1 Gesundheitssystemforschung am Schnittpunkt von Ökonomie, Medizin

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Gesundheitssystemforschung
am Schnittpunkt von Ökonomie, Medizin und Ethik
Referat Mainz, 20.6.08
M.s.v.D.u.H.
Vor wenigen Wochen bemerkte sagte der neue Träger der Paracelsus-Medaille H.E. Richter
in seiner Dankesrede auf dem Ulmer Ärztetag „Es kann keine humane Gesellschaft geben
ohne eine humane Medizin.“
Diese Äußerung führt uns weit über den Rahmen des gewohnten Kosten-Nutzen-Denkens
hinaus und verdeutlicht die kulturelle Dimension der Medizin und gesellschaftliche Rolle.
Dies kann z. B. bedeuten, dass es um einen legitimen Raum geht, in dem wir klagen können,
in dem unsere Nöte sich als Lebensfragen offenbaren, in dem wir Vertrauen wagen und
gewinnen, nicht nur in die Person des Arztes auch in ein im Grunde für uns intransparentes
Hilfssystem, aber auch in die Hoffnung auf Hilfe überhaupt. So werden soziale Bindekräfte
und soziale Kohärenz erzeugt, und was für Migranten nachgewiesen ist, Vertrauen in unsere
Gesellschaft.
Damit ist der ethische Rahmen und Ertrag der Medizin auf gesellschaftlicher Ebene
aufgezeigt.
Bei dem mir gestellten Thema geht es um die Frage, wie muss ein System aussehen, das
ethisch befriedigt, eine akzeptable Versorgungsqualität erbringt und sich – zur Beschreibung
des Faktors Ökonomie als innovations- und expansionsfähig erweist. Welche Fragen ergeben
sich hieraus für eine Gesundheitssystemforschung?
Betrachten wir zunächst die drei Komponenten unserer Fragestellung, um dann die Rolle der
Gesundheitssystemforscohung zu beleuchten.
1. Ethik
Die Medizin greift tagtäglich in das Leben und Schicksal tausender Menschen ein mit oft
erheblichen biographischen Folgen. Als Kranke also, wenn durch Schmerz, Leid und Angst
unsere existenzielle Fragilität hervortritt, sind wir darauf angewiesen, uns einem
funktionierenden System anvertrauen zu können, das Hilfe sicherstellt.
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Dieses ist der grundlegende Zweck und das Ziel der Medizin, die Hilfe am kranken
Menschen. Nach Wieland geht es um die „Veränderung der Wirklichkeit des Kranken“ also
seines Lebens.
Diese selbstverständlich erscheinende Tatsache, die Mancher in ihrer philosophischen
Formulierung vielleicht eher den Sonntagsreden zuordnen möchte, wird uns heute in ihrer
Bedeutung ganz neu bewusst und zwar durch die gesetzliche Auflage zur Kosten-NutzenBewertung. Damit betritt erstmals die Welt des Patienten, seine „Wirklichkeit“, explizit als
Fokus der Auseinandersetzung die Bühne. Die Nutzenbewertung, Sie alle kennen die
umfangreiche Diskussion hierzu, wie immer wir sie fassen wollen, kommt ohne diese
Wirklichkeit nicht aus.
Fügen wir die Kosten hinzu, so stehen wir vor der Anforderung uns mit Werten und dies
zudem mit dem Vergleichen von Daseinswerten auseinandersetzen zu müssen.
Schon diese neue Lage zwingt uns, zur Auseinandersetzung mit ethischen Fragen.
Die Hilfe gegenüber den individuellen Kranken, die indem sie seine Wirklichkeit verändert zu
seinem Nutzen sein soll, stellt eine der ethischen Grundbedingungen unseres Systems dar.
Hinzu kommt eine zweite ethische Verpflichtung, die sich auf das Gemeinwohl d.h. die
bevölkerungsmedizinische Dimension richtet. Hier geht es um die Schaffung von
Humanpotenzial. Gesundheit hat einen instrumentellen Charakter, schafft
gewisse,
keineswegs alle, Voraussetzungen für ein geglücktes Leben und verstärkt auf kollektiver
Ebene die Voraussetzungen für
akzeptable
gesellschaftliche Bedingungen. Das
Gesundheitssystem trägt also dazu bei, jenes Humanpotenzial freizusetzen, das für
gesellschaftliche Erneuerungskräfte gebraucht wird. Deshalb ist es konsequent, eine Bindung
humaner Kräfte an das Gesundheitswesen auf das Nötigste zu beschränken, um sie für die „
eigentlichen“ Aufgaben frei zu halten.
