9.1-4a) „Endotherme“ Reaktionen: HReak := ∆ H > 0. (9.1-4b) Und (b) die Gibbs-Energie G für isobare und isotherme Prozesse (für p = Const und T = Const). Dieser Prozesstyp ist am leichtesten verwirklichbar und daher ist die Gibbsenergie die für die Chemie am weitaus wichtigste Energiefunktion. Welche Energiewerte gelten für die Ausgangsstoffe? Im Prinzip reine Willkür, da immer nur Differenzen gemessen werden können. Es hat sich eingebürgert, jedem 80 Element in seinem Standardzustand (Stabiler Zustand bei 298 K und 1000 mbar Druck) verschwindende Enthalpie zuzuschreiben HStandard.(Chem. Elemente) := 0. (9.1-5) Die Gibbs’schen Energien hängen bekanntlich mit den Enthalpien über eine Legendre-Transformation zusammen: G = H – T S. (9.1-6a) Entsprechendes gilt daher auch für die Standardenergien GStandard(Chem. Elemente) = HStandard – T SStandard. (9.1-6b) Die Erstellung der dazu notwendigen Standardentropien ist allerdings teils ein diffiziles Problem, das vielfach nur unbefriedigend gelöst werden kann. In der Praxis sind wir daher zumeist auf mehr oder weniger gute Näherungswerte angewiesen. Bildungsenergien, EB,sind jene Reaktionsenergien, EReak, bei denen das Endprodukt die interessierende chemische Verbindung in ihrem Standardzustand ist, und als Ausgangsprodukte die entsprechenden chemischen Elemente in ihren jeweiligen Standardzuständen genommen werden. Je nach Prozessbedingungen sprechen wir daher von Bildungsenthalpien (auch: Bildungswärmen), HB(p,S), oder von den Gibbs’schen Bildungsenergien, (GB(p,T)). Die Reaktions - und Bildungsenthalpien sind selbstverständlich wiederum mit den Gibbs’schen Reaktions - und Bildungsenergien über den Legendre-Zusammenhang (9.1-6a) miteinander verbunden: GReak = HReak – T SReak, (9.1-7a) GB = HB – T SB. (9.1-7b) 81 9.2 Beispiele 9.2-1 Verbrennung des Kohlenstoffs Cfest + ½ O2 → CO (9.2.1-1) Diese Verbrennungswärme ist nicht meßbar, aber meßbar sind: Cfest + O2 → CO2 (9.2.1-2a) und CO + ½ O2 → CO 2 (9.2.1-2b) Daher können wir bilden: H(CO2) - H(Cfest) - H(O2) = -393 kJ/mol -[H(CO2) - H(CO) - ½ H(O2)] = -[-283 kJ/mol] --------------------------------------------------------------H(CO) - H(Cfest) - ½ H(O2) = -110 kJ/mol. 9.2-2 Warum bei 300 K N2O4 und bei 410 K NO2? Durch Erhitzen von N2O4 erhält man NO2 und durch Abkühlung wieder N2O4. 300 K: 99% N2O4 + 1% NO2 410 K: 1% N2O4 + 99% NO2 HB(NO2) = 33,32 kJ/mol HB(N2O4 ) = 9,37 kJ/mol 82 Damit ist HB(N2O4 ) - 2. HB(NO2) = - 57,27 kJ/mol, eine stark exotherme Reaktion, die nur durch Abkühlung entstehen kann, denn die überschüssige Energie muss ja abtransportiert werden. 9.2-3 Zinnpest Besonders die alten Kirchenglocken waren lange Zeit davon betroffen: Sie verloren durch die Kälte ihren Klang. Das liegt daran, dass weißes Zinn sich in graues umwandelt. Warum wird aber weißes Zinn nur bei Kälte grau, bei Standardbedingungen hingegen nicht, obwohl es sich um eine exotherme Reaktion handelt? HB(Snweiß) := 0 kJ/mol (Standardkonfiguration) HB(Sngrau) = -2.1 kJ/mol. Erst die Überprüfung der Gibbs-Energie gibt Erklärung. Diese ist ja auch zuständig, da das Zinn nicht bei konstanter Entropie, sondern bei mehr oder weniger konstanter Temperatur gelagert ist: GB(Sngrau) := G(Sngrau) - G (Snweiß). Bei 273 K (0° C) ist GB(Sngrau) = -0.144 kJ/mol Bei 292 K (19° C) ist GB(Sngrau) = 0, hier herrscht Gleichgewicht. Bei 300 K (27° C) ist GB(Sngrau) = +0,053 kJ/mol. 83 10. Gase. 10.1 Gase und Dämpfe Heute wissen wir, dass Gase aus einzelnen Stoffteilchen (Atome, Moleküle) bestehen, deren gegenseitigen Abstände im Verhältnis zu denen der Flüssigkeits- und Festkörperteilchen relativ groß sind. Die Gasteilchen bewegen sich gleichmäßig in alle Raumrichtungen. Die Bewegung der einzelnen Teilchen heißt thermische Bewegung oder Brown’sche Molekularbewegung. Sie verläuft zwischen zwei Zusammenstößen mit andren Gasteilchen linear, jeder Zusammenstoß verändert allerdings abrupt die Bewegungsrichtung, so dass eine eigenartige Zickzackbewegung entsteht. Mit zunehmender Materiedichte stoßen die Moleküle aber in immer kürzeren Abständen aneinander. Die Thermodynamik ist bekanntlich vollkommen unabhängig vor unserem Wissen um die molekulare Struktur der Materie entwickelt worden. Daher sind - wie wir schon wissen - die thermodynamische Teilchen als rein geometrische Punkte konzipiert, als rein mathematische Objekte, als ausdehnungslose Punkte, die sich völlig anders verhalten als die realen Moleküle unserer Materie. Diese geometrischen Punkte sind die Teilchen des „idealen“ Gases. Sie weisen weder ein Eigenvolumen auf noch irgendeine Wechselwirkung mit den anderen Gasteilchen. Daher steht einem idealen Gasteilchen stets das gesamte Gasvolumen für seine Bahn zur Verfügung. Bei höherer Gasteilchendichte ist dies aber auch nicht einmal mehr annähernd erfüllbar, es müssen in solchen Fällen „Korrekturen“ eingeführt werden, welche das Eigenvolumen und die doch bestehende gegenseitige Wechselwirkung berücksichtigen. Das ist der Sinn der „Realen“ Gasgleichungen. Werden die Gasdichten so hoch, dass das Eigenvolumen der Teilchen annähernd so groß wird wie das Gesamtvolumen des Gases, dann nützen auch solche „realen“, klassischen Beschreibungen nichts mehr, wir müssen dann die Quantenmechanik heranziehen. o Gesättigter Dampf. Gasphase steht im Gleichgewicht mit seiner kondensierten Phase (fest oder flüssig). Der Druck des gesättigten Dampfes heißt „Gleichgewichtsdampfdruck“. o Ungesättigter Dampf. Es stand nicht genug kondensierte Phase zur Verfügung, um den Gleichgewichtsdampfdruck zu etablieren. Er heißt auch über- 84 hitzter Dampf. Man erhält ihn also durch Volumenvergrößerung oder zu starkes Aufheizen. Gase sind stark ungesättigte (überhitzte) Dämpfe, ihre Temperatur liegt weit über den diesbezüglichen Siedepunkten. o Raoult’sches Gesetz: Die relative Dampfdruckerniedrigung ist gleich dem Molenbruch des gelösten Stoffes und unabhängig von dessen Natur. o Luftfeuchtigkeit. In der atmosphärischen Luft befinden sich mehr oder weniger große Mengen an Wasserdampf. Der Gehalt schwankt zeitlich und örtlich und wird als Luftfeuchtigkeit (mitunter auch „Feuchte“) genannt. o Relative Feuchtigkeit. Das Verhältnis der absoluten zur maximalen Feuchtigkeit. o Absolute Feuchtigkeit. Die in einem m³ Luft tatsächlich enthaltene Wasserdampfmenge in kg (SI; üblich: in g). o Maximale Feuchtigkeit. Die in einem m³ Luft der Temperatur T maximal mögliche Wasserdampfmenge in kg (SI; üblich: in g). 10.2. Das ideale Gas Ideale Gase sind alle Gase, welche die ideale Gasgleichung erfüllen: p.V = R.T.