These 1
Diese beiden Zielsetzungen also die individuelle Hilfe und die bevölkerungsmedizinische
Zielsetzung bilden die Legitimation für die Gesamtinszenierung Gesundheitswesen. Alle
Investitionen, Regulierungen, Gesetze und Aktionen müssen sich auf diese Ziele, auf diesen
Legitimationskern zurückführen lassen.
Der Status der Medizin ist nach Wielandt „nicht von ihren Hilfsmitteln oder Werkzeugen“,
also Wissenschaft, Technologie, Ökonomie, her auszumachen, „sondern ausschließlich von
ihrem Ziel her zu bestimmen. “. „Die Erforschung bloßer Fakten liefert für sich allein niemals
eine tragfähige Basis für die Beantwortung von Legitimationsfragen….selbst nicht einmal für
die Frage „Warum überhaupt Medizin?“
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Dies bedeutet auch, dass die primären Grundsätze nicht verdeckt werden dürfen durch einen
Dschungel von Regulierungen, der andere Begründungen schafft, die diese Werte verdrängen
und ihnen ihre Wirkungskraft nehmen.
2. Was bedeutet dies für die Medizin
These 2
Ergänzen
Begründung:
Wenn die Medizin ihren Sinn und Zweck erst darin erfüllt sieht, dass „die Wirklichkeit des
Kranken… zu verändern“ ist, dann ist diese Wirklichkeit so vielfältig wie die jeweiligen
komplexen Lebens- und Krankheitsbedingungen der Patienten. Die Bewertung, ob eine
Maßnahme nützlich ist, kann somit letztlich nur der Patient aus seiner spezifischen Situation
heraus treffen. Daran knüpft sich die Folgerung, dass auch er am besten entscheiden kann,
was ihm eine Intervention „wert“ ist. Für diese Feststellung, die den Verantwortungsrahmen
des Patienten vom Leistungsempfänger zum Mitgestalter und Entscheider der Therapie
einschließlich der Bereitschaft, deren Kosten zu verantworten, erweitert, finden wir durchaus
Unterstützung: Von politischer Seite wird der Patient als Partner im ärztlich-medizinischen
Entscheidungsprozess anerkannt (s. Förderung entsprechender Forschung u.a. durch das
BMG). Die sog. Eigenverantwortung wird sichtbar bei von den Kassen angebotenen
Wahlleistungen, dem gesamten freien Vertragswesen, bei dem zumindest theoretisch der
Patient entscheidet, ob er sich einem Vertragsangebot anschließen will, schließlich bei der
Partizipation der Patientenseite d.h. bei wesentlichen Verteilungsentscheidungen im
Gemeinsame Bundesausschuss. Denken wir nicht zuletzt an die großen Leistungen der
Selbsthilfe in unserem System.
Auch das Gut Gesundheit impliziert, dass neben gewissen objektiven Parametern immer
subjektive Bewertungsvorgänge ausschlaggebend sind bei der Frage, ob und wie weit sich
jemand für gesund hält. Die Kraft sog. Health Beliefs ist vielfältig belegt, wenngleich daraus
noch kaum das Versorgungssystem bereichernde Schlüsse gezogen wurden.
Bedenken wir weiter: Medizin ist angetreten, um die Freiheitsgrade der Handlungsfähigkeit,
die Lebenschancen der Menschen zu erhöhen. Immer geht es darum, etwas wieder zu können,
was eingeschränkt oder verloren gegangen war, oder etwas können, was vorher nicht möglich
war. Es liegt also im Wesen der Medizin selbst, die Autonomie des Individuums zu fördern.