(n), (10.2-1) (p Druck, V Volumen, R Gaskonstante, T Temperatur in Kelvin (K), n Molzahl). Oft für 1 Mol hingeschrieben, daher Molzahl in Gl. (A.1.1) in Klammer: (n). o Wärmekapazität bei konstantem Volumen: cv, und bei konstantem Druck: cp. 85 Druck p T1 < T 2 Vo lum e n V Bild 10-1. Das ideale Gas o Gaskonstante: R = cp - cv = 8.14 Joule/K, aber nur in begrenztem TemperaturGültigkeitsbereich! o „Adiabatisch“: Ohne Wärmeaustausch. Speziell geführte Prozesse: (a) Volumen V = const. (Isochor). „2. Gesetz von Gay Lussac: V~T“; im idealen Gasgesetz (10.2-1) enthalten: ∂U/∂TV = cv. (b) (10.2-1a) Druck p = const. (Isobar). „1. Gesetz von Gay Lussac: p~T“; im idealen Gasgesetz (10.2-1) enthalten: ∂H/∂Tp = cp ; (c) (10.2-1b) Temperatur T = const. (Isotherm). „Gesetz von Boyle Mariotte: pV = const.“; im idealen Gasgesetz (10.2-1) enthalten: ∂ET/∂VT = p. (d) (10.2-1c) Entropie S = const. (Isentropisch). Auch „adiabatisch“ genannt; Kein Wärmeaustausch mit der Umgebung, aber Temperaturänderung kann natürlich ein- 86 treten. Jede Änderung der inneren Energie wird hier vollständig in äußere Arbeit umgesetzt. Mit (κ:= cp/cv; einatomig:κ=1.667; zweiatomig: κ=1.4; dreiatomig: κ=1.33) gilt: (e) o „Poisson Gesetz“ pVκ = const, (10.2-1d-1) „Poisson Gleichung“ TV(κ-1) = const, (10.2-1d-2) Beliebiger Prozess (Polytrop). ∂ ET /∂T := Γ. (10.2-1e-1) pVκ* = const, (κ* := (cp- Γ)/(cv- Γ)). (10.2-1e-2) Wir wissen schon, in idealen Gasen können per definitionem keine intermolekularen Wechselwirkungskräfte auftreten. Ideale Gasteilchen sind fiktive Geschöpfe, sie werden als streng mathematische Punkte charakterisiert. o Aus den Versuchen von Gay Lussac und denen von Joule Thomson folgt: Bei konstanter Temperatur ist die innere Energie von idealen Gasen unabhängig vom Volumen (∂U/∂VT = 0), und mittels gedrosselter Entspannung kann keine Temperaturänderung erzeugt werden. o Drosselung oder Gedrosselte Entspannung: Druckverminderung in einem adiabatisch strömenden Gas (Medium), infolge einer Verengung des Strömungsquerschnitts (zB. Düse) ohne dass Arbeit nach außen abgegeben wird. Sie ist also eine irreversible Zustandsänderung, bei der die Enthalpie des strömenden Gases (Mediums) vor und hinter der Drosselstelle gleich groß ist, also ein isenthalpischer Prozess. 10.3. Die realen Gase Reale Gase werden alle Gase genannt, deren Verhalten nur ungenügend durch die ideale Gasgleichung (10.2.1) beschrieben werden kann. Insbesondere gilt hier, dass bei konstanter Temperatur die innere Energie nicht mehr unabhängig ist vom Volumen: 87 ∂U/∂VT ≠ 0. (10.3-1) Hier tritt der Joule Thomson Effekt auf, dass reale Gase bei gedrosselter Entspannung eine Temperaturänderung erleiden. Joule Thomson Koeffizient: µ = ∂T/∂pH > 0: negativer Effekt, Temperaturerhöhung (T>Ti), = 0: kein Effekt (bei Inversionstemperatur Ti), < 0: positiver Effekt, Temperaturerniedrigung (T<Ti). o (10.3-2b) (10.3-2c) Bei Van der Waals Gas gilt: Inversionstemperatur Ti ≅ 7 kritische Temperatur T krit. o (10.3-2a) (10.3-3) Inversionstemperatur bei Luft etwa 760 K und bei H2 etwa 190 K, erst darunter durch Joule Thomson Effekt abkühlbar und damit verflüssigbar. o Bei Luft ist Joule-Thomson Koeffizient µ ≈ (0.25 K)/(100 kPa). o (Adiabatische Entmagnetisierung hilft bis 1/1000 K. Paramagnetischer Stoff in flüssigem Helium, starker Magnet orientiert die Dipole, Bei Abschaltung erfolgt Unordnung, deren Herstellungsarbeit aus der Umgebungswärme bezogen wird.) 10.3.1. Das Van der Waals Gas. Nach Van der Waals wird die ideale Gasgleichung in zwei Punkten abgeändert: Der Druck p wird durch den Term (a/V²) erhöht, der jenen inneren Druck charakterisiert, welcher durch die zwischen den Molekülen herrschenden Anziehungskräfte verursacht wird. Und zweitens vermindert er das Volumen um den Korrekturfaktor b, welcher das Eigenvolumen der Moleküle und die Abstoßungskräfte zwischen den Molekülen berücksichtigt. Der Faktor b ist etwa das Vierfache vom gesamten Eigenvolumen der Teilchen. Somit lautet die Van der Waal’sche Gasgleichung: (p+a/V²).(V-b) = R.T. (10.3-4) 88 Druck p Im m e r G a s T K ri ti s c h T1 < T 2 Vo lum e n V Bild 10-2. Das Van der Waals Gas o Unter den „kritischen Größen Ykrit“ verstehen wir die Zahlenwerte, welche die Variablen Y in dem Zustand besitzen, in dem das Minimum mit dem Maximum der Isotherme zusammenfällt, also die Isotherme eine horizontale Wendetangente aufweist. o Reduzierte Größen (Y = p, V, T): Yred := Y/Ykrit.. o (10.3-5) Gesetz der korrespondierenden Zustände: (pred+ 3/(Vred)²).(3(Vred)-1) = 8 Tred. (10.3-6) Da nur Zahlenwerte auftreten, gilt ein und dieselbe Gleichung für alle Van der Waals Gase. o Durch die Existenz des kritischen Punktes wird der Gegensatz zwischen flüssig und gasförmig aufgehoben. „Flüssigkeit“ als Gegensatz zu „Gas“ ist also nur dort gerechtfertigt, wo der Übergang durch eine Unstetigkeit führt (Durch das „2-Phasengebiet“). o Die Inversionstemperatur ist etwa 2a/bR. 89 10.3.2. Die Virialkoeffizientenform. p.V = R.T + B.p + C.p² + ... . (10.3-7a) Empirische Form von B: B = b - a/T -c/T². 10.4 (10.3-7b) Transporterscheinungen bei Gasen Effekt Übertragene Gleichung Größe Transportkoeffizient Diffusion Masse M dM = -D . (dρ/dx) . dF . dt D = ṽ . λ̃/3 Innere Reibung Impuls p dp = -η . (dv/dx) . dF . dt η=Dρ dU = -K . (dT/dx) . dF . dt K = η cv Innere Wärmeleitung Energie U (D Diffusionskoeffizient; ρ Gasdichte; x Weg; dF infinitesimales Querschnittselement ; dt infinitesimale Zeitdauer; ṽ mittlere Geschwindigkeit ; λ̃ mittlere freie Weglänge; η Koeffizient der inneren Reibung; v Geschwindigkeit; K Wärmeleitfähigkeit; T Temperatur.) 10.5 Carnot’scher Kreisprozess o Der Carnot’sche Kreisprozess bildet die theoretische Grundlage zur Berech- nung des Wirkungsgrades aller (periodisch arbeitenden) Wärmekraftmaschinen. o S. Carnot entwickelte 1824 den nach ihm benannten, reversiblen thermodyna- mischen Kreisprozess, der aus je zwei isothermen und adiabatischen Schritten besteht. 90 o Dem Prozess liegt folgendes Gedankenexperiment zugrunde: Die Arbeitssub- stanz, üblicherweise ein Gas, befindet sich in einem Zylinder mit einem beweglichen Kolben und kann mit einem Thermostaten der absoluten Temperatur T1 und einem weiteren Thermostaten der niedrigeren absoluten Temperatur T2 Wärme austauschen. Es läuft nun ein Zyklus von vier Teilprozessen ab: (1) Isotherme Expansion bei T = T1: Die Substanz wird zunächst mit dem Wärme- behälter der Temperatur T1 in Wärmekontakt gebracht und vergrößert dann bei der Expansion unter Arbeitsleistung ihr Volumen von V1 auf V2. Dabei wird einerseits dem Wärmebehälter die Wärme ET1 entzogen und andererseits Arbeit nach außen abgegeben. (2) Adiabatische Expansion: Die Substanz wird unter weiterer Arbeitsleistung so weit expandiert, bis sie sich auf die Temperatur T2 abgekühlt hat. (3) Isotherme