Medizinische Forschung hat gezeigt, - und es ist dies Gegenstand unseres medizinischen
Ausbildungskurrikulums - : Selbstwirksamkeit und eigene Verantwortungsbereitschaft sind
die stärksten Promotoren für Gesundheit, wenngleich wir auch hier eine Anwendung und
Umsetzung solcher Erkenntnisse vermissen.
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Befreiung von der Medizin bedeutet, dass auch von der Versorgungsseite die skizzierten
Einsichten anerkannt werden müssen. Die individuelle Gesundheitslage entfaltet sich im
Arzt-Patienten-Kontakt, einem
hochspezifischen Gefüge aus objektiven Befunden,
subjektiven Annahmen und Lebenskonstellationen, innerhalb derer es gilt einen für den
jeweiligen Patienten angemessenen Weg zu finden.
Dabei ist die Stärkung von Gesundheitsressourcen des Patienten eine wichtige Komponente.
Es hat sich in Studien zur KHK als gleichwertig wirksam zur traditionellen pathogenetisch
orientierten Therapie erwiesen, Veränderungen und Verwandlungen im Bewusstsein und
Deutungsgefüge des Patienten über die salutogenetischen Zugänge zu erzeugen. Dass dies
keineswegs immer die Heranziehung komplizierter Theorien bedeutet, sondern sich als
professioneller, d. h. bewusst gestalteter Umgang mit dem Kranken bezieht, mögen drei
Beispiele erläutern:
1. Im KH z.B. muss der Patient, der sich vielleicht als alter Mensch oder als Migrant
einer für ihn fremden undurchdringlichen Welt ausgeliefert fühlt, immer wissen: was
habe ich, warum bin ich hier, welchen Sinn haben die jeweiligen Maßnahmen, was
haben sie ergeben, wer ist für mich zuständig? Der mangelhafte Informationsstand, der
Verlust an Wirklichkeit und Plausibilität mag ein Grund dafür sein, dass hochaltrige
Patienten nach wenigen Tagen im KH oft geistig dekompensieren.
2. Die Effektivität einer Schmerzbehandlung hat für den Patienten natürlich einen
hohen Stellenwert. Er erwartet aber auch, dass er zu seinen Schmerzen gefragt wird, ,
dass man darauf eingeht, vielleicht mehr noch, als dass sie perfekt beseitigt werden.
3. Im dritten Beispiel geht es um die Aufdeckung einer schlimmen Krankheit, z.B. einer
Krebserkrankung. Die im allgemeinen gesehene Leistung des Arztes besteht darin, die
Diagnose gesichert zu haben. Für den Patienten aber zählt oft als ebenso wichtig, die
Art und Weise, wie ihm diese Diagnose übermittelt wurde: Die Tatsache der
Erkrankung einerseits, wichtig auch die Prognose, dann aber vor allem alles, was der
fatalen Nachricht an hoffnungsvollen Ausblicken entgegengesetzt werden kann. Der
Patient begreift und darauf legt er größten Wert: Es ist eine neue Situation entstanden,
aber sie ist zu überblicken, es werden bestimmte Behandlungsschritte folgen mit
definiertem Ende, es folgt dann eine Reha-Maßnahme, damit man wieder fit wird. Die
Medizin hilft mir, die Situation wird, indem sie überschaubar wird, auch für den
Patienten deutbar in seinem biographischen Interpretationsgebäude. Damit erst, wenn
die neue Lage eingeordnet, akzeptiert werden kann in die Kontinuität und Kohärenz
der individuellen Lebenssicht ist die ärztliche Leistung aus Patientensicht erreicht.
Werden solche Bezüge verfehlt, droht die Passivierung des Patienten, Verlängerung und
Aggravierung von Krankheitsverläufen und, es droht der Abgrund der Compliance4
Problematik und damit eine Vernichtung von Ressourcen, die der SVR auf die
Größenordnung einer Volkskrankheit geschätzt hat.