Kompression: Die Substanz wird mit dem Wärmebehälter der Tem- peratur T2 in Wärmekontakt gebracht und unter Aufwendung äußerer Arbeit isotherm komprimiert. Dabei wird die Wärme ET2 abgegeben. (4) Adiabatische Kompression: Die Substanz wird unter weiterer Aufwendung äu- ßerer Arbeit komprimiert, bis sie die Temperatur T1 wieder erreicht hat. Die Substanz befindet sich damit wieder in ihrem Anfangszustand. Wesentlich ist, dass alle Prozesse reversibel ablaufen, d.h., sie können auch in umgekehrter Richtung verlaufen (Wärmepumpe, Kältemaschine). Der Wirkungsgrad des Carnot’schen Kreisprozesses, der Carnot’sche Wirkungsgrad ηC, ist definiert als der Quotient aus nach außen abgegebener Arbeit und aufgenommener Wärme. Er lässt sich aus den ersten beiden Hauptsätzen der Thermodynamik berechnen: Nach dem ersten Hauptsatz muss die gewonnene Arbeit W = ET1 - ET2 sein. 91 D ruck A ) p,V-D iagram m d es C arnot'sc hen K re is proz ess es . Isoth erm en Adiab ate n P ist d er D ru ck, d en d a s G as T1 a uf d en Ko lbe n au süb t, V da s G a svo lu m en . 1 D ie um schlosse ne F lä ch e ist gle ich de r Ar be it, d ie b ei e in e m Zyklu s g eleistet w ird . 4 2 T2 3 Vo lum en B ) T,S -D iagram m Temp era tur de s C arno t’s ch en K reisp ro zes se s. Isoth erm en Adiab ate n Be son d ers einfach e W ied e rga b e: T u nd S sin d die Te m pe ra tu r b zw. die En tro pie de s T1 2 1 G a se s. D ie b eide n Iso th erm e n sin d die b eide n w a ag e rech te n G er ad e n T = T 1 u nd T = T 2 , w ä h ren d d ie b eide n Ad ia b aten d urch d ie se nkre chte n G e ra de n (S = con st.) d arg e stellt w e rd en , d a sich d ie En tro p ie S 4 T2 3 b ei e in em reve rsib le n ad iab atische n Pro Entropie zess n ich t ä n de rt. Bild 10- 3. Carnot’scher Kreisprozess Wegen der Reversibilität des Prozesses gilt außerdem nach dem zweiten Hauptsatz, dass sich insgesamt die Entropie nicht ändert, also (δ: unvollständiges Differential): Ring ∫ dS = Ring ∫ δET/T = 0 (10.5-1) Diese Beziehung reduziert sich auf ET1/T1 - ET2/T2 = 0, da für die beiden adiabatischen Prozesse δET = 0 gilt und die Isothermen in entgegen gesetzter Richtung durchlaufen werden. Die ausgetauschten Wärmemengen verhalten sich wie die zuge- 92 ordneten absoluten Temperaturen. Damit erhält man für den Carnotschen Wirkungsgrad: ηC = W/ ET,1 = 1-T2/T1 (10.5-2) ηC ist also stets kleiner als eins; sein Wert ist unabhängig von der verwendeten Arbeitssubstanz (Carnot’sche Theoreme). 93 11. Energienutzung 11.1 Von uns benutzbare Energieformen Eines der großen Geheimnisse der Natur, die wir nicht verstehen, sondern nur akzeptieren können, ist das Faktum, dass Energie prinzipiell nicht erzeugt oder vernichtet, sondern nur zwischen verschiedenen Formen umgewandelt werden kann. Die wichtigsten von uns Menschen benutzbaren Energieformen sind: 1- Mechanische Energieströme, die an Bewegungen gekoppelt sind. 2- „Elektrische und magnetische“ Energien, die überall dort auftreten, wo elektrischer Strom fließt bzw. ein Magnet zu finden ist. 3- „Wärme“energie („kalorische“ Energie) die aus allen Stoffen (alle Gase, Flüssigkeiten, Festkörper) mit real erreichbaren Temperaturen abgeleitet und/oder abgestrahlt werden kann. 4- „Solar“energien, also jene Energieströme, die von unserer Sonne abgestrahlt werden. Und zwar insbesondere in Form von