Es gilt also zu verstehen, dass das Potenzial der Medizin keineswegs nur in der Verfügbarkeit
eines technologisch-pharmazeutischen Interventionsarsenals und deren administrierter
Verteilung besteht. Dieses ingenieurhafte Denken und Funktionsverständnis und zugleich
Missverständnis , - dessen Kritik die Medizin historisch von der Antike bis heute begleitet , behindert die Autonomie des Patienten, seine Lösung vom System, führt zu
unangemessenem Ressourceneinsatz und verfehlt die sog. Patientenpräferenzen. Damit
bleiben dem Patienten für seine Gesundheit wesentliche Einsichten vorenthalten. Er sollte
die Chance haben zu verstehen, wie Krankheit und sein Leben zusammenhängen, dass z. B.
das Rauchen einer jungen hoffnungsvollen Künstlerin etwas aussagt über den Wert, den sie
im Grunde ihrer Person und ihrem eigenen Leben zumisst.
Dass die Sorge um den Verlust solcher Interventionen keine theoretische Erwägungen ist,
sondern sich in der Realität der Versorgung bereits manifestiert, zeigen Umfragen: die
mangelnde Zeit zum Gespräch mit Arzt oder anderen Professionellen wird von Patienten
zunehmend als Versorgungsdefizit beschreiben.
Eine Versorgung, die wie skizziert, sich vom Patienten her gedacht gestaltet, ist durchaus
Bestandteil einer rationalen Medizin, sofern wir unter rational die denkgesetzlich
einwandfreie Erkennung und Nutzung der Realität, um die es hier geht, verstehen.
Unsere Betrachtung der Seite Medizin wäre unvollständig, ohne nicht auch die
Rahmenbedingungen unter denen sich Medizin, denken wir an den Versorgungsalltag in
vielen Kliniken, abspielt, zu beleuchten. Hier stoßen wir in der Tat auf gravierende Mängel,
die Ihnen allen bekannt sind, die seit Jahren thematisiert werden. Nach den Worten des Dir
des Inst. für Gesch. u. Ethik der Medizin der Uni Köln, Bergtold ist die „Verzwecklichung des
Arztberufes“ eines der zentralen Übel. „ Die Ärzte werden zu passiven Teilnehmern eines
ökonomischen Systems, das bereits zu vielen Menschen schadet….So käme es zur
„schleichenden Zerstörung des Arzt-Patienten-Verhältnisses“. Auch Prof. Sawicki, der Leiter
des IQWG befindet: „Die Folgen dieses Missstandes sind medizinische Fehlversorgung der
Patienten verbunden mit Kostensteigerung“.
Hier mag man und dies zu Recht den KH-Trägern Vorwürfe machen. Vorwürfe richten sich
aber auch gegen eine Politik, die, wie es eine Ärztegruppe in einer beim Ärztetag verteilten
Denkschrift beschreibt das „ zwanghafte Weigern, das Missverhältnis zwischen Ressourcen
und Leistungspotenzialen anzuerkennen und den Bürger und Versicherten angemessen
aufzuklären. Das grundsätzliche Knappheitsproblem wird verdrängt und die Illusion der
Machbarkeit erzeugt“. So entsteht das große Problem (Ethik-Lehrstuhl-Inhaber Uni Wien, J.
Wallner) der „Verantwortungsabwälzung“. Warner vor dieser Entwicklung gibt es genug, ich
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nenne stellvertretend den ebenfalls in diesem Jahr mit der Paracelsus-Medaille geehrten Fritz
Beske.
Der ethische Skandal ist die Permanenz – seit Jahren kämpfen die Leistungserbringer- und
die bewusste Inkaufnahme der Zerstörung von Hilfs- und Heilungspotenzial der Medizin und
damit von Lebenschancen unzähliger unserer Mitbürger, zudem die Verschwendung von
Ressourcen, die von uns allen aufgebracht werden.
3. Ökonomie
Es muss die Ökonomie keineswegs einer guten Medizin entgegenstehen. Dennoch ist diese
Meinung weit verbreitet. Als Beispiel sei die These von Dörner, wonach „die Medizin
grundsätzlich nicht marktfähig“ sei genannt, der meines Erachtens nicht gefolgt werden kann.