Wärmestrahlen, von Licht, und von radioaktiver Strahlung. Diese Strahlung entsteht, weil ihre Materie durch unvorstellbar riesige Mengen an frei werdender Kernenergie so aufgeheizt ist, dass sie an der Oberfläche noch eine Temperatur von über 5000° C hat. 5- „Chemische“ Energien, die durch chemische Vorgänge bereitgestellt transportiert wird. Sie ist besonders in unseren Heizstoffen präsent; also in der Kohle, im Erdgas, im Erdöl (Benzin, Heizöl, Diesel,...), im Holz. 6- Als Masse, denn diese kann selbst als höchste konzentrierte Form der Energie angesehen werden. Ein Gramm Materie beinhaltet soviel Energie, dass damit wie eine Stadt von der Größe von Graz davon den Strombedarf von mehreren Tagen decken kann. Für uns Menschen benutzbar ist ein Teil dieser Energie als „Kernenergie“ - bei Spaltung schwerer oder Fusion leichter Atomkerne. 11.1-1 Harte Energiebereitstellung. Diese zehrt vom Energiekapital der Erde: Kohle, Gas, Öl, Uran. Sie erfolgt in zentralisierten Anlagen, nach wenigen, aber komplizierten Techniken (siehe „Kraftwerke“). Knapp ¼ Verlust bis zum Endverbraucher. Große, kapitalintensive Einheiten, dennoch sind dabei die Energiepreise relativ niedrig. Sie forciert die Elektrifizierung. 94 11.1-2 Weiche Energiebereitstellung. Von weicher (sanfter) Energiebereitstellung sprechen wir bei sich erneuernden Quellen, also insbesondere Wind, Wasser, Sonne. Sie ist damit nachhaltig. Sie erfolgt meist flexibel, in kleinen Einheiten und nach einfachen Techniken. Allerdings ist sie extrem abhängig von den geographischen Gegebenheiten. Der Energiepreis ist hier relativ hoch. Da unsere Energieversorgung sicher zu sein hat, muss auch die “sanfte Energie” so umgeformt werden, dass sie speicherfähig ist, bevor sie zum Endverbraucher kommt. Erfordert ebenfalls Elektrifizierung. 11.2 Großtechnische Kraftwerke (Für Interessierte) Das Wirkungsprinzip eines Kraftwerkes ist in Bild 11-1 schematisch dargestellt. Jedes Kraftwerk besteht aus einem Motor, der eine Welle mit einer Kabelspule in einem Magnetfeld dreht. Der Motor heißt hier „Turbine“ und erinnert an die alten Mühlen- oder Windräder. 11.1-1 Mechanische Kraftwerke. (a) Wasserkraftwerke: Verändern Landschaften (Wasserfälle verschwinden, trocknen Auen und kleinere Flussbette aus). Riesige Stauseen beeinträchtigen vielleicht sogar das Kraftspiel der Erdkruste - Erdbebengefahren. (b) Windkraftwerke: laut, unverlässlich. 11.1-2 Wärme- („kalorische“) Kraftwerke. In kalorischen Kraftwerken wird das Antriebswasser mit Hilfe eines Ofens so stark erhitzt, dass es verdampft und der heiße Dampfstrahl bewegt dann die Turbine. In Kernkraftwerken ist der Ofen ein Kern- („Atom-„) Reaktor. (a) Gas-, Öl-, Kohle-Kraftwerke: Luftverschmutzer, Klimaveränderer. (b) Kern- („Atom“-) Kraftwerke: gefährlich bei Unfällen, Probleme mit dem Abfall und den ausrangierten Kraftwerken. c) Solarkraftwerke: noch nicht effizient, wenige Erfolg versprechende Funktionsideen. Die Tabelle 11-1 gibt eine knappe Zusammenfassung unserer diesbezüglichen Möglichkeiten. 95 Wenn wir nicht zwischen den verschiedenen Nachteilen wählen wollen, müssen wir beim Energieverbrauch bremsen. Wir müssen sparen durch weniger Herumfahren, durch weniger Müll (wurde durch Energie erzeugt) also durch ein natürlicheres Leben. Wenn wir das nicht machen und weniger Kraftwerke wollen, dann werden andere Energieformen noch stärker benützt. Mag net Tu rb ine “ Kra ftvo rra t” We lle Sp ule Stro m ka b e l Ele ktrisc h e Ene rg ie g e ko p p e lt a n e le ktr. Stro m flu ß Bild 11-1. Prinzip der großtechnischen Kraftwerke. 96 Tabelle 11-1. Optionen der Sonnenenergie. A- Solar-thermisch 1. Nieder-Temperatur: Warmwasser, Heizen, Kühlen 2. Mittel-Temperatur: Kraftmaschinen 3. Hochtemperatur: Sonnenofen. B- Solar-elektrisch: Sonnenzellen C- Solar-chemisch: 1. Erzeugung von Biomasse: [H] + CO2 -> (CH2O) 2. Erzeugung von Wasserstoff: H2O +(hv) -> [H] + O2. 3. Photosynthese, Photolyse: braucht Sensibilatoren (=Photokatalysatoren), in Pflanzen realisiert. Wasserstoff: 1. Wärme 2. Strom (Brennstoffzellen) 3. Reaktant (Kohlenwasserstoff aus Reduktion von CO2) 3. Reduktionsmittel in Metallurgie 3. Substrat für Bakterienzüchtung 4. Chemisch zB. für Knallgasreaktion. Tabelle 11-2. Wirkungsgrad eines Wärmekraftwerkes (Für Interessierte). Für Interessierte: Der Wirkungsgrad eines Wärmekraftwerkes, ηKW-C (Typisch: ηKW-C = 0,6 kW/1.9 kW = 0.32): (1) ηHeizung = (Von Heizung an Kessel abgegeb. Wärme-E.) /(Aus Brennstoffen aufgenom. chem. E.) (2) ηKessel = (Vom Kessel an Turbine abgegebene E.) / (Vom Kessel aufgenommene Wärme-E.) 97 (3) ηTurbine = (Von Turbine abgegebene Rotations-E.) / (Von Turbine aufgenommene E.) (4) ηGenerator = (Vom Generator abgegeb. Elektrische E.) / (Vom Generator aufgenommene Rotations-E.) (5) ηKW-C 11.3 = ηGenerator . ηTurbine . ηKessel . ηHeizung. Energiespeicherung Für manche Transportformen können wir Energie zu unserer Benützung bereithalten - also „speichern“ -, für andere Formen gelingt uns das nicht. Gut aufheben können wir Energie auf chemischen Wegen, wie wir aus dem Kohlekeller, den Öl- und Benzintanks usw. wissen („Chemische“ Energie). Ebenso können wir auch in die Höhe gehobenes Wasser oder Flusswasser durch Staudämme am weiterfließen hindern („Potentielle“ Energie). Für einige Zeit können wir sie auch mit Hilfe der Wärmezustände in „Wärmespeichern“ bereithalten. Elektrisch können wir nur mit Hilfe der Kondensatoren Energie bereithalten (Speichern). Ansonsten muss bei elektrischen Transporten die Energie im selben Moment weitergeleitet werden, in dem sie bereitgestellt worden ist. Das macht die Stromwirtschaft so schwierig. Der Name des Kraftwerks weist auf die Energieform hin, die in den elektrischen Wandler fließt. 98 Literatur H. B. Callen, Thermodynmics and an Introduction to Thermostatistics, John Wiley, New York 1985. G. Falk und W. Ruppel, Energie und Entropie, Springer, Berlin 1976. (Zum Großteil verständliche Theoretische Physik) K. Heinloth, Energie, B.G. Teubner, Stuttgart 1983. B.M. Jaworski und A.A. Detlaf, Physik griffbereit, Vieweg, Braunschweig 1972. H. Kuchling, Taschenbuch der Physik, Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, München 1999. W.J. Moore, Physikalische Chemie, Walter de Gruyter, Berlin 1983. B. Predel, Heterogene Gleichgewichte, Steinkopf Verlag Darmstadt, 1982. R. Reich, Thermodynamik VCH, Weinheim 1993. J. Tomiska, Die Werkstatt der Natur - Eine moderne Einführung in die Quantentheorie, Edition Volkshochschule, Wien 2005. J. Tomiska, Das kosmische Spiel - Die verständliche Welt der Relativitätstheorie, Edition Volkshochschule, Wien 2005. G. Wedler, Lehrbuch der Physikalische Chemie, VCH, Weinheim 1982. 99