Das Problem scheint mir darin zu liegen, dass wir z. B. im Krankenhaus-Sektor
Trägerschaften zulassen, deren erklärtes Ziel die Gewinnmaximierung ist, ohne aber die
Voraussetzungen zu schaffen, unter denen ein solches System zwangsläufig nur durch
Qualität bestehen kann. Wir haben kein klares Wettbewerbskonzept, wenngleich
wettbewerbliche Elemente vorhanden sind. Sie verbrauchen sich aber im undurchdringlichen
Kleinkram der Wahl eines Kassen-Vertrages, es fehlen dem Versicherten und Patienten klar
vermittelte Qualitätskriterien für eine gute Medizin, die nicht identisch sind mit
Maximalversprechen, und die Qualitätstransparenz ist unzureichend.
Das wesentliche Element also, dass der Betroffene ein KH nach seinen Präferenzen wählen
kann, z. B. über einen entsprechenden Versicherungsvertrag o.ä. fehlt. Abgesehen davon, dass
schon aus Standortgründen Wahlmöglichkeiten hier erheblich eingeschränkt sind. Wenn der
Gewinn an die Versorgungsqualität und an ein am Patientennutzen erkennbares
Versorgungsprodukt gebunden ist, kann die sog. „Ökonomisierung“ der Krankenhäuser
funktionieren. Z. B. könnte das Verhältnis von Ärzten zu Betten bzw. Patienten ein recht
sensibles Maß dafür sein, was dem Träger der ihm anvertraute Patient „wert“ ist.
Schließlich scheint seitens der Träger ebenfalls eine Auseinandersetzung mit dem was
Medizin im Kern darstellt und zu leisten vermag, dringend geboten, d.h. jenseits eines
Produktionsparadigma, das wie das Uni-Klinikum Köln eine durchschnittliche Kontaktzeit
von Arzt und Patient von 7,5 Min. tgl. vorgibt.
Wenn der Vorstandsvorsitzende des Rhön-Klinikums äußert „ Die Bedingung für Ethik ist,
dass man sie sich leisten kann“, dann erkennen wir hier ein tiefgehendes Missverständnis:
Die Ethik, welche den Kern und die Strahlkraft der Medizin ausmacht, wird hier zu einem
sekundären Beiwerk, das allenfalls wünschenswert ist, aber der Betrieb kommt auch ohne sie
aus.
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Wer es sich nicht leisten kann, einen der Sache Medizin angemessenen Personalschlüssel zu
verwirklichen, der muss entweder – bei erhaltenem Personal - seinen Leistungs- und
Bettenumfang reduzieren oder sein Geld an anderer Stelle investieren.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich bin durchaus für freie Trägerschaften von
Krankenhäusern hier Spielraum für eine qualitativ befriedigende Medizin. Es muss allerdings
fundiert und fundamental darüber nachgedacht werden, an was hier verdient wird und wie die
Leistung der Häuser zu definieren ist.
Hier steht viel auf dem Spiel: Wenn eine vertretbare Erzeugung des Patientennutzens nach
individuellem Bedarf und (je nach Modell anteiliger) Kostenverantwortung nicht gelingt,
bleibt uns nur die drastische Rationierung medizinischer Leistungen.
Rationierung aber bedeutet in großem Umfang die Entwicklung von Prioritäten. Diese mögen
uns im Falle der Zulassung ähnlicher wie bereits vorhandener Arzneimittel noch überzeugen.
Ausländische Beispiele von durchaus auch gesellschaftlich
entwickelten
Priorisierungsergebnissen, vermögen uns aufgrund der dahinter stehenden Wertbemessungen
wie z. B. Alter, Komorbidität, erzielbarer Lebenszeitraum mit einem Mittelwert für
Lebensqualität nicht zu befriedigen.
Nur ein entscheidungsfähiger und –befugter Patienten, der seinen individuellen Nutzen am
besten überblickt und die Verantwortung für dessen Finanzierung (mit)trägt, entbindet von
den fragwürdigen Einschränkungen der Allokation und sichert eine Nachfrage, die sich am
Bedarf des Patienten und der Qualität der Versorgung orientiert.
4. Gesundheitssystemforschung
Für die Gesundheitssystemforschung ergeben sich neue Aspekte. Das Rentabilitätsparadigma
reicht als Triebfeder nicht mehr aus.
Um die Position des Patienten zu stärken ist in eine Forschung zu investieren, die Wege zu
seiner Verantwortungsbereitschaft und zur Freisetzung individueller Gesundheitsressourcen
aufzeigt. Dies bezieht sich nicht auf eine Neu-Formulierung bereits erforschter
psychologischer Voraussetzungen für Gesundheit wie Selbstwirksamkeit, salutogenetische
Kräfte. Gerade die saubere Aufarbeitung des reichlich vorhandenen Wissens und die
Entwicklung seiner Umsetzungswege werden gebraucht. Hier sollten wir versuchen der
Forschung die Verfolgung ihrer Themen so weit reichend aufzuerlegen, dass die Lernschleife
geschlossen wird, d.h. aus den Erkenntnissen evaluierten Modelle folgen, deren Erfahrungen
unmittelbar in die Versorgung zurückfliessen und wiederum bis zur erfolgreichen
Implementierung an bereits vorher ausgemachter Stelle verfolgt werden.
Gewonnene Erfahrungen und Einblicke sind kontinuierlich und gut wahrnehmbar an wo
möglich vorher festgelegter Stelle zu kommunizieren.
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Weiteres Kennzeichen einer neuen Gesundheitssystemforschung wären ihre
grenzüberschreitenden Ansätze. Auch hier gilt es, Wege zu suchen, um bekannte
Zusammenhänge zur Stärkung individueller Gesundheitsressourcen vor allem in die
Erziehung zu implementieren. Wie lernen Kinder Selbstwirksamkeit, und Freude am eigenen
Leben, wie werden sie beziehungsfähig, wie gewinnen sie Vertrauen ins Leben und die
eigenen Kräfte, wie kann die Leistungsfreude gestärkt, die Phantasie beflügelt und der
Umgang mit Enttäuschungen erlernt werden.
Was also gefragt wäre, ist eine Gesundheitssystemforschung vom Patienten. Sie fragt z. B.
auch danach, warum sich Patienten gegen ärztliche Ratschläge entscheiden, und wie
Überzeugung entstehen kann. Andere Fragen sind: Unter welchen äußeren Bedingungen kann
die Arzt-Patienten-Beziehung gedeihen, kann die Medizin ihr gesamtes Potenzial auch
entfalten? Wie ist das was K. Dörner die „Einbettung der ärztlichen Leistung in eine
Beziehungskultur“ nannte, zu leisten?
Hierzu ist auch Methodenvielfalt, insbesondere mit der Einführung qualitativer Elemente
zuzulassen.
Ein weiterer Fragenkomplex richtet sich auf die Rahmenbedingungen.
Unter ethischen Aspekten scheint es nachdenkenswert, wie eine Politik gestützt werden kann,
die tatsächlich versteht, was Medizin vermag und welche Voraussetzungen dafür zu schaffen
sind. Eine Politik, die der ihr anvertrauten Bevölkerung vertraut und den potenziellen Wähler
als mündigen Bürger anspricht, die Realität z. B. einer relativen Mittelknappheit offen
anspricht und die eigenen Lösungen dazu verständlich darstellt.
Vielleicht geht es auch um eine Politik, die die Befreiung der Menschen vom
Gesundheitssystem als letztendliches Ziel versteht und nicht durch Versprechungen einer
andauernden Protektion Hilfsbedarfe suggeriert. (Chronisch Kranke z. B. sind heute nicht nur
Kosten verschlingende Dauerkunden des Systems, sondern lebensfrohe Bürger, die ihre
Krankheit in großem Umfang erfolgreich selbst managen).
Diese Bedingungen können durch Forschung unterstützt und herausgestellt werden. sodass sie
als Errungenschaften anerkannt werden können und als Faktenlage, auf der Politik aufbauen
kann.
So kann eine neu verstandene Gesundheitssystemforschung beitragen nicht nur zu mehr
Transparenz und Innovation. Die Forschung enttarnt auch Fehlverhalten z. B. den
problematischen Umgang mit Patienten und Leistungserbringern im Krankenhaus, der
letztlich krankmachend ist. Schon Loriot beklagt die Verhältnisse mit der Feststellung: „ Wer
heute in ein Krankenhaus geht braucht eine felsenfeste Gesundheit“.
Günstigenfalls führt uns eine neu gedachte GSF neben aller funktionalen Erkenntnis auch zu
mehr Wahrhaftigkeit.
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